NEUE MÖGLICHKEITEN BEI DER DURCHFÜHRUNG VON GENERALVERSAMMLUNGEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 19. Juni 2020 verabschiedete das Parlament die dritte grosse Aktienrechtsrevision in der Geschichte des vereinheitlichten Gesellschaftsrechts. Eine entscheidende Modernisierung erfahren insb. die Vorschriften zur Durchführung der Generalversammlung. Die neuen Bestimmungen werden voraussichtlich per 1. Januar 2022 in Kraft treten. Aufgrund des Änderungsbedarfs der Statuten, welcher wie immer geplant sein will, soll indes bereits heute auf die neuen Möglichkeiten im Bereich der Abhaltung der Generalversammlung hingewiesen werden.

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I. EINLEITUNG

Die Aktienrechtsrevision 2020 beinhaltet eine weitgehende Überarbeitung in den Bereichen Corporate Governance, Aktionärsrechte, Generalversammlung, Aktienkapital, aktienrechtlicher Klagen, in der Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat sowie im Sanierungsrecht. Im Bereich der Durchführung von Generalversammlungen soll einerseits den Gesellschaften mehr Flexibilität eingeräumt werden, andererseits sollen aber auch die Teilnahmerechte der Aktionäre gestärkt werden. Nachfolgend werden die gewichtigsten Änderungen auszugsweise vorgestellt.

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II. WESENTICHE NEUERUNGEN (AUSZUG)

a) Elektronische Einberufung der Generalversammlung

Art. 696 OR ermöglicht bereits heute die elektronische Einberufung der Generalversammlung, solange die Statuten diese Möglichkeit vorsehen. Der Geschäfts- bzw. Revisionsbericht muss indes nach geltendem Recht auch bei einer elektronischen Einberufung physisch am Sitz der Gesellschaft aufgelegt sein. Auf dieses Erfordernis wird unter dem revidierten Recht verzichtet. Geschäfts- und Revisionsbericht müssen den Aktionären lediglich zugänglich gemacht werden. Neu können diese Unterlagen also auch elektronisch zur Verfügung gestellt werden.

Inhaltlich muss sich die elektronische Einberufung der Generalversammlung neu auch dazu äussern, ob die Versammlung physisch oder gegebenenfalls auch virtuell stattfindet, denn diese Möglichkeiten bietet die Aktienrechtsrevision. Und es ist in der Einladung auch anzugeben, ob – im Fall einer nach wie vor physisch stattzufindenden Versammlung – diese an einem oder an mehreren Orten erfolgt.

Wie erwähnt, muss die Möglichkeit der elektronischen Einberufung der Generalversammlung in den Statuten verankert sein. Fehlt diese, sind die in der Versammlung getroffenen Beschlüsse anfechtbar.

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b) Tagungsort(e) der Generalversammlung

Entgegen dem geschriebenen geltenden Recht kann eine Generalversammlung nach revidiertem Aktienrecht nicht nur an einem Ort, sondern nun offiziell auch an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden. Die Lehre lässt dies bereits unter geltendem Recht zu, sofern sachliche Gründe vorliegen. Die Aktienrechtsrevision schafft insofern ein Stück mehr Rechtssicherheit, indem diese Möglichkeit nun auch gesetzlich verankert wird und auf das Vorliegen sachlicher Gründe verzichtet. Möglich ist neu auch, dass der Tagungsort (auch ohne sachliche Gründe) ins Ausland verlegt werden kann. Dabei gilt es indes nach wie vor zu beachten, dass die Ausübung der Aktionärsrechte – wenn auch nur jene einer Minderheit – dadurch nicht in unsachlicher Weise erschwert werden darf. Das Gleichbehandlungs- und Sachlichkeitsgebot gilt nach wie vor und ist zu wahren.

Einen erweiterten Spielraum gewährt das neue Gesetz, indem bei eingeschränkter Erreichbarkeit eines Tagungsortes für einzelne Aktionäre eine virtuelle Teilnahmemöglichkeit geschaffen werden kann oder denjenigen Aktionären, denen eine Teilnahme nicht oder nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich ist, ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter zur Seite gestellt wird. Die Nichteinhaltung dieser Bestimmungen hätte – wie auch schon bis anhin – die Anfechtbarkeit sämtlicher in einer solchen Versammlung gefasster Beschlüsse zur Folge.

Soll die Generalversammlung im Ausland stattfinden, haben die Statuten hierfür die Grundlage zu schaffen. Diese erfordert eine qualifizierte Mehrheit, d.h. 2/3 der Aktienstimmen und die Mehrheit der Aktiennennwerte. Weiter hat der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen, welcher auf Wunsch hin die Stimmen der nicht anwesenden Aktionäre ausübt.

Bei der Durchführung einer Generalversammlung im Ausland gilt es weiter zu beachten, dass Beschlüsse, die der öffentlichen Beurkundung unterliegen, nicht von einem Schweizer Notar beurkundet werden können. Diesbezüglich ist die Gesetzgebung am Tagungsort zu beachten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei Abhaltung der Generalversammlung im Ausland gegebenenfalls ein ausländischer Gerichtsstand für Anfechtungsklagen geschaffen wird. Soweit sowohl ein ausländischer, als auch ein inländischer Tagungsort gewählt wird, steht der Beurkundung der Beschlüsse durch einen am Tagungsort in der Schweiz (in seinem Hoheitskanton) anwesenden Notar nichts im Weg.

Für die Durchführung einer Generalversammlung an mehreren Tagungsorten (sofern nicht im Ausland) bedarf es keiner besonderen Statutenbestimmung. Es muss indes sichergestellt sein, dass die Versammlungen alle gleichzeitig durchgeführt werden und es müssen sämtliche Voten von allen Teilnehmern unmittelbar in Bild und Ton übertragen werden können. Bedürfen solche Generalversammlungsbeschlüsse der öffentlichen Beurkundung, reicht es aus, wenn sich der beurkundende Notar an einem der diversen physischen Tagungsorte befindet und von dort aus die Beschlüsse, die über virtuelle Übertragung auch an anderen Tagungsorten gefasst werden, beurkundet.

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c) Physische vs. virtuelle Durchführung der Generalversammlung

Neu ist es möglich, dass Aktionäre ihre Stimme an der Generalversammlung elektronisch ausüben (sog. «direct voting»). Bisher existierte lediglich die Möglichkeit, Instruktionen zuhanden eines Stimmrechtsvertreters elektronisch zu erteilen. Die Aktienrechtsrevision weitet die Aktionärsrechte diesbezüglich also aus. Eine statutarische Grundlage ist für die elektronische Stimmabgabe nicht erforderlich; die diesbezügliche Entscheidungskompetenz liegt beim Verwaltungsrat, wobei er die Sicherheitsvorschriften gem. Art. 701e Abs. 2 revOR zu wahren hat. Diese Bestimmungen beinhalten, kurz zusammengefasst, dass (i) die Identität der Aktionäre in jedem Fall feststellbar ist. Diesbezüglich geht das Spektrum von der Vorweisung einer Identitätskarte bis hin zur Anwendung einer Gesichtserkennungssoftware. Weiter ist an der virtuellen Generalversammlung sicherzustellen, dass (ii) eine unmittelbare Übertragung der Voten erfolgt (sog. Unmittelbarkeitsprinzip), (iii) jeder Aktionär aktiv teilnehmen und auch Anträge stellen kann, und (iv) das virtuell getroffene Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Diese Voraussetzungen zeigen, dass es also auch möglich sein wird, eine Generalversammlung ohne Bildübertragung, d.h. bspw. Lediglich per Telefon, durchzuführen.

Soll nicht nur die Stimmabgabe virtuell erfolgen, sondern die Generalversammlung als solche virtuell durchgeführt werden, ist eine statutarische Grundlage erforderlich. Kommt diese mit einer Mehrheit zustande, können sich einzelne Aktionäre somit nicht gegen eine virtuelle Durchführung der Generalversammlung wehren. Der Verwaltungsrat hat lediglich vorzusehen, dass die technischen Anforderungen die Teilnahme auch einem durchschnittlich begabten und mit technischen Hilfsmitteln ausgerüsteten Aktionär ermöglichen.

Das Rede- und Fragerecht an der virtuellen Generalversammlung ist selbstverständlich zu wahren. Somit muss eine unmittelbare Kommunikation in jedem Fall gewährleistet sein. Eine Durchführung per E-Mail ist nicht möglich, da diese das Unmittelbarkeitsprinzip nicht wahrt. Das gleiche Problem stellt sich bei der Übermittlung von Audiodateien. Bei kleineren Generalversammlungen ist daher zu überlegen, ob nicht eine Telefonkonferenz das einfachste, und den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich genügende, Mittel darstellt. Dies selbstverständlich vorausgesetzt, eine Identifizierung kann stattfinden, was aber insb. bei kleineren Gesellschaften meist der Fall sein wird.

Kommt es bei der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung zu nicht behebbaren technischen Problemen, muss die Versammlung zumindest teilw. wiederholt werden. Denn unter technischen Problemen gefasste Beschlüsse sind ungültig. Hiervon zu unterscheiden sind Schwierigkeiten, die im Verantwortungsbereich der Aktionäre liegen. Diese machen die Beschlussfassung nicht ungültig. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht flächendeckend und einen Grossteil der Aktionäre betreffen, wie bspw. bei einem Stromausfall oder einem breitflächigen Ausfall / Unterbruchs des Internets. Die Abgrenzung zwischen Problemen im Verantwortungsbereich der Gesellschaft bzw. eben der Aktionäre dürfte im Einzelfall schwierig sein und die Gesellschaften vor neue Herausforderungen stellen.

Müssen Beschlüsse in einer virtuellen Generalversammlung beurkundet werden, stellt sich die Frage, ob bezüglich des Hoheitsgebiets des betreffenden Notars besondere Regelungen gelten. Aktuell wird indes überwiegend die Meinung vertreten, die virtuelle Teilnahme auch des Notars sei unbegrenzt möglich, solange er sich physisch in seinem Hoheitsgebiet befindet und von dort aus die Beurkundung der virtuell gefassten Beschlüsse vornimmt.

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III. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, wird den Aktiengesellschaften nach revidiertem Aktienrecht ein breites Spektrum an neuen Möglichkeiten zur Seite gestellt, insb. wenn es darum geht, die Generalversammlung zu organisieren und durchzuführen. Dass Erneuerungen in diesem Bereich längst fällig sind, haben nicht zuletzt auch die vergangenen Monate gezeigt, in denen die Pandemie grössere Personenversammlungen verunmöglichte. Wie immer schaffen neue Möglichkeiten aber auch neue Herausforderungen, insb. im technischen Bereich. Zu begrüssen ist, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der neuen Regelungen auch kleinere Aktiengesellschaften im Fokus hatte, weshalb insb. für Gesellschaften mit kleinem Aktionärskreis mehr Flexibilität geschaffen wurde.


15. Februar 2021 / lic. iur. Patricia Geissmann


DIE TOTALREVISION DES DATENSCHUTZGESETZES: ÜBERBLICK ÜBER DIE WICHTIGSTEN NEUERUNGEN

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

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Am 25. September 2020 hat das Schweizer Parlament dem Entwurf zur Totalrevision des Datenschutzgesetzes (DSG) verabschiedet. Es wird voraussichtlich am 1. September 2023 in Kraft treten. Da das revidierte Datenschutzgesetz keine Übergangsfrist für die neu in Kraft tretenden Regelungen vorsieht, sollten die Anpassungen frühzeitig umgesetzt werden. Insgesamt beinhaltet das revidierte Datenschutzgesetz eine Verschärfung der bisherigen Bestimmungen. Zurückzuführen ist die Revision insbesondere auf internationale Abkommen mit der EU. Nachdem das Schutzniveau des schweizerischen Datenschutzgesetzes erheblich tiefer war, als dasjenige der EU, drohte die Schweiz als nicht angemessen regulierter Drittstaat qualifiziert zu werden, was erhebliche Schwierigkeiten im internationalen Datenaustausch mit sich gebracht hätte. Dies erklärt sodann auch die auffallende Angleichung des Schweizer Datenschutzrechts an die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU.

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I. RÄUMLICHER GELTUNGSBEREICH

Mit der Einführung des neuen Datenschutzgesetzes kommt analog zum Kartellrecht und zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) das Auswirkungsprinzip zum Tragen (Art. 3 revDSG). Demnach unterliegen auch Unternehmen mit ausländischem Sitz dem schweizerischen Datenschutzgesetz, wenn sich die Datenbearbeitung von Personendaten auf die Schweiz auswirkt. Wann sich eine Datenbearbeitung auf die Schweiz «auswirkt», ist im neuen Gesetz nicht definiert. Es dürften allerdings analoge Kriterien zur DSGVO herangezogen werden, womit das Angebot von Waren oder Dienstleistungen an Personen in der Schweiz ausreicht, damit das neue Datenschutzrecht der Schweiz greift. Liefert bspw. ein ausländisches Unternehmen seine Produkte auch in die Schweiz, so dürfte die Bearbeitung der Personendaten des Schweizer Kunden dem neuen Datenschutzgesetz unterstehen.

Unterliegt die Datenbearbeitung eines ausländischen Unternehmens dem schweizerischen Datenschutzrecht, so kann das Unternehmen unter Umständen dazu verpflichtet werden, eine Vertretung in der Schweiz zu bezeichnen, wie dies bereits die DSGVO für Drittstaaten analog vorsieht.

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II. DATEN JURISTISCHER PERSONEN UND BESONDERS SCHÜTZENSWERTE PERSONENDATEN

Die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes sind grundsätzlich nur auf die Bearbeitung von Personendaten anwendbar, sofern mittels den erfassten Daten ein Bezug oder eine Aussage zu einer bestimmten, individualisierbaren Person enthalten ist. Bisher gehörten hierzu auch Daten über juristische Personen. Mit der Revision des Datenschutzgesetzes fällt die Bearbeitung von Daten über juristische Personen nicht mehr unter dessen Anwendungsbereich (Art. 5 lit. a revDSG). Dies betrifft allerdings nur Daten über die juristische Person an sich. Auf die Daten über natürliche Personen eines Unternehmens (wie bspw. deren Mitarbeiter), kommt aber nach wie vor das Datenschutzrecht zur Anwendung.

Die aktuelle Fassung des Datenschutzgesetzes qualifiziert die religiösen, weltanschaulichen, politischen oder gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten, die Gesundheit, die Intimsphäre oder die Rassenzugehörigkeit, Massnahmen der sozialen Hilfe, administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen als besonders schützenswerte Personendaten (Art. 3 lit. c DSG). Neu gelten auch Daten zur Ethnie sowie genetische und biometrische Daten als besonders schützenswert (Art. 5 lit. c revDSG). Für besonders schützenswerte Personendaten gelten insbesondere erhöhte Anforderungen an die Einwilligung der betroffenen Personen zu deren Bearbeitung.

