UNTERNEHMENSNACHFOLGE INNERHALB DER FAMILIE TROTZ GÜTER- UND ERBRECHTLICHER ANSPRÜCHE DES EHEGATTEN UND DER ANDEREN NACHKOMMEN (NEUES UNTERNEHMENSERBRECHT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Soll ein Familienunternehmen im Todesfall auf einen Nachkommen als Nachfolger des Patrons (oder der Patronin) übertragen und damit dessen Fortbestand gewährleistet werden, braucht es in aller Regel rechtzeitige Vorkehrungen des Erblassers in güter-, erb- und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht. Andernfalls scheitert die Familiennachfolge oftmals an den finanziellen Ausgleichungspflichten gegenüber den Miterben und es bleibt nichts anderes übrig als ein Verkauf oder eine Liquidation des Unternehmens.

Mit dem Inkrafttreten der bereits beschlossenen Erbrechtsrevision per 1. Januar 2023 (vgl. unseren Newsletter vom 28. April 2021) wird der Regelungsspielraum des Erblassers zwar erheblich vergrössert. Wenn neben dem Unternehmen als Hauptaktivum der Hinterlassenschaft aber kein namhaftes weiteres Vermögen vorhanden oder der Nachfolger nicht selber ausreichend finanzstark ist, kann ohne rechtzeitige Vereinbarungen und Anordnungen des Erblassers eine Nachfolge dennoch scheitern. Eine geplante zweite Erbrechtsrevision – die entsprechende bundesrätliche Botschaft wird demnächst in die Vernehmlassung gehen – soll hier zusätzlich Abhilfe schaffen und die Problematik entschärfen.

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I. PROBLEMATIK (GÜTER- UND ERBRECHTLICHE PFLICHTTEILE)

Eine unentgeltliche (oder finanziell verkraftbare) Übertragung des Unternehmens im Todesfall auf einen Nachkommen kommt – auch wenn vom verstorbenen Unternehmer geplant und so angeordnet – nur dann in Frage, wenn aus dem restlichen Nachlassvermögen die im konkreten Fall zu beachtenden güter- und erbrechtlichen Ansprüche der Miterben ausgeglichen werden können.

Bei einem während einer Ehe aufgebauten und somit zur Errungenschaft gehörenden Unternehmen können diese zwingenden Ansprüche des Ehegatten und weiterer Nachkommen am Vermögen des verstorbenen Unternehmers ohne gegenteilige Regelungen, d.h. von Gesetzes wegen, bis zu 7/8 des Nachlasses (und somit auch des Unternehmenswertes) umfassen. Eine zur Sicherung der Familiennachfolge gewollte Begünstigung des Nachfolger-Nachkommens (mit einer unentgeltlichen oder finanziell tragbaren Übertragung der Firma) ist entsprechend eingeschränkt und in aller Regel nicht realistisch. Dem Nachfolger die Firma bzw. den erfolgreichen Fortbestand derselben wenigstens durch die Zuwendung einer Mehrheitsbeteiligung zu sichern, ist insoweit riskant, als sich nach der «aisement négociables Doktrin» pflichtteils-geschützte Miterben die Zuweisung und Anrechnung einer Minderheitsbeteiligung nicht gefallen lassen müssen.

Eine Umgehung dieser Schranken im Todesfall durch eine lebzeitige (günstige) Übertragung der Firma auf den Nachfolger-Nachkommen ist zwar an sich möglich, birgt aber ohne entsprechende Vereinbarungen mit den dereinstigen Miterben für denselben erhebliche Risiken nachträglicher «Ausgleichungspflichten», die sogar weit über dem liegen können, was ihm bei der Übernahme der Firma «geschenkt» wurde.

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II. EINVERSTÄNDLICHE REGELUNGEN

Durch güterrechtliche Vereinbarungen mit dem überlebenden Ehegatten («Ehevertrag mit Zuweisung des Unternehmens ins Eigengut des Erblassers»), erbvertragliche Vereinbarungen mit dem Nachfolger, der Ehefrau und den Geschwistern («Unterschiedliche Erbquoten», «Stundung von Ausgleichungsansprüchen», etc.) sowie gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen und statutarische Gestaltungsmöglichkeiten («Stimmrechtsaktien», «Aktionärsbindungsverträge», etc.) kann die Problematik vom Erblasser zu Lebzeiten entschärft bzw. verhindert werden. Alle diese Vorkehrungen setzen aber voraus, dass die dereinstigen Miterben zu entsprechenden Vereinbarungen Hand bieten und auf ihre gesetzlichen Ansprüche (zumindest teilweise oder vorübergehend) verzichten.

Leider fehlt es all zu oft an der Bereitschaft zu solchen einverständlichen Lösungen, welche den Verbleib der Firma in der Familie und die erfolgreiche Weiterführung durch einen Nachkommen als neuen Patron sichern; dies selbst dann, wenn dabei auch der Absicherung des  überlebenden Ehegatten und der Gleichbehandlung aller Kinder Rechnung getragen wird, was dem Erblasser in aller Regel gleichermassen wichtig ist.

Dass solche einverständlichen Lösungen in aller Regel eine eingehende Beratung aller Beteiligten und entsprechende fachmännische Unterstützung voraussetzen, dürfte klar sein. Oftmals gelingt es gerade dank einer solchen Beratung alle Beteiligten «unter einen Hut zu bringen» und eigentliche Win-Win-Lösungen zu kreieren.

Auch im Sinne eines zusätzlichen «Druckmittels» zu Gunsten solcher einverständlicher Regelungen der Familiennachfolge ist es zu begrüssen, dass mit den eingangs beschriebenen Änderungen des Erbrechts der Handlungsspielraum des Erblassers vergrössert wird, d.h. er nötigenfalls auch einseitig die Chancen einer erfolgreichen Familiennachfolge erhöhen kann (siehe unten Ziffer III.).

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III. AKTUELLE UND ZUKÜNFTIGE EINSEITIGE GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN

Ausgehend von einem einfachen Beispielfall, in welchem der Erblasser neben dem designierten Nachfolger seinen Ehegatten und einen weiteren Nachkommen (Kind oder Enkel) hinterlässt, sollen die Möglichkeiten des Erblassers zur einseitig angeordneten (erfolgreichen) Familiennachfolge und die Auswirkungen der Erbrechtsrevisionen kurz aufgezeigt werden.

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1. AKTUELLE RECHTSLAGE

Unter dem aktuell noch gültigen Recht kann der Erblasser seinen Nachfolger durch Entbindung von der Ausgleichungspflicht (bei lebzeitiger Übertragung) und letztwilliger Zuweisung einer maximal zulässigen Erbquote von 9/16 (statt dem gesetzlichen Erbanteil von nur ¼) begünstigen und ihm damit eine Übernahme des ganzen Unternehmens ohne untragbare Ausgleichungspflichten immerhin etwas erleichtern. Dies gilt namentlich dann, wenn der Ehegatte insoweit mitwirkt, als er/sie im Interesse der Familiennachfolge gleichzeitig auf güterrechtliche Ansprüche am Unternehmenswert verzichtet. Durch geeignete Teilungsvorschriften und gesellschaftsrechtliche Regelungen kann zudem das Risiko einer erfolgreichen Anfechtung der einseitig angeordneten Familiennachfolge oder der Durchsetzung zu hoher Pflichtteilsforderungen zusätzlich reduziert werden.

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2. RECHTSLAGE AB 1. JANUAR 2023

Mit der eingangs erwähnten Erbrechtsrevision werden die Pflichtteile der Nachkommen reduziert. Der Nachfolger kann daher neu mit einer Erbquote von maximal 5/8 begünstigt werden, was die Übernahme der Firma erleichtert. Im Übrigen ändert sich an der Rechtslage nichts (vgl. Ziffer 1.).

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3. GEPLANTE ZWEITE ERBRECHTSREVISION

emäss dem bundesrätlichen Entwurf zur weitergehenden (erbrechtlichen) Förderung der familieninternen Unternehmensnachfolge ist zusätzlich vorgesehen, dass der begünstigte Nachfolger für die Abgeltung trotz Begünstigung (vgl. Ziffer 2.) verbleibender Ausgleichszahlungen einen Zahlungsaufschub bzw. eine Zahlungsfrist von längstens 5 Jahren verlangen kann. Auch wenn solche gestundeten Zahlungen sicherzustellen und zu verzinsen sind, stellt dies eine erhebliche Verbesserung dar, kann doch so die Ausgleichungszahlung auch aus den zukünftigen Erträgen der Unternehmung finanziert werden.

Für den Fall einer lebzeitigen Übertragung der Firma ist neu vorgesehen, dass sich der Wert der Unternehmung (ohne nicht betriebsnotwendige Aktiven), der erbrechtlich trotz Begünstigung auszugleichen ist, nicht mehr nach dem Wert per Todestag des früheren Eigentümers, sondern nach dem Wert per Übernahme bemisst: Damit wird – endlich – die Ungerechtigkeit beseitigt, dass der erfolgreich geschäftende Nachfolger, der die Firma zu Lebzeiten unentgeltlich oder vergünstigt übernommen hat, auch noch den von ihm bis zum Todestag erwirtschafteten Erfolg mit den Miterben teilen muss, wie dies aktuell der Fall ist.

Nicht vorgesehen ist in der bundesrätlichen Botschaft leider die Möglichkeit, die Miterben auch mit einer Minderheitsbeteiligung an der Unternehmung abzugelten und damit den Finanzierungsbedarf des Nachfolgers zusätzlich zu reduzieren. Jedenfalls dann, wenn die Stellung der Miterben als Minderheitsaktionäre vertraglich abgesichert wird, sollte das Gesetz m.E. einen entsprechenden Anspruch vorsehen.

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IV. FAZIT / EMPFEHLUNG

Für das Unternehmenserbrecht bzw. die Chance auf eine realistische  – lebzeitige oder letztwillige – familieninterne Unternehmensnachfolge bringt die Erbrechtsrevision ab 1. Januar 2023 erste Vorteile. Die zweite Erbrechtsrevision wird – sofern Bundesversammlung und Volk zustimmen – die gesellschaftlich zweifellos zu begrüssende Weiterführung von Familienunternehmen über die Pensionierung oder den Tod von der/dem Patron/Patronin hinaus zusätzlich fördern. Dies jedenfalls dann, wenn das Parlament den bundesrätlichen Entwurf im einen oder anderen Punkt noch etwas verbessert.

