ALTRECHTLICHE ZAHLVATERSCHAFT UND (FEHLENDES) ERBRECHT DES ANERKANNTEN KINDES

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Vor dem 1. Januar 1978 in der Schweiz ausserehelich geborenen Kindern steht in der Regel  (nach derzeitiger Rechtspraxis) gegenüber dem leiblichen Vater kein gesetzlicher Erbanspruch zu, weil dieser ein rechtliches Kindesverhältnis voraussetzt. Dies gilt wegen der damaligen Rechtslage und allzu kurzen, oftmals nicht beachteten Übergangsfristen selbst dann, wenn das Kind vom leiblichen Vater anerkannt und für es Unterhalt bezahlt wurde: Die sogenannte «Zahlvaterschaft» begründet keinen gesetzlichen Erbanspruch. Es dürfte nach wie vor tausende von «Zahlkindern» geben, die – teilweise trotz enger Beziehung zum leiblichen Vater – aus Unkenntnis von dessen Erbschaft ausgeschlossen sind. Was tun?

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I. RECHTSLAGE VOR DEM 1. JANUAR 1978

Das altrechtliche Schweizerische Abstammungsrecht kannte zwei Arten von Verhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserehelich geborenen Kind. Einerseits gab es in bestimmten Konstellationen und im Falle, dass das Kind vom leiblichen Vater ausdrücklich mit Standesfolge anerkannt (oder dies mittels entsprechendem Vaterschaftsfeststellungsurteil angeordnet) wurde, ein eigentliches rechtliches, auch den Erbanspruch begründendes Kindesverhältnis zum Vater. Andererseits – dies insbesondere für im Ehebruch gezeugte Kinder – sah die Rechtsordnung eine Anerkennung ohne Standesfolge vor, welche dem Kind zwar einen Anspruch auf Unterhaltsbeiträge gegen den leiblichen Vater verschaffte, aber kein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch keine Erbansprüche zwischen dem leiblichen Vater und seinem Kind begründete. Entsprechend erfolgte auch kein Eintrag des Kindes im Familienregister des sogenannten blossen «Zahlvaters».

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II. NEUE RECHTSLAGE UND ÜBERGANGSRECHT

Mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtsrevision am 01.01.1978 verschwand das Institut der Zahlvaterschaft aus der Schweizerischen Rechtsordnung. Neu wurden mit jeder festgestellten oder anerkannten Vaterschaft ein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch ein Erbanspruch begründet. Für die unter altem Recht und somit vor dem 31.12.1977 geborenen und unter die Anerkennung der Vaterschaft ohne Standesfolge fallenden Kinder wurde mit Art. 13a SchlT ZGB ein leider eng beschränkter Anspruch geschaffen, die Zahlvaterschaft in eine volle Vaterschaft (mit Standes- und Erbfolge) umzuwandeln. Nur Kinder die per 01.01.1978 noch nicht 10 Jahre alt waren und nur solche, welche innert 2 Jahren (das heisst bis 31.12.1979) auf Feststellung des Kindesverhältnisses klagten, konnten eine solche Umwandlung der bisherigen reinen Zahlvaterschaft und ihre Eintragung als Kind im Familienregister des Vaters erzwingen. Wer früher geboren wurde oder diese Klagefrist verwirkte, steht noch heute unter der reinen Zahlvaterschaft und hat keinen Erbanspruch gegenüber seinem leiblichen Vater; dies selbst dann, wenn die Anerkennung der Vaterschaft (und die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) seinerzeit in einer amtlichen Urkunde festgestellt wurden.

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III. KEINE ERBBERECHTIGUNG BEI REINER ZAHLVATERSCHAFT

Wie hiervor bereits ausgeführt, hat das ohne Standesfolge anerkannte Kind keinen gesetzlichen Erbanspruch, was oftmals weder ihm noch dem leiblichen Vater bewusst und keinesfalls auch immer so gewollt ist. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, in welchem Vater und Kind – allenfalls nach einer Übergangsphase – eine enge familiäre Beziehung gelebt und gerade deswegen bzw. im Vertrauen auf die seinerzeit erfolgte Anerkennung (oder aus Unkenntnis) auf rechtliche Abklärungen oder gar gerichtliche Schritte verzichtet haben. Umso mehr, als das Bundesgericht die 2-jährige Klagefrist gemäss Art. 13a SchlT ZGB konstant als verbindlich qualifizierte und auch die Frist  für die allgemeine Klage auf Feststellung eines Kindesverhältnisses gemäss Art. 263 Abs. 1 und 263 Abs. 3 ZGB restriktiv anwendet – dies gerade in Streitfällen um eine allfällige Erbberechtigung – stellt sich die Frage, ob das «Zahlkind» und/oder der «Zahlvater» die unerfreuliche Tatsache einer fehlenden Erbberechtigung trotz biologischer Vaterschaft hinzunehmen haben und eine derart strenge Praxis nicht gegen Art. 8 EMRK verstösst?

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IV. BEGRÜNDUNG DER ERBBERECHTIGUNG DURCH EINE ANERKENNUNG VON TODES WEGEN

Gemäss Art. 260 Abs. 3 ZGB entsteht das rechtliche Kindesverhältnis zum Vater auch dann, wenn dieser seine Vaterschaft durch letztwillige Verfügung (Testament) anerkennt. Vorausgesetzt ist allerdings, dass diese Anerkennung im Testament ausdrücklich gewollt und unmissverständlich ist. Eine solche Anerkennung von Todes wegen begründet auch für frühere «Zahlkinder» ein rechtliches Kindesverhältnis und damit den Anspruch auf Eintragung im Familienregister des Erblassers und – insbesondere – auf einen gesetzlichen (pflichtteilsgeschützten) Erbanspruch.

Dieses letztwillig begründete «echte» Kindesverhältnis hat zur Folge, dass der Erbanfall steuerfrei bleibt. Anders ist die Rechtslage dann, wenn der leibliche Vater letztwillig keine rechtliche Anerkennung vornimmt, sondern sein leibliches aber von Gesetzes wegen nicht erbberechtigtes «Zahlkind» (siehe oben) im Rahmen der Dispositionsfreiheit letztwillig begünstigt, das heisst als Erbe einsetzt oder ihm ein Vermächtnis ausrichtet. Je nach verfügbarer Quote kann dies zwar einen gleich hohen Anspruch des «Zahlkindes» am Nachlass zur Folge haben, welcher aber der (in der Regel hohen) Erbschaftsteuer unterliegt, weil das nicht anerkannte Kind steuerrechtlich wie eine Drittperson zu qualifizieren ist.

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V. ANFECHTUNG DER FEHLENDEN ERBBERECHTIGUNG DURCH DAS «ZAHLKIND»

Für ein ohne Standesfolge anerkanntes Kind, welches vor 1968 geboren wurde oder die 2-jährige Klagefrist nach Art. 13a SchlT  ZGB verpasst hatte, war nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts der Versuch, doch noch ein rechtliches Kindesverhältnis und damit eine Erbberichtigung herbeizuführen, chancenlos. Im Entscheid BGE 5A_423/2016 vom 7. März 2017 begründete das Bundesgericht die Abweisung einer Feststellungsklage des altrechtlich geborenen Kindes allerdings nicht mehr mit dem Verweis auf den fehlenden Anspruch bzw. die verpasste Frist nach Art. 13a SchlT ZGB, sondern mit einer unverändert engen Auslegung von Art. 263 Abs. 3 ZGB, weshalb im konkreten Fall die Zulässigkeit der Klage (einer 1964 geborenen Frau) auf Feststellung der Vaterschaft dennoch verneint wurde. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wurde vom EGMR abgewiesen, obwohl das Recht auf Begründung eines rechtlichen Kindesverhältnisses zum leiblichen Vater anerkanntermassen unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht.

Sollte das Bundesgericht auch zukünftig in Fällen altrechtlich ohne Standesfolge anerkannter Kinder Art. 263 Abs. 3 ZGB als grundsätzlich anwendbar betrachten, so besteht unter dem Schutz von Art. 8 EMRK und dessen zeitgemässer Auslegung für das Kind allenfalls in denjenigen Fällen eine Chance auf nachträgliche Feststellung des rechtlichen Kindesverhältnisses und damit der Erbberichtigung, in welchen das Zuwarten mit Abklärungen oder einer früheren Vaterschaftsklage entschuldbar ist: Dies namentlich also in Fällen, in denen das Kind erst mit dem Tod seines leiblichen Vaters von dessen Vaterschaft erfährt oder es ihm aus anderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen weder möglich noch zumutbar war, das rechtliche Vaterschaftsverhältnis früher klären zu lassen.

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VI. FAZIT

«Zahlväter» und vor dem 01.01.1978 geborene, ohne Standesfolge anerkannte Kinder, welche einen (steuerbefreiten) gesetzlichen Erbanspruch auch dieses «Zahlkindes» begründen wollen, müssen rechtzeitig Vorkehrungen (Anerkennung mittels Testament) treffen, was eine umfassende Klärung und Beratung durch Fachpersonen beinhaltet. Im Nachhinein, d. h. erst nach dem Tod des leiblichen Vaters, auf Feststellung der Vaterschaft und eine Erbberichtigung zu klagen, ist trotz des Obigen unverändert riskant und gegebenenfalls kostspielig.

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21. September 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


UNTERHALTSANSPRUCH: BEHANDLUNG DES ÜBERSCHUSSANTEILS BEI KINDERN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

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I. GRUNDSÄTZE DES KINDESUNTERHALTS

Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt wird in Art. 276 ff. ZGB geregelt. Dieser Anspruch steht dem Kind unabhängig davon zu, ob die Eltern verheiratet, geschieden oder (getrennte) Konkubinatspartner sind. Der Kindesunterhalt in Form von Geldzahlung (nachfolgend: Kindesunterhalt) setzt sich aus dem Barbedarf des Kindes und dem Betreuungsunterhalt zusammen.

