IST BAUEN AN STARK BEFAHRENEN STRASSEN ÜBERHAUPT NOCH MÖGLICH?

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Auswirkungen der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Lärmschutz auf die Planung von Bauvorhaben und die Bewilligungspraxis von Baubehörden

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Das Bundesgericht hat bei einem Ende Jahr 2021 gefällten Urteil die strenge Rechtsprechung betreffend Lärmschutz bestätigt- viele Planer und Baubehörden fragen sich nun, was überhaupt an stark befahrenen Strassen noch an Wohnbauten möglich ist.

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SACHVERHALT

Dem Urteil (1C_275/2020   Urteil vom 6. Dezember 2021) lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde:

Eine private Bauherrschaft plante eine Wohnüberbauung mit 124 Wohnungen auf dem sogenannten «Bürgli-Areal» in Zürich-Enge. Das betreffende Gebiet ist lärmbelastet. Mit Bauentscheid vom 2. Oktober 2018 erteilten die zuständigen Baubehörden die entsprechende baurechtliche Bewilligung. 

Nachdem das Baurekursgericht die dagegen erhobenen Rekurse noch abgewiesen hatte, gab das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführenden recht und hob die Baubewilligung auf, weil die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nicht erfüllt seien. Das Bundesgericht stützte nun das Verwaltungsgericht und damit auch seine strenge Praxis zum Lärmschutz und den Anforderungen an eine Ausnahmebewilligung.

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RECHTLICHES

Gemäss Art. 22 USG (SR 814.01) werden Baubewilligungen für neue Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur erteilt, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten sind (Abs. 1) oder die Räume zweckmässig angeordnet und die allenfalls notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen getroffen werden (Abs. 2). Nach Art. 31 Abs. 1 LSV kann eine Baubewilligung nur erteilt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte durch die Anordnung der lärmempfindlichen Räume auf der dem Lärm abgewandten Seite des Gebäudes (lit. a) oder durch bauliche oder gestalterische Massnahmen, die das Gebäude gegen Lärm abschirmen (lit. b), eingehalten werden können. Ist die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte durch derartige Massnahmen nicht möglich, darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV (Lärmschutzverordnung) vorliegen.

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Voraussetzung einer Ausnahmebewilligung

Eine Ausnahmebewilligung gestützt auf Abs. 2 von Art. 31 LSV  nur möglich, wenn

sämtliche verhältnismässigen baulichen und gestalterischen Massnahmen gemäss Abs. 1 ausgeschöpft worden sind sowie

sich die strikte Anwendung von Art. 22 USG unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls als unverhältnismässig erwiese.

Die Ausnahmeermächtigung darf nicht dazu eingesetzt werden, generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer anführen liessen; auf diesem Weg würde das Gesetz umgangen.

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Konkrete Rechtsfragen (zusammengefasst):

Streitig war, ob beim besagten Bauprojekt sämtliche verhältnismässige Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) ergriffen wurden und ob alternative bauliche und gestalterische Massnahmen genügend geprüft wurden, um gestützt auf Art. 31 Abs. 2 LSV eine Ausnahmebewilligung für die geplante Wohnüberbauung beantragen zu können.

Das Zürcher Verwaltungsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Frage, ob sämtliche verhältnismässigen Massnahmen im Sinn von Art. 31 Abs. 1 LSV ausgeschöpft worden sind, eingehend nachzugehen ist und ihre Beantwortung substantiiert begründet werden muss. Das Baurekursgericht hatte argumentiert, dass ein entsprechender, die Frage abschliessend beantwortender Nachweis von der Bauherrschaft nicht verlangt werden könne, da ein solcher faktisch dazu führen würde, dass zusätzlich zum Lärmschutznachweis zahllose (architektonische) Variantenstudien einzuholen wären; im strikten rechtlichen Sinn sei der geforderte Nachweis faktisch nicht zu erbringen.

Das Bundesgericht bestätigte die Haltung des Verwaltungsgerichts. Es hielt insbesondere fest, dass in einer Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  aufzuzeigen sei, inwiefern alle in Betracht fallenden Massnahmen nach Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft worden wären.

Rein pauschale Aussagen in einer Bewilligung, dass «Im Rahmen der Prüfung durch die Fachstellen Lärmschutz der Stadt und des Kantons Zürich alle infrage kommenden Massnahmen evaluiert und soweit sinnvoll ins Bauvorhaben eingebracht worden wären» würden nicht ausreichen. Auch beim Lärmgutachten reiches es nicht aus, wenn lediglich festgehalten werde, dass «keine weiteren zumutbaren Lärmschutzmassnahmen» möglich seien.

Das Bundesgericht hielt zudem fest, dass dem Lärmschutz im Falle, dass die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, schon bei der Definition der Rahmenbedingungen – etwa bei der Ausschreibung und Durchführung eines Projektwettbewerbs -, eine hohe Bedeutung beizumessen gewesen wäre. Es gehe nicht, ein Bauprojekt so zu konzipieren, wie wenn keine übermässige Lärmbelastung bestünde und anschliessend mit Hinweis auf die Unzumutbarkeit ausreichender Lärmschutzmassnahmen am Gebäude gestützt auf Art. 31 Abs. 1 LSV eine Ausnahmebewilligung zu erteilen.

Es sei an der Bauherrschaft aufzuzeigen, dass dem Lärmschutz das vom Gesetz geforderte Gewicht in der Entwicklung und im Resultat des Bauprojekts zugekommen ist bzw. zukommt, d.h. dass sie den Lärmschutz im Rahmen der Projektausarbeitung adäquat berücksichtigt hat. Soweit die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können, hat die Bauherrschaft daher darzulegen, weshalb welche Massnahmen geprüft, gewählt oder verworfen wurden.

