DIE ALTERNIERENDE OBHUT BEI TRENNUNG UND SCHEIDUNG – MEHR RECHTE FÜR DEN BISLANG NICHT IN DER HAUPTSACHE ERZIEHENDEN ELTERNTEIL

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Immer mehr beantragen Parteien in einem Trennungs- oder Scheidungsprozesse die Zuteilung der Kinder an beide Elternteile nach einem alternierenden Betreuungskonzept (alternierende Obhut). Bis vor kurzem wurde diese Form der Betreuungsregelung jedoch durch Gerichte vornehmlich nur dann zur Anwendung gebracht, wenn beide Parteien dahingehend gleiche Vorstellungen und Anträge vorbrachten. Sobald sich ein Elternteil gegen die Installation einer alternierenden Obhut wehrte, wurde diese in aller Regel durch die Gerichte ebenfalls abgelehnt.

Das Bundesgericht geht nun neue Wege, was eine Chance für bislang nicht zur Hauptsache erziehenden Elternteile, vornehmlich Väter, bedeutet.

I. ALTERNIERENDE OBHUT

Alternierende Obhut bedeutet, dass beide Elternteilen zu gewissen Teilen die Betreuung der Kinder übernehmen. Die alternierende Obhut steht der einem Elternteil allein zugesprochenen Obhut mit Ausgestaltung eines Besuchsrechts für den jeweils anderen Elternteil gegenüber. Letzteres ist bislang das verbreitetere Modell, welches jedoch durch die Gesetzesrevision im Familienrecht und die sich langsam anpassende Rechtsprechung vor dem Hintergrund einer anderen Lebensrealität langsam angepasst wird. Die alternierende Obhut muss nicht bedeuten, dass jeder Elternteil die Betreuung der Kinder zu genau 50% übernimmt. Es sind verschiedenste Modelle denkbar, welche sich jedoch alle am Kindeswohl zu orientieren haben.

II. VORAUSSETZUNGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

Bei gegebenen Voraussetzungen kann die alternierende Obhut auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Voraussetzung ist jedoch immer, dass beide Eltern erziehungsfähig sind. Weiter erforderlich sind organisatorische Massnahmen, welche die Eltern ergreifen können müssen sowie der Austausch von Informationen unter den Parteien über die Kinderbelange. Auch die geographische Situation muss derart sein, dass eine alternierende Obhut dem Kindeswohl gerecht werden kann. So müssen die Kinder insbesondere von beiden

Wohnorten aus in der Lage sein, ohne grössere Aufwendungen und Hindernisse die Schule, Ausbildung oder aber den Kindergarten besuchen zu können.

Kriterien wie Stabilität der Betreuung sowie die Möglichkeit der persönlichen Betreuung sind zwar ebenfalls wichtig, sind jedoch den einzelnen Umständen und Altersstufen der Kinder anzupassen. Bei Jugendlichen kommt der Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld (Schule, Freunde, Vereine) eine grosse Bedeutung zu. Die vorhandene Kooperationsfähigkeit der Eltern wiederum ist bei schulpflichtigen Kindern oder gar noch jüngeren Kindern ein wichtiges und unerlässliches Element.

III. BETREUUNG DURCH DRITTPERSONEN

Weiter setzt die alternierende Obhut selbstredend auf beiden Seiten der Eltern eine gewisse Verfügbarkeit voraus. Immerhin soll es darum gehen, dass die Eltern, und nicht andere, die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernehmen sollen und wollen. Nicht geschützt wird ein entsprechender Antrag eines Elternteils, die Betreuung zu einem gewissen Teil übernehmen zu wollen, obwohl diese in der Hauptsache auf Drittpersonen übertragen werden sollen. Eine solche Lösung wäre mit dem Kindeswohl in aller Regel nicht vereinbar. Auf der anderen Seite hat das Bundesgericht aber entschieden, dass ein Elternteil während der Zeit, in welcher er die Kinder zu be- treuen hat, durchaus berechtigt ist, einen Teil dieser Betreuung beispielsweise durch seine Eltern, mithin die Grosseltern der Kinder, sicherzustellen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Grosseltern bereits zuvor gewisse Betreuungsaufgaben übernommen hatten und die Betreuung im Idealfall am Wohnort einer der beiden Elternteile übernehmen können.

IV. WEIGERUNG EINES ELTERNTEILS

Für die Installation einer alternierenden Betreuungsregelung müssen die Eltern fähig und bereit sein, in den Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass dies beide Eltern auch wollen bzw. dass sich die Eltern bezüglich der Betreuungsregelung in der alternierenden Form einig sind. Allein aus dem Umstand, dass ein Elternteil sich vor Gericht der alternierenden Obhut widersetzt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine alternierende Obhut nicht möglich ist. Sind alle Voraussetzungen der alternierenden Obhut gegeben, so kann ein Richter diese auch gegen den expliziten Willen eines Elternteils anordnen, denn bei gegebenen Voraussetzungen haben beide Eltern gleichermassen Anspruch darauf, sich an der Betreuung des Kindes zu beteiligen. Dies liegt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Interesse des Kindes, welches eine Beziehung zu beiden Elternteilen leben und pflegen dürfen will. Dies gilt so- gar dann, wenn ein Elternteil, in der Regel der Vater, in der Vergangenheit zu 100% erwerbstätig war und sich kaum der Erziehung des Nachwuchses gewidmet hatte. Entscheidend ist, ob dieser Elternteil sich in Zukunft durch Reduktion seines Arbeitspensums an der Betreuung des Kindes ernsthaft beteiligen möchte und die entsprechenden Voraussetzungen dafür mitbringt. Ein solcher Elternteil tut also gut daran, dem Gericht aufzuzeigen, wie er dieser Betreuungsaufgabe, insbesondere zeitlich und organisatorisch, in Zukunft nachkommen will und kann. Idealerweise verfügt eine Partei mit einem solchen Ansinnen über eine Bestätigung des Arbeitgebers, wo- nach eine Reduktion des Arbeitspensums möglich sei.

V. FOLGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

In der Regel führt die alternierende Obhut dazu, dass beide Elternteile verfügbare Zeit haben, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Dies kann bedeuten, dass der Elternteil, welcher bislang zu 100% die Kindererziehung übernommen hat, inskünftig gehalten ist, teilzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat logischerweise Folgen auf die Unterhaltsregelungen, was nicht selten ein Grund für ein Festhalten am klassischen Modell sein dürfte.

VI. FAZIT

Mit der zuvor ausgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts wird insbesondere – auch unter dem bisherigen Modell der klassischen Rollenverteilung – die Position der sich in Trennung oder Scheidung befindenden Väter gestärkt, in dem vom gerichtsüblichen Besuchsrecht, d.h. alle 2 Wochen übers Wochenende, Abkehr genommen wird und der heute bereits ausgeprägten Realität, gemäss welcher in der Regel beide Elternteile zumindest teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Rechnung getragen wird. Insbesondere werden auch die Rollen der Elternteile egalisiert und vom bislang leider zu häufig vertretenen Modell «die Mutter erzieht, der Vater zahlt» Abstand genommen. Dies zu Recht.

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21. Juni 2018 / lic. iur. Stephan Hinz


KINDERUNTERHALT: ANWENDUNG DER «LEBENSHALTUNGSKOSTEN- METHODE» FÜR DIE BERECHNUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTES VON KINDERN BUNDESGERICHTLICH GEKLÄRT

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 17. Mai 2018 (5A_454/2017) – das Datum der Veröffentlichung des Urteils mit schriftlicher Begründung ist noch nicht bekannt – einen Grundsatzentscheid zur Bemessungsmethode des Betreuungsunterhalts für Kinder erlassen und leistet damit der herrschenden Uneinigkeit in Lehre und Rechtsanwendung Abhilfe. Der Betreuungsunterhalt für Kinder soll gestützt auf den höchstrichterlichen Entscheid nach der sog. «Lebenshaltungskosten-Methode» berechnet werden und umfasst somit grundsätzlich das familienrechtliche Existenzminimum des betreuenden Elternteils, soweit dieser wegen der Kinderbetreuung nicht selber dafür aufkommen kann.

I. AUSGANGSLAGE

Per 1. Januar 2017 wurde die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder neu geregelt. Mit dieser Gesetzesnovelle wurden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt. Erstens soll die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern beseitigt werden. Zweitens soll der Unterhaltsanspruch des Kindes durch verschiedene Massnahmen gestärkt werden, bspw. dadurch, dass der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gestützt auf Art. 276a Abs. 1 ZGB anderen familienrechtlichen Verpflichtungen vorgeht.

