LEX KOLLER – EINIGE KETZERISCHE GEDANKEN ZUM THEMA «AUFLAGEN»

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

I. RECHTLICHE AUSGANGSLAGE

Das Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG, «Lex Koller») stammt vom 16. Dezember 1983. Die heutige Fassung ist (mit einigen Ausnahmen) Ergebnis einer umfassenden Revision aus dem Jahr 1997. Mit dieser Revision sind diverse Grundstückerwerbsgeschäfte, die bis dahin noch unter die Bewilligungspflicht fielen (wobei allerdings eine Bewilligung unter gewissen Umständen möglich war) aus der Bewilligungspflicht herausgefallen, mit anderen Worten wurde ein Erwerb für Ausländer bewilligungsfrei möglich. Im Vordergrund stand dabei einmal der Erwerb von Betriebstätten, der mit dieser Revision für Ausländer frei wurde bzw. für deren Erwerb keine Bewilligungspflicht mehr bestand (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a BewG). Der zweite grosse Bereich, welcher mit dieser Revision aus der Bewilligungspflicht herausfiel, war eine Kategorie von Wohngrundstücken. Fortan war der Erwerb eines Grundstücks als Hauptwohnung für eine natürliche Person am Ort ihres rechtmässigen und tatsächlichen Wohnsitzes bewilligungsfrei möglich (Art. 2 Abs. 2 lit. b BewG). Vor der Revision waren Grundstückerwerbsgeschäfte im Zusammenhang mit Betriebsstätten und auch mit Hauptwohnungen für Ausländer zwar nicht unmöglich, unterstanden aber der Bewilligungspflicht und bedurften einer Bewilligung, welche in einem speziell geregelten Bewilligungsverfahren erteilt werden konnte (immer vorausgesetzt, es konnte einer der im BewG geregelten Bewilligungsgründe geltend gemacht werden).

II. PROBLEMATIK

Im BewG in der Fassung von 1983 befand sich Art. 14 BewG, welcher festhielt, dass eine Bewilligung unter Bedingungen und Auflagen erteilt werde, die sicherstellen, dass das Grundstück zu dem vom Erwerber geltend gemachten Zweck verwendet werde. Dem Bundesrat wurde die Kompetenz bzw. die Verpflichtung erteilt, im Rahmen solcher Bewilligungen die zu erlassenden Mindestauflagen festzulegen, was dieser in Art. 11 BewV auch getan hat. Mit diesen im Zusammenhang mit einer erteilten Bewilligung zu erlassenden Auflagen sollte sichergestellt werden, dass das Grundstück immer zu dem Zweck gebraucht würde, welcher Grund für die Bewilligungserteilung war. Und es wurden auch Regelungen erlassen, wie die Einhaltung der Auflagen gesichert werden sollte bzw. wurden die Konsequenzen einer Nichteinhaltung festgelegt. Details interessieren in diesem Zusammenhang nicht.

Im Rahmen der Revision der Lex Koller im Jahr 1997, wobei wie erwähnt insbesondere der Erwerb von Betriebsstätten und derjenige von Hauptwohnungen aus der Bewilligungspflicht herausfielen, wurde der Regelung der Auflagen wohl zu wenig Augenmerk geschenkt. Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 14 BewG auch noch in der heutigen Fassung nur die Regelung enthält, dass «Bewilligungen» an Auflagen zu knüpfen sind (die in der Regel zudem im Grundbuch anzumerken sind). Es wurde im Rahmen dieser Revision der Lex Koller aber unterlassen, eine spezielle Regelung zu erlassen zur Frage, ob auch Auflagen im Zusammenhang mit dem bewilligungsfreien Erwerb z. B. von Betriebsstätten oder z. B. einer Hauptwohnung erlassen werden konnten. Mit anderen Worten steht in der Lex Koller bis heute nirgends der Satz, dass im Zusammenhang mit dem bewilligungsfreien Erwerb einer Betriebsstätte oder einer Hauptwohnung eine Auflage verknüpft werden könne, die sicherstellt, dass das Grundstück dauernd als Betriebsstätte bzw. als Hauptwohnung des Erwerbers genutzt wird, mit anderen Worten das Grundstück dauernd die Funktion haben muss, welche verantwortlich dafür war, dass der seinerzeitige Erwerb des Grundstücks bewilligungsfrei möglich war. Daraus könnte grundsätzlich gefolgert werden, dass darin ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zu sehen sei, indem er eben Auflagen wirklich nur im Zusammenhang mit der Erteilung von Bewilligungen sehen wollte und als zulässig erachtete, aber nicht im Zusammenhang mit einem bewilligungsfreien Erwerb.

III. EIN WICHTIGER BUNDESGERICHTSENTSCHEID

Das Bundesgericht hat in einem Urteil aus dem Jahr 2003 allfälligen Spekulationen bezüglich Betriebsstätten ein Ende gesetzt. Obwohl das Urteil in der amtlichen Sammlung publiziert wurde (französisch in BGE 129 II 361 ff.; deutsch in Praxis 93/2004, Nr. 112), hat es meines Erachtens kaum grosse Aufmerksamkeit erregt, obwohl es eine solche wohl verdient hätte, und obwohl dieses Urteil sogar weitergehende und bis heute noch nicht klar übersehbare Folgen haben könnte. Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid klar festgehalten, dass entsprechende Auflagen nicht nur im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens, sondern auch dann erlassen werden können, wenn ein Erwerb bewilligungsfrei möglich ist und z. B. von den Behörden eine sogenannte «Nichtunterstellungsverfügung» ergeht. Es ist aber weit darüber hinausgegangen und hat gesagt, dass eine solche Auflage nicht einmal ausdrücklich erlassen werden müsse, sondern quasi dem Grundgeschäft immanent sei, indem der Wille des Gesetzesgebers derjenige sei, dass das Grundstück dauernd diejenige Funktion haben muss, die Grund dafür war, dass das Grundstück bewilligungsfrei erworben werden konnte. In diesem konkreten Fall, wo es um den Erwerb einer Betriebsstätte ging, hat das Bundesgericht klar gesagt, dass dieses Grundstück dauernd als Betriebsstätte dienen müsse. Ausdrücklich sagt das Bundesgericht in der deutschen Übersetzung des Urteils in Praxis 93/2004, S. 632: «Somit ist bei einer Nichtunterstellung eines Grundstückerwerbs unter die Bewilligungspflicht wegen der wirtschaftlichen Nutzung desselben (ständige Betriebsstätte) davon auszugehen, diese Ausnahme setze definitionsgemäss die Dauerhaftigkeit der fraglichen Nutzung voraus. Trifft dies nicht zu, könnte das allgemeine Ziel des Gesetzes, nämlich die Verhinderung der Überfremdung schweizerischen Bodens (Art. 1 BewG) leicht umgangen werden, da es genügte, dass ein Grundstück während einer gewissen – auch nur kurzen – Zeit als ständige Betriebsstätte dient, um dann endgültig jeglicher zwingenden Vorschrift entzogen und gegebenenfalls als Ferienwohnung verkauft werden zu können.»

IV. ANWENDUNG DIESER RECHTSPRECHUNG DES BUNDESGERICHTS AUCH AUF GRUNDSTÜCKERWERBSGESCHÄFTE, DIE NICHT VON «LEX KOLLER – BEHÖRDEN» BEURTEILT WERDEN?

Das Bundesgericht hat im genannten Entscheid mehrere Male darauf hingewiesen und sogar betont, dass (gemäss Rechtsprechung) der Erwerber «auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Auflage das Grundstück in Übereinstimmung mit dem im ursprünglichen Gesuch angegebenen Zweck nutzen» müsse (Pra 93, S. 629); es hat weiter ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass die Nichtunterstellung eines Grundstückerwerbs unter die Bewilligungspflicht definitionsgemäss «die Dauerhaftigkeit der fraglichen Nutzung» voraussetze (Pra 93, S. 632); und es hat weiter betont, «dass der Erwerber fortdauernd gehalten ist, das Grundstück entsprechend dem in seinem Bewilligungsgesuch angegebenen Zweck zu nutzen» (Pra 93, S. 632). Mit anderen Worten geht das Bundesgericht gemäss jenem Urteil m. E. davon aus, dass der einmal in irgendeiner Form geltend gemachte Grund, welcher eine Bewilligung für den Grundstückserwerb rechtfertigt oder zu einer Nichtunterstellung unter die Bewilligungspflicht führt, dauernd vorhanden sein muss und quasi mit diesem Grundstück verhaftet bleibt, und dass eben dauernd diese ursprünglich geltend gemachte Nutzung des Grundstücks bestehen bleiben muss. Diese «Auflage» bleibt mit dem Grundstück verhaftet – anders kann man es wohl kaum ausdrücken. Das Bundesgericht führt dabei auch an, dass anders der Zweckartikel des BewG, der in der Verhinderung der Überfremdung des einheimischen Bodens liegt, sonst leicht umgangen und damit Art. 1 des BewG unterlaufen werden könnte.

Dies könnte nun – oder müsste allenfalls sogar – zur Schlussfolgerung führen, dass jeder bewilligungsfreie Erwerb, gelange er nun zu einer «Lex Koller-Behörde» oder nicht, unter diesem Vorbehalt steht bzw. jedes Erwerbsgeschäft quasi mit der immanenten und dauernden Auflage der ursprünglichen und geltend gemachten Nutzung verbunden wäre. Dies könnte (oder müsste sogar) dazu führen, dass solche Auflagen auch dort gelten, wo z. B. der Grundbuchverwalter einen Grundstückserwerb als bewilligungsfreien Erwerb im Grundbuch einträgt, ohne den Erwerber an die Bewilligungsbehörde zu verweisen. Der Grundbuchverwalter hat unter gewissen Umständen (und sogar sehr verbreitet und immer dann, wenn sich keine weiteren Abklärungen aufdrängen) das Recht, den Erwerb eines nicht der Bewilligungspflicht unterliegenden Grundstücks durch einen Ausländer im Grundbuch einzutragen. Meines Erachtens sind die soeben gestellten Fragen hier genau gleich zu beantworten. Der Erwerber geht zum Grundbuchverwalter mit dem «Antrag,» dass er als Erwerber dieses Grundstücks (Betriebsstätte) als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird. Damit macht er geltend, dass er einen Grund habe, ein Grundstück bewilligungsfrei zu erwerben (eben als Betriebsstätte). Und damit macht er meines Erachtens ganz klar geltend, das Grundstück dauernd als Betriebsstätte zu nutzen – selbst wenn er dies in einem entsprechenden Eintragungsverfahren nicht ausdrücklich so sagen muss, so macht er diese Aussage mindestens implizit in dem Zusammenhang, indem er beantragt, dass er als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird. An diese Aussage ist er meines Erachtens gebunden. Der Grundbuchverwalter verfügt die Eintragung im Grundbuch gestützt auf die gesamten Umstände, welche der Erwerber darlegt (dass er eben das Grundstück, weil es eine Betriebsstätte ist, bewilligungsfrei erwerben darf). Und dieser Grund bleibt immanent vorhanden, und daran ist der Erwerber gebunden – dies ist vom Bundesgericht seither noch nie in dieser Form und in dieser Absolutheit festgehalten worden, ergibt sich meines Erachtens aber klar aus dem genannten Bundesgerichtsentscheid.

V. ANWENDUNG DIESER RECHTSAUSLEGUNG AUCH AUF WOHNUNGEN?

Wie steht es nun mit dem Erwerb einer Hauptwohnung? Gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. b BewG kann ein Ausländer als natürliche Person ein Grundstück erwerben, das ihm als Hauptwohnung am Ort seines rechtmässigen und tatsächlichen Wohnsitzes dient. Was geschieht nun, wenn er dieses Grundstück nicht mehr als seine Hauptwohnung verwenden will? – Wenn er sie z. B. vermieten will, wenn er sie als Ferienwohnung oder als Zweitwohnsitz verwenden will etc.? – Die bis heute gängige Antwort darauf ist absolut klar und findet sich noch im erläuternden Bericht des Bundesrates vom März 2017 betreffend Änderung des BewG, wo auf S. 4 dieses Berichtes (Ziff. 1.2.1. «Hauptwohnungen») festgestellt wird, dass ein Ausländer, wenn er bewilligungsfrei ein solches Grundstück als Hauptwohnung erworben habe und dieses nicht mehr als Hauptwohnung verwenden wolle, nach geltendem Recht diese Wohnung ohne weiteres behalten (auch vermieten etc.) könne, dass ihn insbesondere keine Veräusserungspflicht treffe. Der unterzeichnende Autor dieses Artikels hat bis heute ebenfalls diese Meinung vertreten, ist sich darin allerdings bei näherer Betrachtung der Problematik nicht mehr ganz so sicher, ob diese Auffassung in einem behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren bestätigt würde. Mit den gleichen Argumenten, welche das Bundesgericht im Zusammenhang mit Betriebsstätten-Grundstücken anwendet, dass nämlich dieses Grundstück dauernd zu dem Zweck verwendet werden müsse, welcher der Grund für den bewilligungsfreien Erwerb war, dass es nämlich immer als Betriebsstätte genutzt werden müsse, kann man auch argumentieren, dass der Erwerb eines Grundstücks als Hauptwohnung (und zwar als Hauptwohnung des Erwerbers selbst) verlange, dass die erworbene Wohnung das bleiben müsse, was sie beim (bewilligungsfreien) seinerzeitigen Erwerb war, eben eine Hauptwohnung des Erwerbers an seinem rechtmässigen und tatsächlichen Wohnsitz. Wenn dies aber nicht mehr der Fall wäre, dann – so könnte man ebenfalls schlussfolgern – könnte sich die Frage stellen, ob der (ausländische) Eigentümer dieses Grundstücks, das ihm nicht mehr zu dem Zweck dient, zu welchem er es bewilligungsfrei erwerben durfte, überhaupt noch ein Recht hat, es zu behalten. Man könnte sich fragen, ob nicht auch in diesem Fall die immanente Auflage des seinerzeitigen Erwerbs weiterhin besteht, dass ihm dieses Grundstück weiterhin als seine Hauptwohnung dienen müsse (nicht etwa als Hauptwohnung irgendeines Mieters).