Der Barbedarf deckt die laufenden Lebenskosten des Kindes, wie bspw. Kleider, Essen, Wohnkosten, etc. Der Betreuungsunterhalt findet seinen Grund im Anspruch des Kindes auf Betreuung. Der hauptbetreuende Elternteil kann aufgrund dieser Aufgabe nicht oder nur einer reduzierten Arbeitstätigkeit nachgehen. Dadurch erleidet der hauptbetreuende Elternteil eine Einkommenseinbusse. Ist diese Einbusse so gross, dass der hauptbetreuende Elternteil nicht in der Lage ist, seinen eigenen finanziellen Bedarf zu bestreiten, so ist im Umfang dieses Mankos Betreuungsunterhalt geschuldet. Auf diese Weise wird die Betreuung des Kindes sichergestellt. In der heutigen Zeit liegen sehr viele unterschiedliche Familienmodelle vor. Der Einfachheit halber wird jedoch nachfolgend davon ausgegangen, dass der Vater keine Betreuungsaufgaben übernimmt und deshalb der unterhaltspflichtige Elternteil und die Mutter der hauptbetreuende und damit unterhaltsberechtigte Elternteil ist.

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II. ÜBERSCHUSSVERTEILUNG

Verbleiben beim Unterhaltspflichtigen nach der Deckung des Barbedarfs sowie des Betreuungsunterhalts und seines eigenen Bedarfs weitere finanzielle Mittel (sog. Überschuss), kann der Kindesunterhalt durch Zuweisung eines Überschussanteils erhöht werden. Die Überschussanteile werden nach grossen (Eltern) und kleinen (Kinder) Köpfen verteilt. In einer Familie mit einem Kind bedeutet dies, dass der grosse Kopf jeweils zwei Anteile erhält, der kleine Kopf nur einen. So werden dem Vater 2/5, der Mutter 2/5 und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen.

Bei verheirateten Paaren wird der Überschuss der gesamten Familie nach grossen und kleinen Köpfen zwischen den beiden Elternteilen und den Kindern verteilt. Bei unverheirateten Paaren hat die Mutter keinen Anspruch auf eine Überschussbeteiligung, weil keine gesetzliche Grundlage dazu vorliegt. Deshalb wird der Überschuss nur zwischen dem Vater und den Kindern aufgeteilt. Bei den zu definierenden Anteilen am Überschuss gibt es zwei unterschiedliche Verteilungsmethoden, mit welchen sich das Bundesgericht kürzlich im Urteil BGer 5A_597/2022 vom 7. März 2023 auseinanderzusetzen hatte.

Nach der ersten Verteilungsmethode wird bei einer Familie mit einem Kind der «grosse Kopf» der Mutter wie bei verheirateten Paaren in der Verteilung miteingerechnet. Der Überschussanteil der Mutter fällt dabei dem Vater zu, weil die Mutter mangels Heirat keinen Anspruch auf einen Überschussanteil hat. Damit werden dem Vater 4/5 (grosser Kopf der Mutter von 2/5 + grosser Kopf des Vaters von 2/5) und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1’200 (= 4 x CHF 300) und das Kind einen Anteil von CHF 300 erhalten. Diese Methode wird von der Mehrheit der Lehre vertreten. In der Lehre wird die Anwendung dieser Methode mit der Gleichbehandlung der Kinder von verheirateten Paaren und nicht verheirateten Paaren begründet, weil damit alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern rechnerisch denselben Anteil erhalten.

Nach der alternativen Verteilungsmethode wird der Anteil der Mutter am Überschuss zu Beginn nicht eingerechnet. Der Vater erhält als grosser Kopf 2/3 und das Kind als kleiner Kopf 1/3 des Überschusses. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1000 (= 2 x 500) und das Kind einen Anteil von CHF 500 erhalten. Diese Methode wird von der Minderheit der Lehre vertreten. Die Minderheitsmeinung weist darauf hin, dass der durch die Mutter generierte Überschuss gemäss Bundesgericht in der Berechnung nicht berücksichtigt werden darf (BGer 5A_1032/2019 vom 9. Juni 2020 E. 5.6). Entsprechend sei es widersprüchlich, bei der Verteilung den Kopf der Mutter zu berücksichtigen.

Im vom Bundesgericht behandelten Fall hatte die Vorinstanz sich für die Anwendung der zweiten Berechnungsmethode entschieden. Der Vater hat dagegen Beschwerde beim Bundesgericht geführt und argumentiert, dass die erste Methode anzuwenden sei, weil diese von der Mehrheit der Lehre vertreten werde. Das Bundesgericht konnte im zu beurteilenden Fall das Urteil der Vorinstanz nur dahingehend überprüfen, ob der Entscheid willkürlich ergangen ist (sog. Willkürprüfung). Das bedeutet, dass das Bundesgericht den Entscheid nicht bereits abändern darf, nur weil sich eine potentiell bessere Lösung anbietet. Vielmehr muss der Entscheid für eine Abänderung durch das Bundesgericht offensichtlich unhaltbar sein. Das Bundesgericht legte sich in seinem Entscheid nicht auf eine der beiden Methoden fest. Es entschied, dass, weil sich die Vorinstanz auf eine Lehrmeinung – wenn auch nur eine Minderheitsmeinung – stützen konnte, die Anwendung dieser ersten Methode denkbar und nicht willkürlich sei.

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III. FAZIT

Nach dem Gesagten bleibt abzuwarten, wie das Bundesgericht die Frage entscheiden wird, wenn es in einem anderen Fall nicht auf eine Willkürprüfung beschränkt sein wird. Bis die Frage höchstrichterlich entschieden wird, können beide Verteilungsmethoden angewendet werden und es obliegt den unteren Instanzen, sich für eine dieser Methoden zu entscheiden. Werden also die Interessen des unverheirateten Vaters vertreten, sollte die erste Verteilungsmethode geltend gemacht werden. Sind die Interessen des Kindes oder der unverheirateten Mutter zu wahren, sollte in der Unterhaltsberechnung die zweite Verteilungsmethode gewählt werden.

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8. Mai 2023 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV


DER WOHNWERTVORTEIL NACH DEUTSCHEM RECHT – EIN IN DER SCHWEIZ FEHLENDES INSTRUMENT BEI DER BERECHNUNG VON UNTERHALT?

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

I. WAS IST DER WOHNWERTVORTEIL?

Das mietfreie Wohnen im Eigenheim stellt nach deutschem Recht einen geldwerten Vorteil dar, der bei der Berechnung von Unterhalt zu berücksichtigen ist. Der sogenannte Wohnwertvorteil hat eine Erhöhung des unterhaltsrelevanten Einkommens um fiktive Einnahmen zur Folge. Ein Wohnwertvorteil ist bei jeder Unterhaltsberechnung, d.h. bei Trennungs-, nachehelichem-, und Kindesunterhalt zu berücksichtigen. Die Höhe des Wohnwertvorteils bestimmt sich entweder nach dem objektiven oder nach dem angemessenen Wohnwert. Der objektive Wohnwert entspricht der zu zahlenden Miete nach Mietspiegel. Der angemessene Wohnwert entspricht dem Mietwert einer  entsprechend kleineren Wohnung und liegt damit zumeist unter dem objektiven Mietwert. Nach Ablauf des Trennungsjahres, spätestens mit Rechtshängigkeit der Scheidung, wird die Höhe des objektiven Mietwertes angerechnet.

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II. AUSWIRKUNGEN DES WOHNWERTS

Der Wohnwert kann sich bei der Berechnung des Unterhalts nach Trennung oder Scheidung für beide Ehegatten auswirken. Bewohnt der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Trennung oder Scheidung die im Eigentum stehende Liegenschaft, verringert sich grundsätzlich sein Unterhaltsanspruch. Dies geht unter Umständen sogar soweit, dass aufgrund des zu berücksichtigenden Wohnwerts kein Unterhalt geschuldet wird. Hingegen führt die Anrechnung eines Wohnwertes auf Seiten des Unterhaltsschuldners zu fiktiven Einnahmen und demzufolge zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit, was höhere Unterhaltszahlungen zur Folge hat

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III. ABZUGSFÄHIGE POSITIONEN

Abzugsfähig vom Wohnwert sind verbrauchsunabhängige Nebenkosten (Grundsteuer und Gebäudeversicherung, usw.), wobei die Amortisation, mithin die Tilgung nur bis zur Einreichung der Scheidung berücksichtigt werden darf. Die verbrauchsabhängigen Kosten für Strom, Heizung, Müllabfuhr, etc. (vergleichbar mit einem Mietverhältnis) werden nicht abgezogen.

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IV. NEGATIVER WOHNWERT

Übersteigen die zu berücksichtigenden Kosten und Aufwendungen den Wohnwert, kann ein negativer Wohnwert bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen sein.

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V. NUTZUNGSVERGÜTUNG STATT WOHNVORTEIL

Zieht ein Ehegatte aus der im Eigentum beider oder im Alleineigentum stehenden Liegenschaft aus, kann er spätestens ab der endgültigen Trennung eine sogenannte Nutzungsentschädigung vom anderen Ehegatten verlangen.

Die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet sich bei Miteigentum nach Ablauf des Trennungsjahres nach dem halben Mietwert der Liegenschaft. Maßgeblich ist als Ausgangswert die marktübliche Miete. Im Rahmen des billigen Ermessens sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung.
Wird bei der Berechnung des Unterhalts ein Wohnvorteil berücksichtigt, kann keine Nutzungsentschädigung geltend gemacht werden.

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VI. WOHNWERTVORTEIL IN DER SCHWEIZ?