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III. BETROFFENENRECHTE

Mit Art. 6 Abs. 4 revDSG wird die Pflicht zur Vernichtung oder Anonymisierung der Personendaten eingeführt. Sobald diese zum Zweck der Datenbearbeitung nicht mehr erforderlich sind, müssen sie vernichtet oder zumindest anonymisiert werden. Dies bedingt wiederum, dass vorab eine Aufbewahrungsdauer für die erhobenen Personendaten festgelegt wird.

In Art. 25 revDSG findet sich neuerdings das Auskunftsrecht, welches heute noch in Art. 8 DSG geregelt ist. Nach wie vor sollen Betroffene hierüber Auskunft über die sie betreffenden Datenbearbeitungen erhalten. Unter bestimmten Umständen kann das Auskunftsrecht aber eingeschränkt werden, wenn überwiegende Interessen vorliegen (Art. 26 revDSG).

Im Weiteren erhalten betroffene Personen ein Recht auf Datenherausgabe und -übertragung («Datenportabilität», Art. 28 revDSG) sowie ein Widerspruchsrecht. Das Recht auf Datenherausgabe und -übertragung ist insofern beschränkt, als die Rechteausübung stets verhältnismässig sein muss und die Herausgabe der Daten in einem gängigen elektronischen Format erfolgen darf. Das Widerspruchsrecht hingegen nimmt Bezug auf automatisierte Einzelentscheidungen (Profiling). Die betroffene Person kann verlangen, dass das Profiling von einer natürlichen Person wiedererwägt wird (vgl. die Ausführungen zum Profiling).

Neu wurde das Berichtigungsrecht unter Art. 28 Abs. 1 revDSG bei den Rechtsansprüchen Betroffener geregelt, welches sich bisher ohnehin vom Grundsatz der Richtigkeit der Daten ableiten liess.

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IV. PROFILING («AUTOMATISIERTE EINZELENTSCHEIDE»)

Unter «Profiling» wird eine ausschliesslich automatisierte Entscheidfindung verstanden. Typisches Beispiel sind insbesondere Onlineshops, die das Surfverhalten ihrer Nutzer analysieren und diesen dann Kaufempfehlungen präsentieren. Neu unterscheidet das revidierte Datenschutzgesetz zwischen (gewöhnlichem) Profiling und «Profiling mit hohem Risiko». Gemäss Art. 5 lit. g revDSG liegt ein hohes Risiko vor, wenn die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person besonders gefährdet sind, indem das Profiling zu einer Verknüpfung von Daten führt, die eine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit einer natürlichen Person erlaubt.

Eine ausdrückliche Einwilligung durch die betroffene Person ist für das Profiling nach wie vor nicht erforderlich. Es gilt allerdings weiterhin, dass bei einer persönlichkeitsverletzenden Datenbearbeitung eine Einwilligung oder ein Rechtfertigungsgrund für die Datenbearbeitung bzw. das Profiling erforderlich ist. Liegt ein «Profiling mit hohem Risiko» vor, so muss die Einwilligung eine ausdrückliche sein.

Betroffene können u.U. verlangen, dass die automatisierte Entscheidfindung durch eine natürliche Person überprüft wird. Als klassisches Beispiel dürfte hier die Bonitätsprüfung dienen (bspw. bei der Vergabe eines Leasingvertrages). Sollte die Bonitätsprüfung negativ ausfallen, kann die betroffene Person eine Überprüfung durch eine natürliche Person verlangen, sofern sie vorgängig nicht ausdrücklich einer vollständig automatisierten Entscheid-findung zugestimmt hat. Bezüglich einer allfälligen Bonitätsprüfung ist ergänzend anzumerken, dass deren Durchführung unter dem revidierten Datenschutzgesetz nur noch unter strengen Voraussetzungen zulässig ist (Art. 30 Abs. 2 lit. c revDSG).

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V. PFLICHTEN FÜR DATENSCHUTZVERANTWORTLICHE IM EINZELNEN

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1) INFORMATIONSPFLICHT

Neu greift eine verschärfte Informationspflicht (Art. 19 revDSG). Demnach müssen betroffene Personen i.S. der Transparenz vorab über die beabsichtigte Datenbearbeitung informiert werden. Die Informationspflicht umfasst im Wesentlichen Angaben über die Bearbeitungszwecke, die verantwortliche Person der Datenbearbeitung (sofern eine solche ernannte wurde) sowie über die Empfänger bei Übermittlung von Daten und auch über eine etwaige Übermittlung ins Ausland (inkl. Information über die Rechtsgrundlage für Exporte in unsichere Länder). Zudem wird wohl über eine allfällige automatisierte Entscheidung oder andere Profiling-Massnahmen zu informieren sein. Diese Informationspflicht dürften die Verantwortlichen durch die Publikation / Abgabe einer rechtsgenüglichen Datenschutzerklärung nachkommen.

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2) DATENVERARBEITUNGSVERZEICHNIS

Neu sind Verantwortliche verpflichtet, ein Verzeichnis über die Datenbearbeitungstätigkeiten zu führen (Art. 12 revDSG), was einen erheblichen Aufwand mit sich bringen kann. Hingegen dürfte der Bundesrat für KMUs Erleichterungen zum Datenverarbeitungsverzeichnis vorsehen (Art. 12 Abs. 5 revDSG). Das Datenverarbeitungs-verzeichnis soll einen Überblick über die wichtigsten unternehmensinternen Datenverarbeitungsprozesse beinhalten und muss regelmässig aktualisiert werden. Die notwendigen Mindestangaben sind in Art. 12 Abs. 2 revDSG aufgeführt.

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3) DATENSCHUTZFOLGEABSCHÄTZUNG («DSFA»)

Soll unternehmensintern eine neue Datenbearbeitung eingeführt werden, besteht neuerdings eine Pflicht zur Vornahme von Datenschutz-Folgenabschätzungen (kurz: «DSFA»), sofern die fragliche Datenbearbeitung ein hohes Risiko für die betroffene Person mit sich bringen kann (Art. 20 Abs. 1 revDSG). Sie muss insbesondere Erwägungen über die Risiken der geplanten Datenbearbeitungen beinhalten, sowie allfällige Massnahmen vorsehen, mit welchen diesen begegnet werden kann. Führt die DSFA zum Ergebnis, dass die Datenbearbeitung ein hohes Risiko für die betroffenen Personen mit sich bringt, so besteht eine vorgängige Konsultationspflicht beim EDÖB (Art. 21 Abs. 1 revDSG, wobei Ausnahmen bestehen, wenn ein unternehmensinterner Datenschutzberater vorgängig konsultiert wurde).

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.4) «PRIVACY BY DESIGN» UND «PRIVACY BY DEFAULT»

Unter «privacy by design» (vgl. Art. 7 revDSG) ist die Pflicht zur Gewährleistung eines rechtsgenüglichen Datenschutzes in der Gestaltung von Systemen zu verstehen. Dies bedeutet, dass alle zumutbaren technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, um die aufbewahrten Personendaten i.S. von Art. 6 revDSG zu schützen. «privacy by design» ergänzt Art. 7 DSG, welcher neu in Art. 8 revDSG geregelt ist und auf die Datensicherheit im engeren Sinne Bezug nimmt.

«privacy by default» (vgl. Art. 7 Abs. 3 revDSG) verpflichtet Verantwortliche im Weiteren, den Datenschutz durch Voreinstellungen zu gewährleisten. Sollte also ein Verantwortlicher mehrere Möglichkeiten der Datenbearbeitung vorsehen und die Auswahl hierüber den betroffenen Personen überlassen, so haben die Voreinstellungen grundsätzlich eine möglichst geringfügige Datenbearbeitung vorzusehen. Die betroffene Person kann dann selbstverständlich auch in eine weitergehende Datenbearbeitung einwilligen.

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5) AUFTRAGSBEARBEITUNG

Gemäss Art. 5 lit. k revDSG gilt als Auftragsbearbeiter, wer im Auftrag eines Verantwortlichen Personendaten bearbeitet. Erforderlich ist, dass der Auftragszweck in der Bearbeitung von Personendaten liegt (bspw. externe Lohnbuchhaltung). Ist die Datenbearbeitung lediglich ein Mittel zur Auftragserfüllung, so liegt keine Auftragsbearbeitung vor.

Wird ein Auftragsbearbeiter eingesetzt, muss der Verantwortliche dafür sorgen, dass der Auftragsbearbeiter die Daten nur so bearbeitet, wie der Verantwortliche selbst dazu berechtigt wäre (Art. 9 revDSG). Der Auftragsbearbeiter darf die Daten also nicht zu seinem eigenen Zweck bearbeiten. Der Verantwortliche ist mithin nicht nur für die eigene Datenbearbeitung, sondern auch für diejenige des Auftragsbearbeiters in der Pflicht. Um sich rechtsgenüglich abzusichern, ist der Abschluss einer Auftragsbearbeitungsvereinbarung ratsam. Neu ist sodann, dass die Weitergabe der Daten an einen Subunternehmer eine vorgängige Genehmigung durch den Verantwortlichen erfordert.

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6) MELDEPFLICHT: DATA BREACH

Liegt eine Datenschutzverletzung vor (bspw. Datenverluste oder wenn Daten Unbefugten offengelegt / zugänglich gemacht wurden), hat der Verantwortlich diese dem EDÖB unverzüglich zu melden, sofern diese voraussichtlich ein grosses Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der Betroffenen birgt (Art. 22 revDSG). Die Verletzung der Datensicherheit muss der betroffenen Person im Übrigen nur mitgeteilt werden, sofern dies zu ihrem Schutz erforderlich ist oder vom EDÖB verlangt wird. Im Unterschied zur DSGVO sieht das revDSG keine starre 72-Stunden-Meldefrist und keine Protokollierungspflicht vor.

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7) BERUFSGEHEIMNIS

Für geheime, besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile sieht das aktuelle Datenschutzgesetz bereits eine berufliche Schweigepflicht vor (Art. 35 DSG). Neuerdings gilt die berufliche Schweigepflicht für sämtliche geheimen Personendaten, von denen jemand bei der Ausübung eines Berufes Kenntnis erlangt hat, der die Kenntnis solcher Daten erfordert (Art. 62 revDSG). Damit wurde de facto eine Schweigepflicht für alle Berufstätigen eingeführt. Der Verstoss gegen das Berufsgeheimnis kann mit Busse bis zu CHF 250’000.00 geahndet werden.

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VI. DATENTRANSFER INS AUSLAND

Werden Daten ins Ausland übermittelt, so muss entsprechend darüber informiert werden (Art. 19 Abs. 4 revDSG; vgl. die Ausführungen zu den Informationspflichten). Im Rahmen der Datenschutzerklärung muss im Weiteren bekannt gegeben werden, gestützt auf welcher Grundlage der Datenexport stattfindet. Der Bundesrat legt diesbezüglich verbindlich fest, welche Länder einen angemessenen Datenschutz gewährleisten. Erachtet der Bundesrat das Datenschutzniveau im betroffenen Land als angemessen, ist die Datenübermittlung ohne besondere Vorkehrungen zulässig (Art. 16 Abs. 1 revDSG). Handelt es sich hingegen um einen unsicheren Drittstaat, müssen weitere Massnahmen ergriffen werden (wie bspw. die Verwendung bestimmter Datenschutzklauseln), damit eine datenkonforme Übermittlung der Daten ins Ausland erfolgen kann (Art. 16 Abs. 2 und Art. 17 revDSG). Insbesondere nachdem auch das EDÖB in seiner Stellungnahme vom 8. September 2020 festgehalten hat, dass die Swiss-US Privacy Shield Zertifizierung keine ausreichende Garantie für einen Datentransfer in die USA gewährleiste, sind vertragliche Garantien bei Datentransfers in die USA genau zu prüfen.

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VII. KOMPETENZEN EDÖB UND SANKTIONEN

Mit dem revidierten Datenschutzgesetz wurden die Kompetenzen des EDÖB (Eidgenössischer Daten- und Öffentlichkeitsberater) ausgebaut. Bisher konnte dieser lediglich Empfehlungen aussprechen. Neu ist er berechtigt, verbindliche Verfügungen zu erlassen und Massnahmen anordnen (Art. 50 und 51 revDSG). Die Kompetenz, fehlbare Verantwortliche zu büssen, obliegt allerdings allein den kantonalen Strafverfolgungsbehörden (Art. 65 Abs. 1 revDSG). Die Maximalbusse liegt neu bei CHF 250’000.00 (Art. 60, 61 und 63 revDSG) und richtet sich gegen die verantwortliche natürliche Person (und damit nicht gegen das Unternehmen).

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22. Januar 2021 / MLaw Simone Küng


DIE VERWIRKUNG IM SCHWEIZERISCHEN MARKENRECHT

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Seraina Keller

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

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Trotz grosser praktischer Tragweite kennt das Schweizer Markenrecht – im Gegensatz zur EU – keine explizite Bestimmung zur Verwirkung markenrechtlicher Ansprüche und insbesondere keine exakte Verwirkungsfrist. Dennoch anerkennen Rechtsprechung und Lehre, dass markenrechtliche Ansprüche gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) verwirken können. Die Rechtsmissbräuchlichkeit wird im widersprüchlichen Verhalten des Berechtigten gesehen (venire contra factum proprium), indem dieser zunächst die Verletzung seiner älteren Marke duldet, dann aber doch gerichtlich gegen den Verletzer vorgeht.

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I. VORAUSSETZUNGEN DER VERWIRKUNG

Eine Verwirkung kennzeichenrechtlicher Abwehransprüche setzt nach Lehre und Rechtsprechung voraus, dass a) der Verletzte während längerer Zeit inaktiv geblieben, b) der Berechtigte Kenntnis über das an sich verletzende Verhalten hatte oder dieses zumindest erkennbar war, c) der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erworben hat und d) der Verletzer gutgläubig war. Diese vier Voraussetzungen sind nachfolgend näher zu prüfen.

a) INAKTIVITÄT DES VERLETZTEN

Für den Eintritt der Verwirkung muss der Verletzte untätig geblieben sein, obwohl ein Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Löschungsanspruch besteht und er tatsächlich die Möglichkeit zur Rechtsausübung hatte.

Grundsätzlich ist die Untätigkeit des Verletzten ab dem Zeitpunkt relevant, ab welchem dieser Kenntnis von der Verletzung erhielt und damit sein Recht erstmals hätte ausüben können. In der Praxis dürfte der Beweis der positiven Kenntnis nicht ganz einfach zu erbringen sein, weshalb auf den Zeitpunkt abgestellt wird, ab welchem der Berechtigte Kenntnis von der Verletzung hätte haben müssen. Erst nach Ermittlung dieses Zeitpunkts kann festgestellt werden, wie lange der Verletzte zugewartet hat. Nach welcher Dauer Inaktivität des Verletzten vorliegt, ist in der Lehre umstritten; diese wird zwischen vier und zehn Jahren angenommen.[1]

Auch das Bundesgericht kennt keine einheitliche Regelung bezüglich der Dauer. Mit Urteil vom 2. März 2006 (BGer 4C.371/2005) erachtete es eine zweijährige Untätigkeit bereits als verwirkungsrelevant, in früheren Urteilen liess es eine Duldung ab sieben Jahren als verwirkungsrelevant gelten. Als Kriterium nennt das Bundesgericht, dass es entscheidend sei, ob beim Verletzer der Eindruck entsteht, der Berechtigte dulde die Verletzung.

