AUSSERORDENTLICHE KÜNDIGUNG INFOLGE UNTERVERMIETUNG ÜBER AIRBNB UND BOOKING.COM

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

Am 7. Februar 2024 urteilte das Mietgericht Zürich (MJ230070-L), dass die gewerbliche Untervermietung ohne Zustimmung der Vermieterin eine Vertragsverletzung darstellt, welche die Vermieterin nach einer Abmahnung berechtigt, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Anders zu beurteilen ist die bloss gelegentliche Vermietung von Mietwohnungen über Buchungsplattformen, welche vom vertraglich vereinbarten Wohnzweck gedeckt und damit (unter Berücksichtigung der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen) zulässig sind. Zum Zeitpunkt der Publikation dieses Newsletters ist ein allfälliger Weiterzug an die nächste Instanz noch offen.

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I. Sachverhalt

Der Mieter / Kläger mietete in Zürich zwei Wohnungen. Im Mietvertrag wurde die Benutzung der Wohnung auf eine Person begrenzt und die Verwendung zu Wohnzwecken festgelegt.

Der Mieter vermietete die beiden Wohnungen über Airbnb und Booking.com zu einem Preis von jeweils durchschnittlich ca. CHF 215.00 pro Nacht für bis zu vier Personen. Die Auslastung war jeweils hoch.

Kurze Zeit nach Beginn des Mietverhältnisses gingen bei der Vermieterin diverse Beschwerdeschreiben anderer Mietparteien ein, welche sich über die wechselnden und störenden Untermieter beschwerten. Es folgte eine Abmahnung der Vermieterin an den Mieter mit der Aufforderung, die Inserate abzuschalten. Der Mieter liess sich davon nicht beeindrucken und führte sein Geschäftsmodell weiter. Infolgedessen kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis fristlos.

Im Gerichtsverfahren betr. Anfechtung der Kündigung stellte sich der Mieter / Kläger auf den Standpunkt, die von ihm gewählte Nutzung und somit die Untervermietung sei ihm mündlich und konkludent gestattet worden. Mangels Beweis drang er mit diesem Argument nicht durch.

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II. Rechtliches / Gerichtliche Beurteilung

Bei dieser speziellen Form der Untervermietung kann man sich fragen, ob lediglich die Bestimmungen über die (Unter-) Miete zur Anwendung gelangen oder ob eventuell gar ein Beherbergungsvertrag oder Gastaufnahmevertrag vorliegt. Dies ist im Einzelfall je nach Ausgestaltung des Vertrages zu beurteilen. Jedenfalls wird in der Praxis die analoge Anwendung der Regeln zur Untermiete bei jeder Art der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung bejaht. Insofern kann ein Vermieter die Vermietung von Wohnungen über Buchungsplattformen verbieten, soweit der Mieter damit einen missbräuchlichen Ertrag erzielt, er die Bedingungen der Untervermietung nicht offenlegt oder die Grenzen des zulässigen Gebrauchs überschreitet. Wird eine dieser Pflichten durch den Mieter verletzt, kann die Vermieterin das Vertragsverhältnis kündigen.  Möchte die Vermieterin das Mietverhältnis ausserordentlich kündigen, so bedarf es grundsätzlich einer Abmahnung und mehrerer Pflichtverletzungen, sodass die Weiterführung für sie nicht mehr zumutbar ist.

Das Gericht kam im zu beurteilenden Fall zum Schluss, dass der Mieter mit seinem fortgesetzten Verhalten den Mietvertrag verletzt hat und dies auch nachdem er gemahnt worden ist nicht zu ändern beabsichtigte. Eine Fortführung war für die Vermieterin nicht zumutbar. Die ausserordentliche Kündigung war damit rechtens. 

Abschliessend bestätigte das Gericht die ständige Rechtsprechung, dass die Vermieterin im Falle einer widerrechtlichen Untervermietung berechtigt ist, den Gewinn gestützt auf die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag nach Art. 423 OR abzuschöpfen.

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15. April 2024  / MLaw Kim Attenhofer


SICHERHEITSLEISTUNG ZUR ABLÖSUNG EINES BAUHANDWERKERPFANDRECHTS

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

Das Bauhandwerkerpfandrecht stellt für einen Unternehmer ein einflussreiches Druckmittel gegen den Grundeigentümer dar, wenn der Bauherr den Werklohn für Arbeiten auf einem Baugrundstück nicht bezahlt. Es kann gleichzeitig die Kreditwürdigkeit des Grundeigentümers erheblich beeinträchtigen und die Verfügung über das Grundstück erschweren. Das Gesetz gewährt dem Grundeigentümer die Möglichkeit, sich gegen ein Bauhandwerkerpfandrecht zu wehren, namentlich in dem er eine hinreichende Sicherheit leistet (Art. 839 Abs. 3 ZGB). Diese tritt an Stelle des Pfandrechts und soll dem Unternehmer gleichwertigen Schutz bieten.

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I. HINREICHENDE SICHERHEIT

Als mögliche Sicherheiten für die Pfandsumme kommen insb. die (Bank-/Versicherungs-) Garantie, die Hinterlegung eines Geldbetrages beim Gericht, einer Bank oder einem Notar oder die Bürgschaft in Frage.

In den allermeisten Fällen wird als Sicherheitsleistung die Garantie gewählt. Sie hat gegenüber den beiden anderen Sicherungsmitteln den Vorteil, dass nicht zwingend ein garantierter Höchstbetrag festgelegt werden muss, was angesichts der (noch) aktuellen Rechtslage / Rechtsprechung von grossem Vorteil ist (siehe hiernach).

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II. RECHTSPRECHUNG

Mit seinem Urteil vom 5. Oktober 2016 (BGE 142 III 738) stellte das Bundesgericht fest, dass eine Sicherheitsleistung nur dann hinreichend im Sinne des Gesetzes ist, wenn sie die gleiche Deckung (qualitativ und quantitativ) bietet wie das Bauhandwerkerpfandrecht. Gemäss Bundesgericht müssen auch die Verzugszinsen der Forderung zeitlich unlimitiert sichergestellt sein. Stellt eine Garantie zwar den Kapitalbetrag aber nicht zeitlich unlimitiert die Verzugszinsen sicher, genügt sie den Anforderungen an eine „hinreichende Sicherheit“ nicht. Mit diesem Entscheid stellte das Bundesgericht klar, dass eine Sicherstellung des Kapitalbetrages zuzüglich Verzugszinse für 10 Jahre, wie dies früher als ausreichend angesehen wurde, nicht mehr gilt. Ebenfalls darf eine Garantie keine terminliche Befristung der Gültigkeitsdauer aufweisen.

Eine Bankgarantie mit unlimitiertem Zinsenlauf und ohne konkrete Befristung dürfte in der Praxis schwer zu erlangen sein und insb. von der Liquidität des Grundeigentümers abhängen. Durch das zitierte Bundesgerichtsurteil verschärfte sich in der Praxis die Problematik der Ablösung von Bauhandwerkerpfandrechten.

Im Entscheid 5A_323/2022 vom 27. Oktober 2022 hatte das Bundesgericht erneut die Möglichkeit, sich mit dem Thema der hinreichenden Sicherheit und seiner früheren Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die in der Lehre stark kritisiert worden ist, und Anlass für eine Gesetzesrevision gab (vgl. hiernach).

Die Vorinstanz des Bundesgerichts (Kantonsgericht Genf) hatte in ihrem Entscheid festgehalten, dass die von den Grundeigentümern geleistete Sicherheit im Umfang der Forderung des Unternehmers zuzüglich 5% Zins für eine Dauer von 10 Jahren den Anforderungen einer hinreichenden Sicherheit genüge und daher das provisorisch im Grundbuch eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht zu löschen sei und wich damit von der geltenden Rechtsprechung ab.

Das Bundesgericht stützte diesen Entscheid und hielt fest, dass er nicht willkürlich sei. Es erwog, dass in bestimmten Fällen eine laufende Gesetzesrevision bei der Auslegung einer Norm berücksichtigt werden kann. Dies ist jedoch nur denkbar, wenn die anwendbare Regelung nicht grundlegend geändert wird und es lediglich darum geht, die bestehende Rechtslage zu konkretisieren oder Lücken im anwendbaren Recht zu schliessen.

Aufgrund der anstehenden Gesetzesrevision (vgl. hiernach) dürfte die unterschiedliche Rechtsprechung für die Praxis aber ohnehin nicht mehr von grundlegender Bedeutung sein.

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III. ALTERNATIVE HANDLUNGSMÖGLICHKEIT DES GRUNDEIGENTÜMERS

Das Handelsgericht Aargau hat in einem Entscheid vom 23. Februar 2023 (HSU.2022.41) festgehalten, dass für den Fall, dass der Unternehmer die von der sicherheitsleistenden Person angebotene Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts akzeptiert, das Gericht nicht mehr zu überprüfen hat, ob die Sicherheitsleistung «hinreichend» im Sinne von Art. 839 Abs. 3 ZGB ist und entsprechend die Löschung des Bauhandwerkerpfandrechts anordnen kann. Somit besteht seitens Grundeigentümer die Möglichkeit, im Vorfeld einer Sicherheitsleistung, namentlich einer geplanten Hinterlegung das Einverständnis des Unternehmers einzuholen, dass die zu hinterlegende Summe eine hinreichende Sicherheit bietet und kann dadurch die Hürden der aktuellen Rechtsprechung umgehen. Praktisch gesehen, ist der Grundeigentümer auf diese Zustimmung angewiesen.

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IV. GESETZESREVISION

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts war Anlass für einen politischen Vorstoss Ende 2017 (Motion Burkhart 17.4079). Das Ziel war, Verzugszinse, die in den Sicherheiten nach Art. 839 Abs. 3 ZGB enthalten sind, auf zehn Jahre zu begrenzen.

