ALTRECHTLICHE ZAHLVATERSCHAFT UND (FEHLENDES) ERBRECHT DES ANERKANNTEN KINDES

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Vor dem 1. Januar 1978 in der Schweiz ausserehelich geborenen Kindern steht in der Regel  (nach derzeitiger Rechtspraxis) gegenüber dem leiblichen Vater kein gesetzlicher Erbanspruch zu, weil dieser ein rechtliches Kindesverhältnis voraussetzt. Dies gilt wegen der damaligen Rechtslage und allzu kurzen, oftmals nicht beachteten Übergangsfristen selbst dann, wenn das Kind vom leiblichen Vater anerkannt und für es Unterhalt bezahlt wurde: Die sogenannte «Zahlvaterschaft» begründet keinen gesetzlichen Erbanspruch. Es dürfte nach wie vor tausende von «Zahlkindern» geben, die – teilweise trotz enger Beziehung zum leiblichen Vater – aus Unkenntnis von dessen Erbschaft ausgeschlossen sind. Was tun?

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I. RECHTSLAGE VOR DEM 1. JANUAR 1978

Das altrechtliche Schweizerische Abstammungsrecht kannte zwei Arten von Verhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserehelich geborenen Kind. Einerseits gab es in bestimmten Konstellationen und im Falle, dass das Kind vom leiblichen Vater ausdrücklich mit Standesfolge anerkannt (oder dies mittels entsprechendem Vaterschaftsfeststellungsurteil angeordnet) wurde, ein eigentliches rechtliches, auch den Erbanspruch begründendes Kindesverhältnis zum Vater. Andererseits – dies insbesondere für im Ehebruch gezeugte Kinder – sah die Rechtsordnung eine Anerkennung ohne Standesfolge vor, welche dem Kind zwar einen Anspruch auf Unterhaltsbeiträge gegen den leiblichen Vater verschaffte, aber kein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch keine Erbansprüche zwischen dem leiblichen Vater und seinem Kind begründete. Entsprechend erfolgte auch kein Eintrag des Kindes im Familienregister des sogenannten blossen «Zahlvaters».

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II. NEUE RECHTSLAGE UND ÜBERGANGSRECHT

Mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtsrevision am 01.01.1978 verschwand das Institut der Zahlvaterschaft aus der Schweizerischen Rechtsordnung. Neu wurden mit jeder festgestellten oder anerkannten Vaterschaft ein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch ein Erbanspruch begründet. Für die unter altem Recht und somit vor dem 31.12.1977 geborenen und unter die Anerkennung der Vaterschaft ohne Standesfolge fallenden Kinder wurde mit Art. 13a SchlT ZGB ein leider eng beschränkter Anspruch geschaffen, die Zahlvaterschaft in eine volle Vaterschaft (mit Standes- und Erbfolge) umzuwandeln. Nur Kinder die per 01.01.1978 noch nicht 10 Jahre alt waren und nur solche, welche innert 2 Jahren (das heisst bis 31.12.1979) auf Feststellung des Kindesverhältnisses klagten, konnten eine solche Umwandlung der bisherigen reinen Zahlvaterschaft und ihre Eintragung als Kind im Familienregister des Vaters erzwingen. Wer früher geboren wurde oder diese Klagefrist verwirkte, steht noch heute unter der reinen Zahlvaterschaft und hat keinen Erbanspruch gegenüber seinem leiblichen Vater; dies selbst dann, wenn die Anerkennung der Vaterschaft (und die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) seinerzeit in einer amtlichen Urkunde festgestellt wurden.

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III. KEINE ERBBERECHTIGUNG BEI REINER ZAHLVATERSCHAFT

Wie hiervor bereits ausgeführt, hat das ohne Standesfolge anerkannte Kind keinen gesetzlichen Erbanspruch, was oftmals weder ihm noch dem leiblichen Vater bewusst und keinesfalls auch immer so gewollt ist. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, in welchem Vater und Kind – allenfalls nach einer Übergangsphase – eine enge familiäre Beziehung gelebt und gerade deswegen bzw. im Vertrauen auf die seinerzeit erfolgte Anerkennung (oder aus Unkenntnis) auf rechtliche Abklärungen oder gar gerichtliche Schritte verzichtet haben. Umso mehr, als das Bundesgericht die 2-jährige Klagefrist gemäss Art. 13a SchlT ZGB konstant als verbindlich qualifizierte und auch die Frist  für die allgemeine Klage auf Feststellung eines Kindesverhältnisses gemäss Art. 263 Abs. 1 und 263 Abs. 3 ZGB restriktiv anwendet – dies gerade in Streitfällen um eine allfällige Erbberechtigung – stellt sich die Frage, ob das «Zahlkind» und/oder der «Zahlvater» die unerfreuliche Tatsache einer fehlenden Erbberechtigung trotz biologischer Vaterschaft hinzunehmen haben und eine derart strenge Praxis nicht gegen Art. 8 EMRK verstösst?

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IV. BEGRÜNDUNG DER ERBBERECHTIGUNG DURCH EINE ANERKENNUNG VON TODES WEGEN

Gemäss Art. 260 Abs. 3 ZGB entsteht das rechtliche Kindesverhältnis zum Vater auch dann, wenn dieser seine Vaterschaft durch letztwillige Verfügung (Testament) anerkennt. Vorausgesetzt ist allerdings, dass diese Anerkennung im Testament ausdrücklich gewollt und unmissverständlich ist. Eine solche Anerkennung von Todes wegen begründet auch für frühere «Zahlkinder» ein rechtliches Kindesverhältnis und damit den Anspruch auf Eintragung im Familienregister des Erblassers und – insbesondere – auf einen gesetzlichen (pflichtteilsgeschützten) Erbanspruch.

Dieses letztwillig begründete «echte» Kindesverhältnis hat zur Folge, dass der Erbanfall steuerfrei bleibt. Anders ist die Rechtslage dann, wenn der leibliche Vater letztwillig keine rechtliche Anerkennung vornimmt, sondern sein leibliches aber von Gesetzes wegen nicht erbberechtigtes «Zahlkind» (siehe oben) im Rahmen der Dispositionsfreiheit letztwillig begünstigt, das heisst als Erbe einsetzt oder ihm ein Vermächtnis ausrichtet. Je nach verfügbarer Quote kann dies zwar einen gleich hohen Anspruch des «Zahlkindes» am Nachlass zur Folge haben, welcher aber der (in der Regel hohen) Erbschaftsteuer unterliegt, weil das nicht anerkannte Kind steuerrechtlich wie eine Drittperson zu qualifizieren ist.

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V. ANFECHTUNG DER FEHLENDEN ERBBERECHTIGUNG DURCH DAS «ZAHLKIND»

Für ein ohne Standesfolge anerkanntes Kind, welches vor 1968 geboren wurde oder die 2-jährige Klagefrist nach Art. 13a SchlT  ZGB verpasst hatte, war nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts der Versuch, doch noch ein rechtliches Kindesverhältnis und damit eine Erbberichtigung herbeizuführen, chancenlos. Im Entscheid BGE 5A_423/2016 vom 7. März 2017 begründete das Bundesgericht die Abweisung einer Feststellungsklage des altrechtlich geborenen Kindes allerdings nicht mehr mit dem Verweis auf den fehlenden Anspruch bzw. die verpasste Frist nach Art. 13a SchlT ZGB, sondern mit einer unverändert engen Auslegung von Art. 263 Abs. 3 ZGB, weshalb im konkreten Fall die Zulässigkeit der Klage (einer 1964 geborenen Frau) auf Feststellung der Vaterschaft dennoch verneint wurde. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wurde vom EGMR abgewiesen, obwohl das Recht auf Begründung eines rechtlichen Kindesverhältnisses zum leiblichen Vater anerkanntermassen unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht.

Sollte das Bundesgericht auch zukünftig in Fällen altrechtlich ohne Standesfolge anerkannter Kinder Art. 263 Abs. 3 ZGB als grundsätzlich anwendbar betrachten, so besteht unter dem Schutz von Art. 8 EMRK und dessen zeitgemässer Auslegung für das Kind allenfalls in denjenigen Fällen eine Chance auf nachträgliche Feststellung des rechtlichen Kindesverhältnisses und damit der Erbberichtigung, in welchen das Zuwarten mit Abklärungen oder einer früheren Vaterschaftsklage entschuldbar ist: Dies namentlich also in Fällen, in denen das Kind erst mit dem Tod seines leiblichen Vaters von dessen Vaterschaft erfährt oder es ihm aus anderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen weder möglich noch zumutbar war, das rechtliche Vaterschaftsverhältnis früher klären zu lassen.

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VI. FAZIT

«Zahlväter» und vor dem 01.01.1978 geborene, ohne Standesfolge anerkannte Kinder, welche einen (steuerbefreiten) gesetzlichen Erbanspruch auch dieses «Zahlkindes» begründen wollen, müssen rechtzeitig Vorkehrungen (Anerkennung mittels Testament) treffen, was eine umfassende Klärung und Beratung durch Fachpersonen beinhaltet. Im Nachhinein, d. h. erst nach dem Tod des leiblichen Vaters, auf Feststellung der Vaterschaft und eine Erbberichtigung zu klagen, ist trotz des Obigen unverändert riskant und gegebenenfalls kostspielig.

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21. September 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


BEWERTUNG BZW. WERT VON PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMEN IN DER SCHEIDUNG (BGE 5A_361/2022)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei der im Scheidungsverfahren durchzuführenden güterrechtlichen Auseinandersetzung spielen sehr oft die Bewertung eines personenbezogenen Unternehmens (beispielsweise Arzt- oder Zahnarztpraxis, Anwaltskanzlei, Treuhandfirma, Architekturbüro, etc.) und der bei Errungenschaft den Ehegatten je hälftig zustehende Wert dieses Unternehmens eine wesentliche Rolle. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (BGE 5A_361/2022 vom 24. 11.2022) Ausführungen gemacht, welche einerseits für die Bewertungspraxis  und andererseits für betroffene Unternehmer/innen eine mehr als zu begrüssende Klärung bringen: Es ist davon auszugehen, dass dieser Entscheid zukünftig die öfters viel zu hohen Bewertungen solcher Einzelunternehmen bzw. personenbezogenen Unternehmungen verhindert.

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I. VERKEHRSWERT: FORTFÜHRUNGS- ODER LIQUIDATIONSWERT

Grundsätzlich gilt unverändert, dass ein Unternehmen zum Verkehrswert in die güterrechtliche Auseinandersetzung einzubeziehen ist, wobei in aller Regel auf den Fortführungswert abzustellen ist. Der tiefere Liquidationswert kommt nur dann zum Tragen, wenn eine Liquidation nachweislich unmittelbar bevorsteht oder unvermeidlich ist. Der Verkehrswert ist das, was der Unternehmer bei einer Veräusserung seines Unternehmens auf dem Markt tatsächlich an Erlös erzielen kann.

