DIE ABSICHERUNG DES/DER NEUEN PARTNERS/IN BEI NICHT GEMEINSAMEN KINDERN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei einer Scheidungsquote von 40% bis 50% kann es nicht erstaunen, dass der geschiedene Ehemann und Vater von Kindern aus dieser Ehe später eine neue Partnerschaft eingeht und es ihm ein Bedürfnis ist, die neue Partnerin für den Fall seines Todes abzusichern bzw. zu begünstigen. Um so mehr als diese neue Partnerschaft jahrzehntelang dauern und bei entsprechender Rollenverteilung die Absicherung der neuen Partnerin existenziell sein kann, ist dieses Bedürfnis durchaus legitim. Wenn eine angemessene einverständliche Regelung unter Einbezug der nicht gemeinsamen Kinder nicht möglich ist, sieht das Gesetz auch Möglichkeiten ohne deren Mitwirkung vor. Die erbrechtlichen Schranken sind allerdings zu beachten.

I. DER PFLICHTTEILSSCHUTZ DER KINDER

Bekanntlich kann durch ehevertragliche Vereinbarungen (bei Wiederverheiratung) bzw. testamentarische oder erbvertragliche Regelungen (auch im Konkubinat) die neue Partnerin begünstigt werden. Allerdings dürfen solche ehe- und erbvertraglichen Begünstigungen – oder lebzeitige Zuwendungen – den Pflichtteilsschutz der Kinder aus der früheren Ehe nicht verletzen, dessen Höhe vorab vom Status des Vaters und Erblassers bei seinem Tod abhängig ist. Ist der Erblasser mit der neuen Partnerin nicht verheiratet, so beträgt der Pflichtteil der Kinder nämlich 3/4, während er nach der Wiederverheiratung auf 3/8 sinkt.

II. KONKUBINAT ODER NEUE EHE

Bereits aus Obigem ergibt sich, dass die Möglichkeit zur erbrechtlichen Begünstigung der neuen Partnerin mit einer Heirat erheblich steigt. Dies gilt umso mehr, als die neue Ehefrau auch ehevertraglich begünstigt werden kann, was namentlich dann eine Rolle spielt, wenn der Erblasser während der Zeit der neuen Partnerschaft noch erwerbstätig ist und Errungenschaft anspart. Hinzu kommt der automatische Schutz der neuen Ehefrau im Bereich der 2. und 3. Säule und in steuerlicher Hinsicht, sind doch in der Regel ehe- und erbrechtliche Vermögensanfälle der Ehefrau steuerbefreit, wogegen entsprechende Zuwendungen an die Konkubinatspartnerin – in einigen Kantonen ganz erhebliche – Steuern auslösen.

Werden diese Vorteile den Nachteilen, nämlich einer aufgrund der Progression allenfalls höheren Gesamtsteuerlast der neuen Ehegatten oder den Plafonierungsschranken bei der AHV gegenübergestellt, so überwiegen in aller Regel – im Regelfall – die Vorteile, d.h. spricht einiges dafür, eine Heirat mit der neuen Lebenspartnerin ernstlich in Erwägung zu ziehen.

Namentlich derjenige, der eine schlimme und kostspielige Scheidung hinter sich hat, befürchtet allerdings oft, bei einer Heirat mit der neuen Partnerin auch erneut ein entsprechendes Scheidungsrisiko einzugehen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass in der Regel die Konstellation in einer solchen neuen Ehe die entsprechenden Risiken beschränkt (fortgeschrittenes Alter, keine gemeinsamen Kinder, Erwerbstätigkeit beider Partner, etc.) und dass der Scheidungsangst zumindest in güterrechtlicher Hinsicht mit einem Ehevertrag auf Begründung der Gütertrennung Rechnung getragen werden kann, ohne dass dadurch die erbrechtlichen (und andere) Begünstigungsmöglichkeiten für den Todesfall dahinfallen.

III. BEGÜNSTIGUNG IM KONKUBINAT

Im Vordergrund steht hier die erbrechtliche Begünstigung durch Zuwendung der gesamten freien Quote – neben dem Pflichtteil der Kinder von 3/4 also 1/4 – an die neue Partnerin, gegebenenfalls ergänzt durch Teilungsvorschriften, welche den Verbleib in einer gemeinsamen Liegenschaft sichern können. Wo der Abschluss einer solchen Versicherung noch möglich ist, drängt sich als weitere Begünstigung eine Todesfallrisikopolice auf, mit welcher der Partnerin ausserhalb des Erbrechts (und damit des Pflichtteilsschutzes) auch ganz erhebliche Zuwendungen für den Fall des Todes gemacht werden können. 

Zuletzt sind auch in der 2. Säule und in der Säule 3a heute Begünstigungen des effektiv unterstützten bzw. langjährigen Konkubinatspartners möglich, wobei diesbezüglich besondere formelle Voraussetzungen bestehen, die unbedingt beachtet werden müssen.

IV. BEGÜNSTIGUNG DER NEUEN EHEFRAU

Vorab besteht nach einer Heirat die Möglichkeit zur ehevertraglichen Begünstigung, wobei neben der vollen Vorschlagszuweisung, die dem Pflichtteilsschutz unterliegt, auch an den Güterstand der Gütergemeinschaft gedacht werden sollte, welche den gesamten ehe- und erbrechtlichen Pflichtteilsschutz der Kinder auf 1/4 (statt 3/8) reduziert und namentlich bei hohem Eigengutsvermögen des Erblassers die Nachteile dieses Güterstandes in haftungsrechtlicher Hinsicht überwiegen kann.

Erbrechtlich kann – wie eingangs schon erwähnt – der neue Ehegatte mit insgesamt 5/8 der Hinterlassenschaft bedacht, d.h. der Pflichtteil der Kinder auf 3/8 reduziert, werden. Selbstverständlich ist auch diese Begünstigung des neuen Ehepartners durch ihn zusätzlich absichernde Teilungsvorschriften und beispielsweise die Einsetzung des überlebenden Ehegatten (oder einer Vertrauensperson) als Willensvollstrecker zu verstärken. Und ebenso kann selbstverständlich auch der überlebende Ehegatte im Rahmen einer Todesfallrisikoversicherung ausserhalb des Erbrechts begünstigt werden.

V. RÜCKFALL AN DIE KINDER?

Geht es darum, den überlebenden neuen Partner oder Ehegatten nur vorübergehend, nämlich bis zu dessen allfälliger Wiederverheiratung oder seinem Zweitversterben, abzusichern, so bietet das Erbrecht auch dafür geeignete Regelungen. Zu denken ist an eine Wiederverheiratungsklausel (Wegfall der Begünstigung und Rückzahlung des Vermögens bei Wiederverheiratung), die Begünstigung des Partners / Ehegatten im Rahmen einer Vorerbschaft oder mit befristeten Nutzungsrechten, oder und insbesondere die Möglichkeit, mit dem neuen Partner erbvertraglich auch den Rückfall des zuletzt noch vorhandenen Vermögens (auch) an die Kinder des Erstversterbenden verbindlich zu regeln. Letzteres ist dann umso wichtiger, wenn beide neuen Partner pflichtteilsgeschützte Kinder haben (Patchwork-Familien) und es neben den Pflichtteilen der Kinder des zweitversterbenden Ehegatten auch noch die steuerlichen Konsequenzen – die Kinder des Erstversterbenden unterliegen mangels Verwandtschaft einer hohen Steuerquote – zu beachten gilt.

VI. FAZIT

Das Erbrecht und bei nochmaliger Heirat auch das Eherecht bieten trotz derzeit noch grossem Pflichtteilschutz der Kinder – eine diesen reduzierende Gesetzesrevision ist allerdings bereits angedacht – durchaus Möglichkeiten, den neuen Partner abzusichern und angemessen oder maximal zu begünstigen. Hinzu kommen die Möglichkeiten der faktischen Vermögensverschiebung auf den neuen Partner / Ehegatten sowie die hiervor nur kurz erwähnte versicherungsrechtliche Begünstigung. Die Kosten einer entsprechenden Analyse und fachmännischen Beratung durch einen spezialisierten Anwalt oder Notar sollte man nicht scheuen. Eine rechts- und anfechtungssichere Lösung schützt den neuen Partner / Ehegatten umso mehr. Die fachmännische Beratung gewährleistet gleichzeitig den Schutz vor “nicht gewollten“ Begünstigungen im Falle eines Scheiterns der neuen Partnerschaft oder nicht gewollter Folgen (bspw. steuerlicher Natur) nach dem Tod auch des zweiten Partners.

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30. März 2017 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


AKTUELLES ZUM NEUEN KINDESUNTERHALT (BETREUUNGS-UNTERHALT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Per 01.01.2017 tritt das neue Kindesunterhaltsrecht in Kraft, gemäss welchem auch für Kinder unverheirateter Eltern wesentlich höhere Unterhaltsleistungen vorgesehen sind. Faktisch wird auch der unverheiratete Vater nunmehr im Normalfall Zahlungen an bzw. für die von ihm getrennt lebende Mutter eines ausserehelich gezeugten Kindes erbringen müssen. Dies unabhängig davon, ob die Eltern je in einem Konkubinat gelebt haben oder das Kind das Ergebnis eines One Night Stand ist. Bestehende Unterhaltsverträge oder Urteile über den Unterhalt für ein solches Kind können angepasst, d.h. Mehrforderungen können eingeklagt werden.

