DIE ABSICHERUNG DES/DER NEUEN PARTNERS/IN BEI NICHT GEMEINSAMEN KINDERN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei einer Scheidungsquote von 40% bis 50% kann es nicht erstaunen, dass der geschiedene Ehemann und Vater von Kindern aus dieser Ehe später eine neue Partnerschaft eingeht und es ihm ein Bedürfnis ist, die neue Partnerin für den Fall seines Todes abzusichern bzw. zu begünstigen. Um so mehr als diese neue Partnerschaft jahrzehntelang dauern und bei entsprechender Rollenverteilung die Absicherung der neuen Partnerin existenziell sein kann, ist dieses Bedürfnis durchaus legitim. Wenn eine angemessene einverständliche Regelung unter Einbezug der nicht gemeinsamen Kinder nicht möglich ist, sieht das Gesetz auch Möglichkeiten ohne deren Mitwirkung vor. Die erbrechtlichen Schranken sind allerdings zu beachten.

I. DER PFLICHTTEILSSCHUTZ DER KINDER

Bekanntlich kann durch ehevertragliche Vereinbarungen (bei Wiederverheiratung) bzw. testamentarische oder erbvertragliche Regelungen (auch im Konkubinat) die neue Partnerin begünstigt werden. Allerdings dürfen solche ehe- und erbvertraglichen Begünstigungen – oder lebzeitige Zuwendungen – den Pflichtteilsschutz der Kinder aus der früheren Ehe nicht verletzen, dessen Höhe vorab vom Status des Vaters und Erblassers bei seinem Tod abhängig ist. Ist der Erblasser mit der neuen Partnerin nicht verheiratet, so beträgt der Pflichtteil der Kinder nämlich 3/4, während er nach der Wiederverheiratung auf 3/8 sinkt.

II. KONKUBINAT ODER NEUE EHE

Bereits aus Obigem ergibt sich, dass die Möglichkeit zur erbrechtlichen Begünstigung der neuen Partnerin mit einer Heirat erheblich steigt. Dies gilt umso mehr, als die neue Ehefrau auch ehevertraglich begünstigt werden kann, was namentlich dann eine Rolle spielt, wenn der Erblasser während der Zeit der neuen Partnerschaft noch erwerbstätig ist und Errungenschaft anspart. Hinzu kommt der automatische Schutz der neuen Ehefrau im Bereich der 2. und 3. Säule und in steuerlicher Hinsicht, sind doch in der Regel ehe- und erbrechtliche Vermögensanfälle der Ehefrau steuerbefreit, wogegen entsprechende Zuwendungen an die Konkubinatspartnerin – in einigen Kantonen ganz erhebliche – Steuern auslösen.

Werden diese Vorteile den Nachteilen, nämlich einer aufgrund der Progression allenfalls höheren Gesamtsteuerlast der neuen Ehegatten oder den Plafonierungsschranken bei der AHV gegenübergestellt, so überwiegen in aller Regel – im Regelfall – die Vorteile, d.h. spricht einiges dafür, eine Heirat mit der neuen Lebenspartnerin ernstlich in Erwägung zu ziehen.

Namentlich derjenige, der eine schlimme und kostspielige Scheidung hinter sich hat, befürchtet allerdings oft, bei einer Heirat mit der neuen Partnerin auch erneut ein entsprechendes Scheidungsrisiko einzugehen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass in der Regel die Konstellation in einer solchen neuen Ehe die entsprechenden Risiken beschränkt (fortgeschrittenes Alter, keine gemeinsamen Kinder, Erwerbstätigkeit beider Partner, etc.) und dass der Scheidungsangst zumindest in güterrechtlicher Hinsicht mit einem Ehevertrag auf Begründung der Gütertrennung Rechnung getragen werden kann, ohne dass dadurch die erbrechtlichen (und andere) Begünstigungsmöglichkeiten für den Todesfall dahinfallen.

III. BEGÜNSTIGUNG IM KONKUBINAT

Im Vordergrund steht hier die erbrechtliche Begünstigung durch Zuwendung der gesamten freien Quote – neben dem Pflichtteil der Kinder von 3/4 also 1/4 – an die neue Partnerin, gegebenenfalls ergänzt durch Teilungsvorschriften, welche den Verbleib in einer gemeinsamen Liegenschaft sichern können. Wo der Abschluss einer solchen Versicherung noch möglich ist, drängt sich als weitere Begünstigung eine Todesfallrisikopolice auf, mit welcher der Partnerin ausserhalb des Erbrechts (und damit des Pflichtteilsschutzes) auch ganz erhebliche Zuwendungen für den Fall des Todes gemacht werden können. 

Zuletzt sind auch in der 2. Säule und in der Säule 3a heute Begünstigungen des effektiv unterstützten bzw. langjährigen Konkubinatspartners möglich, wobei diesbezüglich besondere formelle Voraussetzungen bestehen, die unbedingt beachtet werden müssen.

IV. BEGÜNSTIGUNG DER NEUEN EHEFRAU

Vorab besteht nach einer Heirat die Möglichkeit zur ehevertraglichen Begünstigung, wobei neben der vollen Vorschlagszuweisung, die dem Pflichtteilsschutz unterliegt, auch an den Güterstand der Gütergemeinschaft gedacht werden sollte, welche den gesamten ehe- und erbrechtlichen Pflichtteilsschutz der Kinder auf 1/4 (statt 3/8) reduziert und namentlich bei hohem Eigengutsvermögen des Erblassers die Nachteile dieses Güterstandes in haftungsrechtlicher Hinsicht überwiegen kann.

Erbrechtlich kann – wie eingangs schon erwähnt – der neue Ehegatte mit insgesamt 5/8 der Hinterlassenschaft bedacht, d.h. der Pflichtteil der Kinder auf 3/8 reduziert, werden. Selbstverständlich ist auch diese Begünstigung des neuen Ehepartners durch ihn zusätzlich absichernde Teilungsvorschriften und beispielsweise die Einsetzung des überlebenden Ehegatten (oder einer Vertrauensperson) als Willensvollstrecker zu verstärken. Und ebenso kann selbstverständlich auch der überlebende Ehegatte im Rahmen einer Todesfallrisikoversicherung ausserhalb des Erbrechts begünstigt werden.