In der Schweiz werden Wohnwertvorteile nicht berücksichtigt, was nicht zuletzt an der unterschiedlichen Unterhaltsberechnung der beiden Länder (Deutschland und Schweiz) liegt. Wird in der Schweiz der Bedarf der Parteien individuell ermittelt und vorhandene Einkünfte in Abhängigkeit dieses Bedarfs verteilt, kommt es in Deutschland auf den Bedarf der Parteien nur bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen an. Anders als in der Schweiz werden in Deutschland die vorhandenen Einkommen der Ehegatten in der Regel (inkl. fiktiver Einnahmen) auf die Parteien verteilt, ohne auf die konkreten Ausgaben (insbesondere Miete, Krankenkassenbeiträge und Steuern) abzustellen. Folglich schliesst man ausgehend von den vorhandenen finanziellen Mitteln auf den Bedarf der Parteien, womit sich das deutsche Unterhaltsrecht erheblich von dem in der Schweiz unterscheidet. In der Schweiz wird das Bewohnen von Eigentum durch die verglichen mit der zu zahlenden Miete geringe Zinsbelastung (tiefere Wohnkosten) bedarfsreduzierend berücksichtigt, weshalb es der Anrechnung eines Wohnwertvorteils nicht bedarf.

In beiden Ländern dürfen Schuldtilgungen nach Einreichung der Scheidung nicht mehr zu Lasten des anderen Ehegatten berücksichtigt werden, da es sich hierbei um vermögensbildende Zahlungen handelt.

Erst wenn die Kosten für den Verbleib eines der Ehegatten in der ehelichen Liegenschaft diejenigen einer angemessenen Miete übersteigen, sind Korrekturen notwendig, die allerdings in der Schweiz mangels der in Deutschland vorherrschenden Rechtsprechung eines anzurechnenden Wohnwerts durch fiktive geringere Wohnkosten vorzunehmen sind (zumeist nach einer anzurechnenden angemessenen Übergangsfrist, die einen Auszug ermöglicht). Allerdings könnten fiktive Mieteinkünfte in der Schweiz ähnlich einem Wohnwertvorteil dann anzurechnen sein, wenn eine Liegenschaft zumindest teilweise vermietet werden kann und sich der in dieser Liegenschaft verbleibende Ehegatte deswegen nicht – gemessen am ehelichen Lebensstandard – einschränken muss. Denkbar ist dies beispielsweise im Fall einer Einliegerwohnung.


15. März 2023 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht


BEWERTUNG BZW. WERT VON PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMEN IN DER SCHEIDUNG (BGE 5A_361/2022)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei der im Scheidungsverfahren durchzuführenden güterrechtlichen Auseinandersetzung spielen sehr oft die Bewertung eines personenbezogenen Unternehmens (beispielsweise Arzt- oder Zahnarztpraxis, Anwaltskanzlei, Treuhandfirma, Architekturbüro, etc.) und der bei Errungenschaft den Ehegatten je hälftig zustehende Wert dieses Unternehmens eine wesentliche Rolle. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (BGE 5A_361/2022 vom 24. 11.2022) Ausführungen gemacht, welche einerseits für die Bewertungspraxis  und andererseits für betroffene Unternehmer/innen eine mehr als zu begrüssende Klärung bringen: Es ist davon auszugehen, dass dieser Entscheid zukünftig die öfters viel zu hohen Bewertungen solcher Einzelunternehmen bzw. personenbezogenen Unternehmungen verhindert.

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I. VERKEHRSWERT: FORTFÜHRUNGS- ODER LIQUIDATIONSWERT

Grundsätzlich gilt unverändert, dass ein Unternehmen zum Verkehrswert in die güterrechtliche Auseinandersetzung einzubeziehen ist, wobei in aller Regel auf den Fortführungswert abzustellen ist. Der tiefere Liquidationswert kommt nur dann zum Tragen, wenn eine Liquidation nachweislich unmittelbar bevorsteht oder unvermeidlich ist. Der Verkehrswert ist das, was der Unternehmer bei einer Veräusserung seines Unternehmens auf dem Markt tatsächlich an Erlös erzielen kann.

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II. PRAKTIKERMETHODE

Auch im vorliegenden vom Bundesgericht entschiedenen Verfahren waren die Vorinstanzen bei der Bewertung eines Einzelunternehmens (Zahnarztpraxis) von der weit verbreiteten Praktikermethode ausgegangen, bei welcher der Substanzwert einfach und der Ertragswert zweifach berücksichtigt wird. Da der Ertragswert des Unternehmens sehr hoch aber, wie in solchen Unternehmungen in der Regel, stark von der Persönlichkeit des Unternehmers/in geprägt war, hatte die Vorinstanz den Ertragswert nur zu 10% berücksichtigt. Überraschend hat das Bundesgericht dem Einwand der beschwerdeführenden Unternehmerin Recht gegeben, dass die Berücksichtigung des Ertragswerts mit 10% willkürlich (zu hoch) sei. Der von der Vorinstanz bei einem Ertragswert von mehr als CHF 3 Mio. ermittelte und in der Scheidung aufgeteilte Unternehmenswert von CHF 300’000 sei immer noch zu hoch, weil damit ausser Acht gelassen werde, dass ein Verkehrswert auch realisierbar sein müsse.

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III. BEWERTUNGSGRUNDSÄTZE

Unverändert gilt, dass Unternehmen als Sachgesamtheit nach den Grundsätzen der Betriebslehre zu bewerten sind. Dabei gebe es verschiedene Bewertungsmethoden, wobei die Praktikermethode als Mischung aus Substanz- und Ertragswert kaum mehr vertretbar sei und grundsätzlich die verschiedenen Ertragswertmethoden vorzuziehen seien. Die konkret gewählte Methode müsse jedoch nachvollziehbar, plausibel und anerkannt sein und den Verhältnissen im konkreten Einzelfall Rechnung tragen.

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IV. BESONDERHEITEN BEI DER PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMUNG

Da der Verkehrswert dem tatsächlich realisierbaren Veräusserungswert entspreche, müsse bei personenbezogenen Unternehmen separat geprüft werden, ob die Ertragskraft (Ertragswert) des Unternehmens tatsächlich auf Dritte übertragbar sei. Die rein personenbezogene Ertragskraft, namentlich der Wert der eigenen Leistung der Unternehmer/in, sei nicht übertragbar und damit nicht wertrelevant. Zu ermitteln sei mithin der Wert des Unternehmens ohne den Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber. Werthaltig seien nur das eingesetzte Kapital bzw. dessen angemessene Verzinsung und die Prämie für die Unternehmer/in, wobei diese/r sogenannte Goodwill seinerseits eine personenbezogene und eine geschäftsbezogene Komponente aufweise. Auch diese personenbezogene Komponente entfalle mit dem Verkauf des Unternehmens und werde von einem Käufer nicht entschädigt, weshalb auch sie nicht relevant sei.

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V. FOLGEN FÜR DEN WERT EINES UNTERNEHMENS

Gerade Unternehmen, die als Einzelfirma geführt werden oder nur aus dem Unternehmer bzw. der Unternehmerin selber bestehen und deren Ertrag somit allein von deren Persönlichkeit und deren Leistung abhängig ist, sind nach Massgabe dieses neuen bundes-gerichtlichen Urteils zukünftig wesentlich tiefer zu bewerten, als dies insbesondere nach der Praktikermethode bis anhin der Fall war. Namentlich dann, wenn ein solches Unternehmen über bescheidene Substanz verfügt (wie beispielsweise eine Anwaltspraxis), werden bei einem Verkauf nach gerade der ganze Ertrag und ein allfälliger Goodwill gar nicht verkauft werden können, hat doch der Käufer im Normalfall des gleichzeitigen Ausstiegs des Unternehmers/in keinerlei Gewähr, dass die Kunden/ Klienten der Unternehmung treu bleiben und er tatsächlich Folgeaufträge erhält, weshalb der Käufer dafür auch keine Entschädigung bezahlen wird. Der Verkehrswert solcher Unternehmen ist mithin bescheiden.

VI. WEITERE KRITERIEN

Kann im Einzelfall nachgewiesen werden, dass ein hoher Gewinn des Unternehmens und damit ein hoher Ertragswert nicht nur von der Person des Unternehmers/der Unternehmerin sondern auch von dessen aussergewöhnlicher Stellung (Befähigung) oder einem aussergewöhnlichen Einsatz (Arbeitspensum) abhängig sind, so muss der Ertragswert umso mehr unberücksichtigt bleiben und ist ein allfälliger Goodwill erheblich zu reduzieren, wenn der durchschnittliche Marktteilnehmer (Käufer) nicht über analoge Fähigkeiten oder die Bereitschaft verfügt, mehr als das übliche Pensum zu arbeiten.

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VII. FAZIT

Es ist zu hoffen, dass nicht nur von Gerichten oder beratenden Anwälten beigezogene Bewertungsunternehmen diesen bundesgerichtlichen Vorgaben Rechnung tragen, sondern dass auch die Gerichte erster und zweiter Instanz ihnen von Bewertungsunternehmungen vorgelegte Verkehrswertberechnungen kritisch prüfen. Diesfalls darf davon ausgegangen werden, dass zukünftig viel zu hohe – und nie realisierbare -Bewertungen von Unternehmen in der güterrechtlichen Auseinandersetzung mit entsprechend übersetzten Wertbeteiligungsansprüchen des Ehegatten unterbleiben. Vorausgesetzt hierfür ist natürlich, dass der Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber gut beraten ist und die massgeblichen wertmindernden Kriterien in den Verhandlungen oder im Prozess auch fachmännisch geltend macht.