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II. PRAKTIKERMETHODE

Auch im vorliegenden vom Bundesgericht entschiedenen Verfahren waren die Vorinstanzen bei der Bewertung eines Einzelunternehmens (Zahnarztpraxis) von der weit verbreiteten Praktikermethode ausgegangen, bei welcher der Substanzwert einfach und der Ertragswert zweifach berücksichtigt wird. Da der Ertragswert des Unternehmens sehr hoch aber, wie in solchen Unternehmungen in der Regel, stark von der Persönlichkeit des Unternehmers/in geprägt war, hatte die Vorinstanz den Ertragswert nur zu 10% berücksichtigt. Überraschend hat das Bundesgericht dem Einwand der beschwerdeführenden Unternehmerin Recht gegeben, dass die Berücksichtigung des Ertragswerts mit 10% willkürlich (zu hoch) sei. Der von der Vorinstanz bei einem Ertragswert von mehr als CHF 3 Mio. ermittelte und in der Scheidung aufgeteilte Unternehmenswert von CHF 300’000 sei immer noch zu hoch, weil damit ausser Acht gelassen werde, dass ein Verkehrswert auch realisierbar sein müsse.

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III. BEWERTUNGSGRUNDSÄTZE

Unverändert gilt, dass Unternehmen als Sachgesamtheit nach den Grundsätzen der Betriebslehre zu bewerten sind. Dabei gebe es verschiedene Bewertungsmethoden, wobei die Praktikermethode als Mischung aus Substanz- und Ertragswert kaum mehr vertretbar sei und grundsätzlich die verschiedenen Ertragswertmethoden vorzuziehen seien. Die konkret gewählte Methode müsse jedoch nachvollziehbar, plausibel und anerkannt sein und den Verhältnissen im konkreten Einzelfall Rechnung tragen.

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IV. BESONDERHEITEN BEI DER PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMUNG

Da der Verkehrswert dem tatsächlich realisierbaren Veräusserungswert entspreche, müsse bei personenbezogenen Unternehmen separat geprüft werden, ob die Ertragskraft (Ertragswert) des Unternehmens tatsächlich auf Dritte übertragbar sei. Die rein personenbezogene Ertragskraft, namentlich der Wert der eigenen Leistung der Unternehmer/in, sei nicht übertragbar und damit nicht wertrelevant. Zu ermitteln sei mithin der Wert des Unternehmens ohne den Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber. Werthaltig seien nur das eingesetzte Kapital bzw. dessen angemessene Verzinsung und die Prämie für die Unternehmer/in, wobei diese/r sogenannte Goodwill seinerseits eine personenbezogene und eine geschäftsbezogene Komponente aufweise. Auch diese personenbezogene Komponente entfalle mit dem Verkauf des Unternehmens und werde von einem Käufer nicht entschädigt, weshalb auch sie nicht relevant sei.

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V. FOLGEN FÜR DEN WERT EINES UNTERNEHMENS

Gerade Unternehmen, die als Einzelfirma geführt werden oder nur aus dem Unternehmer bzw. der Unternehmerin selber bestehen und deren Ertrag somit allein von deren Persönlichkeit und deren Leistung abhängig ist, sind nach Massgabe dieses neuen bundes-gerichtlichen Urteils zukünftig wesentlich tiefer zu bewerten, als dies insbesondere nach der Praktikermethode bis anhin der Fall war. Namentlich dann, wenn ein solches Unternehmen über bescheidene Substanz verfügt (wie beispielsweise eine Anwaltspraxis), werden bei einem Verkauf nach gerade der ganze Ertrag und ein allfälliger Goodwill gar nicht verkauft werden können, hat doch der Käufer im Normalfall des gleichzeitigen Ausstiegs des Unternehmers/in keinerlei Gewähr, dass die Kunden/ Klienten der Unternehmung treu bleiben und er tatsächlich Folgeaufträge erhält, weshalb der Käufer dafür auch keine Entschädigung bezahlen wird. Der Verkehrswert solcher Unternehmen ist mithin bescheiden.

VI. WEITERE KRITERIEN

Kann im Einzelfall nachgewiesen werden, dass ein hoher Gewinn des Unternehmens und damit ein hoher Ertragswert nicht nur von der Person des Unternehmers/der Unternehmerin sondern auch von dessen aussergewöhnlicher Stellung (Befähigung) oder einem aussergewöhnlichen Einsatz (Arbeitspensum) abhängig sind, so muss der Ertragswert umso mehr unberücksichtigt bleiben und ist ein allfälliger Goodwill erheblich zu reduzieren, wenn der durchschnittliche Marktteilnehmer (Käufer) nicht über analoge Fähigkeiten oder die Bereitschaft verfügt, mehr als das übliche Pensum zu arbeiten.

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VII. FAZIT

Es ist zu hoffen, dass nicht nur von Gerichten oder beratenden Anwälten beigezogene Bewertungsunternehmen diesen bundesgerichtlichen Vorgaben Rechnung tragen, sondern dass auch die Gerichte erster und zweiter Instanz ihnen von Bewertungsunternehmungen vorgelegte Verkehrswertberechnungen kritisch prüfen. Diesfalls darf davon ausgegangen werden, dass zukünftig viel zu hohe – und nie realisierbare -Bewertungen von Unternehmen in der güterrechtlichen Auseinandersetzung mit entsprechend übersetzten Wertbeteiligungsansprüchen des Ehegatten unterbleiben. Vorausgesetzt hierfür ist natürlich, dass der Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber gut beraten ist und die massgeblichen wertmindernden Kriterien in den Verhandlungen oder im Prozess auch fachmännisch geltend macht.


18. Januar 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


REVISION DES ERBRECHTS – MÖGLICHKEITEN ZUR ENTZIEHUNG DES PFLICHTTEILS DER/S NOCH EHEGATTIN/ EHEGATTEN WÄHREND EINES LAUFENDEN SCHEIDUNGSVERFAHRENS

Lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Neben den Neuerungen betreffend den Pflichtteilsschutz gesetzlicher Erben wurden auch neue Bestimmungen zur Regelung des Erbanspruchs der/s überlebenden Ehegattin/en im Falle eines laufenden Scheidungsverfahrens eingeführt (vgl. für weitere Informationen auch den Newsletter von Rechtsanwalt lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht, vom 28.04.2021 betreffend die Revision des Erbrechts: Neue Freiheiten für Erblasser)

Mit der Einführung des neuen Erbrechts wird der Erblasserin/dem Erblasser ab 01.01.2023 unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, bereits während eines rechtshängigen Scheidungsverfahrens seinem/r noch Ehegatten/Ehegattin den Pflichtteil von ½ des gesetzlichen Erbanteils bzw. – im Endeffekt – den Erbanspruch vollständig zu entziehen. Ohne entsprechendes Handeln bleibt der Ehegatte trotz laufendem Scheidungsverfahren bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils erbberechtigt. Der Entzug des Pflichtteils kann grundsätzlich in der Form eines normalen Testaments verfügt werden. Sofern Ehegatten einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen haben, muss jedoch zunächst geprüft werden, ob der Entzug des Pflichtteils mit den vertraglichen Regelungen vereinbar ist. In einer solchen Situation ist fachmännische Beratung angezeigt.

Wir unterstützen Sie gerne beim Verfassen eines entsprechenden Testaments oder der Prüfung eines allfällig bestehenden Erb- und Ehevertrages, sollten Sie eine vorzeitige Beendigung der erbrechtlichen Ansprüche des Ehegattens bzw. den Entzug des Pflichtteils in Erwägung ziehen.

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12. Dezember 2022  / lic. iur. Martin Kuhn und MLaw Kim Wysshaar


UNTERNEHMENSNACHFOLGE INNERHALB DER FAMILIE TROTZ GÜTER- UND ERBRECHTLICHER ANSPRÜCHE DES EHEGATTEN UND DER ANDEREN NACHKOMMEN (NEUES UNTERNEHMENSERBRECHT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Soll ein Familienunternehmen im Todesfall auf einen Nachkommen als Nachfolger des Patrons (oder der Patronin) übertragen und damit dessen Fortbestand gewährleistet werden, braucht es in aller Regel rechtzeitige Vorkehrungen des Erblassers in güter-, erb- und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht. Andernfalls scheitert die Familiennachfolge oftmals an den finanziellen Ausgleichungspflichten gegenüber den Miterben und es bleibt nichts anderes übrig als ein Verkauf oder eine Liquidation des Unternehmens.

Mit dem Inkrafttreten der bereits beschlossenen Erbrechtsrevision per 1. Januar 2023 (vgl. unseren Newsletter vom 28. April 2021) wird der Regelungsspielraum des Erblassers zwar erheblich vergrössert. Wenn neben dem Unternehmen als Hauptaktivum der Hinterlassenschaft aber kein namhaftes weiteres Vermögen vorhanden oder der Nachfolger nicht selber ausreichend finanzstark ist, kann ohne rechtzeitige Vereinbarungen und Anordnungen des Erblassers eine Nachfolge dennoch scheitern. Eine geplante zweite Erbrechtsrevision – die entsprechende bundesrätliche Botschaft wird demnächst in die Vernehmlassung gehen – soll hier zusätzlich Abhilfe schaffen und die Problematik entschärfen.

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I. PROBLEMATIK (GÜTER- UND ERBRECHTLICHE PFLICHTTEILE)

Eine unentgeltliche (oder finanziell verkraftbare) Übertragung des Unternehmens im Todesfall auf einen Nachkommen kommt – auch wenn vom verstorbenen Unternehmer geplant und so angeordnet – nur dann in Frage, wenn aus dem restlichen Nachlassvermögen die im konkreten Fall zu beachtenden güter- und erbrechtlichen Ansprüche der Miterben ausgeglichen werden können.

Bei einem während einer Ehe aufgebauten und somit zur Errungenschaft gehörenden Unternehmen können diese zwingenden Ansprüche des Ehegatten und weiterer Nachkommen am Vermögen des verstorbenen Unternehmers ohne gegenteilige Regelungen, d.h. von Gesetzes wegen, bis zu 7/8 des Nachlasses (und somit auch des Unternehmenswertes) umfassen. Eine zur Sicherung der Familiennachfolge gewollte Begünstigung des Nachfolger-Nachkommens (mit einer unentgeltlichen oder finanziell tragbaren Übertragung der Firma) ist entsprechend eingeschränkt und in aller Regel nicht realistisch. Dem Nachfolger die Firma bzw. den erfolgreichen Fortbestand derselben wenigstens durch die Zuwendung einer Mehrheitsbeteiligung zu sichern, ist insoweit riskant, als sich nach der «aisement négociables Doktrin» pflichtteils-geschützte Miterben die Zuweisung und Anrechnung einer Minderheitsbeteiligung nicht gefallen lassen müssen.