Es wird ersichtlich, dass weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre einheitlich definiert ist, nach welcher Dauer von Inaktivität des Verletzten ausgegangen wird, sondern dies vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig ist.

b) KENNTNIS BZW. ERKENNBARKEIT DER VERLETZUNG

Dem untätig gebliebenen Inhaber der älteren Marke kann ein widersprüchliches Verhalten nur dann vorgeworfen werden, wenn er während seiner Untätigkeit Kenntnis von der Verletzung hatte und diese duldete. Von positiver Kenntnis seitens des Berechtigten wird bspw. ausgegangen, wenn der Inhaber der jüngeren Marke bei diesem um Einwilligung zur Markenanmeldung und –benutzung ersuchte oder wenn der Berechtigte Letzteren abgemahnt hat. Indessen ist die verzögerte Rechtsausübung nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann missbräuchlich, wenn sie auf fahrlässige oder gar unverschuldete Unkenntnis der Rechtsverletzung zurückzuführen ist (BGE 117 II 575, E. 4). Diesfalls stützt sich die Verwirkung nicht auf das widersprüchliche Verhalten des Verletzten, sondern ist Folge seines fehlenden Interesses oder des krassen Missverhältnisses der sich gegenüberstehenden Interessen. Damit dem Berechtigten fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden kann, ist zu prüfen, ob der Berechtigte es sorgfaltswidrig unterlassen hat, den Markt auf gegnerische Zeichen hin zu beobachten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welches Mass an Sorgfalt vom Berechtigten bei der Überwachung des Marktes auf verletzende Zeichen erwartet werden kann. Dabei ist entscheidend, ob der Verletzer aufgrund seines Auftretens in der Öffentlichkeit davon ausgehen darf, dass der Berechtigte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von der Verletzung Kenntnis erlangen kann und wahrscheinlich Widerspruch erheben wird. Seitens des Berechtigten ist zu prüfen, ob es sich um ein Unternehmen handelt, das regelmässig Marktbeobachtungen durchführt und bei Verletzungen sofort reagiert. Dies dürfte bei grösseren Unternehmen eher der Fall sein.

c) WERTVOLLER BESITZSTAND

Für die Verwirkungseinrede entscheidend ist sodann, ob es dem Inhaber der jüngeren Marke zuzumuten ist, den im Vertrauen auf die Untätigkeit des Berechtigten geschaffenen Besitzstand wieder aufzugeben. Für die Beantwortung der Frage, ob ein wertvoller Besitzstand geschaffen wurde, ist der Blick auf die gesamte wirtschaftliche Bedeutung der Zeichenverwendung auszuweiten, d.h. es ist nicht alleine auf den Umsatz mit dem betroffenen Zeichen in einem bestimmten Land abzustellen. Ein wertvoller Besitzstand fehlt, wenn die jüngere Marke nicht oder nur sporadisch genutzt wird und sich keine Werbeanstrengungen nachweisen lassen. Nur ein intensiv genutztes und in den massgebenden Verkehrskreisen gekanntes Zeichen kann einen wertvollen Besitzstand verkörpern. Der Richter muss folglich prüfen, ob der Verletzer eine derart starke Wettbewerbsstellung erlangt hat, von der angenommen wird, der Verletzer könne das alte Zeichen nicht ohne ernsthafte Nachteile durch ein neues ersetzen.

d) GUTGLÄUBIGKEIT

Schliesslich muss der Verletzer in Bezug auf die Zulässigkeit der Benutzung des eigenen Zeichens gutgläubig sein. In der Praxis wird es kaum möglich sein, den guten Glauben des Verletzers zu beweisen, weshalb der Richter auf Indizien und seine Lebenserfahrung abzustellen hat. Ein Indiz für Gutgläubigkeit ist, wenn der Verletzer vor Einführung seines Kennzeichens den Markt auf prioritätsältere Zeichen überprüfte und sich ein solches nicht finden liess und das ältere Zeichen auch in keinem Register eingetragen war. Weiter dürfte Gutgläubigkeit vorliegen, wenn die ältere Marke wenig bekannt war oder das neue Zeichen kein Anlass zu Verwechslung mit der älteren Marke gibt. Schliesslich kann als Indiz für die Gutgläubigkeit auch die Tatsache gelten, dass dem Verletzer bekannt ist, dass ähnliche Zeichen durch den prioritätsälteren Markeninhaber toleriert werden.

II. RECHTSFOLGEN DER VERWIRKUNG

Sind alle vier Voraussetzungen erfüllt, lässt sich als Rechtsfolge der Verwirkung ein an sich begründeter markenrechtlicher Anspruch gerichtlich nicht mehr durchsetzen. Dabei gilt es zu beachten, dass dies nur inter partes gilt, d.h. die Rechtsfolgen entfalten sich nur gegenüber demjenigen, der die Verwirkung zu seinen Gunsten einwendet. Auch tritt die Verwirkung nicht für sämtliche Produkte, sondern nur für diejenigen, für welche der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erworben hat, ein.

III. VERGLEICH ZUR EU

Nach Art. 9 der Europäischen Markenrechtsrichtlinie setzt die Verwirkung die Duldung (trotz Kenntnis) durch den prioritätsälteren Markeninhaber während fünf aufeinanderfolgenden Jahren voraus. Das EU-Recht hat damit eine starre Verwirkungsfrist statuiert, während die Zeitdauer bis zum Verwirkungseintritt nach Schweizer Recht gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot variabel ist, von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist und entsprechend auch bereits vor fünf Jahren eintreten kann. Als weiterer Unterschied zum Schweizer Recht tritt die Verwirkung nach EU-Recht unabhängig von der Tatsache ein, ob der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erlangt hat. Demgegenüber kann die Verwirkung – wie im Schweizer Recht – auch bei fahrlässiger Unkenntnis des Verletzten eintreten, da Letzteren eine Sorgfaltspflicht trifft. Schliesslich ist der kennzeichenrechtliche Begriff der Bösgläubigkeit ein anderer, da das Schweizer Rechtsmissbrauchsverbot anfängliche Bösgläubigkeit des Verletzers duldet.

IV. FAZIT

Der Verwirkungstatbestand ist im Schweizer Recht nicht normiert; nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist er als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchsverbotes von Art. 2 Abs. 2 ZGB (venire contra factum proprium) ohne Bindung an starre Regeln und stets unter Würdigung des Einzelfalls sowie nach richterlichem Ermessen zu beurteilen. Im Ergebnis führt dies – im Unterschied zur starren EU-Verwirkungsfrist von fünf Jahren – zu vielen Unklarheiten und unterschiedlichen Auslegungen, lässt dafür aber auch Spielraum für eine einzelfallgerechte Beurteilung offen.

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[1] Nach Marbach setzt die Verwirkung kaum vor fünf Jahren ein und dürfte nach Ablauf von zehn Jahren aber meistens eingetreten sein, Marbach, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, S. 214; David bejaht die Verwirkung nach vier Jahren, David, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, N 46 zu Vorbemerkungen zum 3. Titel; für Killias und Schlosser sind fünf Jahre massgebend, Killias, La mise en oeuvre de la protection des signes distinctifs, S. 390 f; Schlosser, La péremption en matière de signes distinctifs, in: sic! 2006 p. 549 ff., S. 557; für Hilti gelten acht Jahre, Hilti, Firmenrecht, S. 92.


20. Oktober 2020 / MLaw Simone Küng unter Mithilfe von MLaw Seraina Keller,


LEX KOLLER: DER ERWERB VON GRUNDSTÜCKEN IM RAHMEN EINER VERMÖGENSÜBERNAHME

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Zentrum des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG, «Lex Koller») steht in der Regel der Erwerb von einzelnen Grundstücken in der Schweiz, d.h. also von einem Teil des schweizerischen Bodens. Zudem definiert das BewG diverse andere Erwerbsgeschäfte, die in einem Zusammenhang mit Grundstücken stehen, ebenfalls als Grundstückerwerbsgeschäfte – dies geht soweit, dass sogar Geschäfte, die dem Erwerber eine nur ähnliche Stellung wie dem Eigentümer eines Grundstücks verschaffen, ebenfalls als Grundstückerwerbsgeschäfte betrachtet werden und unter die Lex Koller fallen. Es gibt somit einen breiten Fächer von Geschäften, die ebenfalls als Grundstückerwerbsgeschäfte gelten, obwohl kein Eigentum an einem Grundstück erworben wird bzw. die Stellung des Erwerbers nur ähnlich der eines Grundeigentümers ist; oft gilt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, die danach fragt, ob jetzt ein Erwerber an einem Grundstück eine Position erworben hat, die es verdient, als eigentümerähnliche Stellung bezeichnet zu werden, und die es verdient, deshalb unter die Lex Koller zu fallen.

Den ganzen Fächer der unter die Lex Koller fallenden Grundstückerwerbsgeschäfte zu besprechen, ist aber nicht Thema dieses Artikels.

I. KONKRETE DISKUSSION HIER

In der Regel knüpft die Bewilligungspflicht gemäss Lex Koller wie gesagt ganz konkret und direkt bei einem Grundstück an bzw. einem einzelnen (wie oben beschriebenen) Erwerbsgeschäft, das als Grundstückerwerbsgeschäft gilt. Es geht – juristisch ausgedrückt – um Singularsukzession. Eine Partei erwirbt von einer anderen ein spezielles Recht im Zusammenhang mit einem Grundstück, und bei diesem speziellen Grundstückerwerbsgeschäft knüpft die Frage der Bewilligungspflicht an. Wenn zum Beispiel eine Person im Ausland 100 Grundstücke in der Schweiz erwerben will, davon aber 99 Grundstücke Betriebsstättengrundstücke sind, die nicht unter die Bewilligungspflicht fallen, und ein Grundstück eine Wohnliegenschaft ist, dann knüpft die Bewilligungspflicht allein beim Erwerb dieser einzelnen Wohnliegenschaft an, weil es sich dabei um ein (objektiv) bewilligungspflichtiges Grundstück gemäss Lex Koller handelt.

II. AUSNAHMEN VOM GRUNDSATZ

In Art. 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewV) wird eine meines Erachtens sehr auffällige Ausnahme von dieser Regel gemacht, und zwar für die Übernahme von Grundstücken zusammen mit einem Vermögen oder Geschäft gemäss Art. 181 OR oder die Übernahme eines Grundstücks durch Fusion, Spaltung, Umwandlung oder Vermögensübertragung nach dem Fusionsgesetz vom 3. Oktober 2003 – allerdings nur für den Fall, dass sich im Zusammenhang mit dieser Transaktion die Rechte des Erwerbers an diesem (bewilligungspflichtigen) Grundstück nicht vermehren. Anders ausgedrückt: Wenn eine Person im Ausland durch eine solche soeben genannte Transaktion ein Grundstück erwirbt, das der objektiven Bewilligungspflicht unterliegt (bei Wohnliegenschaften und i.d.R. bei Bauland), und wenn sich dadurch die Rechte des Ausländers an diesem (bewilligungspflichtigen) Grundstück nicht vermehren, dann unterliegt dieses Erwerbsgeschäft nicht der Bewilligungspflicht. Wenn zum Beispiel eine ausländische juristische Person eine 100-prozentige Tochtergesellschaft hat, in welcher sich ein bewilligungspflichtiges Grundstück befindet, dann kann sie auf dem Weg der Vermögensübernahme gemäss Art. 181 OR oder gemäss Fusionsgesetz (FusG) ganze Vermögen oder Teile davon übernehmen, und zwar bewilligungsfrei, und auch wenn sich in diesem Vermögen oder dem Teilvermögen bewilligungspflichtige Grundstücke in der Schweiz befinden, da diese Person im Ausland indirekt über die Tochtergesellschaft bereits Rechte an diesen Grundstücken hatte. Es gilt hier eine wirtschaftliche Betrachtungsweise – und der Erwerb ist trotz der Tatsache, dass die ausländische Person (Holdinggesellschaft) vorher nur indirekte Eigentümerin eines Grundstücks war (über eine Tochtergesellschaft) und diese Person im Ausland durch diese Transaktion direkte Eigentümerin des Grundstücks wird, nicht bewilligungspflichtig. Damit ein solcher bewilligungsfreier Grundstückerwerb geschehen kann, braucht es wie gesagt eine Transaktion gemäss Art. 181 OR oder gemäss Fusionsgesetz – wenn die Muttergesellschaft von ihrer Tochter nicht auf einem solchen Weg das Grundstück erwerben würde, sondern einzig und allein das Grundstück erworben würde, dann käme diese soeben genannte Regelung nicht zur Anwendung. Mit anderen Worten ergibt sich, dass das BewG in dieser Gruppe von ganz speziellen Erwerbsgeschäften nicht einfach nach dem zu erwerbenden Grundstück fragt, nicht einfach beim Erwerb dieses konkreten Grundstücks ansetzt, sondern wirtschaftlich betrachtet danach fragt, ob ein ganzes Vermögen oder ein Teil davon übertragen wird – und wenn dies der Fall ist, dann kann bewilligungsfrei zusammen mit diesem Vermögen oder diesem Teilvermögen auch ein bewilligungspflichtiges Grundstück erworben werden, obwohl in der Regel das direkte Eigentum an diesem Grundstück wohl auf den Erwerber und neuen (direkten) Eigentümer übergehen wird.  Und diese Regel gilt auch bei Übernahme von Vermögen nach Art. 181 OR, obwohl hier jedes einzelne Grundstück durch Singularsukzession übertragen werden muss. Das BewG wendet hier eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise an.

III. UND BEIM ERWERB VON GRUNDSTÜCKEN DURCH ERBSCHAFT?

Der folgenden Diskussion soll die Ausgangslage zu Grunde liegen, dass ein Erblasser seinen gesamten Nachlass an einen einzigen Erben überträgt. Mit dem Tod des Erblassers erwirbt der Erbe auf dem Weg der Universalsukzession Eigentum am ganzen Nachlassvermögen. Es braucht dazu keine speziellen Übertragungshandlungen. Die Frage, ob das BewG zu diesem Vermögenserwerb eine spezielle Regelung bereithält, kann nicht ganz klar beantwortet werden. Wenn der Autor die Praxis richtig sieht, hält sie sich in der Regel daran, dass der Erbe, der nicht gesetzlicher Erbe ist (der gesetzliche Erbe bedarf im Rahmen des Erwerbs im Erbgang keiner Bewilligung), und der auch keinen Bewilligungsgrund hat, und in dessen Erbe sich ein bewilligungspflichtiges Grundstück befindet, Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung hat, jedoch mit der Auflage, das Grundstück innert 2 Jahren wieder zu veräussern. Er kann also den Wert realisieren, hat aber keinen Anspruch darauf, das Grundstück über die 2 Jahre hinaus behalten zu können.