V. RÜCKFALL AN DIE KINDER?

Geht es darum, den überlebenden neuen Partner oder Ehegatten nur vorübergehend, nämlich bis zu dessen allfälliger Wiederverheiratung oder seinem Zweitversterben, abzusichern, so bietet das Erbrecht auch dafür geeignete Regelungen. Zu denken ist an eine Wiederverheiratungsklausel (Wegfall der Begünstigung und Rückzahlung des Vermögens bei Wiederverheiratung), die Begünstigung des Partners / Ehegatten im Rahmen einer Vorerbschaft oder mit befristeten Nutzungsrechten, oder und insbesondere die Möglichkeit, mit dem neuen Partner erbvertraglich auch den Rückfall des zuletzt noch vorhandenen Vermögens (auch) an die Kinder des Erstversterbenden verbindlich zu regeln. Letzteres ist dann umso wichtiger, wenn beide neuen Partner pflichtteilsgeschützte Kinder haben (Patchwork-Familien) und es neben den Pflichtteilen der Kinder des zweitversterbenden Ehegatten auch noch die steuerlichen Konsequenzen – die Kinder des Erstversterbenden unterliegen mangels Verwandtschaft einer hohen Steuerquote – zu beachten gilt.

VI. FAZIT

Das Erbrecht und bei nochmaliger Heirat auch das Eherecht bieten trotz derzeit noch grossem Pflichtteilschutz der Kinder – eine diesen reduzierende Gesetzesrevision ist allerdings bereits angedacht – durchaus Möglichkeiten, den neuen Partner abzusichern und angemessen oder maximal zu begünstigen. Hinzu kommen die Möglichkeiten der faktischen Vermögensverschiebung auf den neuen Partner / Ehegatten sowie die hiervor nur kurz erwähnte versicherungsrechtliche Begünstigung. Die Kosten einer entsprechenden Analyse und fachmännischen Beratung durch einen spezialisierten Anwalt oder Notar sollte man nicht scheuen. Eine rechts- und anfechtungssichere Lösung schützt den neuen Partner / Ehegatten umso mehr. Die fachmännische Beratung gewährleistet gleichzeitig den Schutz vor “nicht gewollten“ Begünstigungen im Falle eines Scheiterns der neuen Partnerschaft oder nicht gewollter Folgen (bspw. steuerlicher Natur) nach dem Tod auch des zweiten Partners.

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30. März 2017 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


AKTUELLES ZUM NEUEN KINDESUNTERHALT (BETREUUNGS-UNTERHALT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Per 01.01.2017 tritt das neue Kindesunterhaltsrecht in Kraft, gemäss welchem auch für Kinder unverheirateter Eltern wesentlich höhere Unterhaltsleistungen vorgesehen sind. Faktisch wird auch der unverheiratete Vater nunmehr im Normalfall Zahlungen an bzw. für die von ihm getrennt lebende Mutter eines ausserehelich gezeugten Kindes erbringen müssen. Dies unabhängig davon, ob die Eltern je in einem Konkubinat gelebt haben oder das Kind das Ergebnis eines One Night Stand ist. Bestehende Unterhaltsverträge oder Urteile über den Unterhalt für ein solches Kind können angepasst, d.h. Mehrforderungen können eingeklagt werden.

1. HÖHE DES BETREUUNGSUNTERHALTS? 

Die Ausgestaltung des dem Kind neben seinem Anspruch auf Versorgung (Natural- und Barunterhalt) zustehenden Betreuungsunterhaltes hat der Gesetzgeber – leider – der Praxis und damit den Gerichten überlassen, welche in den nächsten Jahren den Betreuungsunterhalt nach richterlichem Ermessen und damit wohl sehr unterschiedlich bemessen werden. Bis eine konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung als Richtlinie vorliegen dürfte, werden einige Jahre verstreichen.

2. AKTUELLE BEMESSUNGSEMPFEHLUNGEN 

Während bis zum Vorliegen erster Urteile der Gerichte über die Höhe des Betreuungsunterhaltes noch einige Zeit verstreichen dürfte, hat sich die Lehre bereits intensiv mit dem Betreuungsunterhalt befasst. Durchzusetzen scheint sich auch wegen der Praktikabilität ein Modell, wonach der Betreuungsunterhalt, d.h. die an das Kind geschuldete Entschädigung für die Betreuung durch einen Elternteil (in aller Regel die Mutter) sich in einer Bandbreite zwischen CHF 2‘700.00 und CHF 3‘400.00 für eine Vollbetreuung – abhängig vom Kostenniveau am Wohnort des Kindes – bewegen wird. Mit dem entsprechenden Betrag soll dem Kind die 100%-ige Betreuung durch die nicht erwerbstätige Mutter entschädigt werden, welcher Betrag notabene zusätzlich zum Versorgungsunterhalt geschuldet ist. Wo eine Mutter ein Kind also voll persönlich betreut, wird in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen neu durchaus ein Kinderunterhalt von insgesamt CHF 4‘000.00 bis CHF 5‘000.00 zur Debatte stehen, wobei es durchaus auch Meinungen gibt, wonach bei sehr guter Leistungsfähigkeit auch der Betreuungsunterhalt zu erhöhen sei. Das Kind habe nicht nur Anspruch auf eine der Leistungsfähigkeit der Eltern angepasste Versorgung, sondern auch auf eine dem hohen Lebensstandard entsprechende Betreuung. 