Dabei sei es weder erforderlich und gleichzeitig aber auch nicht genügend «zahllose Variantenstudien» vorzulegen. Gefragt sei vielmehr eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Lärmschutz, bezogen auf die konkrete Parzelle und die vorgesehene Nutzung. Für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung muss nachgewiesen sein, dass alle in Betracht fallenden baulichen und gestalterischen Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft wurden (Urteil des Bundesgerichts 1C_106/2018 vom 2. April 2019 E. 4.7). Es sei Sache der Baugesuchsteller rechtzeitig eine hinreichende Massnahmenprüfung beibringen müssen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, diese Abklärung im gerichtlichen Verfahren von Amtes wegen nachzuholen.

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ALS FAZIT IST FOLGENDES FESTZUSTELLEN

Lärmschutz und entsprechende Bauweise und Massnahmen müssen künftig bereits bei der Planung eines Bauvorhabens von Grund auf einbezogen werden. Dies erfordert von Architekten schon zu Beginn der Projekttätigkeit den Einbezug der entsprechenden Abklärungen und Voraussetzungen an Lärmschutz. Bei Bauten an lärmbelasteten Standorten kann eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  nur noch dann beansprucht werden, wenn im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens aufgezeigt werden kann, dass dem Lärmschutz bei der Projektierung von Grund auf Rechnung getragen worden ist.

Ist dies nicht der Fall, bestehen erhebliche Risiken, dass eine solche Ausnahmebewilligung nicht erteilt bzw. von einem Gericht aufgehoben wird. Es muss somit bereits im Stadium der Planung entsprechend dokumentiert werden, dass man dem Lärmschutz Beachtung geschenkt hat.

Entgegen verschiedener Voten in den Medien bedeutet der Entscheid des Bundesgerichtes aber nicht, dass künftig an lärmbelasteten Strassen nicht mehr gebaut werden kann. Ebenso ist der Entscheid des Bundesgerichtes keine absolute Absage an Ausnahmebewilligungen. Gefordert wird aber, dass man sich im Vorfeld des Baugesuches mit der Frage des Lärmschutzes intensiv planerisch auseinanderzusetzen hat. Dem Lärmschutz ist neben der Ausnützung, der architektonischen Gestaltung ein entsprechendes Gewicht zu geben. Nicht (mehr) möglich ist es, den Lärmschutz bei der Planung nicht zu berücksichtigen und dann eine Ausnahmebewilligung mit pauschalen Begründungen in der Bewilligungserteilung zu argumentieren.


26. April 2022 / lic. iur. Christoph Schärli


PREISGARANTIEN BEI ÖFFENTLICHEN UND PRIVATEN AUSSCHREIBUNGEN – DIE AKTUELLE SITUATION ERFORDERT EIN UMDENKEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Unsicherheiten zeitigt massive Auswirkungen auf Teile der Wirtschaft – insbesondere auch auf Preise für Rohstoffe, Produktions- und Herstellungskosten von diversen Materialien aber auch auf Lieferketten. Dies nachdem bereits die Corona-Pandemie den Welthandel in den vergangenen Monaten stark eingeschränkt und die Verfügbarkeit gewisser Produkte und Rohstoffe eingeschränkt hat.

Je nach Branche ist es für Unternehmen in der aktuellen Lage nicht mehr möglich, von ihren Zulieferinnen verbindliche Zusagen betreffend Preise und Lieferfristen zu erhalten. Schon gar nicht, wenn diese Produkte über einen mittelfristigen Zeithorizont nachgefragt werden.

Im Bereich des öffentlichen Beschaffungsrechts aber auch bei privaten Ausschreibungsverfahren und Vertragsverhandlungen führt dies zu neuen Fragen und Herausforderungen im Umgang mit Ausschreibungsbedingungen und Angeboten.

Gerade im Beschaffungsrecht aber auch im privaten Bereich hat sich die Praxis in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt, dass die Anbieter im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung verlässliche und langfristige Preise und Lieferbedingungen offerieren können. Entsprechend wird von einer Anbieterin verlangt, dass sie im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ihre Leistungen anhand eines verbindlichen Preises offeriert. Gestützt darauf wird dann die Bewertung der Angebote und den Zuschlag vorgenommen.

Wie soll nun ein Anbieter damit umgehen, wenn er in einer öffentlichen Ausschreibung ein Angebot zu einem Fixpreis mit einer Gültigkeit von mehreren Monaten (teilweise gar mit Lieferterminen im Jahre 2023) einreichen muss, jedoch von seinen Rohstofflieferanten keine verbindlichen Preise oder Lieferdaten zugesichert erhält? Will er nicht einen totalen Blindflug mit hohen Risiken antreten, muss er in seinem Angebot entsprechend darauf hinweisen und Vorbehalte anbringen.

Doch grundsätzlich lässt das Beschaffungsrecht das Einreichen von Angeboten mit Vorbehalten und entsprechenden Bedingungen nicht zu. Nach Lehre und Rechtsprechung sind Angebote, die etwa betreffend die Preisofferte Vorbehalte enthalten, ausschreibungswidrig und werden ausgeschlossen. Angebotsgültigkeitseinschränkungen unter Verweise einer Anpassung bei Abweichungen von einem gewissen Preisindex werden vergaberechtlich als (unzulässige) Resolutivbedingung mit Bezug auf die Verbindlichkeit des Angebotes betrachtet.

Diese Haltung ist in normalen Zeiten einleuchtend. Denn das Vergaberecht richtet sich stark auf die Vergleichbarkeit der Offerten aus. Wenn nun jeder Anbieter sein Angebot an gewisse Bedingungen knüpft, leidet darunter die Vergleichbarkeit. Dies gilt sowohl für Preise aber auch Lieferfristen. Bei normalen Verhältnissen können und dürfen im Rahmen eines gesunden Wettbewerbs und der Kalkulationsfreiheit diese Risiken an die Anbieter ausgelagert werden, müssen diese mit den üblichen Schwankungen umgehen können.

Die Wirtschaft und damit auch das öffentliche Beschaffungswesen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten an stabile Rohstoffpreise und Verfügbarkeiten gewöhnt. Die Ausschreibung von Leistungen zu Fixpreisen über die Dauer mehreren Jahren gar unter Ausschluss der Teuerung sind bei öffentlichen (aber auch privaten) Ausschreibungen bzw. Beschaffungen deshalb an der Tagesordnung.