VI. WAS GESCHIEHT, WENN DIE «AUFLAGE» NICHT MEHR EINGEHALTEN WIRD?

Meines Erachtens ist in einem solchen Fall nach Art. 25 Abs. 1 BewG, vorzugehen. Es handelt sich m. E. auch dort, wo es sich um «immanente Auflagen» handelt bzw. um solche, die gar nicht verfügt werden, sondern einfach (wie oben dargestellt) als Rechtfertigungsgrund für den bewilligungsfreien Grundstückserwerb zur Verfügung stehen, ebenfalls um Auflagen im weiteren Sinn und um solche, welche unter Art. 14 bzw. 25 BewG fallen. Wenn diese «Auflage» nicht mehr eingehalten wird, wenn also das Grundstück nicht mehr als Betriebsstätte genutzt wird, dann kann (bzw. muss) dies meines Erachtens so ausgelegt werden, dass dann eine Auflage nicht mehr eingehalten wird. Dann hat die Bewilligungsbehörde die Möglichkeit bzw. die Pflicht, den Erwerber zu mahnen und dann, wenn trotz Mahnung diese Auflage nicht eingehalten wird, die Möglichkeit und wohl die Pflicht, nachträglich die Bewilligungspflicht festzustellen und eine Bewilligung zu verweigern (ausser es bestehe ein Bewilligungsgrund).

Der gleiche Mechanismus könnte meines Erachtens dann zur Anwendung kommen, wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichts bezüglich Auflagen auch auf Hauptwohnungen angewendet würde. Wenn diese Wohnung dem Erwerber nicht mehr als Hauptwohnung am Ort seines rechtmässigen und tatsächlichen Wohnsitzes dienen würde, dann hätte die Bewilligungsbehörde wohl ebenfalls die Möglichkeit bzw. die Pflicht, den Erwerber zu mahnen und dann, wenn trotz Mahnung diese Auflage nicht eingehalten wird, ebenfalls die Möglichkeit und wohl sogar die Pflicht, nachträglich die Bewilligungspflicht festzustellen und eine Bewilligung zu verweigern (ausser es bestehe ein Bewilligungsgrund).

VII. SCHLUSSBEMERKUNG

Dem unterzeichnenden Autor dieses Artikels ist kein Entscheid, insbesondere nicht des Bundesgerichtes, bekannt, der diese offenen Fragen je geklärt hätte. Diese Gedanken widersprechen z. T. auch klar der herrschenden Lehre. Die hier geäusserten Gedanken, auch diejenigen zur Problematik der Hauptwohnungen, sind absolut nicht abwegig und fügen sich meines Erachtens ohne grosse Probleme in die vom Bundesgericht im genannten Entscheid entwickelte Rechtsprechung ein. Insbesondere darf auch nicht vergessen werden, dass das Bundesgericht in jenem Entscheid klar betont hat, dass der Zweckartikel der Lex Koller, nämlich die Verhinderung der Überfremdung des einheimischen Bodens, ernst zu nehmen ist. In diesem Sinne würde es nicht erstaunen, wenn dereinst – sofern die Lex Koller überhaupt bestehen bleibt – ein vielleicht doch etwas überraschendes Urteil des Bundesgerichtes zu dieser Frage fallen könnte.

.

18. April 2018 / Dr. H.P. Geissmann


DAS EIGENE BAUPROJEKT DAMIT DER TRAUM VOM EIGENHEIM NICHT ZUM ALBTRAUM WIRD

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Das eigens geplante und gebaute Eigenheim – für Viele ein erstrebenswerter Traum. Das Grundstück erworben, die Ideen für Raumgestaltung reichlich vorhanden, lukrative Offerten auf dem Tisch: Achtung! Stürzen Sie sich nicht übereilt und ohne Vorbereitung in das Abenteuer! Das eigene Bauprojekt ist kein Sonntagsspaziergang, sondern eine Bergtour durch abschüssiges und unwegsames Gelände. Fehltritte können gravierende Konsequenzen haben, die Absturzgefahr ist hoch. Fast Jeder kennt in seinem Umfeld Personen, welche mit dem eigenen Bauprojekt viel Geld, Zeit und Nerven verloren haben. Die Probleme auf der eigenen Baustelle oder bei später auftretenden Mängeln können nicht nur für das Bankkonto, sondern in gravierenden Fällen auch für Berufs- und Familienleben zur Belastung werden.

Mit den richtigen Vorkehrungen können Sie als private Bauherren und Bauherrinnen das Risiko von Fehltritten und Abstürzen jedoch beträchtlich minimieren. Die nachfolgende kurze Checkliste fasst die wichtigsten Massnahmen zusammen, welche helfen können, die Trittsicherheit bei der Verwirklichung des eigenen Bauprojektes zu erhöhen:

I. PLANEN SIE ZEITLICHE UND FINANZIELLE RESERVEN EIN

Der Zeitaufwand eines Bauprojektes wird meist unterschätzt. Prognosen sind schwierig zu erstellen. So sind viele der für die Projektdauer relevanten Faktoren (Baubewilligungsverfahren, Änderung Projektumfang, Probleme mit Vertragspartnern etc.) bei Projektbeginn noch nicht abschliessend abschätzbar. Ein zu knapper Zeitplan kann ein Projekt schnell in finanzielle und/oder organisatorische Schieflage bringen. Im Zeitplan sollten deshalb immer genügend zeitliche Reserven eingeplant werden.

Dasselbe gilt für die Kosten. Oft wird zu knapp bzw. viel zu optimistisch gerechnet und geplant. In einem sorgfältigen Budget sind nicht nur die veranschlagten Kosten für Planung und Bau, sondern auch sämtliche Bewilligungsgebühren und weitere Abgaben sowie die im Zusammenhang der Bautätigkeit anfallenden Begleitkosten einzurechnen. Diese werden immer wieder vergessen. Während eines Bauprojektes fallen meist noch (zusätzliche) Wohnkosten für die Zeit der Bauphase, Fahrspesen, unbezahlte Ferientage oder auch Kosten für externe Beratung an. Diese «Nebenkosten» können sich – gerade wenn sich das Projekt verzögert – schnell summieren.

Während eines Projektes kann es zudem immer zu unliebsamen Überraschungen kommen. Erfordert etwa der Baugrund zusätzliche bauliche Massnahmen, kann dies schnell ins Geld gehen. Bei Beginn eines Bauprojekts sind zudem die Wünsche der Bauherrschaft meist noch nicht genügend konkretisiert. So tauchen während der Planungs- und der Bauphase nicht selten Änderungs- oder Anpassungswünsche auf. Solche lassen die Baukosten schnell steigen. Dies gilt auch, wenn mit dem Vertragspartner ein Pauschalpreis vereinbart worden ist. Der mit einer Projektänderung verbundene Mehraufwand für Umplanung und Erstellung ist im Pauschalpreis meist nicht mitenthalten und kann regelmässig Mehrvergütungsansprüche der Unternehmer und Planer begründen.

Die Finanzierung ist so sicherzustellen, dass ein genügend hoher Betrag für Unvorhergesehenes und Projektänderungen auf dem Baukonto reserviert bleibt. Eine zu optimistische Planung kann das Projektbudget und damit oft auch den gesamten Finanzhaushalt schnell in Schieflage bringen.

II. PRÜFEN SIE IHRE VERTRAGSPARTNER VOR VERTRAGSABSCHLUSS SORGFÄLTIG

Der Wahl der Vertragspartner kommt für das Bauprojekt entscheidende Bedeutung zu. Ist man mit der falschen Seilschaft unterwegs, nützen die besten Verträge nichts. Wie einem Treuhänder oder einer Bank überträgt man als Bauherr auch dem Planer und den Unternehmern viel Geld und Verantwortung. Für Bauunternehmen und Architekten gibt es jedoch weder Zulassungsvorschriften noch Aufsichtsbehörden. Die Unterschiede auf dem Markt in Bezug auf Qualität und Seriosität sind gross.

Vor einem Vertragsabschluss sollten deshalb zwingend Empfehlungen/Referenzen von den betreffenden Unternehmern und Architekten eingeholt werden. Am besten von Personen, welche man kennt und welche mit den zukünftigen Vertragspartnern schon zusammengearbeitet haben. Sich nur von einem schönen Portfolio auf einer Website oder einem Prospekt leiten zu lassen, kann gefährlich sein. Es kommt leider immer wieder vor, dass sich Unternehmen in solchen Publikationen mit falschen Federn schmücken. Auch sagen schöne Bilder nichts über die Qualität eines Bauprojektes aus.

Seriöse Unternehmungen geben einem Bauherrn jederzeit und gerne Auskunft über ihre bisherigen Projekte, ihr Personal und die Ausbildung ihrer für das Projekt vorgesehenen Mitarbeiter. Gedenkt der Vertragspartner Subunternehmer beizuziehen, sind diese ebenfalls zu prüfen und schriftlich zu regeln, dass nur die geprüften Subunternehmer für das Bauprojekt beigezogen werden dürfen.

Ebenfalls sollten Nachweise über die finanzielle Situation der Vertragspartner verlangt bzw. eingeholt werden. Dazu ist ein Betreibungsregisterauszug beizuziehen. Auch ein Blick ins Handelsregister ist zu empfehlen: Gab es in letzter Zeit Wechsel bei der Geschäftsführung oder beim Firmensitz? Lassen sonstige Eintragungen aufhorchen?

Mit der Wahl der Vertragspartner werden entscheidende Weichen für das Bauprojekt gestellt. Das Gelingen des Bauprojektes hängt in grossen Massen von diesen ab. Einer sorgfältigen Prüfung und Wahl der Vertragspartner ist somit absolute Priorität einzuräumen. Der damit verbundene Aufwand ist gut investiert, sind die Verzögerungen und Kosten im Falle einer späteren Vertragsauflösung oder gar eines Konkurses eines Vertragspartners um ein Vielfaches höher.

III. VORSICHT BEI TIEFPREISANGEBOTEN UND UNKLAREM LEISTUNGSBESCHRIEB

Qualitatives Bauen hat seinen Preis. Baukosten lassen sich nur sehr beschränkt optimieren. Substantielle Einsparungen können (bei gleichbleibendem Projektumfang) nur über die Reduktion des in das Projekt investierten Zeit-, Personal- oder Materialaufwandes erzielt werden. Dies kann verheerende Konsequenzen für das Projekt haben. Bauen ist komplex und benötigt grosses Fachwissen. Unausgebildetes Personal und Einsparungen bei Material oder Ausführung führen zu Pfusch auf der Baustelle. Baumängel können die Liegenschaft massiv entwerten. Qualitativ schlechte Bauten müssen häufiger und kostspieliger saniert werden. Zu grosse Einsparungen bei den Baukosten rächen sich über kurz oder lang häufig mit hohen Renovations- und Unterhaltskosten. Viele Mängel treten zudem erst nach der gesetzlichen 5-jährigen Mängelhaftung auf. In solchen Fällen können Planer und Unternehmer meist nicht mehr dafür belangt werden.

Es ist zu empfehlen, verschiedene Offerten einzuholen. Diese sollten in Bezug auf den Preis aber auch den Leistungsinhalt verglichen werden. Es empfiehlt sich, dazu einen Fachmann beizuziehen. So erkennt man unseriöse Angebote relativ schnell. Immer wieder sind die Bauherrschaften an solchen Angeboten auch mitschuldig, indem sie versuchen, ihr Wunschprojekt zu unrealistisch tiefen Baukosten durchzudrücken. Ein mängelfreies Haus mit guter Bausubstanz zum Tiefstpreis gibt es jedoch nur auf dem Papier.

Vor Vertragsabschluss ist sodann genau zu prüfen, ob im offerierten Preis alle für die Fertigstellung des Projektes notwendigen Leistungen enthalten sind. Als Bauherr ist darauf zu bestehen, dass im vereinbarten Preis die «schlüsselfertige» Erstellung d.h. alle für die Planung, Erstellung und Abnahme notwendigen Arbeiten unter Beachtung sämtlicher Vorschriften enthalten sind. Eine ungenaue oder fehlende Definierung des Leistungsumfangs im Vertrag ist eine Einfallstüre für spätere Nachtragsrechnungen und Mehrkosten.

IV. LASSEN SIE DIE VERTRAGSGRUNDLAGEN FACHMÄNNISCH PRÜFEN

Vor Vertragsabschluss liegt die Verhandlungsmacht bei der Bauherrschaft. Diese sollte genutzt werden, um zwar faire, jedoch vollständige und gute vertragliche Grundlagen zu schaffen. Dies bedeutet, dass der Bauherr seine Interessen im Vertrag einbringt. Es liegt in der Natur der Sache, dass die von den Unternehmern und Auftraggebern vorgelegten Verträge teilweise nicht sehr bauherrenfreundlich ausformuliert sind. Zumindest sollten die anerkannten Vertragsbedingungen der SIA-Ordnungen (SIA-Ordnung 102 für Architektenverträge sowie SIA- Ordnung 118 für Werkverträge) als minimale Anforderungen verlangt werden.

Entscheidend ist die Regelung der Vergütung und des damit abgegoltenen Leistungsumfanges. Es gibt verschiedene Vergütungsmodelle (Pauschalpreise, Abrechnung nach Zeitaufwand, Abrechnung nach Ausmass, Stückzahl, Baukosten etc.). Jedes der Modelle hat gewisse Vorteile aber auch Nachteile und Risiken. Bei einem Pauschalpreismodell kommt der Leistungsumschreibung grosse Bedeutung zu. Bei einem Abrechnungsmodell nach Aufwand sind die Regelungen zur Kosten- und Leistungskontrolle sowie die Vereinbarung von verbindlichen Kostendächern matchentscheidend.