Wie verhält es sich aber bei einem Universalerben, der die ganze Erbschaft erwirbt, und wobei bereits durch Universalsukzession das Eigentum übergeht (es also keiner speziellen Übertragungshandlungen mehr bedarf)? – Hier darf man sich mit Fug und Recht fragen, ob nicht zumindest eine Lücke im BewG besteht oder ob nicht sogar das BewG so ausgelegt werden darf und muss, dass bei einer solchen Art von Universalsukzession nach den Regeln von Art. 1 Abs. 1 lit. b BewV vorgegangen werden darf und muss. Der Universalerbe tritt bezüglich des vererbten Vermögens in der Sekunde des Todes des Erblassers in seine Rechte ein und wird neuer Berechtigter am gesamten hinterlassenen Vermögen. Dann ist es nicht abwegig bzw. drängt es sich sogar auf, diesen Universalerben so zu betrachten wie oben die ausländische Holdinggesellschaft einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft, von der sie jetzt entweder durch Vermögensübernahme ein Grundstück miterwirbt oder welche sie zum Beispiel in sich hineinfusioniert. Man könnte sich höchstens fragen, ob der Erbe durch den Erwerb des gesamten Nachlasses tatsächlich nicht mehr Rechte erwirbt als er vorher bereits hatte – dies ist vielleicht eine etwas spitzfindige Frage. Der Erbe ist praktisch die «Fortsetzung» des Erblassers. Mit dem Tod des Erblassers tritt der Erbe an die Stelle des Erblassers bezüglich seines Nachlasses. Somit dürfte auch gesagt werden, dass der Erbe eigentlich bereits beim Vermögensanfall durch Universalsukzession schon mindestens eine eigentümerähnliche Stellung über das gesamte Nachlassvermögen hatte und er in diesem Sinne nichts anderes als die «Fortsetzung» oder der Ersatz des Erblassers ist. Ich würde anregen, dass die Rechtsprechung sich einmal mit diesem vielleicht etwas neuen oder gewagten Gedanken befassen und sogar zur Lösung gelangen sollte, dass zumindest dann, wenn ein Erbe durch Universalsukzession als Alleinerbe das gesamte Nachlassvermögen erwirbt, er für den Erwerb der sich im Nachlassvermögen befindenden (auch bewilligungspflichtigen) Grundstücke nicht der Bewilligungspflicht unterliegt.


19. Oktober 2020 / Hanspeter Geissmann


STOLPERSTEINE BEI DER UNTERNEHMENSNACHFOLGE

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden
MLaw Simone Küng

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden
Lic. iur. Patricia Geissmann

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Die Suche nach einem Nachfolger für das eigene Unternehmen kann viel Zeit für sich beanspruchen. Umso grösser ist die Freude, wenn der passende Nachfolger gefunden ist. Die Abwicklung der Nachfolgeregelung im Unternehmen kann hingegen diverse gesellschaftsrechtliche wie auch steuerrechtliche Fallen mit sich bringen. Während der Verkauf des Unternehmens unbedingt vertraglich abgesichert sein sollte, sind vor der Veräusserung auch familieninterne ehe- und erbrechtliche Ansprüche zu prüfen. Die Unternehmensnachfolge birgt folglich einige Stolpersteine, welche es zu vermeiden gilt. Anhand dreier Beispiele für Nachfolgeregelungen aus der Praxis werden nachfolgend einzelne dieser Stolpersteine aufgezeigt, analysiert und dazugehörige Lösungsvorschläge unterbreitet.

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I. UNTERNEHMENSEXTERNE NACHFOLGEREGELUNG (VERKAUF AN EINEN UNBETEILIGTEN DRITTEN)

Im vorliegenden Fall wurde die Muster AG von Herrn Meier gegründet. Er führte das Unternehmen über 20 Jahre lang erfolgreich, bis er seinen Ruhestand plante. Er lernte Herrn Vogt kennen und verkaufte ihm das Unternehmen für CHF 1.5 Mio. Zur Übernahme gründete Herr Vogt die Muster Holding AG, welche die Aktien mit Hilfe eines Bankkredits von Herrn Meier kaufte. Bei der Muster AG handelte es sich um ein Dienstleistungsunternehmen, welches weitgehend personenbezogen geführt wurde. Entsprechend vereinbarten die Parteien, dass Herr Meier Herrn Vogt den Kunden der Muster AG als seinen Nachfolger vorstellen (Anbindung der Kunden) und selbst noch einige Jahre im Betrieb tätig sein wird (Know-how-Transfer), bevor er sich definitiv pensionieren lässt. Der Kaufpreis von CHF 1.5 Mio. basierte hauptsächlich auf prognostizierten Umsatzzahlen. Nur wenige Monate nach Vertragsunterzeichnung verliess Herr Meier die Muster AG, gründete nur wenige Kilometer entfernt ein Konkurrenzunternehmen, nahm den Grossteil der Mitarbeiter der Muster AG mit und warb nahezu alle bisherigen Kunden der Muster AG für sein neues Konkurrenzunternehmen ab. In der Folge brach der Umsatz der Muster AG massiv zusammen und die Rückzahlung des Bankkredits war gefährdet. Wie konnte es so weit kommen?

Herr Meier wurde vertraglich nicht an die Muster AG gebunden – weder in Form eines (befristeten) Arbeitsvertrages noch in Form einer Gewährleistung im Aktienkaufvertrag. Weiter vereinbarten die Parteien im Aktienkaufvertrag nur ein ungenügendes Konkurrenzverbot, welches de facto die Tätigkeit an sich in einem Konkurrenzunternehmen nicht untersagte. Auch ein Abwerbeverbot von Kunden oder der Mitarbeiter wurde in keiner Weise vertraglich vereinbart und obwohl der Kaufpreis der Muster AG nahezu nur auf Umsatzzahlen basierte, wurde von Herrn Meier keinerlei Gewährleistung für zukünftige Umsatzzahlen übernommen. Dies bedeutet, dass eine Kaufpreisrückerstattung oder eine nachträgliche Kaufpreisanpassung bei Umsatzeinbruch nicht vertraglich abgesichert war. Sämtliche Punkte hätten im Rahmen eines Aktienkaufvertrages schriftlich geregelt und abgesichert werden können und sollen.

Der Aktienkaufvertrag enthielt hingegen eine andere Bestimmung, nämlich zur sog. «indirekten Teilliquidation». Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen sind grundsätzlich steuerfrei. Dies bedeutet, dass der Kaufpreis, den Herr Meier für die Muster AG erhalten hat, grundsätzlich nicht zu versteuern ist. Ausnahmen bestehen bei der Veräusserung von mind. 20% der Aktien von einer Privatperson an eine juristische Person sofern nicht betriebsnotwendige Substanz (Gewinnvorträge, Reserven), welche bereits am Vollzugstag des Verkaufs der Muster AG vorhanden war, innert 5 Jahren durch den Käufer, vorliegend Herrn Vogt, entnommen werden. Würde Herr Vogt also in einem Zeitrahmen von 5 Jahren nach dem Vollzug des Kaufvertrages bereits bestehende, nicht betriebsnotwendige Substanz ausschütten, hat Herr Meier nachträglich einen Teil des Kaufpreises als Einkommen zu versteuern. Um einer solchen Steuerforderung vorzubeugen, kann der Verkäufer entweder vor dem Verkauf seiner Gesellschaft sämtliche handelsrechtlich ausschüttungsfähige und nicht betriebsnotwendige Substanz ausschütten oder er sichert sich – wie im vorliegenden Fall ­ über den Aktienkaufvertrag ab, in dem er die ihn betreffenden potentiellen Steuerfolgen vertraglich auf den Käufer abwälzt.

Dem Thema der indirekten Teilliquidation ist bei der Gründung einer sog. «Akquisitionsholding», wie im vorliegenden Fall die Muster Holding AG, welche die Aktien des zu erwerbenden Unternehmens kaufte somit besondere Beachtung zu schenken. Eine Akquisitionsholding wird vornehmlich deshalb gegründet, damit die aus der Muster AG fliessenden Dividenden steuerbegünstigt an die Muster Holding AG fliessen und eine kurzfristigere Rückzahlung des Akquisitionskredits gewährleisten.

II. UNTERNEHMENSINTERNE NACHFOLGEREGELUNG (MANAGEMENT BUY-OUT)

A und B haben die XY-AG gegründet und möchten die langjährigen Mitarbeiter C und D als Nachfolger nachziehen. C und D sind bereits mit Aktien an der XY-AG beteiligt. Nun sollen auch die restlichen Aktien von A und B an C und D veräussert werden, womit die XY-AG vollumfänglich an C und D übergehen würde. Auch hier gründeten die Käufer (C und D) zur Kaufpreisfinanzierung eine Akquisitionsholding. Im Rahmen der Gründung der Holding brachten C und D ihre bisherigen Aktien an der XY-AG zum inneren Wert, d.h. zum Verkehrswert, als Sacheinlage in die Akquisitionsholding ein.

A und B haben sich bewusst für die langjährigen Mitarbeiter C und D als Nachfolger entschieden (interne Nachfolge). Damit die Wunschnachfolge nicht am Kaufpreis scheiterte, entschieden sich A und B, C und D die Aktien an der XY-AG vergünstigt weiterzugeben. Die Folge dieser Transaktion: Massive Steuernachzahlungen auf Seiten von C und D und zwar aus unterschiedlichen Gründen.

Eine Steuerfalle in der vorliegenden Konstellation liegt im sogenannten Transponierungstatbestand begründet. Wie vorstehend beschrieben, brachten C und D ihre Aktien zum inneren Wert in die Akquisitionsholding ein. Die Differenz zwischen dem Nominalwert und dem inneren Wert dieser Aktien wurde C und D als Darlehen in der Akquisitionsholding gutgeschrieben. Dieser Vorgang wird von den Steuerbehörden indes als «Verkauf an sich selbst» qualifiziert. Könnte ein solcher Verkauf steuerfrei abgewickelt werden, würde das latent auf den Aktien haftende Steuersubstrat (Einkommenssteuern) auf zukünftige Gewinnentnahmen vernichtet. Dies wird von den Steuerbehörden nicht akzeptiert. Folglich wird die Differenz zwischen dem inneren Wert (welcher C und D in den Büchern der Akquisitionsholding gutgeschrieben wurde) und dem Nominalwert der eingebrachten Aktien als Einkommen versteuert und zwar bereits im Zeitpunkt der Einlage der Aktien. Verhindert werden kann diese Steuernachzahlung dadurch, dass die Aktien entweder lediglich zum Nominalwert in die Akquisitionsholding eingebracht werden, oder aber zum inneren Wert, wobei die Differenz zwischen dem inneren Wert und dem Nominalwert in die freien Reserven der Akquisitionsholding fliessen (sog. «Agio-Lösung»). Empfohlen wird in solchen Situationen stets ein Ruling des inneren Wertes der Aktien.

Eine weitere Steuerfalle bildet der Verkauf der Aktien zu Vorzugskonditionen. Die Aktien von C und D wurden von der Steuerbehörde als «Mitarbeiteraktien» qualifiziert, da sie C und D zu einem tieferen Preis als zum inneren Wert übergeben wurden. Die Differenz zwischen dem inneren Wert der Aktien und dem eigentlichen Kaufpreis wird von den Steuerbehörden als Lohn qualifiziert, was bei C und D zu Einkommenssteuern führte. Diesen Steuerfolgen können vorgebeugt werden, indem der Kaufpreis der Aktien für den Fall der internen Nachfolge bereits in Gesellschaftsdokumenten (bspw. in einem Aktionärsbindungsvertrag) festgehalten wird. Alternativ kann der den Aktien potentiell zugerechnete Mehrwert auch reduziert werden, in dem das Verhältnis Lohn / Gewinnanteil bei der zu übernehmenden Gesellschaft richtig festlegt wird. Dadurch soll verhindert werden, dass ein potentiell mit den Aktien zusammenhängender Gewinnanteil im Verhältnis zum Lohn untergeordnet ist. Auch hier empfiehlt es sich, den Aktienwert bzw. den Kaufpreis mit den Steuerbehörden zu rulen.

Eine nicht steuerlich, sondern gesellschaftsrechtlich bedingte Hürde ergibt sich in solchen Konstellationen übrigens sehr häufig durch eine lückenhafte Aktionärskette: Im Rahmen der Vertragsverhandlungen über den Ver-/Kauf einer Aktiengesellschaft wird ein umsichtiger Käufer in der Regel Einblick in die Aktionärskette verlangen. Dabei zeigt sich wiederholt, dass in der Vergangenheit die Aktien nicht rechtsgültig auf deren Nachfolger übertragen worden sind. Insbesondere bei Aktiengesellschaften, welche vor dem 1. Januar 2008 gegründet wurden, ist Vorsicht geboten. Vor dem 1. Januar 2008 waren für die Gründung einer Aktiengesellschaft drei natürliche Personen notwendig, eine Einmann-Aktiengesellschaft gab es damals noch nicht. Deshalb fungierten bei Aktiengesellschaftsgründungen vor dem 1. Januar 2008 oftmals noch Treuhänder und Familienmitglieder als Gründungsmitglieder, welche jeweils ein paar wenige Aktie hielten. Die Übertragung der Aktien solcher «Strohmänner» auf den designierten Gründer wurde dann oftmals vernachlässigt, womit die Aktionärskette bereits ganz zu Beginn der History die erste Lücke aufweist. Dies führt streng juristisch dazu, dass die heute zum Verkauf stehenden Aktien gar nie rechtmässig auf den heutigen Verkäufer übertragen wurden und er damit streng juristisch gesehen auch nicht Eigentümer dieser Aktien ist. Folglich kann er die Aktien auch nicht weiterveräussern. Eine lückenhafte Aktionärskette kann sich in der Kaufpreisdebatte für den Verkäufer negativ auswirken, da die Käufer selten bereit sein werden, für etwas zu bezahlen, das ihnen rechtlich gar nicht übergeben werden kann. Es wird daher empfohlen, vor dem Verkauf der Aktien die Aktionärskette rückwirkend wiederherzustellen. Vorzugsweise erfolgt dies durch das nachträgliche Einholen der Unterschriften von ehemaligen Aktionären (auf einem Indossament oder auf einer separaten Zession).