Zwischenzeitlich wurde Art. 839 Abs. 3 ZGB (neu): «Sie (die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts) darf nur erfolgen, wenn die Pfandsumme vom Eigentümer anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist, und kann nicht verlangt werden, wenn der Eigentümer für die angemeldete Forderung zuzüglich Verzugszinse für die Dauer von zehn Jahren hinreichende Sicherheit leistet» von der Bundesversammlung angenommen. Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Die Änderung und damit im Gesetz niedergeschriebene Begrenzung verleiht der gesetzlichen Bestimmung wieder eine praktische Bedeutung. Der Umfang der Ersatzsicherheit kann wieder konkret beziffert werden. Im Sinne der Rechtssicherheit und der einheitlichen Rechtsanwendung ist dies zu begrüssen.


28. Februar 2024  / MLaw Kim Attenhofer


MIETRECHTLICHE STOLPERSTEINE BEI UMBAU UND SANIERUNG

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

Eigentümer von Mietliegenschaften wollen von Zeit zu Zeit eine Liegenschaft umbauen oder müssen diese (total-)sanieren und stehen vor der Frage, wie sie hinsichtlich der bestehenden Mietverhältnisse vorgehen. Sollen die Arbeiten etappenweise vorgenommen werden, so dass die Mieter oder zumindest ein Teil davon in der Liegenschaft bleiben kann oder wäre doch eine Leerkündigung besser, sodass uneingeschränkt gebaut werden kann? Die Entscheidung kann von individuellen Tatsachen abhängen. Welche Probleme sich bei der einen oder andere Variante stellen können und was beachtet werden sollte, wird in diesem Newsletter unter Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erläutert.

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I. BAUARBEITEN BEI VERMIETETEN LIEGENSCHAFTEN

Art. 256 Abs. 1 OR verpflichtet den Vermieter, das Mietobjekt während der Vertragsdauer in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu erhalten. Der Vermieter ist damit verpflichtet, Störungen und Mängel zu beseitigen und das Mietobjekt so zu unterhalten, dass es von den Mietern vertragskonform genutzt werden kann. Solche Unterhaltsarbeiten sind vom Mieter jederzeit zu dulden.

Gemäss Art. 260 Abs. 1 OR kann der Vermieter Erneuerungen und Änderungen – im Gegensatz zu reinen Unterhaltsarbeiten – am Mietobjekt nur dann vornehmen, wenn sie für den Mieter zumutbar sind und wenn das Mietverhältnis nicht gekündigt ist. Eine Zustimmung durch den Mieter ist nicht erforderlich. Das Bundesgericht stellt hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit. Entsprechende Arbeiten müssen schonend ausgeführt werden (Abs. 2).

Eine klare Linie zwischen Unterhaltsarbeiten und Erneuerungen bzw. Änderungen zu ziehen, gestaltet sich regelmässig als schwierig. Arbeiten an der Liegenschaft, die zur Behebung von Mängeln oder zur Beseitigung oder Vermeidung von Schäden notwendig sind, wie beispielsweise das Ersetzen einer defekten Heizung, der Ersatz von Leitungen, die zu rosten drohen, der Service von technischen Geräten etc., sind Unterhaltsarbeiten. Von Erneuerungen und Änderungen spricht man häufig bei einer Umgestaltung von Mietobjekten, bei wertvermehrenden Investitionen, die nicht unbedingt nötig, aber nützlich sind, wie beispielsweise bei energetischen Sanierungen oder beim Einbau von neuen, bisher nicht vorhandenen Einrichtungen.

Sowohl bei Unterhaltsarbeiten als auch bei Erneuerungen und Änderungen können die Mieter grundsätzlich in der Liegenschaft verbleiben. Die Bedürfnisse der Mieter sind soweit als möglich zu berücksichtigen. Der Vermieter behält seinen Anspruch auf den Mietzins, wobei je nach Ausmass und Dauer der Arbeiten bzw. dem Grad an Immissionen mit Mietzinsherabsetzungs- und Schadenersatzbegehren (Art. 259a ff. OR) zu rechnen ist. Auch besteht das Risiko von Verzögerungen infolge von Einsprachen und Verfahren mit den Mietern.

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II. LEERKÜNDIGUNG IN HINBLICK AUF EINEN UMBAU ODER EINE SANIERUNG

Namentlich im Falle von grösseren Umbau- oder Sanierungsprojekten sind diese nur bei Leerstand zeit- und kosteneffizient durchzuführen. Entsprechend müssen sämtliche Mietverhältnisse gekündigt werden. Die Inangriffnahme von Arbeiten wird in aller Regel mit Blick auf die hiervor zitierte Bestimmung von Art. 260 Abs. 1 OR vor dem Kündigungstermin unterbleiben müssen.

Bei Leerkündigungen besteht das Risiko, dass (einzelne) Mieter die Kündigung anfechten, sich auf Missbräuchlichkeit berufen bzw. eine Erstreckung verlangen. Damit zusammenhängende Gerichtsverfahren können mehrere Jahre dauern. Während hängigen Gerichtsverfahren geniessen die betroffenen Mieter eine sogenannte «kalte Erstreckung», d.h. sie können in der Mietwohnung mindestens solange verbleiben, wie das Verfahren andauert. Gerade bei grösseren Liegenschaften mit mehreren Mietobjekten gestaltet sich die Situation für den Eigentümer und Vermieter äusserst mühsam, wenn einzelne Mieter die Kündigung anfechten: Er verliert die Mietzinseinnahmen der Mieter, die das Objekt infolge Kündigung verlassen. Gleichzeitig kann er aber nicht über seine (ganze) Liegenschaft verfügen und die Sanierung vorantreiben, weil einzelne Objekte besetzt bleiben und währenddessen Erneuerungen und Änderungen mit Blick auf Art. 260 Abs. 1 OR nicht zulässig sind. Ausserdem muss die Liegenschaft weiterhin unterhalten, geheizt und gereinigt werden, auch wenn bloss noch wenige Mieter dort wohnen. Auch die Reputation kann unter diesem Umstand leiden. Leerkündigungen sind folglich für Vermieter sinnvoll, welche über einen langen Atem verfügen und welche auch das mit einer solchen Kündigung verbundene Leerstandsrisiko tragen können.

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III. VORAUSSETZUNGEN SANIERUNGSKÜNDIGUNG

Grundsätzlich sind die Parteien in ihrer Entscheidung ein Mietverhältnis zu kündigen frei. Der Vermieter kann somit das Mietverhältnis kündigen, um sein Eigentum auf die für ihn günstige Weise zu nutzen, um grössere Renovationen durchzuführen, welche bei Auszug des Mieters rascher und günstiger ausgeführt werden können, um den Ertrag zu maximieren oder die Räumlichkeiten für sich selbst zu nutzen oder nahen Verwandten zur Verfügung zu stellen. Die Kündigung darf einzig und allein nicht missbräuchlich sein. Eine Kündigung kann durch einen Mieter erfolgreich angefochten werden, wenn sie missbräuchlich ist, d.h. gegen Treu und Glauben verstösst und somit ohne objektives, ernsthaftes und schützenswertes Interesse erfolgt (Art. 271 Abs. 1 OR). Im Zusammenhang mit einer Sanierung fallen in erster Linie folgende Fallgruppen in Betracht:

–     Kündigung als schonungslose Rechtsausübung, weil der Vermieter aus verschiedenen Optionen diejenige wählt, welche für den Mieter nachteiliger ist.

–     Widersprüchliches Verhalten, weil der Vermieter in der Kündigung angibt, dass diese infolge Totalsanierung erfolgt und in der Folge nur Malerarbeiten durchgeführt werden und somit ein Verbleib im Mietobjekt möglich wäre. Die Relevanz dieser Fallgruppe dürfte in der Praxis nicht sehr hoch sein, da bis zur Eruierung des wahren Grundes meist die Anfechtungsfrist von 30 Tagen bereits verstrichen ist.

–     Kündigung obwohl noch kein ausgereiftes Projekt vorliegt bzw. zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollzogen werden kann, dass die geplanten Arbeiten notwendig sind und der Auszug der Mieter erforderlich ist.

In der Praxis ist die letzte Fallgruppe wohl am häufigsten anzutreffen, weshalb auf diese ausführlich Bezug genommen wird.

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss der Vermieter zum Zeitpunkt der Kündigung ein tatsächliches und aktuelles, schutzwürdiges Interesse haben. Ein solches wird verneint, wenn das Umbauprojekt noch zu wenig ausgereift ist bzw. noch keine greifbare Tatsache darstellt. Irrelevant ist, ob die geplanten Arbeiten notwendig oder gar dringlich sind und gleichermassen auch die Bereitschaft eines Mieters die Arbeiten zu dulden. Es ist hingegen wichtig, dass, wenn ein Umbau der Kündigungsgrund darstellt und dieser auch angegeben wird, das Umbauprojekt im Zeitpunkt der Kündigung bereits ausgereift und relativ detailliert geplant ist. Die feste Absicht zur Renovierung und zum Umbau eines Gebäudes genügt jedenfalls nicht. Idealerweise wurde bereits ein Baubewilligungsgesuch eingereicht oder es liegt sogar eine Baubewilligung vor. Dies stellt jedoch keine zwingende Voraussetzung dar. Weitere Unterlagen, welche zur Substantiierung eines ausgereiften Bauprojekts beitragen können (nicht müssen), sind beispielsweise: Machbarkeitsstudie eines Architekten, Pläne, konkreter Baubeschrieb, Offerten, Finanzierungsnachweis für das beabsichtigte Projekt u.Ä.