Die aktuellen teilweise massiven Verwerfungen auf den Märkten und die Unsicherheiten erfordern aber ein Umdenken.

Es stellt sich die Frage, wie Vergabestellen mit dieser neuen Situation umgehen sollen. Das Risiko der unsicheren Preise weiterhin zu 100 % an die Anbieter zu überbinden und in der Offerte eine Garantie der fixen Preise auch für langfristige Beschaffungen zu verlangen, ist keine Lösung. Schreiben die Vergabestellen aktuell weiterhin Beschaffungen zu unanpassbaren Festpreisen (z.B. Pauschalpreise) aus, führt dies dazu, dass Anbieter gerade dazu gezwungen werden, ein Angebot unter Vorbehalt der Preisanpassung einzureichen (was streng genommen vergaberechtlich zu einem Ausschluss führen muss) oder aber ein Angebot einzureichen, welches die aktuell teilweise sehr massiven Kostensteigerungen und Unsicherheiten vollumfänglich einpreist.

Letzteres kann aber auch nicht im Sinne der Vergabestellen sein, zumindest nicht, wenn man die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und einer Normalisierung der Preise nicht aufgeben will. Denn bei einem solchen Szenario würde die öffentliche Hand (falls die Preise wieder fallen) massiv zu hohe Preise bezahlen.

Angesichts der aktuell sehr unsicheren und nicht vorhersehbaren Lage müssen sowohl die Vergabestellen als auch die Anbieter daran interessiert sein, in Beschaffungsverfahren Modelle mit Preismechanismen zu finden, welche die Risiken der Preisvolatilität angemessen berücksichtigen und der aktuellen Unsicherheiten beidseits Rechnung tragen.

Entsprechend ist den Vergabestellen zu empfehlen, von sich aus in den Ausschreibungsbedingungen entsprechende Anpassungsmechanismen für Preise aber auch Lieferfristen vorzusehen, welche bei begründeten Fällen zum Tragen kommen und so die Risiken für beide Seiten minimieren.

Damit solche Modelle überhaupt angewendet werden können, müssen aber die Kalkulationen der Offerten entsprechende Kostenpositionen aufweisen und die Anbieter damit ein gewisses Mehr an Transparenz in ihrer Kostenkalkulation gewährleisten.

Bei Beschaffungsvorhaben in Branchen, welche den aktuellen Geschehnissen stark ausgesetzt sind, ist deshalb bei neuen Ausschreibungen ein Augenmerk darauf zu legen, von Seiten der Vergabestellen schon im Voraus klar zu definieren, wie mit den Unsicherheiten der Preiskalkulation umgegangen wird und nach welchen Grundsätzen die Anbieter zu kalkulieren haben. Dies soll den Anbietern ermöglichen, ihr Angebot transparent nach den verfügbaren Preisen und Annahmen zu kalkulieren und so die Grundlagen dafür zu schaffen, dass allenfalls später eine Anpassung wegen stark veränderten Kostengrundlagen möglich ist.


26. April 2022 / lic. iur. Christoph Schärli


VERSORGUNGSENGPÄSSE UND PREISERHÖHUNGEN BEI ROHSTOFFEN – DIE AUSWIRKUNGEN DER CORONA-PANDEMIE AUF LIEFERFRISTEN UND PAUSCHALPREISE IN WERKVERTRÄGEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

I. FRAGESTELLUNG

Die weltweite Corona-Pandemie hatte und hat noch immer massive Auswirkungen auf die Gesellschaft und damit auch die Wirtschaft. Dies betrifft u.a. das Baugewerbe. Fast alle Staaten haben zum Teil mit massiven Massnahmen wie Lock-Downs, Ausgangssperren, Home-Office Pflicht, aber auch Schliessungen von Betrieben, usw. in die Wirtschaftsprozesse eingegriffen. Ebenso wurden Exportverbote gewisser Rohstoffe erlassen. Zudem treten Produktionsengpässe auf. Lieferketten und Produktionsabläufe wurden und sind noch immer teilweise unterbrochen oder eingeschränkt. Dadurch können für Unternehmen Verzögerungen entstehen, die es ihnen verunmöglichen, vertraglich vereinbarte Liefer- und Fertigstellungstermine einhalten zu können.

Gleichzeitig führen die obgenannten Umstände und Schwierigkeiten aber auch die Knappheit und gleichzeitige starke Nachfrage an gewissen Rohstoffen zu teils massiv höheren Rohstoffpreisen.

Gerade im Baubereich werden aber die Werkverträge und die entsprechenden Konditionen oft viele Monate im Voraus ausgehandelt. Dies gilt insbesondere auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Dabei wird meist der Preis pauschalisiert. Damit übernimmt die Unternehmerin grundsätzlich das Risiko (und auch die Chancen) von Mehr- oder Minderkosten aufgrund (normalen) Preisänderungen. Zudem werden in den Werkverträgen klare Termine vereinbart, bis zu welchen die Leistungen erbracht werden müssen. Oft versehen mit empfindlichen Konventionalstrafen, wenn die Termine nicht eingehalten werden können.

Die aktuelle Situation führt zwischen Bestellerin und Unternehmerin zu offenen Fragen und Diskussionen. Wie ist mit den teils massiven Preiserhöhungen und Verzögerungen umzugehen. Gerade Konstellationen mit verschiedenen Vertragsebenen und Sub(sub)unternehmer sind auch betreffend Koordination und Kommunikation einer Lösungsfindung komplex.

Nachfolgend wird beleuchtet, welche vertraglichen Regelungen und Grundsätze in solchen Konstellationen zur Anwendung gelangen. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die im Baugewerbe übliche Ordnung SIA 118 sowie die Rechtslage gemäss schweizerischem Obligationenrecht.