Unabhängig vom Zivilstand der Eltern soll der Unterhalt des Kindes sicherstellen, dass es von der bestmöglichen Betreuung profitieren kann, sei es durch die Eltern selbst oder durch Drittpersonen. Während die Fremdbetreuungskosten seit jeher in die Berechnung des Barunterhalts des Kindes einflossen, wurde es erst mit der Gesetzesänderung möglich, die Eigenbetreuung durch einen Elternteil über die Zusprechung eines Betreuungsunterhaltes zu gewährleisten. Der Kindesunterhalt besteht gemäss den Art. 276 und 285 ZGB neu aus dem Barunterhalt, der die direkten Kosten des Kindes abdeckt (bspw. Wohnkosten, Nahrung, Ausbildung, Drittbetreuung), dem Naturalunterhalt (der in Form von alltäglicher Betreuung erbracht wird) sowie dem Betreuungsunterhalt (der der finanziellen Einbusse des betreuenden Elternteils durch die persönliche Betreuung des Kindes bzw. deren Auswirkung auf die Deckung des Lebensunterhalts durch einen entsprechend verminderten Beschäftigungsgrad entspricht). Unverändert gilt jedoch, dass ein Eingriff in das Existenzminimum des Unterhaltsverpflichteten unzulässig ist. Ein allfälliges Manko ist somit nach wie vor vom Unterhaltsberechtigten zu tragen (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540 und S. 589, FN 3).

Das Gesetz legt die Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhaltes nicht fest, was in der Rechtsanwendung zu teilweise grundlegend unterschiedlichen Berechnungen des Betreuungsunterhaltes und damit letztlich zu einer Rechtsunsicherheit führte. Mit Spannung wurde deshalb auf einen ersten höchstrichterlichen Entscheid in dieser Frage gewartet.

II. BERECHNUNGSMETHODE BETREUUNGSUNTERHALT GEMÄSS BUNDESGERICHT

Gemäss Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 17. Mai 2018 hat das Bundesgericht gleichentags einen Grundsatzentscheid bezüglich der auf die Berechnung des Betreuungsunterhaltes anzuwendenden Methode gefällt. In der öffentlichen Beratung wurde entschieden, dass für die Bemessung des Betreuungsunterhaltes für die gemeinsamen Kinder von verheirateten oder unverheirateten Eltern die «Lebenshaltungskosten-Methode» zur Anwendung kommen solle. Nach dieser Methode wird im Einzelfall der Betrag berechnet, der dem betreuenden Elternteil bedingt durch die persönliche Kinderbetreuung fehlt, um seine eigenen Lebenshaltungskosten zu decken. Das Bundesgericht hält fest, dass diese Methode die zur Bemessung des Betreuungsunterhalts adäquateste Lösung darstelle, am besten den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen entspreche und überdies auch von einem grossen Teil der Lehre befürwortet werde. Das Bundesgericht verweist darauf, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesänderung festgehalten habe, dass im Normalfall die Erwerbsmöglichkeiten des Elternteils eingeschränkt würden, der die Betreuung des Kindes überwiegend übernehme. In der Mehrheit der Fälle führe dies dazu, dass der betreuende Elternteil nicht mehr selber für seinen eigenen Unterhalt aufkommen könne. Dies wiederum bedeute, dass der Betreuungsunterhalt grundsätzlich die konkreten Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils umfassen müsse, soweit er diese wegen der Kinderbetreuung nicht selber bestreiten könne. Die Zahlung sei aber nicht als «Lohn» für den betreuenden Elternteil zu verstehen. Weiter hält das Bundesgericht fest, dass die Betreuung eines Kindes nur für die Zeit, in der der betreuende Elternteil sonst einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, zu einem Anspruch auf Unterhalt nach der «Lebenshaltungskosten-Methode» führe. Damit bleibt die Bereuung eines Kindes am Wochenende oder während sonstiger freier Zeit grundsätzlich unberücksichtigt. Es bestätigt damit den Vorschlag zur Methodenwahl von Prof. Dr. Stephan Hartmann (STEPHAN HARTMANN, Betreuungsunterhalt – Überlegungen zur Methode der Unterhaltsbemessung, in: ZBJV 02/2017 vom 15.2.2017), der auch vom Obergericht des Kantons Aargau zur Anwendung gebracht wird. Damit dürften die übrigen in der Botschaft zur Gesetzesänderung diskutierten und in diversen Kantonen bisher angewandten Berechnungsmethoden des sog. «Opportunitätskostenansatzes», gemäss welchem die Zeit, die der betreuende Elternteil für die Kinderbetreuung aufwendet, als Mindereinkommen zu bewerten ist, oder aber des sog. «Marktkosten- oder Ersatzkostenansatzes», bei welchem auf die Kosten abgestellt wird, welche bei einer Entschädigung des Betreuungsaufwandes zu Marktpreisen anfallen würde (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540), vom Tisch sein.

Das Bundesgericht äussert sich im Rahmen des aktuellen Urteils nicht zur Frage, nach welchen Kriterien darüber zu entscheiden ist, ob anstatt der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil allenfalls eine Drittbetreuung zu ermöglichen oder eine solche gar vorzuziehen sei. Es hält fest, dass es im Rahmen der Festlegung des Betreuungsunterhalts im konkreten Einzelfall dem Richter überlassen sei, über die Form und den Umfang der für das Wohl des Kindes erforderlichen Betreuung zu entscheiden. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Lebenshaltungskosten grundsätzlich nicht über das hinausgingen, was notwendig sei, um es dem betreuenden Elternteil finanziell zu ermöglichen, sich selber um das Kind zu kümmern. Vor diesem Hintergrund bemisst sich der Betreuungsunterhalt denn auch nicht nach dem Einkommen des Unterhaltsverpflichteten oder einem allenfalls hohen bisherigen Lebensstandard des Unterhaltsberechtigten, sondern nach den konkreten Bedürfnissen des das Kind betreuenden Elternteils. Als Grundlage für die Berechnung dieser Bedürfnisse dient das familienrechtliche Existenzminimum.

III. UMFANG UND DAUER DES BETREUUNGSUNTERHALTS

Zur Festlegung des Umfangs und der Dauer des Betreuungsunterhalts hat sich das Bundesgericht im aktuellen Entscheid nicht neu geäussert. Obwohl in der Rechtsanwendung die Tendenz erkennbar ist, die Altersgrenzen der zu betreuenden Kinder bezüglich der Zumutbarkeit einer Ausdehnung der Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Elternteils nach unten zu verschieben, ist bis auf weiteres auch unter dem neuen Recht grundsätzlich von der sog. «10/16-Regel» auszugehen (HANS-MARTIN ALLEMANN, Betreuungsunterhalt – Grundlagen und Bemessung, in: Jusletter vom 11.7.2016, S. 14 und 19). Im Normalfall ist somit grundsätzlich ein Betreuungsunterhalt zu leisten, bis das jüngste Kind das 16. Altersjahr vollendet hat. Die Botschaft zur Gesetzesnovelle hält fest, dass bei der Bemessung die Beteiligung des anderen Elternteils an der Kinderbetreuung nur dann zu berücksichtigen sei, wenn sie über die Ausübung eines gewöhnlichen Besuchsrechts hinausgeht. Wird ein grosszügiges Kontaktrecht vereinbart, findet dieser Umstand aber nicht im Rahmen des Betreuungsunterhalts in die Unterhaltsberechnung Einlass, sondern über eine Aufteilung des Grundbetrages und/oder der variablen direkten Kosten im Rahmen des Barunterhalts, bspw. Nahrung oder Auslagen für Hobby (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 550 ff.).

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23. Mai 2018 / lic. iur. Melanie Schmidt


ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER EHESCHEIDUNGEN

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

I. AUSGANGSLAGE

Immer öfter werden binationale Ehen geschlossen, was sich selbstverständlich auch in der Anzahl der Scheidungen niederschlägt. Allein in der Europäischen Union liegt die Anzahl der Scheidungen mit Auslandsbezug bei rund 170’000 pro Jahr, was einem Anteil von 16 % aller Scheidungen entspricht. Neben vielen rechtlichen Fragen, welche einer Scheidung eines Paares unterschiedlicher Nationalität vorausgehen, wie beispielsweise, welches Recht anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind, stellt sich die Frage, ob nach der Scheidung weitere Massnahmen veranlasst werden müssen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Auslandsscheidungen nach den allgemeinen Grundsätzen nur in demjenigen Land unmittelbare Rechtswirkung entfalten, in welchem sie ergangen sind. Dementsprechend ist daran zu denken, dass eine beispielsweise in der Türkei ausgesprochene Scheidung eines schweizer Bürgers, der mit einer türkischen Staatsbürgerin verheiratet war, in der Schweiz anerkannt werden muss, damit die Ehegatten auch in der Schweiz rechtskräftig geschieden sind.

II. RECHTSLAGE

Die Frage, ob eine im Ausland ergangene Scheidung im Rahmen eines separaten Verfahrens anzuerkennen ist, um Rechtswirkung zu entfalten, wird in jedem Staat anders beurteilt und muss vor diesem Hintergrund für das jeweils betreffende Land abgeklärt werden. Für die Schweiz bzw. Deutschland gilt das Nachfolgende:

1. In der Schweiz
1.1
Ausländische Scheidungsurteile werden in der Schweiz gemäss Art. 65 IPRG anerkannt, wenn:

  • die Zuständigkeit der Gerichte oder Behörden des Staates in dem die Entscheidung ergangen ist, begründet war,
  • gegen die Entscheidung kein ordentliches Rechtsmittel mehr geltend gemacht werden kann oder wenn sie endgültig ist, und
  • wenn kein Verweigerungsgrund im Sinne des Art. 27 IPRG vorliegt.

Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, werden ausländische Scheidungsurteile in der Schweiz immer dann anerkannt, wenn sie im Staat des Wohnsitzes, des gewöhnlichen Aufenthalts oder im Heimatstaat eines der Ehegatten ergangen sind. Gleiches gilt für den Fall, wenn die Scheidung in einem der zuvor genannten aufgezählten Staaten aufgrund der dortigen Gesetzgebung oder verbindlicher Staatsverträge anerkannt wird (Art. 65 Abs. 1 IPRG).

1.2

An die Anerkennung sind folglich nur geringe Anforderungen gestellt. Vorbehalten bleiben allerdings spezifische Anerkennungsverweigerungsgründe des schweizerischen IPRG. Eingeschränkt wird die grosszügige Anerkennungspraxis gemäss Art. 65 Abs. 2 IPRG bei Staaten, dem keiner oder nur der klagende Ehegatte angehört. In derartigen Fällen gelingt eine Anerkennung in der Schweiz nur, wenn a) im Zeitpunkt der Klageeinleitung wenigstens ein Ehegatte in diesem Staat Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte und b) der beklagte Ehegatte seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz hatte und c), der beklagte Ehegatte sich der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts vorbehaltlos unterworfen hat oder wenn der beklagte Ehegatte mit der Anerkennung der Entscheidung der Schweiz einverstanden ist.

1.3

Die einschlägigen Normen des IPRG beschränken sich ausschliesslich auf die Anerkennung des Scheidungspunktes. Ob zudem auch die in einer Scheidung geregelten Nebenfolgen anerkannt werden, beurteilt sich nach separaten Regelungen, wobei das IPRG nur dann zur Anwendung gelangt, wenn für das betreffende Land eine entsprechende Regelung nicht ratifiziert wurde.

2. In Deutschland
2.1

Auch in Deutschland besteht der Grundsatz der Anerkennung.

Deutschland setzt für die Anerkennung ausländischer Ehescheidungen ein sogenanntes Antragsverfahren voraus, wonach die Landesjustizverwaltung festzustellen hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, §107 FamFG. Von dieser Voraussetzung gibt es Ausnahmen, nämlich wenn es sich um ein sogenanntes Heimatstaatsverfahren handelt. Ein solches liegt vor, wenn beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Scheidung dem Staat angehört haben, in dem die Entscheidung ergangen ist. Die Scheidung von in der Schweiz lebenden Auslandsdeutschen muss dementsprechend dann nicht von der Landesjustizverwaltung anerkannt werden, wenn die Ehegatten über eine schweizerische Staatsangehörigkeit verfügen. Des Weiteren sind internationale Ehescheidungen in Europa vom Anerkennungsgrundsatz ausgeschlossen oder fallen nur begrenzt in die Anerkennungspflicht.

Zu berücksichtigen ist, dass die Anerkennung der in einem Scheidungsurteil oftmals enthaltenen Nebenfolgen nicht von § 107 FamfG erfasst ist. Die Anerkennung solcher Entscheidungen über die Nebenfolgen einer Scheidung kann erst ausgesprochen werden, wenn festgestellt ist, dass die Entscheidung über die Ehe selbst im Inland anzuerkennen ist. Folglich beschränkt sich die Anerkennung ausschliesslich auf den Scheidungspunkt, sodass eine neue Eheschliessung möglich wird. Die Nebenfolgen bedürfen einer separaten Anerkennung, welche nicht durch die Landesjustizverwaltung vorgenommen wird.

Es steht jedem Staat frei, sofern er nicht an Staatsverträge gebunden ist, die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte und damit auch ausgesprochener Scheidungen anzuerkennen oder nicht. So sieht beispielsweise Deutschland gemäss § 108 FamFG keine formalen Anerkennungsvoraussetzungen bei anderen Entscheidungen vor, mithin werden abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen ausländische Entscheidungen anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

Zu berücksichtigen ist, dass antragsberechtigt für die Anerkennung eines Scheidungsurteils nicht nur die betroffenen Ehegatten selbst, sondern auch diejenigen Personen sind, die an der Klärung der rechtmässigen Scheidung in Deutschland ein rechtliches Interesse haben. In Betracht kommen hierfür insbesondere die Verlobte bzw. der spätere Ehegatte oder aber auch Erben. Darüber hinaus ist in Deutschland des Weiteren die Rentenversicherungsanstalt zur Antragstellung berechtigt.

2.2

Zuständig für die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils ist – wie oben erwähnt – die Justizverwaltung desjenigen Bundeslandes, in dem einer der ehemaligen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sollte keiner der Ehepartner seinen Aufenthalt in Deutschland haben, aber einer der geschiedenen Ehegatten möchte dennoch eine Ehe eingehen, so richtet sich die Zuständigkeit danach, in welchem Bundesland die Ehe geschlossen werden soll. Hat keiner der ehemaligen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und ist in Deutschland auch keine Eheschliessung geplant, ist für den Antrag die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin zuständig.

2.3

Vorzulegen sind bei der Antragstellung das Scheidungsurteil mit Rechtskraftvermerk, die Heiratsurkunde der aufgelösten Ehe, der Nachweis der Staatsangehörigkeit der Geschiedenen und die Übersetzung eines vereidigten Übersetzers sämtlicher fremdsprachlicher Urkunden. Teils werden weitergehende Urkunden wie Verdienstnachweise eingefordert, um die Kosten des Anerkennungsverfahrens festzulegen, welche nach Aufwand und Ermessen massiv schwanken.

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4. Mai 2018 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher


OBHUT UND BESUCHSRECHT BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE – WAS WENN EIN ELTERNTEIL WEIT WEG ZIEHT?

NACHTRAG ZUM NEWSLETTER VOM 29. NOVEMBER 2017

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt unter Mithilfe von Simona Serratore (M.A. HSG)

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Newsletter-Beitrag vom 29. November 2017 wurden die Hintergründe des seit 1. Juli 2014 geltenden «Zügelartikels» (Art. 301a ZGB) erläutert. Es wurde festgehalten, dass dank der Gesetzesrevision der obhutsberechtigte Elternteil grundsätzlich nicht mehr nach Belieben seinen und damit den Wohnort des Kindes verschieben kann. Stattdessen wird verlangt, dass bei potentiell erheblichen Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil (dies sind alles Fragen, die das Kindeswohl betreffen) erst die Zustimmung des betroffenen Elternteils eingeholt wird. Die bisher dazu ergangenen Bundesgerichtsurteile machen deutlich, dass es keine universelle Antwort auf die Frage gibt, in welchen Fällen es bei einem Wegzug innerhalb der Schweiz der Zustimmung des Elternteils bedarf: Es bedarf jeweils einer Abwägung der massgebenden Kriterien im Einzelfall. Klar jedoch ist, dass das Wohl des Kindes stets im Vordergrund steht.

In einem soeben publizierten Entscheid (BGer 5A_47/2017 vom 6. November 2017) hat das Bundesgericht nun ausdrücklich festgehalten, dass wenn ein Elternteil trotz gemeinsamem Sorgerecht ohne Einwilligung des Partners weit weg zieht, keine direkte Möglichkeit besteht, den wegziehenden Elternteil zu sanktionieren. Im behan- delten Entscheid war die Mutter mit den Kindern vom Kanton Aargau nach Bellinzona in den Kanton Tessin gezogen. Zudem betonte das Bundesgericht weiter, dass eine Weisung des Gerichts zum Aufenthaltsort des wegziehenden Elternteils – das Bezirksgericht hatte der Mutter noch die Auflage gemacht, den Wohnsitz wieder näher zum ursprünglichen Wohnort zu verlegen, damit die Ausübung des Besuchsrechts nicht verunmöglicht wird – nur erlassen werden darf, wenn das Kindeswohl durch den Umzug extrem gefährdet ist (also z.B. durch körperliche und psychische Misshandlung oder Vernachlässigung durch den obhutsberechtigten Elternteil). Das Bundesgericht wies die Sache zur Anpassung der Besuchs- und Ferienrechtsregelung sowie der Übergabemodalitäten (insbesondere auch örtlich, d.h. zur Regelung eines allfälligen Übergabeortes «in der Mitte» zwischen den Wohnsitzen) an die Vorinstanz zurück. Es gilt abzuwarten, ob und wie das Gericht den knappen finanziellen Verhältnissen im Fall Rechnung tragen wird.

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12. März 2018 / lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Simona Serratore (MLaw)


DER BONUS IM FAMILIENRECHTLICHEN KONTEXT

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Bonus als Einkommensbestandteil wird bei der Unterhaltsberechnung einkommenserhöhend berücksichtigt. Zugleich ist er, wenn er gespart wurde, auch im Güterrecht als zu teilendes Vermögen relevant. Die güterrechtliche Auseinandersetzung erfolgt per Stichtag und damit – sofern man sich nicht auf ein anderes Datum verständigt hat – per Datum Einleitung der Ehescheidung.