Für einen bauunerfahrenen Bauherrn ist es schwierig, im Dschungel der verschiedenen Vertrags- und Vergütungsmodelle die Übersicht zu behalten und für ihn nachteilige Klauseln zu erkennen. Es ist in solchen Fällen zu empfehlen, sich für die Ausarbeitung eines Vertrages von einem in Bausachen erfahrenen Rechtsanwalt oder Baujuristen beraten zu lassen, bzw. den Vertrag vor Unterzeichnung einem solchen zumindest zur Kontrolle vor- zulegen. Dies ist zwar mit gewissen Kosten verbunden. Diese sind jedoch überschaubar, ist doch ein solcher Vertrag in wenigen Stunden aufgesetzt bzw. kontrolliert. Ist der für die Bauherrschaft nachteilige oder unvollständige Vertrag einmal unterzeichnet, können die Folgen und damit auch die Kosten gravierend sein.

V. ÜBERPRÜFEN SIE IHRE VERSICHERUNGSSITUATION

Als Bauherr geht man hohe Risiken ein. Zu beachten ist, dass die üblicherweise abgeschlossenen privaten Versicherungspolicen (wie Privathaftpflicht, Rechtsschutz) die Risiken bei einem Bauprojekt oft nicht (oder nicht genügend) abdecken. Vor dem Start in ein Bauprojekt sollte deshalb die eigene Versicherungssituation überprüft und bei seiner Versicherung abgeklärt werden, ob die Risiken im Zusammenhang mit dem Bauprojekt vollständig abgedeckt oder allenfalls noch zusätzliche Versicherungen zu empfehlen sind.

VI. ZIEHEN SIE UNABHÄNGIGE FACHLICHE UNTERSTÜTZUNG BEI

Bauen ist oft mit Hektik verbunden. Von der Bauherrschaft müssen im Laufe des Projektes viele Entscheidungen gefällt werden. Zwar obliegt sowohl Architekt als auch den Unternehmern eine vertragliche Aufklärungs- und Abmahnungspflicht. Sobald es jedoch zu gewissen Differenzen betreffend Mängel oder Vergütungsfragen kommt, geraten die Vertragspartner diesbezüglich in einen Interessenskonflikt. Dies gilt umso mehr, wenn Planung und Bau und damit auch die Bauleitung aus einer Hand, d.h. von einem einzigen Vertragspartner erbracht werden (sog. Totalunternehmermodell). Als privater Bauherr ist man in solchen Situationen oft auf sich alleine gestellt.

Für bauunerfahrene Bauherren empfiehlt es sich deshalb, bereits zu Projektbeginn einen nicht in das Bauprojekt involvierten unabhängigen Bauherrenberater oder eine fachlich kompetente Person zur Unterstützung beizuziehen. Dies kann auch aufwandmässig sehr reduziert und im Hintergrund erfolgen. Wichtig ist, dass diese Person von der Bauherrschaft bei Fragen und Problemen schnell und ohne Einarbeitungszeit beigezogen werden kann.

VII. KONTROLLIEREN SIE DEN PROJEKTABLAUF UND DEN KOSTENSTAND LAUFEND

Auch wenn eine Bauleitung engagiert oder ein Bauherrenberater beigezogen wird, erfordert ein Bauprojekt von der Bauherrschaft selber regelmässige Präsenz und Kontrolle. Die dafür notwendigen zeitlichen Ressourcen sollten während des ganzen Bauprojekts sichergestellt sein. Zahlungen und Zusatzaufträge sind von der Bauherrschaft zu prüfen und freizugeben. Dies erfordert, dass man als Bauherr über Kosten und Baufortschritt aber auch über die vertraglichen Grundlagen stets informiert ist. Bei Problemen auf der Baustelle muss schnell reagiert werden können. Differenzen mit Unternehmern und Architekten sollten sofort angegangen werden. Mängel oder anderweitige Vertragsverletzungen sind umgehend schriftlich und zu Beweiszwecken eingeschrieben an die betreffenden Unternehmer und Architekten zu rügen. Sitzungen mit den Vertragspartnern sind zu protokollieren.

VIII. FAZIT

Auch bei Befolgung der vorstehenden Ratschläge bleibt das eigene Bauprojekt ein schwieriges Unterfangen. Gerade aber bei der Wahl der Vertragspartner sowie der Vertragsredaktion kann die Bauherrschaft selber die Weichen in die richtige Richtung stellen. Es lohnt sich deshalb, dafür genügend Zeit einzuplanen, diese Punkte sorgfältig zu prüfen und dafür allenfalls Beratung beizuziehen. Ist man einmal in die falsche Richtung abgebogen, ist eine Rückkehr auf die richtige Spur meist nur noch mit grossen Kosten und Verzögerungen möglich.

.

12. April 2018 / lic. iur. Christoph Schärli


FRISTBEGINN FÜR KÜNDIGUNGSANFECHTUNG IM MIETVERHÄLTNIS WÄHREND FERIENABWESENHEIT

lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Sabrina Engel (MLaw)

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Wird dem Mieter einer Wohnung eine Kündigung mittels eingeschriebenem Brief zugestellt und will dieser die Kündigung anfechten, muss er das Schlichtungsgesuch innert einer Frist von dreissig Tagen bei der zuständigen Schlichtungsbehörde für Mietsachen einreichen. Die Anfechtungsfrist beginnt – im Sinne der absoluten Empfangstheorie – direkt mit der erfolgten Zustellung an den Mieter. Diese Rechtsprechung bestätigt das Bundesgericht in einem neueren Entscheid und setzt sich gleichzeitig mit der Frage auseinander, ob die Frist zur Anfechtung einer Kündigung auch nach dieser Regel zu laufen beginnt, wenn sich der Mieter beim Zustellungsversuch in den Ferien befindet.

I. GELTENDE RECHTSLAGE BEI KÜNDIGUNG DURCH DEN VERMIETER

Die Fristberechnung bei vertraglichen Rechtshandlungen richtet sich nach Art. 77 OR, wonach der Tag, auf den das fristauslösende Ereignis fällt, bei den nach Tagen berechneten Fristen grundsätzlich nicht mitgerechnet wird (Abs. 1). Bei Willenserklärungen wie z.B. Kündigungen oder Mahnungen gilt hingegen, sofern die Parteien für die Willenserklärung untereinander nicht anderes vereinbart haben, für den Beginn und Wahrung von Fristen die Empfangstheorie. Danach ist für die Bestimmung des Fristbeginns massgebend, wann die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist.

So hat das Bundesgericht im Jahr 2014 im Urteil 140 III 244 entschieden, dass die 30-tägige Frist zur Anfechtung einer Kündigung gemäss Art. 273 Abs. 1 OR an dem Tag zu laufen beginnt, an dem die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers oder seines Vertreters gelangt, so dass dieser bei normaler Organisation seines Geschäftsverkehrs grundsätzlich in der Lage ist, von der Willenserklärung Kenntnis zu erlangen.

Dies bedeutet, dass die Anfechtungsfrist einer eingeschrieben verschickten Kündigung am Tag der physischen Aushändigung durch den Postboten an den Mieter oder dessen Vertreter zu laufen beginnt. Falls aufgrund der Abwesenheit des Mieters hingegen vom Postboten eine Abholungseinladung in den Briefkasten gelegt werden muss, beginnt die Frist dann zu laufen, sobald der Mieter gemäss der Abholungseinladung bei der zugehörigen Poststelle vom Kündigungsschreiben Kenntnis nehmen kann. Das Bundesgericht trifft dabei die Annahme, dass die Kenntnisnahme noch am (gleichen!) Tag, an dem die Abholungseinladung in den Briefkasten gelegt wird, möglich ist, sofern dies vom Empfänger erwartet werden kann. Andernfalls gilt die eingeschriebene Sendung gemäss dem Bundesgericht am darauffolgenden Tag als zugestellt, womit die Frist erst an diesem Tag zu laufen beginnt (vgl. BGE 137 III 208).

Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Prinzip wird als absolute bzw. uneingeschränkte Empfangstheorie bezeichnet. In unserem Newsletter vom 17. März 2014 wurde diese bundesgerichtliche Praxis bereits thematisiert und dabei auf die geschaffene Rechtsunsicherheit bezüglich des effektiven Fristbeginns aufmerksam gemacht. Insbesondere ist nicht eindeutig geregelt, in welchen Fällen die Frist bei Erhalt einer Abholeinladung nicht am gleichen Tag, sondern erst am darauffolgenden, zu laufen beginnt. Aus diesem Grund ist dem Mieter dringend anzuraten, den Tag der Zustellung der Abholeinladung bei der 30-tägigen Anfechtungsfrist mitzuzählen (vgl. Newsletter Fristberechnung im Mietrecht bei Anfechtung der Kündigung und/oder Einreichung eines Erstreckungsbegehrens vom 17. März 2014).

Im Entscheid 4A_293/2016 vom 13. Dezember 2016 bestätigt und konkretisiert das Bundesgericht die Geltung der absoluten Empfangstheorie im Zusammenhang mit der Kündigung eines Mietverhältnisses. Namentlich wird festgehalten, dass die Frist für die Anfechtung einer Kündigung auch dann nach der Regel der absoluten Empfangstheorie zu laufen beginnt, wenn sich der Mieter beim Zustellversuch in den Ferien befindet.

II. GELTENDE RECHTSLAGE BEI MIETZINSERHÖHUNGEN UND ABMAHNUNGEN WEGEN ZAHLUNGSVERZUGS

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich beim Erhalt einer Mietzinserhöhung (mittels amtlichen Formulars) oder einer Abmahnung von offenen Mietzinsen grösstenteils differenziert verhält: In diesem Fall beginnt die 30-tägige Frist für eine entsprechende Anfechtung oder Kündigung wegen Zahlungsverzug zwar auch ab dem Tag der Zustellung des Einschreibens des Vermieters beim Mieter zu laufen.

Kann das Schreiben hingegen nicht direkt an den Mieter oder den Stellvertreter ausgehändigt werden, beginnt die Frist ab dem Tag der Abholung des Schreibens bei der Post oder bei Erhalt einer Abholeinladung der Post nach Ablauf der 7-tägigen Frist, zu laufen. Der Fristbeginn richtet sich dementsprechend nach der relativen Empfangstheorie (für nähere Ausführungen zu der relativen Empfangstheorie wird ebenfalls auf den oben genannten Newsletter verwiesen).

III. SACHVERHALT DES BUNDESGERICHTSENTSCHEIDES 4A_293/2016 VOM 13. DEZEMBER 2016

Dem Bundesgerichtsentscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis am 29. November 2013 mit entsprechendem amtlichem Formular. Infolge Ferienabwesenheit waren die Mieter nicht in der Lage, die eingeschriebene Kündigung entgegenzunehmen, weshalb der Postbote am 2. Dezember 2013 eine Abholeinladung in deren Briefkasten legte. Die Mieter kehrten jedoch erst am letzten Tag der Abholfrist und nach Schliessung des Postschalters von den Ferien zurück. Es war ihnen folglich nicht mehr möglich, die eingeschriebene Sendung abzuholen, da nach Ablauf der Abholfrist nicht abgeholte Schreiben jeweils an den Absender retourniert werden. Im vorliegenden Fall wurde den Mietern dann allerdings zum Verhängnis, dass sie sich anschliessend nicht über den Absender des inzwischen retournierten Schreibens erkundigt hatten. Über die am 29. November 2013 erfolgte Kündigung wurden sie von ihrem Vermieter erst am 23. Januar 2014 mit einfachem Schreiben und einer Kopie der Kündigungserklärung informiert, wozu der Vermieter nicht verpflichtet gewesen wäre. Der Vermieter teilte ihnen mit beiliegendem Schreiben mit, dass die Kündigung am letzten Tag der Abholeinladung als zugestellt gelte und dementsprechend ihre volle Wirksamkeit entfalten würde. Die Mieter reichten in der Folge am 7. Februar 2014 das Begehren um Anfechtung der Kündigung ein.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz und zuungunsten der Mieter entschied das Bundesgericht, dass sich die Empfänger einer Abholeinladung in einem solchen Fall bei der Post oder auf der Website der Post über den Absender hätten informieren müssen. Für unerheblich erachtete das Bundesgericht einerseits die Tatsache, dass die Abholfrist bereits abgelaufen war. Andererseits spielte es keine Rolle, dass die Mieter nicht mit einem eingeschriebenen Brief rechnen mussten und dementsprechend auch keine Vorkehrungen für den rechtzeitigen Empfang trafen. Es bestand gemäss Bundesgericht keine Obliegenheit des Absenders, die Empfänger rechtzeitig mit einfacher Post über die Kündigung zu orientieren.

IV. FAZIT

Das in diesem Artikel behandelte Bundesgerichtsurteil lässt einige Fragen offen, die sich erst mit der Weiterentwicklung der Rechtsprechung klären werden. Insbesondere ist unklar, inwiefern diese Regelung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchsverbots ihre Grenzen findet. So stellt sich namentlich die Frage, ob sich der Vermieter rechtmissbräuchlich verhält, wenn dieser im Wissen um die Abwesenheit und damit um die fehlende Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Mieter mit einer zweiten Zustellung der Kündigungserklärung zuwartet oder gar ganz auf diese verzichtet. Unklar ist auch, wie es sich verhält, wenn der Mieter gar nicht in der Lage ist, die Abholung von eingeschriebenen Sendungen während seiner Abwesenheit zu organisieren (z.B. wegen Krankheit oder unfallbedingtem Spitalaufenthalt). Zu solchen möglichen Spezialfällen schweigt der Bundesgerichtsentscheid.