3. PERSÖNLICHE BETREUUNG ODER DRITTBETREUUNG 

Im Vordergrund steht durchwegs das Kindeswohl, d.h. den Vorrang hat die für das Kind beste Lösung – sei es die persönliche Betreuung durch die Mutter (ausnahmsweise durch den Vater) oder eine Drittbetreuung (Krippe, etc.). Auch um Missbräuche zu verhindern, wird dem Gericht dabei aber nichts anderes übrig bleiben, als von der Prämisse auszugehen, dass die bisherigen Regelungen (vor der Trennung der Eltern) dem Kindeswohl entsprechen und die Eltern beim bisherigen Modell zu behaften sind. Hat also die das Kind betreuende Kindsmutter bereits vor der Trennung ganz oder teilweise gearbeitet und das Kind fremdbetreuen lassen, so hat es dabei zu bleiben, soweit nicht beispielsweise die Aufhebung des Konkubinates ihre Erwerbsfähigkeit nachweislich einschränkt. Bei voller Erwerbstätigkeit der Mutter wird neben dem wie bis anhin geschuldeten Versorgungsunterhalt als Leistung an das Kind weiterhin dessen Fremdbetreuung zu bezahlen sein, nicht aber eine Entschädigung für Betreuungsleistungen der Mutter. Relevant sind nur Betreuungsleistungen derselben während der üblichen Arbeitszeiten. 

Wie die Gerichte dort entscheiden werden, wo die unverheirateten Eltern nicht zusammen gelebt haben und es also kein weiterzuführendes Modell gibt, ist noch völlig offen. Namentlich bei kleinen Kindern unter drei Jahren wird aber wohl der persönlichen Betreuung der Vorrang eingeräumt werden, wenn die Mutter hierzu bereit ist. 

4. DAUER DER UNTERHALTSPFLICHT 

Während der Versorgungsunterhalt wie bis anhin bis zum Abschluss der Erstausbildung des Kindes geschuldet ist, besteht Einigkeit darüber, dass ein Betreuungsunterhalt nur so lange geschuldet ist, wie eine nachhaltige Betreuung nötig ist. Bei einer Drittbetreuung werden die Kosten altersbedingt sinken, weil an Stelle kostenpflichtiger Betreuungsangebote (Krippe, Tagesmutter, etc.) der Kindergarten und die Schule treten. Bei der persönlichen Betreuung durch die Kindsmutter wäre auf Grundlage der gesetzgeberischen Vorgabe (Gleichstellung aller Kinder) an sich auf die aktuelle höchstrichterliche Praxis abzustellen, wonach die Betreuung eines Kindes bis zum 10. Altersjahr ein Vollpensum und der betreuenden Mutter danach bis zum 16. Altersjahr neben der Kinderbetreuung nur ein 50%-Pensum zumutbar ist. Bis zum 10. Altersjahr wäre damit ein Betreuungsunterhalt von CHF 2‘700.00 bis CHF 3‘400.00 (siehe oben), danach die Hälfte und somit CHF 1‘350.00 bis CHF 1‘700.00 geschuldet. Bei mehreren Kindern ist der die volle Betreuungsleistung der Mutter abdeckende Betreuungsunterhalt auf die mehreren Kinder aufzuteilen. 

Der höchstrichterlichen Praxis (10/16-Regel) ist bereits in der Vergangenheit deshalb Widerstand erwachsen, weil die ausschliessliche Kinderbetreuung bis Alter 10 mit der gesellschaftlichen Realität kaum mehr übereinstimmt und die bereits heute stark ausgebauten, ergänzenden Betreuungsmöglichkeiten (Mittagstisch, Blockzeiten, etc.) ausser Acht lässt. Es ist davon auszugehen, ja zu hoffen, dass dem endlich Rechnung getragen und das bisherige Modell durch eine abgestufte, der Wirklichkeit eher entsprechende Regelung ersetzt wird. Von denselben Autoren, welche die obgenannten pauschalierten Betreuungsleistungen propagieren, wird denn auch empfohlen, dem voll betreuenden Elternteil bereits ab Kindergarteneintritt des Kindes ein Pensum von 20% bis 30%, von 40% bis 50% bei Eintritt in die Primarschule, von 70% bis 80% bei Eintritt in die Oberstufe und (unverändert) von 100% ab Alter 16 des jüngsten Kindes zuzumuten bzw. das damit erzielbare Einkommen anzurechnen. Ausnahmen im Einzelfall sollen auch bei diesem neuen Modell möglich sein, beispielsweise dort, wo mehrere kleine Kinder zu betreuen sind oder wo – in sehr ländlichen Verhältnissen – externe ergänzende Betreuungsmöglichkeiten fehlen.

5. ZUSAMMENFASSUNG

Der Gesetzgeber hat es sich mit seinen Regelungen zum neuen Kinderunterhaltsrecht etwas gar leicht gemacht und die Verantwortung für die Ausgestaltung einer “Regelbeurteilung“ an die Gerichte delegiert. Es wird sich zeigen, ob bzw. welche Beurteilungsmodelle sich durchsetzen, ob es zu den befürchteten unterschiedlichen Urteilen in verschiedenen Kantonen oder an verschiedenen Gerichten kommt und ob bzw. wie das Bundesgericht die offenen Fragen – hoffentlich – klären wird. Klar ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt und somit durchaus noch einige Jahre für alle involvierten Parteien und namentlich die beratenden Anwälte eine grosse Unsicherheit über den Ausgang entsprechender Auseinandersetzungen bestehen und es wohl vermehrt zu strittigen Auseinandersetzungen kommen wird. So oder so werden die Gerichte darunter zu leiden haben, dass unzählige alte Unterhaltsregelungen anzupassen sind und im Übrigen auch in eherechtlichen Verfahren die Unterhaltsberechnungen wesentlich anspruchsvoller sein werden.

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14. Dezember 2016 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin


VORSORGEAUSGLEICHUNG IN DER SCHEIDUNG: GESETZESÄNDERUNG TRITT PER 01.01.2017 IN KRAFT

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht 

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die vom Parlament bereits am 19. Juni 2015 genehmigten Gesetzesänderungen zum Vorsorgeausgleich treten gemäss Mitteilung vom 10. Juni 2016 zusammen mit entsprechenden Verordnungsänderungen in Kraft.

Mit der neuen Rechtslage werden diverse Mängel und Lücken des bisherigen Ausgleichungssystems behoben.

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I. GRUNDSATZ: HÄLFTIGE TEILUNG DER EHELICH GESPARTEN PENSIONSKASSENGUTHABEN

An der seit dem Jahr 2000 geltenden Rechtslage, wonach grundsätzlich alle während der Ehe erworbenen Austrittsleistungen (Guthaben) der 2. Säule hälftig zu teilen und somit vollumfänglich auszugleichen sind, ändert sich nichts. Neu wird der Ausgleichungsanspruch allerdings nicht mehr per Scheidungsurteil sondern per Einleitung der Scheidungsverfahrens berechnet. Damit entfällt einer der Gründe, das Scheidungsverfahren zu verzögern, nämlich um noch möglichst lange am Pensionskassensparen des anderen Ehegatten beteiligt zu sein.