Wird die Kündigung aufgrund eines Projekts ausgesprochen, dessen Realisierung objektiv unmöglich ist, insb. weil es offensichtlich nicht mit den Bestimmungen des öffentlichen Rechts vereinbar ist, so ist abzuschätzen, ob zum Zeitpunkt der Kündigung die Bewilligung der geplanten Arbeiten deutlich auszuschliessen gewesen ist. Eine nicht vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit genügt hierfür nicht. Eine Kündigung widerspricht nicht bereits dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn das ursprüngliche Projekt geändert werden muss, um durch die Behörde bewilligt zu werden. Es kommt in der Praxis immer wieder vor, dass Bauvorhaben im Laufe der Planung freiwillig oder aufgrund von behördlichen Auflagen angepasst werden und das Projekt nicht genauso realisiert wird, wie ursprünglich angedacht. Nach dem Kündigungszeitpunkt eintretende Ereignisse führen nicht dazu, dass eine Kündigung nachträglich missbräuchlich werden kann. Diese Ansicht wurde kürzlich vom Bundesgericht bestätigt.

Abschliessend sei erwähnt, dass selbst wenn die Kündigung nicht ungültig ist oder wegen Missbräuchlichkeit angefochten wird, für den Vermieter infolge einer Kündigung immer noch das Risiko besteht, dass Mieter bei Gericht eine Erstreckung verlangen und ihnen diese vom Gericht unter bestimmten Voraussetzungen zugestanden wird. Auch dies führt konsequenterweise zur Verzögerung von Bauarbeiten. Würde die Klage um Erstreckung abgewiesen, kommt der Mieter zumindest während des hängigen Verfahrens in den Genuss der «kalten Erstreckung». Ein Mieter wird dem Vermieter gegenüber grundsätzlich nicht schadenersatzpflichtig, solange er seine Rechte gutgläubig ausübt, womit Ansprüche des Vermieters gegenüber dem unterliegenden Mieter im Gerichtsverfahren tendenziell ausgeschlossen sind.

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IV. VORGEHENSWEISE UND MASSNAHMEN IN HINBLICK AUF EINEN UMBAU ODER EINE SANIERUNG

Ein Umbau oder eine umfassende Sanierung wollen gut und frühzeitig geplant sein.

Je weiter ein Bauprojekt fortgeschritten ist, desto besser sind die Aussichten, dass eine Kündigung geschützt und dass keine oder keine allzu lange Erstreckung gewährt wird.

Weiss ein Vermieter bei Abschluss eines Mietvertrages, dass in absehbarer Zeit eine Gesamtsanierung ansteht, ist er gut beraten, einen befristeten Mietvertrag abzuschliessen. In Mietverträgen, welche in Hinblick auf ein bevorstehendes Umbau- oder Abbruchvorhaben geschlossen werden, können die Parteien ausnahmsweise vereinbaren, dass das Mietverhältnis nur für beschränkte Zeit bis zum Baubeginn oder bis zum Erhalt der erforderlichen Bewilligung abgeschlossen wird (Art. 272a Abs. 1 lit. d OR). Die Erstreckung ist dann ausgeschlossen. Dies ermöglicht dem Vermieter für Mietobjekte, welche bereits gekündigt und zurückgegeben worden sind, wieder befristet zu vermieten, was namentlich dann zum Tragen kommt, wenn mit dem Umbau noch nicht begonnen werden kann, bspw. wegen anderer hängigen Gerichts- und Bewilligungsverfahren.

Im Vorfeld von Sanierungskündigungen haben Vermieter sodann darauf zu achten, dass es zu keinen unnötigen Schlichtungs- und Gerichtsverfahren mit den Mietern kommt, sodass Kündigungssperrfristen zum Tragen kommen. Insofern ist auch von Vorankündigungen abzuraten, andernfalls gewisse Mieter sich veranlasst sehen können, mietrechtliche Streitigkeiten zu provozieren, um so in den Genuss dieser Sperrfristen zu kommen.

Je nach Ausgangslage kann sich in Hinblick auf eine umfassende Sanierung statt einer Kündigung auch eine Vereinbarung mit den Mietern anbieten. In einer solchen Vereinbarung können die Details, abgestimmt auf den Einzelfall, geregelt werden. Damit gewinnt der Vermieter Rechtssicherheit. Vorausgesetzt ist natürlich, dass die betroffenen Mieter ihre Zustimmung zur Auflösung des Mietverhältnisses geben, was sicherlich nicht immer einfach sein dürfte. Gewährt der Vermieter dem Mieter jedoch eine längere Auflösungsfrist bzw. eine einseitige kürzere Auszugsmöglichkeit, hilft ihm aktiv bei der Suche einer neuen Wohnung oder kann ihm eine solche gar zur Verfügung stellen und kommt ihm eventuell finanziell bezüglich Umzugskosten entgegen, so ist das Einigungspotenzial erfahrungsgemäss höher. Ein solches Vorgehen macht aber nur Sinn, wenn der Vermieter seine Mieter einschätzen kann und er eine einvernehmliche Lösung nicht per se ausschliesst.

Andernfalls besteht eine Garantie für die Vermeidung von Auseinandersetzungen mit Mietern auch bei guter und rechtzeitiger Analyse der Situation, sorgfältiger Planung und bei rücksichtsvollem Handeln gegenüber den Mietern leider nicht. Dennoch ist dies absolut zu empfehlen.


15. Februar 2023  / MLaw Kim Attenhofer


KOMMUNALER MEHRWERTAUSGLEICH BEI AUF- UND UMZONUNGEN – ZÜRCHER REGIERUNGSRAT HÄLT AN UMSETZUNGSFRIST FEST

MLaw Marius Reinhardt, Rechtsanwalt und lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

Mit Urteil 1C_233/2021 vom 5. April 2022 („Meikirch“) hat das Bundesgericht entschieden, dass Gemeinden künftig nicht nur bei Einzonungen, sondern auch bei Um- und Aufzonungen von Grundstücken Mehrwertabgaben erheben müssen. Nur so lasse sich der Gesetzgebung-sauftrag gemäss Art. 5 des Raumplanungsgesetzes des Bundes (RPG) interpretieren, welcher einen angemes-senen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen entstehen, vorschreibe. Ein gänzlicher Verzicht auf einen Mehrwertausgleich für Auf- und Umzonungen widerspreche daher dem gültigen Bundesrecht. Das kantonalzürcherische Mehrwertausgleichsgesetz (MAG) überlässt es in seiner heutigen Form jedoch weitgehend den Gemeinden, ob und in welcher Höhe sie eine Mehrwertabgabe für Auf- und Umzonungen einführen möchten. Das besagte Bundesgerichtsurteil erging in einem denkbar ungünstigen Moment, sind zurzeit doch unzählige Zürcher Gemeinden im Begriff, ihre jeweiligen Bau- und Zonenordnungen (BZO) unter anderem an das zürcherische MAG anzupassen. Zeit dazu verbleibt ihnen nur noch bis am 1. März 2025 (§ 29 Abs. 4 MAG).

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Zur Anfrage der Zürcher Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel sowie der Kantonsräte Domenik Ledergerber und Martin Farner-Brandenberger vom 30. Mai 2022 (1179. Anfrage), welche Konsequenzen das Bundesgerichtsurteil nun nach sich ziehe und inwiefern Handlungsbedarf bestehe, hat sich der Regierungsrat des Kantons Zürich anlässlich seiner Sitzung vom 7. September 2022 (KR-Nr. 183/2022) wie folgt geäussert: Der Regierungsrat verwies einerseits auf das im Sommer 2022 angestossene Revisionsverfahren im Bundesparlament, dessen weiterer Verlauf sowie zeitlicher Horizont ungewiss seien, und rief andererseits das Kreisschreiben der Baudirektion des Kantons Zürich vom 23. Juni 2022 in Erinnerung, gemäss welchem die Praxis bezüglich der Verzichtsmöglichkeit auf den kommunalen Mehrwertausgleich – entgegen dem Wortlaut von § 19 MAG – angepasst worden sei. Vorlagen, in welchen Gemeinden auf den Mehrwertausgleich für Auf- und Umzonungen verzichten, könnten nicht mehr genehmigt werden. Dies gelte auch für bereits vorgeprüfte Vorlagen. Wird ein kommunaler Mehrwertausgleich eingeführt, müsse zudem ein angemessener Abgabesatz gewählt werden (Art. 5 RPG). Ein Abgabesatz von wenigen Prozenten sei aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben und Rechtsprechung aller Voraussicht nach nicht bundesrechtskonform. Inhaltlich hat sich somit nichts geändert.

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Zürcher Gemeinden, welche bislang keine entsprechende Mehrwertabgabe für Auf- und Umzonungen einführen wollten, kommen nun zeitlich unter Druck. Die Stellungnahme der kantonalzürcherischen Exekutive entschärft in dieser Hinsicht aber keineswegs – ganz im Gegenteil. Trotz bestehender Unsicherheiten und laufender Gesetzgebungsprojekte in Bundesbern will der Regierungsrat von einer allgemeinen Fristverlängerung bezüglich der am 1. März 2025 ablaufenden Frist nichts wissen. Die Zürcher Gemeinden werden daher implizit aufgefordert, im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Lösung mit Abgabe für Auf- und Umzonungen zu verfolgen, sofern sie nicht in Kauf nehmen wollen, die Frist im Jahr 2025 zu verpassen. Am eingeschlagenen Weg würde dann wohl auch eine liberalere, das Bundesgerichtsurteil „korrigierende“ Revision des RPG nichts mehr ändern

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23. September 2022  / lic. iur. Christoph Schärli und MLaw Marius Reinhardt


BERÜCKSICHTIGUNG DES BUNDESINVENTARS DER SCHÜTZENSWERTEN ORTSBILDER DER SCHWEIZ (ISOS) IM BAUBEWILLIGUNGSVERFAHREN

MLaw Marius Reinhardt, Rechtsanwalt

Bei der Erfüllung von Bundesaufgaben sieht das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) einen verstärkten Schutz für Ortsbilder von nationaler Bedeutung vor. Für Bauherren und Projektentwickler stellt sich zuweilen die Frage, ob neben kantonalrechtlichen Natur- und Heimatschutzvorschriften auch das ISOS auf ihr Bauvorhaben Anwendung findet. Gemäss aktueller (aber umstrittener) bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist bei in ISOS-Gebieten geplanten Bauvorhaben, welche teilweise unter dem mittleren Grundwasserspiegel zu liegen kommen sollen, Vorsicht geboten, da eine direkte Anwendbarkeit des ISOS bejaht wird.