III. FAMILIENINTERNE NACHFOLGEREGELUNG (ERBRECHTLICHE ASPEKTE)

Im vorliegenden Fall war es dem Geschwisterpaar A und B (Familie Muster) ein Anliegen, dass das Familienunternehmen, die Immo-AG, den Stamm der Familie Muster nicht verlässt. A hatte zwei Kinder, womit die familieninterne Übergabe gesichert war. B war hingegen kinderlos, aber verheiratet mit C. Sollte B vorversterben, bestand die Gefahr, dass ein Grossteil des Unternehmens in die Hände einer «fremden» bzw. angeheirateten Familie fallen würde. Dies wollten die Geschwister vermeiden. Da die Immo-AG rund CHF 5 Mio. Wert war und damit den Hauptvermögenswert von A und B darstellte, hätte C im Falle des Vorversterbens von B nicht einfach ausbezahlt werden können – dafür fehlten A die liquiden Mittel. C wäre aber im Falle des Vorversterbens von B pflichtteilsgeschützt, womit ihm auf jeden Fall ein beträchtlicher Vermögensanteil zugestanden hätte. Ein Verzicht auf ein allfälliges Erbe kam für C nicht in Betracht. Wenn der Pflichtteilserbe also weder ausbezahlt werden kann, noch auf sein Erbe verzichten möchte, wie kann die familieninterne Nachfolge gesichert werden?

Die einfachste, wenn auch in der Praxis etwas aufwendige Lösung besteht darin, vertraglich vorzusehen, dass die Aktien der Immo-AG von A im Falle des Vorversterbens von B in Stimmrechtsaktien umgewandelt werden. So ist die Stimmenmehrheit der Familie Muster nach dem Tod von B gesichert. C erhält zwar die Aktien der Immo-AG, mitbestimmen kann er aber aufgrund der Stimmrechtsaktien von A kaum, wobei es einige Beschlüsse gibt, bei welchen die Stimmrechtsaktien keine Wirkung entfalten (bspw. die Einleitung einer Sonderprüfung, die Wahl der Revisionsstelle etc.). Finanziell ist C an der Immo-AG beteiligt (Dividenden, Liquidationsanteil etc.) und er kann auch über seinen Aktienanteil frei verfügen. Dadurch schwingt natürlich das Risiko mit, dass eines Tages doch ein Fremder am Familienunternehmen der Familie Muster beteiligt ist, wenn auch ohne entscheidende Stimmkraft. Soll auch dies verhindert werden, besteht alternativ die Möglichkeit, vertraglich vorzusehen, dass im Falle des Versterbens von B die Aktien von B auf A zu übertragen sind und C lediglich eine lebzeitige Nutzniessung an den Aktien von B erhält. So kann die Stimmenmehrheit der Familie Muster wieder gesichert werden (da sie die Aktien hält, hat sie auch die Stimmrechte). C, welcher nur eine Nutzniessung am Aktienanteil hat, profitiert lediglich von den Vermögenswerten (Dividenden, Liquidationsanteil etc.), wobei der Dividendenbeschluss allein von der Familie Muster gefällt wird (Ausblutungsgefahr von C). Problematisch wird diese Konstellation dann, wenn die Nutzniessung an den Aktien zugunsten von C nicht die Höhe seines Pflichtteils erreicht. Die Nutzniessung an den Aktien wird bewertet – je älter C ist, desto weniger Wert wird die Nutzniessung sein. Fällt der Wert der Nutzniessung tiefer als sein Pflichtteil aus, so wäre er im Umfang der Differenz von den restlichen Erben auszubezahlen. Zu bedenken ist zudem, dass die Zuweisung von Aktien im Erbfall Erbschaftssteuern auslöst. A müsste also nebst einer allfälligen Auszahlung an C auch mit Erbschaftssteuern rechnen, weshalb diese Variante nur in Frage kommt, wenn A über genügend Liquidität verfügt. Alternativ bestünde die Möglichkeit, sich mit C vertraglich zu einigen, wobei C teilweise auf sein Erbe verzichtet, im Gegenzug wird ihm bspw. eine gewisse Dividendenausschüttung zugesichert.

IV. SCHLUSSBETRACHTUNG

Auch wenn sich die Vertragsparteien im Rahmen einer Nachfolgeregelung von Beginn weg einig zu sein scheinen, sollte diese in keinem Fall überstürzt erfolgen. Eine sorgfältige Herangehensweise unter Berücksichtigung sowohl gesellschaftsrechtlicher, steuerrechtlicher wie auch erbrechtlicher Aspekte ist unabdingbar, auch wenn die einzelnen diesbezüglichen Abklärungen eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wie die drei vorstehenden Beispiele von Unternehmensnachfolgen aus der Praxis zeigen, können insbesondere auf Anhieb pragmatisch erscheinende Lösungsansätze zu massiven Steuerfolgen führen, sofern diesen Themen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies ist umso ärgerlicher, da in den weitaus meisten Fällen durchaus alternative Abwicklungsmöglichkeiten ohne unliebsame (Steuer-)Folgen bestehen. Weiter kommt aber auch der Ausgestaltung des Aktienkaufvertrags eine wesentliche Bedeutung zu. Eine minimale vertragliche Absicherung sollte in jedem Vertrag enthalten sein, auch wenn die Vorzeichen für die Transaktion und ggf. auch für die weitere Zusammenarbeit der Parteien gut stehen. Ist ein Streit im Nachgang einer Unternehmenstransaktion erst entfacht, kann ein vorteilhaft abgefasster Kaufvertrag zumindest die finanziellen Schäden in Schach halten und hoffentlich auch einen jahrelangen Zivil- und Strafprozess verhindern.


16. Oktober 2020 / Lic. iur. Patricia Geissmann und MLaw Simone Küng


ZULÄSSIGKEIT UND TÜCKEN DES MANTELHANDELS

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Kauf eines Gesellschaftsmantels, insb. des Mantels einer AG oder einer GmbH, erscheint oftmals als attraktive Alternative zur Gründung einer neuen Gesellschaft. Zukünftige Gesellschafter bzw. Aktionäre erhoffen sich so vor allem die Einsparung von Kosten – einerseits von Gründungskosten, andererseits aber auch die Einsparung des zu liberierenden Gesellschaftskapitals. Das Bundesgericht beurteilt den Mantelhandel an sich, d.h. den eigentlichen Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Käufer eines Gesellschaftsmantels, indes seit jeher als unzulässig. Die Konsequenzen sind den Beteiligten allerdings nicht immer bewusst. 

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I. WAS IST EIN GESELLSCHAFTSMANTEL?

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt eine Mantelgesellschaft – meist ein Aktienmantel oder ein GmbH-Mantel – dann vor, wenn die betreffende Gesellschaft keinen eigentlichen materiellen, wirtschaftlichen Gehalt mehr hat und folglich nur noch als formales rechtliches Gebilde fortbesteht. Inhaltlich ist die Gesellschaft daher sozusagen «entkleidet». Wirtschaftlich betrachtet ist sie auch in den meisten Fällen schon fast vollständig liquidiert und existiert nur noch von Rechts wegen, da sie formell noch nicht aufgelöst wurde. Mantelgesellschaften sind also wie alle anderen Gesellschaften im Handelsregister eingetragen. Später hat das Bundesgericht diese Definition etwas erweitert und den Begriff «Gesellschaftsmantel» auch auf Gesellschaften ausgedehnt, die durchaus noch über gewisse Aktiven verfügen, allerdings meist lediglich über Aktiven in flüssiger Form.

Die Bilanz einer
Mantelgesellschaft stellt sich daher sehr einfach dar. Meist existieren auf der
Aktivseite wenige flüssige Mittel und/oder Darlehensforderungen gegenüber
Beteiligten sowie ggf. auch ein Verlustvortrag. Auf der Passivseite steht meist
nur noch das Gesellschaftskapital. Die Erfolgsrechnung einer Mantelgesellschaft
präsentiert sich ebenfalls sehr schlank, da die Gesellschaft wie erwähnt am
Markt gar nicht mehr aktiv ist und folglich auch keine betriebsspezifischen Aufwands-
und Ertragspositionen mehr auszuweisen hat.

Das Bundesgericht
bezeichnet Mantelgesellschaften grundsätzlich als rechtswidrig. Darauf ist
unten, in Ziff. III., nochmals zurückzukommen.

II. BEWEGGRÜNDE FÜR DEN MANTELHANDEL

Man mag sich fragen, was einen Käufer dazu bewegt, eine Gesellschaft erwerben zu wollen, die vom Bundesgericht als rechtswidrig bezeichnet wird. Häufig locken hier wohl erste finanzielle Überlegungen des Käufers. Während bei der Neugründung einer AG oder einer GmbH auf Anhieb – und zwar noch vor dem eigentlichen Gründungsakt – das gesamte Gesellschaftskapital (bzw. bei der teilliberierten Aktiengesellschaft mindestens 20% und in jedem Fall mindestens CHF 50’000.00) liberiert werden muss und somit für viele Gründer eine nicht unbeachtliche Summe Geld einbezahlt oder mittels Sachwerten zur Verfügung gehalten werden muss, ist bei einem Mantelkauf «nur» der Kaufpreis zu bezahlen. Zwar wird dieser in den seltensten Fällen tiefer sein als das Gesellschaftskapital, zumindest dann nicht, wenn die Gesellschaft über echte Aktiven verfügt. Allerdings kann dieser je nach Verhandlung mit dem Verkäufer gegebenenfalls ratenweise bezahlt werden, was einem Käufer finanziell etwas Luft lässt. Im Fall einer Unterkapitalisierung der Gesellschaft wird der Kaufpreis zwar tiefer ausfallen als bei einer Mantelgesellschaft, die über genügend Aktiven verfügt, allerdings hat der Käufer dann nachträglich Mittel in die Gesellschaft einzuschiessen, wenn er verhindern will, dass seine erste Amtshandlung in der neuen Gesellschaft die Deponierung der Bilanz ist. Doch auch dann besteht meist die Möglichkeit, das Kapital schrittweise aufzubringen, was bei einer Neugründung wie gezeigt nicht geht.

Obwohl diese zeitliche
Komponente bei der Finanzierung des Gesellschaftskapitals bzw. des Kaufpreises
für die Mantelgesellschaft durchaus ein Argument bildet, dürfte sich der
Mantelkauf bei einer Gesamtbetrachtung finanziell dennoch in den wenigsten
Fällen lohnen. Einerseits ist ein Käufer stets gut beraten, eine vorbestehende
Gesellschaft auf Herz und Nieren zu prüfen, und zwar auch dann, wenn sie in den
vergangenen paar Jahren inaktiv war. Forderungen verjähren in den meisten
Fällen erst nach 5 oder 10 Jahren, weshalb es durchaus sein kann, dass Gläubiger
vor der Tür stehen, kaum ist der Kauf besiegelt. Insbesondere auf
Steuerforderungen gilt es ein Augenmerk zu legen. Die Prüfung der Vergangenheit
einer Gesellschaft erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Fachwissen. Einem
umsichtigen Mantelkäufer entstehen so (Rechts-)Beratungskosten, die
selbstverständlich in die Gesamtkalkulation miteinzubeziehen sind. Weiter geht
auch gerne vergessen, dass nach dem Mantelkauf meist eine Statutenänderung
erforderlich wird, denn in den seltensten Fällen wird die Mantelgesellschaft
genau jenen Zweck umfasst haben, den der Käufer mit der Gesellschaft anstrebt.
Die öffentliche Beurkundung sowie die neuen Handelsregistereinträge (insb.
Personalmutationen) verursachen ebenfalls Kosten.

Ein weiteres Motiv eines
Käufers für den Kauf eines Gesellschaftsmantels kann vordergründig der
Zeitgewinn sein. Eine Neugründung nimmt Zeit in Anspruch; die
Gründungsunterlagen müssen erstellt und ein Termin mit dem Notar gefunden
werden. Zudem ist vorab ein Kapitaleinzahlungskonto zu eröffnen oder ein
Revisor hat den Wert von in die Gesellschaft einzubringenden Gegenständen zu beurteilen.
Angesichts der angesprochenen Expertenprüfung, die beim Mantelkauf erforderlich
wird, dürfte aber auch dieser Zeitfaktor nicht weiter ins Gewicht fallen.

Zusammenfassend
scheinen die Vorteile des Käufers für einen Mantelkauf oftmals bloss vordergründig
zu bestehen. Bei näherer Betrachtung dürfte die Neugründung – insb. bei einer
GmbH oder einer Aktiengesellschaft mit Teilliberierung – unter dem Strich die
kostengünstigere Lösung sein. Für den Verkäufer sieht die Situation natürlich
anders aus; für ihn überwiegen die Vorteile des Verkaufs einer Gesellschaft
(bzw. auch nur noch eines Mantels) wohl meistens. Die formelle und rechtliche
Liquidierung einer Gesellschaft nimmt Zeit in Anspruch und verursacht Kosten.
Diese können durch den Verkauf der Gesellschaft umgangen werden.

III. RECHTLICHE BEURTEILUNG DES MANTELHANDELS

Wie bereits einleitend festgehalten bringt der Mantelhandel nicht nur in der Praxis gewisse Herausforderungen mit sich, auch rechtlich ist er problematisch: Juristisch betrachtet ist die Existenz einer Mantelgesellschaft nämlich rechtswidrig. Art. 938a OR verpflichtet den Inhaber einer Gesellschaft, die zu bestehen aufhört, die Gesellschaft löschen zu lassen. Art. 155 der Handelsregisterverordnung (HRegV) sieht zudem vor, dass der Handelsregisterführer das oberste Leitungsorgan einer Gesellschaft, welche über keine Geschäftstätigkeit oder über keine verwertbaren Aktiven mehr verfügt, aufzufordern hat, die Gesellschaft zu löschen. Wird dieser Aufforderung nicht innert angesetzter Frist entsprochen und auch nicht dargelegt, dass und weshalb die Eintragung aufrecht erhalten bleiben soll, hat der Registerführer einen dreimaligen Schuldenruf anzusetzen und die Gesellschaft von Amtes wegen aufzulösen. Das Gesetz bezeichnet inaktive und inhaltlich entleerte Mantelgesellschaften somit als rechtswidrig und verlangt aus Gründen des Drittschutzes, dass sie zu löschen sind.

Das Bundesgericht
geht gar so weit, dass es den Mantelhandel als nichtiges Rechtsgeschäft
bezeichnet. Den Grund sieht das höchste Gericht einerseits in der Verletzung
der soeben angesprochenen Löschungspflicht sowie auch in der Umgehung der
Gründungsvorschriften. Denn auch die Vorschrift, dass das Gesellschaftskapital –
zumindest im Zeitpunkt der Gründung – in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe
effektiv vorhanden sein muss und nicht nur auf dem Papier existieren darf, wird
durch den Kauf einer Gesellschaft, die eventuell gar unterkapitalisiert ist und
nur dank Forderungen gegenüber von Gesellschaftern noch nicht konkursamtlich
liquidiert werden musste, umgangen.