1. HÖHE DES BETREUUNGSUNTERHALTS? 

Die Ausgestaltung des dem Kind neben seinem Anspruch auf Versorgung (Natural- und Barunterhalt) zustehenden Betreuungsunterhaltes hat der Gesetzgeber – leider – der Praxis und damit den Gerichten überlassen, welche in den nächsten Jahren den Betreuungsunterhalt nach richterlichem Ermessen und damit wohl sehr unterschiedlich bemessen werden. Bis eine konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung als Richtlinie vorliegen dürfte, werden einige Jahre verstreichen.

2. AKTUELLE BEMESSUNGSEMPFEHLUNGEN 

Während bis zum Vorliegen erster Urteile der Gerichte über die Höhe des Betreuungsunterhaltes noch einige Zeit verstreichen dürfte, hat sich die Lehre bereits intensiv mit dem Betreuungsunterhalt befasst. Durchzusetzen scheint sich auch wegen der Praktikabilität ein Modell, wonach der Betreuungsunterhalt, d.h. die an das Kind geschuldete Entschädigung für die Betreuung durch einen Elternteil (in aller Regel die Mutter) sich in einer Bandbreite zwischen CHF 2‘700.00 und CHF 3‘400.00 für eine Vollbetreuung – abhängig vom Kostenniveau am Wohnort des Kindes – bewegen wird. Mit dem entsprechenden Betrag soll dem Kind die 100%-ige Betreuung durch die nicht erwerbstätige Mutter entschädigt werden, welcher Betrag notabene zusätzlich zum Versorgungsunterhalt geschuldet ist. Wo eine Mutter ein Kind also voll persönlich betreut, wird in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen neu durchaus ein Kinderunterhalt von insgesamt CHF 4‘000.00 bis CHF 5‘000.00 zur Debatte stehen, wobei es durchaus auch Meinungen gibt, wonach bei sehr guter Leistungsfähigkeit auch der Betreuungsunterhalt zu erhöhen sei. Das Kind habe nicht nur Anspruch auf eine der Leistungsfähigkeit der Eltern angepasste Versorgung, sondern auch auf eine dem hohen Lebensstandard entsprechende Betreuung. 

3. PERSÖNLICHE BETREUUNG ODER DRITTBETREUUNG 

Im Vordergrund steht durchwegs das Kindeswohl, d.h. den Vorrang hat die für das Kind beste Lösung – sei es die persönliche Betreuung durch die Mutter (ausnahmsweise durch den Vater) oder eine Drittbetreuung (Krippe, etc.). Auch um Missbräuche zu verhindern, wird dem Gericht dabei aber nichts anderes übrig bleiben, als von der Prämisse auszugehen, dass die bisherigen Regelungen (vor der Trennung der Eltern) dem Kindeswohl entsprechen und die Eltern beim bisherigen Modell zu behaften sind. Hat also die das Kind betreuende Kindsmutter bereits vor der Trennung ganz oder teilweise gearbeitet und das Kind fremdbetreuen lassen, so hat es dabei zu bleiben, soweit nicht beispielsweise die Aufhebung des Konkubinates ihre Erwerbsfähigkeit nachweislich einschränkt. Bei voller Erwerbstätigkeit der Mutter wird neben dem wie bis anhin geschuldeten Versorgungsunterhalt als Leistung an das Kind weiterhin dessen Fremdbetreuung zu bezahlen sein, nicht aber eine Entschädigung für Betreuungsleistungen der Mutter. Relevant sind nur Betreuungsleistungen derselben während der üblichen Arbeitszeiten. 

Wie die Gerichte dort entscheiden werden, wo die unverheirateten Eltern nicht zusammen gelebt haben und es also kein weiterzuführendes Modell gibt, ist noch völlig offen. Namentlich bei kleinen Kindern unter drei Jahren wird aber wohl der persönlichen Betreuung der Vorrang eingeräumt werden, wenn die Mutter hierzu bereit ist. 

4. DAUER DER UNTERHALTSPFLICHT 

Während der Versorgungsunterhalt wie bis anhin bis zum Abschluss der Erstausbildung des Kindes geschuldet ist, besteht Einigkeit darüber, dass ein Betreuungsunterhalt nur so lange geschuldet ist, wie eine nachhaltige Betreuung nötig ist. Bei einer Drittbetreuung werden die Kosten altersbedingt sinken, weil an Stelle kostenpflichtiger Betreuungsangebote (Krippe, Tagesmutter, etc.) der Kindergarten und die Schule treten. Bei der persönlichen Betreuung durch die Kindsmutter wäre auf Grundlage der gesetzgeberischen Vorgabe (Gleichstellung aller Kinder) an sich auf die aktuelle höchstrichterliche Praxis abzustellen, wonach die Betreuung eines Kindes bis zum 10. Altersjahr ein Vollpensum und der betreuenden Mutter danach bis zum 16. Altersjahr neben der Kinderbetreuung nur ein 50%-Pensum zumutbar ist. Bis zum 10. Altersjahr wäre damit ein Betreuungsunterhalt von CHF 2‘700.00 bis CHF 3‘400.00 (siehe oben), danach die Hälfte und somit CHF 1‘350.00 bis CHF 1‘700.00 geschuldet. Bei mehreren Kindern ist der die volle Betreuungsleistung der Mutter abdeckende Betreuungsunterhalt auf die mehreren Kinder aufzuteilen. 

Der höchstrichterlichen Praxis (10/16-Regel) ist bereits in der Vergangenheit deshalb Widerstand erwachsen, weil die ausschliessliche Kinderbetreuung bis Alter 10 mit der gesellschaftlichen Realität kaum mehr übereinstimmt und die bereits heute stark ausgebauten, ergänzenden Betreuungsmöglichkeiten (Mittagstisch, Blockzeiten, etc.) ausser Acht lässt. Es ist davon auszugehen, ja zu hoffen, dass dem endlich Rechnung getragen und das bisherige Modell durch eine abgestufte, der Wirklichkeit eher entsprechende Regelung ersetzt wird. Von denselben Autoren, welche die obgenannten pauschalierten Betreuungsleistungen propagieren, wird denn auch empfohlen, dem voll betreuenden Elternteil bereits ab Kindergarteneintritt des Kindes ein Pensum von 20% bis 30%, von 40% bis 50% bei Eintritt in die Primarschule, von 70% bis 80% bei Eintritt in die Oberstufe und (unverändert) von 100% ab Alter 16 des jüngsten Kindes zuzumuten bzw. das damit erzielbare Einkommen anzurechnen. Ausnahmen im Einzelfall sollen auch bei diesem neuen Modell möglich sein, beispielsweise dort, wo mehrere kleine Kinder zu betreuen sind oder wo – in sehr ländlichen Verhältnissen – externe ergänzende Betreuungsmöglichkeiten fehlen.

5. ZUSAMMENFASSUNG

Der Gesetzgeber hat es sich mit seinen Regelungen zum neuen Kinderunterhaltsrecht etwas gar leicht gemacht und die Verantwortung für die Ausgestaltung einer “Regelbeurteilung“ an die Gerichte delegiert. Es wird sich zeigen, ob bzw. welche Beurteilungsmodelle sich durchsetzen, ob es zu den befürchteten unterschiedlichen Urteilen in verschiedenen Kantonen oder an verschiedenen Gerichten kommt und ob bzw. wie das Bundesgericht die offenen Fragen – hoffentlich – klären wird. Klar ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt und somit durchaus noch einige Jahre für alle involvierten Parteien und namentlich die beratenden Anwälte eine grosse Unsicherheit über den Ausgang entsprechender Auseinandersetzungen bestehen und es wohl vermehrt zu strittigen Auseinandersetzungen kommen wird. So oder so werden die Gerichte darunter zu leiden haben, dass unzählige alte Unterhaltsregelungen anzupassen sind und im Übrigen auch in eherechtlichen Verfahren die Unterhaltsberechnungen wesentlich anspruchsvoller sein werden.

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14. Dezember 2016 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin


WEGZUG EINES ELTERNTEILS INS AUSLAND

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Aufgrund der grossen Anzahl binationaler Ehen stellt sich immer mehr die Frage, wie mit dem Wegzug eines Elternteiles gemeinsam mit den Kindern ins Ausland, zumeist in das eigene Heimatland, zu verfahren ist, nachdem mit der Gesetzesreform im Sommer 2014 bei gemeinsamer elterlicher Sorge auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht beiden Elternteilen – ungeachtet der ausgeübten Obhut für die Kinder – zusteht. Folge ist, dass es für den Umzug eines gemeinsamen Kindes ins Ausland bzw. wenn die Besuchskontakte durch den Wegzug erschwert werden, grundsätzlich der Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils bedarf (Art. 301a ZGB).

I.