Eine Umgehung dieser Schranken im Todesfall durch eine lebzeitige (günstige) Übertragung der Firma auf den Nachfolger-Nachkommen ist zwar an sich möglich, birgt aber ohne entsprechende Vereinbarungen mit den dereinstigen Miterben für denselben erhebliche Risiken nachträglicher «Ausgleichungspflichten», die sogar weit über dem liegen können, was ihm bei der Übernahme der Firma «geschenkt» wurde.

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II. EINVERSTÄNDLICHE REGELUNGEN

Durch güterrechtliche Vereinbarungen mit dem überlebenden Ehegatten («Ehevertrag mit Zuweisung des Unternehmens ins Eigengut des Erblassers»), erbvertragliche Vereinbarungen mit dem Nachfolger, der Ehefrau und den Geschwistern («Unterschiedliche Erbquoten», «Stundung von Ausgleichungsansprüchen», etc.) sowie gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen und statutarische Gestaltungsmöglichkeiten («Stimmrechtsaktien», «Aktionärsbindungsverträge», etc.) kann die Problematik vom Erblasser zu Lebzeiten entschärft bzw. verhindert werden. Alle diese Vorkehrungen setzen aber voraus, dass die dereinstigen Miterben zu entsprechenden Vereinbarungen Hand bieten und auf ihre gesetzlichen Ansprüche (zumindest teilweise oder vorübergehend) verzichten.

Leider fehlt es all zu oft an der Bereitschaft zu solchen einverständlichen Lösungen, welche den Verbleib der Firma in der Familie und die erfolgreiche Weiterführung durch einen Nachkommen als neuen Patron sichern; dies selbst dann, wenn dabei auch der Absicherung des  überlebenden Ehegatten und der Gleichbehandlung aller Kinder Rechnung getragen wird, was dem Erblasser in aller Regel gleichermassen wichtig ist.

Dass solche einverständlichen Lösungen in aller Regel eine eingehende Beratung aller Beteiligten und entsprechende fachmännische Unterstützung voraussetzen, dürfte klar sein. Oftmals gelingt es gerade dank einer solchen Beratung alle Beteiligten «unter einen Hut zu bringen» und eigentliche Win-Win-Lösungen zu kreieren.

Auch im Sinne eines zusätzlichen «Druckmittels» zu Gunsten solcher einverständlicher Regelungen der Familiennachfolge ist es zu begrüssen, dass mit den eingangs beschriebenen Änderungen des Erbrechts der Handlungsspielraum des Erblassers vergrössert wird, d.h. er nötigenfalls auch einseitig die Chancen einer erfolgreichen Familiennachfolge erhöhen kann (siehe unten Ziffer III.).

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III. AKTUELLE UND ZUKÜNFTIGE EINSEITIGE GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN

Ausgehend von einem einfachen Beispielfall, in welchem der Erblasser neben dem designierten Nachfolger seinen Ehegatten und einen weiteren Nachkommen (Kind oder Enkel) hinterlässt, sollen die Möglichkeiten des Erblassers zur einseitig angeordneten (erfolgreichen) Familiennachfolge und die Auswirkungen der Erbrechtsrevisionen kurz aufgezeigt werden.

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1. AKTUELLE RECHTSLAGE

Unter dem aktuell noch gültigen Recht kann der Erblasser seinen Nachfolger durch Entbindung von der Ausgleichungspflicht (bei lebzeitiger Übertragung) und letztwilliger Zuweisung einer maximal zulässigen Erbquote von 9/16 (statt dem gesetzlichen Erbanteil von nur ¼) begünstigen und ihm damit eine Übernahme des ganzen Unternehmens ohne untragbare Ausgleichungspflichten immerhin etwas erleichtern. Dies gilt namentlich dann, wenn der Ehegatte insoweit mitwirkt, als er/sie im Interesse der Familiennachfolge gleichzeitig auf güterrechtliche Ansprüche am Unternehmenswert verzichtet. Durch geeignete Teilungsvorschriften und gesellschaftsrechtliche Regelungen kann zudem das Risiko einer erfolgreichen Anfechtung der einseitig angeordneten Familiennachfolge oder der Durchsetzung zu hoher Pflichtteilsforderungen zusätzlich reduziert werden.

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2. RECHTSLAGE AB 1. JANUAR 2023

Mit der eingangs erwähnten Erbrechtsrevision werden die Pflichtteile der Nachkommen reduziert. Der Nachfolger kann daher neu mit einer Erbquote von maximal 5/8 begünstigt werden, was die Übernahme der Firma erleichtert. Im Übrigen ändert sich an der Rechtslage nichts (vgl. Ziffer 1.).

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3. GEPLANTE ZWEITE ERBRECHTSREVISION

emäss dem bundesrätlichen Entwurf zur weitergehenden (erbrechtlichen) Förderung der familieninternen Unternehmensnachfolge ist zusätzlich vorgesehen, dass der begünstigte Nachfolger für die Abgeltung trotz Begünstigung (vgl. Ziffer 2.) verbleibender Ausgleichszahlungen einen Zahlungsaufschub bzw. eine Zahlungsfrist von längstens 5 Jahren verlangen kann. Auch wenn solche gestundeten Zahlungen sicherzustellen und zu verzinsen sind, stellt dies eine erhebliche Verbesserung dar, kann doch so die Ausgleichungszahlung auch aus den zukünftigen Erträgen der Unternehmung finanziert werden.

Für den Fall einer lebzeitigen Übertragung der Firma ist neu vorgesehen, dass sich der Wert der Unternehmung (ohne nicht betriebsnotwendige Aktiven), der erbrechtlich trotz Begünstigung auszugleichen ist, nicht mehr nach dem Wert per Todestag des früheren Eigentümers, sondern nach dem Wert per Übernahme bemisst: Damit wird – endlich – die Ungerechtigkeit beseitigt, dass der erfolgreich geschäftende Nachfolger, der die Firma zu Lebzeiten unentgeltlich oder vergünstigt übernommen hat, auch noch den von ihm bis zum Todestag erwirtschafteten Erfolg mit den Miterben teilen muss, wie dies aktuell der Fall ist.

Nicht vorgesehen ist in der bundesrätlichen Botschaft leider die Möglichkeit, die Miterben auch mit einer Minderheitsbeteiligung an der Unternehmung abzugelten und damit den Finanzierungsbedarf des Nachfolgers zusätzlich zu reduzieren. Jedenfalls dann, wenn die Stellung der Miterben als Minderheitsaktionäre vertraglich abgesichert wird, sollte das Gesetz m.E. einen entsprechenden Anspruch vorsehen.

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IV. FAZIT / EMPFEHLUNG

Für das Unternehmenserbrecht bzw. die Chance auf eine realistische  – lebzeitige oder letztwillige – familieninterne Unternehmensnachfolge bringt die Erbrechtsrevision ab 1. Januar 2023 erste Vorteile. Die zweite Erbrechtsrevision wird – sofern Bundesversammlung und Volk zustimmen – die gesellschaftlich zweifellos zu begrüssende Weiterführung von Familienunternehmen über die Pensionierung oder den Tod von der/dem Patron/Patronin hinaus zusätzlich fördern. Dies jedenfalls dann, wenn das Parlament den bundesrätlichen Entwurf im einen oder anderen Punkt noch etwas verbessert.

Unverändert gilt auch unter dem neuen Recht, dass die familieninterne Unternehmensnachfolge von langer Hand geplant und durch ausgewiesene Fachleute begleitet werden sollte, um optimierte und gerechte Lösungen zu finden und dem (lebzeitigen oder letztwilligen) Nachfolger ungeplante und seine Existenz bedrohende Verpflichtungen zu ersparen.


19. Januar 2022 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


REVISION DES ERBRECHTS: NEUE FREIHEITEN FÜR ERBLASSER

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Nachdem das Parlament die entsprechende Gesetzesänderung verabschiedet hat und die Referendumsfrist abgelaufen ist, treten (voraussichtlich) am 1. Januar 2023 diverse Gesetzesänderungen im Bereich des Erbrechts in Kraft. Der Erblasser bzw. die Erblasserin haben neu wesentlich grössere Freiheiten bei der Regelung ihres Nachlasses und sollten daher prüfen, ob bestehende letztwillige Verfügungen oder Erbverträge anzupassen oder mittels solcher von den neuen erblasserischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen ist.

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I. DIE WESENTLICHEN ÄNDERUNGEN IM ÜBERBLICK

Die Neuerungen betreffen einerseits den Pflichtteilsschutz gewisser gesetzlicher Erben und andererseits den Erbanspruch des überlebenden Ehegatten im Falle eines bereits laufenden Scheidungsverfahrens. Im Einzelnen wird neu Folgendes gelten:

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  • Der Pflichtteilsanspruch der Eltern entfällt.

  • Der Pflichtteil der Nachkommen wird von bisher ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs auf 1/2 reduziert.

  • Der Erblasser kann neu dem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am restlichen Nachlass und eine frei verfügbare Quote von 1/2 (statt 1/4) zuweisen.

  • Ehegatten verlieren den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch sobald ein gemeinsames Scheidungsbegehren rechtshängig ist, oder beide Ehegatten mit der einseitig eingeleiteten Scheidung einverstanden sind oder sie im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens bereits mindestens 2 Jahre getrennt gelebt haben (und nicht erbvertraglich etwas anderes vereinbart ist).

Im Übrigen schafft die Gesetzesrevision auch Klarheit in verschiedenen, bis anhin in Lehre und Rechtsprechung umstrittenen Punkten, bspw. zur erbrechtlichen Berücksichtigung von Ansprüchen aus Versicherungen und der gebundenen Selbstvorsorge, zur Anfechtung von nachträglichen Zuwendungen, welche Verpflichtungen aus einem Erbvertrag verletzen, oder zur Herabsetzung in Fällen, wo ein Pflichtteilsanspruch durch Verfügungen von Todes wegen oder Zuwendungen unter Lebenden verletzt wird. Mit einer weiteren Gesetzesrevision sind Änderungen auch im Bereich der erbrechtlichen Unternehmensübertragung und -nachfolge geplant, welche aber noch nicht verabschiedet ist.