Problematisch sind Fälle, in denen ein Anspruch auf Auszahlung eines Bonus bereits vor dem Stichtag besteht, die Auszahlung des Bonus allerdings erst nach dem Stichtag erfolgt. Auch ist unklar, wie mit dem Bonus verfahren werden soll, wenn dieser sowohl bei der Unterhaltsberechnung als auch bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung berücksichtigt wird. Es stellt sich in diesem Fall die Frage, ob eine güterrechtliche Berücksichtigung des Bonus gerechtfertigt ist, wenn der Bonus zuvor einkommenserhöhend bei der Unterhaltsberechnung dem Einkommen zugewiesen wurde und demzufolge auf der Grundlage dieses Einkommens ein entsprechend hoher Unterhalt bezahlt wird. In letzterem Fall würde der per Stichtag bereits erwirtschaftete oder noch nicht ausbezahlte Bonus zulasten des Unterhaltsschuldners sowohl unterhaltsrechtlich als auch güterrechtlich berücksichtigt, womit der Unterhaltsschuldner doppelt belastet wird.

Eine klare Zuweisung von Boni zum Unterhalt oder zum Güterrecht fehlt mangels einschlägiger Rechtsprechung in der Schweiz, weshalb die Handhabung der zuvor genannten Problematik in das Ermessen der Gerichte fällt. Anerkannt ist, dass Ehegatten gleich zu behandeln sind, womit das Verbot der Benachteiligung eines Ehegatten und damit die hier thematisierte Doppelbelastung aus familienrechtlichen Grundprinzipien abgeleitet werden kann. Eine bundesgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Problematik findet sich – wie bereits erwähnt – nicht. Hingegen wurde die Frage, wann Anwartschaften güterrechtlich zu teilen sind, auch wenn sie nach dem Stichtag ausbezahlt werden, von Literatur und Rechtsprechung mehrfach thematisiert.

I. BONUS ALS EINKOMMEN UND/ODER VERMÖGENSWERT

Grundsätzlich soll bei einer Scheidung vor Festlegung des Unterhalts das vorhandene Vermögen der Ehegatten im Wege der güterrechtlichen Auseinandersetzung geteilt werden. Dies deshalb, weil bei überdurchschnittlichen Vermögensverhältnissen teils Erträge zu erwarten sind, wie z.B. Mieteinnahmen, welche dann wiederum als Einkommen beim Unterhalt zu berücksichtigen sind. In der Praxis allerdings steht der Fokus vorrangig auf der Festlegung des Unterhalts, da dieser der Sicherung des Lebensstandards dient.

Die Unterhaltsberechnung basiert in der Regel auf einem Durchschnittseinkommen unter Berücksichtigung eines Bonus. Schwankt der Bonus, entspricht es dem üblichen Vorgehen, den Unterhalt ohne Bonus zu berechnen und den Bonus separat nach erfolgter Auskunft über die Höhe des Bonus unter den Ehegatten bzw. geschiedenen Eheleuten aufzuteilen.

Wurde der Bonus erst nach dem Stichtag ausbezahlt, ist zu prüfen, ob der Bonus vor dem Stichtag bereits fällig war, mithin ob ein durchsetzbarer Anspruch auf dessen Zahlung schon vor dem Stichtag bestand. Für die güterrechtliche Einordnung von Vermögenswerten ist somit die Abgrenzung von einfachen Anwartschaften gegenüber erworbenen Rechten eines Ehegatten von entscheidender Bedeutung. Bei einfachen Anwartschaften geht die herrschende Lehre davon aus, dass noch kein eigentlicher Vermögenszuwachs erfolgt ist, sodass sie bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung nicht zu berücksichtigen sind. Hingegen sind jene Anwartschaften, die sich schon zu einem Anwartschaftsrecht verdichtet haben, als vom Güterrecht erfasste Vermögenswerte in die güterrechtliche Auseinandersetzung mit einzubeziehen. Unter einer einfachen Anwartschaft werden bloss mögliche Ansprüche auf künftige Leistungen verstanden, über die vor Fälligkeit nicht verfügt werden kann und die keinen realisierbaren Gegenwert haben. Es handelt sich um eine mehr oder weniger vage Aussicht, Erwartung oder Hoffnung auf den Erwerb eines Vermögenswertes. Dessen Verwirklichung hängt von dem Eintritt einer Bedingung und damit von einem in der Zukunft liegenden, im Zeitpunkt der Scheidung noch ungewissen Ereignis ab. Demgegenüber liegt ein eigentliches Anwartschaftsrecht vor, wenn von einer bereits gesicherten Rechtsstellung des Erwerbs gesprochen werden kann.

Da diese Auffassung nicht unterscheidet, ob Boni, welche in Form der Anwartschaft nach dem Stichtag ausbezahlt werden, bereits beim Unterhalt Berücksichtigung gefunden haben, bleibt die voran zu stellende Problematik der Doppelverwertung ausser Acht. Konsequenz hieraus ist, dass ein Bonus, der monatlichem Einkommen aufgerechnet wird und somit einen erhöhten Unterhaltsanspruch zur Folge hat, selbst dann in der güterrechtlichen Auseinandersetzung berücksichtigt wird und somit unter den Ehegatten zu teilen ist, wenn dieser erst nach dem Stichtag ausbezahlt wird. Der Unterhaltsschuldner wird damit doppelt belastet, da ihn zum einen aufgrund der Berücksichtigung des Bonus bei der Berechnung des Unterhalts eine erhöhte Unterhaltslast trifft und er zum anderen bei der Scheidung eben diesen Bonus zu teilen hat.

Ob es sich bei den Anwartschaften um sichere und durchsetzbare Forderungen handelt, sagt nichts darüber aus, ob die Teilhabe an dieser Anwartschaft überhaupt billig und damit zulässig ist. Zweifel hieran bestehen dann, wenn der gebührende Bedarf, d.h. der in der Ehe zuletzt gelebte Lebensstandard, durch Unterhaltszahlungen gesichert ist, welche mit dem Bonus finanziert werden. Um eben diese Doppelbelastung des Schuldners zu vermeiden, wird in Deutschland im Hinblick auf das bestehende Verbot der Doppelverwertung davon abgesehen, Boni güterrechtlich zu teilen, welche in irgendeiner Weise unterhaltsrelevant waren.

II. DEUTSCHE RECHTSPRECHUNG

Wird ein Unterhalt unter der Berücksichtigung eines regelmässig erzielten Bonus ermittelt, ist klar, dass dieser höher ausfällt, da für die Unterhaltsberechnung auf ein höheres Einkommen (Grundlohn plus Bonus) abgestellt wird. In der Regel vermag der Unterhalt demzufolge auch nur deshalb aufgebracht werden, weil eine jährliche Zusatzzahlung in Form eines Bonus erfolgt, zumindest erwartet wird.

Aus deutscher Sicht besteht hier klar das Verbot der Doppelverwertung. Vor diesem Hintergrund ist in Deutschland anerkannt, dass Positionen wahlweise im Güterrecht oder aber im Unterhalt zu berücksichtigen sind, um den Unterhaltspflichtigen nicht zweifach zu belasten. Es gilt der Grundsatz, dass ein güterrechtlicher Ausgleich dann nicht stattfindet, wenn eine Vermögensposition auf andere Art und Weise – sei es unterhaltsrechtlich, güterrechtlich oder im Wege des Vorsorgeausgleichs – bereits berücksichtigt wurde. Folgerichtig entspricht es herrschender deutscher Rechtsauffassung, dass selbst vor dem Stichtag ausbezahlte Leistungen güterrechtlich nicht zu berücksichtigen sind, sofern diese als Einkommen für den Unterhalt bereits herangezogen wurden. So hat der BGH (Bundesgerichtshof) bereits im Jahr 2002 festgehalten, es wäre unbillig, einen Ehegatten güterrechtlich an einer dem anderen Ehegatten vor dem Stichtag ausbezahlten Abfindung teilhaben zu lassen, soweit er daran bereits durch die Gewährung des unter Einbeziehung dieser insoweit als Einkommen behandelten Abfindung partizipiert. Der BGH hält eine doppelte Teilhabe an unterhaltsrelevanten Einkommen sogar im Falle stillschweigend getroffener Vereinbarungen für unbillig. So wird in Deutschland nicht darauf abgestellt, ob der Bonus, der vor dem Stichtag fällig wird und nach dem Stichtag ausbezahlt wurde, zum Vollrecht erstarkt ist, sofern dieser bereits bei der Unterhaltsberechnung massgeblich war. Vielmehr stellt sich die Frage einer konkreten Anwartschaft erst, wenn ausser Frage steht, dass der Bonus in irgendeiner Art und Weise beim Unterhalt berücksichtigt wurde. Erst dann wird für nach dem Stichtag erfolgte Auszahlungen – ebenso wie in der Schweiz – darauf abgestellt, ob Ansprüche und Anwartschaften, welche bereits vor dem Stichtag bestanden, hinreichend konkret zu einem sogenannten Vollrecht erstarkt sind. Festhalten lässt sich damit, dass ein Bonus nach deutscher Auffassung güterrechtlich immer dann unbeachtlich ist, wenn dieser in irgendeiner Weise bereits beim Unterhalt berücksichtigt wurde.