18. Januar 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


REVISION DES ERBRECHTS – MÖGLICHKEITEN ZUR ENTZIEHUNG DES PFLICHTTEILS DER/S NOCH EHEGATTIN/ EHEGATTEN WÄHREND EINES LAUFENDEN SCHEIDUNGSVERFAHRENS

Lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Neben den Neuerungen betreffend den Pflichtteilsschutz gesetzlicher Erben wurden auch neue Bestimmungen zur Regelung des Erbanspruchs der/s überlebenden Ehegattin/en im Falle eines laufenden Scheidungsverfahrens eingeführt (vgl. für weitere Informationen auch den Newsletter von Rechtsanwalt lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht, vom 28.04.2021 betreffend die Revision des Erbrechts: Neue Freiheiten für Erblasser)

Mit der Einführung des neuen Erbrechts wird der Erblasserin/dem Erblasser ab 01.01.2023 unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, bereits während eines rechtshängigen Scheidungsverfahrens seinem/r noch Ehegatten/Ehegattin den Pflichtteil von ½ des gesetzlichen Erbanteils bzw. – im Endeffekt – den Erbanspruch vollständig zu entziehen. Ohne entsprechendes Handeln bleibt der Ehegatte trotz laufendem Scheidungsverfahren bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils erbberechtigt. Der Entzug des Pflichtteils kann grundsätzlich in der Form eines normalen Testaments verfügt werden. Sofern Ehegatten einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen haben, muss jedoch zunächst geprüft werden, ob der Entzug des Pflichtteils mit den vertraglichen Regelungen vereinbar ist. In einer solchen Situation ist fachmännische Beratung angezeigt.

Wir unterstützen Sie gerne beim Verfassen eines entsprechenden Testaments oder der Prüfung eines allfällig bestehenden Erb- und Ehevertrages, sollten Sie eine vorzeitige Beendigung der erbrechtlichen Ansprüche des Ehegattens bzw. den Entzug des Pflichtteils in Erwägung ziehen.

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12. Dezember 2022  / lic. iur. Martin Kuhn und MLaw Kim Wysshaar


NACHEHELICHER UNTERHALT: BUNDESGERICHT (5A_568/2021) RÜTTELT AM BEGRIFF DER LEBENSPRÄGUNG DER EHE

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Scheidungsrecht beinhaltet unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf Unterhaltszahlungen durch den jeweils anderen Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung. In einer Reihe von Grundsatzentscheiden hat das Bundesgericht in letzter Zeit das Unterhaltsrecht in entscheidenden Punkten revidiert. Aktuell scheint diese Modernisierungsbewegung des Unterhaltsrechts weiterzugehen, indem das Bundesgericht in seinem jüngsten Urteil zum Unterhaltsrecht die bisher geltenden Annahmen, wann eine Ehe als lebensprägend zu gelten hat, in Frage stellt. Die Lebensprägung ist eine der Voraussetzungen, um Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zu haben.

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I. GRUNDSÄTZE DES UNTERHALTSRECHTS

Nacheheliche Unterhaltsansprüche, d.h. solche, welche auch nach der rechtskräftigen Scheidung fortdauern, haben ihre rechtliche Grundlage in der sogenannten nachehelichen Solidarität. Dennoch, und nun umso mehr, ist es so, dass der nacheheliche Rentenanspruch an sich eine Ausnahme darstellt bzw. darstellen sollte. Grundsätzlich gilt nämlich nach der Scheidung, und dahin tendiert das Bundesgericht in letzter Zeit immer mehr, die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten. Es wird verlangt, dass jeder für seinen eigenen Bedarf selber aufkommt.

Immer dann, wenn also Gerichte Unterhalt für einen Ehegatten festlegen, hängt dies damit zusammen, dass aufgrund der gelebten Rollenverteilung während der Ehe oder aus anderen Gründen wie Alter, Krankheit, sonstiger Aussichtslosigkeit eigener Erwerbstätigkeit etc. die vorgenannte Eigenversorgungskapazität zu gering oder gar nicht vorhanden ist.

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II. «LEBENSPRÄGENDE EHE»

Für die Frage, ob ein nachehelicher Unterhalt geschuldet ist, ist entscheidend, ob die gelebte Ehe für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten lebensprägend war oder nicht. Wird diese Frage bejaht, so haben die Eheleute nach der Scheidung grundsätzlich Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Lebensstandards. Bis vor kurzem galt die Vermutung, dass eine Ehe immer dann als lebensprägend zu qualifizieren ist, wenn sie mehr als 10 Jahre gedauert hat und/oder aber Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind.

Bereits in einem früheren Entscheid (BGE 5A_907/2018) stellte das Bundesgericht im Rahmen seiner Modernisierung des Unterhaltsrechts bei der Frage der Lebensprägung darauf ab, ob die Erwerbstätigkeit und damit die ökonomische Selbstständigkeit zugunsten der Besorgung des Haushalts und der Betreuung der Kinder hat aufgegeben werden müssen und ob es der betroffenen Person eben gerade deshalb nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an die frühere berufliche Stellung anzuknüpfen oder einer ähnlichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Neu war an diesem Entscheid, dass das Bundesgericht nicht mehr schematisch, sondern stets für den Einzelfall die Frage der Lebensprägung beantwortet haben wollte. Damit wendete sich das Bundesgericht von seiner langjährigen Rechtsprechung ab, wonach das Vertrauen in den Fortbestand der Ehe bei längerer Dauer oder gemeinsamen Kindern zu vermuten ist und man daraus Unterhaltsansprüche ableiten kann.

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III. LEBENSPRÄGUNG MUSS BEWIESEN WERDEN

Neu wird das Bundesgericht bezüglich der Frage, ob eine lebensprägende Ehe vorliegt oder nicht, noch strenger (BGE 5a_568/2021). Erst dann, wenn von einem schutzwürdigen Vertrauen auf eine Fortführung der Ehe ausgegangen werden kann, ist für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten auch der Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Standards bzw. bei, zufolge scheidungsbedingter Mehrkosten, ungenügender Mittel Anspruch auf beidseits gleiche Lebenshaltung gegeben. Wird dieses schutzwürdige Vertrauen auf Fortführung der Ehe verneint, ist für den nachehelichen Unterhalt am vorehelichen Stand anzuknüpfen, d.h. der Unterhalt begehrende Ehegatte maximal so zu stellen, wie wenn die Ehe nicht geschlossen worden wäre.

Das Bundesgericht hat sich offenbar verabschiedet von der Idee, dass die Lebensprägung den «Kippschalter» bezüglich der Frage von nachehelichem Unterhalt darstellen soll. Die bisher für das Vorliegen einer Lebensprägung sprechenden Vermutungen (gemeinsame Kinder, mindestens 10-jährige Ehedauer) gelten für sich alleine nicht mehr. Eine Ehe ist vielmehr nur noch dann als lebensprägend einzustufen, wenn ein Ehegatte aufgrund eines gemeinsamen Lebensplanes seine wirtschaftliche Selbständigkeit zugunsten der Haushaltsbesorgung und Kinderbetreuung aufgegeben hat und es ihm nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen.

Hinzu kommt, dass seit dem Inkrafttreten des neuen Kinderunterhaltsrechts diejenigen Nachteile, welche einem Elternteil aus der nachehelichen Betreuung von Kindern erwachsen, primär durch den Betreuungsunterhalt, enthalten im Kinderunterhalt, ausgeglichen werden (Art. 276 und 285 ZGB). Beim nachehelichen Unterhalt kann es also nur noch um «andere oder weitere wirtschaftliche Nachteile» gehen. Das neue Kinderunterhaltsrecht soll auch verheiratete Elternteile denjenigen aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichstellen. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, inwiefern Nachteile, welche aus der Kinderbetreuung herrühren, für sich alleine überhaupt noch zur Begründung einer Lebensprägung (und eines eigenen Ehegattenunterhalts) geeignet sind. Somit kann also aus dem Vorhandensein gemeinsamer Kinder alleine für sich klar nicht mehr auf eine Lebensprägung geschlossen werden.

Wer nachehelichen Unterhalt für sich beanspruchen will, hat also aufzuzeigen, dass sich die wirtschaftliche Abhängigkeit seiner Person im Laufe der ehelichen Beziehung und insbesondere seit Eheschluss in eine bestimmte Richtung entwickelt hat und dabei auf die wirtschaftliche Untersützung des jeweils anderen Ehegatten gebaut wurde. Dabei ist ausschlaggebend, dass diese geltend zu machende wirtschaftliche Konstellation/Abhängigkeit zwingend direkte oder notwendige Folge der Ehe an sich ist und im Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe gründet. Liegt hingegen eine Konstellation vor, wo Eheleute von sich aus, unabhängig von der Ehe, wirtschaftliche Bindungen und Abhängigkeiten eingegangen sind, so kann dies für sich selber keine Lebensprägung bedeuten (5A_568/2021).

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IV. FAZIT

Die sich für einen Ehegatten nach der Scheidung wirtschaftlich negativ auswirkenden ehebedingte Nachteile müssen inskünftig wohl genauer geprüft und aufgezeigt werden. Eine lange Ehedauer oder gemeinsame während der Ehe gezeugte Kinder sind für sich alleine keine Konstellationen, welche automatisch Anspruch auf nachehelichen Unterhalt vermitteln. Vielmehr muss geltend gemacht werden, dass aufgrund der bestehenden Ehe dauerhafte Vorkehrungen getroffen worden sind – dies vor dem Hintergrund des Vertrauens in den weiteren Bestand der Ehe –, welche wirtschaftlich negative Auswirkungen auf einen der Ehepartner haben und sich nachehelich auswirken


26. April 2022 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV


DIE FINANZIELLEN FOLGEN EINES OBHUTWECHSELS

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

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Trennen sich Paare mit gemeinsamen Kindern, ist die Frage des Kinderunterhalts von der Obhut abhängig und damit von der Frage, wer das bzw. die Kinder mehrheitlich betreut. Derjenige Elternteil, der ein Kind mehrheitlich betreut, kann in der Regel von dem nicht betreuenden Elternteil einen Kinderunterhalt verlangen. Betreuen beide Eltern nahezu im gleichem Umfang, ist diesem Umstand auch beim Unterhalt Rechnung zu tragen, da beide Elternteile für die Kosten ihrer Kinder aufkommen. Doch was passiert, wenn der Unterhalt festgelegt wurde und das Kind nun zum anderen Elternteil zieht? Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den Folgen eines solchen Obhutswechsels für bereits festgelegte Unterhaltsbeiträge.