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I. BUNDESINVENTAR DER SCHÜTZENSWERTEN ORTSBILDER DER SCHWEIZ

Es ist unbestritten, dass die Pflege und die sorgfältige Weiterentwicklung von Ortsbildern zur Qualität unserer gebauten Umwelt und zu unserem Wohlbefinden beitragen. Den Schutz von qualitätsvollen Ortsbildern gewährleistet in der Schweiz insbesondere das Planungsrecht. Dafür sind in erster Linie die Kantone und Gemeinden zuständig. Sie bezeichnen bspw. Kern- und Schutzzonen und erlassen entsprechende Gestaltungsvorschriften. Somit sind für Um- oder Neubauten in schützenswerten Ortsbildern daher primär die kantonalen Fachstellen für Denkmalpflege Ansprechpartnerinnen. Auf nationaler Ebene kümmert sich das Bundesamt für Kultur (BAK) um den Ortsbildschutz und hat mit dem Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) ein Grundlageninstrument erarbeitet, das den Behörden der Denkmalpflege sowie des Bau- und Planungswesens hilft, baukulturelle Werte zu erkennen und langfristig zu sichern. Durch die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung in das ISOS wird dargetan, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient (Art. 6 Abs. 1 NHG). Ein Abweichen von der ungeschmälerten Erhaltung darf bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur in Erwägung gezogen werden, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige
Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 abs. 2 NHG).

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II. BUNDESAUFGABE IM BAUBEWILLIGUNGSVERFAHREN?

Direkt zur Anwendung gelangt das ISOS immer dann, wenn das Vorliegen einer Bundesaufgabe im Sinn von Art. 2 NHG bejaht werden kann. Sollen beispielswiese einzelne Bauten einer ISOS-geschützten Baugruppe durch einen zeitgemässen Ersatzneubau ersetzt werden, stellt sich die Frage, ob das ISOS im Baubewilligungsverfahren direkt anwendbar und eine umfassende Interessenabwägung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG vorzunehmen ist.

Bundesaufgaben liegen nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung etwa dann vor, wenn der Bund Werke und Anlagen plant, errichtet oder verändert, wenn er Konzessionen und Bewilligungen erteilt, wenn er Subventionen gewährt oder wenn ein Bauprojekt ausserhalb der Bauzone entstehen soll oder bis zum Grundwasserspiegel reicht. In diesen Fällen darf ein Abweichen von den Erhaltungszielen des ISOS nur in Erwägung gezogen werden, wenn gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 Abs. 2 NHG).

Mit Blick auf Bauvorhaben innerhalb der Bauzonen ist regelmässig derjenige Anwendungsfall relevant, in welchem Räume oder Kellergeschosse eines Bauvorhabens unter den mittleren Grundwasserspiegel (Gewässerschutzbereich Au) zu liegen kommen sollen. Diesfalls ist nämlich eine gewässerschutzrechtliche Ausnahmebewilligung der jeweiligen kantonalen Baudirektion im Sinne von Ziff. 211 Abs. 2 Anhang 4 der Gewässerschutzverordnung (GSchV) erforderlich. Als Ausnahmebewilligung im bundesrechtlich geregelten Gewässerschutz ist darin gemäss aktueller bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Bundesaufgabe im Sinne von Art. 2 NHG zu erblicken (vgl. BGer 1C_482/2012 vom 14. Mai 2014). Befindet sich die Bauparzelle zufälligerweise in einem ISOS-Gebiet, führt dies somit ohne Weiteres dazu, dass eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG durchzuführen ist. In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommt dazu, dass zwingend ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) oder der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) eingeholt werden muss (Art. 7 NHG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 lit. d der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz [NHV]). Die Kommission gibt darin an, ob das Objekt ungeschmälert zu erhalten oder wie es zu schonen ist.

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III. FOLGEN FÜR BAUVORHABEN IN ISOS-GEBIETEN

Betrifft ein Bauvorhaben ein Grundstück in einem ISOS-Gebiet und kann die Erfüllung einer Bundesaufgabe im Sinne von Art. 2 NHG bejaht werden, kommen die Vorgaben des ISOS bzw. des NHG direkt zur Anwendung, was im Ergebnis dazu führt, dass zwingend ein Gutachten der ENHK oder EKD einzuholen und eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist. Nicht erforderlich ist zudem, dass das Ortsbild auf kantonaler / kommunaler Ebene (formell) geschützt ist oder als «Denkmalobjekt» in ein Denkmalinventar aufgenommen worden ist. Verfahrensmässig ziehen die Begutachtungspflicht sowie die Interessenabwägung nicht nur Mehrkosten, sondern vor allem auch eine deutliche Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens nach sich. Die Bauherrschaft ist daher gut beraten, sich frühzeitig mit dieser Frage auseinanderzusetzen und das allenfalls notwendige Gutachten in Auftrag zu geben. Baubewilligungen, die in rechtswidriger Weise ohne Vornahme der entsprechenden Verfahrensschritte erteilt werden, sind anfechtbar. Bei rechtzeitigem Einholen des Gutachtens kann somit ein zeitaufwändiges Rechtsmittelverfahren vermieden werden.


13. Juli 2022  / MLaw Marius Reinhardt


STOCKWERKEIGENTUM – WIE WEIT GEHT DAS GESTALTUNGSRECHT AUF DEM EIGENEN BALKON?

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

.I. EINLEITUNG

Im Gegensatz zu Eigentümern von Einfamilienhäusern besitzen Stockwerkeigentümer lediglich das Recht, die ihnen zu Sonderrecht ausgeschiedenen Teile (bspw. Wohnung, Keller) ausschliesslich zu gebrauchen und nach eigenem Belieben zu verändern. Voraussetzung für die Ausscheidung zu Sonderrecht ist, dass der Teil der Liegenschaft abgeschlossen ist, d.h. Boden, Decke, Wände und ein eigener Zugang bestehen.

Gemeinschaftliche Teile der Liegenschaft wie z.B. das Dach, die tragenden Mauern, die Fassade oder das Fundament gehören – wie der Name schon sagt – der Stockwerkeigentümergemeinschaft und entsprechend kann auch nur die Gemeinschaft darüber verfügen bzw. bauliche Massnahmen beschliessen und veranlassen.

Nun gibt es auch Bauteile, welche gefühlsmässig eher zur Wohnung und damit zum Sonderrecht eines Eigentümers gehören, rechtlich gesehen aber gemeinschaftliches Eigentum bilden. Diese Bauteile können mit entsprechender Regelung im Reglement einem einzelnen Stockwerkeigentümer lediglich zum alleinigen Gebrauch zugewiesen werden. Für die bauliche Ausgestaltung sind dem Eigentümer aber die Hände gebunden und er braucht hierfür die Zustimmung der Gemeinschaft. Es handelt sich hierbei um Gebäudeteile, welche die obgenannten Voraussetzungen des Sonderrechts nicht oder nur teilweise erfüllen wie beispielsweise der Garten, die Dachterrasse oder freiliegende Parkplätze (fehlende Abgeschlossenheit).

Die Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach und das Bewusstsein für die rechtliche Handhabung teilweise nicht vorhanden, was in der Praxis regelmässig zu Diskussionen führt, wie gewisse Bauteile genutzt und vor allem verändert werden dürfen. Der vorliegende Newsletter konzentriert sich auf die Gestaltungsfreiheit auf dem eigenen Balkon und soll Aufschluss geben, inwiefern ein Stockwerkeigentümer bei entsprechenden baulichen Massnahmen die Gemeinschaft zu involvieren hat.

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II. RECHTLICHE WÜRDIGUNG

Nach der herrschenden Lehre ist das Innere eines Balkons grundsätzlich sonderrechtsfähig und kann durch einen Stockwerkeigentümer im Rahmen des Gesetzes bzw. des Reglementes individuell umgestaltet werden. Der äussere Teil des Balkons (z.B. Balkongeländer, Fundament, Boden-Isolierungsschichten, Aussenmauern) stellt hingegen zwingend ein gemeinschaftlicher Teil dar, weshalb für eine Umgestaltung oder Erneuerung ein Beschluss der Stockwerkeigentümergemeinschaft notwendig ist.

Soweit das Innere eines Balkons von aussen ersichtlich ist, dürfen individuelle bauliche Massnahmen nur durchgeführt werden, wenn dadurch kein Eingriff auf die äussere Erscheinung des Gebäudes erfolgt. Dies wird oftmals auch explizit durch das Reglement so festgehalten. Bei einer baulichen Massnahme, die zu einer Veränderung des äusserlichen Erscheinungsbildes führt, ist ein Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung einzuholen. Das erforderliche Mehrheitsquorum bestimmt sich nach dem Reglement oder subsidiär nach den gesetzlichen Bestimmungen.