Die neuere Lehre
erachtet die Folge der Nichtigkeit als zu streng, insbesondere auch wegen dem
juristischen Rattenschwanz, den die Nichtigkeit nach sich zieht. Denn streng
genommen könnte der Käufer eines nichtigen Rechtsgeschäfts gar nie Eigentümer der
Gesellschaft werden. Folglich könnte er auch keine gültigen Geschäfte für die
Gesellschaft tätigen. Dies ginge so weit, dass von der Statutenänderung über
die Wahl eines Verwaltungsrates oder eines Geschäftsführers bis hin zum
Abschluss von operativen Geschäften alle Rechtsgeschäft ebenfalls nichtig und
somit ungültig wären. Die neuere Lehre beurteilt den Kauf einer
Mantelgesellschaft zwar als rechtsbeständig, die eigentliche Gesellschaft
jedoch analog Art. 643 OR als mit Gründungsmängeln behaftet. Folglich kommt,
wenn möglich, der Gutglaubensschutz zur Anwendung mit der Folge, dass insb. die
bisher erfolgte operative Geschäftstätigkeit der reaktivierten Gesellschaft
nicht nichtig ist. Bei einer erheblichen Gefährdung der Interessen Dritter
(auch Gläubiger), kann indes auf Auflösung der Gesellschaft geklagt werden.

Auch wenn die neuere Lehre versöhnlich scheint und insb. in leichten Verstössen die Existenz der Mantelgesellschaft zulassen will, hat sich das Bundesgericht soweit ersichtlich noch nicht von seiner langjährigen Rechtsprechung distanziert, wonach der Mantelkauf wie erwähnt nichtig ist. Solange dies nicht der Fall ist, hat jeder Käufer einer Mantelgesellschaft mit der Rechtsunsicherheit zu leben, dass er seiner Eigentümerstellung plötzlich verlustig geht bzw. dass dies von rechtlicher Seite festgestellt wird. Weiter ist auch die Kompetenz des Handelsregisterführers nicht zu unterschätzen. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Mantelkauf vorliegt, bspw. weil bei einer Gesellschaft in einem Zuge eine Namenänderung, eine Sitzverlegung, eine Zweckänderung, ggf. eine Kapitalerhöhung und auch Personalmutationen angemeldet werden, darf dieser nachhaken und die Eintragung der gewünschten Änderungen sogar verweigern. Dass die Verweigerung der Eintragung im Handelsregister keinen Einfluss auf den eigentlichen Kaufvertrag hat, führt dazu, dass der Käufer gemäss Kaufvertrag die Mantelgesellschaft zwar erworben hat und gegebenenfalls den Kaufpreis dafür auch bereits bezahlt hat, er diese nun aber nicht in dem Sinne nutzen kann, wie er dies wünscht.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kauf eines Mantels nie eine gute Idee ist. Auch wenn aus Sicht des Käufers gewisse Motive für den Mantelkauf sprechen können, so sind die so erhofften Vorteile aber wie gezeigt nur vordergründig vorhanden. Und auch wenn gewisse Treuhandgesellschaften diese Motive aufgreifen und öffentlich mit dem Verkauf von Mantelgesellschaften werben, ist einem Käufer von einem solchen Kauf dringend abzuraten. Das Bundesgericht bezeichnet die Mantelgesellschaft wie gezeigt als rechtswidrig und den Kauf einer Mantelgesellschaft gar als nichtig. Zwar schlägt die neuere Lehre gewisse Lockerungen vor, diese haben sich aber noch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts ausgewirkt. Zudem ist in gewissen Fällen eine Löschung der Mantelgesellschaft auch nach neuerer Lehre durchaus möglich.

Der Käufer eines
Gesellschaftsmantels läuft somit nicht nur Gefahr, dass der eigentliche Kaufvertrag
als nichtig bezeichnet wird, mit der Folge, dass auch alle seine Handlungen als
Gesellschafter nichtig sind, sondern er riskiert auch, dass das
Handelsregisteramt wesentliche Änderungen in den Statuten und im
Handelsregister verweigert und er so gar nicht zu der Gesellschaft kommt, die
er sich wünscht. Für den Verkäufer ist der Mantelhandel zwar etwas weniger
riskant, allerdings kann sich auch für ihn die Situation ergeben, dass er sich
mit einem für nichtig erklärten Rechtsgeschäft konfrontiert sieht. Von der
Rückabwicklung des nichtigen Kaufvertrags ist konsequenterweise auch er
betroffen, und auch die anschliessende rechtliche Liquidierung der
Gesellschaft, welche er mit dem Verkauf der Gesellschaft ja umgehen wollte,
fiele dann wieder in seine Kompetenz.


3. September 2020 / lic. iur. Patricia Geissmann


VERWENDUNG FREMDER MARKEN ALS ADWORDS

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Heute wird das Online-Angebot häufig mit Hilfe von AdWords beworben. Dabei haben Werbende die Möglichkeit, Keywords bei Suchmaschinenbetreibern gegen Entgelt zu hinterlegen, so dass vor oder neben den eigentlichen Suchergebnissen Werbelinks auf die eigenen Produkte oder Dienstleistungen erscheinen. Grundsätzlich können hierbei auch fremde Marken als Keyword hinterlegt werden, womit potentielle Abnehmer, welche nach Konkurrenzprodukten suchen, auf der Website des Konkurrenten landen. Den Abnehmern wir damit eine Alternative angeboten – aber ist dies rechtlich zulässig?

Während die europäische bzw. insbesondere die deutsche Rechtsprechung über die Frage der Rechtmässigkeit der Verwendung fremder Marken als Keywords zur Suchmaschinenoptimierung längst mehrfach entschieden hat, gibt es in der Schweiz bis zum heutigen Zeitpunkt noch keinen höchstrichterlichen Entscheid. Das Obergericht des Kantons Thurgau und das Kantonsgericht Luzern haben sich mit dem Thema zwar ausführlich auseinandergesetzt, beide haben sich dabei aber weitgehend an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angelehnt.

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I. DEUTSCHE RECHTSPRECHUNG

Der EuGH hat in einem von einem Luxusartikel-Konzern gegen Google geführten Rechtsstreit entschieden, dass die Suchmaschinenbetreiberin auch geschützte Marken Dritter als Keywords verkaufen dürfe. Entsprechend ist es Dritten grundsätzlich nicht verboten, fremde Marken als Stichworte für ihre Internet-Anzeigen zu nutzen. In der Verwendung einer fremden Marke als Keyword sei kein kennzeichenmässiger Gebrauch zu erkennen, welcher aber für die Verletzung Markenrechte Dritter notwendig wäre. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn die fremde Marke nicht nur als AdWord hinterlegt, sondern die betroffene Marke auch in der geschalteten Anzeige / Domain-Adresse oder im Suchergebnis selbst erscheint. In diesen Fällen wird die fremde Marke nämlich nach aussen sichtbar, womit auf eine betriebliche Herkunft verwiesen wird und damit eine Verletzung fremder Markenrechte vorliegen kann. Darüber hinaus können auch wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verletzt sein, wenn der Eindruck entsteht, dass die beiden Unternehmen wirtschaftlich miteinander verbunden sind.

II. AUS MARKENRECHTLICHER SICHT

Das schweizerische Markengesetz verleiht dem Markeninhaber das ausschliessliche Recht, die Marke zur Kennzeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die sie beansprucht wird, zu gebrauchen und darüber zu verfügen (Art. 13 Abs. 1 MSchG). Entsprechend kann der Markeninhaber Dritten in einem gewissen Rahmen verbieten, sein Zeichen zu gebrauchen (Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 MSchG). Voraussetzung ist u.a. – gewisse Ausnahmen bei berühmten Marken (Art. 15 MSchG) vorweggenommen –, dass seine Marke vom Dritten kennzeichenmässig gebraucht wird. Als kennzeichenmässiger Gebrauch gilt bspw. die Verwendung der Marke als Firma, Domain, Geschäftsbezeichnung oder Name. Dabei muss die Verwendung geeignet sein, die mit dem entsprechenden Zeichen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu individualisieren. Die Abnehmer müssen das Zeichen also als Herkunftshinweis, als Mittel zur Identifizierung und Unterscheidung, verstehen. Wird die fremde Marke lediglich als AdWord hinterlegt und die Marke (oder deren ähnliche Zeichen) in keinem anderen Zusammenhang verwendet oder für Abnehmer ersichtlich (die fremde Marke erscheint weder in der Anzeige noch in der Domainadresse oder im Suchergebnis selbst), scheint die Grenze der Legalität nicht überschritten zu sein (vgl. Kantonsgericht Thurgau, DOK 000 006 302, publiziert in: sic! 06/2015, S. 392 ff.). Die Abnehmer messen einer Werbeanzeige keine herkunftshinweisende Funktion zu, sondern erkennen darin den rein kontextmässigen Bezug von Keyword und Anzeige (Obergericht Kanton Thurgau, PO.2010.8, publiziert in: sic! 2012, S. 387 ff.). Schlussendlich bedarf die Beurteilung der Zulässigkeit der Verwendung von Drittmarken als Keyword zur Suchmaschinenoptimierung aber stets einer Einzelfall­beurteilung.

III. AUS WETTBEWERBSRECHTLICHER SICHT

Bei der Verwendung von fremden Marken
als AdWord können nicht nur markenrechtliche, sondern auch
lauterkeitsrechtliche Bestimmungen zur Anwendung gelangen. Wie vorstehend
bereits aufgezeigt, sollte die fremde Marke in der aufgeschalteten Anzeige
selbst / in der Domainadresse oder im Suchergebnis grundsätzlich nicht auftauchen.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Abnehmer durch die Anzeige eine
wirtschaftliche Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber
suggerieren. Diesfalls könnte die Verwendung der fremden Marke die Tatbestände
der unlauteren Herkunftstäuschung (Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG), unlauteren
Anlehnung (Art. 3 Abs. 1 lit. e UWG) oder unlauteren Rufausbeutung
(Art. 2 UWG) erfüllen. Das Obergericht des Kantons Thurgau hat sich
diesbezüglich wie folgt geäussert: Solange die Anzeige in einem separaten, klar
abgegrenzten Anzeigenfenster erscheint, welches deutlich auf ein werbendes
Unternehmen mit seinem eigenen Unternehmenskennzeichen, welches sich klar von
der fremden Marke unterscheidet, hinweist und die fremde Marke in der Anzeige
selbst nicht verwende, könne eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden.
Die Abnehmer würden in dem Fall nicht davon ausgehen, dass die Werbeanzeige vom
Inhaber der fremden Marke stamme. Damit sei eine Herkunftstäuschung i.S.v.
Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG ausgeschlossen.

Auch der gute Ruf
einer Marke werde durch die Verwendung von fremden Marken als AdWords nicht
verletzt, solange erkennbar sei, dass die Anzeige von einem Dritten und nicht vom
Markeninhaber stamme. Der durchschnittliche Internetnutzer schliesse von einer
offenkundigen Werbeanzeige nicht auf die Qualitätsmerkmale, die er mit der
Eingabe seiner Suchbegriffe verbinde. Folglich könne auch eine Rufausbeutung
i.S. Art. 3 Abs. 1 lit. e UWG ausgeschlossen werden.
Schlussendlich sei darin auch keine anderweitige unlautere Handlung erkennbar.
Die Anzeigen würden dem Abnehmer lediglich weitere Informationen über
anderweitige Angebote – schlussendlich eine Alternative – bieten, was jeder
Werbung immanent sei und folglich nicht unlauter sein könne (Obergericht Kanton
Thurgau, PO.2010.8, publiziert in: sic! 2012, S. 387 ff.).

IV. FAZIT

Die Entscheide des Obergerichts des Kantons Thurgau und des Kantonsgerichts Luzern weisen auf eine starke Anlehnung an die europäische Rechtsprechung hin, welche in der Verwendung einer fremden Marke als AdWord nicht a priori eine Rechtsverletzung sehen. Ähnlich entschieden hat im Übrigen auch die Zweite Kammer der Schweizerischen Lauterkeitskommission im Jahr 2018, welche ebenfalls die Verwendung einer fremden Marke als AdWord zu beurteilen hatte. Auch sie sah in der Verwendung als Keyword keinen kennzeichenmässigen Gebrauch, welche markenrechtliche Bestimmungen verletzen könnte (Entscheid Nr. 118/18 der Schweizerischen Lauterkeitskommission). Nichtsdestotrotz ist Vorsicht geboten: Zum einen liegt in der Schweiz noch kein höchstrichterlicher Entscheid vor, welcher sich dieser Thematik widmet. Zum andern ist die Grenze der Legalität spätestens dann überschritten, wenn die fremde Marke im Suchergebnis selbst angezeigt wird. In diesem Fall dürfte von einem kennzeichenmässigen Gebrauch ausgegangen werden, was sowohl markenrechtliche als auch lauterkeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen dürfte. Eine generelle Aussage über die Zulässigkeit fremder Marken als AdWord ist jedoch nicht möglich. Es gibt durchaus Ausnahmen, welche bspw. die Verwendung fremder Marke in einer Werbeanzeige auch zulassen. So u.a., wenn der Anbieter die entsprechenden Produkte / Dienstleistungen des fremden Markeninhabers selbst vertreibt. Es bedarf schlussendlich immer einer einzelfallgerechten Überprüfung des vorliegenden Sachverhalts.


5. August 2020 / MLaw Simone Küng,


LEX KOLLER: WEM GEHÖREN DIE GRÖSSTEN SCHWEIZER UNTERNEHMEN?

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf juristische Personen, deren Anteile an einer Schweizer Börse kotiert sind. Und im Speziellen geht es nur um die Gesellschaften und Aktientitel, die im Swiss Leader Index (SLI) enthalten sind, welcher die 30 liquidesten und grössten Schweizer Aktientitel enthält. Der Grund für die Konzentration auf diese Unternehmen liegt darin, dass in der NZZ am Sonntag vom 19.04.2020 unter dem Titel «Ausländische Aktionäre dominieren Schweizer Konzerne» ein Artikel erschien, der sich insbesondere auf eine Studie von Ernst & Young Schweiz unter dem Titel «Wem gehört der SLI?» abstützte und diese Studie auch zitierte. Die folgenden Ausführungen basieren ebenfalls auf dieser Studie von Ernst & Young; dabei steht die Frage im Zentrum, inwiefern Unternehmen des SLI unter die Lex Koller fallen könnten.

I. RECHTLICHE AUSGANGSLAGE GEMÄSS LEX KOLLER

Der Erwerb von Anteilen an juristischen Personen, die an einer Börse in der Schweiz kotiert sind, ist auch für Ausländer bewilligungsfrei möglich. Mit anderen Worten ist der Erwerb entsprechender Anteile auch an den Unternehmen des SLI für jeden Ausländer bewilligungsfrei möglich. Insofern stellen sich vorderhand keine Probleme. Dies kann zur Folge haben, dass Ausländer sehr grosse Anteile an solchen Gesellschaften erwerben können, was dazu führen kann, dass die entsprechende Gesellschaft gemäss Lex Koller als ausländisch beherrscht gilt.