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II. NEUE ERBLASSERISCHE FREIHEITEN

Die Abschaffung bzw. Reduktion der gesetzlichen Pflichtteilsansprüche erlaubt dem Erblasser bzw. der Erblasserin, zukünftig über zumindest die Hälfte des Nachlasses frei zu verfügen und damit weitergehende Regelungen für den Todesfall zur Durchsetzung seiner eigenen Wünsche bzw. zum weitergehenden Schutz anderer (gesetzlicher oder eingesetzter) Erben zu treffen. Namentlich kann auch bei Vorhandensein gemeinsamer Nachkommen der überlebende Ehegatte weitergehend begünstigt oder ein neuer Partner/Ehegatte trotz nicht gemeinsamen Nachkommen des Erblassers mit einer höheren Nachlassquote bedacht werden. Dies ist angesichts des gesellschaftlichen Wandels, der hohen Scheidungsquote und der zahlreichen «Patchwork-Familien» zu begrüssen, können doch neu nicht gesetzlich berufene Erben (Konkubinatspartner) oder auf Sicherung ihres eigenen Lebensbedarfs angewiesene Erben (überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen) umfangreicher bedacht und damit besser geschützt werden.

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III. WEGFALL DES ERBANSPRUCHS DES EHEGATTEN IM SCHEIDUNGSFALL

Bis anhin hat der bis zur rechtskräftigen Scheidung andauernde, pflichtteilsgeschützte Erbanspruch unter Ehegatten nicht selten zur Folge gehabt, dass wider jegliche Wünsche des Erblassers im Falle dessen Todes vor Abschluss des Scheidungsverfahrens der Ehegatte, von dem man sich scheiden lassen wollte, noch erben konnte. Nicht selten hatte dies zur Folge, dass Scheidungsverfahren mit allen Mitteln verzögert wurden, um sich einen solchen Erbanspruch zu sichern.

Dass neu – unter bestimmten Voraussetzungen – der Erbanspruch unter den Ehegatten entfällt, wenn bereits eine Scheidung rechtshängig ist, ist erfreulich und trägt dem Normalfall Rechnung, dass der Erblasser, welcher sich vom Ehegatten mit der Einleitung einer Scheidung definitiv lösen wollte, auch den Wegfall dessen erbrechtlicher Berechtigung wünscht.

Der Wegfall des Pflichtteilsanspruchs ab Rechtshängigkeit der Scheidung gilt allerdings nur dann, wenn ein gemeinsames Scheidungsbegehren eingereicht wurde, wenn der überlebende Ehegatte dem Scheidungsantrag im Verfahren zugestimmt hatte oder wenn der einseitig eingeleiteten Scheidung (Scheidungsklage) eine mindestens 2-jährige Trennungszeit vorausgegangen ist (womit ein auch einseitig durchsetzbarer, unabdingbarer Scheidungsanspruch entstanden ist, vgl. Art. 114 ZGB). Anderslautende Vereinbarungen bleiben selbstverständlich möglich.

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IV. HANDLUNGSBEDARF UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN

Wer von den neuen erblasserischen Freiheiten profitieren will, muss selber handeln, d.h. entsprechende letztwillige Anordnungen treffen. Namentlich gibt es für den Konkubinatspartner nach wie vor keinen gesetzlichen Erb- und keinen anderen gesetzlichen Unterstützungsanspruch, d.h. dieser kann nur mittels Erbvertrag oder letztwilliger Verfügung (Testament) gültig und rechtsicher – erbrechtlich – begünstigt werden. Dasselbe gilt im Falle, dass ein überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen oder ein Dritter zukünftig stärker begünstigt werden sollen.

Zu überprüfen und – sofern gewollt – zu optimieren, gilt es auch bestehende Erbverträge oder letztwillige Verfügungen. Bisher durchaus übliche Formulierungen wie bspw. «ich weise meiner Tochter die verfügbare Quote von einem Viertel zu» oder «ich weise die verfügbare Quote meiner Lebenspartnerin zu», die unter dem bisherigen Recht gewählt wurden, sollten präzisiert und gegebenenfalls so geändert werden, dass auch unter dem neuen Recht klar ist, was gewollt ist und gelten soll: Soll der Sohn trotz nunmehr grösserer verfügbarer Quote von derselben tatsächlich nur 1/4 erhalten oder umfasst die dem Konkubinatspartner zugewendete verfügbare Quote die bisherige von 1/4 oder die neu geltende von 1/2? Mit entsprechenden Klärungen, d.h. einem der neuen Rechtslage angepassten Erbvertrag bzw. Testament, können diesbezügliche Unsicherheiten und damit auch Streitigkeiten unter den dereinstigen Erben verhindert werden.

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V. FAZIT

Die Gesetzesrevision im Bereich des Erbrechts schafft neue Möglichkeiten aber auch Handlungsbedarf. Wer seine Wünsche und Interessen als Erblasser optimal regeln und durchsetzen will, kommt nicht umhin, bestehende Erbverträge und letztwillige Verfügungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen bzw. entsprechend tätig zu werden und in gültiger Form von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Namentlich wird dies auch und insbesondere dann gelten, wenn die geplante weitere Gesetzesänderung im Bereich der Unternehmensvererbung und -nachfolge abgeschlossen und in Kraft gesetzt wird. Unsere Erbrechtsspezialisten und Notare stehen dafür zur Verfügung.


28. April 2021 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


ACHTUNG VOR ÜBERSCHULDETEN ERBSCHAFTEN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Angesichts der zunehmenden Lebensdauer ist es gar nicht mehr so selten, dass ein Erblasser – allenfalls nach Jahren in einem teuren Alters- oder Pflegeheim – sein Vermögen aufgebraucht hat oder gar Schulden hinterlässt. Nicht immer sind die durch Gesetz oder letztwillige Verfügung berufenen Erben ausreichend über die Vermögensverhältnisse des Erblassers orientiert. In der Praxis gilt dies namentlich als Folge der Globalisierung, insbesondere für im Ausland lebende Kinder oder solche aus erster Ehe, die zum Erblasser über Jahre oder gar Jahrzehnte keinen Kontakt mehr pflegten. Das schweizerische Erbrecht sieht zum Glück Möglichkeiten vor, wie man sich als Erbe vor solchen Unsicherheiten oder dem Antritt einer möglicherweise überschuldeten Erbschaft schützen kann.

I. AUSSCHLAGUNG DER ERBSCHAFT

Sowohl gesetzliche als auch eingesetzte Erben können sich gegen einen Erbanfall wehren, wenn die Erbschaft überschuldet ist oder überschuldet sein könnte. Andernfalls treten sie nämlich in die Rechtsstellung des Erblassers ein und werden für alle Erbgangs- und Erbschaftsschulden uneingeschränkt, d.h. auch mit dem eigenen Vermögen, haftbar. Zusätzlich nachteilig ist dabei, dass mehrere Erben für solche Erbschaftsschulden solidarisch haften, d.h. bei jedem einzelnen die gesamten Schulden eingefordert werden können.

Um diese Erbenhaftung zu verhindern, ist die Erbschaft auszuschlagen, was in einer gesetzlich vorgesehenen Frist beim zuständigen Nachlassgericht am letzten Wohnsitz des Erblassers zu geschehen hat: Dies zu Beweiszwecken mit einer eingeschriebenen Erklärung. Die Ausschlagungsfrist beträgt 3 Monate ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme von dessen Tod oder – in Ausnahmefällen – vom Zeitpunkt an, ab welchem man von der eigenen Erbenstellung Kenntnis erlangt hat (vgl. BGE 143 III 369, E.2.1). Die Frist kann nach Lehre und Rechtsprechung aus begründetem Anlass erstreckt werden, beispielsweise weil Abklärungen über die Vermögensverhältnisse des Erblassers noch andauern.

Im
Interesse potentieller Erben liegt die Ausschlagung namentlich dann, wenn diese
vom Erblasser zu Lebzeiten bereits Vermögen erhalten hatten, welches sie ohne
Ausschlagung zugunsten von Miterben auszugleichen hätten. In solchen Fällen ist
wirtschaftlich die Ausschlagung sogar dann zu empfehlen, wenn der Nachlass
nicht überschuldet ist, der auszugleichende Betrag aber den zu erwartenden
Erbanteil übersteigt.

II. ANTRITT DER ERBSCHAFT UNTER ÖFFENTLICHEM INVENTAR

Sind die Vermögensverhältnisse des Erblassers nicht bekannt, derselbe aber nicht offensichtlich überschuldet, so macht es in der Regel Sinn, beim gleichermassen zuständigen Nachlassgericht die Aufnahme eines öffentlichen Inventars zu verlangen. In demselben werden nach einem amtlich publizierten Rechnungsruf alle Aktiven und alle innert der Inventarisierungsfrist angemeldeten Passiven erfasst. Erklärt der Erbe nach Auflage des Inventars den Antritt der Erbschaft unter öffentlichem Inventar, so haftet er nur für die darin aufgelisteten Schulden, d.h. er kann das Haftungsrisiko beschränken. Dies macht dann Sinn, wenn schwer zu bewertende Aktiven oder nicht abschätzbare Risiken vorhanden sind, so dass – möglicherweise für lange Zeit – eine Beurteilung der Werthaltigkeit eines Nachlasses verunmöglicht ist.

Ein
weiterer Vorteil des öffentlichen Inventars ist der Umstand, dass während der
Inventarisierung die Ausschlagungsfrist stillsteht und allen Erben nach der
Auflage des öffentlichen Inventars eine Frist von einem Monat zur Verfügung
steht, um sich definitiv über die Ausschlagung der Erbschaft, die vorbehaltlose
Annahme oder eben die Annahme unter öffentlichem Inventar zu erklären. Statt
der andernfalls geltenden Dreimonatsfrist (siehe oben Ziff.  I) kann so
ausreichend Zeit gewonnen werden, die Verhältnisse rechtssicher(er) zu klären.

Die Frist für den Antrag auf Aufnahme eines öffentlichen Inventars beträgt allerdings nur 30 Tage ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme vom Tod desselben. Muss zuerst die Erbenstellung formell erstritten werden (bspw. bei einer Enterbung), so beginnt die Frist erst mit dem effektiven Erbanfall. Umso mehr, als nach der Rechtsprechung die Monatsfrist nicht erstreckbar ist, ist also dringliches Handeln geboten. Es ist zu empfehlen, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Klärung mittels öffentlichem Inventar zu verlangen.

III. VERWIRKUNG DER AUSSCHLAGUNGSFRIST

Die Gesamtheit aller gesetzlichen und/oder eingesetzten Erben erwirbt an sich die Erbschaft eo ipso mit dem Tod des Erblassers als Erbengemeinschaft. Bis zur Annahme der Erbschaft bzw. eben bis zu einer allfälligen Ausschlagung oder dem Ablauf der (verlängerten) Ausschlagungsfrist ist allerdings die Erbenstellung noch ungewiss. Dennoch müssen während dieser Schwebezeit der Nachlass verwaltet, Erbgangsschulden bezahlt oder dringliche Forderungen und Guthaben eingezogen werden. Solche Verwaltungshandlungen sind unproblematisch, wogegen eigentliche «Einmischungshandlungen» die ungewollte Folge haben können, dass dadurch das Ausschlagungsrecht verwirkt wird: Der sich «einmischende» Erbe hat die Erbschaft angetreten und muss diese mit allen Aktiven und Passiven, also auch möglicherweise überschiessenden Schulden, übernehmen. Solche Einmischungshandlungen sind beispielsweise die Aneignung von zum Nachlass gehörenden Vermögenswerten oder nicht mehr zur normalen Verwaltung gehörende Verfügungen über diese. Wer sich in diesem Sinne «einmischt» und sich damit (gegenüber Miterben oder Gläubigern) einen Vorteil verschafft, verliert das Recht zur Ausschlagung.