Bei der Beurteilung, ob eine bauliche Massnahme tatsächlich zu einer Änderung der Erscheinung des Gebäudes führt, ist auf den Einzelfall abzustellen und eine individuelle Beurteilung erforderlich. Kleinste Änderungen der Erscheinung genügen nicht. Entscheidend ist der Gesamteindruck des Gebäudes und nicht jedes Detail.

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III. FALLBEISPIELE AUS DER GERICHTSPRAXIS

Das Bundesgericht hat beispielsweise in einem Urteil festgehalten, dass die Installation eines Klimagerätes, welches von aussen ohne weiteres gut sichtbar ist, keine untergeordnete optische Veränderung darstelle und das Aussehen der Fassade und damit des Gebäudes im äusseren Erscheinungsbild beeinträchtige. Damit ist für die Installation durch den Eigentümer ein Beschluss der Versammlung notwendig.

Für Balkonroste gilt nach Ansicht der Verfasserin, dass ein Eigentümer diese individuell auswechseln darf, solange die äussere Erscheinung des Gebäudes unverändert bleibt. Insbesondere bei Liegenschaften mit geschlossenen bzw. blickdichten Balkongeländern scheint dies keine Probleme zu bereiten. Bei Balkongeländern, welche eine Sicht auf den Balkonboden zulassen, sollte das Auswechseln des Balkonrostes individuell möglich sein, solange die Art, das Material und die Farbe gleichartig bleiben. Möchte jedoch ein Stockwerkeigentümer beispielsweise den bestehenden Holzrost durch rote Bodenplatten auf seinem Balkon ersetzen, so wird dadurch die äussere Erscheinung verändert und es bedarf ein Beschluss der Gemeinschaft.

Der Balkon darf sodann im Innenbereich und in den vorbestehenden und vorgesehenen Blumenkisten nach eigenem Belieben bepflanzt werden. Rankgitter sind erlaubt, solange die Kletterpflanzen nicht an der Fassade wachsen und sie die Bausubstanz des Gebäudes nicht übermässig belasten. Ohne Erlaubnis der Stockwerkeigentümergemeinschaft dürfen jedoch keine neuen Blumenkisten nach aussen gehängt werden, da dadurch das äussere Erscheinungsbild der Liegenschaft verändert wird. Gleiches gilt für Veränderungen am Balkongeländer.

Auch durch eine Balkonverglasung wird das Erscheinungsbild verändert, weshalb es auch diesbezüglich das Einverständnis der Gemeinschaft und nicht etwa nur der direkt betroffenen Nachbarn braucht. Dies gilt selbst dann, wenn der veränderungswillige Eigentümer bereit ist, für die gesamten Kosten der Umgestaltung aufzukommen. Hierzu sogleich.

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IV. KOSTENTRAGUNG

Jeder Stockwerkeigentümer trägt die Kosten für den Unterhalt, die Erneuerung und die Instandhaltung aller Einrichtungen und Installationen, die in seinem Sonderrecht stehen. Will somit ein Eigentümer den Boden in seiner Wohnung erneuern, hat er selbständig die Kosten zu tragen. Veränderungen oder Sanierungen von gemeinschaftlichen Teilen gehen zu Lasten der Gemeinschaft.

Wie hiervor beschrieben wurde, dienen bestimmte gemeinschaftliche Teile nur einzelnen Eigentümer (Sondernutzungsrecht). Das Stockwerkeigentümer-Reglement kann festlegen, dass der berechtigte Stockwerkeigentümer grundsätzlich für sämtliche Kosten und Lasten des von ihm beanspruchten gemeinschaftlichen Teils aufkommt, sofern eine solche Regelung nicht unzumutbar, unbegründet bzw. rechtsmissbräuchlich erscheint. Äussert sich das Reglement nicht zur Kostenverteilung für Gebäudeteile im Sondernutzungsrecht, so gilt zu unterscheiden, ob dieser Teil Funktionen erfüllt, welche zum Teil auch der Gemeinschaft zukommen oder nicht. Falls ein Teil auch für die Gemeinschaft von Nutzen ist, gibt es keinen Grund, dem Sondernutzungsberechtigten sämtliche Kosten zu überbinden. Dies gilt vor allem für strukturbildende Gebäudeteile (z.B. Dach). Der nutzende Stockwerkeigentümer hat hingegen für allfällige Mehrkosten aufzukommen, die sich aus seiner Nutzung oder seinen Sonderwünschen ergeben.

Zur Veranschaulichung: Bei einem Mehrfamilienhaus mit Flachdach, dient das Dach dem obersten Stockwerkeigentümer zugleich als Dachterrasse und diese ist ihm im Sondernutzungsrecht zugewiesen. Werden nun Beschädigungen am Flachdach bzw. an der Dachterrasse festgestellt, sind die Kosten für die Sanierung grundsätzlich von der Gemeinschaft zu tragen, dient doch das Dach dem ganzen Gebäude und schützt auch die darunterliegenden Wohnungen. Entscheidet sich der direkt betroffene (oberste) Stockwerkeigentümer nun, den Bodenbelag durch hochwertige Materialien zu ersetzen und entstehen dadurch Mehrkosten, sind diese Mehrkosten alleine von ihm und nicht von der Gemeinschaft zu tragen, da nur er als Sondernutzungsberechtiger der Dachterrasse davon profitiert.


6. Juli 2022  / MLaw Kim Attenhofer


IST BAUEN AN STARK BEFAHRENEN STRASSEN ÜBERHAUPT NOCH MÖGLICH?

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Auswirkungen der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Lärmschutz auf die Planung von Bauvorhaben und die Bewilligungspraxis von Baubehörden

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Das Bundesgericht hat bei einem Ende Jahr 2021 gefällten Urteil die strenge Rechtsprechung betreffend Lärmschutz bestätigt- viele Planer und Baubehörden fragen sich nun, was überhaupt an stark befahrenen Strassen noch an Wohnbauten möglich ist.

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SACHVERHALT

Dem Urteil (1C_275/2020   Urteil vom 6. Dezember 2021) lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde:

Eine private Bauherrschaft plante eine Wohnüberbauung mit 124 Wohnungen auf dem sogenannten «Bürgli-Areal» in Zürich-Enge. Das betreffende Gebiet ist lärmbelastet. Mit Bauentscheid vom 2. Oktober 2018 erteilten die zuständigen Baubehörden die entsprechende baurechtliche Bewilligung. 

Nachdem das Baurekursgericht die dagegen erhobenen Rekurse noch abgewiesen hatte, gab das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführenden recht und hob die Baubewilligung auf, weil die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nicht erfüllt seien. Das Bundesgericht stützte nun das Verwaltungsgericht und damit auch seine strenge Praxis zum Lärmschutz und den Anforderungen an eine Ausnahmebewilligung.

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RECHTLICHES

Gemäss Art. 22 USG (SR 814.01) werden Baubewilligungen für neue Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur erteilt, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten sind (Abs. 1) oder die Räume zweckmässig angeordnet und die allenfalls notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen getroffen werden (Abs. 2). Nach Art. 31 Abs. 1 LSV kann eine Baubewilligung nur erteilt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte durch die Anordnung der lärmempfindlichen Räume auf der dem Lärm abgewandten Seite des Gebäudes (lit. a) oder durch bauliche oder gestalterische Massnahmen, die das Gebäude gegen Lärm abschirmen (lit. b), eingehalten werden können. Ist die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte durch derartige Massnahmen nicht möglich, darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV (Lärmschutzverordnung) vorliegen.

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Voraussetzung einer Ausnahmebewilligung

Eine Ausnahmebewilligung gestützt auf Abs. 2 von Art. 31 LSV  nur möglich, wenn

sämtliche verhältnismässigen baulichen und gestalterischen Massnahmen gemäss Abs. 1 ausgeschöpft worden sind sowie

sich die strikte Anwendung von Art. 22 USG unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls als unverhältnismässig erwiese.

Die Ausnahmeermächtigung darf nicht dazu eingesetzt werden, generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer anführen liessen; auf diesem Weg würde das Gesetz umgangen.

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Konkrete Rechtsfragen (zusammengefasst):

Streitig war, ob beim besagten Bauprojekt sämtliche verhältnismässige Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) ergriffen wurden und ob alternative bauliche und gestalterische Massnahmen genügend geprüft wurden, um gestützt auf Art. 31 Abs. 2 LSV eine Ausnahmebewilligung für die geplante Wohnüberbauung beantragen zu können.

Das Zürcher Verwaltungsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Frage, ob sämtliche verhältnismässigen Massnahmen im Sinn von Art. 31 Abs. 1 LSV ausgeschöpft worden sind, eingehend nachzugehen ist und ihre Beantwortung substantiiert begründet werden muss. Das Baurekursgericht hatte argumentiert, dass ein entsprechender, die Frage abschliessend beantwortender Nachweis von der Bauherrschaft nicht verlangt werden könne, da ein solcher faktisch dazu führen würde, dass zusätzlich zum Lärmschutznachweis zahllose (architektonische) Variantenstudien einzuholen wären; im strikten rechtlichen Sinn sei der geforderte Nachweis faktisch nicht zu erbringen.

Das Bundesgericht bestätigte die Haltung des Verwaltungsgerichts. Es hielt insbesondere fest, dass in einer Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  aufzuzeigen sei, inwiefern alle in Betracht fallenden Massnahmen nach Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft worden wären.

Rein pauschale Aussagen in einer Bewilligung, dass «Im Rahmen der Prüfung durch die Fachstellen Lärmschutz der Stadt und des Kantons Zürich alle infrage kommenden Massnahmen evaluiert und soweit sinnvoll ins Bauvorhaben eingebracht worden wären» würden nicht ausreichen. Auch beim Lärmgutachten reiches es nicht aus, wenn lediglich festgehalten werde, dass «keine weiteren zumutbaren Lärmschutzmassnahmen» möglich seien.