Zu beachten gilt es, dass das neue Recht auch auf sämtliche bei kantonalen Gerichten hängigen Scheidungsverfahren anzuwenden ist, was gegebenenfalls erhebliche Konsequenzen haben kann: Es ist durchaus denkbar, dass die nichterwerbstätige Ehegattin eines bestens vorsorgeversicherten „Bankers“ wegen dieser Übergangsregelung und eines bereits mehrere Jahre laufenden erstinstanzlichen Scheidungsverfahrens mehrere zehntausend Franken (oder mehr) an Ausgleichungsguthaben verliert, sofern es ihr nicht gelingt, die kantonalen Verfahren noch im laufenden Jahr abzuschliessen.

II. TEILUNG AUCH NACH EINTRITT DES VORSORGEFALLS

Bis anhin war eine Ausgleichung mittels Teilung dann nicht mehr möglich, wenn beim einen Ehegatten der Vorsorgefall (Alter oder Pensionierung) bereits eingetreten war. Dies konnte für den berechtigten Ehegatten, dem in solchen Fällen nur eine Entschädigung nach Art. 124 ZGB zustand, erhebliche Nachteile haben.

Neu wird die Teilung auch dann vollzogen, wenn der eine Ehegatte (oder beide) bereits pensioniert oder invalid ist. Die Berechnung des Ausgleichungsguthabens erfolgt diesfalls auf einer hypothetischen Austrittsleistung oder es wird die vorhandene Rente des einen Ehegatten geteilt und in eine hälftige lebenslange Rente für den berechtigten Ehegatten umgerechnet.

III. MELDEPFLICHT

Sämtliche Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen sind verpflichtet, der Zentralstelle 2. Säule periodisch alle Inhaber von Vorsorgeguthaben zu melden. Die Scheidungsgerichte können und werden dort abfragen, ob allenfalls weitere Vorsorgeguthaben vorhanden sind, die im Verfahren nicht offengelegt wurden oder dem Berechtigten selber gar nicht mehr bekannt sind. Zukünftig soll so garantiert sein, dass auch wirklich alle zweite Säule Guthaben in die Ausgleichung einbezogen werden.

IV. SCHUTZKLAUSELN

Mit weiteren Gesetzesänderungen wird gewährleistet, dass während bestehender Ehe kein Vorsorgeguthaben ohne das Wissen des Ehegatten ausgezahlt wird (verschärftes Zustimmungserfordernis). Festgelegt wird auch, dass das zu übertragende PK-Guthaben zumindest teilweise aus dem obligatorischen Bereich stammen muss, was dem Berechtigten Nachteile (schlechtere Verzinsung und Umwandlungssatz, etc.) erspart.

V. BEZUG DES ERWORBENEN AUSTRITTSGUTHABENS ALS RENTE

Bis anhin musste das Austrittsguthaben eines Ehegatten, der selber keiner beruflichen Vorsorgeeinrichtung angeschlossen war, an eine Freizügigkeitseinrichtung gehen, bei welcher bekanntlich keine Auszahlung in Rentenform verlangt werden konnte. Neu kann in solchen Fällen die Übertragung an die Auffangeinrichtung BVG und später (per Pensionierung) die Umwandlung und Auszahlung in Form einer Rente verlangt werden.

VI. ÜBERGANGSREGELUNG FÜR BEREITS GESCHIEDENE

Personen, die bereits geschieden sind und nur eine angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB zugesprochen erhalten haben, verlieren diese sehr oft in Rentenform zugesprochene Entschädigung beim Tod des geschiedenen Ehegatten. Dies gänzlich oder zumindest teilweise, sind doch regelmässig die Hinterlassenenrenten tiefer als die Entschädigungsleistungen.

Solche benachteiligten Geschiedenen können innert einer Übergangsfrist bis 31. Dezember 2017 – unter bestimmten Voraussetzungen – beim Scheidungsgericht beantragen, eine solche Entschädigungsrente nach Art. 124 ZGB in eine neue lebenslange Vorsorgerente umwandeln zu lassen. Nicht profitieren von dieser Möglichkeit können diejenigen Ehegatten, bei welchen die Ausgleichung durch Teilung nach Art. 122 ZGB erfolgt ist. Hier ist das Scheidungsurteil definitiv.

VII. FAZIT

Die per 1. Januar 2017 in Kraft tretenden Änderungen beseitigen erhebliche Nachteile und dürften den Effekt haben, dass allein vorsorgerechtlich begründete strittige und langwierige Scheidungsverfahren verhindert werden können. Erfreulich ist sicher auch, dass die Regelungsfreiheit der Parteien erhöht wird, was den konkreten Umständen angemessene und damit in aller Regel bessere einverständliche Lösungen (Scheidungskonventionen) ermöglicht. Bis alle sich mit dem neuen Recht stellenden Fragen und Unklarheiten höchstrichterlich geklärt sind, dürfte es allerdings einige Zeit dauern.

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16. Juni 2016 / lic. iur. Martin Kuhn


DIE BERECHNUNG DER UNTERHALTSBEITRÄGE BEI TRENNUNG DER EHE (BERECHNUNGSMETHODE)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Nach welcher Methode die im Trennungsfall geschuldeten Unterhaltsbeiträge von den kantonalen Gerichten ermittelt werden, kann eine entscheidende Rolle spielen. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (5A_776/2015) bestätigt, dass den kantonalen Vorinstanzen auch bei der Methodenwahl ein grosses Ermessen zukommt. Eher überraschend ist die Feststellung, dass bei überdurchschnittlichen Verhältnissen auch dort mit der einstufigen Methode gerechnet werden müsse, wo der Unterhaltspflichtige keine bzw. keine die trennungsbedingten Mehrkosten übersteigende Sparquote behauptet hatte. Das Bundesgericht hat damit (leider) seinen Entscheid BGE 140 III 485 – zum Nachteil der Rechtssicherheit und des Unterhaltsberechtigten – relativiert.