Nichtsdestotrotz gilt es für Mieter zu beachten, dass diese sich entsprechend organisieren müssen, sofern sie mehr als sechs Tage abwesend sind; sei es durch einen Auftrag zum Rückbehalt von Sendungen bei der Poststelle – die im Übrigen auch auf Anfrage hin jederzeit Auskunft über den Absender einer zurückgegangenen Sendung erteilt – oder durch eine Stellvertretungslösung. So sind die Mieter auch bei einer längeren Ferienabwesenheit in der Lage, Kenntnis von einer eingeschriebenen Sendung zu erlangen und noch innerhalb der 30-tägigen Frist entsprechend zu reagieren. Denn am Ende tragen sie das Risiko bzw. die Konsequenzen einer verpassten Frist.

.

26. April 2017 / lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Sabrina Engel (MLaw)


AIRBNB – TREND MIT KONFLIKTPOTENTIAL

MLaw Kim Goetzinger, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das amerikanische Phänomen Airbnb hat auch in der Schweiz längst Einzug gehalten: Über die Internetplattform www.airbnb.com können private Anbieter einzelne Zimmer, Wohnungen oder ganze Liegenschaften Dritten zur kurzfristigen Miete anbieten. Der sich schnell ausbreitende Trend bietet aus rechtlicher Perspektive allerdings Konfliktpotential. Dieser Beitrag soll im Sinne einer kurzen Übersicht eine Einführung in die rechtlichen Grundlagen geben und konkret auftretende Schwierigkeiten in der Praxis aufzeigen.

I. GRUNDLAGEN ZUR UNTERMIETE

Die Standardsituation im Zusammenhang mit Airbnb sieht wie folgt aus: Der Mieter eines Wohnobjekts überlässt gegen Entgelt einem nur vorübergehend verweilenden Gast (zumeist Tourist oder Geschäftsmann/-frau auf Durchreise) ein Zimmer oder die ganze Wohnung. Gelegentlich sind in solchen Angeboten auch Dienstleistungen wie Frühstück, Internet und Telefon, Reinigung, Waschservice etc. enthalten.

Zwischen dem eigentlichen Mieter und dem Gast entsteht ein Untermietverhältnis nach Art. 262 des Obligationenrechts (OR). Zu beachten ist hierbei Art. 262 Abs. 1 OR, welcher vorschreibt, dass die gemietete Sache nur mit Zustimmung des Vermieters ganz oder teilweise untervermietet werden darf. Es ist (noch) umstritten, ob ein Mieter im Falle von Airbnb einzig eine generelle Zustimmung zur Untermiete oder für jedes konkrete Untermietverhältnis eine neue Zustimmung einholen muss. Hier zeigt sich eine Lücke im aktuell geltenden Mietrecht, welches sich dem Airbnb-Phänomen noch nicht angenommen hat. Angesichts des neuen Phänomens sowie den Regeln der Airbnb-Community (gemäss Richtlinien muss einem Gast bei Interesse innert 24h ein verbindliches Angebot präsentiert werden) und der potentiell hohen Fluktuation von Gästen scheint die jeweilige Neueinholung der Zustimmung als wenig praktikabel. Die Autorinnen dieses Beitrags befürworten deshalb den Lösungsansatz, nach welchem an Airbnb interessierte Parteien bereits in einem Hauptmietvertrag die Eckpunkte einer allfälligen Untermiete vereinbaren, damit Rechtssicherheit herrscht und der Mieter diese auf der Internetplattform Airbnb kommunizieren kann, damit nur Untermieten zustande kommen, welche die vereinbarten Grenzen respektieren. Zu betonen bleibt, dass es dem Vermieter natürlich auch freisteht, gültig im Voraus auf das Zustimmungserfordernis zu verzichten.

Art. 262 Abs. 2 OR schränkt die Gründe ein, gestützt auf welche ein Vermieter die Zustimmung verweigern kann. Diese sind:

– Der Mieter weigert sich, dem Vermieter die Bedingungen der Untermiete bekannt zu geben (lit. a);

– Die Bedingungen der Untermiete sind im Vergleich zu denen der Hauptmiete missbräuchlich (lit. b);

– Dem Vermieter entstehen aus der Untermiete wesentliche Nachteile (lit. c).

Eine Verweigerung des Vermieters, die sich nicht auf die gesetzlich vorgesehenen Gründe stützen kann, ist unbeachtlich.

II. VERWEIGERUNG DER ZUSTIMMUNG ZUR UNTERMIETE

1. Verweigerung Bekanntgabe der Bedingungen der Untermiete

Zu den wesentlichen Vertragsinhalten, welche dem Vermieter vorab bekannt zu geben sind, zählen nebst dem Umfang der Untermiete (Zimmer/ganzes Wohnobjekt) auch die Höhe der Entschädigung, die Dauer des Untermietverhältnisses und Angaben zur Person des Untermieters (Partytourist, Geschäftsmann, Familie mit Kleinkindern).

Bei regelmässiger und variierender Untermiete ist zu offenbaren, wie oft und für welche Zeiträume eine Untermiete geplant ist (z.B. nur Untermiete für die Dauer der Sommerferien). Sofern der Mieter dem Gast zusätzliche Dienstleistungen anbietet, für welche er etwas verrechnet, sollten auch diese Informationen offengelegt werden.

2. Missbräuchliche Mietbedingungen

Damit ist gemeint, dass der Mieter mit der Untermiete grundsätzlich keinen Gewinn erwirtschaften darf. Missbräuchliche Bedingungen sind immer dann gegeben, wenn der vom Mieter verlangte Mietzins den eigentlichen Mietzinsanteil des Untermieters sowie den Wert der zusätzlich angebotenen Dienstleistungen übersteigt. Solche Dienstleistungen können sein: Frühstück, Reinigung, Wäscheservice, Internet, Möblierung, touristenmässige Führung durch die Stadt, etc.

3. Entstehung wesentlicher Nachteile für den Vermieter

Ob wesentliche Nachteile vorliegen, muss im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Gebrauchszweck beträchtlich geändert wird oder die Nutzung von dem im Mietvertrag Vereinbarten erheblich abweicht. Während zum Beispiel in einem ruhigen Haus mit vorwiegend älteren Bewohnern die hohe Fluktuation von Gästen, der Einzug von Familien mit Kindern oder nächtliche Party-Aktivitäten als störend empfunden werden können, muss dies bei anderen Wohnobjekten an exponierter Lage in der Innenstadt eher toleriert werden. Dafür ist bei jenen Liegenschaften allenfalls das Sicherheitsbedürfnis der Nachbarn mehr zu gewichten. Fakt ist, dass die Ablehnungsgründe objektiv begründbar sein müssen. Eine gewerbsmässige Beherbergung von Gästen muss ein Vermieter wohl kaum dulden. Gründe wie generelle Vorurteile gegen Airbnb oder der Umstand, dass aufgrund von Airbnb der Wohnraum unterschiedlichen Personen zur Verfügung gestellt wird, reichen jedoch nicht aus.

III. RECHTSFOLGEN DER FEHLENDEN ZUSTIMMUNG

Es ist vorab darauf hinzuweisen, dass das Zustandekommen eines Untermietvertrags trotz der gesetzlichen Vorschrift in Art. 262 Abs. 1 OR nicht von der Zustimmung des Vermieters abhängig ist. Das Untermietverhältnis kann also bereits mit der Vereinbarung der Parteien (Mieter und Gast) gültig begründet werden. Die hieraus resultierende Rechtsfolge für den Mieter hängt davon ab, ob die Zustimmung hätte verweigert werden dürfen oder nicht.

Hat sich der Mieter von Anfang an gar nicht bemüht, die Zustimmung einzuholen, und wird das Untermietverhältnis aufgedeckt, droht dem Mieter unter Umständen die Kündigung des Hauptmietvertrags, insbesondere in den Fällen, in denen der Vermieter die Zustimmung hätte verweigern können. Bittet der Mieter den Vermieter um Zustimmung, die dieser aber zu Recht (gestützt auf Art. 262 Abs. 2 OR) verweigert und beschliesst der Mieter daraufhin, trotzdem Gäste gegen Entgelt zu beherbergen, riskiert er gemäss der strengen bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowohl eine ordentliche als auch eine ausserordentliche Kündigung des Hauptmietvertrags. Eine ausserordentliche Kündigung bedingt jedoch, dass der Vermieter den Mieter zuvor schriftlich zur Beendigung des Untermietverhältnisses aufgefordert hat und der Mieter dem nicht nachgekommen ist (Grundsatz der Verhältnismässigkeit).

IV. FAZIT

Die zurzeit (noch) bestehenden mietrechtlichen Gesetzeslücken erschweren die rechtskonforme Umsetzung von Anwendungsfällen von Airbnb in der Praxis. Angesichts der Kurzfristigkeit, die mit dem Angebot via Internetplattform einhergeht, sollten sich betroffene Parteien um eine praktikable Umsetzung des Zustimmungserfordernisses bemühen. Die Autorinnen dieses Beitrags erachten eine der Untermiete vorausgehende, generelle Vereinbarung zwischen dem Mieter und Vermieter des Hauptmietvertrags als zielführend, in welcher die konkreten Eckpunkte der Untermiete vereinbart werden. Erklärt sich der Vermieter bereit, die Zustimmung zu einer Untermiete unter den vereinbarten Bedingungen stets zu geben, kann damit eine (für alle betroffenen Parteien) unpraktische Einholung der Zustimmung für jedes kurzfristige Untermietverhältnis vermieden werden.

.

3. März 2017 / MLaw Kim Goetzinger, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)


WISSENSWERTES ZU RESERVATIONSGEBÜHREN IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ERWERB VON GRUNDSTÜCKEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Hinblick auf einen geplanten Grundstückerwerb ist es heute weit verbreitet, im Vorfeld des Abschlusses eines Grundstückkaufvertrags und eines allfälligen Vorvertrags auch noch eine sogenannte Reservationsvereinbarung abzuschliessen. Diese Reservationsvereinbarungen werden üblicherweise nicht notariell beurkundet, haben aber zumeist eine erste Anzahlung von nicht unerheblicher Höhe an den späteren Erwerbspreis zur Folge. Für den Fall, dass es dann doch nicht zum Erwerb des Grundstücks kommt, wird gestützt auf ebendiese Klausel die Rückerstattung der Anzahlung verweigert. Vorliegender Beitrag befasst sich mit der Zulässigkeit dieser in der Praxis weit verbreiteten Vorgehensweise.

I. GRUNDSATZ: FORMERFORDERNIS DER ÖFFENTLICHEN BEURKUNDUNG

Im Zusammenhang mit dem Erwerb von Grundstücken ist das Formerfordernis gemäss Art. 216 Abs. 1 OR zu berücksichtigen: Kaufverträge über Grundstücke müssen öffentlich beurkundet werden, damit sie gültig sind. Dasselbe gilt für allfällige Vorverträge (Art. 216 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 2 OR). Weiter hat das Bundesgericht auch die Pflicht zur öffentlichen Beurkundung von als „Reservationsvereinbarungen“ bezeichneten Verträgen, welche jeweils vor Abschluss eines Grundstückkaufvertrages erfolgen, explizit bejaht (BGer Urteil 4C.271/2003 vom 17. Februar 2004, E. 2.1; BGer Urteil 4P.195/2003 vom 17. Februar 2004, E. 3.1).

Nach dem Gesagten gilt, dass eine Reservationsvereinbarung, ist sie nur schriftlich abgeschlossen, grundsätzlich formnichtig ist, mit der Folge, dass eine allfällige, darauf gestützte Reservationszahlung ohne jeden Rechtsgrund erfolgte und somit vom Empfänger zurückerstattet werden muss. In der Praxis zeigt sich derweil jedoch, dass die Rückerstattung der genannten Zahlung durch den Verkäufer mit dem Argument verweigert wird, es handle sich dabei um die Leistung einer im Rahmen der Reservationsvereinbarung eigens abgeschlossenen Konventionalstrafe für den Fall, dass sich der Käufer vom Abschluss des Kaufvertrages zurückziehe. Weiter wird dann jeweils argumentiert, eine solche Konventionalstrafe bedürfe keiner öffentlichen Beurkundung. Diesbezüglich gilt es folgendes festzuhalten: Richtig ist, dass Konventionalstrafen für sich alleine keiner öffentlichen Beurkundung bedürfen und somit auch nur schriftlich abgeschlossen werden können. Im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Reservationsvereinbarung bilden sie indes lediglich eine sogenannte Nebenabrede, weshalb diesbezüglich das Formerfordernis der Reservationsvereinbarung ebenfalls eingehalten werden muss. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung umfasst die Nichtigkeit eines Vertrages aufgrund einer nicht respektierten Formvorschrift auch allfällige Nebenabreden wie bspw. Konventionalstrafen (BGer Urteil 4C.271/2003 vom 17. Februar 2004, E. 2.1; BGer Urteil 4P.195/2003 vom 17. Februar 2004, E. 3.1). Folglich ist die genannte Strafzahlung auch unter dem Titel der Konventionalstrafe nicht geschuldet resp. kann, sofern sie bereits geleistet wurde, vom Käufer zurückverlangt werden.

II. AUSNAHMSWEISE GÜLTIGKEIT BEI BLOSSER SCHRIFTLICHKEIT

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen ist somit festzuhalten, dass Reservationsvereinbarungen als eigentliche Vorverträge zu Grundstückkaufverträgen in aller Regel öffentlich beurkundet werden müssen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch auf die möglichen Ausnahmen hinzuweisen, wonach eine von einem potentiellen Käufer an einen potentiellen Verkäufer geleistete Zahlung als rechtsgültig qualifiziert werden kann, selbst wenn es an der öffentlichen Beurkundung dieser Zahlungspflicht fehlt.