IV. ERBSCHAFTSVERWALTER

Bei einer nicht überschuldeten Erbschaft können dem nicht ausschlagenden Erben auch insoweit Nachteile erwachsen, als die möglicherweise Jahre oder Jahrzehnte ungeteilte Erbschaft nicht bestmöglich verwaltet wird. Zu denken ist an ein zum Nachlass gehörendes Geschäft, das durch die nur gemeinsam handlungsfähigen Erben und deren Differenzen blockiert ist und deswegen seinen Wert verliert oder gar in Konkurs geht. Derartige Differenzen innerhalb einer Erbengemeinschaft, d.h. unter den berufenen Erben, sind leider gar nicht so selten, was auch für die drohenden Folgen (Wertverringerung oder gar Überschuldung) gilt. In solchen Fällen bleibt oftmals nichts anderes übrig, als vor Gericht um die Einsetzung eines Erbschaftsverwalters zu kämpfen, welcher vom Gericht nach einem kontradiktorischen Verfahren eingesetzt und mit der Verwaltung des Nachlasses bis zur dereinstigen Teilung betraut wird. Unnötig ist ein solcher Schritt, wenn der Erblasser selber das Nötige gegen solche Streitigkeiten unter den Erben vorgekehrt und einen Willensvollstrecker eingesetzt hat, kann bzw. muss derselbe doch ungeachtet der Differenzen unter den Erben den Nachlass werterhaltend verwalten, bis er dereinst geteilt wird. Wenig erfreulich ist es dann allerdings, wenn der Willensvollstrecker in komplexen Verhältnissen oder bei absehbaren Streitigkeiten unter den Erben das ihm vom Erblasser erteilte Mandat ablehnt, wozu er jederzeit berechtigt ist. Hat der Erblasser für solche Fälle nicht einen Ersatzwillensvollstrecker eingesetzt, so bleibt auch diesfalls nichts anderes übrig, als sich vor Gericht einen Erbschaftsverwalter zu erstreiten.

V. FAZIT

Wenn auch der Anfall einer Erbschaft in aller Regel ein Segen ist, kann in Einzelfällen der Erbfall unliebsame Überraschungen oder durchaus existenzgefährdende Folgen mit sich bringen. Gerade für Erben, die (aus welchen Gründen auch immer) den Kontakt zum Erblasser abgebrochen hatten ist es daher ratsam, unverzüglich nach Kenntnisnahme des Todes des Erblassers zu handeln, zumindest aber fachmännischen Rat und Hilfe in Anspruch zu nehmen.


3. Juni 2020 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


PERSÖNLICHE UNTERHALTSANSPRÜCHE EINES EHEGATTEN IN DER SCHEIDUNG (SCHEIDUNGSRENTE)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Unter bestimmten Voraussetzungen haben Ehegatten untereinander nicht nur während der Trennung, sondern auch nach einer Scheidung Anspruch auf laufende Zahlungen zur Deckung des Unterhalts. Die gesetzliche Grundlage für diese Scheidungsrente findet sich in Art. 125 ZGB. Zur Auslegung dieser Gesetzesbestimmung und zur Anwendung im Einzelfall gibt es nachgerade unzählige Entscheide des Bundesgerichts, welche allerdings kaum Rechtsicherheit schaffen: Letztendlich handelt es sich immer um Entscheidungen im Einzelfall (materiell und/oder aufgrund der prozessualen Ausgangslage), was die präjudizierliche Wirkung solcher Entscheidungen erheblich einschränkt. Welche Kriterien gilt es grundsätzlich bzw. bei der Bemessung zu berücksichtigen?

I. GRUNDSÄTZE

Im Gegensatz zur ehelichen Unterhaltsverpflichtung, die auf der Beistandspflicht der Ehegatten bis zur Scheidung, d.h. auch während einer Trennung, beruht, haben nacheheliche Unterhaltsansprüche ihre Grundlage in der nachehelichen Solidarität. Vergessen geht sehr oft, dass der Rentenanspruch nach einer Scheidung die Ausnahme ist. Grundsätzlich gilt nämlich nach einer Scheidung die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten, d.h. es ist ihnen zuzumuten, selber für den eigenen Bedarf aufzukommen.

Dass dennoch in Scheidungsvereinbarungen oder -urteilen eine Rentenverpflichtung eher die Regel als die Ausnahme ist, hängt damit zusammen, dass aufgrund der Rollenteilung während der gelebten Ehe oder aus anderen Gründen wie Alter, Krankheit, Aussichtslosigkeit eigener Erwerbsbemühungen, etc. die Eigenversorgung – vorübergehend oder dauernd – eingeschränkt ist. In solchen Fällen besteht eine auf dem Vertrauensschutz basierende Anspruchsgrundlage für denjenigen Ehegatten, der aus den genannten Gründen benachteiligt, d.h. nicht in der Lage ist, den gebührenden Unterhalt zu decken.

II. VORAUSSETZUNGEN

Ein Rentenanspruch setzt grundsätzlich eine lebensprägende Ehe bzw. – genauer – eine ausreichende Zeit ab Heirat bis zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes voraus. Hat eine Ehe mehr als 10 Jahre gedauert und hat einer der Ehegatten in dieser Zeit die Eigenversorgung reduziert oder gar nicht aufgenommen, so hat er deswegen (allenfalls) nacheheliche Nachteile, die es über einen Rentenanspruch auszugleichen gilt. Im Regelfall sind solche Nachteile bei einer nur kurzen Ehe bzw. gemeinsamen Haushaltszeit (nach der Rechtsprechung weniger als 5 Jahre) demgegenüber auszuschliessen.

Lebensprägend
kann eine auch kurze Ehe dann sein, wenn die Ehegatten gemeinsam Kinder gezeugt
haben und deren weiterdauernde Betreuung/Mitbetreuung durch den einen
Elternteil dessen Eigenversorgungskapazität beschränkt. Nachdem im Grundsatze
verbindlichen Schulstufenmodell des Bundesgerichts steht allerdings diese
Kinderbetreuungsaufgabe der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nur
vorübergehend im Weg: Ab Eintritt des jüngsten Kindes in den obligatorischen
Kindergarten oder in die Schule ist in aller Regel die Wiederaufnahme eines
Arbeitspensum von 50%, ab Übertritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe eine
solche von 80% und ab dem 16. Geburtstag des jüngsten Kindes wieder ein
volles Arbeitspensum möglich und zumutbar.

Eine Ausnahme von der Regel, wonach nur ehebedingte Nachteile bei der Eigenversorgung einen Vertrauensschutz schaffen und damit einen Rentenanspruch rechtfertigen können, sieht die Rechtsprechung bei Krankheit oder einkommensreduzierender Invalidität eines Ehegatten und längerer Ehe vor: Hier spielt es gemäss konstanter Rechtsprechung keine Rolle, dass diese Krankheit/Invalidität allenfalls schon vorehelich bestanden oder ihre Grundlage in nicht ehelichen Umständen hat. Ob dies richtig ist, d.h. ob dem anderen Ehegatten in solchen Fällen tatsächlich eine möglicherweise sehr lange Unterhaltsverpflichtung zuzumuten ist, darf durchaus in Frage gestellt werden: Auch die nacheheliche Solidarität rechtfertigt meines Erachtens höchstens eine vorübergehende oder eine auf einem reduzierten (existenzsichernden) Lebensstandard der kranken/invaliden Ansprecherin berechneten Aufstockungsunterhalt. Ausgenommen sind sehr lange Ehen oder zusätzliche ehebedingte Nachteile auf Seiten der Berechtigten.

III. BEMESSUNG DER SCHEIDUNGSRENTE

Als Grundsatz gilt nach unbestrittener Rechtsprechung, dass der rentenberechtigte Ehegatte maximal so viel an Scheidungsrente beanspruchen kann, wie er unter Anrechnung seines möglichen und zumutbaren Eigeneinkommens (Lohn und Vermögensertrag) braucht, um den gebührenden Lebensstandard weiterführen zu können. Dieser bemisst sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes zuzüglich trennungs- und/oder scheidungsbedingte Mehrkosten, wozu gegebenenfalls auch ein Zuschlag als Vorsorgeunterhalt (Ausgleich nachehelicher Nachteile in der 1. und 2. Säule) gehört. Nicht relevant sind also ausserordentliche Einkommenssteigerungen auf Seiten des Pflichtigen, die erst nach der Trennung eingetreten sind. Demgegenüber können die Lebensplanung der Ehegatten und ein nachweisbarer gemeinsamer Wille, dereinst den Lebensstandard zu erhöhen, durchaus berücksichtigt werden: Nach langer Ehe tendiert bspw. die Rechtsprechung dahin, den nachgewiesenen Vortrennungslebensstandard um frei werdende Mittel, die bis anhin für die Kinder und deren Ausbildung investiert wurden, zu erhöhen und diese neu freien Mittel angemessen auf die Ehegatten aufzuteilen. Besteht nach den obigen Voraussetzungen ein Rentenanspruch, so gilt dieser jedenfalls nach längerer Ehe grundsätzlich lebenslänglich. Grund für die im Regelfall beschränkte Rentenverpflichtung per Eintritt des Pflichtigen ins Pensionierungsalter ist nicht etwa eine gesetzliche Befristung, sondern der Umstand, dass in diesem Zeitpunkt die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen erheblich abnimmt und sehr oft zeitgleich der Bedarf auf Seiten der Berechtigten durch nunmehr fällige Ansprüche der 1. und 2. Säule oder einem zumutbaren Vermögensverzehr sinkt.

IV. BERECHNUNGSMETHODE

Nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung sind nacheheliche Unterhaltsansprüche grundsätzlich einstufig zu berechnen. Der Ansprecher hat den gebührenden Bedarf möglichst konkret zu behaupten und zu belegen. Die Scheidungsrente entspricht dann demjenigen Bedarf, der durch die eigenen (allenfalls hypothetischen) Einkünfte des Berechtigten nicht gedeckt ist. Vorausgesetzt für entsprechende Rentenleistungen ist selbstverständlich eine  entsprechende Leistungsfähigkeit auf Seiten des Pflichtigen: Ist diese nicht oder nicht ausreichend vorhanden, so ist ein an sich gegebener Rentenanspruch so zu kürzen, dass beide Ehegatten in etwa denselben Lebensstandard weiterführen können.