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I. ALLGEMEINES

Von der Obhut zu unterscheiden ist die elterliche Sorge. Die elterliche Sorge berechtigt und verpflichtet beide Elternteile, wesentliche Entscheide betreffend das gemeinsame Kind zusammen zu treffen. Die Obhut dagegen beschränkt sich auf die tatsächlich ausgeübte Betreuung eines Kindes, welche ganz von einem Elternteil oder aber auch gemeinsam ausgeübt werden kann (alternierende Obhut). Da derjenige Elternteil, bei dem das Kind wohnt, seinen Beitrag durch die tatsächliche Betreuung leistet, hat der andere Elternteil die Kosten des Kindes durch Zahlung eines Unterhalts (Barunterhalt) zu leisten. Hiervon zu unterscheiden ist der sogenannte Betreuungsunterhalt, der neben dem Barunterhalt das ungedeckte Existenzminimum des betreuenden Elternteils finanziell kompensieren soll.

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II. UNTERHALT

Sind Unterhaltsbeträge vereinbart und auch gerichtlich genehmigt worden, lassen diese sich auch zwangsweise mit einer Betreibung durchsetzen, sofern Zahlungsrückstände aufgelaufen sind. Grundlage muss hierbei wahlweise ein einvernehmlich vereinbarter Unterhalt sein, der mit einer provisorischen Rechtsöffnung durchgesetzt werden kann oder aber ein durch eine Behörde in Form eines Entscheides festgelegter Unterhaltsbetrag, der mit einer definitiven Rechtsöffnung zu betreiben ist. Durchgesetzt werden können Unterhaltsbeiträge auch mit einer sogenannten Drittschuldneranweisung, im Rahmen derer das Gericht bei Zahlungsverweigerung des Schuldners dessen Arbeitgeber verpflichtet, den geschuldeten Unterhalt vor Auszahlung des Lohnes direkt auf das Konto des betreuenden Elternteils zu bezahlen. Bei der zwangsweisen Durchsetzung von Unterhalt prüft das Gericht den Inhalt des zugrundeliegenden Entscheides nicht neu. Vielmehr ist das die Rechtsöffnung/ Anweisung vornehmende Gericht an den Inhalt des zugrundeliegenden Entscheides gebunden und hat lediglich das Existenzminimum des Lohnempfängers zu wahren, sofern der Unterhaltsschuldner nicht durch Urkunden nachweisen kann, den geforderten Unterhalt tatsächlich bezahlt zu haben.

Wechselt nun trotz einer vorhandenen Unterhaltsregelung das Kind zum anderen bisher nicht betreuenden Elternteil, ist der Entscheid über die Unterhaltsverpflichtung weiterhin existent. Mit dem Umzug des Kindes wird die Unterhaltsregelung also nicht automatisch hinfällig, womit auf der Grundlage des Entscheides der Unterhalt weiterhin gefordert und betrieben werden kann. Möglich ist dies deshalb, weil ein Entscheid seine Wirksamkeit so lange beibehält, bis dieser durch entsprechende Feststellung eines zuständigen Gerichts abgeändert und auf die neue Situation angepasst wird. Problematisch ist dieser Umstand deshalb, weil ein begründeter Antrag auf Korrektur bzw. Anpassung eines Entscheides auf die neue gelebte Betreuungssituation Zeit in Anspruch nimmt. So vergehen aufgrund der massiven Überlastung der Gerichte zwischen Antragstellung auf Abänderung bis zur Verhandlung üblicherweise mindestens 3 Monate. Aufgrund der Möglichkeiten, die jeweiligen Stellungnahmefristen der Parteien zu erstrecken, vergehen bis zur Verhandlung sogar teils weit über 6 Monate. In dieser Zeit kann der das Kind ursprünglich betreuende Elternteil die Unterhaltsbeiträge auf der Grundlage des noch geltenden Entscheides nach wie vor durchsetzen, auch wenn er bzw. sie das Kind gar nicht mehr betreut. Ein so erzieltes unbilliges Ergebnis wird nach Abänderung des zu Grunde liegenden Unterhaltsentscheides zwar korrigiert, da der Unterhalt per Datum Einreichung Abänderung angepasst wird. Sofern aber Unterhalt zwangsweise erhältlich gemacht, und dieser Betrag durch den nicht betreuenden Elternteil verbraucht wurde, scheitert eine Rückforderung der überzahlten Unterhaltsbeiträge meistens an der fehlenden Leistungsfähigkeit des nicht mehr betreuenden Elternteils. Besonders schwerwiegend ist ein derartiges Vorgehen dann, wenn der nicht mehr betreuende Elternteil seine vermeintlich ihm noch zustehenden Unterhaltsbeiträge im Wege einer sogenannten Drittschuldneranweisung geltend macht, weil diesfalls nicht nur die Rückzahlung des Geldes scheitern kann, sondern der Ruf des Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber Schaden nimmt.

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III. EINWÄNDE GEGEN DIE ZWANGSWEISE DURCHSETZUNG VON UNTERHALT

Da die Forderung eines nicht mehr gerechtfertigten Unterhaltsbetrages, insbesondere von Kinderunterhalt eines nicht betreuenden Elternteils, unbillig ist, muss einem derartigen Vorgehen Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden können. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn ein Antrag auf Abänderung dem Gericht bereits vorliegt. Erfolgte der Betreuungswechsel aufgrund eines ernst zu nehmenden Willens des Kindes und ist also nicht damit zu rechnen, dass die ursprünglich gelebte Betreuung wieder auflebt und damit die Rückkehr zum ursprünglich betreuenden Elternteil erfolgt, würde die zwangsweise Durchsetzung eines Unterhaltsbeitrages an einen offensichtlich nicht berechtigten Elternteil zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führen. Diesem offensichtlichen Missbrauch muss das Gericht nach Auffassung der Autorin Einhalt gebieten und offenkundige neue Tatsachen, welche den eingeforderten Unterhalt als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, berücksichtigen. Dies ist allerdings umstritten.

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IV. VORGEHEN IN DEUTSCHLAND

Anders als in der Schweiz, endet in Deutschland nach herrschender Rechtsprechung mit einem erfolgten Obhutswechsel und damit einem Umzug eines Kindes zum anderen Elternteil das alleinige Vertretungsrecht des ursprünglich betreuenden Elternteils.

Ist ein Kind minderjährig, wird es bei der Durchsetzung von Kindesunterhalt von dem betreuenden Elternteil vertreten. Mit einem Obhutswechsel zum anderen Elternteil endet die Befugnis, das Kind vor Gericht zu vertreten, automatisch. Dies hat zur Folge, dass selbst ein bereits gestellter Unterhaltsantrag mit Wegfall der Alleinvertretungsberechtigung aufgrund eines Obhutswechsels unzulässig wird. Somit verliert der nicht mehr betreuende Elternteil mit dem Umzug des Kindes die Möglichkeit, Unterhaltsbeiträge gerichtlich durchzusetzen, womit ein missbräuchliches Vorgehen von vornherein verunmöglicht wird.

Da in der Schweiz der Kinderunterhalt nicht zwingend durch die Eltern als Vertreter des Kindes durchgesetzt wird, gewinnt hier das Argument des Rechtsmissbrauchs an Bedeutung.


20. April 2022 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht


DER UNTERHALT UND SEINE TÜCKEN

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

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I. ALLGEMEINES

Mit einer Trennung von Ehegatten sind deren rechtliche Folgen zu regeln und damit unter anderem die Belange der Kinder, das Güterrecht und der Unterhalt. Insbesondere die Höhe des zu zahlenden Unterhalts bietet Anlass zur Diskussion, weshalb nicht selten das Gericht hierüber zu befinden hat. Gerade in letzter Zeit hat das Bundesgericht seine Vorgaben für die Berechnung von Unterhalt konkretisiert, worauf in dem folgenden Artikel eingegangen wird:      

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A) KINDERUNTERHALT

Beim Unterhalt ist der Kinderunterhalt vom Ehegattenunterhalt zu unterscheiden. Der Kinderunterhalt setzt sich aus einem sogenannten Bar- und einem Betreuungsunterhalt zusammen, wobei der Barunterhalt die tatsächlichen Kosten des Kindes deckt. Der Betreuungsunterhalt soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass einer der Ehegatten einer Erwerbstätigkeit nur im reduzierten Pensum nachgeht, um die Betreuung gemeinsamer Kinder sicherzustellen. Der Kinderunterhalt ist ungeachtet der Volljährigkeit eines Kindes bis zum Abschluss einer angemessenen Erstausbildung geschuldet. Mit der Volljährigkeit ist allerdings zumindest aus juristischer Sicht eine Betreuung des Kindes nicht mehr geschuldet, weshalb die Eltern ab dann im Verhältnis ihrer finanziellen Möglichkeiten für den Unterhalt des Kindes gemeinsam aufzukommen haben.

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B) EHEGATTENUNTERHALT

Des Weiteren schuldet ein Ehegatte dem anderen Unterhalt, sofern der unterhaltsberechtigte Ehegatte nicht in der Lage ist, für seinen eigenen gebührenden Bedarf aufzukommen. Zu berücksichtigen sind hierbei die trennungsbedingten Mehrkosten, welche durch die Gründung eines zweiten Haushalts anfallen. Allerdings wird Unterhalt nur bis zur Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit geschuldet. Einen Eingriff in das Existenzminium muss der Unterhaltsschuldner nicht hinnehmen.

Der unterhaltsberechtigte Ehegatte hingegen hat für das Manko und damit seinen durch Unterhalt nicht gedeckten Bedarf selbst aufzukommen. Ist es dem unterhaltsberechtigten Ehegatten nicht möglich, dieses Manko durch ein eigenes Einkommen zu decken, wird er Sozialhilfe beziehen müssen. Diese ist anders als der Unterhalt eine Art Vorschussleistung der zuständigen Gemeinde, welche später im Falle ausreichend erzielter Einkünfte bzw. vorhandenen Vermögens zurückbezahlt werden muss.