Im Entscheid 5A_450/2015 vom 11. März 2016 hat sich das Bundesgericht ausführlich mit der eingangs erwähnten Thematik befasst. Gegenstand der Diskussion ist hierbei Art. 301a ZGB, der im Hinblick auf die bestehende Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit der Elternteile auszulegen ist. Vor diesem Hintergrund wird festgehalten, dass der Umzug einer erwachsenen Person aufgrund erfolgter Trennung keiner Zustimmung des anderen Elternteils bedarf. Andernfalls hätte der verweigerungsberechtigte Elternteil die Möglichkeit, Verfassungsrechte der Kindsmutter bzw. desjenigen Elternteils, der das Land verlassen will, zu beschneiden. Auf diese Art und Weise würde faktisch eine Residenzpflicht begründet, was keinesfalls Ziel der abverlangten Zustimmung für einen Umzug ins Ausland war. Dies bedeutet zugleich, dass die Motive des wegziehenden Elternteils grundsätzlich nicht zur Debatte stehen können. Damit beschränkt sich die geforderte Zustimmung ausschliesslich auf den Wegzug des Kindes, dessen Lebensgestaltung von den Interessen und Plänen der Eltern abhängt. Diese gegenseitig bedingte Abhängigkeit erfordert eine Interessenabwägung im Einzelfall, die nur unter Berücksichtigung des Kindeswohls beurteilt werden kann, wobei die Gründe des umziehenden Elternteils für den Wegzug ebenfalls zu gewichten sind; verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung den Zweck, den Kontakt zum anderen Elternteil und – damit auch zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind – zu vereiteln, drängt sich die Frage auf, ob der wegziehende Elternteil ausreichend erziehungsgeeignet ist, da das zuvor genannte Motiv des Wegzugs nicht zu überzeugen vermag. Gleichwohl steht einer Auswanderung nicht ohne weiteres entgegen, dass zum Kindeswohl in der Regel der Umgang zu beiden Elternteilen gehört. Die Erschwerung des Umgangs bzw. der Besuchskontakte durch den Umzug ins Ausland ist als notwendige Folge des Wegzugs dann hinzunehmen, wenn vertretbare Gründe für den Umzug ins Ausland vorliegen. Die Kernfrage ist hierbei die Abwägung, ob die Auswanderung mit dem hauptbetreuenden Elternteil oder der Verbleib des Kindes beim im Inland ansässigen Elternteil die bessere Lösung für das Kind darstellt. Hierbei ist eine klare Tendenz erkennbar, dass der Wegzug eines Elternteils mit dem Kind dann ermöglicht werden soll, wenn die Betreuung des Kindes auch vor dem Wegzug überwiegend vom Wegziehenden übernommen wurde. Entscheidend ist immer die persönliche Beziehung zwischen Eltern und Kind, wobei darauf abzustellen ist, ob die Bereitschaft besteht, das bzw. die Kinder weitgehend persönlich zu betreuen. Entscheidend ist selbstverständlich auch das Alter der Kinder; sind die Kinder noch klein und demzufolge mehr personenbezogen, ist eine Umteilung an den zurückbleibenden Elternteil angesichts des Grundsatzes der Betreuungs- und Erziehungskontinuität nicht leichthin vorzunehmen. Etwas anderes gilt für ältere Kinder, welche zunehmend einen eigenen Freundeskreis aufbauen und bei welchen ein Schulwechsel Probleme mit sich bringen kann. Mit den einzelnen Gesichtspunkten setzt sich der BGE vom 11. März 2016 auseinander, der zusammenfassend festhält, dass einem wegzugswilligen Elternteil, welcher die Kinder bislang überwiegend betreut hat und dies auch zukünftig tun wird, die Verlegung des Aufenthaltsorts des Kindes ins Ausland in der Regel zu bewilligen sein wird, wovon auch die Lehre ausgeht. Auch wenn die Frage, ob ein Elternteil ins Ausland wegziehen darf, immer im Einzelfall zu entscheiden ist, ist klar, dass sich diese Entscheidung am Kindeswohl zu orientieren hat.

Gleichwohl wurde im eingangs erwähnten Entscheid auch unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsrechtes eines jeden sowie des grundsätzlichen Rechts auf freie Wahl des Wohnorts festgehalten, dass erwartete Sprachschwierigkeiten des Kindes im Ausland oder die Beeinträchtigung der Besuchskontakte zum verbleibenden Elternteil keinen Grund darstellen, einen Umzug ins Ausland zu verwehren, womit gewichtige Gründe angeführt werden müssen, um den Wegzug des Kindes ins Ausland zu verweigern. Dies muss erst recht gelten, wenn das Kind innerhalb der Schweiz umzieht und hierdurch die Besuchskontakte beeinträchtigt werden.

II.

Der Entscheid leistet einen wichtigen Beitrag zu Art. 301a II ZGB (erforderliche Zustimmung bei Wegzug des Kindes) der im Spannungsverhältnis mit den Freiheitsrechten des mit dem Kind wegeziehenden Elternteils steht, mit diesen gewissermassen kollidiert. So stellt der Entscheid klar, dass nur gewichtige Gründe betreffend das Kindeswohl geeignet sind, eine Zustimmung zu verweigern, womit Art. 301a II ZGB, der eine Verweigerung der Zustimmung zum Umzug ins Ausland bzw. bei einer Beeinträchtigung des persönlichen Kontakts zum Kind vorsieht, klar relativiert wird.

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12. September 2016 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin


VORSORGEAUSGLEICHUNG IN DER SCHEIDUNG: GESETZESÄNDERUNG TRITT PER 01.01.2017 IN KRAFT

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht 

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die vom Parlament bereits am 19. Juni 2015 genehmigten Gesetzesänderungen zum Vorsorgeausgleich treten gemäss Mitteilung vom 10. Juni 2016 zusammen mit entsprechenden Verordnungsänderungen in Kraft.

Mit der neuen Rechtslage werden diverse Mängel und Lücken des bisherigen Ausgleichungssystems behoben.

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I. GRUNDSATZ: HÄLFTIGE TEILUNG DER EHELICH GESPARTEN PENSIONSKASSENGUTHABEN

An der seit dem Jahr 2000 geltenden Rechtslage, wonach grundsätzlich alle während der Ehe erworbenen Austrittsleistungen (Guthaben) der 2. Säule hälftig zu teilen und somit vollumfänglich auszugleichen sind, ändert sich nichts. Neu wird der Ausgleichungsanspruch allerdings nicht mehr per Scheidungsurteil sondern per Einleitung der Scheidungsverfahrens berechnet. Damit entfällt einer der Gründe, das Scheidungsverfahren zu verzögern, nämlich um noch möglichst lange am Pensionskassensparen des anderen Ehegatten beteiligt zu sein.

Zu beachten gilt es, dass das neue Recht auch auf sämtliche bei kantonalen Gerichten hängigen Scheidungsverfahren anzuwenden ist, was gegebenenfalls erhebliche Konsequenzen haben kann: Es ist durchaus denkbar, dass die nichterwerbstätige Ehegattin eines bestens vorsorgeversicherten „Bankers“ wegen dieser Übergangsregelung und eines bereits mehrere Jahre laufenden erstinstanzlichen Scheidungsverfahrens mehrere zehntausend Franken (oder mehr) an Ausgleichungsguthaben verliert, sofern es ihr nicht gelingt, die kantonalen Verfahren noch im laufenden Jahr abzuschliessen.

II. TEILUNG AUCH NACH EINTRITT DES VORSORGEFALLS

Bis anhin war eine Ausgleichung mittels Teilung dann nicht mehr möglich, wenn beim einen Ehegatten der Vorsorgefall (Alter oder Pensionierung) bereits eingetreten war. Dies konnte für den berechtigten Ehegatten, dem in solchen Fällen nur eine Entschädigung nach Art. 124 ZGB zustand, erhebliche Nachteile haben.

Neu wird die Teilung auch dann vollzogen, wenn der eine Ehegatte (oder beide) bereits pensioniert oder invalid ist. Die Berechnung des Ausgleichungsguthabens erfolgt diesfalls auf einer hypothetischen Austrittsleistung oder es wird die vorhandene Rente des einen Ehegatten geteilt und in eine hälftige lebenslange Rente für den berechtigten Ehegatten umgerechnet.

III. MELDEPFLICHT

Sämtliche Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen sind verpflichtet, der Zentralstelle 2. Säule periodisch alle Inhaber von Vorsorgeguthaben zu melden. Die Scheidungsgerichte können und werden dort abfragen, ob allenfalls weitere Vorsorgeguthaben vorhanden sind, die im Verfahren nicht offengelegt wurden oder dem Berechtigten selber gar nicht mehr bekannt sind. Zukünftig soll so garantiert sein, dass auch wirklich alle zweite Säule Guthaben in die Ausgleichung einbezogen werden.

IV. SCHUTZKLAUSELN

Mit weiteren Gesetzesänderungen wird gewährleistet, dass während bestehender Ehe kein Vorsorgeguthaben ohne das Wissen des Ehegatten ausgezahlt wird (verschärftes Zustimmungserfordernis). Festgelegt wird auch, dass das zu übertragende PK-Guthaben zumindest teilweise aus dem obligatorischen Bereich stammen muss, was dem Berechtigten Nachteile (schlechtere Verzinsung und Umwandlungssatz, etc.) erspart.

V. BEZUG DES ERWORBENEN AUSTRITTSGUTHABENS ALS RENTE

Bis anhin musste das Austrittsguthaben eines Ehegatten, der selber keiner beruflichen Vorsorgeeinrichtung angeschlossen war, an eine Freizügigkeitseinrichtung gehen, bei welcher bekanntlich keine Auszahlung in Rentenform verlangt werden konnte. Neu kann in solchen Fällen die Übertragung an die Auffangeinrichtung BVG und später (per Pensionierung) die Umwandlung und Auszahlung in Form einer Rente verlangt werden.

VI. ÜBERGANGSREGELUNG FÜR BEREITS GESCHIEDENE

Personen, die bereits geschieden sind und nur eine angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB zugesprochen erhalten haben, verlieren diese sehr oft in Rentenform zugesprochene Entschädigung beim Tod des geschiedenen Ehegatten. Dies gänzlich oder zumindest teilweise, sind doch regelmässig die Hinterlassenenrenten tiefer als die Entschädigungsleistungen.