Unverändert gilt auch unter dem neuen Recht, dass die familieninterne Unternehmensnachfolge von langer Hand geplant und durch ausgewiesene Fachleute begleitet werden sollte, um optimierte und gerechte Lösungen zu finden und dem (lebzeitigen oder letztwilligen) Nachfolger ungeplante und seine Existenz bedrohende Verpflichtungen zu ersparen.


19. Januar 2022 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


DIGITALE NACHLASSPLANUNG – WAS PASSIERT MIT MEINEN KRYPTOWÄHRUNGEN NACH DEM TOD?

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Bitcoin, Ethereum, Litecoin und Co. – aktuell investieren mehr Leute in Kryptowährungen als in herkömmliche Wertschriften oder Immobilien. Doch nur wenige machen sich dabei Gedanken darüber, was mit ihren Kryptowährungen nach ihrem Tod passieren soll. Wie wichtig es aber ist, bei Investitionen in Kryptowährungen bereits frühzeitig seinen Nachlass zu planen, zeigt der Fall des amerikanischen Unternehmers und Kryptowährungsinvestors Matthew Mellon, welcher unerwartet starb, das Passwort für seinen Kryptowährungsvorrat im Wert von 500 Millionen US-Dollar nirgends niedergeschrieben hatte und das Kryptovermögen damit für immer verloren war. Nachfolgend wird aufgezeigt, ob Kryptowährungen nach geltendem Schweizer Recht überhaupt vererbbar sind und wie diese in der Nachlassplanung berücksichtigt werden müssen.     

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I. RECHTLICHE QUALIFIKATION VON KRYPTOWÄHRUNGEN

Kryptowährungen, wie Bitcoin, Ethereum und Co. sind virtuelle Werteinheiten, über die in einem dezentralen softwarebasierten System, der sog. Blockchain, Buch geführt wird und durch eine Verschlüsselungstechnologie gesichert sind.

Die erbrechtliche Behandlung von Kryptowährungen ist von ihrer zivilrechtlichen Qualifikation abhängig. In der Literatur ist aktuell umstritten, wie Kryptowährungen in rechtlicher Hinsicht zu qualifizieren sind. Einige Autoren sehen in Kryptowährungen eine «Sache» im Sinne des Zivilgesetzbuches. Folgt man dieser Meinung, kann an Kryptowährungen ohne weiteres Eigentum und damit ein absolutes Recht begründet werden. Nach der heute (noch) überwiegenden Lehre und auch Ansicht des Bundesrates wird jedoch davon ausgegangen, dass es sich bei Kryptowährungen mangels Körperlichkeit gerade nicht um «Sachen» im zivilrechtlichen Sinne handelt, sondern um rein faktische Vermögenswerte, woran kein Eigentum begründet werden kann und für die kein Wert garantiert wird.

Obwohl an Krypotwährungen gemäss herrschender Lehre kein Eigentum begründet werden kann und somit kein absolutes Recht an Kryptowährungen besteht, können sogenannte relative Rechte daran begründet werden. Das relative Recht ist ein subjektives Recht, das im Gegensatz zum absoluten Recht nur gegenüber bestimmten Personen wirkt und nur von diesen verletzt oder durchgesetzt werden kann. Im Rahmen von Kryptowährungen dürfte dies jedoch nur der Fall sein, wenn der Erblasser seine Kryptowährungen in einem sogenannten Custodial Wallet aufbewahrt, welches von einem Dritten, beispielsweise einer Krypto-Bank verwahrt wird.

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II. VERERBBARKEIT VON KRYPTOWÄHRUNGEN

Verwaltet der Inhaber seine Kryptowährungen selbst, so ist fraglich, ob und inwiefern die Erben des verstorbenen Inhabers der Kryptowährungen auch diese umfasst werden. Mit der Mehrheit der Lehre ist jedoch – auch mangels die Kryptowährungen regulierender Gesetzgebung – von einer weiten Auslegung von Art. 560 ZGB auszugehen, womit mit von der Erbschaft auch Kryptowährungen umfasst wären und kraft Gesetzes auf die Erben übergehen würden. Eine Abweichung von dieser Meinung führte dazu, dass Kryptowährungen und damit die Vermögenswerte im Todesfall verloren gehen würden.

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III. FRÜHZEITIGE NACHLASSPLANUNG

Aufgrund der noch unsicheren Rechtslage ist Inhabern von Kryptowährungen zu empfehlen, sich frühzeitig mit ihrem Nachlass zu befassen. Bei der Ausarbeitung von Verfügungen von Todes wegen über kryptobasierte Vermögenswerte (insbesondere Erbeinsetzungen, Teilungsvorschriften, Vermächtnisse) sind dabei die erbrechtlichen Formvorschriften sowie die allfälligen Pflichtteile der Erben zu beachten.

Des Weiteren ist entscheidend, dass die Verschaffung der Zugriffsmöglichkeit (Übermittlung relevanter Zugangsdaten) an die Erben geregelt wird. Die Zugriffsmöglichkeit muss nicht zwingend in einem Testament oder Erbvertrag festgehalten werden und kann auch auf andere Weise sichergestellt werden. Aufgrund der Gefahr, dass derjenige welche über den «Private Key» oder die «Seed-Phrase» verfügt, faktisch über die Kryptowährungen verfügen kann, ist dabei bereits bei der Nachlassplanung sicherzustellen, dass die Zugangsinformationen auf sicherem Wege an die richtigen Erben gelangen.

Entscheidend für die Nachlassplanung ist zudem, ob die Kryptowährungen in einem Custodial Wallet oder Non-Custodial Wallet gehalten werden. Sofern die Kryptowährungen in einem Custodial Wallet gehalten werden, hat allein der Finanzintermediär Zugriff zum Wallet und zu den Kryptowährungen. Das zwischen dem Inhaber der Kryptowährungen und dem Dritten zugrundeliegende Vertragsverhältnis entspricht dabei regelmässig einem Auftrag. Im Todesfall des Inhabers treten die Erben deshalb mittels Universalsukzession gemäss Art. 560 ZGB in das Rechtsverhältnis des verstorbenen Inhabers ein. Entsprechend haben die Erben dessen Auskunfts- und Informationsrechte. In diesem Fall hat der Inhaber von Kryptowährungen somit nur dafür besorgt zu sein, dass die Erben von der Vertragsbeziehung mit dem Dritten Kenntnis nehmen können. Regelmässig sind diese Informationen bereits aus der Steuererklärung ersichtlich; sicherheitshalber empfiehlt es sich dennoch, dies mittels Verfügung von Todes wegen ausdrücklich festzuhalten.

Hält der Inhaber seine Kryptowährungen hingegen in einem Non-Custodial Wallet, müssen die Erben darüber informiert werden, wie auf die Kryptowährungen zugegriffen werden kann. Kennen die Erben weder die Zugangsdaten, noch wie sie diese anwenden können, besteht das Risiko, dass die Kryptowährungen nach dem Tod des Erblassers für immer verloren gehen. Der Inhaber muss seinen künftigen Erben deshalb den Zugang zum Non-Custodial Wallet inklusive Pin/Passwort oder zur Seed-Phrase sicherstellen. Hierfür empfiehlt es sich einen Krypto-Zugangsplan aufzustellen, der neben einer Auflistung der vorhanden Kryptowährungen und Wallets auch den Aufbewahrungsort des Wallet PINs bzw. Passworts und der Seed Phrase enthält. Es empfiehlt sich sodann den Krypto-Zugangsplan separat vom Wallet und der Seed Phrase aufzubewahren.

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IV. FAZIT

Fest steht: Die zunehmende Digitalisierung führt zu neuen Herausforderungen in der Nachlassplanung. Da die Rechtslage betreffend Kryptowährungen äusserst unsicher ist, ist die Nachlassplanung für Inhaber von Bitcoins, Ethereum und Co. umso wichtiger. Damit die Kryptowährungen nach dem Tod nicht für immer verloren gehen, müssen gewisse Vorbereitungsmassnahmen getroffen und im Idealfall schriftlich festgehalten werden. Allgemein empfiehlt es sich sodann, einen kryptoversierten Willensvollstrecker einzusetzen, um die Erben im Zusammenhang mit den sich im Nachlass befindlichen Kryptowährungen und ihrem Zugang zu unterstützen und damit der Missbrauchsgefahr durch einen Unberechtigten entgegenzuwirken.


22. Dezember 2021 / MLaw Kim Wysshaar


WER ENTSCHEIDET ÜBER (COVID-) IMPFUNGEN BEI MINDERJÄHRIGEN KINDERN BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Aktuell wird kaum eine andere Frage in wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Hinsicht mehr diskutiert, als die Frage um die Notwendigkeit, Gefahr oder Absicherung der Gesundheit durch eine Impfung gegen das Corona-Virus. Insbesondere bei Kindern wird diese Frage sowohl in der Wissenschaft als selbstverständlich auch durch betroffene Eltern rege diskutiert und ist mit entsprechenden Emotionen und Ängsten belastet. Solange nicht der Staat im Sinne einer Impfpflicht die Frage der Impfung einer minderjährigen Person beantwortet, was in der Schweiz aktuell kaum befürchtet werden muss, obliegt dieser Entscheid den Eltern, welche Inhaber der elterlichen Sorge sind. Gerade im Bereich von Trennungsverfahren oder Scheidungsverfahren wird diese Frage aktuell oft und zusätzlich zum Zankapfel.

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I. DIE IMPFUNG, EIN MEDIZINISCHER EINGRIFF

Völlig unabhängig davon, ob wir nun von einer Impfung gegen das Corona-Virus sprechen oder von Impfungen gegen Masern, Hepatitis oder gar Borreliose: Die Impfung stellt immer einen medizinischen Eingriff dar und fällt damit nicht unter eine alltägliche und damit normale Entscheidung, über welche ein Elternteil, ob nun getrennt lebend oder nicht, alleine entscheiden dürfte (Art. 301 Abs. 1bis Ziff. 1 ZGB e contrario). Damit ist grundsätzlich erstellt, dass beide Elternteile, sofern sie gemeinsame elterliche Sorge über das betreffende Kind haben, diesem Entscheid zustimmen müssen. Dies gilt, wenn die Eltern zusammenleben, dies gilt aber auch dann, wenn die Eltern getrennt leben oder gar geschieden sind und gemäss Scheidungsurteil die elterliche Sorge beiden Eltern zugeteilt wurde, was der gesetzliche Normalfall ist (Art. 296 Abs. 2 iVm Art. 298 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB).