III. FAZIT

Eine klare Rechtsprechung, wie diese in Deutschland besteht, existiert in der Schweiz nicht. Allerdings sind keine Gründe ersichtlich, weshalb eine unterhaltsberechtigte Person, welche mit einem Unterhalt den in der Ehe gelebten Lebensstandard bestreiten kann, zusätzlich von einem Bonus des Unterhaltspflichtigen profitieren können soll, welcher diesem als Rücklage dient, eben um den Unterhalt bezahlen zu können. Etwas anders ergibt sich selbstverständlich dann, wenn der Unterhalt ohne Berücksichtigung des Bonus ermittelt wurde, womit dieser selbstverständlich vollumfänglich güterrechtlich – auch in Deutschland – zu teilen ist. Um die Doppelbelastung eines Unterhaltsschuldners zu vermeiden, wird teils auch in der Schweiz vertreten, dass im Falle einer bereits erfolgten Berücksichtigung des Bonus bei der Unterhaltsberechnung nur noch der Bonus bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu teilen ist, welcher den beim Unterhalt einbezogenen Teil übersteigt. Die zuletzt genannte Auffassung ist überzeugend, nachdem sie dem Sparverhalten der Parteien gerecht wird und zugleich einer Doppelbelastung des Unterhalsschuldners eine klare Absage erteilt.

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7. Februar 2018 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher 


OBHUT UND BESUCHSRECHT BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE – WAS WENN EIN ELTERNTEIL WEIT WEG ZIEHT?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt unter Mithilfe von Simona Serratore (M.A. HSG)

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Entscheidet sich ein Elternteil dafür, aufgrund eines Jobwechsel, neuer Partnerschaft oder aus sonstigen Gründen vom bisherigen Wohnort wegzuziehen – egal ob er ins Ausland geht oder innerhalb der Schweiz verbleibt –, bedarf dies unter Umständen der Zustimmung des anderen Elternteils. Können sich die Eltern nicht auf eine neue, angepasste Betreuungsregelung einigen, entscheidet die Kindesschutzbehörde oder das Gericht. Der folgende Beitrag bietet eine Übersicht über die Folgen des seit Sommer 2014 geltenden „Zügelartikels“.

I. RECHTSFOLGEN DER ZGB-REVISION PER 1. JULI 2014

Nach der Teilrevision des Zivilgesetzbuches zum Sorgerecht, welche am 1. Juli 2014 in Kraft trat, wurde als neuer allgemeiner Grundsatz die gemeinsame elterliche Sorge festgelegt, der sowohl für verheiratete wie auch geschiedene und getrennt lebende ledige Eltern gilt. Gleichzeitig wurde der sogenannte „Zügelartikel“, Artikel 301a Abs. 1 ZGB, eingeführt, welcher besagt, dass die elterliche Sorge neu auch das Recht einschliesst, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (dies war unter altem Recht noch eine Frage der Obhut). Der Zügelartikel bestimmt in Absatz 2 weiter, dass sofern die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt wird, es der Zustimmung des anderen Elternteils bedarf, wenn ein Elternteil mit dem Kind ins Ausland ziehen will oder der Wechsel des Aufenthaltsortes (im Inland) erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil hat. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber die Eltern dazu verpflichten, sich vor einem Umzug über eine allfällig nötige Neugestaltung der Kindsbetreuung Gedanken zu machen und diese sofern nötig anzupassen. Bei fehlender Einigkeit entscheidet die zuständige Kindesschutzbehörde bzw. das Gericht.

Seit der Gesetzesänderung hat das Bundesgericht einige Urteile zu diesem Thema gefällt, die bei der Auslegung und folglich Anwendung in der Praxis den Weg weisen.

II. ABHÄNGIGKEIT VON EINER ZUSTIMMUNG

Nebst dem sogenannten klassischen Besuchsrechtsmodell, wo ein Elternteil ganz oder überwiegend Bezugsperson des Kindes ist, wird von getrennt lebenden Eltern auch immer öfters ein Betreuungsmodell gewählt, das den anderen Elternteil mehr einbezieht: Das Kind sieht bspw. den anderen Elternteil nicht mehr nur jedes zweite Wochenende, sondern wird von ihm im Sinne eines „verlängerten Wochenendes“ am Freitag von der Schule abgeholt respektive am Montag hingebracht. In anderen Fällen wird gar im Sinne der sogenannten „alternierenden Obhut“ eine 50/50 Betreuung durch die Eltern gelebt.

Der Zügelartikel schreibt bei einem Umzug innerhalb der Schweiz nur in denjenigen Fällen eine Zustimmung des nicht umziehenden Elternteils vor, in welchen sich der Wohnortwechsel auch tatsächlich auf die Ausübung der Kindsbetreuung auswirkt. Mit dieser Formulierung sind somit nicht nur Fälle von alternierender Obhut erfasst, sondern auch Fälle, wo der besuchsrechtberechtigte Elternteil das Kind nur jedes zweite Wochenende sieht. Ob es im Endeffekt einer Zustimmung bedarf, ist im Einzelfall zu prüfen. Es liegt allerdings auf der Hand, dass in Fällen, wo bspw. der besuchsberechtigte Vater die Kinder nur jedes zweite Wochenende sieht, eine grössere Distanz zwischen den Wohnorten der Eltern eher hinzunehmen ist, als wenn der Vater die Kinder auch noch in den (neuen) Kindergarten bzw. Schule fahren muss.

III. KINDESWOHL ALS MASSGEBENDES HAUPTKRITERIUM

Da bei der Regelung von Kinderbelangen weiterhin das Kindeswohl massgebend ist, stellt sich im Anwendungsfall hauptsächlich die Frage, ob es für das Kind besser ist, mit dem wegziehenden Elternteil mitzugehen oder beim zurückbleibenden Elternteil zu verbleiben. Gestützt auf den Zügelartikel kann also niemandem verboten werden, seinen Wohnort zu wechseln. Allerdings kann es je nach Situation zu einer Neuzuteilung der Obhut kommen. Gemäss Bundesgericht haben je nach Einzelfall das gewählte Betreuungsmodell, die Anzahl Kinder, deren Alter und konkreten Bedürfnisse sowie die zeitliche Flexibilität der Eltern, die konkreten Umstände des Wegzuges und insbesondere die Frage der Entfernung kleinere oder grössere Auswirkungen. Darüber hinaus können insbesondere in Fällen von alternierender Obhut auch Kriterien wie familiäres und wirtschaftliches Umfeld, die Stabilität der Verhältnisse, Sprache und Beschulung, die gesundheitlichen Bedürfnisse des Kindes oder – bei älteren Kindern – der Wille des Kindes zur Festlegung der bestmöglichsten Lösung herangezogen werden; letzteres natürlich nur, wenn er sich mit den Betreuungsmöglichkeiten des Elternteils vereinbaren lässt.

Sofern bis anhin also ein Elternteil die alleinige oder hauptsächliche Bezugsperson des Kindes war, kann in den meisten Fällen davon ausgegangen werden, dass das Wohl des Kindes am besten gewahrt ist, wenn das Kind auch bei dieser Person verbleibt. Dies ist insbesondere bei jüngeren Kindern der Fall, die bspw. noch eher auf die Betreuung durch die Mutter angewiesen sind. Es kann also sehr wohl passieren, dass wenn bspw. eine Mutter mit dem Kind an einen entfernteren Ort zieht, eine Obhutsumteilung aufgrund des Alters des Kindes aber ausser Acht fällt, dieser Wegzug ohne negative Konsequenzen für die wegziehende Kindsmutter bleibt. Bei älteren Kindern hingegen, wo Aspekte wie die Schule, der lokale Sportverein und der Freundeskreis von zunehmender Wichtigkeit sind, kann sich eine Obhutsumteilung eher rechtfertigen. Eine Neugestaltung der Obhutsfrage stellt sich insbesondere auch in den (seltenen) Fällen, wo ein Elternteil offensichtlich nur weit weg zieht, um das Kind dem anderen Elternteil zu entfremden. In diesen Fällen wird regelmässig die Erziehungsfähigkeit des wegziehenden Elternteils in Frage gestellt, mit der Folge, dass die Umteilung des Kindes in Erwägung zu ziehen ist. Ansonsten ist der Grund für den Wohnortwechsel gemäss Bundesgericht aber meistens irrelevant. Schliesslich kann sowohl bei einem Umzug innerhalb der Schweiz als bei einem Wegzug ins Ausland die Sprache am neuen Wohnort ein zu berücksichtigender Aspekt sein: Beispielsweise ist es für ein Kind nicht dasselbe, ob es bereits zweisprachig aufgewachsen ist oder ob es neu in einer ihm fremden Sprache beschult würde.