Solche benachteiligten Geschiedenen können innert einer Übergangsfrist bis 31. Dezember 2017 – unter bestimmten Voraussetzungen – beim Scheidungsgericht beantragen, eine solche Entschädigungsrente nach Art. 124 ZGB in eine neue lebenslange Vorsorgerente umwandeln zu lassen. Nicht profitieren von dieser Möglichkeit können diejenigen Ehegatten, bei welchen die Ausgleichung durch Teilung nach Art. 122 ZGB erfolgt ist. Hier ist das Scheidungsurteil definitiv.

VII. FAZIT

Die per 1. Januar 2017 in Kraft tretenden Änderungen beseitigen erhebliche Nachteile und dürften den Effekt haben, dass allein vorsorgerechtlich begründete strittige und langwierige Scheidungsverfahren verhindert werden können. Erfreulich ist sicher auch, dass die Regelungsfreiheit der Parteien erhöht wird, was den konkreten Umständen angemessene und damit in aller Regel bessere einverständliche Lösungen (Scheidungskonventionen) ermöglicht. Bis alle sich mit dem neuen Recht stellenden Fragen und Unklarheiten höchstrichterlich geklärt sind, dürfte es allerdings einige Zeit dauern.

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16. Juni 2016 / lic. iur. Martin Kuhn


SCHULDZINSENABZUG IM KONKUBINAT

Tamara Tormen, dipl. Steuerexpertin

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Am 13. April 2015 hat das Bundesgericht eine langjährige Praxis des Kantonalen Steueramtes Aargau abgewiesen, welche vorsah, dass der Schuldzinsabzug bei Konkubinatspaaren in Bezug auf Hypotheken nur jener Person gewährt wird, die zivilrechtlich Eigentümer der Liegenschaft ist.

I. BUNDESGERICHTSENTSCHEID VOM 13. APRIL 2015 (2C_142/2014)

Darstellung Sachverhalt

Der Sachverhalt, der dem Bundesgerichtsentscheid zugrunde liegt, lässt sich schematisch wie folgt darstellen:

Grafik zum Schuldzinsenabzug im Konkubine

Herr B ist Alleineigentümer eines Einfamilienhauses und bewohnt dieses mit seiner Konkubinatspartnerin Frau A. Die Beiden schlossen mit der UBS AG eine „Vereinbarung für Ihre Immobilienfinanzierung“. Deren wesentliche Eckpunkte bestanden in einem Darlehensvolumen von CHF 900‘000, der grundpfandrechtlichen Sicherstellung in selber Höhe und der Solidarhaftung der beiden, jeweils als „Kreditnehmer“ bezeichneten Konkubinatspartner. 

Auch in den im Anschluss an die Vereinbarung geschlossenen Kreditverträgen traten sowohl Herr B als auch Frau A als Kreditnehmer auf. Der Zinsendienst betrug im betreffenden Steuerjahr CHF 30‘000 (gerundet). Davon übernahm Frau A einen Anteil von 40 Prozent, welchen sie auf ein auf beide Kreditnehmer laufendes Konto überwies und ihren jeweiligen Zahlungen den Hinweis „Miete“ anfügte. Sie deklarierte die anteiligen Schuldzinsen und die anteilige Schuld in ihrer Steuererklärung. Die Steuerkommission der betroffenen Gemeinde rechnete ihr die beanspruchten Schuldzinsen und die Schulden auf.

Ansicht der Steuerbehörde

Das Kantonale Steueramt qualifizierte die monatlichen Zahlungen als Abgeltung von Lebenshaltungskosten. Im internen Verhältnis zwischen den Konkubinatspartnern wurde durch die Zahlung mit Verweis „Miete“ eine Abgeltung der anteiligen Wohnkosten angenommen. Das Steueramt verwies auf einen anderen Bundesgerichtsentscheid, welcher festhielt, dass solidarische Haftung nicht ausreiche, um eine eigene Schuld zu begründen.

Ebenso wenig liesse die blosse Bezeichnung einer Person als „Kreditnehmer“, so das Steueramt weiter, Rückschlüsse auf die Schuldnereigenschaft zu. Ob eine „eigene“ Schuld vorliege (welche für den Schuldzinsenabzug einkommenssteuerrechtlich Voraussetzung ist), hänge vielmehr von der Ausgestaltung des Innenverhältnisses und der Eigentumsverhältnisse ab. Gemäss der Steuerbehörde diene die Solidarhaftung lediglich als zusätzliche Sicherheit, ohne eine persönliche und definitive Verpflichtung der Steuerpflichtigen herbeizuführen. Die Steuerpflichtige könne schon daher nicht „definitiv“ haften, weil sie auf den Konkubinatspartner regressieren könne. In der gegebenen Konstellation stehe das Eigentum ausschliesslich dem Konkubinatspartner zu, weshalb der Steuerpflichtigen eine „Eigentumsquote null“ zustehe und der Bestand einer „eigenen“ Schuld von vornherein auszuschliessen sei.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht geht zuerst auf die Definition eines Hypothekarkredits ein und hält unter anderem fest, dass dieser sich dadurch kennzeichnet, dass die Kreditgewährung (Darlehenskomponente) mit einer Sicherstellung des Kredits durch Grundpfand (Sicherungskomponente) gekoppelt ist. So treten im Kreditgeschäft der Banken häufig mehrere Kreditnehmer als Vertragsparteien auf. Diesfalls sind die Kreditnehmer gemäss Vertrag regelmässig Solidarschuldner.

Hinsichtlich des Schuldzinsenabzugs wird festgehalten, dass nur tatsächlich bezahlte Schuldzinsen zum Abzug zugelassen sind, wobei einzig der Schuldner den Abzug tätigen darf. Massgebend ist vorab die Frage nach dem Vorliegen einer „eigenen“ Schuld. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass beide Konkubinatspartner gegenüber der Bank als Kreditnehmer auftreten. Sie beide haften der Bank gegenüber solidarisch. Solidarität setzt voraus, dass tatsächlich mehrere zivilrechtliche Schuldner vorliegen. Das Bundesgericht rügt das Steueramt, wenn es den Standpunkt einnimmt, dass eine solidarische Haftung nicht genüge, um eine eigene Schuld zu begründen. Gegenteils ist die Solidarität die Folge dessen, dass die Schuldnereigenschaft mehreren Personen zukommt, die dem Gläubiger gegenüber den Willen zur Bildung einer Solidargemeinschaft äussern. Nichts anderes ergibt sich aus dem bundesgerichtlichen Präjudiz, welches das Steueramt mit Verweis auf den vorerwähnten Bundesgerichtsentscheid anruft. Darin wird freilich nichts anderes ausgeführt, als dass (einzig) der Schuldner zum Abzug der Schuldzinsen berechtigt ist.

Die Konkubinatspartner haben für die Forderung aus dem Hypothekenvertrag gleichermassen geradezustehen, wogegen die davon zu unterscheidende Sicherungsforderung einzig auf den Konkubinatspartner zielt, und zwar in dessen Eigenschaft als Alleineigentümer des Pfandobjekts. Die Steuerpflichtige, obwohl weder Eigentümerin noch Pfandschuldnerin, qualifiziert durchaus als Schuldnerin der Bank. Ihre Schuld ist eine „eigene“ im Sinne des Zivilrechts und daher auch des Steuerrechts. Die Art der Zahlung (hier über ein gemeinsames Konto mit Bezeichnung „Miete“) ist dem Bereich der Abwicklung zuzuordnen und für die Beurteilung, ob eine „eigene“ Schuld vorliege, kommt diesem Gesichtspunkt lediglich die Wirkung von Indizien zu.

Von Bedeutung sei die Aufteilung des Schuldzinses im Innenverhältnis. Die beiden Konkubinatspartner können zusammen nicht mehr als 100% der tatsächlich erbrachten Schuldzinsen zum Abzug bringen. Es ist ein klarer Nachweis der Lastenverteilung zu erbringen. Da die Vorinstanz verbindlich festgelegt hatte, dass die Steuerpflichtige 40 Prozent der Schuldzinsen geltend gemacht habe und dass nicht beanstandet wurde, dass der Konkubinatspartner mehr als 60 Prozent abgezogen habe, musste das Bundesgericht diesen Umstand nicht weiter prüfen. Es fehlten auch Hinweise, dass der Schuldzinsenabzug so „optimiert“ wurde, dass eine Verschiebung der Schuldzinsen steuerlich beabsichtigt wurde (z.B. zur Aushebelung der Schuldzinsenbremse).

II. FAZIT

Der Entscheid des Bundesgerichts ist zu begrüssen. Die Schuldzinsen dürfen auch im Konkubinatsfall von derjenigen Person in Abzug gebracht werden, die auch die Schuldzinsen aufgrund einer Kreditverpflichtung bezahlt.

Nichtsdestotrotz ist jeder Sachverhalt einzeln zu prüfen. Wie im vorliegenden Fall festgehalten wurde, ist die gesamtheitliche Auslegung der Indizien massgebend. Wenn in der Kreditvereinbarung mit der Bank die Konkubinatspartnerin, welche selbst nicht Eigentümerin der Liegenschaft ist, nicht als Kreditnehmerin aufgetreten wäre, hätte sie Schuldzinsen, die sie dem Konkubinatspartner für die Begleichung des Zinsendienstes bezahlt, kaum als Schuldzinsen in Abzug bringen können.