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II. WAS, WENN SICH ELTERN NICHT EINIG SIND?

Wie zuvor festgestellt, ist kein Elternteil befugt, sofern eine gemeinsame elterliche Sorge besteht, den Impfentscheid über das gemeinsame minderjährige Kind alleine zu fällen. Es stellt sich somit die Frage, was ein Elternteil tun kann, welcher sich für die Impfung des Kindes einsetzen will, jedoch am Widerstand des anderen Elternteils scheitert?

Art. 307 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass immer dann, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die die gemeinsame elterliche Sorge innehabenden Eltern von sich aus nicht für Abhilfe schaffen, die Kindesschutzbehörde (KESB) geeignete Massnahmen zum Schutz des Kindes ergreifen darf und ergreifen muss. So ist die KESB insbesondere befugt, den Eltern verbindliche Weisungen zu erteilen (Art. 307 Abs. 3 ZGB). Für den Fall, dass solche Kindesschutzmassnahmen erfolglos bleiben, sich also ein Elternteil, oder beide, gegen ergangene Weisungen der Behörde widersetzen würden, kann die Behörde den Eltern die elterliche Sorge entziehen, um so den Entscheid selber fällen zu können.

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III. DARF KESB DIE IMPFUNG DES KINDES VERLANGEN / DURCHSETZEN?

Bei Uneinigkeit unter Eltern in relevanten Erziehungsbelangen, so insbesondere im Bereich der Gesundheit, kann ein behördlicher Entscheid nur infrage kommen, wenn die Weiterführung des bisherigen Zustandes eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die konkrete Situation des Kindes, seines Umfeldes und die allgemeine Gefährdungslage abzustellen. Insbesondere in Bezug auf eine Covid-Impfung wurde diese Frage bislang, zumindest höchstrichterlich, noch nicht entschieden.

In einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem es um eine Masernimpfung ging, entschied das Bundesgericht für die Notwendigkeit der Impfung und ordnete diese an.

Im konkreten Fall stellte das Bundesgericht vorab einmal darauf ab, ob das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Impfung gegen Masern empfiehlt, was der Fall war. Das Bundesgericht hatte also zu entscheiden, ob das Wohl der minderjährigen Kinder durch Nichtimpfung gegen das Masernvirus gefährdet sei, falls eine behördliche Entscheidung über die Frage der Masernimpfung unterbleibe und damit der Status quo, die Nichtimpfung, aufrechterhalten würde. Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen im Sinne von Art. 307ff. ZGB setzt die konkrete Gefährdung des Kindeswohls voraus. Nicht erforderlich ist, dass sich die Gefahr bereits verwirklicht hat. Präventivmassnahmen sind also vom Gesetz mitumfasst. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die Eltern etwas falsch gemacht haben oder nicht. Das Bundesgericht führte aus, dass «wer losgelöst von einer besonderen Zwangslage auf den Impfschutz für seine minderjährigen Kinder verzichtet», diese zwar nicht unmittelbar den gesundheitlichen Risiken aussetze, aber die Unwägbarkeiten in Kauf nehme, die eine konkrete Gefahrenlage auch für die allenfalls gesunden Kinder mit sich bringen würde. Dies insbesondere bei hochansteckenden Krankheiten wie Masern. In rund 10% der Fälle würden Masern zu verschiedenen, teils schweren Komplikationen führen, was das Bundesgericht zum Schluss führte, dass angesichts dieser gesundheitlichen Risiken und Gefahren, denen ein Kind ohne Impfschutz gegen Masern ausgesetzt wäre oder ist, die Passivität oder Weigerung der Eltern nicht ertrage, weshalb sich aus dieser besonderen Situation ein Anwendungsfall von Art. 307 Abs. 1 ZGB ergebe, was wiederum bedeute, dass die zuständige Behörde berufen sei, in dieser Frage anstelle der Eltern zu entscheiden. Dabei sollen die Empfehlungen des BAG jeweils als fachkompetente eidgenössische Behörde für deren Entscheid Richtschnur sein. Eine Abweichung davon sei nur dort angebracht, wo sich die (Masern-)impfung aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht mit dem Kindeswohl vertragen würde.

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IV. ANWENDUNG AUF DIE COVID-IMPFUNG

Folgt man den Argumenten des Bundesgerichts zur Masernimpfung, so darf mit gewisser Vorsicht vermutet werden, dass bei einem ähnlich gelagerten Fall, jedoch in Bezug auf die Frage der Covid-Impfung, ähnlich entschieden würde. Nach Ansicht des Schreibenden dürfte lediglich bei der notwendigerweise vorzunehmenden Einstufung der Gefährlichkeit oder des Gefährdungspotenzials einer Erkrankung Unsicherheit herrschen, zumal in der aktuellen Lage das Corona-Virus in regel-mässigen Abständen zu Mutationen neigt, welche wiederum neue und andere Gefährdungen der verschiedenen Bevölkerungsschichten (insbesondere in Bezug auf das Alter) hervorrufen. Diese Frage müsste wohl in der konkreten Situation beantwortet werden, dürfte jedoch nach der hier vertretenen Auffassung vom Resultat her dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts in Bezug auf Masern im Wesentlichen gleichgestellt werden.

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V. WAS, WENN BEIDE ELTERNTEILE GEGEN DIE IMPFUNG SIND?

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid diese Frage bewusst offengelassen, da sie nicht zur angefochtenen Fragestellung gehörte. Gestützt auf die vorgemachten Ausführungen dürfte der hier vertretenen Ansicht nach jedoch auch diese Situation gleich entschieden werden müssen, zumal es nicht darum gehen kann, ob nur ein Elternteil dagegen ist oder aber beide. Denn immer dann, wenn die Gefährdung des Kindeswohls bejaht werden muss, muss und darf die Behörde gemäss den gesetzlichen Richtlinien einschreiten, wobei es nicht darauf ankommen kann, ob gegen die Überzeugung eines Elternteils oder aber zweier Elternteile entschieden werden muss.

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7. Dezember 2021 / lic. iur. Stephan Hinz


VEREINBARUNGEN ÜBER UNTERHALTSZAHLUNGEN

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit einer Trennung ist die Frage des Unterhalts zu regeln, was zumeist dann notwendig ist, wenn einer der Ehegatten sein Einkommen aufgrund der Kinderbetreuung reduziert hat. Dieser Umstand soll keinen Nachteil darstellen, weshalb der Verdienstausfall durch Unterhalt zu kompensieren ist. Unterhaltszahlungen sind auch aus anderen Gründen denkbar, wobei man sich über die Höhe des Unterhalts ohne die Behörden verständigen kann. Ob man sich bilateral über die Höhe des Unterhalts einigt oder aber eine Behörde (z.B. Gericht oder KESB) Unterhaltsbeträge festlegt, hat unterschiedliche Folgen.

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I. VEREINBARUNG ÜBER UNTERHALT

Trennen sich Paare und sind Kinder vorhanden, müssen nicht nur die Unterhaltsbeiträge für die Kinder, sondern auch die des weniger verdienenden und zumeist das Kind betreuenden Ehegatten festgelegt werden. Ein derartiges Vorgehen kann sowohl einvernehmlich ohne Mithilfe der Behörden als auch über die Gemeinde oder das Gericht und die KESB erfolgen.

Ehegattenunterhaltsbeiträge können nach Art. 276 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit Art. 163 Abs. 3 ZGB grundsätzlich nicht nur für die Zukunft, sondern für den Zeitraum von einem Jahr vor Einreichung eines Begehrens gefordert werden. Haben sich die Ehegatten über die während des Getrenntlebens zu leistenden Unterhaltsbeiträge geeinigt, so kann eine rückwirkende Beurteilung über die vor Einreichung des Begehrens liegende Zeit dagegen nicht verlangt werden. Anders ist es, wenn eine aussergerichtliche Einigung über den Unterhalt nicht stattgefunden hat. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die von den Parteien getroffene Vereinbarung nicht genehmigungsfähig ist. Eine nicht genehmigte Unterhaltsregelung bindet in einem darauffolgenden späteren Prozess das Gericht nicht.

Aussergerichtlich abgeschlossene Vereinbarungen gelten nur auf Zusehen hin und verlieren ab Einreichung eines Antrags bei Gericht auf Neuregelung ihre Verbindlichkeit. Ein jeder Ehegatte hat stets die Möglichkeit, einen richterlichen Entscheid über die Folgen des Getrenntlebens zu verlangen, auch wenn man sich in der Vergangenheit über Unterhaltszahlungen einig war. Allerdings beschränkt sich die gerichtliche Beurteilung über den Unterhalt bei Vorliegen einer aussergerichtlichen Vereinbarung ab Einreichung des Begehrens auf die Zukunft.

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II. VEREINBARUNG ÜBER KINDERUNTERHALT

Eine Vereinbarung über Kinderunterhaltsbeiträge ist grundsätzlich formlos gültig. Für das Kind wird sie aber erst mit der Genehmigung durch die Kinderschutzbehörde (KESB) verbindlich bzw. – wenn der Unterhaltsvertrag in einem gerichtlichen Verfahren geschlossen wird – durch gerichtliche Genehmigung. Dies hat zur Folge, dass das Kind vor einer erfolgten Genehmigung vom Vertrag zurücktreten kann, wohingegen der Unterhaltsschuldner ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses die festgelegten Unterhaltsbeiträge schuldet. Es bleibt dem Unterhaltsschuldner nach erfolgtem Vertragsschluss lediglich die Möglichkeit offen, die Nichtgenehmigung des Vertrages aufgrund fehlender gesetzlicher Voraussetzungen bei Gericht zu beantragen.