Um unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden sind die Eltern folglich gut beraten, wenn sie vor einem Wohnortwechsel zuerst gemeinsam prüfen, ob die Ausübung der elterlichen Sorge durch beide Elternteile weiterhin gewährleistet werden kann. Es ist zu berücksichtigten, dass grundsätzlich der besuchsrechtsberechtigte Elternteil sämtliche Kosten für die Ausübung seines Besuchsrechts selber zu tragen hat. Wenn nun plötzlich eine viel weitere Distanz zurückgelegt werden muss, um die Kinder bei der obhutsberechtigten Person abzuholen, ist dies oft mit umfangreichen finanziellen Konsequenzen verbunden. Um dieser unzufriedenstellenden Situation entgegenzuwirken, hat die Praxis einige Abweichungen entwickelt, die sich auch vermehrt durchsetzen: Immer öfters wird von der üblichen Hol- und Bringschuld des besuchrechtberechtigten Elternteils abgekommen und eine Umgestaltung hin zu einer Bring-Bring-Situation vorgenommen (bspw. Mutter bringt das Kind am Wochenende zum Vater, der Vater bringt es am Sonntagabend wieder zur Mutter zurück). Und entgegen dem Grundsatz, dass der be- suchsrechtberechtigte Elternteil die Wegkosten für die Ausübung seines Besuchsrecht allein zu tragen hat, kann in knappen finanziellen Verhältnissen auch schon mal eine Berücksichtigung der entsprechenden Kosten in der Bedarfsrechnung vorgenommen werden.

IV. FAZIT

Der unterdessen geltende Grundsatz der gemeinsamen elterlichen Sorge in Kombination mit Art. 301a ZGB führt dazu, dass der obhutsberechtigte Elternteil nicht mehr nach Belieben seinen und damit den Wohnort des Kindes verschieben kann. Stattdessen wird verlangt, dass man bei potentiell erheblichen Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil erst die Zustimmung des betroffenen Elternteils einholt. Die bisher dazu ergangenen Bundesgerichtsurteile machen deutlich, dass es keine universelle Antwort auf die Frage gibt, in welchen Fällen es bei einem Wegzug innerhalb der Schweiz der Zustimmung des Elternteils bedarf: Es bedarf einer Abwägung der massgebenden Kriterien im Einzelfall. Klar jedoch ist, dass das Wohl des Kindes stets im Vordergrund steht.

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29. November 2017 / lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Simona Serratore (MLaw)


DIE ERWACHSENENADOPTION IM LICHTE DER BEVORSTEHENDEN ÄNDERUNG DES ADOPTIONSRECHTS

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht unter Mithilfe von Simona Serratore (M.A. HSG)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Schweizer Recht sieht zwar schon seit langem die Möglichkeit der Adoption von erwachsenen Personen vor. Traditionell wird in der Schweiz die Erwachsenenadoption aber von Behörden und Gerichten sehr restriktiv gehandhabt, da in vielen Fällen fiskalische Interessen der adoptionswilligen Parteien – namentlich eine Umgehung der Erbschaftssteuer – vermutet werden. Angesichts des auf den 1. Januar 2018 in Kraft tretenden, revidierten Adoptionsrechts ist zu hoffen, dass eine generelle Lockerung in Adoptionssachen erfolgen wird.

I. GRUNDSÄTZLICHES

Obschon seit längerem die Erwachsenenadoption in der Schweiz zugelassen ist, wurde diese bis anhin sehr streng gehandhabt. Grund dafür ist auch, dass die Adoptionsbehörden oft mit Fällen konfrontiert werden, wo mit der Adoption eine Umgehung der Erbschaftssteuer bezweckt werden soll. Die Erbschaftssteuer ist als kantonale Steuer zwar sehr unterschiedlich geregelt – einige Kantone, wie z.B. der Kanton Obwalden haben sie zu Beginn dieses Jahres gänzlich aufgehoben (auch für Nicht-Verwandte), macht aber in vielen Fällen einen erheblichen Betrag aus. Von ihr befreit sind üblicherweise nur Nachkommen.

Für eine Erwachsenenadoption wird unter dem noch geltenden Recht nach Art. 266 ZGB zwingend vorausgesetzt, dass die adoptierende Person selbst kinderlos ist und zudem:

  • dass die zu adoptierende Person aufgrund körperlicher und geistiger Gebrechen dauernd hilfsbedürftig ist und die Adoptiveltern sie während mindestens fünf Jahren gepflegt haben; oder
  • dass die zu adoptierende Person während ihrer Minderjährigkeit mindestens fünf Jahre lang von den Adoptiveltern Pflege und Erziehung genoss; oder
  • dass andere wichtige Gründe vorliegen und die zu adoptierende Person während mindestens fünf Jahren mit den Adoptiveltern in einer Hausgemeinschaft gelebt hat.Die Kinderlosigkeit ist dabei ein zwingendes Kriterium – gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann man auch nicht davon absehen, wenn sämtliche leiblichen Kinder der Adoptiveltern der Adoption zustimmen. Zudem wird – wie für die Adoption von Kindern – vorausgesetzt, dass die adoptierende Person mindestens 35 Jahre alt und auch mindestens 16 Jahre älter ist als die zu adoptierende Person.

II. DAS REVIDIERTE ADOPTIONSRECHT AB 1. JANUAR 2018

Seit der letzten Gesetzesänderung im Adoptionsrecht in den 1970er Jahren haben sich in vielerlei Hinsicht gesellschaftliche Wandel zugetragen. Während das geltende Adoptionsrecht noch davon ausgeht, dass nur in einer Ehe lebende Personen ein Kind adoptieren können, ist die heutige Realität eine andere: Es gibt eine starke Zunahme von sowohl verschieden- als auch gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ausserhalb der Ehe. Angesichts dieser Umstände wurde das geltende Adoptionsrecht den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst: Die revidierte Version tritt auf 1. Januar 2018 in Kraft.

Im Hinblick auf die Erwachsenenadoption ist weiterhin Art. 266 ZGB massgebend, allerdings in leicht angepasster Form. Die Mindestdauer der gemeinsamen Hausgemeinschaft bzw. Betreuung wird von fünf Jahren auf ein Jahr gesenkt. Auch wurde das Mindestalter der adoptierenden Person auf 28 Jahre reduziert. Das Kriterium der wichtigen Gründe bleibt jedoch erhalten.

Es ist zu beachten, dass die Adoptionsvoraussetzungen jeweils bereits zum Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs erfüllt sein müssen. Sobald das Gesuch eingereicht ist, hindert auch der Tod oder der Eintritt der Urteilsunfähigkeit der adoptierenden Person die Adoption nicht, sofern die anderen Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind. Auf Adoptionsverfahren, die vor dem 1. Januar 2018 eingeleitet aber noch nicht abgeschlossen wurden, ist das neue Recht anwendbar.

III. ZUR ADOPTION AUS WICHTIGEN GRÜNDEN

In vielen Fällen der Erwachsenenadoption steht den betroffenen Personen nur eine Adoption gestützt auf den Auffangtatbestand der wichtigen Gründe offen, welche im Adoptionsgesuch dargelegt werden müssen. Doch was ist unter diesem Begriff zu verstehen? Grundsätzlich sind die wichtigen Gründe mit einer intensiven zwischenmenschlichen Beziehung gleichzusetzen, und zwar einer Beziehung vergleichbar mit dem natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis. Als klassisches Beispiel wird oft der Fall genannt, wo die zu adoptierende Person den künftigen Adoptiveltern Pflege erwiesen hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass mit einer Adoption sämtliche bisherigen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Herkunftsfamilie erlöschen. Die leiblichen Eltern können nach einer erfolgten Adoption somit auch nicht mehr beerbt werden. In der Rechtsprechung wurde das Vorliegen wichtiger Gründe auch schon verneint, weil nach wie vor enge und alltägliche Beziehungen der Adoptionswilligen zur leiblichen Familie der zu adoptierenden Person bestanden.

Im Urteil 5A_126/2013 vom 13. Juni 2013 hat das Bundesgericht wichtige Gründe bejaht, weil die Beschwerdeführer eine ausserordentlich enge Beziehung begründen konnten. So wiesen sie nach, dass der zu Adoptierende den Adoptierenden bereits in gesundheitlich schwierigen Zeiten unterstützt hatte, dass der Adoptierende dem „Sohn“ bereits eine Immobilie geschenkt hatte, dass sie gemeinsam im Vorstand von Stiftungen und Verbänden waren, dass der „Sohn“ bereits seit fast einem Jahrzehnt als „zukünftiger Adoptivsohn“ im Testament des Adoptierenden begünstigt wurde und insbesondere auch, dass die Adoptivwilligen von sämtlichen Personen in ihrem Umfeld längst als Vater und Sohn wahrgenommen wurden. Angesichts dieser Umstände befand das Bundesgericht, dass die Vorinstanz rechtswidrig handelte, wenn sie davon ausging, dass mit der Adoption lediglich eine Steuerbefreiung bewerkstelligt werden sollte.

Mit Verweis auf die zu Beginn genannten Umgehungsversuche betreffend Erbschaftssteuer ist ausdrücklich festzuhalten, dass die erbrechtlichen und steuerrechtlichen Auswirkungen einer Erwachsenenadoption in keinem Fall wichtige Gründe darstellen. Gerade wo keine solchen Motive vorliegen, soll der wichtige Grund aber keinesfalls zu restriktiv gehandhabt werden.

IV. FAZIT

Tendenziell kann mit dem Inkrafttreten des revidierten Adoptionsrechts von einer generellen Lockerung der Voraussetzungen gesprochen werden. Und auch wenn das anspruchsvolle Kriterium der wichtigen Gründe im Zusammenhang mit der Erwachsenenadoption erhalten bleibt, ist zu hoffen, dass die Behörden bei der Prüfung der Adoptionsgesuche auch in diesen Fällen eine den heutigen Zeiten angemessenere Handhabung wählen.