I. EINSTUFTIGE METHODE (NACH DEM KONKRETEN BEDARF) ODER ZWEISTUFIGE BERECHNUNG (EXISTENZMINIMA MIT ÜBERSCHUSSAUFTEILUNG)

Bei der einstufigen Methode wird nach Massgabe des Lebensstandards vor der Trennung der konkrete Bedarf des Unterhaltsberechtigten ermittelt, welchen er inkl. einer allfälligen eigenen Sparquote und der trennungsbedingten Mehrkosten zu substantiieren und soweit als irgend möglich nachzuweisen hat. Als Unterhaltsbeitrag kann die/der Berechtigte selbst bei ausserordentlich hohem Einkommen des Verpflichteten nur das beanspruchen, was vom konkret nachgewiesenen Bedarf nach Anrechnung der (allenfalls zumutbaren) Eigeneinkünfte ungedeckt bleibt.

Bei der zweistufigen Methode wird demgegenüber vorerst das Existenzminimum beider Ehegatten nach der Trennung ermittelt (teilweise familienrechtlich etwas erweitert) und das entsprechende Total dem Gesamteinkommen beider Ehegatten gegenüber gestellt. Ein Überschuss wird, soweit nicht für die Steuern und die Tilgung gemeinsamer Schulden benötigt, unter den Ehegatten aufgeteilt, wobei auch der Anspruch allfälliger Kinder auf eine Überschussbeteiligung angemessen mit zu berücksichtigen ist. Die Summe von Existenzminimum, allfälligen Überschusszuweisungen und dem Überschussanteil, reduziert um allfällige eigene Einkünfte, entspricht dann dem geschuldeten Unterhaltsbeitrag.

Es versteht sich von selbst, dass gerade bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen die Wahl der Methode zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, was umso mehr dann gilt, wenn an den Nachweis des konkreten Bedarfs (Lebensstandard) allzu hohe Anforderungen gestellt werden.

II. FÜR DIE METHODENWAHL MASSGEBLICHE KRITERIEN

Einigkeit besteht allseits, dass die Unterhaltsbeiträge während der Trennungszeit dem Berechtigten maximal die Weiterführung des bisherigen Lebensstandards ermöglichen sollen und – bei gegebener Leistungsfähigkeit – ermöglichen müssen. Betont wird vom Bundesgericht, dass bei aufzuteilenden Einkünften von weniger als CHF 10‘000.00 in aller Regel

die zweistufige Berechnungsmethode zu sachgerechten Ergebnissen führt, weil vermutungsweise in solchen Fällen bis anhin keine Sparquote bestand und die vorhandenen Einkünfte voll zur Finanzierung der nun mehr getrennten 2 Haushalte benötigt werden.

In BGE 140 III 485 hat das Bundesgericht ferner klargestellt, dass bei der zweistufigen Methode der Abzug einer Sparquote vom Überschuss dann willkürlich sei, wenn eine solche weder dem Grundsatze nach noch betragsmässig glaubhaft gemacht worden sei. Dass überdurchschnittliche Einkünfte vorliegen, sei für sich allein noch kein Beweis für eine Sparquote, welche die trennungsbedingten Mehrkosten übersteige. Massgeblich sei die konkrete Lebensführung vor der Trennung.

Im neusten Entscheid (5A_776/2015) stellt das Bundesgericht nunmehr klar, dass auch beim Fehlen eines Sparquotennachweises nicht zwingend die zweistufige Methode zur Anwendung gelangen müsse, vielmehr die kantonalen Gerichte auch in solchen Fällen den Unterhalt nach der einstufigen Methode berechnen können. Dies jedenfalls bei unbestritten überdurchschnittlichen Verhältnissen und sogar dann, wenn unter den Parteien die Berechnungsmethode, im konkreten Fall die zweistufige Berechnung, gar nicht strittig war.

Es scheint, als ob das Bundesgericht jedenfalls bei überdurchschnittlichen Einkünften zunehmend die einstufige Methode nach dem konkreten Bedarf favorisiert. Ob dies wirklich gewollt und angesichts der Beweisschwierigkeiten – wer sammelt schon vor der Trennung Quittungen für alle Lebenshaltungskosten? – sachgerecht ist, darf durchaus bezweifelt werden.

III. RECHTSUNSICHERHEIT

Der Methodenpluralismus und die aktuelle bundesgerichtliche Relativierung bzw. Bestätigung des grossen Ermessens der kantonalen Gerichte schaffen für alle Beteiligten, namentlich den Unterhaltsberechtigten und dessen Anwalt, eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Nicht nur, dass kantonal – teilweise sogar innerhalb eines Gerichts – erhebliche Unterschiede bei der Methodenwahl und bei der Beurteilung, ab wann von überdurchschnittlichen Verhältnissen auszugehen ist, bestehen und an vielen Gerichten zudem der Nachweis eines hohen Lebensstandards allzu streng beurteilt wird. Effektiv muss zukünftig auch in Fällen, wo die Gegenseite die günstigere Anwendung der zweistufigen Berechnungsmethode gar nicht bestreitet und eine eigene Sparquote weder substantiiert noch nachweist, damit gerechnet werden, dass die kantonalen Gerichte aus eigener Überzeugung die einstufige Methode anwenden und sich dabei die allenfalls ungenügende Substantiierung oder fehlende Beweismittel massiv zu Ungunsten der Unterhaltsberechtigten auswirken.

IV. FAZIT UND EMPFEHLUNG

In Fällen überdurchschnittlicher Verhältnisse und somit bereits ab aufzuteilenden Einkünften von jedenfalls CHF 10‘000.00 (oder mehr), wird der oder die Unterhaltsberechtigte zukünftig gut daran tun, neben der zweistufigen Berechnungsmethode den massgeblichen höheren Lebensstandard zumindest in den Grundzügen darzutun und soweit als irgend möglich ebenso zu belegen wie die trennungsbedingten Mehrkosten oder eine mit dem eigenen Einkommen finanzierte eigene Sparquote. Dies selbst dann, wenn es nachweislich auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten keine Sparquote gab oder dieser die zweistufige Berechnungsmethode gar nicht bestreitet. Ja die Substantiierung und der Nachweis eines höheren Lebensstandards sind gegebenenfalls sogar dann geboten, wenn ein solcher von der Gegenseite explizit gar nicht bestritten wird.