Zu berücksichtigen ist, dass vom Gericht nicht genehmigte Unterhaltsbeiträge, welche ausschliesslich privatrechtlich festgehalten und in Form eines Vertrags unterschrieben wurden, als Schuldanerkenntnis die sogenannte provisorische Rechtsöffnung ermöglichen. Hingegen kann mit einem gerichtlichen Entscheid die definitive Rechtsöffnung beantragt werden, im Rahmen derer der Schuldner sich gegen die Forderung nur durch einen Nachweis über erfolgte Zahlungen zu Wehr setzen kann. Bestehen also Zweifel darüber, ob der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltsplicht nachkommt, sollte auf eine gerichtliche Genehmigung nicht verzichtet werden.

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III. UNKLARER INHALT EINER VEREINBARUNG

Eine Unterhaltsvereinbarung ist klar zu formulieren, mithin ist der geschuldete Betrag und die Dauer der Unterhaltszahlung zu bestimmen. Sofern inhaltliche Unklarheiten bestehen, muss das Gericht im Falle eines streitigen Verfahrens die von den Ehegatten formulierte Vereinbarung mit rechtlich anerkannten Methoden auslegen. Das Gericht versucht, den Willen der Parteien anhand des Wortlauts der Vereinbarung zu ermitteln. Wenn der übereinstimmende Wille der Parteien nicht ermittelt werden kann, sind für die Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang verstanden werden müssen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen, welche aus ihrem konkreten Satzgefüge heraus zu beurteilen ist. Einer Auslegung von Unterhaltsbeiträgen bedarf es aufgrund der immer notwendigen konkreten Bezifferung des Unterhalts zumeist nicht, wobei die Dauer und festgehaltene Anpassungen des Unterhalts zu Differenzen führen können. Um allfällige Unklarheiten zu vermeiden, sind die getroffenen Vereinbarungen klar zu formulieren, wobei übereinstimmend selbstverständlich von der Vereinbarung abgewichen werden kann.


30. September 2021 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht


ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER SCHEIDUNGSURTEILE

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Vorsicht ist geboten, wenn Scheidungen im Ausland ausgesprochen werden, da hier ggf. Gründe vorliegen, die einer Anerkennung im Inland entgegenstehen. Die Folge ist, dass die Scheidung nur in demjenigen Land gilt, in welchem sie beantragt wurde. Dies führt dazu, dass Ehegatten, welche beispielsweise in der Türkei rechtskräftig geschieden wurden, in der Schweiz als noch verheiratet gelten. Denn anerkannt werden im Ausland vorgenommene Scheidungen nur, wenn das mit der Scheidung befasste Gericht zuständig war und der im Ausland ergangene Entscheid endgültig ist, mithin keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden können, Art. 25 IPRG. Eine Anerkennung wird darüber hinaus verweigert, wenn es an einer ordnungsgemässen Vorladung fehlt, wobei für die Zustellung von behördlichen Schriftstücken bestimmte Zustellvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Dieser Umstand ermöglicht es, sich einem im Ausland anhängigen Verfahren zu entziehen, was Unklarheiten mit sich bringt.

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I. ANERKENNUNG VON AUSLÄNDISCHEN URTEILEN

Anerkannt werden ausländische Urteile, wenn diese die Vorraussetzungen der Art. 25 ff. IPRG erfüllen. Das IPRG setzt hierbei zum einen voraus, dass ein im Ausland zuständiges Gericht einen rechtskräftigen Entscheid erlassen hat. Zum anderen kann eine Anerkennung des so erlassenen Entscheides nur erfolgen, wenn nicht gegen den ordre public und damit die grundlegenden Wertvorstellungen der Schweiz verstossen wird. Um das rechtliche Gehör zu gewährleisten, muss für die beklagte Partei die Möglichkeit bestehen, am Verfahren teilzunehmen, was bestimmte Zustellvorschriften gewährleisten sollen.

Entzieht sich ein Beklagter dem Prozess, indem er behauptet, vom laufenden Verfahren nichts gewusst zu haben, liegt es am Kläger, das Gegenteil zu beweisen. Dies wird ihm nur gelingen, wenn er nachzuweisen vermag, dass die beklagte Partei entweder nach dem Recht an ihrem Wohnsitz oder nach dem Recht an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort gehörig geladen wurde. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn sich der/die Beklagte vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen hat. Wird ein Scheidungsverfahren im Ausland geführt, müssen – sofern der bzw. die Beklagte in der Schweiz Wohnsitz hat – vorgegebene Zustellungsvorraussetzungen eingehalten worden sein. Zwingend zu beachten ist hierbei das Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland. Sofern das betreffende Land diesem Abkommen beigetreten ist, müssen Urkunden gemäss diesem Übereinkommen an sogenannte Zustellungsbehörden adressiert werden. Ausländische Schriftstücke und Rechtshilfeersuchen können subsidiär auch an das Bundesamt für Justiz übermittelt werden. Dieses leitet das Ersuchen an die kantonalen Zentralbehörden weiter. Welche Behörde national für die Zustellung zuständig ist, richtet sich nach dem Anliegen der ausländischen Behörde. Je nach Verfügung sind unterschiedliche Zustellbehörden zuständig, was die Gefahr der falschen Zustellung birgt. Die unmittelbare Zustellung einer ausländischen Urkunde durch die Post ist damit unzulässig, womit es an einer ordnungsgemässen Zustellung fehlt.

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II. MISSBRAUCH DES ZUSTELLERFORDERNISSES

Grundsätzlich gilt, dass ein im Ausland ergangener Entscheid dann nicht anerkannt werden kann, wenn Urkunden nicht über die hierfür vorgesehenen Zustellungsbehörden zugestellt wurden. Allerdings fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn sich in Kenntnis eines im Ausland anhängigen Verfahrens die beklagte Partei dem Verfahren bewusst entzieht. In dem Vertrauen darauf, dass Post über die zuständigen Behörden zugestellt werden muss, kann sich die Person einem Verfahren bei erfolgter Zustellung per Post problemlos entziehen; dies insbesondere dann, wenn ein im Ausland entscheidendes Gericht von einer Zustellung an die hierfür vorgesehene Behörde z.B. deshalb abgesehen hat, da es aus seiner Sicht und nach seinen eigenen örtlichen Regeln bereits korrekt zugestellt hat.

In derartigen Fällen ist sinnvollerweise danach zu unterscheiden, ob dem Beklagten ein Vorsatz zu unterstellen ist, sich dem Verfahren zu entziehen, was dann anzunehmen ist, wenn die betroffene Person nachweislich von dem laufenden Verfahren Kenntnis erlangt hat, sich auf dieses allerdings nicht einlässt, um hieraus Vorteile für sich zu ziehen. In einem derartigen Fall würden die Normen der Zustellung, welche das rechtliche Gehör gewährleisten sollen, missbraucht, weshalb ein derartiges Verhalten nicht gebilligt werden kann. Denn das Erfordernis einer formal korrekten Zustellung ist dann fraglich, wenn es einer Person problemlos möglich ist, sich am Verfahren zu beteiligen.

Dies gilt umso mehr, als für im Inland lebende Prozessbeteiligte eine sogenannte Zustellfiktion von Urkunden gilt (7 Tage nach erfolgter Zustellung), sofern sie in Kenntnis eines laufendes Verfahrens Schriftstücke nicht annehmen. Folglich stehen inländische Bürger, welche die Annahme der Post verweigern, schlechter, als Bürger, welche auf die fehlende ordnungsgemässe Zustellung über eine Zustellungsbehörde hinweisen und von einer Beteiligung am Verfahren bewusst absehen.

Einem Missbrauch der für das Ausland teils komplizierten Zustellungsvorraussetzungen ist durch eine Einzelfallbetrachtung Rechnung zu tragen. Zwar liegen Entscheide darüber vor, dass mangels Kenntnis eines Beklagten und einer nicht erfolgten ordnungsgemässen Zustellung eine Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils nicht möglich ist. Allerdings fehlt es an der gerichtlichen Beurteilung eines Falles, wonach trotz fehlender korrekter Zustellung Kenntnis über das im Ausland anhängige Verfahren besteht, weshalb in diesem Punkt Unklarheit herrscht.

Wer ein im Ausland anhängiges Verfahren trotz bestehender Kenntnis hierüber ignoriert und sich auf eine fehlerhafte Zustellung beruft, trägt das Risiko, die nicht ordnungsgemäss erfolgte Zustellung gleichwohl gegen sich gelten lassen zu müssen.


30. September 2021 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht


DER UNTERHALTSANSPRUCH DES VOLLJÄHRIGEN, NOCH IN DER ERSTAUSBILDUNG STEHENDEN KINDES GEGENÜBER BEIDEN ELTERNTEILEN (ART. 277 ZGB)

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit aktuellem Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020) bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung betreffend die proportionale Aufteilung des Unterhaltes für volljährige Kinder auf beide Elternteile nach deren (finanzieller) Leistungsfähigkeit und hält an seiner Praxis fest, dass das volljährige Kind keinen Anspruch auf einen Anteil an einem Überschuss seiner Eltern hat.

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I. GRUNDSÄTZE ZUR ERMITTLUNG DES KINDERUNTERHALTS

Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB sieht als Grundsatz vor, dass beide Elternteile, ein jeder nach seinen Kräften, für den in Form von Pflege, Erziehung und Geld zu erbringenden Unterhalt des Kindes zu sorgen haben. Bei Unterhaltsansprüchen des noch minderjährigen Kindes sind Geld- und Naturalunterhalt grundsätzlich gleich zu gewichten. Die Regelung gemäss Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB gilt auch für den gesamten Barunterhalt eines Kindes, der sich nach Art. 285 Abs. 1 ZGB bemisst. Der Barunterhaltsbetrag soll den Bedürfnissen des Kindes einerseits, aber auch der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern andererseits, entsprechen, wobei das Vermögen und die Einkünfte des Kindes entsprechend zu berücksichtigen sind. Art. 276 Abs. 3 ZGB sieht vor dem Hintergrund der einer Unterhaltspflicht der Eltern vorgehenden Eigenverantwortung des Kindes vor, dass die Eltern von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit sind, als dem Kind zugemutet werden kann, seinen Unterhalt aus seinem Vermögen, eigenem Arbeitserwerb oder anderen Mitteln zu bestreiten. Bei volljährigen Kindern ist ein allfälliger Arbeitserwerb des Kindes gegebenenfalls ohnehin bereits mit Blick auf Art. 277 Abs. 2 ZGB (anteilsmässig) zu berücksichtigen. Der Umfang der Berücksichtigung des Kindeseinkommens im Rahmen der Festlegung des Unterhaltsanspruchs hängt von den Verhältnissen im Einzelfall ab, wobei die Zumutbarkeit i.S.v. Art. 276 Abs. 3 ZGB basierend auf dem Vergleich der Leistungsfähigkeit von Eltern und Kind, aber auch nach der Höhe ihrer Leistungen und dem konkreten Bedarf des Kindes zu prüfen ist. Den kantonalen Gerichten kommt bei dieser Beurteilung ein grosser Ermessensspielraum zu.