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung können Zahlungsversprechen im Zusammenhang mit Reservationsvereinbarungen dann formlos erfolgen, wenn sie auch unabhängig vom Erwerb eines konkreten Grundstücks vereinbart worden wären (BGE 140 III 200, E. 5.3 ff.). Ergibt sich somit aufgrund der Umstände eines konkreten Vertragsverhältnisses zweier Parteien, dass die Zahlungsverpflichtung einer Partei einer selbständigen Entschädigungsvereinbarung zugrunde liegt, an welcher die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse haben oder hatten, so kann diese folglich auch losgelöst vom Reservationsvertrag und dessen Formerfordernis formlos abgeschlossen werden. Sofern allerdings feststeht, dass die Entschädigungsvereinbarung einzig und alleine im Zusammenhang mit der Reservationsvereinbarung und insbesondere im Hinblick auf den abzuschliessenden Grundstückkaufvertrag getroffen wurde, fehlt es an dieser Eigenständigkeit und die Pflicht zur öffentlichen Beurkundung des Vertrages erstreckt sich auch auf diese Entschädigungsvereinbarung (vgl. BGE 140 III 200, E. 5.3 und BGer Urteil 4A_281/2014 vom 17. Dezember 2014, E. 3.3). Die Autorinnen erlauben sich an dieser Stelle jedoch die kritische Bemerkung, dass die Anzahlung einer Partei im Rahmen einer Reservationsvereinbarung wohl sehr häufig im Hinblick auf den späteren Erwerb des Grundstücks abzielen dürfte, weshalb das Vorliegen einer selbständigen Entschädigungsvereinbarung, an welcher die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse haben, gut begründet sein müsste.

III. SCHADENERSATZPFLICHT BEI ABGEBROCHENEN VERHANDLUNGEN

Abschliessend ist auf die Frage einzugehen, ob eine im Rahmen einer Reservationsvereinbarung geleistete Zahlung ihre rechtliche Grundlage allenfalls im Grundsatz der culpa in contrahendo haben könnte. Oftmals findet sich in den Reservationsvereinbarungen nämlich folgender Wortlaut: „Diese Anzahlung wird dereinst an den Erwerbspreis angerechnet, dient aber gleichzeitig als Reservationsgebühr zur Abdeckung der von der Verkäuferin erbrachten Vorleistungen“.Teilweise wird eine solche Anzahlung auch als „pauschalisierte Abdeckung für Schäden, die aufgrund der Verletzung von vorvertraglichen Pflichten entstehen können“, bezeichnet.

Als culpa in contrahendo wird die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem vorvertraglichen Verhältnis zweier Parteien bezeichnet. Wird ein Vertrag letztlich doch nicht abgeschlossen, weil eine Partei z.B. trotz bereits fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen plötzlich unerwartet von den Verhandlungen zurücktritt, haftet die zurücktretende Partei unter bestimmten Umständen für die bereits getätigten Auslagen der Gegenpartei (z.B. den Planungsaufwand). Der Haftungsanspruch aus culpa in contrahendo existiert von Gesetzes wegen und somit unabhängig von einer expliziten Erwähnung im Vertrag oder der Einhaltung einer bestimmten Form. Es gilt jedoch auch – gerade im Zusammenhang mit Grundstückkaufverträgen – die strenge Rechtsprechung des Bundesgericht in solchen Fällen zu berücksichtigen: Bereits in BGE 106 II 36 hielt das Bundesgericht fest, dass ein Haftungsanspruch einer Partei aus culpa in contrahendo, nachdem sich die andere Partei vom Abschluss des formgültigen Kaufvertrages distanziert hat, dann ausgeschlossen sei, wenn das Zustandekommen eines formgültigen Grundstückkaufvertrages gleichermassen auf die Nachlässigkeit der einen wie der anderen Partei zurückzuführen sei (E. 5). Im genannten Fall hatten sich die Parteien nach Leistung der Reservationszahlung zu wenig darum bemüht, den (formell rechtsgültigen) Grundstückkaufvertrag zeitnah abzuschliessen, weshalb es nach Auffassung des Bundesgerichts keinen Grund gab, um diejenige Partei, welche die Zahlung empfangen hatte, in ihrem Vertrauen auf den Abschluss eines formgültigen Grundstückkaufvertrages zu schützen. Das Bundesgericht hielt fest, dass, wer im Wissen um ein formtechnisch gesehen ungültiges Versprechen trotzdem Auslagen tätigt, auf eigenes Risiko handle (vgl. BGer Urteil 4C.56/2004 vom 16. Juni 2004, E. 2.3). Eine Partei dürfe daher nur unter speziellen Umständen darauf vertrauen, dass es „dann schon noch“ zum Abschluss des Vertrages komme; solche speziellen Umstände seien aber nicht bereits dann gegeben, wenn die Vertragsverhandlungen lange andauerten oder die vom Vertrag zurücktretende Partei von den getätigten Investitionen der Gegenseite Kenntnis hatte (BGer Urteil 4A_615/2010 vom 14. Januar 2011, E. 4.1.1).

V. FAZIT

In der Praxis wird zunehmend die Tendenz beobachtet, dass Verkäufer von Grundstücken mit spezifischen Vertragsklauseln in bloss schriftlich abgeschlossenen (und somit eben nicht öffentlich beurkundeten) Reservationsvereinbarungen versuchen, eine pauschalisierte Abdeckung der von ihnen getätigten Auslagen zu vereinbaren.

Angesichts der strengen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist diesbezüglich Folgendes festzuhalten: Wurde der Reservationsvertrag nicht öffentlich beurkundet und kommt es schliesslich doch nicht zum Abschluss des Kaufvertrags, ist ein Anspruch des potentiellen Verkäufers auf eine Entschädigungszahlung resp. die Pflicht des potentiellen Käufers zur Leistung einer Konventionalstrafe grundsätzlich nicht gegeben. Eine ausnahmsweise Gültigkeit solcher Zahlungsverpflichtungen ist nur dann gegeben, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls klar dafür sprechen, dass diese Zahlungsverpflichtung unabhängig vom zukünftigen Grundstückkaufvertrag abgeschlossen wurde und die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse an dieser Vereinbarung haben. Der Beweis dafür dürfte allerdings nicht einfach zu erbringen sein. Ein Schadenersatzanspruch gestützt auf den Grundsatz der culpa in contrahendo ist dem Grundsatz nach ebenfalls möglich; auch hier gilt es jedoch die strenge bundesgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen. 

Für den Verkäufer hat das vorstehend Erläuterte die Konsequenz, dass er unbedingt darauf zu achten hat, dass die einer Reservationszahlung zugrunde liegende Vereinbarung (sog. Reservationsvereinbarung) öffentlich beurkundet wird. Solange er ohne formgültigen Vertrag Auslagen tätigt, besteht das Risiko, dass er bei einem Verhandlungsabbruch seitens des Käufers auf den Kosten sitzen bleibt. Der Käufer wiederum hat zu berücksichtigen, dass er eine Reservationszahlung ebenfalls nicht leichthin leistet, da eine solche – sofern alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind – als sogenannte Zahlung aus culpa in contrahendo qualifiziert werden könnte, mit der Folge, dass er sie nicht mehr zurückfordern kann.
.

20. Februar 2017 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)


DIE RECHTE DES VERMIETERS BEI KONKURS DES MIETERS

Dr. iur. Stephan Fröhlich, Rechtsanwalt, und Gabriel Hüni, MLaw

Fällt ein Unternehmen in Konkurs, tritt für dessen Vermieter regelmässig eine prekäre Situation ein: Der Konkurs des Mieters löst den Mietvertrag nicht von Gesetzes wegen auf; der Vertrag hat grundsätzlich weiterhin Bestand. Gleichzeitig ist die Zahlungsunfähigkeit des Mieters mit dem Konkurs unbestritten. Der Vermieter sorgt sich daher zu Recht um seine zukünftigen oder noch ausstehenden Mietzinsforderungen. Das Gesetz stellt dem Vermieter verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, seine finanziellen Interessen zu sichern.

.

Um diese Möglichkeiten erfolgreich zu nutzen, muss der Vermieter allerdings präzise und mit Rechtskenntnis vorgehen. Wie der Vermieter seine Ansprüche bestmöglich sichern kann, wird nachfolgend dargestellt.

I. OFFENE MIETZINSFORDERUNGEN BEI KONKURSERÖFFNUNG

Fällt das mietende Unternehmen in Konkurs, nachdem es die Mieträumlichkeiten übernommen hat, empfiehlt es sich für Vermieter, erstmals eine genaue Bestandsaufnahme seiner offenen Forderungen zu erstellen. Dabei ist insbesondere zu unterscheiden zwischen Forderungen, welche vor der Konkurseröffnung entstanden sind, und Forderungen, welche danach entstanden sind bzw. monatlich weiter entstehen werden. Massgebender Stichtag ist hier der Zeitpunkt der Konkurserkenntnis bzw. des rechtskräftigen Konkursdekrets; nicht das Publikationsdatum.

Vor der Konkurseröffnung entstandene Mietzinsforderungen stellen Konkursforderungen dar. Mit anderen Worten müssen die Mietzinsforderungen dem Konkursamt eingegeben werden. Die eingegebenen Forderungen werden aus dem Konkurserlös in einer bestimmten Reihenfolge beglichen: vorab werden aus der Konkursmasse die Masseverbindlichkeiten beglichen sowie die pfandgesicherten Forderungen aus dem Verwertungserlös der Pfänder.

Soweit die vorhandenen Aktiven des Mieters noch reichen, werden danach der Reihe nach die Erst-, Zweitund Drittklasseforderungen beglichen. Erfahrungsgemäss ist die Deckung der Drittklasseforderungen zwischen gering und null. Grundsätzlich gehören offene Mietzinsforderungen des Vermieters jedoch genau in diese letzte Klasse. Eine bessere Kollokation ist aber über das gesetzliche Retentionsrecht des Vermieters an den beweglichen Sachen in den vermieteten Geschäftsräumen sowie über die Sicherung per Mietzinsdepot, möglich.

a. Das gesetzliche Retentionsrecht des Vermieters

Das Mietrecht gibt dem Vermieter von Geschäftsräumen ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören (Art. 268 OR). Der Vermieter kann diese Sachen mit Hilfe der zuständigen Amtsstelle zurückbehalten, notwendigenfalls mit Hilfe der Polizei zurückholen (Art. 268b) und, falls der Mieter zahlungsunfähig ist und nicht hinreichende Sicherheiten anbietet, nach vorgängiger Benachrichtigung wie ein Faustpfand verwerten. Kein Retentionsrecht besteht allerdings an Sachen, von denen der Vermieter wusste oder wissen musste, dass sie nicht dem Mieter gehören, verloren oder gestohlen wurden oder sonstwie dem rechtmässigen Besitzer abhanden gekommen sind. Ebenfalls vom Retentionsrecht ausgeschlossen sind natürlich auch Gegenstände, welche nicht pfändbar sind (Art. 92 SchKG). Bei der Geschäftsraummiete durch Unternehmen kann hier insbesondere das Kompetenzgut Anlass zu Diskussionen geben.

b. Das Mietzinsdepot

Die verbreitetste Sicherheit für Mietzinsforderungen ist das Mietzinsdepot. Bei der Geschäftsraummiete gelten betreffend Hinterlegung die Vorschriften von Art. 257e Abs. 1 OR (Spar- oder Depotkonto auf den Namen des Vermieters). Die Beschränkung auf maximal drei Monatszinsen gilt hingegen nur für Wohnräume. Entsprechend steht es dem Vermieter frei, die Sicherheitsleistung der konkreten Situation anzupassen. Da die Deckungschancen von offenen Mietzinsforderungen im Konkurs des Mieters generell eher schlecht stehen, und zugleich die Auflösung des Mietvertrags infolge von Fristen einige Zeit in Anspruch nehmen kann, empfiehlt sich in jedem Fall eine angemessene Sicherheitsleistung.

c. Verzugsrechte des Vermieters

Bei Zahlungsrückstand des Mieters kann der Vermieter ihm schriftlich eine Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen ansetzen, um die (genau zu benennenden) Mietzinsforderungen zu begleichen. Zugleich muss er ihm explizit androhen, dass ohne vollständige Zahlung bis zum Fristende die Kündigung erfolgen werde. Werden die Ausstände nicht innert Frist bezahlt, kann der Vermieter von Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Kündigungsfrist von 30 Tagen auf das Ende eines Monates kündigen (Art. 257d OR). Eine Kündigung wegen Zahlungsrückstand des Mieters lässt sich zudem nicht mit dem Argument anfechten, es laufe eine Kündigungssperrfrist während oder nach einem mietrechtlichen Verfahren. Da dieses Verfahren jedoch eine zweimalige Frist von 30 Tagen beinhaltet, lohnt es sich einerseits, die Kündigungsandrohung korrekt und konsequent anzuwenden; andererseits ist bei bereits erfolgter Konkurseröffnung zu beachten, dass Art. 266h OR ein unter Umständen schnelleres, fristloses Kündigungsrecht ermöglicht (vgl. unten).

II. MIETZINSFORDERUNGEN NACH DER KONKURSERÖFFNUNG

Für die Mietzinsforderungen, welche nach Konkurseröffnung anfallen, kann der Vermieter eine Sicherheit verlangen. Dazu hat er der Konkursverwaltung und dem Mieter während dem Konkursverfahren schriftlich eine angemessene Frist anzusetzen (in der Regel mindestens zwei Wochen). Als Sicherheit kommen diverse Instrumente wie Hinterlegung, Bürgschaft, Bankgarantie, Pfandbestellung, Sicherungsübereignung, Sicherungszession, etc. in Frage.

Zwar hat der Vermieter keinen durchsetzbaren Anspruch auf eine Sicherheit für die Mietzinsforderungen; wird jedoch innert der gestellten Frist keine Sicherheit geleistet, hat er das Recht, den Mietvertrag vorzeitig und vor allem fristlos zu kündigen (Art. 266h OR). Die Konkursverwaltung kann sich entscheiden, in den Mietvertrag einzusteigen (Art. 211 Abs. 2 SchKG). Für den Vermieter ist dies wünschenswert, denn seine Mietzinsforderungen ab Konkurseröffnung werden damit zu Masseverbindlichkeiten. Zudem kann der Vermieter auch von der Konkursverwaltung die oben beschriebene Sicherheit verlangen.