Es versteht sich von selbst, dass dadurch die Eheschutzverfahren aufwendiger und kostspieliger werden. Dem Unterhaltsberechtigten, der nicht Gefahr laufen will, Opfer des Methodenpluralismus und der Rechtsunsicherheit zu werden oder wegen einer allzu summarischen Substantiierung und ungenügenden Beweismitteln nur einen (gegebenenfalls erheblich) zu tiefen Unterhalt zu erhalten, kann nur empfohlen werden, keinen Aufwand zu scheuen, um seine Berechtigung nach beiden Berechnungsmethoden glaubhaft zu machen. Wie gesagt schützt gegebenenfalls auch das Vertrauen in unterbliebene Bestreitungen oder Substantiierungen der Gegenseite vor einem ungerechten Ergebnis nicht.

Diese erhöhte prozessuale Sorgfalt (mit einem entsprechend höheren Prozessaufwand) gilt es schon bzw. namentlich in den kantonalen Verfahren zu beachten. Beim Bundesgericht, das den kantonalen Vorinstanzen aktuell allzu viel Ermessensspielraum lässt, kann jedenfalls kaum mehr mit einer Korrektur gerechnet werden.

9. März 2016 / lic. iur. Martin Kuhn


DAS NEUE KINDESUNTERHALTSRECHT (BETREUUNGSUNTERHALT, ETC.)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit Beschluss vom 4. November 2015 hat der Bundesrat entschieden, die neuen gesetzlichen Regelungen zum Kindesunterhalt per 1. Januar 2017 in Kraft zu setzen. Ergänzt werden diese Regelungen zum Kindesunterhalt mit der neuen bundesrechtlichen Kompetenz zur Regelung der Inkassohilfe im Scheidungs- und Kindesrecht sowie zur Sicherung ausstehender Unterhaltszahlungen durch Meldepflichten im Bereich der beruflichen Vorsorge. Diese Ergänzungen des neuen Rechts werden zusammen mit einer noch ausstehenden bundesrätlichen Verordnung allerdings erst später in Kraft gesetzt.

I. GRUNDSÄTZLICHE NEUERUNGEN

Das neue Unterhaltsrecht beseitigt die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter bzw. getrennter/ geschiedener und von Kindern unverheirateter Eltern. Zudem erhält der Kinderunterhalt zukünftig Vorrang vor allen übrigen familienrechtlichen Unterhaltspflichten und die zuständige Behörde kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Möglichkeit einer alternierenden (geteilten) Obhut prüfen, sofern dies ein Elternteil oder das Kind verlangt.

II. BETREUUNGSUNTERHALT

Bis anhin erfolgte ein Ausgleich für die Fremdbetreuungskosten oder den Nachteil der verunmöglichten/ eingeschränkten Erwerbsfähigkeit bei Betreuung der Kinder durch den einen Elternteil lediglich bei verheirateten Eltern, in dem die entsprechenden Kosten bzw. die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Ehegattenunterhalts berücksichtigt wurde. Alleinerziehende unverheiratete Elternteile gingen demgegenüber leer aus, weil sie einzig Anspruch auf den nur die eigentlichen Kinderkosten umfassenden Kinderunterhalt hatten.

Unter dem neuen Recht erhöht sich der Kinderunterhalt im Regelfall, also auch bei Trennung oder Scheidung, um den Betreuungsunterhalt, welcher vom pflichtigen Elternteil zusätzlich zu den eigentlichen laufenden Lebenshaltungskosten zu entschädigen ist. Die Ansprüche auf Kinderunterhalt bzw. auf Unterhaltszahlungen unter Eltern gemeinsamer Kinder werden sich dadurch (teilweise wohl massiv) erhöhen, auch wenn erstens noch nicht klar ist, wie dieser neue Betreuungsunterhalt zu berechnen und wie lange er im Einzelfall zu zahlen ist, und zweitens in Fällen von Trennung oder Scheidung dem höheren Kinderunterhalt in aller Regel durch einen tieferen Ehegattenunterhalt wird Rechnung getragen werden können/müssen.

Dem zukünftig finanziell stärker belasteten unterhaltspflichtigen Elternteil wird mit dem neuen Recht allerdings die Möglichkeit eingeräumt, den Betreuungsunterhalt bzw. die gesamthaft geschuldeten Unterhaltsleistungen dadurch zu reduzieren, dass er einen Antrag auf alternierende oder geteilte Obhut stellt, d.h. er bereit ist, über das übliche Besuchs- und Ferienrecht hinaus das Kind mit zu betreuen (oder betreuen zu lassen?) und dadurch Fremdbetreuungskosten einzusparen oder den anderen Elternteil zu entlasten. Inwiefern solche Lösungen praktikabel sind und entsprechende Anträge dann auch gutgeheissen werden, ist noch kaum absehbar: Klar ist einzig, dass in jeder Hinsicht das Kindeswohl im Mittelpunkt zu stehen hat. Letztendlich geht es mit der Neuregelung erklärtermassen darum, einerseits dem Kind eine stärkere Betreuung durch beide Elternteile zu ermöglichen und andererseits eine angemessene Lebenshaltung dadurch zu sichern, dass eben auch seine Betreuung – durch den anderen Elternteil oder Dritte – durch Unterhaltszahlungen gesichert ist.

III. HÖHE DES NEUEN KINDERUNTERHALTS?

Der Gesetzgeber wie auch der Bundesrat überlassen die Bemessung des neuen Kindesunterhalts den zuständigen Behörden und Gerichten, weshalb Prognosen über die sich durchsetzende – möglicherweise kantonal auch unterschiedliche – Praxis schwierig sind. In der bundesrätlichen Botschaft finden sich kaum taugliche Kriterien, was denn zur gebührenden, durch die Eltern bzw. den andern Elternteil zu entschädigenden, Kinderbetreuung gehört bzw. was diese kosten darf.