Gestützt auf die tatsächlich gelebte Lebenshaltung der Eltern hat das Kind bei einer besonders günstigen Lebensstellung der Eltern grundsätzlich Anspruch auf eine grosszügige Berechnung seines Bedarfs, der bspw. einen erhöhten Grundbedarf, die Kosten für eine Zusatzversicherung (VVG) bei der Krankenkasse oder Freizeitaktivitäten enthält. Dabei nicht zu berücksichtigen ist eine lediglich hypothetisch günstige Lebenshaltung der Eltern, die sie sich aufgrund ihres (hohen) Einkommens tatsächlich leisten könnten. Die konkrete Bedarfsermittlung des Kindes kommt nicht ohne gewisse Pauschalisierungen (bspw. betr. Grundbedarf und Wohnkostenanteil) aus und das Bundesgericht bestätigt im Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020), mit Verweisen, dass das Abstellen auf vorgegebene Bedarfszahlen im Rahmen des richterlichen Ermessens unumgänglich und zulässig ist, sofern die erforderlichen Anpassungen basierend auf der konkreten Lebensstellung der Eltern vorgenommen werden.

In drei aktuellen Leitentscheiden vom 11. November 2019 (5A_311/2019), vom 14. Dezember 2020 (5A_365/2019) und vom 2. Februar 2021 (5A_891/2018) hat das Bundesgericht als Methode zur Unterhaltsberechnung in allen familienrechtlichen Verfahren festgehalten, dass diese schweizweit zwingend nach der zweistufig-konkreten Methode, ausgehend vom eingeschränkten familienrechtlichen Existenzminimum und mit Überschussverteilung nach «grossen und kleinen Köpfen» zu ermitteln ist. Dabei darf die Verteilregel betr. Überschuss nicht schematisch angewandt werden, sondern besondere (Einkommens- und Vermögens-) Situationen bleiben für den konkreten Fall vorbehalten. So kann bspw. bei aussergewöhnlich guten finanziellen Verhältnissen der Eltern die Überschussverteilung anders vorgenommen werden oder aber ganz von einer konkreten Berechnung abgesehen werden, wenn letztlich nur noch die Frage zentral ist, in welcher Höhe der Kinderunterhalt aus erzieherischen und/oder aus den tatsächlichen Bedarfsgründen seine obere Grenze findet. Ein minderjähriges Kind darf nicht im Rahmen der Überschussverteilung Anspruch auf eine Lebensführung geltend machen, welche den angestammten Standard vor der Trennung der Eltern überschreitet.

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II. BESONDERHEITEN DES UNTERHALTS FÜR VOLLJÄHRIGE KINDER

Das Bundesgericht hält in seinem Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020) fest, dass ein volljähriges Kind nicht mehr auf die Betreuung durch die Eltern angewiesen ist, weshalb sich die elterliche Pflicht zur Unterstützung auf einen finanziellen Beitrag an dessen Lebensunterhalt konzentriert und damit die Berücksichtigung eines Naturalunterhalts, der in Form von Pflege und Erziehung geleistet wird, ganz wegfällt. Vor diesem Hintergrund verliert der Umstand, bei welchem Elternteil das volljährige Kind lebt und sein Zuhause hat, als Teil der Berechnungsgrundlagen seine Relevanz. Die Pflicht der Eltern zur Leistung eines finanziellen Beitrags an den gemäss vorstehenden Ausführungen festgelegten Lebensunterhalt des volljährigen Kindes ist somit anteilsmässig auf beide Elternteile, im Rahmen deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufzuteilen, wobei sich die Quote eines jeden Elternteils nach der Differenz zwischen den jeweiligen Einkommen und dem jeweiligen Bedarf, bzw. nach dem ermittelten Überschuss eines jeden Elternteils, bemisst.

Bereits mit Urteil vom 11. November 2019 (5A_311/2019) hat das Bundesgericht bezüglich dem Volljährigenunterhalt ausserdem den Grundsatz festgehalten, dass dieser maximal auf das familienrechtliche Existenzminimum, einschliesslich der konkreten Ausbildungskosten, begrenzt ist, womit das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit nicht (mehr) von einem allfälligen Überschuss der Eltern profitieren kann.

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III. FAZIT

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, das aufgrund einer noch nicht abgeschlossenen Erstausbildung im Rahmen seiner Eigenversorgungskapazität nicht finanziell selbständig ist, nach Art. 285 Abs. 1 ZGB (Bedarfsberechnung), in Berücksichtigung von Art. 276 Abs. 3 ZGB und Art. 277 Abs. 2 ZGB (eigene Mittel), festzulegen ist. Dieser Barbedarf ist bei günstigen finanziellen Verhältnissen der Eltern bis maximal zur Höhe des bisher gelebten, familiären Standards zu erhöhen, wobei jedoch kein Anspruch des volljährigen Kindes auf eine Beteiligung am von den Eltern erwirtschafteten Überschuss besteht.

Die Pflicht zur Leistung des so ermittelten Unterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes ist in der Folge anteilsmässig auf beide Elternteile zu verlegen, wobei sich die jeweilige Quote an der konkreten Leistungsfähigkeit eines jeden Elternteils zu orientieren hat.

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9. Juli 2021  / lic. iur. Melanie Schmidt


REVISION DES ERBRECHTS: NEUE FREIHEITEN FÜR ERBLASSER

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Nachdem das Parlament die entsprechende Gesetzesänderung verabschiedet hat und die Referendumsfrist abgelaufen ist, treten (voraussichtlich) am 1. Januar 2023 diverse Gesetzesänderungen im Bereich des Erbrechts in Kraft. Der Erblasser bzw. die Erblasserin haben neu wesentlich grössere Freiheiten bei der Regelung ihres Nachlasses und sollten daher prüfen, ob bestehende letztwillige Verfügungen oder Erbverträge anzupassen oder mittels solcher von den neuen erblasserischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen ist.

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I. DIE WESENTLICHEN ÄNDERUNGEN IM ÜBERBLICK

Die Neuerungen betreffen einerseits den Pflichtteilsschutz gewisser gesetzlicher Erben und andererseits den Erbanspruch des überlebenden Ehegatten im Falle eines bereits laufenden Scheidungsverfahrens. Im Einzelnen wird neu Folgendes gelten:

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  • Der Pflichtteilsanspruch der Eltern entfällt.

  • Der Pflichtteil der Nachkommen wird von bisher ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs auf 1/2 reduziert.

  • Der Erblasser kann neu dem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am restlichen Nachlass und eine frei verfügbare Quote von 1/2 (statt 1/4) zuweisen.

  • Ehegatten verlieren den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch sobald ein gemeinsames Scheidungsbegehren rechtshängig ist, oder beide Ehegatten mit der einseitig eingeleiteten Scheidung einverstanden sind oder sie im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens bereits mindestens 2 Jahre getrennt gelebt haben (und nicht erbvertraglich etwas anderes vereinbart ist).

Im Übrigen schafft die Gesetzesrevision auch Klarheit in verschiedenen, bis anhin in Lehre und Rechtsprechung umstrittenen Punkten, bspw. zur erbrechtlichen Berücksichtigung von Ansprüchen aus Versicherungen und der gebundenen Selbstvorsorge, zur Anfechtung von nachträglichen Zuwendungen, welche Verpflichtungen aus einem Erbvertrag verletzen, oder zur Herabsetzung in Fällen, wo ein Pflichtteilsanspruch durch Verfügungen von Todes wegen oder Zuwendungen unter Lebenden verletzt wird. Mit einer weiteren Gesetzesrevision sind Änderungen auch im Bereich der erbrechtlichen Unternehmensübertragung und -nachfolge geplant, welche aber noch nicht verabschiedet ist.

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II. NEUE ERBLASSERISCHE FREIHEITEN

Die Abschaffung bzw. Reduktion der gesetzlichen Pflichtteilsansprüche erlaubt dem Erblasser bzw. der Erblasserin, zukünftig über zumindest die Hälfte des Nachlasses frei zu verfügen und damit weitergehende Regelungen für den Todesfall zur Durchsetzung seiner eigenen Wünsche bzw. zum weitergehenden Schutz anderer (gesetzlicher oder eingesetzter) Erben zu treffen. Namentlich kann auch bei Vorhandensein gemeinsamer Nachkommen der überlebende Ehegatte weitergehend begünstigt oder ein neuer Partner/Ehegatte trotz nicht gemeinsamen Nachkommen des Erblassers mit einer höheren Nachlassquote bedacht werden. Dies ist angesichts des gesellschaftlichen Wandels, der hohen Scheidungsquote und der zahlreichen «Patchwork-Familien» zu begrüssen, können doch neu nicht gesetzlich berufene Erben (Konkubinatspartner) oder auf Sicherung ihres eigenen Lebensbedarfs angewiesene Erben (überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen) umfangreicher bedacht und damit besser geschützt werden.

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III. WEGFALL DES ERBANSPRUCHS DES EHEGATTEN IM SCHEIDUNGSFALL

Bis anhin hat der bis zur rechtskräftigen Scheidung andauernde, pflichtteilsgeschützte Erbanspruch unter Ehegatten nicht selten zur Folge gehabt, dass wider jegliche Wünsche des Erblassers im Falle dessen Todes vor Abschluss des Scheidungsverfahrens der Ehegatte, von dem man sich scheiden lassen wollte, noch erben konnte. Nicht selten hatte dies zur Folge, dass Scheidungsverfahren mit allen Mitteln verzögert wurden, um sich einen solchen Erbanspruch zu sichern.