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II. LIEFERVERZUG AUFGRUND UNVERSCHULDETER COVID-19 BEDINGTER VERZÖGERUNGEN UND BEHINDERUNGEN

Die Unternehmerin hat die vertraglich geschuldeten Leistungen grundsätzlich fristgerecht zu erfüllen (pacta sunt servanda). Dies ist Teil der Vertragspflichten. Sowohl die SIA 118 wie auch das Obligationenrecht sehen aber Ausnahmen vor, in denen eine Unternehmerin Anspruch auf angemessene Fristerstreckung zur Erfüllung der Leistungen hat. Die SIA 118 regelt diese Fälle in Art. 96. Danach hat die Unternehmerin Anspruch auf eine angemessene Erstreckung der Bauzeit, wenn sie konkret nachweisen kann, dass Beeinträchtigungen vorliegen, welche «nicht vom Unternehmer verschuldet» sind und die Verzögerung nur mit einer Bauzeitverlängerung aufgeholt werden kann. Unverschuldet ist eine Verzögerung dann, wenn äussere Umstände wie Natureinflüsse, Lieferstörungen, behördliche Massnahmen, usw. dazu führen, dass die Unternehmerin trotz aller Vorkehrungen (die zumutbar und üblich sind) die Lieferzeiten nicht einhalten kann.

Das Obligationenrecht spricht in Art. 103 Abs. 2 OR auch von unverschuldeter Unmöglichkeit der Leistungserbringung bzw. «objektiver Unmöglichkeit».

Bei der Corona-Pandemie handelt es sich nach überwiegender Rechtsauffassung um solche vom Unternehmer weder vorhersehbaren noch in seinem Einflussbereich stehenden äussere Einflüsse, vergleichbar mit einer Naturkatastrophe (wobei der Corona Virus auch als solche bezeichnet werden kann). Entsprechend wird sich eine Unternehmerin bei einem Covid-19 bedingten Verzug auf den Anspruch auf angemessene Fristverlängerung berufen können, wenn sie die Fristerstreckung umgehend dem Vertragspartner anzeigt, sobald sie erkannt, dass eine vertragliche Frist möglicherweise nicht gehalten werden kann.

Wichtig: Dieser Anspruch besteht nur insoweit, als der Verzug im konkreten Einzelfall effektiv auf Covid-19 bedingte Verspätungen oder Hindernisse zurückzuführen ist. Es gibt keine allgemeine «Corona Fristverlängerung» welche immer gilt, sondern nur dann, wenn im konkreten Fall effektiv ein Termin aufgrund den oben beschriebenen Massnahmen oder Folgen nicht eingehalten werden kann. Dabei muss eine Kausalität zwischen Massnahme und Verzögerung vorliegen. Vertragliche Fristen sind grundsätzlich auch während der Corona Pandemie einzuhalten.

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III. PREISANPASSUNGEN AUFGRUND GESTIEGENER ROHSTOFF- ODER PRODUKTIONSKOSTEN

Sofern eine Unternehmerin einen Pauschalpreis für eine Leistung vereinbart hat, bleibt der Preis fix, selbst wenn sich der Aufwand und die Kosten für die Unternehmerin erhöhen. Die SIA 118 und auch das Obligationenrecht sehen aber auch hier eine Ausnahme vor. Dies wenn sogenannte «ausserordentliche Umstände» vorliegen (Art. 59 der SIA-Norm 118 bzw.  Art. 373 Abs. 2 OR). Gemäss Art. 59 SIA 118 hat der Unternehmer Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, falls ausserordentliche Umstände, welche nicht vorausgehen werden konnten, die Fertigstellung hindern oder übermässig erschweren. Solche Umstände können zum Beispiel Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, einschneidende behördliche Massnahmen, etc. darstellen. Art. 59 Abs. 1 der SIA-Norm 118 setzt jedoch voraus, dass die ausserordentlichen Umstände so beschaffen sind, dass die Ausführungskosten derart erhöht werden, dass zwischen der Gesamtleistung des Unternehmers und der vertraglichen Vergütung ein offenes Missverhältnis zulasten des Unternehmers entsteht. Die Lehre und Rechtsprechung beurteilen den Fall, bei welchem eine aussergewöhnliche Steigerung von Materialkosten vorliegt, als solche nicht vorhersehbaren ausserordentlichen Umstände, welche die Unternehmerin zu einer Preisanpassung berechtigen.

Unter Verweis auf die obigen Ausführungen wird wohl unbestritten sein, dass die Corona Pandemie ein nicht vorhersehbares Ereignis darstellt. Selbst das vorsichtigste kalkulierende Unternehmen wird bei der Berechnung und Kalkulation seiner Pauschalofferte nicht mit solchen Szenarien und einem solchen einmaligen noch nie dagewesenen Ereignis gerechnet haben.

Entsprechend liegt ein Fall von Art. 59 SIA 118 bzw. Art. 373 OR vor und die Unternehmerin hat – sofern konkrete und substantiell durch die Corona-Pandemie bzw. -Massnahmen versursachte Preiserhöhungen von Rohstoffen oder Produktionskostensteigerungen vorliegen, Anspruch auf eine angemessene Preiserhöhung. Normale Preisschwankungen sind nicht dasselbe. Die Unternehmerin muss somit nachweisen, dass es erhebliche Preissteigerungen sind, welche unerwartet waren.

Wichtig: Sowohl nach Art. 59 SIA 118 wie auch Art. 373 OR hat die Unternehmerin bei Vorliegen ausserordentliche Umstände «nur» insoweit Anspruch auf zusätzliche Vergütung, als ein Missverhältnis zwischen der Gesamtleistung der Unternehmerin (Herstellungskosten) und der Gesamtvergütung besteht. Die Unternehmerin kann somit nicht einfach die Preiserhöhung der Rohstoffpreise auf die verarbeitete Menge an die Bestellerin weitergeben. Geschuldet ist ein angemessener Ausgleich des Missverhältnisses.