Wird hingegen keine Sicherheit geleistet, und tritt die Konkursverwaltung nicht in den Vertrag ein, gelten die Mietzinsforderungen des Vermieters für die Zeit nach Konkurseröffnung grundsätzlich als Forderungen gegen den Konkursiten persönlich bzw. nicht als Konkursforderung. Während bei natürlichen Personen für diese Forderungen zumindest die Chance auf Deckung durch neues Vermögen besteht, bleiben solche Forderungen gegenüber juristischen Personen durch deren Untergang nach dem Konkurs regelmässig ungedeckt. Als Rettungschance bietet sich auch hier das gesetzliche Retentionsrecht für Vermieter von Geschäftsräumen an. Sofern das Retentionssubstrat nach Deckung der rückständigen, retentionsgesicherten Mietzinsen noch einen Resterlös aufweist, kann für die Mietzinsforderungen für die ersten sechs Monate ab Konkurseröffnung das Retentionsrecht beansprucht werden (Art. 268 Abs. 1 OR), womit die Mietzinsforderungen zu Konkursforderungen werden und zumindest eine Chance auf Deckung erhalten.

III. FAZIT

Fällt der Mieter in Konkurs, sind die Chancen des Vermieters auf volle Deckung seiner Mietzinsforderungen in der Regel schlecht. Als vorbeugende Massnahme empfiehlt es sich, ein den Umständen entsprechendes Mietzinsdepot zu verlangen. Im Verzugsfall sind die Rechte des Vermieters bei Zahlungsrückstand (Mahnung mit Kündigungsandrohung) umgehend und korrekt geltend zu machen. Im Konkursfall gilt es, die Forderungen fristgerecht und mit Hinweis auf sämtliche Pfand- und Retentionsrechte einzugeben, da die Kollokation für die Chancen auf eine zumindest teilweise Deckung entscheidend ist.

.
27. Oktober 2014 / Dr. iur. Stephan Fröhlich


GELTENDMACHUNG VON MÄNGELRECHTEN BEI LIEFERUNG EINES ANDEREN ALS DEM BESTELLTEN, JEDOCH (TECHNISCH) BESSEREN PRODUKTS?

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In Werkverträgen werden oftmals ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen betreffend Werkseigenschaften geschlossen. Darin halten die Parteien fest, welche Eigenschaften das bestellte Werk aufweisen muss.

Es kann sich dabei um technische Eigenschaften (bspw. die Höhe der Schalldichte einer Tür) oder um bloss optische Eigenschaften (bspw. eine bestimmte Farbe) handeln. Wird nun im Fall einer vereinbarten technischen Eigenschaft ein abweichendes Werk geliefert, welches nicht die vereinbarte, sondern eine andere, jedoch technisch bessere Eigenschaft aufweist, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um einen Werkmangel im Sinne von Art. 368 OR handelt, welcher dem Besteller die gesetzlichen Mängelrechte (Wandelung/Minderung/Nachbesserung) einräumt.

I. MANGELHAFTIGKEIT DES WERKES

Ein Werk gilt dann als mangelhaft im Sinne des Gesetzes, wenn es nach der allgemeinen Verkehrsanschauung fehlerhaft ist oder wenn es nicht diejenige Beschaffenheit aufweist, die nach dem Vertrag geschuldet ist. Im zweitgenannten Fall kann sich die Frage stellen, ob ein Werk, welches in einem Punkt zwar nicht die vereinbarten Eigenschaften aufweist, in ebendiesem Punkt jedoch eine (technisch) bessere Lösung bietet, überhaupt ein Mangel i.S.v. Art. 368 OR darstellt.

1. Vereinbarte Eigenschaften

Als vereinbarte Eigenschaft gelten einerseits die allgemeinen Merkmale eines Werkes, wie bspw. das Material, die Form, die Abmessung eines Werkes oder deren Ausführung, und andererseits aber auch die besonderen Merkmale eines Werkes, wie bspw. die genauere Beschreibung des Werkes, die Undurchlässigkeit eines Daches (BGE 93 II 316), die spezifische Leistungsfähigkeit einer Maschine, ein bestimmter Wärmedurchlasswert von Fenster- und Türrahmen, etc.

Ob und welche Werkeigenschaften durch eine entsprechende Abrede vereinbart worden sind, ist im Einzelfall durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Jede Eigenschaftsvereinbarung setzt eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien voraus (Art. 1 Abs. 1 OR). Bei der Beurteilung der Vertragswidrigkeit und folglich bei der Frage, was konkret Inhalt des Vertrages war, darf man sich allerdings nicht darauf beschränken, einzig und alleine auf den Wortlaut des Vertrages abzustellen, sondern es ist nach den Auslegungsregeln festzustellen, was die Parteien im konkreten Fall effektiv gewollt haben (vgl. BGer 4A_460/2009 vom 04.12.2009).

2. Werkmangel beim Fehlen der vereinbarten Eigenschaft?

Weist das Werk nicht die vereinbarten (vom Unternehmer zugesicherten) Eigenschaften auf, liegt immer ein Werkmangel vor, unabhängig davon, ob das betreffende Werk nach den „anerkannten Regeln der Technik“ oder einem gleichwertigen Standard erstellt worden ist. Das Werk weist somit auch dann einen Mangel auf, wenn es in seinen Eigenschaften wirtschaftlich oder technisch besser, wertvoller oder zum massgeblichen Gebrauch tauglicher ist, als es mit den vereinbarten Eigenschaften gewesen wäre. Fraglich ist freilich, ob dem Besteller in einem solchen Fall dennoch die gesetzlichen Mängelrechte zustehen.

II. GELTENDMACHUNG DER MÄNGELRECHTE

Grundsätzlich hat der Besteller eines Werkes, das vom Unternehmer im Sinne des Gesetzes oder der gegenseitigen Vereinbarung mangelhaft geliefert worden ist, Anspruch auf Wandlung des Vertrages, Minderung des Werklohnes oder Nachbesserung des Werkes.

1. Wandlung des Werkvertrages

Das Wandelungsrecht zielt auf die Aufhebung und Rückabwicklung des Werkvertrages ab. Da dies den Unternehmer schwer treffen kann, kann es nicht in jedem Fall der Mängelhaftung geltend gemacht werden. Als besondere Voraussetzung dafür muss die Annahme des Werkes für den Besteller unzumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit ist eine Ermessensfrage. Entscheidend ist, ob es dem Besteller nach „Recht und Billigkeit“ zugemutet werden kann, das abgelieferte Werk zu behalten. Diese Frage ist freilich einzelfallorientiert zu beantworten. In einem Fall, in welchem die Mangelhaftigkeit des Werkes bloss in der Abweichung einer vertraglich vereinbarten, technischen Eigenschaft liegt, das gelieferte Werk jedoch technisch besser ist, ist diese Frage sicherlich zu verneinen. Handelt es sich bei der Vereinbarung jedoch bspw. um die Farbe des Werkes und wird das Werk in einer anderen Farbe geliefert, kann sich eine Wandlung des Vertrages durchaus rechtfertigen.

2. Minderung des Werkpreises

Das Minderungsrecht setzt voraus, dass das Werk auch effektiv einen Minderwert aufweist. Dies ist nur dann der Fall, wenn zwischen dem abgelieferten – mangelhaften – Werk und dem vereinbarten – mängelfreien – Werk eine effektive Wertdifferenz besteht. Dies ist bei der Lieferung eines Werkes mit – zwar vom Vertrag abweichenden, jedoch besseren – Eigenschaften nicht der Fall. Dem Minderungsrecht des Bestellers wird in einem solchen Fall somit die Grundlage entzogen (Gauch, Der Werkvertrag, N 1638). Der Besteller kann sich folglich in diesem Fall nicht auf das Minderungsrecht gemäss Art. 368 Abs. 2 OR berufen.

3. Nachbesserung

Das Nachbesserungsrecht gibt dem Besteller das Recht, den Unternehmer zur unentgeltlichen Nachbesserung und zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Als besondere Voraussetzungen dafür muss es dem Unternehmer einerseits möglich sein, den Mangel zu beheben und andererseits darf die Nachbesserung nicht übermässige Kosten verursachen. Übermässig sind Kosten dann, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen, den die Mangelbeseitigung für den Besteller hat, stehen. Die Nachbesserung im vorstehend geschilderten Fall wäre daher (unter den erläuterten Voraussetzungen) grundsätzlich möglich. Die „Nachbesserung“ eines Werkes zu einem schlechteren Produkt scheint allerdings wohl in den seltensten Fällen sinnvoll zu sein.

III. FAZIT

Ein Werk, welches nicht die von den Parteien im Vertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist, stellt immer ein mangelhaftes Werk im Sinne des Gesetzes dar. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob es auch nach den „anerkannten Regeln der Technik“ minderwertig ist oder nicht. Der Besteller soll sich darauf verlassen dürfen, dass das von ihm bestellte Werk über jene Eigenschaften verfügt, die ihm vom Unternehmer vertraglich versprochen worden sind. In jenem Fall allerdings, in welchem das vom Vertrag abweichende (und im Sinne des Gesetzes daher mangelhafte) Werk technisch besser ist als das von ihm tatsächlich Bestellte, wird es in den meisten Fällen an den besonderen Voraussetzungen für die Geltendmachung der Mängelrechte durch den Besteller fehlen, so dass dieser zwar ein „mangelhaftes“ Werk im Sinne des Gesetzes hat, aufgrund des nicht vorliegenden Nachteils jedoch keine Mängelrechte geltend machen kann. Im Ergebnis hat er sich daher mit dem besseren, wenn auch im Sinne des Gesetzes mangelhaften, Werk abzufinden.

.

11. Oktober 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick


ZUGEPARKT – WAS TUN?

MLaw Kim Goetzinger, Rechtsanwältin

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

I. EINLEITUNG

Was bestehen für Möglichkeiten, wenn der Privatparkplatz – sei es der eigene oder auch derjenige, der einem als Mieter zusteht – durch ein fremdes Fahrzeug genutzt wird? Abschleppen (-lassen)? Hat man die Kosten des Abschleppdienstes selber zu tragen oder kann man diese auf den Parksünder überwälzen? Was hat man infolge eigenmächtigen Handelns zu befürchten und was bestehen für Möglichkeiten, solche Situationen inskünftig zu vermeiden? Im folgenden Beitrag geht es um eine kurze Darstellung eines alltäglichen Problems, welches sich heute oder morgen jedem stellen kann.

II. BESITZESSCHUTZ

Jeder Besitzer eines Parkplatzes, namentlich Grundeigentümer, Dienstbarkeitsberechtigter oder Mieter, kann sich wehren, sollte sein Parkplatz durch einen Unberechtigten zugeparkt worden sein. Im Fachjargon spricht man von Besitzesschutz. Was heisst das? Es wird zwischen verschiedenen Vorgehensweisen im Rahmen des Besitzesschutzes unterschieden:

Selbsthilferecht (Art. 926 ZGB):

Dieses Recht soll jedem Besitzer ermöglichen, verbotener Eigenmacht durch Gewalt zu begegnen und so den Besitz wieder zu erlangen. Das Abstellen von Fahrzeugen auf privatem Grund stellt ohne Einwilligung des Besitzers immer verbotene Eigenmacht dar. Dies gilt selbst für den Fall, dass der Eigentümer ohne Einwilligung den Parkplatz eines Mieters besetzt. Das Gesetz verlangt für die Selbsthilfe, dass man sofort reagiert (Art. 926 Abs. 1 ZGB). Demgegenüber wird gemäss Art. 926 Abs. 3 ZGB aber auch ein verhältnismässiges Vorgehen verlangt, indem von nicht gerechtfertigter Gewalt abzusehen ist. Die beiden Bestimmungen stehen in einem gewissen Widerspruch zueinander, da das Abwägen verschiedener Möglichkeiten und Abklärungen ein Handeln gegenüber dem Parksünder verzögern können. Hier ist in erster Linie auf den gesunden Menschenverstand zu verweisen.

Die konkreten Umstände können es gebieten, von einem Abschleppen (-lassen) einstweilen abzusehen oder den Fahrzeugführer zuerst zu kontaktieren. Dies gilt beispielsweise für die Fälle, in denen man momentan selbst gar nicht auf den Parkplatz angewiesen ist. Ebenfalls ist eine Kontaktaufnahme geboten, wenn der Parksünder bekannt ist und/oder leicht ausfindig gemacht und auf Platz bestellt werden kann. Eine Recherche im Internetportal www.linker.ch, über welches der Fahrzeughalter in vielen Fällen festgestellt werden kann, hilft möglicherweise. Ist eine Kontaktaufnahme nicht möglich bzw. zumutbar, muss – will man vom Selbsthilferecht Gebrauch machen – umgehend reagiert werden. In Bezug auf den zugeparkten Parkplatz bedeutet dies, dass ohne grössere Verzögerung ein (privater) Abschleppdienst aufzubieten ist.

Das Selbsthilferecht dient ausschliesslich der Besitzesverschaffung und nicht auch der Sicherstellung der Kosten bzw. der Geldforderung. Für die Abschleppkosten hat der Besitzer in erster Linie selbst aufzukommen. Diese können im Nachhinein gegenüber dem Parksünder geltend gemacht werden, sei dies privat oder auf dem gerichtlichen Weg (siehe hiernach). Falls der Parksünder nicht bezahlt oder das Gericht zum Schluss gelangen sollte, dass der Besitzer voreilig und unverhältnismässig gehandelt hat, bleibt dieser auf den Kosten sitzen, weshalb das Abschleppen (-lassen) überlegt sein will. Gestützt auf Art. 926 ff. ZGB ist es weder möglich, den Falschparker an der Weiterfahrt zu hindern, bis er die Kosten eines allenfalls bereits aufgebotenen Abschleppdienstes begleicht, noch ist es möglich, den Abschleppdienst anzuweisen, das Fahrzeug nur gegen Bezahlung der Abschlepp- bzw. Aufbewahrungskosten herauszugeben. Es ist im spezifischen Fall zu eruieren, ob dies allenfalls gestützt auf eine andere Grundlage möglich wäre (Retentionsrecht).