So darf man in Fällen, wo keine gelebte Beziehung zur leiblichen Familie der zu adoptierenden Person besteht und auch die Wahrnehmung von Drittpersonen darauf hindeutet, dass die Adoptivwilligen z.B. längst als Vater/Eltern und Sohn wahrgenommen werden – dies insbesondere im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Geschäftsnachfolge, erwarten, dass unter dem neuen Adoptionsrecht solche Gesuche zu bewilligen sind.

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6. September 2017 / lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht 


ZUTEILUNG DES MEHRWERTS EINER LIEGENSCHAFT IN DER GÜTERRECHTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG (NAMENTLICH DES AUF EINEN PK-VORBEZUG ENTFALLENDEN MEHRWERT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei Ehescheidungen hat in aller Regel eine güterrechtliche Auseinandersetzung zu erfolgen. Gehört zum ehelichen Vermögen auch eine Liegenschaft, so gilt es neben der Zuweisung bzw. Liquidation des (gemeinschaftlichen) Eigentums auch die Ersatzforderungen anderer beteiligter Gütermassen und namentlich den allenfalls vorhandenen Mehrwert (oder Minderwert) zuzuteilen. In der Lehre ist Letzteres strittig, wogegen das Bundesgericht mit Entscheid 5A_278/2014 für den auf einen Vorbezug entfallenden Mehrwert klärend entschieden hat.

I. GRUNDSÄTZLICHES

Die Zuteilung einer Liegenschaft ins Vermögen des einen oder anderen Ehegatten richtet sich nach der sachenrechtlichen Anknüpfung, d.h. dem Grundbucheintrag.

Innerhalb des Vermögens des Eigentümerehegatten erfolgt die Zuordnung in dessen Eigengut oder Errungenschaft nach der Herkunft der überwiegenden Investitionen im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft. Der anderen beteiligten Gütermasse steht eine Ersatzforderung zu. Ebenso einer allenfalls beteiligten Gütermasse des anderen Ehegatten.

Schulden, namentlich also Hypothekardarlehen und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch ein Pensionskassen-Vorbezug, folgen dem belasteten Vermögenswert, d.h. belasten den Eigentümerehegatten und bei diesem diejenige Gütermasse, welche beim Erwerb überwiegend beteiligt war.

II. DER PENSIONSKASSEN-VORBEZUG (WEF) IM BESONDEREN

Nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein solcher Vorbezug wie ein Darlehen, d.h. eine Hypothekarschuld, zu behandeln, da jedenfalls vor Eintritt des Vorbezuges bei einer Veräusserung eine Rückzahlungsverpflichtung besteht. Güterrechtlich im eigentlichen Sinne ist der Vorbezug daher irrelevant: Aus der Zeit der Ehe stammende vorbezogene Pensionskassenmittel sind vielmehr bei der gesetzlich separat geregelten Vorsorgeausgleichung (Ausgleichung der ehelich angesparten Guthaben der 2. Säule) auszugleichen.

III. DER MEHRWERT AUF LIEGENSCHAFTEN UND DESSEN ZUTEILUNG

Hat eine Liegenschaft im Zeitpunkt der Liquidation (Scheidung) einen Mehrwert, d.h. übersteigt der Verkehrswert die Anlagekosten, so stellt sich die Frage, wem dieser Mehrwert gehört. Zu den Anlagekosten gehören die beim Kauf investierten Mittel wie auch spätere wertvermehrende Investitionen, worunter auch Eigenleistungen fallen, die durchwegs (als Arbeitsleistung) der Errungenschaft zuzuordnen sind.

Massgeblich für die Zuteilung des Mehrwertes ist das Verhältnis der aus verschiedenen Gütermassen investierten Mittel. Hat also der eine Ehegatte aus Eigengut oder Errungenschaft eine Investition in die Liegenschaft des anderen getätigt, so hat er nicht nur Anspruch auf eine Ersatzforderung für diese Investition, sondern auch auf den proportionalen Mehrwert nach Massgabe des Verhältnisses zwischen dieser und allen anderen Investitionen.

Der auf eine Hypothek oder andere Darlehen entfallende Mehrwert verbleibt grundsätzlich dem Eigentümerehegatten. Hat dieser Mittel aus dem Eigengut und der Errungenschaft investiert, so ist der entsprechende Mehrwertanteil wiederum proportional den beteiligten Gütermassen des Eigentümerehegatten zuzuweisen.

IV. ZUTEILUNG DES MEHRWERTES AUF EINEM VORBEZUG

Das soeben zur Zuteilung des auf die Hypothek entfallenden Mehrwerts Gesagte gilt nach Bundesgericht und vorherrschender Lehre auch für den Mehrwert auf einem PK-Vorbezug. Hat ein Ehegatte als Eigenkapital in die ihm gehörende Liegenschaft neben einer Hypothek und einem PK-Vorbezug einzig Eigengut investiert, so fällt neben dem Mehrwertanteil der Hypothek auch der auf den PK-Vorbezug entfallende Mehrwertanteil voll in sein Eigengut.

Hat der Eigentümerehegatte das Eigenkapital teilweise dem Eigengut und teilweise der Errungenschaft entnommen – oder später aus Errungenschaft wertvermehrende Investitionen getätigt –, so ist analog der Regelung des Mehrwerts auf der Hypothek auch der Mehrwert auf dem Vorbezug proportional auf die beiden Investitionen aus dem Eigengut und der Errungenschaft aufzuteilen.

V. WAS STEHT DEM NICHT-EIGENTÜMER-EHEGATTEN ZU

Der Nicht-Eigentümer-Ehegatte kann vorerst eine Ersatzforderung (nominalwertgeschützt) für aus seinem Vermögen getätigte Investitionen in die Liegenschaft des anderen und den darauf proportional entfallenden Mehrwert geltend machen. Stammen seine Investitionen aus seiner Errungenschaft, so hat er allerdings die Ersatzforderung und den darauf entfallenden Mehrwert mit dem anderen Ehegatten zu teilen.

Im Weiteren kann der Nicht-Eigentümer-Ehegatte seine Vorschlagsbeteiligungsforderung an Investitionen des Eigentümers geltend machen, die aus dessen Errungenschaft stammen, ebenso am auf diese Errungenschaftsinvestitionen des Eigentümer-Ehegatten proportional entfallenden Mehrwertanteil und am proportional auf diese Errungenschaftsinvestition des Eigentümer-Ehegatten entfallenden Mehrwertanteils auf Hypothek und – gemäss dem Obigen – dem PK-Vorbezug. Keine Rolle soll dabei spielen, ob dieser PK-Vorbezug aus vorehelichem oder aus ehelichem Guthaben stammt.

VI. FAZIT

Die güterrechtliche Behandlung einer Liegenschaft in der güterrechtlichen Auseinandersetzung (Scheidung) ist und bleibt kompliziert. Aufwendige Berechnungen sind auch dann nötig, wenn bezüglich der Herkunft der einzelnen investierten Mittel, der massgeblichen Verkehrswerte und der allenfalls gestaffelt erfolgten Investitionen Klarheit besteht. Wenigstens ist mit dem zitierten Bundesgerichtsentscheid nunmehr geklärt, wo dabei der auf einen Vorbezug entfallende Mehrwertanteil einzuordnen ist und unter welchen Voraussetzungen der andere Ehegatte einen Beteiligungsanspruch auch an diesem Mehrwert hat.

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5. Juli 2017 / lic. iur. Martin Kuhn


REVISION VORSORGEAUSGLEICH: UMWANDLUNG BESTEHENDER RENTEN

lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin

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Die anfangs 2017 in Kraft getretene Revision der Bestimmungen zum Vorsorgeausgleich sieht vielfältige Neuerungen vor. Eine davon betrifft bereits geschiedene Ehegatten. Diese können unter gewissen Voraussetzungen eine bestehende Rente nach dem bisherigen Art. 124 ZGB in eine lebenslange Rente gegenüber der Vorsorgeeinrichtung des Ex-Ehegatten umwandeln lassen.

I. VORAUSSETZUNGEN

Die Voraussetzungen für die Umwandlung bestehender Renten finden sich in Art. 7e Schlusstitel ZGB und sind folgende:

1.

Die Entschädigung aus dem bisherigen Art. 124 ZGB muss im Scheidungsurteil in Form einer zeitlich nicht limitierten Rente und damit einer Rente, die erst mit dem Tode des verpflichteten oder des berechtigten Ehegatten erlischt, ausgesprochen worden sein. Wurde die Entschädigung in Form einer Kapitalleistung vorgesehen, ist eine Umwandlung nicht möglich. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Vorsorgeausgleich durch die Ausrichtung der Kapitalleistung vollzogen wurde.

2.