Ein Unternehmen, welches als ausländisch
beherrscht gilt, unterliegt für eigene spätere Grundstückerwerbsgeschäfte in
der Schweiz möglicherweise der Bewilligungspflicht. Der Erwerb von
Betriebsstättengrundstücken ist unproblematisch, weil der Erwerb von
Betriebsstätten in der Schweiz nicht unter die Bewilligungspflicht gemäss Lex
Koller fällt. Etwas anderes gilt für den Erwerb von Bauland bzw. für
Wohngrundstücke. Falls nämlich diese juristische Person (sprechen wir in der
Folge von Gesellschaften) als ausländisch beherrscht gilt, dann unterliegt sie
für den Erwerb von Bauland bzw. von Wohngrundstücken in der Schweiz der
Bewilligungspflicht (Art. 5 Abs. 1 lit. c BewG), wobei gleich beizufügen ist,
dass die in diesem Fall zur Verfügung stehenden Bewilligungsgründe (die also
den Erwerb gemäss Lex Koller dann trotzdem erlauben würden) äusserst dürftig
sind und nur in speziellen Fällen angerufen werden können (vgl. Art. 8 BewG).

Eine ausländische beherrschende
Stellung dieser Gesellschaft liegt gemäss Lex Koller vor, wenn eine Person im
Ausland entweder allein oder gemeinsam mit anderen Personen im Ausland die
Verwaltung oder Geschäftsführung entscheidend beeinflussen kann (Art. 6 Abs. 1
BewG). Zudem wird eine solche beherrschende Stellung durch Personen im Ausland
gesetzlich vermutet, wenn Ausländer mehr als einen Drittel am Aktien-, Stamm-
oder Genossenschaftskapital besitzen oder über mehr als einen Drittel der
Stimmen in der General- oder Gesellschafterversammlung verfügen (Art. 6 Abs. 2
lit. a und b BewG). Bei dieser gesetzlichen Vermutung handelt es sich um eine widerlegbare
gesetzliche Vermutung – wenn also die Vermutung der ausländischen Beherrschung
gesetzlich vorliegt, kann die betroffene Gesellschaft den Beweis des Gegenteils
führen, indem sie beweist, dass trotz erheblichem ausländischem Aktien- oder
Stimmenbesitz die Gesellschaft als nicht ausländisch beherrscht gilt und sie
deswegen für entsprechende Grundstückserwerbsgeschäfte (insbesondere von
Bauland und von Wohngrundstücken) nicht der Bewilligungspflicht unterliegt. So
viel zur gesetzlichen Ausgangslage und zu den damit verbundenen Mechanismen.

II. ZENTRALE AUSSAGEN IN DER STUDIE VON ERNST & YOUNG ÜBER DIE AKTIONÄRSSTRUKTUR DER 30 UNTERNEHMEN DES SWISS LEADER INDEX (SLI)

Untersucht wurde der Zeitraum von
2012-2019. Dabei wurden die Durchschnittszahlen für diese Jahre erhoben; bei
den Aktionären wurde unterteilt in Schweizer (bzw. inländische) Aktionäre sowie
in Aktionäre aus Europa, Nordamerika und übrige Welt. Dabei konnten nur
diejenigen Aktienbesitzer nach diesen Aktionärsgruppen aufgeteilt werden,
soweit es sich um sogenannte «zuordenbare» Aktien handelte, also um
Aktieneigentum, welches aufgrund von Publizitätsvorschriften offen gelegt
werden muss (entsprechend also bei Aktienerwerben von mehr als 3% des
Aktienkapitals). Der entsprechend nicht zuordenbare Anteil macht – nicht ganz
erstaunlich – den grössten Teil der Aktionärsstruktur aus.

Das Ergebnis ist das folgende: Im
Durchschnitt hielten Schweizer Aktionäre an diesen SLI-Gesellschaften rund 27%
(2012: 28.2%, 2019: 27.6%). Das europäische Ausland hielt zwischen 14.8% (2012)
und 14.4% (2019) der SLI Aktien. Nordamerikanische Aktionäre hielten zwischen
17.8% (2012) und 19.8% (2019); ein kleiner Rest «übrige Welt» hielt
1% (2012) bis 3% (2019). Die nicht zuordenbaren Aktien betrugen zwischen 38.1%
(2012) und 35.3% (2019).

III. INTERPRETATION DIESER RESULTATE AUS SICHT DER LEX KOLLER

Grundsätzlich ist das Ergebnis eigentlich eindeutig: 1/3 des Aktienbesitzes entspricht 33.33% – vorliegend würde der ausländische Aktienbesitz im Jahr 2012 33.6% (nämlich 14.8% EU, 17.8% USA; 1.0 % übriges Ausland) und im Jahr 2019 sogar 37.2% (14.4% EU; 19.8% USA; 3.0% übriges Ausland) betragen. Der Grenzwert von einem Drittel ausländischem Aktenbesitz wäre grundsätzlich überschritten, was zur gesetzlichen Vermutung der ausländischen Beherrschung führt.

Nun muss man aber aufpassen: Hier handelt
es sich um Durchschnittswerte für die 30 Unternehmen, deren Aktientitel
zum SLI gehören, und nicht um Einzelaufnahmen entsprechender Unternehmen. Es
ist aber ein klares Indiz, dass sich der ausländische Aktienbesitz bei diesen
30 Unternehmen mindestens teilweise oder eben bei einigen dieser Unternehmen
jenseits des Grenzwertes von einem Drittel bewegt, weshalb die entsprechenden
Unternehmen als ausländisch beherrscht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. a BewG
gelten müssten. Ob auch eine beherrschende Stellung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b
BewG (Stimmrechte) vorliegen könnte, müsste noch im Einzelnen abgeklärt werden,
kann hier aber offen bleiben.

Das Resultat dieser Studie und die
Interpretation betreffend der Durchschnittswerte muss dazu führen, dass
Unternehmen, welche dem SLI angehören (die gleiche Empfehlung dürfte sich für
alle Unternehmen aufdrängen, deren Anteile an einer Börse in der Schweiz
kotiert sind), nur die eine sein kann: Es darf nicht selbstverständlich davon
ausgegangen werden, dass – da man ja an einer Schweizer Börse kotiert ist –, es
sich bei diesen Unternehmen um schweizerische bzw. um nicht ausländisch beherrschte
Unternehmen handelt, sondern es muss intern geklärt werden, ob der Grenzwert
von einem Drittel überschritten ist oder nicht. Gleiches gilt für die Behörden,
und speziell für die Grundbuchämter. Einfach daraus, dass die Anteile eines
Unternehmens an einer Schweizer Börse kotiert sind, den Schluss zu ziehen, dass
es sich dann auch um ein schweizerisch beherrschtes Unternehmen handelt und um
ein Unternehmen, das für gewisse Grundstückserwerbsgeschäfte nicht der
Bewilligungspflicht gemäss Lex Koller unterliegt, wäre falsch. Die
entsprechenden Behörden dürfen danach fragen und dazu die Beweismittel
einverlangen, ob nicht die Vermutung der Auslandsbeherrschung vorliegt. In
Zweifelsfällen sind sie sogar dazu verpflichtet. Insbesondere denjenigen
Unternehmen, die sich regelmässig oder sogar ständig mit Grundstückerwerbsgeschäften
(auch von Bauland und von Wohnliegenschaften) beschäftigen, wie insbesondere
den Versicherungsgesellschaften und den Banken, wäre dringend angeraten, dafür
besorgt zu sein, dass jederzeit belegt werden kann, dass keine
Auslandsbeherrschung bzw. nicht einmal die gesetzliche Vermutung einer
Auslandsbeherrschung vorliegt.

IV. PROBLEME DER «NICHT ZUORDENBAREN AKTIEN»

Bei diesen Aktien im Streubesitz kann es sich um solche von Schweizern, aber auch von Ausländern handeln – dies weiss die Studie nicht. Die Unternehmen wissen es zumindest teilweise oder annähernd bzw. haben zumindest zusätzliche Kenntnisse. Ich bin nicht der Meinung, dass generell aus einer solchen Studie abgeleitet werden dürfte, dass der Streubesitz generell entweder dem Bestand der ausländischen Aktien oder demjenigen der Schweizer Aktien zugerechnet werden darf. Genau so unzulässig wäre es, diese Aktien proportional nach den zuordenbaren Aktien auf Ausländer und Schweizer aufzuteilen.

V. RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN BEI EINTRITT DER GESETZLICHEN VERMUTUNG

Es kann für ein Unternehmen nicht Sinn
machen, sich um die Frage herumzudrücken, ob man nun der Bewilligungspflicht
gemäss Lex Koller unterliegt oder nicht. Der Erwerber hat nämlich die Pflicht,
sich um die Frage der Bewilligungspflicht zu kümmern, wenn sich eine solche
nicht ohne weiteres ausschliessen lässt (Art. 17 Abs. 1 BewG). Wenn er sich
darüber hinweg setzt und ein bewilligungspflichtiges Rechtsgeschäft ohne
Bewilligung abschliesst bzw. vollzieht, ist das entsprechende Rechtsgeschäft
unwirksam bzw. nichtig – mit sehr unangenehmen Rechtsfolgen betreffend
Rückabwicklung etc. Wenn der Grundbuchverwalter die Bewilligungspflicht nicht
ohne weiteres ausschliessen kann, so hat er gemäss Art. 18 BewG das Verfahren
auszusetzen und dem Erwerber eine Frist anzusetzen, um bei der zuständigen
Behörde die Bewilligung oder die Feststellung der Nichtbewilligungspflicht
einzuholen. Der Handelsregisterführer verfährt genau gleich. Und ohnehin haben
die Behörden sehr umfassende Rechte, nachträglich eine Untersuchung zu eröffnen
mit der Möglichkeit, die Bewilligungspflicht (oder die Nichtbewilligungspflicht)
nachträglich noch festzustellen. Auch sehr unangenehme strafrechtliche
Konsequenzen können eintreten.

Wenn die gesetzliche Vermutung der Auslandsbeherrschung
vorliegt oder bei Verdachtsmomenten von den Behörden die Frage der
Auslandsbeherrschung thematisiert wird, ist trotzdem noch nicht alles verloren:
Das Unternehmen hat die Möglichkeit und das Recht, den Beweis anzutreten, dass
allenfalls trotz gesetzlicher Vermutung oder trotz gewisser Verdachtsmomente gleichwohl
keine Auslandsbeherrschung vorliegt, weil zum Beispiel einem ausländischen
Streubesitz ein sehr starker konzentrierter schweizerischer Aktienbesitz gegenüber
steht, der zudem noch durch Aktionärbindungsverträge gefestigt wird, oder wo
trotz relativ bedeutendem ausländischem Aktenbesitz eine schweizerische
funktionierende Aktienmehrheit entgegensteht (zum Beispiel eben auch durch
Aktionärbindungsvertrag abgesichert). Auch wenn erheblichem ausländischem
Aktienbesitz z.B. durch die Schaffung von Stimmrechtsaktien sich ein sehr hoher
Stimmenanteil in Schweizer Hand befindet, kann dies dazu führen, dass
(allenfalls zusammen mit weiteren Faktoren) nicht von einer Auslandsbeherrschung
auszugehen ist. Dann ist es möglich, bzw. wäre es auch angebracht, dass je nach
Beweislage die Auslandsbeherrschung verneint und die Nichtbewilligungspflicht
festgestellt wird. Das Unternehmen, das von einer Bewilligungsbehörde eine
solche Feststellungsverfügung auf Nichtbewilligungspflicht erhält, darf in der
Regel darauf vertrauen, dass andere örtlich zuständige Bewilligungsbehörden in
der Schweiz sich daran halten und nicht nochmals ein neues Verfahren einleiten.
Meines Erachtens müsste dann aber die von der ersten Bewilligungsbehörde
ausgestellte Verfügung auf Feststellung der Nichtbewilligungspflicht mit der
Auflage verbunden sein, bei wesentlichen Veränderungen im Aktionariat erneut
bei der Bewilligungsbehörde ein entsprechendes Gesuch um Erlass einer Nichtunterstellungsverfügung
zu stellen.

VI. FAZIT

Die Untersuchung bzw. Studie von Ernst & Young hat ergeben, dass bei diversen Unternehmen, deren Anteile an einer Börse in der Schweiz kotiert sind, und erst recht bei denjenigen, die zu den grössten Unternehmen der Schweiz mit den meist gehandelten Aktien gehören, ein erheblicher Anteil vermutungsweise ausländisch beherrscht sein dürfte. Möglich ist, dass sich einige oder alle diese Unternehmen bereits abgesichert haben und entsprechende Feststellungsverfügungen auf Nichtbewilligungspflicht eingeholt haben – aber sicher ist dies bei weitem nicht. Möglich könnte es auch sein, dass angesichts der Bedeutung dieser Unternehmen, angesichts des Umstandes, dass sie doch zumindest in der Schweiz ihren Sitz haben und in der Schweiz auch wesentlich tätig sind, angesichts der Tatsache, dass vielleicht mindestens einige oder sogar mehrere der bedeutendsten Funktionen im Rahmen dieser Unternehmen von Schweizern ausgeübt werden, manchmal von den Behörden ein Auge zu viel zugedrückt wird. Ob – immer für den Fall, dass dies teilweise zutreffen würde – dies die richtige Strategie wäre, bezweifle ich. Es können sich für diese Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt unangenehme rechtliche Auseinandersetzungen ergeben, die mit ausserordentlich unangenehmen Folgen verbunden wären. Deshalb gibt es meines Erachtens nur einen einzigen Rat: Es muss intern im Unternehmen abgeklärt werden, ob allenfalls die Gefahr einer Auslandsbeherrschung vorliegt. Wenn Unsicherheiten bestehen, müssen diese geklärt werden – zum Beispiel dadurch, dass das zuordenbare Aktionariat in dem Sinn bereinigt wird, dass ganz klar keine Vermutung der Auslandsbeherrschung vorliegt. Auf rechtlicher Ebene ist zu raten, dass Unternehmen im Zweifelsfall eine Bewilligungsbehörde gemäss Lex Koller kontaktieren mit dem Antrag, es sei eine Feststellungsverfügung zu erlassen, dass das Unternehmen nicht ausländisch beherrscht ist.


16. Juni 2020 / Hanspeter Geissmann

Der Autor ist Verfasser bzw.
Mitverfasser verschiedener Kommentare zum Bundesgesetz über den Erwerb von
Grundstücken durch Personen im Ausland (Lex Friedrich/Lex Koller) sowie
diverser Publikationen in Zeitschriften und Zeitungen. Er beschäftigt sich
intensiv seit mehr als 30 Jahren mit Fragen im Zusammenhang mit dem Erwerb von
Grundstücken durch Ausländer, und er berät und vertritt Ausländer wie auch
Schweizer und daselbst vor allem auch Investoren und institutionelle Anleger.


SWISSNESS – WIE VIEL «SWISS» MUSS DRIN SEIN?