Im Gegensatz zum Obigen steht die Praxis vieler Gerichte,
auch den nachehelichen Unterhalt nach der sogenannten 2-stufigen Methode, d.h.
auf Basis der Existenzminima beider Ehegatten nach der Scheidung, der
Ermittlung der je vorhandenen Überschüsse (Differenz zwischen Einkünften und
Existenzminima) und einer hälftigen Aufteilung des (nicht auf allfällige Kinder
entfallenden) Totalüberschusses zu berechnen. Diese 2-stufige
Berechnungsmethode, die in der Regel für die eheliche Unterhaltsverpflichtung
während einer Trennung zur Anwendung gelangt (Ausnahme: sehr hohe
Einkommensverhältnisse mit Sparquoten), kann zwar in
durchschnittlichen/üblichen Verhältnissen (bis ca. CHF 10’000.00 – 15’000.00 an
Einkünften) ähnliche oder richtige Ergebnisse zeitigen, sie ist aber dogmatisch
grundsätzlich abzulehnen und bedarf jedenfalls dann der Korrektur, wenn bspw.
während der Trennungszeit die massgeblichen Verhältnisse erheblich geändert
haben. Eine Vermischung der beiden Berechnungsmethoden ist zudem nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung unzulässig.

Problematisch für den Scheidungsanwalt ist der Umstand, dass
die Gerichte nicht einmal an von beiden Parteien angerufene unstrittige
Berechnungsmethoden gebunden sind, d.h. selbst diesfalls mit einer
abweichenden, Nachteile schaffenden, Methodenwahl des Gerichts zu rechnen ist.
Mit anderen Worten bleibt dem sorgfältigen Anwalt nichts anderes übrig, als
vorsorglich die Rentenberechtigung und die Rentenhöhe auch bei
durchschnittlichen Einkommensverhältnissen nach beiden Bemessungsmethoden zu
begründen und zu belegen. Nur der entsprechende – gegebenenfalls wesentlich
grössere – Aufwand verhindert eine negative Beurteilung wegen ungenügender
Substantiierung.

V. ABÄNDERBARKEIT

Die Rentenverpflichtung ist ein Dauerschuldverhältnis, d.h. sie besteht grundsätzlich für so lange, wie sie im Scheidungsurteil festgelegt wurde. In Art. 129 ZGB ist allerdings ein auch einseitig anrufbarer Abänderungsanspruch geregelt. Vorausgesetzt – dies hier nur grundsätzlich – ist eine unfreiwillige, erhebliche und dauernde Veränderung der Verhältnisse, d.h. eine Verschlechterung der Situation beim Rentenpflichtigen und/oder eine Verbesserung der Verhältnisse auf Seiten der Berechtigten. Von Gesetzes wegen entfällt die Rentenverpflichtung vorzeitig bei Wiederverheiratung des Berechtigten und nach der Rechtsprechung dann, wenn dieser ein nachweisbares eheähnliches Konkubinat führt. Die vereinbarliche Abänderung ist an sich formfrei gültig: Aus Beweisgründen ist aber nachdrücklich eine schriftliche, beidseits unterzeichnete Vereinbarung zu empfehlen.

VI. FAZIT

Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist der Rentenanspruch und sind die Bemessung und die Dauer einer Scheidungsrenten-Verpflichtung ausserordentlich komplex und oftmals der Grund, dass einverständliche Regelungen scheitern oder über den Rentenanspruch bis vor Bundesgericht gestritten wird. Die unterschiedliche Gerichtspraxis (teilweise sogar am gleichen Gericht) und die – an sich zu Recht – auch einzelfallbezogenen Beurteilungen des Bundesgerichts vereinfachen die Sache nicht. Auch dem erfahrenen Scheidungsanwalt fallen diesbezügliche Prozessanalysen und -prognosen nicht leicht: Letztendlich wird gemeinsam mit der Klientschaft zu entscheiden sein, ob man denk- und begründbare Maximalpositionen durchfechten und diesfalls auch kostspielige Niederlagen in Kauf nehmen will oder ob nicht Kompromisslösungen mit Zugeständnissen beider Seiten anzustreben sind.


3. Juni 2020 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


NEUE PARTNERSCHAFT NACH SCHEIDUNG: FOLGEN UND GESTALTUNGSSPIELRAUM IM FALLE EINER NEUEN PARTNERSCHAFT DES GESCHIEDENEN EHEGATTEN BZW. EINER PATCHWORK-FAMILIE (UNTERHALT, SOZIALVERSICHERUNG UND ERBRECHT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Angesichts der unverändert hohen Anzahl von Scheidungen, welche auch jüngere Ehegatten (oft mit Kindern) treffen kann, stellt sich nicht selten die Frage, welche Auswirkungen eine neue Liebe bzw. eine neue Partnerschaft auf die scheidungsrechtlichen Verpflichtungen hat bzw. wie die neue Partnerschaft rechtlich auszugestalten ist. Die nachfolgenden Ausführungen und Empfehlungen zu den Folgen einer neuen Partnerschaft (auf den Scheidungsunterhalt, auf sozialversicherungsrechtliche Ansprüche und auf das Erbrecht) bzw. zu den Möglichkeiten zur Absicherung/ Begünstigung des neuen Partners sind keinesfalls vollständig, sollen aber aufzeigen, was es zu bedenken gibt und dass sich eine fachkundige Beratung durchaus lohnt.

I. UNTERHALT (KINDERUNTERHALT UND SCHEIDUNGSRENTE)

a)
Unabhängig davon, ob mit der neuen Partnerin ein Konkubinat begründet oder wieder geheiratet wird, hat die neue „Beziehung» des verpflichteten Exgatten in der Regel keine Auswirkungen auf bestehende Verpflichtungen aus einem Scheidungsurteil. Sowohl der Kinderunterhalt als auch die Scheidungsrente bleiben geschuldet, sofern nicht aufgrund eines weiteren Kindes des Pflichtigen und der Ansprüche dieses nachehelichen Kindes (auf Bar- und Betreuungsunterhalt) der eigene Bedarf des Pflichtigen in relevantem Umfang steigt. Ein Anspruch auf Abänderung des Unterhalts für die Kinder aus der geschiedenen Ehe bzw. der Scheidungsrente besteht aber auch diesfalls nur dann, wenn der steigende Bedarf nicht durch andere Bemessungskriterien ausgeglichen wird, bspw. durch ein zwischenzeitlich gestiegenes Einkommen, die Einsparungen im Falle des Zusammenlebens mit der neuen Partnerin/ Kindsmutter, etc.

b)
Auf Seiten der berechtigten Partei, d.h. des abgeschiedenen Exgatten, dem eine Scheidungsrente zugesprochen wurde, kann die neue Liebe schon bald gewichtige Folgen haben, wenn sie zu einem gemeinsamen Haushalt führt. Dies zwar nicht beim Kinderunterhalt, der vorbehältlich des unter Ziffer 1.1. Gesagten nicht abgeändert werden kann, wohl aber beim eigenen Rentenanspruch, lässt doch die Zweitehe, d.h. die Wiederverheiratung, diesen per sofort – ungeachtet der konkreten Verhältnisse – erlöschen. Im Falle eines Konkubinates können die damit verbundenen Einsparungen dazu führen, dass der Rentenanspruch herabgesetzt oder gar aufgehoben wird. Das Festhalten an einem Rentenanspruch trotz längerem und/ oder eheähnlichem Konkubinat kann als Rechtsmissbrauch neben der Herabsetzung auch eine Sistierung oder gar das Erlöschen der Rentenverpflichtung zur Folge haben.

Gut bedient ist, wer die möglichen Veränderungen der Lebenssituation des Berechtigten, bei der Scheidung mit einer – zeitlich und betraglich vernünftigen – Konkubinatsklausel geregelt hat, welche die Herabsetzung bzw. den Wegfall der Rente im Konkubinatsfall regelt und damit allen Beteiligten Rechtsunsicherheit und aufwendige Abänderungsverfahren erspart.

II. AUSWIRKUNGEN IM BEREICH DER SOZIALVERSICHERUNGEN

a)
Auf Seiten beider Exgatten kann im Todesfall der Konkubinatspartner in der 2. Säule unter bestimmten Voraussetzungen – üblicherweise wird eine bestimmte Konkubinatsdauer und werden Unterstützungsleistungen vorausgesetzt – profitieren, wogegen das Konkubinat alleine noch keine Hinterlassenenansprüche (Witwenrente) der AHV begründet. Erst mit einer Heirat hat der Zweitehegatte sowohl in der 2. Säule als auch in der AHV einen Anspruch auf Witwenrenten. Für Kinder aus der ersten oder der neuen Beziehung spielt es demgegenüber keine Rolle, ob ein Konkubinat oder eine Zweitehe bestehen: Stirbt der leibliche Vater oder die leibliche Mutter, so haben sie ungeachtet der Beziehung der Eltern zu neuen Partnern einen Anspruch auf Halbwaisenrenten der 1. und der 2. Säule.

b)
Beim abgeschiedenen Exgatten gilt es vorab zu beachten, dass eine neue Partnerschaft auf Seiten des Verpflichteten (Konkubinat oder Wiederverheiratung) auf die Kinder aus der ersten Ehe keinerlei Auswirkungen hat. Ihnen steht unter den gesetzlichen Voraussetzungen im Falle des Todes eines Elternteils ein Waisenrentenanspruch zu. Wenig bekannt ist, dass in vielen Fällen auch der abgeschiedene Ehepartner mit einem Scheidungsrentenanspruch Ansprüche auf Witwenrenten der AHV und der 2. Säule hat, wobei letztere maximal den effektiven Ausfall decken.

Zu bedenken gilt es auf Seiten des Berechtigten allerdings, dass eine neue Partnerschaft in Form eines Konkubinates diese allfälligen Ansprüche auf Hinterlassenenleistungen trotz Scheidung nicht beeinträchtigt, bei Wiederverheiratung aber der Rentenanspruch grundsätzlich erlischt und nur ausnahmsweise (auch bei einer späteren Scheidung der Zweitehe) wieder auflebt.