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18. Mai 2016 / Tamara Tormen, dipl. Steuerexpertin


DIE BERECHNUNG DER UNTERHALTSBEITRÄGE BEI TRENNUNG DER EHE (BERECHNUNGSMETHODE)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Nach welcher Methode die im Trennungsfall geschuldeten Unterhaltsbeiträge von den kantonalen Gerichten ermittelt werden, kann eine entscheidende Rolle spielen. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (5A_776/2015) bestätigt, dass den kantonalen Vorinstanzen auch bei der Methodenwahl ein grosses Ermessen zukommt. Eher überraschend ist die Feststellung, dass bei überdurchschnittlichen Verhältnissen auch dort mit der einstufigen Methode gerechnet werden müsse, wo der Unterhaltspflichtige keine bzw. keine die trennungsbedingten Mehrkosten übersteigende Sparquote behauptet hatte. Das Bundesgericht hat damit (leider) seinen Entscheid BGE 140 III 485 – zum Nachteil der Rechtssicherheit und des Unterhaltsberechtigten – relativiert.

I. EINSTUFTIGE METHODE (NACH DEM KONKRETEN BEDARF) ODER ZWEISTUFIGE BERECHNUNG (EXISTENZMINIMA MIT ÜBERSCHUSSAUFTEILUNG)

Bei der einstufigen Methode wird nach Massgabe des Lebensstandards vor der Trennung der konkrete Bedarf des Unterhaltsberechtigten ermittelt, welchen er inkl. einer allfälligen eigenen Sparquote und der trennungsbedingten Mehrkosten zu substantiieren und soweit als irgend möglich nachzuweisen hat. Als Unterhaltsbeitrag kann die/der Berechtigte selbst bei ausserordentlich hohem Einkommen des Verpflichteten nur das beanspruchen, was vom konkret nachgewiesenen Bedarf nach Anrechnung der (allenfalls zumutbaren) Eigeneinkünfte ungedeckt bleibt.

Bei der zweistufigen Methode wird demgegenüber vorerst das Existenzminimum beider Ehegatten nach der Trennung ermittelt (teilweise familienrechtlich etwas erweitert) und das entsprechende Total dem Gesamteinkommen beider Ehegatten gegenüber gestellt. Ein Überschuss wird, soweit nicht für die Steuern und die Tilgung gemeinsamer Schulden benötigt, unter den Ehegatten aufgeteilt, wobei auch der Anspruch allfälliger Kinder auf eine Überschussbeteiligung angemessen mit zu berücksichtigen ist. Die Summe von Existenzminimum, allfälligen Überschusszuweisungen und dem Überschussanteil, reduziert um allfällige eigene Einkünfte, entspricht dann dem geschuldeten Unterhaltsbeitrag.

Es versteht sich von selbst, dass gerade bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen die Wahl der Methode zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, was umso mehr dann gilt, wenn an den Nachweis des konkreten Bedarfs (Lebensstandard) allzu hohe Anforderungen gestellt werden.

II. FÜR DIE METHODENWAHL MASSGEBLICHE KRITERIEN

Einigkeit besteht allseits, dass die Unterhaltsbeiträge während der Trennungszeit dem Berechtigten maximal die Weiterführung des bisherigen Lebensstandards ermöglichen sollen und – bei gegebener Leistungsfähigkeit – ermöglichen müssen. Betont wird vom Bundesgericht, dass bei aufzuteilenden Einkünften von weniger als CHF 10‘000.00 in aller Regel

die zweistufige Berechnungsmethode zu sachgerechten Ergebnissen führt, weil vermutungsweise in solchen Fällen bis anhin keine Sparquote bestand und die vorhandenen Einkünfte voll zur Finanzierung der nun mehr getrennten 2 Haushalte benötigt werden.

In BGE 140 III 485 hat das Bundesgericht ferner klargestellt, dass bei der zweistufigen Methode der Abzug einer Sparquote vom Überschuss dann willkürlich sei, wenn eine solche weder dem Grundsatze nach noch betragsmässig glaubhaft gemacht worden sei. Dass überdurchschnittliche Einkünfte vorliegen, sei für sich allein noch kein Beweis für eine Sparquote, welche die trennungsbedingten Mehrkosten übersteige. Massgeblich sei die konkrete Lebensführung vor der Trennung.

Im neusten Entscheid (5A_776/2015) stellt das Bundesgericht nunmehr klar, dass auch beim Fehlen eines Sparquotennachweises nicht zwingend die zweistufige Methode zur Anwendung gelangen müsse, vielmehr die kantonalen Gerichte auch in solchen Fällen den Unterhalt nach der einstufigen Methode berechnen können. Dies jedenfalls bei unbestritten überdurchschnittlichen Verhältnissen und sogar dann, wenn unter den Parteien die Berechnungsmethode, im konkreten Fall die zweistufige Berechnung, gar nicht strittig war.

Es scheint, als ob das Bundesgericht jedenfalls bei überdurchschnittlichen Einkünften zunehmend die einstufige Methode nach dem konkreten Bedarf favorisiert. Ob dies wirklich gewollt und angesichts der Beweisschwierigkeiten – wer sammelt schon vor der Trennung Quittungen für alle Lebenshaltungskosten? – sachgerecht ist, darf durchaus bezweifelt werden.

III. RECHTSUNSICHERHEIT

Der Methodenpluralismus und die aktuelle bundesgerichtliche Relativierung bzw. Bestätigung des grossen Ermessens der kantonalen Gerichte schaffen für alle Beteiligten, namentlich den Unterhaltsberechtigten und dessen Anwalt, eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Nicht nur, dass kantonal – teilweise sogar innerhalb eines Gerichts – erhebliche Unterschiede bei der Methodenwahl und bei der Beurteilung, ab wann von überdurchschnittlichen Verhältnissen auszugehen ist, bestehen und an vielen Gerichten zudem der Nachweis eines hohen Lebensstandards allzu streng beurteilt wird. Effektiv muss zukünftig auch in Fällen, wo die Gegenseite die günstigere Anwendung der zweistufigen Berechnungsmethode gar nicht bestreitet und eine eigene Sparquote weder substantiiert noch nachweist, damit gerechnet werden, dass die kantonalen Gerichte aus eigener Überzeugung die einstufige Methode anwenden und sich dabei die allenfalls ungenügende Substantiierung oder fehlende Beweismittel massiv zu Ungunsten der Unterhaltsberechtigten auswirken.

IV. FAZIT UND EMPFEHLUNG

In Fällen überdurchschnittlicher Verhältnisse und somit bereits ab aufzuteilenden Einkünften von jedenfalls CHF 10‘000.00 (oder mehr), wird der oder die Unterhaltsberechtigte zukünftig gut daran tun, neben der zweistufigen Berechnungsmethode den massgeblichen höheren Lebensstandard zumindest in den Grundzügen darzutun und soweit als irgend möglich ebenso zu belegen wie die trennungsbedingten Mehrkosten oder eine mit dem eigenen Einkommen finanzierte eigene Sparquote. Dies selbst dann, wenn es nachweislich auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten keine Sparquote gab oder dieser die zweistufige Berechnungsmethode gar nicht bestreitet. Ja die Substantiierung und der Nachweis eines höheren Lebensstandards sind gegebenenfalls sogar dann geboten, wenn ein solcher von der Gegenseite explizit gar nicht bestritten wird.

Es versteht sich von selbst, dass dadurch die Eheschutzverfahren aufwendiger und kostspieliger werden. Dem Unterhaltsberechtigten, der nicht Gefahr laufen will, Opfer des Methodenpluralismus und der Rechtsunsicherheit zu werden oder wegen einer allzu summarischen Substantiierung und ungenügenden Beweismitteln nur einen (gegebenenfalls erheblich) zu tiefen Unterhalt zu erhalten, kann nur empfohlen werden, keinen Aufwand zu scheuen, um seine Berechtigung nach beiden Berechnungsmethoden glaubhaft zu machen. Wie gesagt schützt gegebenenfalls auch das Vertrauen in unterbliebene Bestreitungen oder Substantiierungen der Gegenseite vor einem ungerechten Ergebnis nicht.

Diese erhöhte prozessuale Sorgfalt (mit einem entsprechend höheren Prozessaufwand) gilt es schon bzw. namentlich in den kantonalen Verfahren zu beachten. Beim Bundesgericht, das den kantonalen Vorinstanzen aktuell allzu viel Ermessensspielraum lässt, kann jedenfalls kaum mehr mit einer Korrektur gerechnet werden.

9. März 2016 / lic. iur. Martin Kuhn


DER BETREUUNGSUNTERHALT NACH DEUTSCHEM RECHT

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin 

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der deutsche Betreuungsunterhalt im Vergleich zum Schweizerischen Betreuungsunterhalt. Im Januar 2017 tritt in der Schweiz die neue gesetzliche Regelung zum Kindesunterhalt in Kraft. Neu geregelt wird unter anderem der sogenannte Betreuungsunterhalt, welcher den Ausgleich nachhaltiger Einbussen in der Eigenversorgungskapazität des kindesbetreuenden Elternteils vorsieht. Klare Vorgaben über die Höhe, mithin die Bemessung des Kinderunterhalts, fehlen, weshalb diese voraussichtlich durch die zuständigen Behörden und Gerichte zu regeln sein werden. Ebenso ist unklar, wie lange ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt besteht. Denn da der Betreuungsunterhalt – anders als in Deutschland – nicht als Anspruch des Elternteils, sondern des Kindes ausgestaltet ist, ist fraglich, wie dieser zeitlich befristet werden soll.