Das Bundesgericht hielt zudem fest, dass dem Lärmschutz im Falle, dass die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, schon bei der Definition der Rahmenbedingungen – etwa bei der Ausschreibung und Durchführung eines Projektwettbewerbs -, eine hohe Bedeutung beizumessen gewesen wäre. Es gehe nicht, ein Bauprojekt so zu konzipieren, wie wenn keine übermässige Lärmbelastung bestünde und anschliessend mit Hinweis auf die Unzumutbarkeit ausreichender Lärmschutzmassnahmen am Gebäude gestützt auf Art. 31 Abs. 1 LSV eine Ausnahmebewilligung zu erteilen.

Es sei an der Bauherrschaft aufzuzeigen, dass dem Lärmschutz das vom Gesetz geforderte Gewicht in der Entwicklung und im Resultat des Bauprojekts zugekommen ist bzw. zukommt, d.h. dass sie den Lärmschutz im Rahmen der Projektausarbeitung adäquat berücksichtigt hat. Soweit die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können, hat die Bauherrschaft daher darzulegen, weshalb welche Massnahmen geprüft, gewählt oder verworfen wurden.

Dabei sei es weder erforderlich und gleichzeitig aber auch nicht genügend «zahllose Variantenstudien» vorzulegen. Gefragt sei vielmehr eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Lärmschutz, bezogen auf die konkrete Parzelle und die vorgesehene Nutzung. Für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung muss nachgewiesen sein, dass alle in Betracht fallenden baulichen und gestalterischen Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft wurden (Urteil des Bundesgerichts 1C_106/2018 vom 2. April 2019 E. 4.7). Es sei Sache der Baugesuchsteller rechtzeitig eine hinreichende Massnahmenprüfung beibringen müssen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, diese Abklärung im gerichtlichen Verfahren von Amtes wegen nachzuholen.

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ALS FAZIT IST FOLGENDES FESTZUSTELLEN

Lärmschutz und entsprechende Bauweise und Massnahmen müssen künftig bereits bei der Planung eines Bauvorhabens von Grund auf einbezogen werden. Dies erfordert von Architekten schon zu Beginn der Projekttätigkeit den Einbezug der entsprechenden Abklärungen und Voraussetzungen an Lärmschutz. Bei Bauten an lärmbelasteten Standorten kann eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  nur noch dann beansprucht werden, wenn im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens aufgezeigt werden kann, dass dem Lärmschutz bei der Projektierung von Grund auf Rechnung getragen worden ist.

Ist dies nicht der Fall, bestehen erhebliche Risiken, dass eine solche Ausnahmebewilligung nicht erteilt bzw. von einem Gericht aufgehoben wird. Es muss somit bereits im Stadium der Planung entsprechend dokumentiert werden, dass man dem Lärmschutz Beachtung geschenkt hat.

Entgegen verschiedener Voten in den Medien bedeutet der Entscheid des Bundesgerichtes aber nicht, dass künftig an lärmbelasteten Strassen nicht mehr gebaut werden kann. Ebenso ist der Entscheid des Bundesgerichtes keine absolute Absage an Ausnahmebewilligungen. Gefordert wird aber, dass man sich im Vorfeld des Baugesuches mit der Frage des Lärmschutzes intensiv planerisch auseinanderzusetzen hat. Dem Lärmschutz ist neben der Ausnützung, der architektonischen Gestaltung ein entsprechendes Gewicht zu geben. Nicht (mehr) möglich ist es, den Lärmschutz bei der Planung nicht zu berücksichtigen und dann eine Ausnahmebewilligung mit pauschalen Begründungen in der Bewilligungserteilung zu argumentieren.


26. April 2022 / lic. iur. Christoph Schärli


PREISGARANTIEN BEI ÖFFENTLICHEN UND PRIVATEN AUSSCHREIBUNGEN – DIE AKTUELLE SITUATION ERFORDERT EIN UMDENKEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Unsicherheiten zeitigt massive Auswirkungen auf Teile der Wirtschaft – insbesondere auch auf Preise für Rohstoffe, Produktions- und Herstellungskosten von diversen Materialien aber auch auf Lieferketten. Dies nachdem bereits die Corona-Pandemie den Welthandel in den vergangenen Monaten stark eingeschränkt und die Verfügbarkeit gewisser Produkte und Rohstoffe eingeschränkt hat.

Je nach Branche ist es für Unternehmen in der aktuellen Lage nicht mehr möglich, von ihren Zulieferinnen verbindliche Zusagen betreffend Preise und Lieferfristen zu erhalten. Schon gar nicht, wenn diese Produkte über einen mittelfristigen Zeithorizont nachgefragt werden.

Im Bereich des öffentlichen Beschaffungsrechts aber auch bei privaten Ausschreibungsverfahren und Vertragsverhandlungen führt dies zu neuen Fragen und Herausforderungen im Umgang mit Ausschreibungsbedingungen und Angeboten.

Gerade im Beschaffungsrecht aber auch im privaten Bereich hat sich die Praxis in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt, dass die Anbieter im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung verlässliche und langfristige Preise und Lieferbedingungen offerieren können. Entsprechend wird von einer Anbieterin verlangt, dass sie im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ihre Leistungen anhand eines verbindlichen Preises offeriert. Gestützt darauf wird dann die Bewertung der Angebote und den Zuschlag vorgenommen.

Wie soll nun ein Anbieter damit umgehen, wenn er in einer öffentlichen Ausschreibung ein Angebot zu einem Fixpreis mit einer Gültigkeit von mehreren Monaten (teilweise gar mit Lieferterminen im Jahre 2023) einreichen muss, jedoch von seinen Rohstofflieferanten keine verbindlichen Preise oder Lieferdaten zugesichert erhält? Will er nicht einen totalen Blindflug mit hohen Risiken antreten, muss er in seinem Angebot entsprechend darauf hinweisen und Vorbehalte anbringen.

Doch grundsätzlich lässt das Beschaffungsrecht das Einreichen von Angeboten mit Vorbehalten und entsprechenden Bedingungen nicht zu. Nach Lehre und Rechtsprechung sind Angebote, die etwa betreffend die Preisofferte Vorbehalte enthalten, ausschreibungswidrig und werden ausgeschlossen. Angebotsgültigkeitseinschränkungen unter Verweise einer Anpassung bei Abweichungen von einem gewissen Preisindex werden vergaberechtlich als (unzulässige) Resolutivbedingung mit Bezug auf die Verbindlichkeit des Angebotes betrachtet.

Diese Haltung ist in normalen Zeiten einleuchtend. Denn das Vergaberecht richtet sich stark auf die Vergleichbarkeit der Offerten aus. Wenn nun jeder Anbieter sein Angebot an gewisse Bedingungen knüpft, leidet darunter die Vergleichbarkeit. Dies gilt sowohl für Preise aber auch Lieferfristen. Bei normalen Verhältnissen können und dürfen im Rahmen eines gesunden Wettbewerbs und der Kalkulationsfreiheit diese Risiken an die Anbieter ausgelagert werden, müssen diese mit den üblichen Schwankungen umgehen können.

Die Wirtschaft und damit auch das öffentliche Beschaffungswesen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten an stabile Rohstoffpreise und Verfügbarkeiten gewöhnt. Die Ausschreibung von Leistungen zu Fixpreisen über die Dauer mehreren Jahren gar unter Ausschluss der Teuerung sind bei öffentlichen (aber auch privaten) Ausschreibungen bzw. Beschaffungen deshalb an der Tagesordnung.

Die aktuellen teilweise massiven Verwerfungen auf den Märkten und die Unsicherheiten erfordern aber ein Umdenken.

Es stellt sich die Frage, wie Vergabestellen mit dieser neuen Situation umgehen sollen. Das Risiko der unsicheren Preise weiterhin zu 100 % an die Anbieter zu überbinden und in der Offerte eine Garantie der fixen Preise auch für langfristige Beschaffungen zu verlangen, ist keine Lösung. Schreiben die Vergabestellen aktuell weiterhin Beschaffungen zu unanpassbaren Festpreisen (z.B. Pauschalpreise) aus, führt dies dazu, dass Anbieter gerade dazu gezwungen werden, ein Angebot unter Vorbehalt der Preisanpassung einzureichen (was streng genommen vergaberechtlich zu einem Ausschluss führen muss) oder aber ein Angebot einzureichen, welches die aktuell teilweise sehr massiven Kostensteigerungen und Unsicherheiten vollumfänglich einpreist.

Letzteres kann aber auch nicht im Sinne der Vergabestellen sein, zumindest nicht, wenn man die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und einer Normalisierung der Preise nicht aufgeben will. Denn bei einem solchen Szenario würde die öffentliche Hand (falls die Preise wieder fallen) massiv zu hohe Preise bezahlen.

Angesichts der aktuell sehr unsicheren und nicht vorhersehbaren Lage müssen sowohl die Vergabestellen als auch die Anbieter daran interessiert sein, in Beschaffungsverfahren Modelle mit Preismechanismen zu finden, welche die Risiken der Preisvolatilität angemessen berücksichtigen und der aktuellen Unsicherheiten beidseits Rechnung tragen.

Entsprechend ist den Vergabestellen zu empfehlen, von sich aus in den Ausschreibungsbedingungen entsprechende Anpassungsmechanismen für Preise aber auch Lieferfristen vorzusehen, welche bei begründeten Fällen zum Tragen kommen und so die Risiken für beide Seiten minimieren.