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II. METHODE DER UNTERHALTSBERECHNUNG

Der Unterhalt errechnet sich gemäss der jüngsten bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach der sogenannten 2-stufigen Methode, im Rahmen derer der Bedarf der Parteien konkret ermittelt und allfällige Überschüsse auf die Familienmitglieder verteilt werden. Ist also der Barbedarf der Ehegatten und der Kinder gedeckt und verbleibt hiernach ein Einkommen, wird dieses als Überschuss auf die vorhandenen Familienmitglieder nach grossen und kleinen Köpfen verteilt. Die Kinder können lediglich die Hälfte des den Eltern zustehenden Überschusses für sich beanspruchen (sogenannte kleine Köpfe).

Möglich ist eine Berechnung des persönlichen Unterhalts auch nach der sogenannten konkreten Methode. Hierbei hat der fordernde Ehegatte seine Bedarfspositionen darzulegen und – sofern diese bestritten werden – zu beweisen, ohne dass ein allfälliger Überschuss verteilt wird. Die Höhe des Unterhalts ist dann auf den ausgewiesenen Bedarf begrenzt.

Sinnvoll ist die Anwendung der konkreten Methode in überdurchschnittlichen finanziellen Verhältnissen, im Rahmen derer die Einnahmen die Ausgaben der Ehegatten massiv übersteigen. In derartig günstigen finanziellen Verhältnissen lässt das erzielte Einkommen keine Rückschlüsse auf den Lebensstandard der Ehegatten zu, weshalb Überschüsse nicht verteilt werden dürfen. Dies deshalb, da mit Unterhalt nicht gespart werden soll, weshalb Überschüsse nur dann zu verteilen sind, wenn dies die Beibehaltung des ehelichen Lebensstandards erfordert.

Da bei durchschnittlichen Einkommensverhältnissen mit der Verteilung des Überschusses in der Regel der in der Ehe gelebte Lebensstandard für beide Ehegatten beibehalten wird, hat das Bundesgericht mit seiner im Februar 2021 veröffentlichen Rechtsprechung schweizweit die 2-stufige Methode für verbindlich anwendbar erklärt. Diese Berechnungsmethode gilt sowohl für in Trennung lebende Ehegatten als auch für den nachehelichen Unterhalt. Unterschiede bestehen beim nachehelichen Unterhalt im Wesentlichen darin, dass letzterer gegebenenfalls auch einen Vorsorgeunterhalt umfasst. Des Weiteren endet mit der Scheidung die bis dahin bestehende eheliche Solidarität (clean break), womit die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsbegehrenden Ehegatten steigt, die sich am Alter der gemeinsamen noch zu betreuenden Kinder orientiert.

Ob, wie lange und wie viel Unterhalt verlangt werden kann, stellt einen Einzelfallentscheid dar. Dem Gericht kommt bei seiner Beurteilung ein weites Ermessen zu, weshalb die Unterhaltshöhe von Fall zu Fall stark variieren kann.

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A) ERWERBSOBLIEGENHEIT

Da die Erwerbsobliegenheit des die Kinder betreuenden Elternteils mit deren Alter steigt, werden zumeist mehrere Phasen berechnet, welche dem Alter des Kindes gerecht werden (Schulstufenmodell). So besteht eine Erwerbsobliegenheit im Umfang von 50% für den das gemeinsame Kind betreuenden Ehegatten frühestens mit Eintritt des Kindes in den Kindergarten. Dieses Pensum ist mit dem Übertritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe, zumeist wenn es 12-jährig wird, auf 80% aufzustocken.  Mit dem 16. Geburtstag des Kindes wird dem betreuenden Elternteil eine Vollzeittätigkeit zugemutet. Liegen die Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils unter den jeweils geforderten Pensen, wird analog zum massgeblichen Schulstufenmodell ein hypothetisches Einkommen ermittelt und für die Unterhaltsberechnung herangezogen.

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B) PLAFONIERUNG UNTERHALTSHÖHE

Bei der Ermittlung des Unterhalts greift das Gericht zumeist auf eigene interne Berechnungstabellen zurück, mit welchen anhand des Einkommens und der Bedarfspositionen der Parteien ein Trennungs- und Scheidungsunterhalt errechnet wird.

Unberücksichtigt lassen die von den Gerichten herangezogenen Berechnungstabellen allerdings den Umstand, dass die Unterhaltsansprüche auf den zuletzt gemeinsam gelebten Lebensstandard zu begrenzen sind und damit auf die Lebensführung vor der Trennung.

Unter Zugrundelegung des im Zeitpunkt der Trennung zuletzt erzielten Einkommens der Ehegatten ist demzufolge zu prüfen, was die Familie im Jahr vor der Trennung verbraucht hat (Referenzperiode). Übersteigen die nach der Unterhaltsberechnung ermittelten Forderungen die zum Zeitpunkt der Trennung benötigten Mittel, können weder Frau noch Kinder einen darüberhinausgehenden Betrag für sich beanspruchen (Plafonierung des Unterhalts). Insbesondere aufgrund einer nach der Trennung aufgestockten oder neu ausgeübten Erwerbstätigkeit kann sich der ermittelte Überschuss massiv erhöhen, weshalb dieser nicht einfach nach den üblichen Teilungsgrundsätzen auf die Familienmitglieder aufgeteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hier einer zweiten Rechnung, mit welcher in Anwendung der 2-stufigen konkreten Methode der Überschuss während des Zusammenlebens ermittelt wird, wobei hierfür auf das Jahr vor der Trennung abgestellt wird. Die Obergrenze des nachehelichen Unterhalts entspricht somit dem familienrechtlichen Existenzminimum bei Getrenntleben zuzüglich des betragsmässig unveränderten Anteils am früheren gemeinsamen Überschuss.

Das familienrechtliche Existenzminimum, mithin der Verbrauchsunterhalt der Familie, ist dann schwer zu ermitteln, wenn die Trennung bereits vor mehreren Jahren vollzogen wurde. In derartigen Fällen hat sich aufgrund der vollzogenen Trennung nicht nur der Bedarf der Parteien massiv geändert, sondern gegebenenfalls auch das noch während der Trennung erzielte Einkommen.

Entscheidend ist darauf abzustellen, dass Einkommenssteigerungen des Unterhaltspflichtigen, welche gegebenenfalls auf einen Karrieresprung nach erfolgter Trennung zurückzuführen sind, keine Berücksichtigung finden, sofern der Bedarf des berechtigten Ehegatten voll gedeckt ist, mithin kein Manko verbleibt. Ausschlaggebend für die Unterhaltsberechnung ist demzufolge nicht das zum Zeitpunkt der Scheidung erzielte Einkommen des Unterhaltspflichtigen, sondern das während der Trennung erzielte Einkommen. Für die Ermittlung des zuletzt gemeinsam gelebten Lebensstandards muss demzufolge vollumfänglich auf die vor der Trennung bestehende finanzielle Situation der Familie abgestellt werden. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus der Steuererklärung, welcher sich unter anderem die Krankenkassenbeiträge, die Berufsauslagen und der Zins für Wohneigentum entnehmen lässt.

Unter Berücksichtigung der anerkannten Grundbeträge und damit demjenigen für Ehegatten während des Zusammenlebens von   CHF 1’700.00, für Kinder bis zu 10 Jahren von CHF 400.00 und hiernach CHF 600.00, lässt sich der gemeinsam gelebte Lebensstandard beziffern. Diesem Betrag werden sämtliche Einnahmen der Familie zum Zeitpunkt der Trennung gegenübergestellt und damit die Einnahmen beider Ehegatten (inklusive Kinderzulage). Ergibt sich hieraus eine Differenz, wäre diese um eine allfällige Sparquote zu bereinigen, welche nachweislich im Jahr vor der Trennung erzielt worden sein muss.

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C) SPARQUOTE

Zur Sparquote gehören sämtliche Ansparungen, wie freiwillige Einzahlung in die 2. und die 3. Säule.  Zum Teil werden hierzu auch Ausgaben gezählt, welche nicht dem alltäglichen Bedarf zuzuordnen sind, wie beispielsweise der Kauf eines neuen PWs und Amortisationszahlungen. Verbleibt nach Abzug dieser für das Jahr vor der Trennung nachweislich erzielten Sparquote ein Überschuss, ist dieser Überschuss auf die Anzahl der Familienmitglieder zu verteilen. Übersteigen die nach der 2-stufigen Berechnungsmethode ermittelten Unterhaltsansprüche bzw. die zur Verfügung stehenden Mittel auf Seiten des unterhaltsansprechenden Ehegatten und der Kinder diese Plafonierungsgrenze, ist der Unterhalt entsprechend zu kürzen. Bei den Kindern kommt zudem eine Kürzung hoher Überschussanteile auch aus erzieherischen Gründen in Frage.


26. Januar 2022 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht


UNTERNEHMEN IN DER GÜTERRECHTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV unter Mithilfe von MLaw Sara Sommer

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Lassen sich Eheleute scheiden, gilt es in finanzieller Hinsicht nebst der Regelung allfälliger Unterhaltszahlungen (Zuteilung von laufenden Einnahmen) die sogenannte güterrechtliche Auseinandersetzung (Verteilung des vorhandenen ehelichen Vermögens) vorzunehmen.

Das zu teilende eheliche Vermögen kann sich aus verschiedensten Vermögenswerten (z.B. aus Bargeld, Liegenschaften, Fahrzeugen etc.) zusammensetzen. Gehört einem Ehegatten ein Unternehmen, stellt dieses ebenfalls einen Vermögenswert dar und es ergeben sich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung diverse Besonderheiten und Fallstricke, die nachfolgend thematisiert werden.