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IV. FAZIT

Die unmittelbaren Folgen der Covid-19 bzw. Corona-Pandemie auf Produktionsabläufe und Produktions- bzw. Materialkosten erfüllen die Voraussetzungen der sogenannten Fälle von «höherer Gewalt». Die Corona-Pandemie ist ein Ereignis, welche für die Unternehmungen völlig unvorhersehbar und unverschuldet eingetreten ist. Entsprechend kommen die in der SIA 118 und dem Obligationenrecht verankerten Regelungen der Ansprüche der Unternehmen für angemessene Fristverlängerung zur Leistungserfüllung und/oder Anpassung der Vergütung aufgrund ausserordentlicher Umstände zum Tragen, sofern im konkreten Fall ein «Covid-19 bedingter» unverschuldeter Verzug oder eine durch die Corona- Pandemie verursachte unvorhersehbare wesentliche Kostensteigerung vorliegt. Dies ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist die Unternehmerin beweispflichtig. Sie hat darzulegen, weshalb und gestützt auf welche Parameter sich die Umstände ausserordentlich und unerwartet (und unverschuldet) geändert haben.

Da die Grösse, welche Preisanpassungen nun als «angemessen» betrachtet werden, nur schwer justiziabel ist, wird es sowohl für Besteller als auch Unternehmerin meist vorteilhafter sein, eine aussergerichtliche partnerschaftliche Lösung zu suchen.

Bei neuen Vertragsverhandlungen über zukünftige Projekte ist angesichts der unklaren Aussichten, wie und wann sich die Preise und Lieferfristen wieder normalisieren bzw. in welche Richtung sie sich entwickeln werden, beiden Seiten zu empfehlen, eine Regelung im Werkvertrag zu vereinbaren, wie mit den beidseitigen Risiken umzugehen ist. Denn die obgenannten Ausführungen treffen auf den Fall zu, in dem die Unternehmerin von der Preiserhöhung der Rohstoffe und Lieferverzögerung unerwartet betroffen ist.

Bei Verträgen, welche aktuell und zukünftig ausgehandelt werden, wird es für eine Unternehmerin wohl aber schwer werden, sich auf eine fehlende Voraussehbarkeit der entsprechenden Risiken zu berufen. Diese sind nun bekannt. Deshalb sollten im Falle von Pauschalpreisabreden (wenn möglich) entsprechende Anpassungsklauseln für den Fall von starken Schwankungen der Rohstoffpreise (in beide Richtungen) vereinbart werden.


19. August 2021 / lic. iur. Christoph Schärli


DIE WICHTIGSTEN (RECHTS-)FRAGEN RUND UM DEN EIGENHEIMKAUF

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich
Lic. iur. Christoph Schärli

MLaw Kim Attenhofer

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Am 28. Mai 2021 erschien im Tagesanzeiger die Beilage «Fokus Familie», die sich mit diversen Fragen zum Thema Familienrecht, Erbrecht und Vertragsrecht befasste. Unsere beiden Baurechtsspezialisten, MLaw Kim Attenhofer und lic. iur. Christoph Schärli, haben in ihrem Beitrag die wichtigsten Rechtsfragen rund um den Erwerb von Eigenheim aufgegriffen und beantwortet.

Dieser Beitrag ist unter folgendem Link einsehbar.

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28. Mai 2021 / MLaw Kim Attenhofer und lic. iur. Christoph Schärli


ARCHITEKTENVERTRAG UND -WETTBEWERB

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Artikel von lic. iur. Christoph Schärli zum Thema «Architektenvertrag und -wettbewerb».

Erschienen im Newsletter Weka Bau- und Immobilienrecht, Ausgabe 08/2020 – einsehbar unter folgendem Link


DAS URHEBERRECHT DES PLANERS – EIN IMMATERIALGÜTERRECHT IM KONFLIKT MIT DEN EIGENTUMSRECHTEN DES BAUHERRN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Artikel von lic. iur. Christoph Schärli zum Thema «Das Urheberrecht des Planers – ein Immaterialgüterrecht im Konflikt mit den Eigentumsrechten des Bauherrn».

Erschienen im Newsletter Weka Bau- und Immobilienrecht, Ausgabe 07/2020 – einsehbar unter folgendem Link


AKTUELLES VOM BAUREKURSGERICHT ZÜRICH – DIE AUFNAHME EINES GEBÄUDES IN EIN INVENTAR STELLT NOCH KEINE SCHUTZMASSNAHME DAR

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

rechtliche Überlegungen zum Umgang mit Inventaren im Kanton Zürich

Das Baurekursgericht Zürich hat in einem aktuellen (zurzeit noch nicht rechtskräftigen) Entscheid (BRGE II Nr. 0004/2020) die bisherige kantonale Praxis zur Rechtswirkung und der Nichtanfechtbarkeit der Inventarisierung eines Gebäudes in ein kommunales Inventar bestätigt. Eine Praxis, welche aus Sicht der verfassungsmässigen Eigentumsrechte der betroffenen Eigentümer durchaus kritisch zu betrachten ist.

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I. Sachverhalt

Eine Gemeinde im Kanton Zürich hat ein privates Gebäude in das Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung der Gemeinde aufgenommen, bzw. dieses entsprechend ergänzt. Schutzmassnahmen bzw. ein formelles vorsorgliches gesetzliches Veränderungsverbot nach § 209 PBG wurden jedoch ausdrücklich (noch) nicht ausgesprochen. Die Eigentümerin reichte Rekurs beim Baurekursgericht ein und beantragte die Aufhebung des Beschlusses und dass das Gebäude nicht in das Inventar aufzunehmen sei. Das Baurekursgericht Zürich ist im Entscheid vom 21. Januar 2020 auf den Rekurs nicht eingetreten. Das Baurekursgericht stützt sich in seiner Begründung auf die Praxis und Lehre im Kanton Zürich, nach welcher Inventare erst dann eine eigentümerverbindliche Wirkung entfalten, wenn die Aufnahme eines Objektes in ein Inventar förmlich (schriftlich) angezeigt und mit dem Hinweis auf ein damit wirksam werdendes gesetzliches Veränderungsverbot verbunden werden. Die blosse Inventaraufnahme stelle noch keine Schutzmassnahme dar, auch keine provisorische. Die Wirkung eines Inventares bestehe (nur) darin, die Behörden und die nachfragenden Eigentümer oder Drittpersonen darauf aufmerksam zu machen, dass die aufgenommenen Objekte im Falle von Veränderungen einer erhöhten Aufmerksamkeit bedürfen (vgl. E. 3, BRGE II Nr. 0004/2020).