Es ist anzunehmen, dass sich je nach den Lebensverhältnissen und der Aufgabenteilung vor Beginn der Unterhaltspflicht „Normfälle und -berechnungen“ entwickeln werden, wobei auf der einen Seite die weitgehende Fremdbetreuung (Krippe, etc.) beim Obhutsinhaber und auf der anderen Seite die weitgehende Selbstbetreuung durch den Obhutsinhaber mit entsprechendem Einkommensausfall stehen. Gehen wir davon aus, dass in durchschnittlichen Fällen bis anhin für ein Kind unverheirateter Eltern zur Deckung dessen Kosten ein monatlicher Betrag von CHF 1‘000.00 festgelegt wurde, so kann dieser Betrag im ersteren Fall (Fremdbetreuung) je nach Alter des Kindes und Kostenstruktur in der entsprechenden Gemeinde durchaus auf CHF 2‘000.00 bis 3‘000.00, nämlich um die Krippekosten, Randbetreuungskosten, etc., steigen. Noch teurer dürfte es werden, wenn der obhutsinhabende Elternteil das (noch kleine) Kind bis anhin persönlich betreut hat und dies weiterhin tun will bzw. solches aus Gründen des Kindeswohls geschützt wird: Diesfalls schuldet nämlich der Unterhaltspflichtige bei gegebener Leistungsfähigkeit neben dem bisherigen Kinderunterhalt zur Deckung der Kosten des Kindes (im obigen Durchschnittsfall CHF 1‘000.00/Monat) auch einen Betreuungsunterhalt, welcher den ganzen Bedarf des die Betreuung wahrnehmenden und deshalb nicht erwerbstätigen Elternteils beinhaltet, so dass selbst bei noch durchschnittlichen Verhältnissen ein angemessener Kinderunterhalt neu eher bei CHF 4‘000.00 (oder mehr) liegen dürfte. Auch auf den nie verheirateten Unterhaltspflichtigen kommen damit Unterhaltslasten zu, wie sie im Trennungs- und Scheidungsrecht üblich sind.

Wo in luxuriösen Verhältnissen, d.h. bei hoher Leistungsfähigkeit und hohem bisherigen Lebensstandard beider oder des einen Elternteils der neue Kindesunterhalt inkl. Betreuungskosten betraglich liegen könnte, ist effektiv noch nicht einzuschätzen. Klar erscheint einzig, dass eine volle Gleichstellung von nicht verheirateten Eltern mit gemeinsamen Kindern und sich trennenden/scheidenden Ehegatten auf dem Umweg über den Betreuungsunterhalt nicht gerechtfertigt wäre, fehlt es bei Ersteren doch an der ehetypischen Beistands- und Solidaritätspflicht. Angesichts der fehlenden gesetzlichen Vorgaben und der Bandbreite möglicher Betreuungsregelungen/-kosten ist aktuell kaum prognostizierbar, was ab 1. Januar 2017 gefordert werden kann bzw. geschuldet ist. Dies gilt nicht nur für die Höhe des neuen Kindesunterhalts, sondern auch für dessen Dauer oder beispielsweise die Aufteilung der Betreuungskosten bei mehreren Kindern (von möglicherweise unterschiedlichen Pflichtigen). Es ist zu hoffen, dass Lehre und Rechtsprechung baldmöglichst für eine Eingrenzung und Klärung sorgen, allenfalls kantonale Kindesbehörden auch Richtlinien und Empfehlungen zur Bemessung des neuen Kindesunterhalts publizieren, an welchen sich die Praxis orientieren kann. Bis dann werden intensivere Auseinandersetzungen nicht nur um den Kinderunterhalt, sondern auch den Scheidungsunterhalt wohl nicht zu vermeiden sein.

IV. ANPASSUNG / ABÄNDERUNG BESTEHENDER UNTERHALTSVERPFLICHTUNGEN

Unterhaltsbeiträge, die vor dem 1. Januar 2017 (in einem Unterhaltsvertrag oder in einem Unterhaltsentscheid) festgelegt werden, können auf Gesuch des Kindes dem neuen Recht angepasst, d.h. um den gegebenenfalls geschuldeten Betreuungsunterhalt erhöht, werden.

Eingeschränkt ist dieses Abänderungsrecht dort, wo der Kinderunterhalt gleichzeitig mit Unterhaltsbeiträgen an den Elternteil festgelegt wurde, namentlich also in Trennungs- oder Scheidungsurteilen: Hier ist eine Anpassung nur möglich, wenn sich die Verhältnisse erheblich verändert haben.

Zu beachten gilt es zudem, dass auf alle noch kantonal rechtshängigen Verfahren ab 1. Januar 2017 das neue Recht anwendbar ist. Auch dem wird bei der Beratung gebührend Rechnung zu tragen sein.

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1. Dezember 2015 / lic. iur. Martin Kuhn


RICHTERLICHE ANORDNUNG DER GÜTERTRENNUNG BEI AUFHEBUNG DES EHELICHEN HAUSHALTS?

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In einzelnen Kantonen, namentlich im Aargau und in Zürich, besteht die Praxis, auf entsprechenden Antrag bereits bei der Trennung richterlich die Gütertrennung anzuordnen, sofern einer der Ehegatten zur Scheidung entschlossen ist und daher mit derselben zu rechnen ist. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Entscheid (5A_945/2014) vom 26. Mai 2015 diese Praxis als unzulässig erklärt.

I. RECHTLICHE GRUNDLAGE

Gemäss Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB muss der Eheschutzrichter auf Begehren eines Ehegatten die Gütertrennung anordnen, wenn die Umstände es rechtfertigen, namentlich eine Gefährdung wirtschaftlicher Interessen nachgewiesen ist. Demgegenüber ist die Tatsache, dass eine Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten unwahrscheinlich erscheint, kein gesetzliches Kriterium, das die richterliche Anordnung der Gütertrennung rechtfertigt.