Dass neu – unter bestimmten Voraussetzungen – der Erbanspruch unter den Ehegatten entfällt, wenn bereits eine Scheidung rechtshängig ist, ist erfreulich und trägt dem Normalfall Rechnung, dass der Erblasser, welcher sich vom Ehegatten mit der Einleitung einer Scheidung definitiv lösen wollte, auch den Wegfall dessen erbrechtlicher Berechtigung wünscht.

Der Wegfall des Pflichtteilsanspruchs ab Rechtshängigkeit der Scheidung gilt allerdings nur dann, wenn ein gemeinsames Scheidungsbegehren eingereicht wurde, wenn der überlebende Ehegatte dem Scheidungsantrag im Verfahren zugestimmt hatte oder wenn der einseitig eingeleiteten Scheidung (Scheidungsklage) eine mindestens 2-jährige Trennungszeit vorausgegangen ist (womit ein auch einseitig durchsetzbarer, unabdingbarer Scheidungsanspruch entstanden ist, vgl. Art. 114 ZGB). Anderslautende Vereinbarungen bleiben selbstverständlich möglich.

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IV. HANDLUNGSBEDARF UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN

Wer von den neuen erblasserischen Freiheiten profitieren will, muss selber handeln, d.h. entsprechende letztwillige Anordnungen treffen. Namentlich gibt es für den Konkubinatspartner nach wie vor keinen gesetzlichen Erb- und keinen anderen gesetzlichen Unterstützungsanspruch, d.h. dieser kann nur mittels Erbvertrag oder letztwilliger Verfügung (Testament) gültig und rechtsicher – erbrechtlich – begünstigt werden. Dasselbe gilt im Falle, dass ein überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen oder ein Dritter zukünftig stärker begünstigt werden sollen.

Zu überprüfen und – sofern gewollt – zu optimieren, gilt es auch bestehende Erbverträge oder letztwillige Verfügungen. Bisher durchaus übliche Formulierungen wie bspw. «ich weise meiner Tochter die verfügbare Quote von einem Viertel zu» oder «ich weise die verfügbare Quote meiner Lebenspartnerin zu», die unter dem bisherigen Recht gewählt wurden, sollten präzisiert und gegebenenfalls so geändert werden, dass auch unter dem neuen Recht klar ist, was gewollt ist und gelten soll: Soll der Sohn trotz nunmehr grösserer verfügbarer Quote von derselben tatsächlich nur 1/4 erhalten oder umfasst die dem Konkubinatspartner zugewendete verfügbare Quote die bisherige von 1/4 oder die neu geltende von 1/2? Mit entsprechenden Klärungen, d.h. einem der neuen Rechtslage angepassten Erbvertrag bzw. Testament, können diesbezügliche Unsicherheiten und damit auch Streitigkeiten unter den dereinstigen Erben verhindert werden.

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V. FAZIT

Die Gesetzesrevision im Bereich des Erbrechts schafft neue Möglichkeiten aber auch Handlungsbedarf. Wer seine Wünsche und Interessen als Erblasser optimal regeln und durchsetzen will, kommt nicht umhin, bestehende Erbverträge und letztwillige Verfügungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen bzw. entsprechend tätig zu werden und in gültiger Form von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Namentlich wird dies auch und insbesondere dann gelten, wenn die geplante weitere Gesetzesänderung im Bereich der Unternehmensvererbung und -nachfolge abgeschlossen und in Kraft gesetzt wird. Unsere Erbrechtsspezialisten und Notare stehen dafür zur Verfügung.


28. April 2021 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


ALTERNIERENDE OBHUT MIT HÄLFTIGEN BETREUUNGSANTEILEN ALS NEUER REGELFALL

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit den Urteilen vom 19. Oktober 2020 (5A_367/2020) und vom 13. November 2020 (5A_629/2019) bestätigt und präzisiert das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur alternierenden Obhut. Gemäss Bundesgericht darf auf die Anordnung mit hälftigen Betreuungsanteilen nur verzichtet werden, wenn begründete und konkrete Gründe im Hinblick auf das Kindeswohl dagegen sprechen. Das Bundesgericht verdeutlicht damit, dass das Betreuungsmodell der alternierenden Obhut künftig zur Regel werden soll und damit die alleinige Obhut mit Besuchsrecht in den Hintergrund rückt.

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I. GRUNDSÄTZE ZUR ERMITTLUNG DER BETREUUNGSREGELUNG

Sofern sich Eltern in Bezug auf die Betreuung ihrer gemeinsamen Kinder nicht einig sind, ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Einzelfall zu entscheiden, welche Betreuungsregelung anzuordnen ist. Unterschieden wird zwischen den Betreuungsmodellen der alleinigen und der alternierenden Obhut. Bei der Anordnung einer alleinigen Obhut werden die Kinder getrennt lebender Eltern grundsätzlich von einem Elternteil betreut, wobei der andere Elternteil Anspruch auf ein Besuchsrecht hat. Bei der alternierenden Obhut handelt es sich hingegen um eine Betreuungsregelung, bei welcher die Kinder ungefähr zu gleichen Teilen (Mindestanteil bei einem Elternteil nach Bundesgericht: 30%) bei beiden Eltern leben und betreut werden. Die Regelung eines Besuchsrechts wird damit überflüssig.

Entscheidendes Kriterium für die Regelung der Betreuung ist stets das Kindeswohl. Das angeordnete Betreuungsmodell, sei es die alternierende oder die alleinige Obhut, muss zwingend mit dem Kindeswohl vereinbar sein. Das Bundesgericht hat zur Beurteilung der Frage, ob eine alternierende Obhut mit dem Kindeswohl vereinbar ist, verschiedene Kriterien entwickelt, die es vor der Anordnung zu prüfen gibt. Voraussetzung für die Anordnung einer alternierenden Obhut ist dabei stets die Erziehungsfähigkeit beider Eltern. Weiter erfordert eine alternierende Obhut von den Eltern organisatorische Massnahmen und gegenseitige Information. Die praktische Umsetzung einer alternierenden Betreuung setzt voraus, dass die Eltern fähig und bereit sind, in Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine fehlende Kooperationsbereitschaft der Eltern gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht leichthin angenommen werden darf. Allein aus dem Umstand, dass sich beispielsweise ein Elternteil der alternierenden Obhut widersetzt, kann gemäss Bundesgericht nicht ohne weiteres auf eine fehlende Kooperationsfähigkeit der Eltern geschlossen werden, welche einer alternierenden Obhut im Wege steht.

Zu berücksichtigen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ferner die geographische Situation, namentlich die Distanz zwischen den Wohnungen der beiden Eltern, und die Stabilität, welche die Weiterführung der bisherigen Regelung für das Kind gegebenenfalls mit sich bringt. Eine alternierende Obhut ist demnach eher anzuordnen, wenn die Eltern das Kind schon vor der Trennung abwechselnd betreuten.

Weitere Gesichtspunkte bei der Prüfung der Anordnung einer alternierenden Obhut sind die Möglichkeit der Eltern, das noch kleine Kind persönlich zu betreuen bzw. fremd betreuen zu lassen (wobei das Bundesgericht die Eigen- und Fremdbetreuung eines Kindes grundsätzlich als gleichwertig betrachtet), das Alter des Kindes, und seine Einbettung in ein weiteres soziales Umfeld. Auch dem Wunsch des Kindes ist Beachtung zu schenken. Diese weiteren Beurteilungskriterien sind oft voneinander abhängig und je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für den gerichtlichen Entscheid von unterschiedlicher Bedeutung.

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II. NEUE RECHTSPRECHUNG DES BUNDESGERICHTS

Mit Urteil vom 19. Oktober 2020 (5A_367/20) hielt das Bundesgericht an seiner bisherigen Rechtsprechung, dass die konkreten Umstände im Einzelfall für die Anordnung einer alternierenden Obhut entscheidend seien, fest. Überlegungen allgemeiner Natur, wie bspw. der Umstand, dass die alternierende Betreuung insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder bis fünf Jahre ein Entwicklungsrisiko darstellen könne, dürften nicht dazu führen, im Einzelfall keine alternierende Obhut anzuordnen. Gemäss Bundesgericht waren die Voraussetzungen einer alternierenden Obhut vorliegend erfüllt und es wurde festgehalten, die Vorinstanz habe ohne sachlich haltbare Gründe von der Anordnung einer alternierenden Obhut abgesehen. Im Ergebnis erachtete das Bundesgericht den Ermessensentscheid der Vorinstanz deshalb als willkürlich.

Im Urteil des Bundesgerichts 5A_629/2019 vom 13. November 2020 hatte sich das Bundesgericht primär mit der Frage der Auswirkungen eines Elternkonflikts auf die Betreuungsregelung zu befassen. Das Bundesgericht hielt diesbezüglich fest, dass eine alternierende Obhut nur dann nicht in Frage käme, wenn der Elternkonflikt zwischen den Eltern derart ausgeprägt und umfassend sei, dass keine Kommunikation und Einigung über die Kinderbelange erfolgen könne und damit eine alternierende Obhut mit hälftigen Betreuungsanteilen dem Kindeswohl schaden würde. Weiter führte das Bundesgericht aus, dass der Umstand, dass die Parteien nach der Trennung während mindestens fünf Monaten die hälftige Betreuung praktiziert hätten, die zuvor gelebte klassische Rollenteilung relativiere. Fünf Monate würden für kleine Kinder eine verhältnismässig lange Zeitspanne bedeuten, in welcher sie sich an eine neue Situation gewöhnen könnten. Das Bundesgericht kam somit zum Schluss, dass die Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen war, dass die Voraussetzungen für eine alternierende Obhut nicht erfüllt seien. Die Beschwerde des Vaters betreffend Anordnung der alternierenden Obhut wurde gutgeheissen und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurückgewiesen.

Das Bundesgericht präzisiert mit diesen beiden neuen Urteilen seine Rechtsprechung zur alternierenden Obhut. Es macht die alternierende Obhut zum Ausgangspunkt in Betreuungsfragen, auch wenn die Eltern sich in dieser Sache uneinig sind. Bei der Frage, welche Betreuungsregelung anzuordnen ist, ist gemäss Bundesgericht in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine alternierende Obhut mit dem Kindeswohl vereinbar ist oder nicht. Anhand des genannten Kriterienkatalogs ist dann zu prüfen, ob im Einzelfall konkrete Gründe gegen eine alternierende Obhut sprechen. Ist dies der Fall, ist die alleinige Obhut aber nur dann anzuordnen, wenn dies zu einem für das Kind günstigeren Ergebnis führt.  