I. BETREUUNGSUNTERHALT NACH DEUTSCHEM RECHT

In Deutschland sind derartige Fragen durch den klaren Gesetzeswortlaut in §1570 BGB und die hierzu vorliegende Rechtsprechung geklärt. So sieht §1570 BGB einen Unterhaltsanspruch wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mind. drei Jahre nach der Geburt vor. Die Dauer dieses Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht, wobei hierfür unter anderem auf die Belange des Kindes und die bestehende Möglichkeit der Kinderbetreuung abzustellen ist (§1570 Abs. 1 BGB). Soweit die Eltern nicht verheiratet waren und gemeinsame Kinder vorhanden sind, hat die Kindesmutter ebenfalls einen Anspruch auf den Betreuungsunterhalt, der in §1615 BGB geregelt ist.

a) 

Beide Normen statuieren den Grundsatz, dass die persönliche Betreuung nur bis spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes Vorrang vor der Drittbetreuung geniesst. Unter Berücksichtigung tatsächlich vorhandener Betreuungsmöglichkeiten geht der deutsche Gesetzgeber damit davon aus, dass Mütter, gleichwohl ob diese mit dem Kindsvater verheiratet waren oder nicht, spätestens mit dem dritten Lebensjahr des Kindes wieder einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen können. Anders als in der Schweiz wird in Deutschland – zumindest theoretisch – die Betreuung durch Kindertagesstätten bzw. Kindergärten garantiert, weshalb sich der betreuende Elternteil nicht ohne Weiteres darauf berufen kann, eine Betreuung durch Dritte sei nicht möglich. Nur im Ausnahmefall wird der Betreuungsunterhalt für einen längeren Zeitraum gewährt, wenn kind- oder elternbezogene Gründe dies erfordern. Hierbei wird bei geschiedenen Ehegatten im Sinne des §1570 Abs. 2 BGB auf den gemeinsamen in der Ehe gefassten Lebensplan, mithin den geplanten Wiedereinstieg der Kindesmutter in das Erwerbsleben oder die Möglichkeiten anderer Betreuungsformen abgestellt. Derartige Erwägungen gelten selbstverständlich nicht für den in §1615 Abs. 1 BGB ausgestalteten Betreuungsunterhalt für Unverheiratete, da es gerade an einem gemeinsamen Lebensplan verglichen mit Verheirateten fehlt.

b)

Weitere Unterschiede beim Betreuungsunterhalt geschiedener und unverheirateter Elternteile ergeben sich auch hinsichtlich der Höhe bzw. der Berechnung des zu zahlenden Unterhalts. So bemisst sich der Betreuungsunterhalt nach §1570 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Dagegen bestimmt sich das Mass des Unterhaltsanspruchs Unverheirateter nach der Lebensstellung der Mutter und richtet sich damit grundsätzlich nach ihrem Einkommen, welches sie ohne die Geburt des Kindes erzielt hätte. Ging die Kindsmutter vor der Geburt des Kindes keiner Erwerbstätigkeit nach, ist der minimale Bedarf geschuldet, der üblicherweise dem Sozialhilfesatz entspricht.

II. KINDERUNTERHALT

Neben dem Betreuungsunterhalt schuldet der Kindsvater bzw. der das Kind nicht betreuende Elternteil immer auch einen Kinderunterhalt. Dieser bemisst sich in Deutschland nach der Düsseldorfer Tabelle. Für die Berechnung des Betreuungsunterhaltes wird von dem bereinigten Nettoeinkommen des Kindsvaters vorab der Kinderunterhalt in Abzug gebracht. Verbleibt dem Kindsvater hiernach sein Selbstbehalt, kann das darüber hinausgehende Einkommen für den Betreuungsunterhalt beansprucht. Zu berücksichtigen ist im deutschen Recht allerdings immer der sogenannte Halbteilungsgrundsatz, der besagt, dass dem Unterhaltspflichtigen so viel verbleiben soll, wie auch dem Unterhaltsberechtigten durch eigene Einkünfte und den ergänzenden Unterhalt insgesamt zur Verfügung steht. Bei nur einem unterhaltsberechtigten Ehegatten ist der Unterhalt damit begrenzt auf die Hälfte des gesamten unterhaltsrelevanten Einkommens der ehemaligen bzw. getrennt lebenden Eheleute.

III. ZUSAMMENFASSUNG

Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass der Betreuungsunterhalt in Deutschland jeweils als eigener Anspruch des das Kind betreuenden Elternteils ausgestaltet ist. Dieser wird, je nachdem, ob die Eltern verheiratet waren, nach §1570 BGB oder nach §1615 BGB beurteilt. Der Betreuungsunterhalt Geschiedener berücksichtigt die ehelichen Lebensverhältnisse und wird üblicherweise durch die Verteilung eines Überschusses im Umfang von 3/7 des in der Ehe zur Verfügung stehenden Einkommens ermittelt. Stammt ein Kind dagegen aus einer Beziehung Unverheirateter, ist der Unterhaltsanspruch auf die Höhe des Verdienstes der Kindesmutter begrenzt, sofern der Kindsvater überhaupt in der Lage ist, diesen Betrag zu leisten.

Da der ab Januar 2017 in der Schweiz massgebliche Betreuungsunterhalt als Unterhalt des Kindes ausgestaltet wird, ist fraglich, wie bei der Bemessung des Unterhalts zwischen dem Anspruch von Kindern gegenüber ihren Eltern aus einer Ehe einerseits und Unverheirateten andererseits unterschieden wird. Eine Gleichbehandlung zwischen geschiedenen und unverheirateten Paaren wäre mit dem Institut der Eheschliessung und den damit verbundenen Folgen der gegenseitigen Solidarität nicht vereinbar, weshalb Differenzierungen zu erwarten sind.

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27. Januar 2016 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher 


DAS NEUE KINDESUNTERHALTSRECHT (BETREUUNGSUNTERHALT, ETC.)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit Beschluss vom 4. November 2015 hat der Bundesrat entschieden, die neuen gesetzlichen Regelungen zum Kindesunterhalt per 1. Januar 2017 in Kraft zu setzen. Ergänzt werden diese Regelungen zum Kindesunterhalt mit der neuen bundesrechtlichen Kompetenz zur Regelung der Inkassohilfe im Scheidungs- und Kindesrecht sowie zur Sicherung ausstehender Unterhaltszahlungen durch Meldepflichten im Bereich der beruflichen Vorsorge. Diese Ergänzungen des neuen Rechts werden zusammen mit einer noch ausstehenden bundesrätlichen Verordnung allerdings erst später in Kraft gesetzt.

I. GRUNDSÄTZLICHE NEUERUNGEN

Das neue Unterhaltsrecht beseitigt die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter bzw. getrennter/ geschiedener und von Kindern unverheirateter Eltern. Zudem erhält der Kinderunterhalt zukünftig Vorrang vor allen übrigen familienrechtlichen Unterhaltspflichten und die zuständige Behörde kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Möglichkeit einer alternierenden (geteilten) Obhut prüfen, sofern dies ein Elternteil oder das Kind verlangt.

II. BETREUUNGSUNTERHALT

Bis anhin erfolgte ein Ausgleich für die Fremdbetreuungskosten oder den Nachteil der verunmöglichten/ eingeschränkten Erwerbsfähigkeit bei Betreuung der Kinder durch den einen Elternteil lediglich bei verheirateten Eltern, in dem die entsprechenden Kosten bzw. die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Ehegattenunterhalts berücksichtigt wurde. Alleinerziehende unverheiratete Elternteile gingen demgegenüber leer aus, weil sie einzig Anspruch auf den nur die eigentlichen Kinderkosten umfassenden Kinderunterhalt hatten.

Unter dem neuen Recht erhöht sich der Kinderunterhalt im Regelfall, also auch bei Trennung oder Scheidung, um den Betreuungsunterhalt, welcher vom pflichtigen Elternteil zusätzlich zu den eigentlichen laufenden Lebenshaltungskosten zu entschädigen ist. Die Ansprüche auf Kinderunterhalt bzw. auf Unterhaltszahlungen unter Eltern gemeinsamer Kinder werden sich dadurch (teilweise wohl massiv) erhöhen, auch wenn erstens noch nicht klar ist, wie dieser neue Betreuungsunterhalt zu berechnen und wie lange er im Einzelfall zu zahlen ist, und zweitens in Fällen von Trennung oder Scheidung dem höheren Kinderunterhalt in aller Regel durch einen tieferen Ehegattenunterhalt wird Rechnung getragen werden können/müssen.

Dem zukünftig finanziell stärker belasteten unterhaltspflichtigen Elternteil wird mit dem neuen Recht allerdings die Möglichkeit eingeräumt, den Betreuungsunterhalt bzw. die gesamthaft geschuldeten Unterhaltsleistungen dadurch zu reduzieren, dass er einen Antrag auf alternierende oder geteilte Obhut stellt, d.h. er bereit ist, über das übliche Besuchs- und Ferienrecht hinaus das Kind mit zu betreuen (oder betreuen zu lassen?) und dadurch Fremdbetreuungskosten einzusparen oder den anderen Elternteil zu entlasten. Inwiefern solche Lösungen praktikabel sind und entsprechende Anträge dann auch gutgeheissen werden, ist noch kaum absehbar: Klar ist einzig, dass in jeder Hinsicht das Kindeswohl im Mittelpunkt zu stehen hat. Letztendlich geht es mit der Neuregelung erklärtermassen darum, einerseits dem Kind eine stärkere Betreuung durch beide Elternteile zu ermöglichen und andererseits eine angemessene Lebenshaltung dadurch zu sichern, dass eben auch seine Betreuung – durch den anderen Elternteil oder Dritte – durch Unterhaltszahlungen gesichert ist.