III. GÜTER- UND ERBRECHTLICHE FOLGEN BZW. GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN

a)
Der abgeschiedene Exehegatte verliert mit der Scheidung jeglichen eigenen Erbanspruch, weshalb ein Konkubinat oder eine Zweitehe auf Seite des verpflichteten Exgatten keine Auswirkungen haben kann. Noch offene güterrechtliche Forderungen werde durch den Tod des Verpflichteten nur insoweit beeinflusst, als sich diese neu gegen dessen Erbengemeinschaft richten.

b)
Auf die Kinder aus erster Ehe hat der Tod des geschiedenen Elternteils im Falle eines Konkubinates insoweit keine Auswirkungen, als ihr Pflichtteilsanspruch von 3/4 der Hinterlassenschaft weiterhin gilt. Heiratet ein Elternteil allerdings wieder und trifft er entsprechende letztwillige Verfügungen (siehe unten), so kann der pflichtteilsgeschützte Erbanspruch der Kinder aus erster Ehe auf nur noch 3/8 sinken: Aus Sicht der Kinder aus erster Ehe ist die Wiederverheiratung des geschiedenen Elternteils ein Nachteil, der sich im Zuge der laufenden Gesetzgebung noch verschärfen könnte, weil namentlich eine Erhöhung der verfügbaren Quoten und ein «Mindesterbrecht» eines neuen Konkubinatspartners diskutiert werden. Selbstverständlich beeinflusst wird die Höhe des Erbanspruchs der Kinder aus erster Ehe auch durch die Geburt weiterer Kinder, die einen gleichrangigen und gleich hohen Erbanspruch erwerben: Der zu Gunsten der Kinder nicht entziehbare Pflichtteil sinkt diesfalls wegen der grösseren Anzahl gleichberechtigter Nachkommen.

c)
Analog zum Obigen hat der abgeschiedene Elternteil im Falle einer neuen Partnerschaft diverse Gestaltungsmöglichkeiten, namentlich zur Begünstigung neuer gemeinsamer Kinder und/ oder des Konkubinatspartners bzw. des neuen Ehegatten. Da der neue Ehegatte nicht nur ein gesetzliches eigenes Erbrecht hat, sondern mit der Wiederverheiratung auch die verfügbare Quote steigt, ist aus erbrechtlicher Sicht im Falle einer erwünschten Begünstigung des neuen Partners (zulasten der Kinder aus erster Ehe) unverändert der Wiederverheiratung der Vorzug zu geben, da damit die dem neuen Partner zuwendbare Erbquote von 1/4 auf 5/8 steigt. Wird zudem berücksichtigt, dass nur der neue Ehegatte für Erbanfälle steuerbefreit ist, wogegen auch ein langjähriger Konkubinatspartner erhebliche steuerliche Lasten zu gewärtigen hat – und wird ferner berücksichtigt, dass der neue Ehegatte auch vorsorgerechtlich (nicht nur in der 1. und 2. Säule. sondern auch in der Säule 3a) einen gesicherten Leistungsanspruch hat -, so ist in vielen Fällen die Wiederverheiratung die bessere Lösung: Die Vorteile überwiegen derzeit noch bestehende Nachteile der Zweitehe gegenüber dem Konkubinat im Bereich der laufenden Steuern und der Höhe der AHV- Renten (Plafonierung).

d)
Entscheiden sich die neuen Partner trotzdem gegen eine Heirat (Zweitehe), so ist unbedingt zu klären, ob bzw. wie der neue Partner in der 2. Säule bzw. in der Säule 3a begünstigt werden kann, was gegebenenfalls nur nach einer gewissen Zeit möglich bzw. nur dann gültig ist, wenn die spezifischen formellen Voraussetzungen (bspw. Begünstigungserklärungen an die Pensionskasse, etc.) befolgt werden. Uneingeschränkt zulässig und erbrechtlich nicht anfechtbar ist die Begünstigung von neuem Konkubinats- oder Ehepartner durch eine Todesfallrisikoversicherung, da deren Leistungen dem überlebenden neuen Partner nicht nur sofort Liquidität sichern, sondern auch ausserhalb des Erbrechts stehen und daher von den Kindern aus erster Ehe nicht angefochten werden können.

e)
Den Bedenken, dass man mit einer Zweitehe neuerlich ein Scheidungsrisiko eingeht, kann durch einen geeigneten Ehevertrag Rechnung getragen werden, mit dem zumindest nicht gewollte güterrechtliche Folgen bei einem Schei- tern der Zweitehe – im Falle eines neuen Konkubinates gibt es keine solchen Ansprüche – ausgeschlossen werden können. Das Unterhaltsrisiko im Falle einer Zweitscheidung dürfte in aller Regel geringer sein, weil ohne neue Kinder die neuen Ehegatten zur Eigenversorgung in der Lage sind oder altersbedingt mit höheren oder längeren Unterhaltsansprüchen des neuen Ehepartners nicht zu rechnen ist. Selbstverständlich muss dies aber im Einzelfall überprüft werden.

f)
Soll der neue Partner (Konkubinatspartner oder neuer Ehegatte) zwar erbrechtlich maximal aber nur vorübergehend begünstigt werden, so bietet das Erbrecht auch hierfür geeignete Instrumente: Als Erbanspruch kann dem Ehegatten – ganz oder teilweise – nur die Nutzniessung am Nachlass überlassen werden (Sicherung des Verbleibs in einer dem Erblasser gehörende Liegenschaft) oder es kann über die Anordnung einer Nacherbschaft die Weitervererbung an die Kinder des neuen Ehegatten verhindert bzw. der Rückfall an die Kinder aus erster Ehe nach dem Tod des neuen Ehegatten gesichert werden.

g)
Ganz allgemein besteht bei umfassenden Patchwork – Familien mit einseitig bzw. beidseitig vorehelichen (und allenfalls neuen gemeinsamen) Kindern ein grosser Regelungsbedarf. Was im Einzelfall gewollt oder möglich und sinnvoll ist, gilt es fachmännisch – auch unter Berücksichtigung aller latenter Steuerfolgen – abzuklären. Nur dies garantiert, den Willen der Beteiligten mittels letztwilliger Verfügung, Ehevertrag oder Erbvertrag (sowie Begünstigungserklärungen gegenüber Versicherungen und Sozialversicherungen) rechtssicher zu gestalten und durchzusetzen.

IV. FAZIT

Wie das Obige zeigt, sind die Folgen einer neuen Liebe, die sich in einem Konkubinat oder einer Zweitehe niederschlägt, zumindest zu bedenken und ist diesen gegebenenfalls ebenso Rechnung zu tragen wie den verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten. Mehr ins Detail zu gehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Im Vordergrund steht der konkrete Wille der Klientschaft: In der Praxis reichen die Absichten der Klientschaft von einer maximalen (lebzeitigen und/oder erbrechtlichen) Begünstigung des neuen Partners bis zum Gegenteil, nämlich dem vollen Schutz der Ansprüche der Kinder (aus erster Ehe) und somit der Möglichkeit, den neuen Partner mit Ehegütertrennung- und Erbverzichtsvertrag von Ansprüchen gänzlich bzw. weitestgehend auszuschliessen.

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10. April 2019 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


DIE ERWACHSENENADOPTION IM LICHTE DER BEVORSTEHENDEN ÄNDERUNG DES ADOPTIONSRECHTS

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht unter Mithilfe von Simona Serratore (M.A. HSG)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Schweizer Recht sieht zwar schon seit langem die Möglichkeit der Adoption von erwachsenen Personen vor. Traditionell wird in der Schweiz die Erwachsenenadoption aber von Behörden und Gerichten sehr restriktiv gehandhabt, da in vielen Fällen fiskalische Interessen der adoptionswilligen Parteien – namentlich eine Umgehung der Erbschaftssteuer – vermutet werden. Angesichts des auf den 1. Januar 2018 in Kraft tretenden, revidierten Adoptionsrechts ist zu hoffen, dass eine generelle Lockerung in Adoptionssachen erfolgen wird.

I. GRUNDSÄTZLICHES

Obschon seit längerem die Erwachsenenadoption in der Schweiz zugelassen ist, wurde diese bis anhin sehr streng gehandhabt. Grund dafür ist auch, dass die Adoptionsbehörden oft mit Fällen konfrontiert werden, wo mit der Adoption eine Umgehung der Erbschaftssteuer bezweckt werden soll. Die Erbschaftssteuer ist als kantonale Steuer zwar sehr unterschiedlich geregelt – einige Kantone, wie z.B. der Kanton Obwalden haben sie zu Beginn dieses Jahres gänzlich aufgehoben (auch für Nicht-Verwandte), macht aber in vielen Fällen einen erheblichen Betrag aus. Von ihr befreit sind üblicherweise nur Nachkommen.

Für eine Erwachsenenadoption wird unter dem noch geltenden Recht nach Art. 266 ZGB zwingend vorausgesetzt, dass die adoptierende Person selbst kinderlos ist und zudem:

  • dass die zu adoptierende Person aufgrund körperlicher und geistiger Gebrechen dauernd hilfsbedürftig ist und die Adoptiveltern sie während mindestens fünf Jahren gepflegt haben; oder
  • dass die zu adoptierende Person während ihrer Minderjährigkeit mindestens fünf Jahre lang von den Adoptiveltern Pflege und Erziehung genoss; oder
  • dass andere wichtige Gründe vorliegen und die zu adoptierende Person während mindestens fünf Jahren mit den Adoptiveltern in einer Hausgemeinschaft gelebt hat.Die Kinderlosigkeit ist dabei ein zwingendes Kriterium – gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann man auch nicht davon absehen, wenn sämtliche leiblichen Kinder der Adoptiveltern der Adoption zustimmen. Zudem wird – wie für die Adoption von Kindern – vorausgesetzt, dass die adoptierende Person mindestens 35 Jahre alt und auch mindestens 16 Jahre älter ist als die zu adoptierende Person.

II. DAS REVIDIERTE ADOPTIONSRECHT AB 1. JANUAR 2018

Seit der letzten Gesetzesänderung im Adoptionsrecht in den 1970er Jahren haben sich in vielerlei Hinsicht gesellschaftliche Wandel zugetragen. Während das geltende Adoptionsrecht noch davon ausgeht, dass nur in einer Ehe lebende Personen ein Kind adoptieren können, ist die heutige Realität eine andere: Es gibt eine starke Zunahme von sowohl verschieden- als auch gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ausserhalb der Ehe. Angesichts dieser Umstände wurde das geltende Adoptionsrecht den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst: Die revidierte Version tritt auf 1. Januar 2018 in Kraft.

Im Hinblick auf die Erwachsenenadoption ist weiterhin Art. 266 ZGB massgebend, allerdings in leicht angepasster Form. Die Mindestdauer der gemeinsamen Hausgemeinschaft bzw. Betreuung wird von fünf Jahren auf ein Jahr gesenkt. Auch wurde das Mindestalter der adoptierenden Person auf 28 Jahre reduziert. Das Kriterium der wichtigen Gründe bleibt jedoch erhalten.

Es ist zu beachten, dass die Adoptionsvoraussetzungen jeweils bereits zum Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs erfüllt sein müssen. Sobald das Gesuch eingereicht ist, hindert auch der Tod oder der Eintritt der Urteilsunfähigkeit der adoptierenden Person die Adoption nicht, sofern die anderen Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind. Auf Adoptionsverfahren, die vor dem 1. Januar 2018 eingeleitet aber noch nicht abgeschlossen wurden, ist das neue Recht anwendbar.