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III. FAZIT

Mit den beiden Urteilen 5A_367/2020 vom 19. Oktober 2020 und 5A_629/2019 vom 13. November 2020 verdeutlicht das Bundesgericht, dass einer alternierenden Obhut gegenüber einer alleinigen Obhut grundsätzlich der Vorzug zu gewähren ist. Damit erhebt das Bundesgericht die alternierende Obhut zum Regelfall. Eine alleinige Obhut soll nur noch angeordnet werden, wenn konkrete Gründe gegen die alternierende Obhut sprechen und zugleich die alleinige Obhut dem Kindeswohl besser entspricht. Das Bundesgericht weicht somit auch mit Blick auf das Betreuungsmodell getrennt lebender Eltern immer mehr von der klassischen Rollenverteilung ab und passt seine Rechtsprechung der gesellschaftlichen Entwicklung an. Oberste Richtschnur bleibt jedoch das Kindeswohl. Es wird deshalb auch in Zukunft stets im Einzelfall zu prüfen sein, welches Betreuungsmodell mit dem Kindeswohl am besten vereinbar ist.


31. März 2021  / lic. iur. Melanie Schmidt


ACHTUNG VOR ÜBERSCHULDETEN ERBSCHAFTEN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Angesichts der zunehmenden Lebensdauer ist es gar nicht mehr so selten, dass ein Erblasser – allenfalls nach Jahren in einem teuren Alters- oder Pflegeheim – sein Vermögen aufgebraucht hat oder gar Schulden hinterlässt. Nicht immer sind die durch Gesetz oder letztwillige Verfügung berufenen Erben ausreichend über die Vermögensverhältnisse des Erblassers orientiert. In der Praxis gilt dies namentlich als Folge der Globalisierung, insbesondere für im Ausland lebende Kinder oder solche aus erster Ehe, die zum Erblasser über Jahre oder gar Jahrzehnte keinen Kontakt mehr pflegten. Das schweizerische Erbrecht sieht zum Glück Möglichkeiten vor, wie man sich als Erbe vor solchen Unsicherheiten oder dem Antritt einer möglicherweise überschuldeten Erbschaft schützen kann.

I. AUSSCHLAGUNG DER ERBSCHAFT

Sowohl gesetzliche als auch eingesetzte Erben können sich gegen einen Erbanfall wehren, wenn die Erbschaft überschuldet ist oder überschuldet sein könnte. Andernfalls treten sie nämlich in die Rechtsstellung des Erblassers ein und werden für alle Erbgangs- und Erbschaftsschulden uneingeschränkt, d.h. auch mit dem eigenen Vermögen, haftbar. Zusätzlich nachteilig ist dabei, dass mehrere Erben für solche Erbschaftsschulden solidarisch haften, d.h. bei jedem einzelnen die gesamten Schulden eingefordert werden können.

Um diese Erbenhaftung zu verhindern, ist die Erbschaft auszuschlagen, was in einer gesetzlich vorgesehenen Frist beim zuständigen Nachlassgericht am letzten Wohnsitz des Erblassers zu geschehen hat: Dies zu Beweiszwecken mit einer eingeschriebenen Erklärung. Die Ausschlagungsfrist beträgt 3 Monate ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme von dessen Tod oder – in Ausnahmefällen – vom Zeitpunkt an, ab welchem man von der eigenen Erbenstellung Kenntnis erlangt hat (vgl. BGE 143 III 369, E.2.1). Die Frist kann nach Lehre und Rechtsprechung aus begründetem Anlass erstreckt werden, beispielsweise weil Abklärungen über die Vermögensverhältnisse des Erblassers noch andauern.

Im
Interesse potentieller Erben liegt die Ausschlagung namentlich dann, wenn diese
vom Erblasser zu Lebzeiten bereits Vermögen erhalten hatten, welches sie ohne
Ausschlagung zugunsten von Miterben auszugleichen hätten. In solchen Fällen ist
wirtschaftlich die Ausschlagung sogar dann zu empfehlen, wenn der Nachlass
nicht überschuldet ist, der auszugleichende Betrag aber den zu erwartenden
Erbanteil übersteigt.

II. ANTRITT DER ERBSCHAFT UNTER ÖFFENTLICHEM INVENTAR

Sind die Vermögensverhältnisse des Erblassers nicht bekannt, derselbe aber nicht offensichtlich überschuldet, so macht es in der Regel Sinn, beim gleichermassen zuständigen Nachlassgericht die Aufnahme eines öffentlichen Inventars zu verlangen. In demselben werden nach einem amtlich publizierten Rechnungsruf alle Aktiven und alle innert der Inventarisierungsfrist angemeldeten Passiven erfasst. Erklärt der Erbe nach Auflage des Inventars den Antritt der Erbschaft unter öffentlichem Inventar, so haftet er nur für die darin aufgelisteten Schulden, d.h. er kann das Haftungsrisiko beschränken. Dies macht dann Sinn, wenn schwer zu bewertende Aktiven oder nicht abschätzbare Risiken vorhanden sind, so dass – möglicherweise für lange Zeit – eine Beurteilung der Werthaltigkeit eines Nachlasses verunmöglicht ist.

Ein
weiterer Vorteil des öffentlichen Inventars ist der Umstand, dass während der
Inventarisierung die Ausschlagungsfrist stillsteht und allen Erben nach der
Auflage des öffentlichen Inventars eine Frist von einem Monat zur Verfügung
steht, um sich definitiv über die Ausschlagung der Erbschaft, die vorbehaltlose
Annahme oder eben die Annahme unter öffentlichem Inventar zu erklären. Statt
der andernfalls geltenden Dreimonatsfrist (siehe oben Ziff.  I) kann so
ausreichend Zeit gewonnen werden, die Verhältnisse rechtssicher(er) zu klären.

Die Frist für den Antrag auf Aufnahme eines öffentlichen Inventars beträgt allerdings nur 30 Tage ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme vom Tod desselben. Muss zuerst die Erbenstellung formell erstritten werden (bspw. bei einer Enterbung), so beginnt die Frist erst mit dem effektiven Erbanfall. Umso mehr, als nach der Rechtsprechung die Monatsfrist nicht erstreckbar ist, ist also dringliches Handeln geboten. Es ist zu empfehlen, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Klärung mittels öffentlichem Inventar zu verlangen.

III. VERWIRKUNG DER AUSSCHLAGUNGSFRIST

Die Gesamtheit aller gesetzlichen und/oder eingesetzten Erben erwirbt an sich die Erbschaft eo ipso mit dem Tod des Erblassers als Erbengemeinschaft. Bis zur Annahme der Erbschaft bzw. eben bis zu einer allfälligen Ausschlagung oder dem Ablauf der (verlängerten) Ausschlagungsfrist ist allerdings die Erbenstellung noch ungewiss. Dennoch müssen während dieser Schwebezeit der Nachlass verwaltet, Erbgangsschulden bezahlt oder dringliche Forderungen und Guthaben eingezogen werden. Solche Verwaltungshandlungen sind unproblematisch, wogegen eigentliche «Einmischungshandlungen» die ungewollte Folge haben können, dass dadurch das Ausschlagungsrecht verwirkt wird: Der sich «einmischende» Erbe hat die Erbschaft angetreten und muss diese mit allen Aktiven und Passiven, also auch möglicherweise überschiessenden Schulden, übernehmen. Solche Einmischungshandlungen sind beispielsweise die Aneignung von zum Nachlass gehörenden Vermögenswerten oder nicht mehr zur normalen Verwaltung gehörende Verfügungen über diese. Wer sich in diesem Sinne «einmischt» und sich damit (gegenüber Miterben oder Gläubigern) einen Vorteil verschafft, verliert das Recht zur Ausschlagung.

IV. ERBSCHAFTSVERWALTER

Bei einer nicht überschuldeten Erbschaft können dem nicht ausschlagenden Erben auch insoweit Nachteile erwachsen, als die möglicherweise Jahre oder Jahrzehnte ungeteilte Erbschaft nicht bestmöglich verwaltet wird. Zu denken ist an ein zum Nachlass gehörendes Geschäft, das durch die nur gemeinsam handlungsfähigen Erben und deren Differenzen blockiert ist und deswegen seinen Wert verliert oder gar in Konkurs geht. Derartige Differenzen innerhalb einer Erbengemeinschaft, d.h. unter den berufenen Erben, sind leider gar nicht so selten, was auch für die drohenden Folgen (Wertverringerung oder gar Überschuldung) gilt. In solchen Fällen bleibt oftmals nichts anderes übrig, als vor Gericht um die Einsetzung eines Erbschaftsverwalters zu kämpfen, welcher vom Gericht nach einem kontradiktorischen Verfahren eingesetzt und mit der Verwaltung des Nachlasses bis zur dereinstigen Teilung betraut wird. Unnötig ist ein solcher Schritt, wenn der Erblasser selber das Nötige gegen solche Streitigkeiten unter den Erben vorgekehrt und einen Willensvollstrecker eingesetzt hat, kann bzw. muss derselbe doch ungeachtet der Differenzen unter den Erben den Nachlass werterhaltend verwalten, bis er dereinst geteilt wird. Wenig erfreulich ist es dann allerdings, wenn der Willensvollstrecker in komplexen Verhältnissen oder bei absehbaren Streitigkeiten unter den Erben das ihm vom Erblasser erteilte Mandat ablehnt, wozu er jederzeit berechtigt ist. Hat der Erblasser für solche Fälle nicht einen Ersatzwillensvollstrecker eingesetzt, so bleibt auch diesfalls nichts anderes übrig, als sich vor Gericht einen Erbschaftsverwalter zu erstreiten.

V. FAZIT

Wenn auch der Anfall einer Erbschaft in aller Regel ein Segen ist, kann in Einzelfällen der Erbfall unliebsame Überraschungen oder durchaus existenzgefährdende Folgen mit sich bringen. Gerade für Erben, die (aus welchen Gründen auch immer) den Kontakt zum Erblasser abgebrochen hatten ist es daher ratsam, unverzüglich nach Kenntnisnahme des Todes des Erblassers zu handeln, zumindest aber fachmännischen Rat und Hilfe in Anspruch zu nehmen.