II. Kommentar

Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zur Inventarisierung ist der Entscheid nachvollziehbar. Er zeigt jedoch eine grundsätzliche Problematik der Hinweisinventare und der fehlenden Anfechtungs- bzw. Überprüfungsmöglichkeiten von solchen Inventarisierungen. Denn auch wenn einem Inventar nur die Aufgabe eines behördeninternen Sachplanes zukommt (vgl. Zürcher Planungs- und Baurecht, FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF/KUNZ, S. 277) wird faktisch mit der Inventarisierung eines Gebäudes bereits in das Eigentumsrecht der Grundeigentümerin eingegriffen bzw. dieses zumindest tangiert.

Fakt ist, dass bereits mit der Inventarisierung eines Gebäudes dieses öffentlich einsehbar und in einem Inventar aufgeführt einem «Generalverdacht» in Bezug auf die Schutzwürdigkeit unterstellt wird. Auch wenn es sich bei der Inventarisierung nach Lehre und Rechtsprechung nicht um eine provisorische Schutzmassnahme handelt, kommt dem Inventareintrag in der Praxis oft eine präjudizielle Wirkung zu. So ist immer wieder feststellbar, dass solche Inventareinträge Vorlage oder Referenz für Schutzabklärungen, Gutachten und auch Verfügungen bilden. Gerade bei Gutachtern aber auch den Behörden wird die inhaltliche und insbesondere rechtliche Relevanz und Wirkung der Hinweisinventare überhöht.

In Unterschutzstellungsverfahren finden sich so immer wieder Schutzgutachten, welche als Referenz für den Schutzwert integral oder schwerpunktmässig auf den entsprechenden Inventareintrag und die dortigen Feststellungen verweisen, ohne diese zu hinterfragen. Wenn nun aber solche Gutachten sich inhaltlich derart auf die Inventareinträge abstützen, führt dies dazu, dass dem Inventareintrag die entscheidende Bedeutung zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Gebäudes zukommt. Es trifft somit nicht zu, wenn man davon ausgeht, dass eine Inventarisierung noch keine Rechtswirkung begründen würde.  Wird dem Inventareintrag eine solche Bedeutung beigemessen, ist er mehr als ein verwaltungsinternes Hilfswerkzeug.

Dies zeigt sich auch daran, dass die Behörden Inventare nicht ohne weiteres wieder bereinigen können. Denn die Entlassung eines einmal aufgenommenen Gebäudes aus einem Inventar ist nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in der Regel nur gestützt auf ein Gutachten möglich. Eine Inventarentlassung ist zu verfügen und kann mit einem Rechtsmittel (etwa von Heimatschutzverbänden) angefochten werden. Im Gegensatz zur Inventarisierung ist die Entlassung aus einem Inventar somit dem Rechtsschutz unterstellt.

Ist eine Grundeigentümerin mit der Inventarisierung nicht einverstanden, so hat sie nur die Möglichkeit, ein Provokationsbegehren zu stellen und so in der Regel innert Jahresfrist verbindlich über allfällige definitive Schutzmassnahmen entscheiden zu lassen; sie muss den Schutzentscheid in einem formellen Verfahren «provozieren». Solche Provokationsbegehren sozusagen ins «Blaue» hinaus (d.h. ohne konkrete Bauabsichten) sind risikoreich und aufwändig. Zudem kann ein Provokationsbegehren nur bei einem aktuellen Interesse gestellt werden, zumindest müssen Bau-, Verkaufs- oder Erbteilungsabsichten glaubhaft gemacht werden können. Weiter kommt hinzu, dass sie sich gegen den bereits erstellten Inventareintrag wehren muss, bei dessen Erstellung sie die verfassungsmässig garantierten Verfahrensrechte, welche Betroffenen bei einer Beweiserhebung normalerweise zustehen, nicht hatte, insbesondere ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.  Ohne Provokationsbegehren wird das inventarisierte Gebäude unter Umstände über Jahre oder Jahrzehnte einfach in einem Inventar für die schützenswerten Objekte der Gemeinde geführt. Die Grundeigentümerin muss damit leben, dass ihr Gebäude öffentlich als inventarisiert und damit «potentiell geschützt» gilt. Will die Grundeigentümerin ein solches Gebäude einmal verkaufen, wird der Inventareintrag selbstredend eine Auswirkung auf den Wert der Liegenschaft haben. Im Wissen um den Inventareintrag werden für die interessierten Käufer die Risiken einer späteren Unterschutzstellung kaufpreisrelevant sein. Für nicht mit denkmalschutzrechtlichen Angelegenheiten vertraute Personen ist es zudem kaum möglich, die genaue Unterscheidung zwischen der (vorsorglichen) Inventarisierung und einer formellen Unterschutzstellung zu verstehen.

Es trifft somit nicht zu, dass die Inventarisierung die Grundeigentümerin nicht direkt betrifft, findet bereits mit der Inventaraufnahme ein potentieller Eingriff in die Eigentumsrechte der Grundeigentümer statt (Wertminderung), gegen welche sich der Grundeigentümer nicht direkt mit einem Rechtsmittel wehren kann. Weiter kommt noch folgender verfahrenstechnischer Umstand dazu: Die Nachführung der kommunalen Inventare obliegt den Gemeinden, welche dafür regelmässig Fachleute aus dem Bereich der Denkmalpflege beiziehen. In den Erläuterungen des Amtes für Raumentwicklung des Kantons Zürich (Denkmalschutz – Erläuterungen zur Erarbeitung, Festsetzung und Anwendung) werden die Gemeinden unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts angeleitet, ein Inventar zu erstellen, welches eine «Bestandsaufnahme der in Betracht fallenden Schutzobjekte ermöglichen soll. Es sollen daher «[…] nicht nur jene Objekte Aufnahme in die Inventare finden, welche mit Sicherheit formell geschützt werden; vielmehr geht es darum, den gesamten Bestand der schutzfähigen Objekte zu erfassen, ohne Rücksicht auf beabsichtigte Schutzmassnahmen seitens der Behörden» (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9.2.2011, VB.2010.00032, E. 5.3, unter Hinweis auf den Entscheid RB 1990 Nr. 72).