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I. GÜTERRECHTLICHE AUSEINANDERSETZUNG

Haben die Ehepartner keinen besonderen Güterstand (Gütertrennung oder Gütergemeinschaft) vereinbart, unterstehen sie während der Dauer der Ehe dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Demgemäss verwaltet und nutzt jeder Ehepartner sein Vermögen selbst und haftet grundsätzlich nur für seine eigenen Schulden.

Die Besonderheit der Errungenschaftsbeteiligung zeigt sich erst bei deren Beendigung. Lässt sich ein Ehepaar scheiden, wird nämlich der Güterstand aufgelöst und es erfolgt die sogenannte güterrechtliche Auseinandersetzung. Ziel davon ist es, das vorhandene Vermögen unter den Ehegatten aufzuteilen. Hierfür wird zwischen vier Arten von Vermögensmassen unterschieden.

Einerseits verfügen beide Ehepartner – falls vorhanden – je über das sogenannte Eigengut. Darunter fällt insbesondere in die Ehe eingebrachtes Vermögen, erhaltene Erbschaften und Schenkungen und persönliche Gegenstände. Andererseits verfügen beide Ehepartner – falls vorhanden – je über die sogenannte Errungenschaft. Darunter fallen alle Vermögenswerte, die nicht Eigengut darstellen (typischerweise während der Ehe angespartes Vermögen aus Arbeitserwerb oder aus Erträgen des Eigengutes).

Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung behält jeder Ehegatte sein Eigengut. Zudem hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der Errungenschaft des Ehepartners. Es kann auch vorkommen, dass nur einer der beiden Ehegatten über Errungenschaftsvermögen verfügt. Dennoch muss die Hälfte davon dem Partner abgegeben werden.

Befindet sich ein Unternehmen im ehelichen Vermögen, ist also vorab festzustellen, ob das Unternehmen in das Eigengut oder in die Errungenschaft eines Ehegatten fällt und mithin, ob das Unternehmen bzw. der Unternehmenswert entsprechend zu teilen ist oder nicht.

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II. UNTERNEHMEN IM EIGENGUT

Hat dem Unternehmerehegatten das Unternehmen vor der Eheschliessung bereits gehört oder hat er das Unternehmen während der Ehe durch Erbschaft oder Schenkung erhalten, fällt das Unternehmen in dessen Eigengut. Bei der Teilung des Vermögens im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung hat der Unternehmerehegatte das Unternehmen in der Folge grundsätzlich nicht mit dem Ehepartner zu teilen.

Allerdings ist zu beachten, dass das Einkommen aus Arbeitstätigkeit als auch Erträge des Eigenguts während der Dauer der Ehe in die Errungenschaft fallen.

Die während der Dauer der Ehe ausgeschütteten Dividenden aus dem Unternehmen (als Erträge des Eigengutes) fallen daher in die Errungenschaft. (Gemäss Art. 199 Abs. 2 ZGB können Ehepaare abweichend davon mittels Ehevertrag vereinbaren, dass Erträge aus Eigengut nicht in die Errungenschaft fallen.) Werden Dividenden über mehrere Jahre jedoch nicht ausbezahlt, obwohl der Geschäftsgang des Unternehmens dies eigentlich nahelegen würde und werden die Gelder stattdessen im Unternehmen (z.B. als Gewinnvortrag oder Reserven) zurückbehalten, schmälert dies in unzulässiger Weise die eigentliche Errungenschaft. Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung sollte dieser Umstand festgestellt und ein entsprechender Ausgleich für die nicht ausbezahlten Dividenden verlangt werden.

In Bezug auf die Vergütung der Arbeitstätigkeit des Unternehmerehegatten im Unternehmen ist das Augenmerk darauf zu legen, ob die Arbeitstätigkeit angemessen entlöhnt (was würde unter Berücksichtigung der Funktion und Verantwortung im Betrieb sowie bei der Unternehmensentwicklung einem Dritten bezahlt) wurde. Wurde der Unternehmerehegatte nicht angemessen entlöhnt und hat das Unternehmen während der Dauer der Ehe aufgrund der zu tiefen Lohnzahlungen an Wert gewonnen (sog. industrieller Mehrwert), so fällt die Wertsteigerung im Umfang der Differenz vom ausbezahlten zum angemessenen Lohn doch in die Errungenschaft. Damit soll verhindert werden, dass der Unternehmerehegatte sich über Jahre hinweg bloss einen Hungerlohn ausbezahlt, während er sein Eigengut durch Steigerung des Unternehmenswertes – zu Lasten der Errungenschaft – vergrössert. 

Bezahlt der Unternehmerehegatte sich einen angemessenen Lohn für seine Erwerbstätigkeit und gewinnt das Unternehmen dennoch an Wert, so spricht man vom sogenannt konjunkturellen Mehrwert. Die Wertsteigerung ist dann auf die den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage zurückzuführen. Dieser Mehrwert kommt alleine dem Unternehmerehegatten zu und der andere Ehegatte partizipiert nicht.

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III. UNTERNEHMEN IN DER ERRUNGENSCHAFT

Hat der Unternehmerehegatten das Unternehmen erst nach der Eheschliessung mit Mittel der Errungenschaft (Lohnzahlungen und eigene Arbeitskraft) gegründet, so fällt es in die Errungenschaft. Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ist es daher grundsätzlich zwischen den Ehegatten zu teilen. Bezahlt sich der Unternehmerehegatte einen zu tiefen Lohn oder zu tiefe Dividenden aus, spielt dies keine Rolle, da der andere Ehegatte an einer allfälligen Wertsteigerung ohnehin hälftig beteiligt wird. Auch von einem konjunkturellen Mehrwert profitieren beide Ehegatten hälftig.

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IV. VERMISCHUNG VON EIGENGUT UND ERRUNGENSCHAFT

In der Praxis kommt es oft vor, dass Eigengut und Errungenschaft miteinander vermischt werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bereits bei der Unternehmensgründung Mittel sowohl aus Eigengut und als auch aus der Errungenschaft mitwirken oder wenn zu einem späteren Zeitpunkt Investitionen zugunsten des Unternehmens aus einer anderen Vermögensmasse getätigt werden.

Rechtlich muss jedoch jeder Vermögenswert – also auch das Unternehmen – entweder der Errungenschaft oder dem Eigengut zugeordnet werden. Die Zuteilung erfolgt an jene Vermögensmasse, die zeitlich zuerst involviert war oder – falls beide Massen zu Beginn beteiligt waren – an jene Vermögensmasse mit dem engeren sachlichen Zusammenhang zum Unternehmen.

Der faktischen Vermischung der beiden Vermögensmassen schenkt der Gesetzgeber im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung insofern Beachtung, als dass zwischen den Massen für entsprechende Investitionen eine Ausgleichspflicht besteht. Das bedeutet, dass beispielsweise eine aus der Errungenschaft zugunsten des Unternehmens im Eigengut geleistete Investition in die Errungenschaft «zurückgeführt» bzw. bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung berücksichtigt werden muss. Je nachdem zwischen welchen der vier Vermögensmassen (Errungenschaft Mann/Frau, Eigengut Mann/Frau) Investitionen flossen, ist zudem ein allfälliger Mehrwert (ein Wertzuwachs des Unternehmens) oder ein allfälliger Minderwert (Wertverlust des Unternehmens) bei der «Rückzahlung» an die investierende Vermögensmasse zu berücksichtigen.

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V. BEWERTUNG DES UNTERNEHMENS

Ist ein Unternehmen zwischen den Ehegatten zu teilen, da es in die Errungenschaft fällt, erlangt der Nichtunternehmerehegatte jedoch keinen zwingenden Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der Hälfte des Unternehmens. Er erlangt lediglich einen Anspruch auf den Wert der Hälfte des Unternehmens (güterrechtlicher Ausgleichsanspruch). Dieser Anspruch kann zwar durch Übertragung von Unternehmensanteilen befriedigt werden, aber er kann beispielsweise auch mit allfälligen Gegenansprüchen verrechnet werden oder durch Geldzahlung abgegolten werden kann.

Da meist nicht eine effektive Teilung des Unternehmens zwischen den Ehegatten vorgenommen wird, sondern ein Wertausgleich erfolgt, ist der Unternehmenswert zu eruieren. Hierfür muss die Bewertungsmethode bestimmt werden. Ausserdem stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt für die Unternehmensbewertung relevant ist und wie der tatsächliche Unternehmenswert – frei von Manipulationen – ermittelt wird. 

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1) BEWERTUNGSMETHODE

Soll ein Unternehmen in Zukunft – egal ob durch den Unternehmerehegatten selbst oder einen allfälligen Käufer – weitergeführt werden, ist eine Gesamtbewertung des Unternehmens als eine Einheit vorzunehmen. Man spricht von der Bewertung zum sogenannten Fortführungswert. Bei der Festsetzung dieses Wertes sind unter anderem die in Zukunft zu erwartenden Gewinne und immaterielle Werte wie beispielsweise das fachliche Know-How des Unternehmens oder ein wertvoller Kundenstamm zu berücksichtigen.

Muss der Betrieb jedoch eingestellt bzw. liquidiert werden, weil niemand das Unternehmen fortführen möchte oder kann, ist der sogenannte Liquidationswert (auch: Zerschlagungswert) massgeblich. Dieser wiederspiegelt, welchen Erlös man bei der Versilberung der einzelnen Vermögensgegenstände (z.B. Maschinen, Liegenschaft, Warenbestände) abzüglich der Unternehmensschulden erlangen kann und fällt in der Regel tiefer aus als der Fortführungswert.

Die Bestimmung der Bewertungsmethode (Fortführungs- oder zum Liquidationswert) stellt eine Rechtsfrage dar und ist im Streitfall durch den Richter zu entscheiden. Steht die Bewertungsmethode einmal fest, wird die eigentliche Bezifferung des Wertes idealerweise durch entsprechende Bewertungsexperten vorgenommen.