Sodann kommt die Umwandlung nur in Betracht, wenn die Entschädigung zugesprochen wurde, weil im Zeitpunkt der Scheidung bereits ein Vorsorgefall eingetreten war, mithin der ausgleichsverpflichtete Ehegatte bereits infolge Alter oder Invalidität Leistungen aus der beruflichen Vorsorge bezog. Die Umwandlung ist hingegen ausgeschlossen, wenn die Entschädigung angeordnet wurde, weil die Ansprüche aus beruflicher Vorsorge aus anderen Gründen, beispielsweise zufolge Barauszahlung während der Ehe, nicht geteilt werden konnten.

3.

Die Umwandlung setzt sodann voraus, dass die ausgleichsverpflichtete Person im Zeitpunkt, in dem die berechtigte Person das Begehren auf Umwandlung stellt, eine Invalidenrente nach dem reglementarischen Rentenalter, das in der Regel dem ordentlichen AHV-Alter entsprechen dürfte, oder eine Altersrente bezieht. Nicht mehr möglich ist die Umwandlung schliesslich dann, wenn die ausgleichsverpflichtete Person bei Einreichung des entsprechenden Gesuchs bereits verstorben ist.

II. VORGEHEN

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist das Gesuch um Umwandlung bis spätestens 31. Dezember 2017 beim Gericht, das das Scheidungsurteil ausgesprochen bzw. die in Frage stehende Scheidungskonvention genehmigt hat, einzureichen. Nach diesem Zeitpunkt kann die Umwandlung nicht mehr verlangt werden. Für die Berechnung der Höhe der zukünftig von der Vorsorgeeinrichtung zu leistenden lebenslänglichen Rente nach Art. 124a ZGB ist die zu verpflichtende Vorsorgeeinrichtung zuständig, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Umwandlung massgebend sind.

III. FAZIT

Die Umwandlung bewirkt, dass aus einer zivilrechtlichen Rente eine Rente wird, die dem Recht der beruflichen Vorsorge unterliegt. Diese wird nicht mehr durch den Ex-Ehegatten, sondern durch dessen Vorsorgeeinrichtung geleistet und erlischt erst mit dem Tode des berechtigten Ehegatten. Sollte das Scheidungsurteil mit Bezug auf die Voraussetzungen der Umwandlung nicht klar sein, empfiehlt es sich, dieses durch eine Anwältin / einen Anwalt überprüfen zu lassen und im Zweifelsfalle innert Frist das Gesuch um Umwandlung zu stellen.

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13. Juni 2017 / lic. iur. Judith Rhein


DIE KINDESENTFÜHRUNG UND DAS HKÜ

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

I. EINLEITUNG

In Anbetracht der Vielzahl binationaler Ehen stellt sich im Falle einer Trennung der Eltern die Frage, in welchem Land die Kinder bleiben, wenn der aus dem Ausland stammende Elternteil mit dem Kind/ den Kindern in sein Heimatland zurückkehrt. Ein Wegzug ins Ausland erschwert selbstverständlich das Aufrechterhalten von Kontakten zwischen dem im Ursprungsland verbleibenden Elternteil und den Kindern, weshalb ein Umzug in ein anderes Land nicht immer auf Zustimmung stösst. Üben die Elternteile beide die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind / die Kinder aus, müssen sie über den Aufenthaltsort ihrer Kinder gemeinsam entscheiden. Ein Umzug eines Elternteiles mit Kindern in ein anderes Land, ohne vorab die Zustimmung des im Ursprungsland verbleibenden Elternteils eingeholt zu haben, stellt immer eine Entführung dar. Dem im Ursprungsland verbleibenden Elternteil, der für den Umzug des Kindes die Zustimmung verweigert hat, bleibt damit nur noch die Möglichkeit, einen Antrag auf Rückführung des Kindes nach HkÜ zu stellen.

II. DIE KINDSENTFÜHRUNG NACH DEM HKÜ

A) Allgemeines

Fakt ist, dass es zumeist die Mütter sind, welche die Kinder auch ohne erfolgte Zustimmung des Kindsvaters ins Ausland verbringen, wobei das Durchschnittsalter der Kinder bei rund 7 Jahren liegt.

Der Begriff der „Entführung“ klingt dramatisch und bedeutet nicht, dass der im Ursprungsland verbleibende Elternteil nicht um den Aufenthaltsort des Kindes weiss. Vielmehr beschreibt der Begriff der Entführung den Umstand, dass ein Kind ohne Einwilligung des sorgeberechtigten im Ursprungsstaat verbleibenden Elternteils in ein anderes Land verbracht wurde. Dies gilt auch dann, wenn ein Kind mit der Mutter in einen nur wenige Kilometer entfernt liegenden Ort über die Landesgrenze hinaus zieht.

Mit der Möglichkeit, einen Rückführungsantrag über das HkÜ zu stellen, soll der sogenannte status quo ante, mithin der ursprünglich bestehende Zustand wieder hergestellt werden, um zu verhindern, dass Kinder unter Inkaufnahme einer Trennung von einem Elternteil in das Ausland verbracht werden. Stellt ein Elternteil einen Antrag nach HkÜ auf Rückführung des Kindes, entscheidet das Gericht nur hinsichtlich der Frage, ob das Kind zurück in den Ursprungsstaat verbracht werden muss. Mögliche Streitigkeiten hinsichtlich der Frage, wer das Kind betreut, sind separat zu klären und betreffen die Frage der Obhut. Festhalten lässt sich, dass HkÜ-Verfahren grundsätzlich Aussicht auf Erfolg haben, wenn das Kind rein tatsächlich in ein anderes Land verbracht wurde und keine Gründe ersichtlich sind, die den Aufenthalt des Kindes in diesem anderen Land rechtfertigen.

Art. 16 HkÜ hält fest, dass im Falle eines laufenden Rückführungsverfahrens kein Sorgerechtsprozess anhängig gemacht werden soll. Dies deshalb, da im Falle einer Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf nur einen Elternteil die Zustimmungspflicht zum Wegzug entfällt, da der alleinsorgerechtsinhabende Elternteil auch über den Aufenthalt des Kindes alleine bestimmen kann. Wurde einem mit seinem Kind im Ausland lebenden Elternteil im Nachhinein die alleinige elterliche Sorge übertragen, würde die Widerrechtlichkeit der Entführung nachträglich entfallen, womit das Rückführungsverfahren obsolet wird.

B) Voraussetzungen der Rückführung

Ein Antrag auf Rückführung ist innert Jahresfrist zu stellen. Dies deshalb, da vermieden werden soll, dass sich das Kind an einem neuen Ort in einem anderen Land einlebt und die Rückkehr in den Ausgangsstaat eine Belastung für das Kind darstellt. Denn es wird vermutet, dass sich ein Kind nach ca. einem Jahr an einem neuen Ort eingelebt hat, womit eine Rückführung dem Kindeswohl widerspricht. Problematisch ist die Jahresfrist dann, wenn der im Ursprungsstaat verbleibende Elternteil keine Kenntnis über den Aufenthalt des Kindes hat. So können diverse Vorabklärungen erforderlich sein, um den Aufenthalt eines Kindes überhaupt erst ausfindig zu machen, womit ein Ablauf der Jahresfrist droht.

Die Widerrechtlichkeit der Entführung und damit eine erfolgreiche Rückführung des Kindes entfallen auch dann,wenn der im Ursprungsstaat verbleibende Elternteil dem Umzug im Nachhinein zustimmt oder diesen in irgendeiner anderen Form genehmigt. Eine derartige Genehmigung kann bereits in der Ausübung des Besuchsrechts gesehen werden. Eine einmal erteilte Zustimmung zum Wegzug der eigenen Kinder mit dem anderen Elternteil in ein anderes Land kann nicht widerrufen werden, da die erfolgte Zustimmung und der darauffolgende Umzug massive Veränderungen mit sich bringen, die nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden können.

Weitere Gründe, welche einer Rückführung entgegenstehen, sind in Art. 13 HkÜ aufgeführt. Genannt ist hierbei die Kindeswohlgefährdung, welche dann bejaht wird, wenn ein Kind sehr klein ist (Babys / Kleinkinder) und damit von der Mutter, z.B. weil diese noch stillt, abhängig ist. Einer Rückführung eines Säuglings kann sich einer Mutter allerdings nur erfolgreich widersetzen, wenn sie nachzuweisen vermag, dass ihr die Rückkehr mit dem Kind unzumutbar ist.

Ein weiterer Hinderungsgrund wird bejaht, wenn sich das Kind selbst einer Rückführung in das Ursprungsland widersetzt. Umstritten ist hierbei die Altersgrenze, wobei der Kindeswille sicherlich ab dem Alter von 11 Jahren nicht unberücksichtigt bleiben kann. Vorausgesetzt wird allerdings, dass sich das Kind mit Nachdruck und aus nachvollziehbaren Gründen gegen die Rückkehr in das Ursprungsland wehrt.

III. FAZIT

Festzuhalten ist, dass der Umzug eines Elternteils ohne Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils grundsätzlich die Möglichkeit eines Rückführungsverfahrens nach dem HkÜ eröffnet. Vermieden werden kann ein derartiges Verfahren, indem der mit dem Kind wegziehende Elternteil die Zustimmung desjenigen Elternteils, der den Umzug verhindern will, einklagt. Nur so wird sichergestellt, dass der Umzug in ein anderes Land legal erfolgt.

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18. Mai 2017 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher

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