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

«Swiss made», «Schweizer Qualität», «Schweizerischer Herkunft» oder die Verwendung eines Schweizerkreuzes werden im Marketing gerne als Verkaufsanreiz genutzt. Mit Bezeichnungen wie „made in Switzerland“ werden die Werte Zuverlässigkeit, Präzision, Tradition und Qualität verbunden, was sich mitunter auf das Preisniveau auswirkt. Wer die Schweiz aber zu Werbezwecken verwendet, muss die gesetzlich verankerten Herkunftskriterien erfüllen. Denn Herkunftsangaben dürfen nicht täuschend sein bzw. wo Schweiz draufsteht, muss auch Schweiz drin sein.

Grundsätzlich kann jedermann die Herkunftsangabe «Schweiz» verwenden. Damit der Mehrwert «Schweiz» aber nicht verwässert und von Trittbrettfahrern missbräuchlich verwendet werden kann, schritt der Gesetzgeber ein und legte klare Kriterien fest, wann ein Produkt oder eine Dienstleistung mit Zusätzen wie «Swiss made» oder einem Schweizerkreuz beworben werden dürfen. Sind die Voraussetzungen erfüllt, so dürfen Marken mit «Swissness-Zusatz» ausschliesslich für in der Schweiz hergestellte Produkte und Dienstleistungen aus der Schweiz verwendet werden.

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I. HERKUNFT VON WAREN

Ob eine Ware mit der Herkunftsangabe «Schweiz» betitelt werden darf, bestimmt sich nach dem Schweizerischen Markenschutzgesetz (kurz: MSchG) und der dazugehörigen Verordnung (MSchV). Vorab werden die Waren in drei unterschiedliche Kategorien unterteilt, nämlich Naturprodukte, Lebensmittel und industrielle Produkte:

Bei Naturprodukten wird bei der
Herkunftsbestimmung jeweils auf ein einzelnes Kriterium, das je nach
Produkteart variiert, abgestellt. So wird bei mineralischen Erzeugnissen (Salz,
Kies, Mineralwasser etc.) auf den Ort der Gewinnung, bei pflanzlichen
Erzeugnissen (Pflanzen, Obst und Gemüse etc.) auf den Ort der Ernte und bei
Wild und Fisch auf den Ort der Jagd bzw. des Fischfangs abgestellt. Bei Fleisch
von Zuchttieren darf die Herkunftsangabe «Schweiz» nur verwendet
werden, wenn die Tiere den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Schweiz
verbracht haben. Für alle anderen von einem Tier gewonnen Erzeugnisse (wie
Milch und Eier) ist der Ort der Tierhaltung massgebend. Wird das Naturprodukt
sodann wesentlich verarbeitet, so fällt es je nachdem in die Kategorie
Lebensmittel oder industrielle Produkte.

Bei Lebensmitteln wird verlangt, dass
mindestens 80% des Gewichts der Rohstoffe aus der Schweiz stammen (bei Milch
und Milchprodukten sind 100% des Gewichts des Rohstoffs Milch erforderlich).
Allerdings werden Rohstoffe, die in der Schweiz nicht vorkommen oder
vorübergehend nicht erhältlich sind, nicht miteinberechnet. Dies führt dazu,
dass eine in der Schweiz produzierte Milchschokolade aus Schweizermilch und
ausländischen Kakaobohnen trotzdem als Schweizer Produkt gilt.

Die Kategorie industrielle Produkte
umfasst alle Waren, die weder unter Naturprokute noch unter Lebensmittel zu
subsumieren sind. Damit industrielle Produkte als «schweizerisch»
angepriesen werden dürfen, müssen mindestens 60% der Herstellungskosten in der
Schweiz anfallen. Bei den Herstellungskosten dürfen u.a. auch die Kosten für
Forschung und Entwicklung sowie die gesetzlich vorgeschriebenen oder
branchenweit einheitlich geregelten Qualitätssicherungen und Zertifizierungen
berücksichtigt werden.

Weiter wird verlangt, dass sowohl bei Lebensmitteln
als auch bei industriellen Produkten ein wesentlicher Verarbeitungsschritt und
damit die Tätigkeit, die dem Produkt seine wesentliche Eigenschaft verleiht, in
der Schweiz stattfindet. Darunter fällt bspw. das Zusammenbauen einer Maschine
oder die Verarbeitung von Milch zu Käse.

II. HERKUNFT VON DIENSTLEISTUNGEN

Damit eine Dienstleistung als «schweizerisch» bezeichnet werden darf, muss sich der Sitz und der tatsächliche Ort der Verwaltung des Erbringers der Dienstleistung in der Schweiz befinden. Am «tatsächlichen Ort der Verwaltung» bedeutet, dass am Sitz massgebliche Tätigkeiten ausgeübt und für das Erbringen der Dienstleistung massgebliche Entscheide gefällt werden. Für ausländische Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen einer Schweizer Muttergesellschaft gelten gesonderte Bestimmungen.

III. MARKENEINTRAGUNG

Sind die Kriterien, die zur Bestimmung der geografischen Herkunft von Waren und Dienstleistungen erforderlich sind, erfüllt, müssen die Waren und Dienstleistungen im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis jeweils auf schweizerische Herkunft eingeschränkt werden. Wird die Einschränkung nicht vorgenommen, droht dem Markenanmeldenden die Abweisung seines Gesuchs gestützt auf Art. 2 lit. c MSchG. Denn damit die Marke mit der Herkunftsangabe «Schweiz» registriert werden kann, darf sie nicht irreführend sein.

Können die vorstehenden Kriterien hingegen nicht
erfüllt werden, weil die Waren bspw. nicht in der Schweiz hergestellt werden,
liegen aber andere spezifische Tätigkeiten, die mit dem Produkt in Zusammenhang
stehen, in der Schweiz, so besteht dennoch die Möglichkeit, das Produkt in
einem gewissen Rahmen mit dem «Swissness-Stempel» zu versehen. Denn
gestützt auf Art. 47 Abs. 3ter MSchGist es erlaubt,
anzugeben, dass die betroffene Tätigkeit vollumfänglich am angegebenen Ort
stattfindet. Dieser Ausnahmetatbestand gilt hingegen nur für Entwicklungs- und
Fabrikationsschritte, die einen konkreten und engen Bezug zur Ware haben. Für
den massgeblichen Verkehrskreis muss dabei stets klar sein, dass sich die
geografische Bezeichnung nur auf die geografische Herkunft der betroffenen
Tätigkeit bezieht (und nicht auf die Ware als solche). Entsprechend ist die
Marke in Bezug auf Farbe, Grösse und Art der Schrift zu gestalten, wobei die
Verwendung des Schweizerkreuzes in diesem Zusammenhang unzulässig ist. Als
Beispiele hierfür nennt die Swissness-Botschaft «geprüft in der
Schweiz», «Swiss Engineering» oder «verpackt in der
Schweiz». Ebenfalls möglich wäre die Bezeichnung «Designed in
Switzerland».

Hingegen ist von sog. entlokalisierenden Zusätzen
(wie bspw. «Schweizerischer Art», «Schweizer Methode» o.Ä.)
abzuraten. Sie sind zu unspezifisch, um die Irreführung über die Herkunft der
betreffenden Ware zu beseitigen. Damit droht eine Abweisung des
Markeneintragungsgesuchs (vgl. Art 47 Abs. 3bis MSchG).

IV. ABGRENZUNGEN

Vom klassischen Schweizerkreuz (Schweizerkreuz in einem quadratischen Feld) zu unterscheiden ist die Kennzeichnung von Schweizer Waren mit einem Schweizer Wappen (Schweizerkreuz in einem Dreieckschild). Die Verwendung des Schweizer Wappens ist für private Unternehmen nämlich nicht mehr erlaubt – es ist dem Gemeinwesen vorbehalten.

Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass das
Schweizer Kreuz auf bestimmten Waren und für bestimmte Dienstleistungen
(insbesondere im medizinischen Bereich) gar nicht verwendet werden darf, da es
mit dem Zeichen des Roten Kreuzes verwechselt werden könnte.

Möchte der Markeninhaber schlussendlich gar nicht
auf die schweizerische Herkunft hinweisen, sondern findet bspw. einfach
Gefallen an der Form des Schweizerkreuzes oder sieht die gewählte Grafik dem
Schweizerkreuz schlichtweg zum Verwechseln ähnlich, so kann bei der
Markenregistrierung mit (positiven oder negativen) Farbansprüchen gearbeitet
werden. Möchte man sich die Farbwahl der Grafik noch offenhalten, so akzeptiert
es das IGE, wenn ihm Rahmen des Markeneintragungsgesuchs ein negativer
Farbanspruch mit folgendem Wortlaut angemeldet wird: «Das im Zeichen
enthaltene Kreuz wird weder in Weiss auf rotem Grund noch in Weiss auf
schwarzem Grund noch in anderen zu Verwechslungen mit dem Schweizerkreuz
führenden Farben wiedergegeben». Positive Farbansprüche (bspw. rotes Kreuz
auf blauem Grund) werden nur dann akzeptiert, wenn die vorgeschlagenen Farben
nicht zu einer Verwechslung mit dem Schweizerkreuz führen könnten (wie dies
bspw. bei einem beigen Kreuz auf burgunderfarbenem Grund der Fall sein dürfte).

V. FOLGEN BEI VERSTÖSSEN

Wird die Schweizer Herkunftsangabe missbräuchlich verwendet, drohen eine strafrechtliche Verfolgung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) und/oder eine Zivilklage. Zur Anhebung einer Zivilklage sind nicht nur allfällige Konkurrenten oder Konsumenten, sondern auch Branchen- und Konsumentenschutzverbände sowie das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (kurz: IGE) berechtigt. 


29. Mai 2020 / MLaw Simone Küng,


REVISION DES URHEBERRECHTS – DIE WICHTIGSTEN NEUERUNGEN IM ÜBERBLICK

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 1. April 2020 treten die revidierten Gesetzesbestimmungen des Urheberrechts in Kraft. Ziel der Gesetzesrevision ist es, das Bundesgesetz über das Urheberrecht (URG) an das digitale Zeitalter anzupassen. Nachstehend werden die wichtigsten Neuerungen, worunter insbesondere der neue Lichtbildschutz, das «Stay down»-Recht gegenüber Hosting-Providern und die Nutzung verwaister Rechte gehören, kurz vorgestellt..

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I. NEUER LICHTBILDSCHUTZ 

Früher mussten Fotografien einen genügenden
«individuellen Charakter» inne haben, damit sie urheberrechtlich
geschützt waren. Als Kriterien wurden Beleuchtung, Schattenwurf, Blickwinkel
etc. herangezogen, was die rechtliche Beurteilung, ob eine Fotografie nun
geschützt ist oder nicht, besonders erschwerte. Mit der Revision des URG
brauchen Fotografien nun keinen besonderen «individuellen Charakter»
mehr. Sie sind vielmehr automatisch – mit deren Entstehung – geschützt; sei
dies analog oder digital. Voraussetzung ist einzig, dass das Bild durch einen
Menschen gemacht wurde und darauf ein dreidimensionales Objekt abgebildet ist.
Selbst wenn das Bild noch so verwackelt oder verschwommen ist; es gilt ab dem
1. April 2020 als Werk i.S. des URG und geniesst dessen Schutz. Weiterhin
zulässig ist die Verwendung eines solchen Werks zum blossen Eigengebrauch, also
die Verwendung in den eigenen vier Wänden und im Kreis der Familie und Freunde
(nicht aber das Posten auf Social-Mediaplattformen o.Ä.). 

Der neue Lichtbildschutz gilt rückwirkend,
d.h. auch für Fotos, die vor dem 1. April 2020 geschossen wurden. Dies aber nur
mit Bezug auf zukünftige Verwendungen. 

II. NEUE PFLICHTEN FÜR HOSTING-PROVIDER

Neu müssen Internet-Hosting-Dienste, die eine besondere Gefahr von urheberrechtsverletzenden Inhalten geschaffen haben, verhindern, dass einmal entfernte widerrechtliche Inhalte erneut zugänglich gemacht werden. Um dieser «Stay-Down»-Pflicht nachzukommen, müssen die Hosting-Provider Massnahmen ergreifen, die ihnen technisch und wirtschaftlich zumutbar sind. Damit werden die Hosting-Provider verstärkt in die Pflicht genommen. Die neue gesetzliche Regelung gilt aber nicht für Access-Provider (Internet-Anbieter).

III. NUTZUNG VON VERWAISTEN WERKEN

Ist der Rechteinhaber eines Werks nicht mehr auffindbar oder unbekannt, so konnte das Werk bisher nicht verwendet werden, zumal das Einverständnis des Rechteinhabers nicht eingeholt werden konnte. Neu sieht das Urheberrecht eine Ausnahmebestimmung vor: Gegen eine Vergütung ist die Nutzung aller verwaisten Werke, die sich in den Beständen von Gedächtnisinstitutionen befinden, erlaubt. Die Vergütung ist im Sinne einer Versicherungsprämie an die Verwertungsgesellschaften zu bezahlen. Meldet sich der Rechteinhaber doch noch, so kann er sich an die Verwertungsgesellschaft wenden und eine Entschädigung für die Nutzung verlangen. 

IV. ERWEITERTE KOLLEKTIVLIZENZEN

Sollen die Urheberrechte für eine grössere Anzahl von veröffentlichten Werken eingeholt werden, so kann dies äusserst aufwendig und kostenintensiv werden. Nach skandinavischem Vorbild soll es ab 1. April 2020 mit der neuen erweiterten Kollektivlizenz unter gewissen Voraussetzungen möglich sein, mit nur einer Anfrage an die Verwertungsgesellschaft eine Nutzungserlaubnis für ein ganzes «Bündel» von Urheberrechten zu bekommen. Die Verwertungsgesellschaften müssen vorgehend nicht mit jedem einzelnen Rechteinhaber Vereinbarungen schliessen. D.h. sie können auch Lizenzen erteilen, obwohl sie sich hierfür eigentlich nicht auf eine vertragliche oder gesetzliche Rechteeinräumung stützen können, was schlussendlich Zeit und Kosten spart. Selbstverständlich hat die Verwertungsgesellschaft aber allen Rechteinhabern eine Vergütung zu bezahlen. 

V. VIDEO ON DEMAND-VERGÜTUNG FÜR URHEBER UND AUSÜBENDE KÜNSTLER

Vor dem Hintergrund, dass heute Filme und Serien hauptsächlich über Plattformen im Internet (Video on Demand) konsumiert werden, sieht das revidierte Urheberrecht vor, dass den Urhebern (Regisseure, Drehbuchautoren etc.) und ausübenden Künstlern (Schauspieler, Synchronsprecher etc.) für die Verwertung ihrer audiovisuellen Werke über Online-Plattformen eine Vergütung zusteht. Ausgerichtet wird sie über die Verwertungsgesellschaften, welche die Vergütung direkt bei den Betreibern der Video on Demand-Plattformen einholen. Die Verwertung der Video on Demand-Rechte wird damit erleichtert. Darüber hinaus ist der Anspruch der Urheber und ausübenden Künstler auf Video on Demand-Vergütungen unübertragbar und unverzichtbar. 


31. März 2020 / MLaw Simone Küng,

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