Wird mit Handeln zugewartet und befindet sich ein fremdes Fahrzeug schon länger auf dem Parkplatz, stehen dem Besitzer immerhin noch die Rechtsbehelfe gemäss Art. 927 f. ZGB zur Verfügung, was jedoch den Gang vor den Richter bedeutet. Auch denkbar wäre, vom allgemeinen Selbsthilferecht gemäss Art. 52 Abs. 3 OR Gebrauch zu machen, wobei bei dieser Bestimmung vorausgesetzt wird, dass amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und die Vereitelung eines bestehenden Anspruchs oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung anders nicht verhindert werden kann.

Keinesfalls zu empfehlen ist, dass man sich als Berechtigter so hinstellt, dass sich der Falschparker nicht mehr entfernen kann, da man so eine Strafanzeige wegen Nötigung riskiert, wobei jeweils für den Einzelfall bestimmt werden muss, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind. Eine pauschale Aussage ist diesbezüglich kaum möglich.

Klage aus Besitzesentziehung bzw. -störung (Art. 927 bzw. 928 ZGB):

Durch das Zuparken eines Unberechtigten wird dem Besitzer des Parkplatzes der Besitz an diesem entzogen. Wird lediglich einer von mehreren Parkplätzen besetzt, so handelt es sich nicht um eine Besitzesentziehung sondern um eine Besitzesstörung. Der Besitzer kann in beiden Fällen auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes sowie zusätzlich auf Schadenersatz klagen, wobei die Klagen nach Bekanntwerden des Eingriffs sowie des Täters zu erheben sind.

Eine Klage auf Beseitigung der Besitzesentziehung bzw. –störung erhält nur Rechtsschutz, wenn dieser Zustand andauert und somit nur dann, wenn sich das Fahrzeug nach wie vor verbotenerweise auf dem privaten Parkplatz befindet. Dem Besitzer steht es grundsätzlich auch zu, auf künftige Unterlassung der Besitzesentziehung bzw. –störung zu klagen. Von diesem Rechtsbehelf wird insbesondere bei einem chronischen Falschparker Gebrauch zu machen sein, bei welchem weitere Störungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.

Schadenersatz kann gestützt auf Art. 927 Abs. 3 bzw. Art. 928 Abs. 2 ZGB geltend gemacht werden, wobei diese beiden Bestimmungen keine eigenen Haftungsnormen darstellen, sondern vielmehr auf das allgemeine Haftpflichtrecht gemäss Art. 41 Abs. 1 OR verweisen. Die Widerrechtlichkeit liegt in der verschuldeten und verbotenen Eigenmacht, die natürlich und adäquat-kausal zum eingetretenen Schaden (Kosten) führt. Dass der Parkplatzbesitzer selber den Abschleppdienst bestellt hat, ist irrelevant. Über diese Norm kann der gestörte Besitzer folglich die durch die Dienstleistung der Abschleppdienste entstandenen Kosten gegenüber dem Falschparker (und nicht etwa gegenüber dem Halter des Fahrzeuges) geltend machen. Darüber hinaus kann der Schadenersatz Parkgebühren für die Miete eines Ersatzparkplatzes sowie den Wert der unbefugten Belegung des Parkplatzes im Sinne der Parkgebühr, sofern eine solche regelmässig für die Benutzung des Parkplatzes verlangt wird, umfassen.

III. GERICHTLICHES VERBOT

Um sich präventiv gegen Falschparker zu wehren, kann es sinnvoll sein, präventiv zu handeln und für die Zukunft vorzusorgen. Neben Absperrvorrichtungen besteht für eine an einem Grundstück bzw. Parkplatz dinglich berechtigte Person (Eigentümer, Dienstbarkeitsberechtigter, nicht: Mieter, Pächter) die Möglichkeit eines gerichtlichen Verbots gemäss Art. 258 ZPO.

Das gerichtliche Verbot besteht in einer an die Allgemeinheit (und nicht gegen eine konkrete Einzelperson) gerichteten und auf ein konkretes Grundstück bezogenen Verfügung, künftige Besitzesstörungen zu unterlassen. Nach Bewilligung des gerichtlichen Verbots kann der Störer auf Antrag hin vom Strafrichter mit einer Busse bis CHF 2‘000.00 bestraft werden. Von Amtes wegen erfolgt keine Strafverfolgung.

Der Gesuchsteller hat für die Erlangung eines gerichtlichen Verbotes beim zuständigen Gericht sein dingliches Recht mit Urkunden zu beweisen (aktueller Grundbuchauszug) und eine bestehende oder drohende Störung glaubhaft zu machen (z.B. Foto, Zeugenbeizug). Für die Kosten des Verfahrens mitsamt öffentlicher Bekanntmachung muss der Gesuchsteller aufkommen. Im Antrag hat der Gesuchsteller den Wortlaut des Verbots wiederzugeben. Dieser könnte beispielsweise folgendermassen lauten:

„Unberechtigten wird das Führen und Parkieren von Fahrzeugen aller Art auf der Liegenschaft (Adresse, Ort), Grundbuchblatt (…), Kataster-Nr. (…) verboten. Berechtigt sind nur die Mieter auf den ihnen zugewiesenen Parkplätzen, Besucher der Mieter auf den als Besucherparkplätzen bezeichneten Parkfeldern während der Dauer ihres Aufenthalts, Zulieferer/Lieferanten während der Dauer des Güterumschlags und Dienstbarkeitsberechtigte im Rahmen ihrer Dienstbarkeit. Wer dieses Verbot verletzt, wird auf Antrag mit einer Busse bis zu CHF 2‘000.00 bestraft“.

Ein Parkplatz, der mit einem gerichtlichen Verbot versehen ist, mag manch einen Autofahrer eher davon abhalten, darauf zu parkieren. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Wahl dieses Vorgehens für den dinglich Berechtigten damit sein Bewenden hat. Nicht möglich ist die zusätzliche oder ausschliessliche Androhung des kostenpflichtigen Abschleppens eines widerrechtlich auf einem privaten Grundstück geparkten Fahrzeuges. Dies hat auf die hiervor (Ziff. II.) beschriebene Art und Weise zu geschehen. Tendenziell ist ein gerichtliches Verbot zu empfehlen, wenn es regelmässig zu Verstössen kommt und diese auch regelmässig angezeigt werden, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten.

Regelmässig zu beobachten ist, dass Grundeigentümer bzw. dinglich Berechtigte den Falschparker ersuchen, eine Umtriebsentschädigung zu entrichten, wobei er mit der Bezahlung innert Frist verhindern kann, dass eine Verzeigung wegen Missachtung des gerichtlichen Verbots erfolgt. Eine solche Zahlungsaufforderung ist solange rechtens, als sie direkt vom Grundeigentümer bzw. der am Parkplatz dinglich berechtigten Person oder aber von einem über diese Person Beauftragten (z.B. Hauswart, Verwaltung, privates Unternehmen) stammt. Abschleppunternehmen, die in eigener Sache handeln – dies quasi ihr Geschäftsmodell darstellt – handeln ohne rechtliche Grundlage und machen sich allenfalls sogar strafrechtlich verantwortlich (unrechtmässige Aneignung, Sachentziehung wären hier vorderhand zu prüfen). Das Bundesgericht erachtete einmal eine Umtriebsentschädigung von CHF 30.00 (Urteil BGer 6S.77/2003) und in einem andern, neueren Fall eine im Umfang von CHF 52.00 als angemessen (Urteil BGer 6B_192/2014). Es wird empfohlen, tendenziell eher weniger zu verlangen, als der effektive Aufwand war. Damit kann man sich vom Vorwurf der Nötigung und der Erpressung entlasten. Grundsätzlich ist es erlaubt, jemandem mit einer Strafanzeige zu drohen, wenn diese in einem sachlichen Zusammenhang zum beanstandeten Verhalten steht und die Forderung nicht übersetzt oder sonst unberechtigt ist.

IV. FAZIT

Dass es zum Verzweifeln sein kann, wenn der eigene Privatparkplatz zugeparkt ist, wenn man ihn doch gerade selbst am dringendsten benötigt oder wenn Besucherparkplätze regelmässig durch Mieter oder andere Unberechtigte benutzt werden, ist ohne Weiteres nachvollziehbar. Fakt ist aber auch, dass ein überstürztes Aufbieten eines Abschleppdienstes mit Konsequenzen verbunden sein kann, die ebenso unangenehme Folgen nach sich ziehen.

Es sei auf die Kosten und den allfällig zu beschreitenden Rechtsweg hingewiesen. Bei chronischen Parksündern oder regelmässigen Belagerungen kann sich jedoch das rechtliche Vorgehen anbieten. In diesen Fällen ist insbesondere auch die Möglichkeit eines gerichtlichen Verbots in Erwägung zu ziehen.

.

17. August 2016 / MLaw Kim Goetzinger


ANFECHTUNG DES ANFANGSMIETZINSES

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt, und MLaw Matthias Meier

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Unter gewissen Voraussetzungen kann ein Mieter während eines laufenden Mietverhältnisses die Herabsetzung des Mietzinses verlangen (z.B. bei einer Reduktion des Referenzzinssatzes) oder eine ungerechtfertigte Mietzinserhöhung des Vermieters anfechten. Darüber hinaus kann unter Umständen bereits der Anfangsmietzins angefochten werden, soweit dieser missbräuchlich ist. Kürzlich hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung diesbezüglich in einem wegweisenden Entscheid präzisiert und die Position der Mieter gestärkt.

.

I. GRUNDLAGEN

Wer einen Vertrag abschliesst, muss ihn einhalten – das gilt auch im Mietrecht. So sind die Parteien im Mietverhältnis grundsätzlich an den ausgehandelten Mietzins gebunden. In der Praxis ist die Anfechtung des Anfangsmietzinses denn auch eher selten anzutreffen. Selbst bei einer überhöhten Miete sehen viele Mieter von einer Anfechtung des Mietzinses ab, weil sie Konsequenzen seitens des Vermieters befürchten, beispielsweise eine Kündigung. Das Gesetz begegnet dieser Gefahr damit, dass der Mieter, der den Mietzins anficht, sowohl während des Verfahrens als auch in den drei folgenden Jahren gegen eine Kündigung geschützt ist, sofern das Verfahren durch Vergleich zum Abschluss gekommen ist oder der Mieter zumindest teilweise obsiegt hat. Auf der anderen Seite gilt: Wer eine rechtzeitige Anfechtung des Anfangsmietzinses unterlässt – innert 30 Tagen nach Übernahme der Mietsache –, hat den Mietzins grundsätzlich akzeptiert. Er kann sich auch nicht später darauf berufen, dass beispielsweise ein anderer Mieter der gleichen Liegenschaft einen günstigeren Mietzins erstritten hat.

Die Anfechtung des Anfangsmietzinses ist grundsätzlich bei allen Wohn- und Geschäftsräumen möglich. Von vorneherein ausgeschlossenist sie jedoch bei luxuriösen Wohnungen und Einfamilienhäusern mit mindestens sechs oder mehr Wohnräumen (Art. 253b Abs. 2 OR), bei Ferienwohnungen, die für höchstens drei Monate gemietet werden (Art. 253a Abs. 2 OR), oder bei von der öffentlichen Hand geförderten Wohnungen, deren Mietzinse durch eine Behörde kontrolliert werden (Art. 253b Abs. 3 OR).

Für eine erfolgreiche Anfechtung muss der Mietzins einerseits missbräuchlich sein (nachfolgend II.) und andererseits alternativ eine persönliche Notlage, eine Zwangslage aufgrund der örtlichen Marktverhältnisse oder eine erhebliche Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem früheren Mietzins vorliegen (nachfolgend III.).

II. MISSBRÄUCHLICHKEIT DES MIETZINSES

Ein Mietzins ist missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird oder wenn er auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruht (Art. 269 OR). In der Praxis werden verschiedene Kriterien

und Methoden angewandt, um die zulässige Höhe des Mietzinses zu ermitteln. Mit den absoluten Anpassungskriterien wird der Mietzins losgelöst vom bislang gültigen Mietzins bestimmt. Absolute Kriterien sind die Rendite (Nettorendite gemäss Art. 269 OR oder Bruttorendite gemäss Art. 269a lit. c OR) und die orts- und quartierübliche Vergleichsmiete (Art. 269a lit. a OR). Mit den relativen Anpassungskriterien wird von der letzten Mietzinsfestsetzung ausgegangen und untersucht, wie sich die massgeblichen Faktoren seither verändert haben. Die wichtigsten relativen Kriterien sind wertvermehrende Investitionen sowie die Anpassung an Kostenveränderungen (veränderte Hypothekarzinsen, Unterhalts- und Betriebskosten, Gebühren und Abgaben) und der Teuerungsausgleich auf dem investierten Eigenkapital.

Die Berechnung des „gerechten“ Mietzinses hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab und gestaltet sich für Laien zumeist schwierig, nicht zuletzt weil das Gesetz die Kriterien und Voraussetzungen nur rudimentär regelt.

Art. 269a OR listet immerhin auf, wann ein Mietzins in der Regel als nicht missbräuchlich eingestuft wird, so namentlich bei einer Anpassung an Orts- und Quartierüblichkeiten, bei Kostensteigerungen für Unterhalt und Verwaltung der Mietsache, bei Hypothekarzinserhöhungen oder bei einer Anpassung an die Teuerung.

III. NOT-/ZWANGSLAGE BZW. ERHEBLICHE ERHÖHUNG DES MIETZINSES

Gemäss Art. 270 Abs. 1 OR kann der Mieter einen missbräuchlichen Anfangsmietzins anfechten,

– wenn er sich wegen einer persönlichen oder familiären Notlage zum Vertragsabschluss gezwungen sah,

– wenn er wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zum Vertragsabschluss gezwungen sah oder

– wenn der Mietzins gegenüber dem früheren Mietzins für dieselbe Mietsache erheblich erhöht worden ist.