III. HÖHE DES NEUEN KINDERUNTERHALTS?

Der Gesetzgeber wie auch der Bundesrat überlassen die Bemessung des neuen Kindesunterhalts den zuständigen Behörden und Gerichten, weshalb Prognosen über die sich durchsetzende – möglicherweise kantonal auch unterschiedliche – Praxis schwierig sind. In der bundesrätlichen Botschaft finden sich kaum taugliche Kriterien, was denn zur gebührenden, durch die Eltern bzw. den andern Elternteil zu entschädigenden, Kinderbetreuung gehört bzw. was diese kosten darf.

Es ist anzunehmen, dass sich je nach den Lebensverhältnissen und der Aufgabenteilung vor Beginn der Unterhaltspflicht „Normfälle und -berechnungen“ entwickeln werden, wobei auf der einen Seite die weitgehende Fremdbetreuung (Krippe, etc.) beim Obhutsinhaber und auf der anderen Seite die weitgehende Selbstbetreuung durch den Obhutsinhaber mit entsprechendem Einkommensausfall stehen. Gehen wir davon aus, dass in durchschnittlichen Fällen bis anhin für ein Kind unverheirateter Eltern zur Deckung dessen Kosten ein monatlicher Betrag von CHF 1‘000.00 festgelegt wurde, so kann dieser Betrag im ersteren Fall (Fremdbetreuung) je nach Alter des Kindes und Kostenstruktur in der entsprechenden Gemeinde durchaus auf CHF 2‘000.00 bis 3‘000.00, nämlich um die Krippekosten, Randbetreuungskosten, etc., steigen. Noch teurer dürfte es werden, wenn der obhutsinhabende Elternteil das (noch kleine) Kind bis anhin persönlich betreut hat und dies weiterhin tun will bzw. solches aus Gründen des Kindeswohls geschützt wird: Diesfalls schuldet nämlich der Unterhaltspflichtige bei gegebener Leistungsfähigkeit neben dem bisherigen Kinderunterhalt zur Deckung der Kosten des Kindes (im obigen Durchschnittsfall CHF 1‘000.00/Monat) auch einen Betreuungsunterhalt, welcher den ganzen Bedarf des die Betreuung wahrnehmenden und deshalb nicht erwerbstätigen Elternteils beinhaltet, so dass selbst bei noch durchschnittlichen Verhältnissen ein angemessener Kinderunterhalt neu eher bei CHF 4‘000.00 (oder mehr) liegen dürfte. Auch auf den nie verheirateten Unterhaltspflichtigen kommen damit Unterhaltslasten zu, wie sie im Trennungs- und Scheidungsrecht üblich sind.

Wo in luxuriösen Verhältnissen, d.h. bei hoher Leistungsfähigkeit und hohem bisherigen Lebensstandard beider oder des einen Elternteils der neue Kindesunterhalt inkl. Betreuungskosten betraglich liegen könnte, ist effektiv noch nicht einzuschätzen. Klar erscheint einzig, dass eine volle Gleichstellung von nicht verheirateten Eltern mit gemeinsamen Kindern und sich trennenden/scheidenden Ehegatten auf dem Umweg über den Betreuungsunterhalt nicht gerechtfertigt wäre, fehlt es bei Ersteren doch an der ehetypischen Beistands- und Solidaritätspflicht. Angesichts der fehlenden gesetzlichen Vorgaben und der Bandbreite möglicher Betreuungsregelungen/-kosten ist aktuell kaum prognostizierbar, was ab 1. Januar 2017 gefordert werden kann bzw. geschuldet ist. Dies gilt nicht nur für die Höhe des neuen Kindesunterhalts, sondern auch für dessen Dauer oder beispielsweise die Aufteilung der Betreuungskosten bei mehreren Kindern (von möglicherweise unterschiedlichen Pflichtigen). Es ist zu hoffen, dass Lehre und Rechtsprechung baldmöglichst für eine Eingrenzung und Klärung sorgen, allenfalls kantonale Kindesbehörden auch Richtlinien und Empfehlungen zur Bemessung des neuen Kindesunterhalts publizieren, an welchen sich die Praxis orientieren kann. Bis dann werden intensivere Auseinandersetzungen nicht nur um den Kinderunterhalt, sondern auch den Scheidungsunterhalt wohl nicht zu vermeiden sein.

IV. ANPASSUNG / ABÄNDERUNG BESTEHENDER UNTERHALTSVERPFLICHTUNGEN

Unterhaltsbeiträge, die vor dem 1. Januar 2017 (in einem Unterhaltsvertrag oder in einem Unterhaltsentscheid) festgelegt werden, können auf Gesuch des Kindes dem neuen Recht angepasst, d.h. um den gegebenenfalls geschuldeten Betreuungsunterhalt erhöht, werden.

Eingeschränkt ist dieses Abänderungsrecht dort, wo der Kinderunterhalt gleichzeitig mit Unterhaltsbeiträgen an den Elternteil festgelegt wurde, namentlich also in Trennungs- oder Scheidungsurteilen: Hier ist eine Anpassung nur möglich, wenn sich die Verhältnisse erheblich verändert haben.

Zu beachten gilt es zudem, dass auf alle noch kantonal rechtshängigen Verfahren ab 1. Januar 2017 das neue Recht anwendbar ist. Auch dem wird bei der Beratung gebührend Rechnung zu tragen sein.

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1. Dezember 2015 / lic. iur. Martin Kuhn


ZUSTÄNDIGKEIT DER GERICHTE BEI EHELICHEN AUSEINANDERSETZUNGEN MIT AUSLANDSBEZUG

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Trennen oder scheiden sich Paare mit Auslandsbezug, d.h. ist einer der Ehegatten Ausländer oder wohnt im Ausland, stellt sich immer die Frage nach der Zuständigkeit der Gerichte und dem anwendbaren Recht.

I. ZUSTÄNDIGKEIT

Will sich ein Paar mit Auslandsbezug trennen oder die Scheidung einreichen, ist vorab zu klären, ob die Gerichte in der Schweiz oder im Ausland für ein derartiges Verfahren zuständig sind.

Die Zuständigkeit der Gerichte richtet sich teils nach staatsvertraglichen Bestimmungen oder aber nach dem IPRG, wobei jedes Land sein eigenes IPRG anwendet. Sind Staatsverträge anwendbar, gehen sie dem IPRG vor.

II. STAATSVERTRÄGE

2.1. LuGÜ

Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Lugano-Übereinkommen) ist bei Zuständigkeitsfragen betreffend Unterhalt anwendbar. So regelt Art. 5 LugÜ, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch das Abkommen gebundenen Staates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden kann.

Die Zuständigkeit der Gerichte wird unter Anwendung des LuGÜ damit unter bestimmten Voraussetzungen auf die Vertragsstaaten ausgedehnt (sog. besondere Zuständigkeiten).

2.2. HKsÜ

Das Haager Kindesschutzübereinkommen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (HKsÜ) sieht Bestimmungen insbesondere für das Aufenthaltsrecht und den persönlichen Verkehr (Besuchsrecht / Umgang) mit dem Kind vor und geht den Normen des LugÜ vor, sofern kindesrechtliche Nebenfolgen zu regeln sind.

Gemäss Art. 5 Abs. 1 HKsÜ sind die Behörden des Vertragsstaates, in welchem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für Massnahmen zum Schutz des Kindes zuständig. Bei Minderjährigen befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo das Kind familiär und schulisch eingegliedert ist. In der Regel begründet ein Aufenthalt von sechs Monaten einen gewöhnlichen Aufenthalt, jedoch kann dieser auch sofort begründet werden, wenn der Aufenthaltsort auf Dauer neu begründet wird und der bisherige Lebensmittelpunkt aufgegeben wurde. Lebt ein Kind erst seit wenigen Wochen in einem Vertragsstaat, ist der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes zu hinterfragen, mithin kann das Gericht am Wohnort des Kindes nur dann angerufen werden, wenn der neue Aufenthaltsort mit einer Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes verbunden ist. Hiervon wird man ausgehen können, wenn ein Kind einen Schulwechsel vorgenommen hat und die Betreuung des Kindes vollumfänglich an seinem Aufenthaltsort sichergestellt ist. Wohnen Eltern in verschiedenen Ländern und findet ein rechtmässiger Umzug des Kindes zum anderen Elternteil statt oder zieht ein Elternteil rechtmässig mit dem Kind ins Ausland, kann es so zu wechselnden Zuständigkeiten der Gerichte kommen, da die Zuständigkeit des bisherigen Gerichts auf die am neuen Ort zuständige Behörde übergeht. Eine Ausnahme besteht für den Kinderunterhalt nach schweizerischem Recht dann, wenn der Kinderunterhalt innerhalb eines Scheidungsprozesses beantragt wird, da sich die Zuständigkeit in diesem Fall nach der Hauptzuständigkeit richtet, womit der Unterhalt des Kindes dort einzuklagen ist, wo auch die Scheidung anhängig ist.

Für Unterhaltsfragen ist das HKsÜ nicht anwendbar. Wer für die Regelung des Unterhalts zuständig ist, richtet sich vielmehr nach dem LugÜ. Ziel ist es allerdings immer, einen Gleichlauf der Zuständigkeiten betreffend elterlicher Sorge, persönlicher Verkehr und Unterhalt zu erreichen, da ein Auseinanderfallen der Zuständigkeiten der Gerichts bzw. Behörden ein gewisses Mass an Rechtsunsicherheit birgt. Vor diesem Hintergrund hat dasjenige Gericht über den Unterhalt des Kindes zu befinden, welches aufgrund des Aufenthalts des Kindes auch über die Obhut und Besuchsregelung des Kindes zu entscheiden hat.