3. Juni 2020 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


DIE ERRUNGENSCHAFTSBETEILIGUNG

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Falle einer Eheschliessung besteht die Möglichkeit, eine Gütergemeinschaft oder eine Gütertrennung zu vereinbaren. Für beides bedarf es des Abschlusses eines Ehevertrages. Die Errungenschaftsbeteiligung dagegen, welche als sogenannter ordentlicher Güterstand der meist verbreitete Güterstand ist, bedarf keiner besonderen Vereinbarung und gilt mit Eheschliessung von Gesetzes wegen. Im Folgenden werden die Grundzüge der Errungenschaftsbeteiligung behandelt und deren rechtliche Folgen erörtert:

I. DIE ERRUNGENSCHAFTSBETEILIGUNG IM ALLGEMEINEN

Sofern die Ehegatten nichts anderes vereinbart haben, gilt von Gesetzes wegen der ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Dies bedeutet, dass sämtliche während der Ehe angehäuften Vermögenswerte im Falle einer Aufhebung der Errungenschaftsgemeinschaft je hälftig geteilt werden. Dieses Vorgehen soll dem Umstand Rechnung tragen, dass zumeist mit der Geburt eines Kindes von den Ehegatten unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen werden, mithin ein Ehegatte sich gegebenenfalls mehrheitlich unentgeltlich um die Belange der Kinder kümmert. In dieser Zeit sind seine Einkommens- und Ansparungsmöglichkeiten geringer als die des nach wie vor erwerbstätigen Ehegatten, womit der die Kinder betreuende Ehegatte finanziell schlechter steht. Um beide Ehegatten finanziell gleichzustellen, ist im Falle einer Beendigung des ordentlichen Güterstandes ein Ausgleich vorgesehen, wobei derjenige Ehegatte mit einem geringeren oder gar keinem Einkommen profitiert. Die in der Ehe erworbenen Vermögenswerte werden gleich unter den Ehegatten verteilt, um eine Gleichbehandlung beider Ehegatten trotz unterschiedlicher Rollenteilung zu gewährleisten. Aus dieser Berechnung ausgeklammert werden Eigengüter, mithin Schenkungen eines Ehegatten oder auch voreheliches Vermögen, da nur das in der Ehe erwirtschaftete Vermögen einer Teilung zugänglich ist. Keine Auswirkungen hat die Errungenschaftsbeteiligung bei der Haftung der Ehegatten. So haftet nach wie vor jeder Ehegatte für seine eigenen Verbindlichkeiten, sofern der andere Ehegatte der eingegangenen Verbindlichkeit nicht zustimmt oder aber es sich um Ausgaben des täglichen Bedarfs handelt.

Grundsätzlich besteht die Vermutung, dass in der Ehe erworbene Vermögenswerte in die Errungenschaft fallen, mithin im Falle einer Auflösung des Güterstandes zwischen den Ehegatten je hälftig zu teilen sind. Folglich obliegt es dem Ehegatten nachzuweisen, wenn ein von ihm beanspruchter Vermögenswert nicht der Errungenschaft, sondern dem Eigengut unterfällt und damit einer Teilung entzogen ist. Grundsätzlich nicht in die Errungenschaft fallen Gegenstände des persönlichen Gebrauchs oder sogenannte Ersatzanschaffungen für Eigengut. Bei der Ersatzanschaffung geht es nicht um einen Zweck-, sondern um Wertersatz, womit für die Zuordnung des neu erworbenen Gegenstandes auf die Herkunft der dafür aufgewendeten Mittel abzustellen ist. So gehört ein Lottogewinn zur Errungenschaft, wenn das Los mit Errungenschaftsmitteln erworben wurde. Ein alter Schreibtisch hingegen, der vor etlichen Jahren mit Errungenschaftsmitteln finanziert wurde und nun durch einen neuen Schreibtisch ersetzt wird, fällt ins Eigengut, wenn der Schreibtisch mit Eigengutsmitteln bezahlt wird.

II. VERTRAGLICHE MÖGLICHKEITEN

Im Ehegüterrecht besteht der Grundsatz der Unveränderlichkeit der Gütermassen. Das heisst, dass dem Eigengut unterfallende Vermögenswerte niemals in die Masse der Errungenschaft fallen. Diese starre Regelung kann gemäss Art. 199 ZGB ehevertraglich korrigiert werden. Das Gesetz sieht vor, dass bestehende Vermögenswerte der Errungenschaft, die für die Ausübung eines Berufes oder den Betrieb eines Gewerbes bestimmt sind, übereinstimmend von den Ehegatten zu Eigengut erklärt werden können. Auch steht es den Ehegatten frei, ehevertraglich zu vereinbaren, dass Erträge aus dem Eigengut nicht in die Errungenschaft fallen.

III. VERFÜGUNG ÜBER VERMÖGENSWERTE

Üblicherweise nutzt jeder Ehegatte sein eigenes Vermögen und ist auch für dessen Verwaltung zuständig, Verfügungsbeschränkungen bestehen grundsätzlich nicht. Ausnahmen bestehen lediglich bei der Nutzung einer ehelichen Wohnung, welche zum Schutz der Familie nur mit ausdrücklicher Zustimmung des anderen Ehegatten gekündigt werden kann. Auch kann das Gericht auf Antrag Massnahmen festlegen, die einer Verfügungsbeschränkung gleichkommen, soweit dies die Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen der Familie erfordert (Art. 178 ZGB). So können Grundbuchsperren über das Gericht verfügt werden, wenn zu befürchten steht, dass ein Ehegatte im Hinblick auf die bevorstehende Scheidung die Liegenschaft veräussert. Befindet sich ein Gegenstand im Miteigentum beider Ehegatten, können die Ehegatten nur mit Zustimmung des jeweils anderen über diesen Gegenstand verfügen, sofern nichts anderes vereinbart ist.

IV. SCHULDEN

Schulden sind nach ihrem Entstehungszeitpunkt zu unterscheiden: Sind die Schulden vor dem Abschluss der Ehe entstanden, belasten sie immer das Eigengut und damit das voreheliche Vermögen des jeweils betroffenen Ehegatten. Sind die Schulden während der Ehe entstanden, handelt es sich immer dann um gemeinsame Schulden, wenn diese den Unterhalt der Familie betreffen, womit die Schulden der Errungenschaft zugewiesen werden.

V. BEENDIGUNG DES GÜTERSTANDES

Der Güterstand kann sowohl durch eine Scheidung, den Tod eines Ehegatten oder die vertragliche Begründung eines neuen Güterstandes (Gütergemeinschaft oder Gütertrennung) enden. Folge ist die güterrechtliche Auseinandersetzung, im Rahmen derer die in der Ehe erwirtschafteten Güter je hälftig zu teilen sind. Wie bereits erwähnt, werden persönliche Schenkungen an einen der Ehegatten und voreheliche Vermögenswerte von der Auseinandersetzung ausgeklammert. In der Regel unproblematisch ist die Aufteilung von Kontoguthaben, die per Stichtag und damit im Falle einer Scheidung per Einreichung Scheidung hälftig auf die Ehegatten verteilt werden. Weitaus schwieriger ist die Auseinandersetzung bei Vermischung von vorehelichen Ansparungen mit in der Ehe erwirtschafteten Einkommen. In derartigen Fällen lässt sich nur schwer nachweisen, dass ein Teil der Guthaben aus vorehelichen Mitteln stammt, womit die Vermutung greift, dass vorhandenes Vermögen als Errungenschaft gilt.

Problematisch sind
des Weiteren Auseinandersetzungen von in der Ehe zu je hälftigem Miteigentum
erworbenen Liegenschaften. Dies deshalb, da allfällige Mehrwerte proportional
zur Investition der Ehegatten aufzuteilen sind. Wird eine eheliche Liegenschaft
demzufolge mehrheitlich von einem Ehegatten aus vorehelichen Mittel finanziert
und leistet beispielsweise der andere Ehegatte keinen Beitrag, fällt dem
vorfinanzierenden Ehegatten auch ein allfälliger Mehrwert im proportionalen
Umfang seiner Beteiligung zu. Auch hier ist zu beweisen, dass die Finanzierung
der Liegenschaft aus Eigengutsmitteln erfolgt ist, was eine vollumfängliche
Dokumentation der Geldflüsse im Bestreitensfall des anderen Ehegatten erfordert.
Unproblematisch ist die Auseinandersetzung der Liegenschaften dann, wenn beide
Parteien im gleichen Umfang zur Finanzierung beigetragen haben, da in diesen
Fällen eine hälftige Aufteilung des Gewinns erfolgt.

Massgeblicher Wert
für die güterrechtliche Auseinandersetzung ist der Verkehrswert und damit der
aktuelle Marktwert des Vermögensgegenstandes. Geteilt wird grundsätzlich der
Nettoverkehrswert und damit der Verkehrswert nach Abzug aller Schulden.
Demzufolge sind laufende Gebühren, Abgaben und Steuerlasten sowie
Handänderungskosten und ähnliches vom Gewinn in Abzug zu bringen. Werden
Vermögenswerte nicht veräussert, gilt dies grundsätzlich auch für latente, nur
schätzungsweise festzustellende Lasten (wie z.B. latente Steuern auf einem
Säule 3a-Konto), was teils in Vergessenheit gerät.

Nach Ermittlung sämtlicher Aktiven und Passiven steht jedem Ehegatte die Hälfte des Vorschlags des anderen zu, wobei die gegenseitigen Forderungen zu verrechnen sind. Auszugleichen ist damit die Hälfte jener Differenz, welche sich daraus ergibt, dass der kleine Vorschlag vom grösseren abgezogen wird. Die so vorgesehene gesetzliche Vorgehensweise ist deshalb vonnöten, weil ein sogenannter Rückschlag und damit ein Passivum eines Ehegatten bei der Errungenschaftsbeteiligung unbeachtlich bleibt, mithin der andere Ehegatte niemals mehr abzugeben hat als die Hälfte seines Vorschlags.


3. Juni 2020 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

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