Damit solche Modelle überhaupt angewendet werden können, müssen aber die Kalkulationen der Offerten entsprechende Kostenpositionen aufweisen und die Anbieter damit ein gewisses Mehr an Transparenz in ihrer Kostenkalkulation gewährleisten.

Bei Beschaffungsvorhaben in Branchen, welche den aktuellen Geschehnissen stark ausgesetzt sind, ist deshalb bei neuen Ausschreibungen ein Augenmerk darauf zu legen, von Seiten der Vergabestellen schon im Voraus klar zu definieren, wie mit den Unsicherheiten der Preiskalkulation umgegangen wird und nach welchen Grundsätzen die Anbieter zu kalkulieren haben. Dies soll den Anbietern ermöglichen, ihr Angebot transparent nach den verfügbaren Preisen und Annahmen zu kalkulieren und so die Grundlagen dafür zu schaffen, dass allenfalls später eine Anpassung wegen stark veränderten Kostengrundlagen möglich ist.


26. April 2022 / lic. iur. Christoph Schärli


AUSWIRKUNGEN VON CORONA-MASSNAHMEN AUF DIE MIETZINSE VON GESCHÄFTSMIETERN – neuer Entscheid des Zivilgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 28. Januar 2022

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

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Die Ungewissheit für Geschäftsmieter und –vermieter, inwiefern sich die behördlich verordneten Massnahmen, namentlich die Betriebsschliessungen während der Lockdowns, auf die Mietzinszahlungspflicht des Mieters auswirken, hält an.

Im Nachgang an meinen Newsletter vom 13. August 2021, in welchem der Entscheid zu diesem Thema vom Mietgericht Zürich behandelt wurde, beziehe ich mich nachfolgend auf einen neuen Entscheid des Zivilgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 28. Januar 2022 mit neuen Erkenntnissen.

Der erwähnte Entscheid des Mietgerichts Zürich wurde zwar von der Mieterin angefochten. Die Parteien schlossen jedoch während des Berufungsverfahrens am Obergericht einen Vergleich, weshalb das Gericht das Verfahren abschreiben konnte.

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I. SACHVERHALT / GRUNDLAGE URTEIL BASEL-STADT

Die Parteien schlossen einen Geschäftsmietvertrag mit einer Gesamtfläche von 540 m2 und 148 Sitzplätzen ab. Gemäss Mietvertrag dient das Objekt zum Betrieb eines Schnellimbiss-Restaurants oder eines gleichwertigen Betriebs und darf auch nur für den Betrieb eines solchen genutzt werden. Aufgrund des behördlich verordneten Lockdowns infolge Corona-Pandemie wurde der Betrieb von Restaurants vom 16. März 2020 bis am 11. Mai 2020 verboten. Take-Away-Betriebe blieben erlaubt. Die Mieterin beantragte vor Gericht für diese Zeit eine 100%- ige Herabsetzung des Mietzinses für die Zeit des Betriebverbotes.

Die Mieterin machte einen Mangel geltend. Sie begründete, dass für den Take-Away-Betrieb lediglich ein kleiner Teil, namentlich 90m2 der gemieteten 540m2, notwendig gewesen seien. Weit über 90% des Nettomietzinses würden für den Restaurant-Betrieb aufgewendet. Ohne Umsatz aus dem Restaurant-Betrieb sei ein gewinnbringender Betrieb nicht möglich, weshalb der gesamte Betrieb geschlossen wurde.

Die Vermieterin und Beklagte bestritt einen Mangel am Mietobjekt. Das Mietobjekt sei während der gesamten fraglichen Zeitspanne uneingeschränkt und mängelfrei zum Gebrauch überlassen worden und hätte stets zum mietvertraglich gestatteten Nutzungszweck gebraucht werden können. Ein Mangel am Mietobjekt setze in jedem Fall einen konkreten, objektbezogenen Sachverhalt voraus, was vorliegend nicht der Fall sei. Es habe vielmehr eine bundesbehördlich angeordnete Geschäftsschliessung vorgelegen, die in den Risikobereich der Mieterin falle. Ausserdem hätte ihrer Meinung nach die Mieterin jederzeit die Möglichkeit gehabt, mit Zustimmung der Beklagten den Nutzungsweck zu ändern. Die Parteien hätten sich im Mietvertrag zudem ausdrücklich darauf verständigt, dass auch bei einer unmöglichen oder eingeschränkten vertraglichen Nutzung der Mietvertrag weder aufgehoben noch geändert werden könne. Da der Take-Away-Betrieb nicht verboten gewesen sei, habe der Mieter den Betrieb freiwillig ganz geschlossen.

Die Klägerin führte darauf hin aus, das Mietobjekt sei ausdrücklich zum Betrieb eines bestimmten Restaurantkonzepts vermietet worden und eine Nutzungsänderung sei aufgrund der Kosten sowie der Dauer der Massnahmen nicht möglich gewesen.

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II. ENTSCHEID

Im Entscheid hielt das Gericht vorab fest, dass der Gebrauch des Mietobjektes ausdrücklich als Schnellimbiss-Restaurant oder eines gleichwertigen Betriebs vereinbart wurde. Durch die vom Bundesrat angeordnete Schliessung der Restaurants durfte die Klägerin den Take-Away weiterbetreiben. Die Fläche, die grundsätzlich für den Konsum zur Verfügung stehe, konnte jedoch nicht genutzt werden und der Betrieb des Restaurants mit Konsumation vor Ort war nicht möglich. Der tatsächliche Zustand wich somit während der Dauer der Schliessung vom vertraglich vereinbarten Zustand ab.

Die Argumentation der Vermieterin und Beklagten wurde vom Gericht abgelehnt. Aus der teilweise vertretenen und von der Vermieterin geltend gemachten Ansicht, dass lediglich objektbezogene (Beschaffenheit, Zustand, Lage des Mietobjektes etc.), nicht aber betriebsbezogene Einschränkungen einen Mangel im Sinne von Art. 259d OR darstellen, kann nach Ansicht des Gerichts nicht geschlossen werden, dass die durch eine an die Allgemeinheit gerichtete Massnahme bewirkte Einschränkung oder Verunmöglichung einer ausdrücklich vereinbarten Nutzung des Mietobjekts keinen Mangel am Mietobjekt darzustellen vermag. Auch die anderen Argumente liess das Gericht nicht gelten.

Das Gericht hiess die durch die Klägerin geltend gemachte Mietzinsreduktion gemäss Art. 259d OR gut. Zur Festsetzung der Höhe der Mietzinsreduktion hielt das Gericht fest, dass bei einem Rückgang der Gäste und Schliessung der für die Konsumation vorgesehen Fläche Personalstunden an der Kasse, bei der Reinigung und auch in der Küche Kosten eingespart werden. Der Bundesrat sah sodann erleichterte Möglichkeiten der Kurzarbeit vor. Unter diesen Umständen erscheinte bei einer vorübergehenden Schliessung der Konsumationsfläche während zwei Monaten im Frühling 2020 unter Annahme einer massgeblichen Kompensation des Restaurantsgeschäfts durch den Take-Away-Betrieb eine Herabsetzung des Mietzinses um 30% als angemessen.

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III. FAZIT

Während das Mietgericht Zürich im August des letzten Jahres (wie auch das Mietgericht Genf im Juni 2021) noch eine vermieterfreundliche Auffassung bezüglich dieser Thematik vertreten hat, gelangte das Mietgericht Basel-Stadt zu einer anderen, mieterfreundlichen Ansicht. Es bestätigte, dass die behördliche Betriebsschliessung durchaus einen Mangel darstellen kann. Obwohl die Rollenverteilung eine andere war (Zürich: Klägerin = Vermieterin (Begleichung offener Mietzinse); Basel-Stadt: Klägerin = Mieterin (Mietzinsherabsetzung)) und im Gerichtsverfahren jeweils der klagenden Partei die Beweislast obliegt, so kann m.E. für diese Fälle eine massgebliche Relevanz verneint werden.

Übereinstimmend kamen die Gerichte zum Schluss, dass die Bestimmungen zur nachträglichen Unmöglichkeit nach Art. 119 OR nicht zur Anwendung gelangen, weil die behördliche Schliessung nicht dauerhaft war und ebenfalls und dass die Anwendung der «clausula rebus sic stantibus» nicht generell ausgeschlossen ist.


31. März 2022  / MLaw Kim Attenhofer


VERSORGUNGSENGPÄSSE UND PREISERHÖHUNGEN BEI ROHSTOFFEN – DIE AUSWIRKUNGEN DER CORONA-PANDEMIE AUF LIEFERFRISTEN UND PAUSCHALPREISE IN WERKVERTRÄGEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

I. FRAGESTELLUNG

Die weltweite Corona-Pandemie hatte und hat noch immer massive Auswirkungen auf die Gesellschaft und damit auch die Wirtschaft. Dies betrifft u.a. das Baugewerbe. Fast alle Staaten haben zum Teil mit massiven Massnahmen wie Lock-Downs, Ausgangssperren, Home-Office Pflicht, aber auch Schliessungen von Betrieben, usw. in die Wirtschaftsprozesse eingegriffen. Ebenso wurden Exportverbote gewisser Rohstoffe erlassen. Zudem treten Produktionsengpässe auf. Lieferketten und Produktionsabläufe wurden und sind noch immer teilweise unterbrochen oder eingeschränkt. Dadurch können für Unternehmen Verzögerungen entstehen, die es ihnen verunmöglichen, vertraglich vereinbarte Liefer- und Fertigstellungstermine einhalten zu können.

Gleichzeitig führen die obgenannten Umstände und Schwierigkeiten aber auch die Knappheit und gleichzeitige starke Nachfrage an gewissen Rohstoffen zu teils massiv höheren Rohstoffpreisen.