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2) BEWERTUNGSZEITPUNKT

Massgeblich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ist der Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Scheidungsurteils (und nicht zum Zeitpunkt der der Klageerhebung). Das Scheidungsrecht birgt daher die vom Gesetzgeber beabsichtigte Besonderheit, dass ein Wertzuwachs oder ein Wertverlust des Unternehmens bis zum Abschluss des Scheidungsverfahrens beide Ehegatten betrifft. Bei einer mutwilligen Wertverminderung während des laufenden Verfahrens durch einen der Ehegatten kann ein Richter jedoch gegebenenfalls vom gesetzlichen Bewertungszeitpunkt abweichen.

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3) MANIPULATION DES UNTERNEHMESWERTES

Die Versuchung eines Unternehmerehegatten, insbesondere, wenn er die alleinige Kontrolle über das in die Errungenschaft fallende Unternehmen hat, den angeblichen Unternehmenswert im Hinblick auf eine güterrechtliche Auseinandersetzung durch Manipulationen (übermässige Abschreibungen, Verbuchung von Privataufwänden, Bildung von zu hohen Rückstellungen etc.) zu reduzieren, gilt als hoch. Es darf bei der Unternehmensbewertung daher nicht blindlings auf die letzten Jahresabschlüsse abgestützt werden, sondern die Geschäftsgänge sind kritisch zu würdigen.

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VI. FAZIT

Eine güterrechtliche Auseinandersetzung ist für Laien ohnehin oft kein einfaches Unterfangen. Fällt ein Unternehmen in das eheliche Vermögen können sich bereits bei der korrekten Zuteilung des Unternehmens in die jeweilige Gütermasse (Eigengut oder Errungenschaft) Schwierigkeiten ergeben. Tragen finanzielle Mittel einer anderen Gütermasse zum wirtschaftlichen Fortkommen des Unternehmens bei oder bezahlt der Unternehmerehegatte sich einen zu tiefen Lohn oder zu tiefe Dividenden aus dem in seinem Eigengut stehenden Unternehmen aus, so sind ausserdem Ausgleichszahlungen und/oder Ersatzforderungen zu prüfen. Zu guter Letzt ist bei der eigentlichen Unternehmensbewertung – insbesondere hinsichtlich buchhalterischen Manipulationen – Vorsicht geboten. 

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26. Januar 2022 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV unter Mithilfe von MLaw Sara Sommer


EHE FÜR ALLE AB DEM 1. JULI 2022

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Unter geltendem Recht können gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung seit dem Jahr 2007 als eingetragene Partnerschaft anerkennen lassen (Art. 2 des Partnerschaftsgesetzes, PartG). Rechtlich unterscheidet sich die eingetragene Partnerschaft von der Ehe vorwiegend bei der Einbürgerung, der Adoption sowie der Samenspende. So ist die erleichterte Einbürgerung für ausländische Personen in eingetragener Partnerschaft nicht vorgesehen (vgl. Art 20 ff. Bürgerrechtsgesetz, BüG sowie Art. 10 BüG [ordentliche Einbürgerung bei eingetragener Partnerschaft]). Weibliche Paare in eingetragener Partnerschaft haben keinen Zugang zur Samenspende (Art. 3 Abs. 3 Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) und eine Adoption ist für Personen in eingetragener Partnerschaft nur für die Kinder des Partners oder der Partnerin vorgesehen (Art. 264c Zivilgesetzbuch, ZGB).

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I. GRUNDSATZ

Am 26. September 2021 wurde die Vorlage «Ehe für alle» angenommen. Bereits mit Gültigkeit ab dem 1. Januar 2022 ist Art. 9g Abs. 2 Schlusstitel ZGB in Kraft. Gemäss dieser Bestimmung werden ab dem 1. Januar 2022 im Ausland geschlossene Ehen gleichgeschlechtlicher Paare bereits als solche anerkannt und der für diese Ehen geltende Güterstand übernommen.

Ab dem 1. Juli 2022 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten oder ihre eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umwandeln lassen. Das Gesuch um Durchführung des Ehevorbereitungsverfahrens kann bereits vor dem 1. Juli 2022 beim zuständigen Zivilstandesamt eingereicht werden. Sodann können ab dem 1. Juli 2022 keine neuen eingetragenen Partnerschaften mehr begründet werden. Gleichgeschlechtliche Paare können, wie heterosexuelle Paare, künftig einzig heiraten (vgl. Art. 2 PartG, welcher per 1. Juli 2022 aufgehoben wird).

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II. UMWANDLUNG EINER EINGETRAGENEN PARTNERSCHAFT

Gemäss Art. 35 Abs. 1 nPartG können eingetragene Partnerinnen und Partner gemeinsam beim Zivilstandesamt erklären, dass sie ihre eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umwandeln wollen. Es handelt sich dabei nicht um eine Auflösung der eingetragenen Partnerschaft und einen (Neu-) Abschluss einer Ehe, sondern um eine Umwandlung des bestehenden Instituts. Eine solche Erklärung ist nicht an eine bestimmte Frist gebunden und kann jederzeit erfolgen. Sobald beide Partnerinnen oder Partner die entsprechende Umwandlungserklärung unterzeichnet haben, gelten sie als Eheleute und ihr Zivilstand wird mittels Beurkundung im Zivilstandsregister in «verheiratet» geändert. Ein bestehender Vermögens- oder Ehevertrag bleibt auch nach der Umwandlung weiterhin gültig (Art. 35a Abs. 4 nPartG). Der ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung, welcher heute bereits bei der Ehe von heterosexuellen Paaren grundsätzlich zur Anwendung gelangt (Art. 181 ZGB), gilt ab dem Zeitpunkt der Umwandlung (Art. 35a Abs. 3 nPartG). Wird keine Erklärung nach Art. 35 Abs. 1 nPartG abgegeben, wird die bereits bestehende eingetragene Partnerschaft als solche weitergeführt und die entsprechenden Gesetzesbestimmungen des Partnerschaftsgesetzes bleiben anwendbar.

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III. HEIRAT

Das Eherecht ist im zweiten Teil (Familienrecht), erste Abteilung, des Zivilgesetzbuches geregelt. Die Artikel 90 ff. ZGB werden per 1. Juli 2022 sprachlich angepasst. Inhaltlich ändern sich die Ehevoraussetzungen, die Vorbereitung der Eheschliessung und die Trauung nicht. Das bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare ab 1. Juli 2022 unter den gleichen Voraussetzungen und Modalitäten heiraten können, wie dies bereits unter geltendem Recht für heterosexuelle Paare gilt.

Auch die Artikel 43 ff. des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht, 3. Kapitel (Eherecht), erfahren per 1. Juli 2022 eine sprachliche Anpassung.

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IV. ADOPTION UND SAMENSPENDE

Gemäss Art. 264c ZGB können gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, ausschliesslich das Kind ihres Partners/ihrer Partnerin, nicht aber ein Kind von Dritten adoptieren. Die gemeinschaftliche Adoption gemäss Art. 264a ZGB steht bisher nur Ehegatten unter bestimmten, vom Gesetz bezeichneten, Voraussetzungen offen. Durch die neu geschaffene Möglichkeit der Eheschliessung von gleichgeschlechtlichen Paaren, können diese künftig (ab 1. Juli 2022) ebenfalls gemeinschaftlich ein Kind adoptieren.

Gemäss Art. 3 Abs. 3 FMedG dürfen gespendete Samenzellen bisher nur bei (heterosexuellen) Ehepaaren verwendet werden. Da unter geltendem Recht eine Ehe zwischen zwei Frauen noch nicht möglich ist, ist eine Samenspende an ein Paar, das in eingetragener Partnerschaft lebt, ebenfalls nicht vorgesehen. Mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, steht es ab dem 1. Juli 2022 lesbischen Paaren, die eine Ehe schliessen, unter den Voraussetzungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes offen, eine Samenspende zu erhalten.

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V. ERLEICHTERTE EINBÜRGERUNG

Das Bürgerrechtsgesetz (BüG) regelt unter dem Titel «Ordentliche Einbürgerung» die Voraussetzungen bei eingetragener Partnerschaft (Art. 10 BüG). Eine erleichterte Einbürgerung ist nach geltendem Recht für Personen in eingetragener Partnerschaft nicht vorgesehen. Diese steht gemäss Art. 21 BüG bisher nur der Ehefrau eines Schweizers oder dem Ehemann einer Schweizerin offen. Durch das künftige Recht zur Eheschliessung für alle (ab 1. Juli 2022), können auch die gleichgeschlechtlichen Ehepartner von Schweizerinnen und Schweizer von der erleichterten Einbürgerung nach Art. 21 BüG profitieren.

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VI. AUFHEBUNG DER EINGETRAGENEN PARTNERSCHAFT / SCHEIDUNG

Die Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft und die Scheidung einer Ehe ist, gestützt auf die entsprechenden, gesetzlichen Bestimmungen im nPartG und im ZGB nur durch das zuständige Gericht möglich. Die betroffenen Paare haben jedoch, wie bis anhin, die Möglichkeit, die Nebenfolgen der Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft/der Scheidung im gesetzlich vorgesehenen Rahmen in einer Teil- oder Volleinigung eigenständig und einvernehmlich zu regeln. Für diesen Prozess empfiehlt sich in vielen Fällen der Beizug einer rechtlichen Fachperson, die sicherstellen kann, dass die gemeinsam erarbeiteten Regelungen vom Gericht genehmigt werden können. Nur wenn die Parteien sich bezüglich dem Auflösungspunkt/Scheidungspunkt nicht einig sind oder es nicht gelingt, die Nebenfolgen der Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft/der Scheidung einvernehmlich zu regeln, entscheidet der Richter autoritativ im streitigen Verfahren.

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Eine Gegenüberstellung der Gesetzestexte bisher und neu ab dem 1. Juli 2022 finden Sie links unten über den «PDF-Button».

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25. Januar 2022  / lic. iur. Melanie Schmidt

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