Eine persönliche oder familiäre Notlage kann unterschiedlich begründet sein: Scheidung oder Trennung, Geburteines Kindes, Umzug wegen des Arbeits- oder Studienplatzes, Kündigung des bisherigen Mietverhältnisses, lange und fruchtlose Suche nach einer Wohnung etc. Liegt eine solche Notlage vor, kann vom Mieter nicht erwartet werden, dass er auf eine sich ihm bietende Gelegenheit zur Übernahme einer Mietsache verzichtet. EineZwangslage wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohnungen oder Geschäftsräumetritt auf, wenn ein Mangel an verfügbaren Wohn- und Geschäftsräumen vorliegt. Der Mieter hat in solchen Fällen nicht nachzuweisen, dass sich die Knappheit an leer stehenden Wohn- oder Geschäftsräumlichkeiten konkret auf seine Bemühungen ausgewirkt hat. Von einer relevanten Einschränkung der Wahlmöglichkeiten ist bei einer Leerstandsziffer von weniger als 1,5% auszugehen. In Baden liegt der Anteil an leer stehenden Wohnungenunter 1% (Stand 2015, Quelle Bundesamt für Statistik).

Als erhebliche Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem früheren Mietzins wird in der Regel ein Aufschlag von 10% und mehr betrachtet. Die Rechnungsgrundlagen des bisherigen und neuen Mietzinses spielen keine Rolle. Als Mietzins gilt der gesamte geschuldete Betrag für die Mietsache (Nettomietzins plus Nebenkosten).

Das Bundesgericht hat mit seinem kürzlich ergangenen Entscheid (BGer vom 18. Mai 2016, 4A_691/2015) bestätigt, dass nur eine dieser drei Voraussetzungen erfüllt sein muss. Die Vorinstanz – das Zürcher Obergericht – hatte noch ausgeführt, dass es für die Anfechtung des Anfangsmietzinses nicht genüge, dass eine Wohnungsnot vorliege. Vielmehr müsse ein Mieter zusätzlich eine persönliche Notlage beweisen und insbesondere belegen können, dass ihm eine vernünftige Alternative gefehlt habe. Das Bundesgericht führte dagegen aus, dass aufgrund der gesetzlichen Bestimmung klar sei, dass die Anfechtungsgründe alternativ zur Verfügung stünden. Ausserdem gehe es darum, dass dem Mieter bei der Aushandlung des Mietzinses keine vergleichbare Macht zukomme, weil er auf eine Wohnung angewiesen sei. So diene die Anfechtung aufgrund der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt denn auch dazu, den Missbrauch eines Marktungleichgewichts zu verhindern.

IV. FAZIT

Im Mietverhältnis sind die Parteien grundsätzlich an den ausgehandelten Mietzins gebunden. Das Gesetz sieht unter bestimmten Voraussetzungen jedoch die Möglichkeit vor, bereits gegen einen übersetzten Anfangsmietzins vorzugehen. Der Mieter muss sich hierfür innert 30 Tagen nach Übernahme der Mietsache an die zuständige Schlichtungsbehörde wenden und darlegen, dass der Mietzins missbräuchlich ist. Zusätzlich muss eine persönliche Notlage oder eine Zwangslage aufgrund der örtlichen Marktverhältnisse (wie z.B. eine Wohnungsnot) vorliegen oder der Mietzins gegenüber dem früheren Mietzins erheblich erhöht worden sein.

.

1. Juli 2016 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt, und MLaw Matthias Meier


DATENSCHUTZRECHTLICHE GRENZEN DER VIDEOÜBERWACHUNG BEI MIETLIEGENSCHAFTEN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und MLaw Antonia Mästinger

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hatte sich in einem kürzlich erschienenen Urteil mit der Frage der Rechtmässigkeit einer Videoüberwachungsanlage in einem Mehrfamilienhaus zu befassen. Beim Mehrfamilienhaus handelte es sich um ein dreiteiliges Gebäude mit insgesamt 24 Wohnungen, wobei jeder der drei Gebäudeteile über einen eigenen Eingang verfügte. Alle drei Teile waren durch einen internen Durchgang miteinander verbunden, welcher den Zugang zur gemeinsamen Autoeinstellhalle und zur Waschküche ermöglichte. In diesem Gebäude wurde durch die Vermieterschaft im Aussen- und Innenbereich des Wohngebäudes sowie in der Autoeinstellhalle eine Videoüberwachungsanlage mit insgesamt zwölf Kameras installiert. In der Folge wurden die Vermieter seitens eines Mieters dazu aufgefordert, die Überwachungskameras zu entfernen. Im Urteil 4A_576/2015 setzte sich das Bundesgericht daraufhin mit den datenschutzrechtlichen Grenzen der Videoüberwachung bei Mietliegenschaften auseinander.

I. RECHTLICHE GRUNDLAGEN

Das Bundesgericht hielt fest, dass das Mietrecht gemäss Art. 253 ff. OR keine besonderen Bestimmungen bezüglich der Bearbeitung von Personendaten des Mieters durch den Vermieter enthält, was bedeutet, dass auch im Rahmen eines Mietverhältnisses die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes Anwendung finden. Dieses ergänzt und konkretisiert den bereits durch das Zivilgesetzbuch (Art. 28 ff. ZGB) gewährleisteten Persönlichkeitsschutz.

Art. 15 Abs. 1 DSG bestimmt, dass gegen widerrechtliche Verletzungen der Persönlichkeit die Klage nach Art. 28 f. ZGB offensteht. Gemäss Art. 28a Abs. 1 ZGB kann die klagende Partei dem Gericht beantragen, eine drohende Verletzung zu verbieten, eine bestehende Verletzung zu beseitigen oder die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt. Die Beweislast für die Persönlichkeitsverletzung trägt die klagende Partei, während die beklagte Partei als Urheberin der Verletzung diejenigen Tatsachen zu beweisen hat, welche einen Rechtfertigungsgrund darstellen.

Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass die Aufzeichnung von Bildern durch eine Videoüberwachungsanlage, welche es erlaubt, bestimmte Personen zu identifizieren, unbestreitbar in den Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes falle, welches in Art. 3 lit. e DSG festlegt, dass unter dem Bearbeiten von Personendaten jeder Umgang mit Personendaten zu verstehen ist, unabhängig von den angewandten Mitteln und Verfahren, insbesondere das Beschaffen, Aufbewahren, Verwenden, Umarbeiten, Bekanntgeben, Archivieren oder Vernichten von Daten. Unter Personendaten sind gem. Art. 3 lit. a DSG alle Angaben, welche sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen, zu verstehen. Darunter fallen auch Bilder, ohne dass die Beschaffenheit des Datenträgers relevant ist. Entscheidend ist bloss, dass sich die Angaben einer Person zuordnen lassen.

Da somit die Aufzeichnung von Bildern durch eine Videoüberwachungsanlage unter das Datenschutzgesetz fällt, hat der Vermieter, welcher eine Videoüberwachungsanlage in einem Mietshaus betreiben möchte, insbesondere die allgemeinem Bearbeitungsgrundsätze gemäss Art. 4 DSG sowie die Vorgaben zur Bearbeitung von Personendaten durch Privatpersonen gemäss Art. 12 ff. DSG zu beachten. Art. 12 Abs. 1 DSG bestimmt, dass wer Personendaten bearbeitet, die Persönlichkeit der betroffenen Person nicht widerrechtlich verletzen darf. In Art. 13 Abs. 1 DSG sind die Rechtfertigungsgründe geregelt, welche vorsehen, dass eine Verletzung der Persönlichkeit widerrechtlich ist, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. Grundsätzlich kann jedes Interesse von allgemein anerkanntem Wert berücksichtigt werden.

II. ABWÄGUNG DER MIETER- UND VERMIETERINTERESSEN

Anlässlich eines Augenscheins der Liegenschaft inkl. Vorplatz und Autoeinstellhalle stellte die Vorinstanz fest, dass die Videoüberwachungskameras geeignet seien, Straftaten zu verhindern. Die Kameras seien mit gut sichtbaren Hinweisschildern versehen und an zentralen Stellen auf dem Vorplatz zu den drei Hauseingängen der Liegenschaft, in den drei Hauseingangsbereichen, in den Durchgängen zwischen den Liegenschaftsteilen sowie bei den Zugängen zur Waschküche, in der Autoeinstellhalle sowie über dem Eingang zur Autoeinstellhalle montiert.

Um die Liegenschaften oder die Autoeinstellhalle zu betreten, müssten diese Kamerastandorte passiert werden. Eine gleich geeignete, mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg sei nicht ersichtlich, da eine Verbesserung der Beleuchtung nicht gleich wirkungsvoll sei. Weiter wurde festgestellt, dass die Aufnahmen auf 24 Stunden beschränkt seien und anschliessend überspielt würden, so dass die Massnahme auch unter diesem Blickwinkel massvoll erscheine.

Das Bundesgericht hielt fest, dass ein allgemeines Interesse der Eigentümer und der einer Überwachungsmassnahme zustimmenden Mieter an der Verhinderung von Vandalenakten und Einbrüchen nicht ohne Weiteres jede Videoüberwachung im Innern eines Wohnhauses rechtfertige. Genau so wenig geht jedoch der Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV), der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) oder der Schutz auf körperliche Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2 BV) in der Weise vor, dass eine Videoüberwachung in Räumen, welche für alle Bewohner zugänglich sind, ohne die Zustimmung sämtlicher Betroffener stets als unzulässig zu erachten wäre. Stets ist also eine konkrete Interessenabwägung unter Einbezug sämtlicher Umstände vorzunehmen. Handelt es sich um einen anonymen Wohnblock, in welchem eventuell sogar ein Risiko von Übergriffen besteht, kann eine Videoüberwachung im Eingangsbereich durchaus angemessen und für sämtliche Betroffenen zumutbar sein, wogegen dies in einem kleinen Mehrfamilienhaus, in welchem sich alle Nachbarn kennen, eher nicht der Fall sein dürfte.

Im vorliegenden Fall lag ein erhebliches Interesse der Vermieterschaft an der Verhinderung von Einbrüchen und Vandalenakten vor. Auch begrüssten die Mieter das eingerichtete Videoüberwachungssystem mehrheitlich. Das Bundesgericht stimmte jedoch der Vorinstanz zu und entschied, dass eine dauerhafte Überwachung im Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre darstelle, da diese eine systematische Erhebung des Verhaltens des Mieters ermögliche, da dieser diese Bereiche für den Zugang zu seiner Wohnung regelmässig passieren müsse. So würden die Tageszeiten erfasst, zu denen er die Liegenschaft betrete oder verlasse sowie Personen, die ihn allenfalls begleiten würden. Angesichts nur weniger Mietparteien und somit überschaubarer Verhältnisse sowie fehlender Hinweise auf eine konkrete Gefährdung stelle die Überwachung des Eingangsbereichs und der internen Durchgänge zur Waschküche eine übermässige Beeinträchtigung der Privatsphäre dar, welche durch die Ziele der Überwachung, wie Prävention und Aufklärung von Vandalismus und Einbrüchen, nicht ausreichend gerechtfertigt sei. Dies weil das, was sich im Innern der Mietliegenschaft zutrage, zumindest in den Bereichen der Durchgänge der Privatsphäre unterliege. Mit den in Frage stehenden Kameras wäre es möglich, Lebenssituationen des Mieters festzuhalten, welche dem Einblick der Vermieterschaft entzogen bleiben müssten. Die Videoüberwachung innerhalb des Mietobjekts führe zu einer übermässigen Beeinträchtigung des Beschwerdegegners in der unbeobachteten Nutzung, insbesondere des Waschküchenvorraums, und lasse sich mit den Zielen der Videoüberwachung, der Prävention und Aufklärung von Einbrüchen und Vandalismus, nicht ausreichend rechtfertigen. Ausserdem werde das Interesse der Vermieterschaft und der einverstandenen Mieter an einer wirksamen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten auch ohne die als unzulässig erklärten Videobilder mit den übrigen Kameras, unter anderem den Aussenkameras auf dem Vorplatz zu den drei Hauseingängen, gewahrt. Diese Kamerastandorte, vor allem derjenige über dem Eingang zur Autoeinstellhalle und in der Halle selbst, liessen sich mit den Zielen der Überwachung vereinbaren und die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Beschwerdegegners erscheine als zumutbar, da bei einem rechtswidrigen Betreten der Autoeinstellhalle durch Unbefugte Sachwerte unmittelbar bedroht würden.

III. FAZIT

Ob die Persönlichkeit eines Mieters durch eine Videoüberwachungsanlage verletzt wird, ist durch umfassende Abwägung der Interessen des Mieters sowie des Vermieters und allfälliger der Kameraüberwachung zustimmender Mitmieter zu beurteilen. In Bereichen, die der Privatsphäre unterliegen, wie beispielsweise dem Hauseingang sowie dem Durchgang zur Waschküche, beurteilt das Bundesgericht die Beeinträchtigung der Privatsphäre durch eine Videoüberwachung als übermässig. Zulässig sind Überwachungsanlagen jedoch auf dem Vorplatz zum Hauseingang oder über dem Eingang zur Autoeinstellhalle, da die Persönlichkeitsrechte des Mieters durch Kameras an diesen Standorten weniger beeinträchtigt werden, da Kameras an diesen Standorten keine systematische Erhebung des Verhaltens des Mieters ermöglichen, wie dies bei Kameras im Hauseingang der Fall ist. Folglich kann der Mieter vorliegend gestützt auf Art. 15 DSG die Beseitigung der Kameras im Hauseingang und im Durchgang zur Waschküche verlangen.
.

25. April 2016 / lic. iur. Stephan Hinz

GEISSMANN RECHTSANWÄLTE AG
MELLINGERSTRASSE 2A, FALKEN, POSTFACH 2078, 5402 BADEN, TEL +41 56 203 00 11
TURNERSTRASSE 6, POSTFACH, 8042 ZÜRICH, TEL +41 44 204 53 63