Gerade im Baubereich werden aber die Werkverträge und die entsprechenden Konditionen oft viele Monate im Voraus ausgehandelt. Dies gilt insbesondere auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Dabei wird meist der Preis pauschalisiert. Damit übernimmt die Unternehmerin grundsätzlich das Risiko (und auch die Chancen) von Mehr- oder Minderkosten aufgrund (normalen) Preisänderungen. Zudem werden in den Werkverträgen klare Termine vereinbart, bis zu welchen die Leistungen erbracht werden müssen. Oft versehen mit empfindlichen Konventionalstrafen, wenn die Termine nicht eingehalten werden können.

Die aktuelle Situation führt zwischen Bestellerin und Unternehmerin zu offenen Fragen und Diskussionen. Wie ist mit den teils massiven Preiserhöhungen und Verzögerungen umzugehen. Gerade Konstellationen mit verschiedenen Vertragsebenen und Sub(sub)unternehmer sind auch betreffend Koordination und Kommunikation einer Lösungsfindung komplex.

Nachfolgend wird beleuchtet, welche vertraglichen Regelungen und Grundsätze in solchen Konstellationen zur Anwendung gelangen. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die im Baugewerbe übliche Ordnung SIA 118 sowie die Rechtslage gemäss schweizerischem Obligationenrecht.

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II. LIEFERVERZUG AUFGRUND UNVERSCHULDETER COVID-19 BEDINGTER VERZÖGERUNGEN UND BEHINDERUNGEN

Die Unternehmerin hat die vertraglich geschuldeten Leistungen grundsätzlich fristgerecht zu erfüllen (pacta sunt servanda). Dies ist Teil der Vertragspflichten. Sowohl die SIA 118 wie auch das Obligationenrecht sehen aber Ausnahmen vor, in denen eine Unternehmerin Anspruch auf angemessene Fristerstreckung zur Erfüllung der Leistungen hat. Die SIA 118 regelt diese Fälle in Art. 96. Danach hat die Unternehmerin Anspruch auf eine angemessene Erstreckung der Bauzeit, wenn sie konkret nachweisen kann, dass Beeinträchtigungen vorliegen, welche «nicht vom Unternehmer verschuldet» sind und die Verzögerung nur mit einer Bauzeitverlängerung aufgeholt werden kann. Unverschuldet ist eine Verzögerung dann, wenn äussere Umstände wie Natureinflüsse, Lieferstörungen, behördliche Massnahmen, usw. dazu führen, dass die Unternehmerin trotz aller Vorkehrungen (die zumutbar und üblich sind) die Lieferzeiten nicht einhalten kann.

Das Obligationenrecht spricht in Art. 103 Abs. 2 OR auch von unverschuldeter Unmöglichkeit der Leistungserbringung bzw. «objektiver Unmöglichkeit».

Bei der Corona-Pandemie handelt es sich nach überwiegender Rechtsauffassung um solche vom Unternehmer weder vorhersehbaren noch in seinem Einflussbereich stehenden äussere Einflüsse, vergleichbar mit einer Naturkatastrophe (wobei der Corona Virus auch als solche bezeichnet werden kann). Entsprechend wird sich eine Unternehmerin bei einem Covid-19 bedingten Verzug auf den Anspruch auf angemessene Fristverlängerung berufen können, wenn sie die Fristerstreckung umgehend dem Vertragspartner anzeigt, sobald sie erkannt, dass eine vertragliche Frist möglicherweise nicht gehalten werden kann.

Wichtig: Dieser Anspruch besteht nur insoweit, als der Verzug im konkreten Einzelfall effektiv auf Covid-19 bedingte Verspätungen oder Hindernisse zurückzuführen ist. Es gibt keine allgemeine «Corona Fristverlängerung» welche immer gilt, sondern nur dann, wenn im konkreten Fall effektiv ein Termin aufgrund den oben beschriebenen Massnahmen oder Folgen nicht eingehalten werden kann. Dabei muss eine Kausalität zwischen Massnahme und Verzögerung vorliegen. Vertragliche Fristen sind grundsätzlich auch während der Corona Pandemie einzuhalten.

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III. PREISANPASSUNGEN AUFGRUND GESTIEGENER ROHSTOFF- ODER PRODUKTIONSKOSTEN

Sofern eine Unternehmerin einen Pauschalpreis für eine Leistung vereinbart hat, bleibt der Preis fix, selbst wenn sich der Aufwand und die Kosten für die Unternehmerin erhöhen. Die SIA 118 und auch das Obligationenrecht sehen aber auch hier eine Ausnahme vor. Dies wenn sogenannte «ausserordentliche Umstände» vorliegen (Art. 59 der SIA-Norm 118 bzw.  Art. 373 Abs. 2 OR). Gemäss Art. 59 SIA 118 hat der Unternehmer Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, falls ausserordentliche Umstände, welche nicht vorausgehen werden konnten, die Fertigstellung hindern oder übermässig erschweren. Solche Umstände können zum Beispiel Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, einschneidende behördliche Massnahmen, etc. darstellen. Art. 59 Abs. 1 der SIA-Norm 118 setzt jedoch voraus, dass die ausserordentlichen Umstände so beschaffen sind, dass die Ausführungskosten derart erhöht werden, dass zwischen der Gesamtleistung des Unternehmers und der vertraglichen Vergütung ein offenes Missverhältnis zulasten des Unternehmers entsteht. Die Lehre und Rechtsprechung beurteilen den Fall, bei welchem eine aussergewöhnliche Steigerung von Materialkosten vorliegt, als solche nicht vorhersehbaren ausserordentlichen Umstände, welche die Unternehmerin zu einer Preisanpassung berechtigen.

Unter Verweis auf die obigen Ausführungen wird wohl unbestritten sein, dass die Corona Pandemie ein nicht vorhersehbares Ereignis darstellt. Selbst das vorsichtigste kalkulierende Unternehmen wird bei der Berechnung und Kalkulation seiner Pauschalofferte nicht mit solchen Szenarien und einem solchen einmaligen noch nie dagewesenen Ereignis gerechnet haben.

Entsprechend liegt ein Fall von Art. 59 SIA 118 bzw. Art. 373 OR vor und die Unternehmerin hat – sofern konkrete und substantiell durch die Corona-Pandemie bzw. -Massnahmen versursachte Preiserhöhungen von Rohstoffen oder Produktionskostensteigerungen vorliegen, Anspruch auf eine angemessene Preiserhöhung. Normale Preisschwankungen sind nicht dasselbe. Die Unternehmerin muss somit nachweisen, dass es erhebliche Preissteigerungen sind, welche unerwartet waren.

Wichtig: Sowohl nach Art. 59 SIA 118 wie auch Art. 373 OR hat die Unternehmerin bei Vorliegen ausserordentliche Umstände «nur» insoweit Anspruch auf zusätzliche Vergütung, als ein Missverhältnis zwischen der Gesamtleistung der Unternehmerin (Herstellungskosten) und der Gesamtvergütung besteht. Die Unternehmerin kann somit nicht einfach die Preiserhöhung der Rohstoffpreise auf die verarbeitete Menge an die Bestellerin weitergeben. Geschuldet ist ein angemessener Ausgleich des Missverhältnisses.

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IV. FAZIT

Die unmittelbaren Folgen der Covid-19 bzw. Corona-Pandemie auf Produktionsabläufe und Produktions- bzw. Materialkosten erfüllen die Voraussetzungen der sogenannten Fälle von «höherer Gewalt». Die Corona-Pandemie ist ein Ereignis, welche für die Unternehmungen völlig unvorhersehbar und unverschuldet eingetreten ist. Entsprechend kommen die in der SIA 118 und dem Obligationenrecht verankerten Regelungen der Ansprüche der Unternehmen für angemessene Fristverlängerung zur Leistungserfüllung und/oder Anpassung der Vergütung aufgrund ausserordentlicher Umstände zum Tragen, sofern im konkreten Fall ein «Covid-19 bedingter» unverschuldeter Verzug oder eine durch die Corona- Pandemie verursachte unvorhersehbare wesentliche Kostensteigerung vorliegt. Dies ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist die Unternehmerin beweispflichtig. Sie hat darzulegen, weshalb und gestützt auf welche Parameter sich die Umstände ausserordentlich und unerwartet (und unverschuldet) geändert haben.

Da die Grösse, welche Preisanpassungen nun als «angemessen» betrachtet werden, nur schwer justiziabel ist, wird es sowohl für Besteller als auch Unternehmerin meist vorteilhafter sein, eine aussergerichtliche partnerschaftliche Lösung zu suchen.

Bei neuen Vertragsverhandlungen über zukünftige Projekte ist angesichts der unklaren Aussichten, wie und wann sich die Preise und Lieferfristen wieder normalisieren bzw. in welche Richtung sie sich entwickeln werden, beiden Seiten zu empfehlen, eine Regelung im Werkvertrag zu vereinbaren, wie mit den beidseitigen Risiken umzugehen ist. Denn die obgenannten Ausführungen treffen auf den Fall zu, in dem die Unternehmerin von der Preiserhöhung der Rohstoffe und Lieferverzögerung unerwartet betroffen ist.

Bei Verträgen, welche aktuell und zukünftig ausgehandelt werden, wird es für eine Unternehmerin wohl aber schwer werden, sich auf eine fehlende Voraussehbarkeit der entsprechenden Risiken zu berufen. Diese sind nun bekannt. Deshalb sollten im Falle von Pauschalpreisabreden (wenn möglich) entsprechende Anpassungsklauseln für den Fall von starken Schwankungen der Rohstoffpreise (in beide Richtungen) vereinbart werden.


19. August 2021 / lic. iur. Christoph Schärli

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