III. ANWENDBARES RECHT

Ist die Zuständigkeit geklärt, ist bei internationalen Fällen weiter zu prüfen, nach welchem Recht das Verfahren zu beurteilen ist. Das anzuwendenden Recht ist für jede Nebenfolge der Scheidung, mithin für die Kinderbelange, den Unterhalt, die güterrechtliche Auseinandersetzung und den Vorsorgeausgleich gesondert zu prüfen, wobei es durchaus vorkommen kann, dass auf die verschiedenen Nebenfolgen der Scheidung unterschiedliches Recht zur Anwendung gelangt.

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22. Oktober 2015 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher


GEMEINSAME ELTERLICHE SORGE, AUFENTHALTSBESTIMMUNGSRECHT UND INTERNATIONALE KINDESENTFÜHRUNG

lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin, und Sandra Berner, MLaw

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In letzter Zeit liest man in den Medien vermehrt, dass Elternteile oder Angehörige gegen den Willen des andern Elternteils ihre Kinder ins Ausland verbringen oder dort – bspw. nach den Ferien – eigenmächtig zurückbehalten. Der gegenteilige Fall, dass Elternteile ihre Kinder aus dem Ausland in die Schweiz verbringen, ist auch nicht selten.

In den meisten Fällen wird vom entführenden Elternteil regelmässig geltend gemacht, dass die Rückführung dem Kindeswohl erheblich widerspreche. Wird ein Rückführungsentscheid dennoch ausgesprochen, führt dies in der Bevölkerung teils zu grosser Empörung. Im Nachfolgenden soll daher insbesondere auf die Rückführung des Kindes und die Berücksichtigung des Kindeswohls im Zusammenhang mit dem Haager Kindesentführungsübereinkommen näher eingegangen werden.

I. GEMEINSAME SORGE UND AUFENTHALTSBESTIMMUNGSRECHT

Seit dem 1. Juli 2014 ist die gemeinsame elterliche Sorge unabhängig vom Zivilstand der Eltern in der Schweiz der Regelfall. In diesem Sinn hält Art. 296 Abs. 1 ZGB ausdrücklich fest, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes dient. Dieser Zielsetzung soll auch Art. 301a ZGB dienen, der das Verhältnis zwischen elterlicher Sorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht klärt und anordnet, dass die elterliche Sorge das Recht einschliesst, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Damit ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Gegensatz zur früheren Rechtslage zwingend von der elterlichen Sorge umfasst. Ob dies absolut gilt oder aber gestützt auf Art. 298 Abs. 2 ZGB ausnahmsweise bei gemeinsamer Sorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht einem Elternteil allein übertragen werden kann, ist in der Lehre umstritten und bedarf noch der richterlichen Klärung.

Leben die Eltern getrennt und übt ein Elternteil allein die faktische Obhut aus, darf dieser den Aufenthaltsort des Kindes grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des anderen Elternteils wechseln. Dies gilt generell, wenn der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt (Art. 301a Abs. 2 lit. a ZGB). Soll der Umzug innerhalb der Schweiz stattfinden, ist eine Zustimmung dagegen nur erforderlich, wenn der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil hat (Art. 301a Abs. 2 lit. b ZGB).

II. KINDESENTFÜHRUNG NACH HKÜ

Das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKÜ) gilt nur zwischen Vertragsstaaten, das heisst zwischen der Schweiz und insgesamt 87 weiteren Staaten.

Ziel des HKÜ ist es, die sofortige Rückführung widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener – und damit im umgangssprachlichen Sinn entführter – Kinder sicherzustellen und zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorge- und Besuchsrecht in den anderen Vertragsstaaten beachtet wird (Art. 1 lit. a HKÜ). Nach Art. 3 Abs. 1 HKÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (lit. a), und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte (lit. b).

Wie dargelegt, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht des Aufenthaltsstaates, ob ein Sorgerecht gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. a HKÜ besteht. Ausschlaggebend ist gemäss Art. 5 lit. a HKÜ aber, dass dieses Sorgerecht insbesondere auch das Recht umfasst, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.

Ist ein Elternteil Inhaber der elterlichen Sorge, verfügt er nach neuem Recht in der Schweiz auch über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und ist damit Inhaber eines Sorgerechts im Sinne des HKÜ. Damit liegt eine internationale Kindesentführung vor, wenn der Inhaber der faktischen Obhut und der elterlichen Sorge ohne Zustimmung des Mitsorgeberechtigten oder ohne Genehmigung des Gerichts bzw. der Kindesschutzbehörde den Aufenthaltsort des Kindes in einen anderen Staat verlegt.

III. RÜCKFÜHRUNG UND KINDESWOHL

Das Verfahren auf Rückführung eines entführten Kindes wird durch den Antrag des in seinem Sorgerecht verletzten Elternteils eingeleitet. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Antrag an die zuständige ausländische Zentralbehörde übermittelt wird:

– Das Kind hat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet.
– Vor der Entführung hatte das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz oder in einem Vertragsstaat des HKÜ.
– Der Antrag stellende Elternteil hatte im Zeitpunkt der Entführung das Sorgerecht und hat es bis zu diesem Zeitpunkt auch tatsächlich ausgeübt.
– Seit der Entführung ist weniger als ein Jahr vergangen.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die ausländische Zentralbehörde gehalten, den Aufenthaltsort des Kindes ausfindig zu machen, auf die freiwillige Rückführung des Kindes hinzuwirken, und falls erforderlich ein gerichtliches Verfahren zur Rückführung des Kindes einzuleiten.

In Kindesentführungsfällen wird regelmässig geltend gemacht, dass die Rückführung dem Kindeswohl widerspreche.

Diesbezüglich muss jedoch festgehalten werden, dass das primäre Ziel des HKÜ ist, dass entführte Kinder sofort in den Staat, wo sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben, zurückgebracht werden. Das Gericht entscheidet somit nur über die Rückführung, nicht aber über materielle Belange wie zum Beispiel das Sorgerecht und die Obhut. Dieser Entscheid obliegt dem Sachrichter des Staates, in welchem das Kind vor der Entführung seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt begründete (vgl. BGer 5A_623/2015).

In gewissen Fällen ist das Gericht gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ ausnahmsweise nicht verpflichtet, die Rückführung des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückführung des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Das Bundesgericht führt aus, dass solche Ausschlussgründe für eine Rückführung restriktiv auszulegen sind, und betont, dass der ersuchte Staat keinen Sorgerechtsentscheid zu fällen hat und dass der entführende Elternteil keinen Vorteil aus  seinemillegalen Verhalten ziehen darf (vgl. BGer 5A_880/2013; 5A_623/2015). Diesbezüglich verdeutlicht die Schweiz in Art. 5 des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE) die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ und zählt eine nicht abschliessende Reihe von Fällen auf, in denen eine Rückführung das Kind in eine unzumutbare Lage bringen würde.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Unterbringung bei dem das Gesuch stellenden Elternteil offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes entspricht (lit. a) oder wenn der entführende Elternteil unter Würdigung der gesamten Umstände nicht in der Lage ist oder es ihm offensichtlich nicht zugemutet werden kann, das Kind im Staat zu betreuen, in dem es unmittelbar vor der Entführung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (lit. b).

Insoweit ist auch der Rückführungsrichter verpflichtet, sich mit dem Kindeswohl explizit auseinanderzusetzen und kann dies nicht alleine dem Sachrichter im Ausland überlassen (m.w.H. SCHWEIGHAUSER/AESCHLIMANN/STECK in: FamPra.ch 2014 S. 442).

IV. VORBEUGENDE MASSNAHMEN

Kindesentführungen mit rechtlichen und praktischen Massnahmen zu verhindern, ist trotz des HKÜ sehr schwierig.

Je nach den konkreten Umständen, können folgende gerichtliche Massnahmen jedoch sinnvoll sein:

– Alleinige Zuteilung bzw. Neuregelung der elterlichen Sorge;
– Alleinige Zuteilung des Aufenthaltsbestimmungsrecht (in der Schweiz nicht möglich, weil per Gesetz die elterliche Sorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht (wohl) untrennbar miteinander verknüpft);
– Anordnung einer Ausreisesperre;
– Hinterlegung der Reiseausweise;
– Einschränkung des Besuchsrechts.

Je nach Rechtslage sind für diese Massnahmen entweder das Gericht oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde am Aufenthaltsort des Kindes zuständig (m.w.H. Broschüre „Internationale Kindesentführung und Besuchsrechtskonflikte“ des Bundesamts für Justiz).

V. SCHLUSSFOLGERUNG

Durch die Revision der elterlichen Sorge schliesst gemäss Art. 301a Abs. 1 ZGB die elterliche Sorge nun das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Nach Abs. 2 lit. a derselben Bestimmung bedarf der Wechsel des Aufenthaltsorts des Kindes ins Ausland zwingend der Zustimmung beider Elternteile, weil ansonsten eine internationale Kindesentführung vorliegt.

Die Fälle von Kindesentführungen erweisen sich je länger je komplexer und erfordern deshalb einen stärkeren Schutz der Kinder. Es ist offensichtlich, dass sich zwischen der „quasi automatischen“ Rückführung des HKÜ und der Einhaltung der Rechte des Kindes, insbesondere des Kindeswohls, zunehmend ein Spannungsfeld aufbaut. Zwar sind die Gerichte im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ jetzt schon gehalten, sich mit dem Kindeswohl explizit auseinanderzusetzen, jedoch wird dies noch nicht zufriedenstellend umgesetzt (vgl. BGer 5A_880/2013).

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28. September 2015 / lic. iur. Judith Rhein

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