M.E. liegt in dieser Praxis die Krux bei den Inventaren:  Denn wenn alle «in Betracht fallenden» bzw. «schutzfähigen» Schutzobjekte im Inventar erfasst werden und die Frage der Verhältnismässigkeit und der Interessenabwägung erst im Schutzverfahren geklärt werden sollen, besteht die Gefahr einer sehr grosszügigen Inventarisierung. Auch unter Fachexperten wird der Begriff «Schutzfähig» kontrovers diskutiert. Ketzerisch betrachtet kommt fast jedem älteren Gebäude eine gewisse «Schutzfähigkeit» zu.

Wenn nun Fachexperten von den Gemeinden beauftragt werden, das Inventar alle paar Jahren zu aktualisieren und mit «potentiellen und allen in Betracht fallenden» Schutzobjekten zu ergänzen, ist es nichts als logisch, dass in der Tendenz jeweils weitere «schutzfähige» Objekt dazukommen. Dies gilt umso mehr, wenn die Gemeinde mit der Aufgabe externe Dienstleister beauftragt, welche verständlicherweise auch ein Ergebnis bzw. neue Inventareinträge präsentieren wollen. Im Zweifel wird daher eher ein Gebäude mehr inventarisiert, sozusagen «in dubio pro inventarium». Da gegen diese vorsorgliche Inventarisierung kein Rechtsmittel für die Grundeigentümer offensteht, besteht die Gefahr, dass Gebäude inventarisiert werden, die keinen Schutzwert haben.

Gestützt auf die verfahrensrechtlichen Grundsätze dürfen bzw. dürften solchen Hinweisinventare keinen Beweiswert in einem späteren Schutzverfahren zukommen, denn sie werden ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs und Rechtschutz erstellt und stellen eine erstmalige subjektive Einschätzung von einem oder wenigen einzelnen Fachexperten dar.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Inventare oder der gesamten Praxis in Zukunft ändern wird. Bis dahin ist es umso wichtiger, dass man sich der unverbindlichen und damit inhaltlich geringen Aussagekraft der Hinweisinventare bewusst ist, sei dies auf Seite Behörden, Gutachter aber auch der Gerichtsinstanzen. Schutzentscheide, welche sich bei der Begründung auf den fachlichen Inhalt der Inventare beziehen, sind daher problematisch bzw. nicht haltbar, da dafür eine unabhängige neue und in einem rechtskonformen Verfahren ergangene Begutachtung durch Fachexperten notwendig ist. Ansonsten kommt dem Inventareintrag eine präjudizierende Wirkung zu, etwas was sie nach der Rechtsprechung des Baurekursgerichts und Verwaltungsgerichts jedoch nicht haben dürfen.


19. Februar 2020 / lic. iur. Christoph Schärli,

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ÖFFENTLICHE VERGABEVERFAHREN / SUBMISSIONSRECHT – DER ANBIETER MUSS DIE VERLANGTEN EIGNUNGSKRITERIEN ZUM ZEITPUNKT DER OFFERTEINREICHUNG ERFÜLLEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Das Bundesgericht hat in einem kürzlich publizierten Entscheid (2D_25/2018, Entscheid vom 2. Juli 2019) seine bisherige Praxis zum Ausschluss wegen der Nichterfüllung eines von der Vergabestelle aufgestellten Eignungskriteriums bestätigt und insbesondere auch die entsprechenden Grundsätze und die strenge Praxis im Hinblick auf den Zeitpunkt, in welchem die Eignungskriterien erfüllt sein müssen, nochmals gefestigt.

Das Bundesgericht hat einen Vergabeentscheid im Bereich der Abfallentsorgung einer Gemeinde im Kanton Neuenburg als widerrechtlich beurteilt, der an eine Anbieterin ging, welche im Zeitpunkt des Zuschlages in ihrem Fahrzeugpark nicht über Fahrzeugtypen verfügte, die – wie von der Vergabestelle in der Ausschreibung als technisches Eignungskriterium vorausgesetzt – ein bestimmtes Hubsystem aufgewiesen haben. Die Vergabestelle erteilte trotzdem dieser Anbieterin den Zuschlag, da sie es als genügend erachtete, dass die Anbieterin der Vergabestelle nach der Zuschlagserteilung bestätigte, ein entsprechendes Fahrzeug mit dem verlangten Hubsystem im Hinblick auf die Auftragserfüllung anzuschaffen. Die kantonale Instanz schützte die Vergabe bzw. wies die Beschwerde der Zweitplatzierten ab, welche geltend machte, dass die Zuschlagsempfängerin die Eignungskriterien nicht erfülle und vom Vergabeverfahren auszuschliessen sei. Die Zweitplatzierte gelangte daraufhin mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht und rügte eine willkürliche Vergabe bzw. willkürliche Anwendung der Eignungskriterien und Ausschlussgründe. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und beurteilte die Vergabe als widerrechtlich.

«Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und beurteilte die Vergabe als widerrechtlich.»

Das Bundesgericht hielt unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung fest, dass eine Anbieterin, welche die von der Vergabestelle festgelegten Eignungskriterien nicht erfülle, zwingend vom Vergabeverfahren auszuschliessen sei. Massgebender Zeitpunkt, in welchem die entsprechenden Eignungskriterien zu erfüllen seien, sei der Zeitpunkt der Angebotseinreichung, so dass die Vergabestelle vor dem Zuschlagsentscheid überprüfen könne, ob die Eignungskriterien vom betreffenden Anbieter erfüllt werden. Nach Bundesgericht reicht es nicht aus, wenn eine Anbieterin bei technischen oder qualitativen Vorgaben wie etwa zum Maschinenpark, Schlüsselpersonen oder ähnlichem nur mit dem Angebot oder gar erst nach Zuschlagserteilung zusichere, sie werde die Kriterien nach erfolgter Auftragserteilung durch das Anschaffen der entsprechenden Geräte oder Know-How erfüllen. Wenn eine Anbieterin ein Eignungskriterium im Zeitpunkt der Offertprüfung nicht erfülle, müsse sie zwingend vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