III. ZUR ADOPTION AUS WICHTIGEN GRÜNDEN

In vielen Fällen der Erwachsenenadoption steht den betroffenen Personen nur eine Adoption gestützt auf den Auffangtatbestand der wichtigen Gründe offen, welche im Adoptionsgesuch dargelegt werden müssen. Doch was ist unter diesem Begriff zu verstehen? Grundsätzlich sind die wichtigen Gründe mit einer intensiven zwischenmenschlichen Beziehung gleichzusetzen, und zwar einer Beziehung vergleichbar mit dem natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis. Als klassisches Beispiel wird oft der Fall genannt, wo die zu adoptierende Person den künftigen Adoptiveltern Pflege erwiesen hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass mit einer Adoption sämtliche bisherigen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Herkunftsfamilie erlöschen. Die leiblichen Eltern können nach einer erfolgten Adoption somit auch nicht mehr beerbt werden. In der Rechtsprechung wurde das Vorliegen wichtiger Gründe auch schon verneint, weil nach wie vor enge und alltägliche Beziehungen der Adoptionswilligen zur leiblichen Familie der zu adoptierenden Person bestanden.

Im Urteil 5A_126/2013 vom 13. Juni 2013 hat das Bundesgericht wichtige Gründe bejaht, weil die Beschwerdeführer eine ausserordentlich enge Beziehung begründen konnten. So wiesen sie nach, dass der zu Adoptierende den Adoptierenden bereits in gesundheitlich schwierigen Zeiten unterstützt hatte, dass der Adoptierende dem „Sohn“ bereits eine Immobilie geschenkt hatte, dass sie gemeinsam im Vorstand von Stiftungen und Verbänden waren, dass der „Sohn“ bereits seit fast einem Jahrzehnt als „zukünftiger Adoptivsohn“ im Testament des Adoptierenden begünstigt wurde und insbesondere auch, dass die Adoptivwilligen von sämtlichen Personen in ihrem Umfeld längst als Vater und Sohn wahrgenommen wurden. Angesichts dieser Umstände befand das Bundesgericht, dass die Vorinstanz rechtswidrig handelte, wenn sie davon ausging, dass mit der Adoption lediglich eine Steuerbefreiung bewerkstelligt werden sollte.

Mit Verweis auf die zu Beginn genannten Umgehungsversuche betreffend Erbschaftssteuer ist ausdrücklich festzuhalten, dass die erbrechtlichen und steuerrechtlichen Auswirkungen einer Erwachsenenadoption in keinem Fall wichtige Gründe darstellen. Gerade wo keine solchen Motive vorliegen, soll der wichtige Grund aber keinesfalls zu restriktiv gehandhabt werden.

IV. FAZIT

Tendenziell kann mit dem Inkrafttreten des revidierten Adoptionsrechts von einer generellen Lockerung der Voraussetzungen gesprochen werden. Und auch wenn das anspruchsvolle Kriterium der wichtigen Gründe im Zusammenhang mit der Erwachsenenadoption erhalten bleibt, ist zu hoffen, dass die Behörden bei der Prüfung der Adoptionsgesuche auch in diesen Fällen eine den heutigen Zeiten angemessenere Handhabung wählen.

So darf man in Fällen, wo keine gelebte Beziehung zur leiblichen Familie der zu adoptierenden Person besteht und auch die Wahrnehmung von Drittpersonen darauf hindeutet, dass die Adoptivwilligen z.B. längst als Vater/Eltern und Sohn wahrgenommen werden – dies insbesondere im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Geschäftsnachfolge, erwarten, dass unter dem neuen Adoptionsrecht solche Gesuche zu bewilligen sind.

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6. September 2017 / lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht 


ZUTEILUNG DES MEHRWERTS EINER LIEGENSCHAFT IN DER GÜTERRECHTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG (NAMENTLICH DES AUF EINEN PK-VORBEZUG ENTFALLENDEN MEHRWERT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei Ehescheidungen hat in aller Regel eine güterrechtliche Auseinandersetzung zu erfolgen. Gehört zum ehelichen Vermögen auch eine Liegenschaft, so gilt es neben der Zuweisung bzw. Liquidation des (gemeinschaftlichen) Eigentums auch die Ersatzforderungen anderer beteiligter Gütermassen und namentlich den allenfalls vorhandenen Mehrwert (oder Minderwert) zuzuteilen. In der Lehre ist Letzteres strittig, wogegen das Bundesgericht mit Entscheid 5A_278/2014 für den auf einen Vorbezug entfallenden Mehrwert klärend entschieden hat.

I. GRUNDSÄTZLICHES

Die Zuteilung einer Liegenschaft ins Vermögen des einen oder anderen Ehegatten richtet sich nach der sachenrechtlichen Anknüpfung, d.h. dem Grundbucheintrag.

Innerhalb des Vermögens des Eigentümerehegatten erfolgt die Zuordnung in dessen Eigengut oder Errungenschaft nach der Herkunft der überwiegenden Investitionen im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft. Der anderen beteiligten Gütermasse steht eine Ersatzforderung zu. Ebenso einer allenfalls beteiligten Gütermasse des anderen Ehegatten.

Schulden, namentlich also Hypothekardarlehen und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch ein Pensionskassen-Vorbezug, folgen dem belasteten Vermögenswert, d.h. belasten den Eigentümerehegatten und bei diesem diejenige Gütermasse, welche beim Erwerb überwiegend beteiligt war.

II. DER PENSIONSKASSEN-VORBEZUG (WEF) IM BESONDEREN

Nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein solcher Vorbezug wie ein Darlehen, d.h. eine Hypothekarschuld, zu behandeln, da jedenfalls vor Eintritt des Vorbezuges bei einer Veräusserung eine Rückzahlungsverpflichtung besteht. Güterrechtlich im eigentlichen Sinne ist der Vorbezug daher irrelevant: Aus der Zeit der Ehe stammende vorbezogene Pensionskassenmittel sind vielmehr bei der gesetzlich separat geregelten Vorsorgeausgleichung (Ausgleichung der ehelich angesparten Guthaben der 2. Säule) auszugleichen.

III. DER MEHRWERT AUF LIEGENSCHAFTEN UND DESSEN ZUTEILUNG

Hat eine Liegenschaft im Zeitpunkt der Liquidation (Scheidung) einen Mehrwert, d.h. übersteigt der Verkehrswert die Anlagekosten, so stellt sich die Frage, wem dieser Mehrwert gehört. Zu den Anlagekosten gehören die beim Kauf investierten Mittel wie auch spätere wertvermehrende Investitionen, worunter auch Eigenleistungen fallen, die durchwegs (als Arbeitsleistung) der Errungenschaft zuzuordnen sind.

Massgeblich für die Zuteilung des Mehrwertes ist das Verhältnis der aus verschiedenen Gütermassen investierten Mittel. Hat also der eine Ehegatte aus Eigengut oder Errungenschaft eine Investition in die Liegenschaft des anderen getätigt, so hat er nicht nur Anspruch auf eine Ersatzforderung für diese Investition, sondern auch auf den proportionalen Mehrwert nach Massgabe des Verhältnisses zwischen dieser und allen anderen Investitionen.

Der auf eine Hypothek oder andere Darlehen entfallende Mehrwert verbleibt grundsätzlich dem Eigentümerehegatten. Hat dieser Mittel aus dem Eigengut und der Errungenschaft investiert, so ist der entsprechende Mehrwertanteil wiederum proportional den beteiligten Gütermassen des Eigentümerehegatten zuzuweisen.

IV. ZUTEILUNG DES MEHRWERTES AUF EINEM VORBEZUG

Das soeben zur Zuteilung des auf die Hypothek entfallenden Mehrwerts Gesagte gilt nach Bundesgericht und vorherrschender Lehre auch für den Mehrwert auf einem PK-Vorbezug. Hat ein Ehegatte als Eigenkapital in die ihm gehörende Liegenschaft neben einer Hypothek und einem PK-Vorbezug einzig Eigengut investiert, so fällt neben dem Mehrwertanteil der Hypothek auch der auf den PK-Vorbezug entfallende Mehrwertanteil voll in sein Eigengut.

Hat der Eigentümerehegatte das Eigenkapital teilweise dem Eigengut und teilweise der Errungenschaft entnommen – oder später aus Errungenschaft wertvermehrende Investitionen getätigt –, so ist analog der Regelung des Mehrwerts auf der Hypothek auch der Mehrwert auf dem Vorbezug proportional auf die beiden Investitionen aus dem Eigengut und der Errungenschaft aufzuteilen.

V. WAS STEHT DEM NICHT-EIGENTÜMER-EHEGATTEN ZU

Der Nicht-Eigentümer-Ehegatte kann vorerst eine Ersatzforderung (nominalwertgeschützt) für aus seinem Vermögen getätigte Investitionen in die Liegenschaft des anderen und den darauf proportional entfallenden Mehrwert geltend machen. Stammen seine Investitionen aus seiner Errungenschaft, so hat er allerdings die Ersatzforderung und den darauf entfallenden Mehrwert mit dem anderen Ehegatten zu teilen.

Im Weiteren kann der Nicht-Eigentümer-Ehegatte seine Vorschlagsbeteiligungsforderung an Investitionen des Eigentümers geltend machen, die aus dessen Errungenschaft stammen, ebenso am auf diese Errungenschaftsinvestitionen des Eigentümer-Ehegatten proportional entfallenden Mehrwertanteil und am proportional auf diese Errungenschaftsinvestition des Eigentümer-Ehegatten entfallenden Mehrwertanteils auf Hypothek und – gemäss dem Obigen – dem PK-Vorbezug. Keine Rolle soll dabei spielen, ob dieser PK-Vorbezug aus vorehelichem oder aus ehelichem Guthaben stammt.

VI. FAZIT

Die güterrechtliche Behandlung einer Liegenschaft in der güterrechtlichen Auseinandersetzung (Scheidung) ist und bleibt kompliziert. Aufwendige Berechnungen sind auch dann nötig, wenn bezüglich der Herkunft der einzelnen investierten Mittel, der massgeblichen Verkehrswerte und der allenfalls gestaffelt erfolgten Investitionen Klarheit besteht. Wenigstens ist mit dem zitierten Bundesgerichtsentscheid nunmehr geklärt, wo dabei der auf einen Vorbezug entfallende Mehrwertanteil einzuordnen ist und unter welchen Voraussetzungen der andere Ehegatte einen Beteiligungsanspruch auch an diesem Mehrwert hat.

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5. Juli 2017 / lic. iur. Martin Kuhn

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