Mag diese strenge Praxis hart erscheinen, so ist sie doch konsequent und aus Sicht der Rechtssicherheit zu begrüssen. Für die Vergabestellen wie auch die Anbieter lassen sich aus dem Entscheid und den Erwägungen die folgenden Schlüsse ziehen:

«Anbieter, welche die Eignungskriterien nicht erfüllen, sind zwingend vom Verfahren auszuschliessen. «

Zum einen ist bei den Eignungskriterien für die Vergabestelle wenige Spielraum vorhanden. Anbieter, welche die Eignungskriterien nicht erfüllen, sind zwingend vom Verfahren auszuschliessen. Entsprechend müssen sich die Vergabestellen gut überlegen, welche Eignungskriterien sie aufstellen möchten und wie stark sie so den Anbieterkreis eingrenzen wollen. Anbieter sollten vor dem Entschluss, ein Angebot auszuarbeiten und einzureichen, ebenfalls gut prüfen, ob sie überhaupt in der Lage sind, die entsprechenden Kriterien zum Zeitpunkt der Angebotseinreichung vollständig erfüllen zu können, ansonsten sie das Risiko eingehen, das Angebot vergebens auszuarbeiten und einzureichen.

Mag der Entscheid prima vista nicht viel Neues enthalten, verdient doch eine Bemerkung des Gerichtes eine besondere Beachtung. Denn das Bundesgericht stellte im Entscheid klar, dass es grundsätzlich denkbar sei, dass eine Vergabestelle als Eignungskriterium durchaus lediglich eine schriftliche Verpflichtung der Anbieter, entsprechende Maschinen, Fahrzeuge oder auch Personal im Falle der Zuschlagserteilung anzuschaffen bzw. einzustellen, als genügend gelten lassen können, wenn sie dies in der Ausschreibung entsprechend so festhalte.

Aus Sicht des Wettbewerbes und des Marktzuganges der Anbieter ist dies begrüssenswert. Gerade in Auftragsgebieten mit spezifischen Anforderungen kann es durchaus gerechtfertigt sein, gewisse Eignungskriterien nur als Verpflichtung auszuschreiben, was Anbietern ermöglicht, sich auf Aufträge zu bewerben, bei denen sie gewisse Anforderung aktuell zwar noch nicht erfüllen können, die entsprechenden Investitionen aber bei einer Zuschlagserteilung und damit eines gesicherten Auftrages tätigen würden.

Aus vergaberechtlicher Sicht wirft diese Variante aber doch einige Probleme aus. Papier ist geduldig und Anbieter werden die entsprechenden Verpflichtungen zum Beschaffen von Werkzeugen, Personal etc. für den Fall der Auftragserteilung wohl grösstenteils ohne grössere Überlegungen eingehen und die Eignungskriterien im Zeitpunkt der Angebotsprüfung damit jeweils problemlos erfüllen. Was aber ist, wenn nach rechtskräftiger Zuschlagserteilung die Zuschlagsempfängerin die Verpflichtung nicht wahrnimmt? Nach Lehre und Praxis ist das Vergabeverfahren nach einem rechtskräftigen Zuschlag abgeschlossen und andere Anbieter könnten gegen den Zuschlag nicht mehr gerichtlich vorgehen, auch wenn sich herausstellen sollte, dass der Konkurrent, der sie ausgestochen hat, die Eignungskriterien nicht erfüllen kann. Auch hinter die vertragsrechtliche Durchsetzbarkeit solcher Verpflichtungen durch die Vergabestelle ist ein Fragezeichen zu setzen, zumindest in praktischer Hinsicht. Wird eine Vergabestelle einem Anbieter, welcher seinen in Bezug auf die Eignungskriterien abgegeben Versprechungen und Verpflichtungen nicht nachkommt, den Auftrag entziehen und nochmals neu ausschreiben? Wie die Praxis bei der ähnlich gelagerten Problematik der Schlüsselpersonen oder anderen Zusicherungen im Rahmen der Zuschlagskriterien zeigt, wird dies meist nicht der Fall sein, sondern die Vergabestelle wird – sei dies aus Zeit-, Geld- oder rechtlichen Gründen – die entsprechenden Abweichungen von den im Angebot abgegebenen Zusicherungen wohl oder übel akzeptieren (müssen).

Entsprechend müssen sich Vergabestellen gut überlegen, in wie weit sie Eignungskriterien verwässern wollen, indem sie den Anbietern die Möglichkeit geben, die Erfüllung gewisser Kriterien nur für den Fall der Auftragserteilung zu garantieren, anstatt mit der Angebotseinreichung nachzuweisen. Konsequent zu Ende gedacht wird der Anwendungsbereich, eine Erfüllung der Eignungskriterien nur für den Fall der Zuschlagserteilung zu garantieren, klein bleiben. Vergabestellen ist zu empfehlen, bei relevanten Eignungskriterien diese so auszuschreiben, dass deren Erfüllung aus den vorgenannten Gründen zwingend im Zeitpunkt der Angebotseinreichung überprüfbar sind und die Erfüllung derselben nicht nur für den Fall der Zuschlagserteilung vertraglich zugesichert wird.


19. September 2019 / lic. iur. Christoph Schärli


DIE BEVORSTEHENDE REVISION DES BESCHAFFUNGSRECHTS. AUSWIRKUNGEN FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT?

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Artikel von lic. iur. Christoph Schärli zum Thema «Die bevorstehende Revision des Beschaffungsrechts – Auswirkungen für die Bauwirtschaft?».

Erschienen im Newsletter Bau- und Immobilienrecht, Ausgabe 07/2019 – bestellbar unter folgendem Link.


BAUEN UNTER INANSPRUCHNAHME DES NACHBARGRUNDSTÜCKS

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Artikel von lic. iur. Christoph Schärli zum Thema «Bauen unter Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks».

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Erschienen im Newsletter Bau- und Immobilienrecht, Ausgabe 04/2019 – bestellbar unter folgendem Link

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