II. BISHERIGE KANTONALE PRAXIS

In verschiedenen Kantonen, namentlich den Obgenannten, ist dennoch ein Anspruch auf richterliche Anordnung der Gütertrennung bereits bei der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes und entsprechendem Antrag bejaht worden, weil bei unwahrscheinlicher Wiedervereinigung auch die bisherige Wirtschaftsgemeinschaft der Ehegatten dahinfalle und der bisherige Güterstand seinen inneren Zweck verloren habe. Mutmasslich wurde zudem berücksichtigt, dass bereits aus dem Umstand der bevorstehenden Scheidung ein Schutzbedürfnis des antragstellenden Ehegatten hergeleitet werden kann, zeigte und zeigt sich doch in der Praxis, dass die Zeit zwischen der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes und der späteren Ehescheidung durchaus für „Machenschaften“ und die Beeinflussung der Ansprüche des anderen Ehegatten aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung „missbraucht“ wird. Zu denken ist hier etwa an eine bewusste Verringerung der Aktiven, beispielsweise durch Verschleudern der Ersparnisse oder Umlagerung und Verheimlichen neuer Bankkonti, oder an die nicht zwingende und daher täuschende Begründung von Passiven, um welche sich dann per späterem Stichtag der zu teilende güterrechtliche Vorschlag reduziert.

III. BUNDESGERICHTLICHE SCHRANKE

Mit dem zitierten Entscheid hat das Bundesgericht dem eine Schranke gesetzt und klargestellt, dass die Anordnung der Gütertrennung einen schweren Eingriff in den Güterstand darstelle und nicht leichtfertig vorgenommen werden dürfe. Dies deshalb, weil durch die Vorverlegung des Stichtages für die Auseinandersetzung die Ehegatten güterrechtliche Anwartschaften, nämlich die Beteiligung am während der Trennungszeit zusätzlich gesparten Vermögen, verlieren. Mit der ohne besondere Gründe bereits bei der Trennung angeordneten richterlichen Gütertrennung werde quasi Art. 204 Abs. 2 ZGB und damit die gesetzliche Wertung, wonach erst die Einleitung des Scheidungsverfahrens den Stichtag begründe, umgangen. Hierfür brauche es besondere Gründe und Umstände, namentlich eben den Nachweis einer Gefährdung der Interessen und Ansprüche des antragstellenden Ehegatten.

IV. KRITIK AN DER BUNDESGERICHTLICHEN WERTUNG

1.

Es ist nicht zu bestreiten, dass sich das Bundesgericht mit dem genannten Entscheid und seiner präzisierten Rechtsprechung auf den Gesetzeswortlaut stützen kann. Einmal mehr muss dem Bundesgericht aber eine gewisse Praxisferne vorgehalten werden, ist doch in der Realität die Veränderung der güterrechtlichen Verhältnisse in der Zeit zwischen Trennung und Einleitung des Scheidungsverfahrens zum Nachteil des anderen Ehegatten viel häufiger anzutreffen und wahrscheinlicher als das Gegenteil, d.h. als die Erhöhung der güterrechtlichen Ansprüche des anderen Ehegatten, der sich allenfalls einseitig zur Scheidung entschlossen hat. Umso mehr, als es während bestehender Ehe grundsätzlich keine Pflicht gibt, sein Vermögen – auch nicht die Errungenschaft – zu erhalten, was das Bundesgericht immer wieder betont, und als ebenso der Nachweis von Machenschaften zur Beeinflussung der güterrechtlichen Ansprüche während der Trennungszeit schwierig und aufwändig ist, erscheint der Entscheid des Bundesgerichts bzw. dessen Begründung doch eher naiv.

2.

Der Nachweis ernstlich gefährdeter Interessen im Sinne von Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB ist zudem im eheschutzrichterlichen Summarverfahren erschwert, in welchem in aller Regel umfangreiche Beweisabnahmen unterbleiben.

Allein der Hinweis darauf, dass der andere Ehegatte entsprechendes angedroht bzw. zweifelhafte Anschaffungen (etc.) getätigt hat, dürfte nach dem bundesgerichtlichen Entscheid nicht ausreichen, um den mit der richterlichen Anordnung der Gütertrennung bezweckten Schutz zu erwirken.

3.

Für eine grosszügigere Praxis (siehe unten) sprechen letztendlich auch Praktikabilitätsüberlegungen. Wird bereits im Eheschutzverfahren richterlich die Gütertrennung angeordnet und damit der Stichtag für die güterrechtliche Auseinandersetzung gesetzt, so stehen bereits vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens die massgeblichen Verhältnisse (Vermögensstand, etc.) fest, was aussergerichtliche Vergleichsgespräche und –lösungen ebenso erleichtert wie eine ausreichende Substantiierung und Begründung von güterrechtlichen Ansprüche bereits in der Klage nach Art. 114 ZGB.

V. FAZIT

Es bleibt zu hoffen, dass entweder das Bundesgericht seine meiner Meinung nach allzu strenge Praxis überdenkt oder dann die erst- und zweitinstanzlichen (kantonalen) Gerichte nichts desto trotz von ihrem Ermessen Gebrauch machen und weiterhin Anträge auf richterliche Anordnung der Gütertrennung bereits im Eheschutzverfahren grosszügig beurteilen. Dies sollte zumindest dann ohne weiteres geboten und ohne spätere bundesgerichtliche Intervention möglich sein, wenn eine Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen auch nur ansatzweise glaubhaft gemacht ist. Zu empfehlen ist den kantonalen Gerichten aber, ihren Entscheid nicht mehr mit einer üblichen Praxis oder dem blossen Scheidungswillen der antragstellenden Partei zu begründen, sondern eben die einschlägigen Kriterien, also die Gefährdung eines wirtschaftlichen Interesses während der Trennungszeit, – grosszügig – zu bejahen. 

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26. August 2015 / lic. iur. Martin Kuhn


LEISTUNGSPFLICHT DES UNFALLVERSICHERERS NACH EINER MISSGLÜCKTEN OPERATION?

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hat im aktuellen Urteil 8C_858/2014 vom 24. April 2015 seine restriktive Praxis bezüglich Leistungspflicht des Unfallversicherers nach einer missglückten medizinischen Behandlung bestätigt und präzisiert, dass auch die fehlende Einwilligung des Patienten in eine (erweiterte) Operation für sich allein einen Behandlungsfehler nicht zu einem Unfall im Rechtssinne mache.

I. LEISTUNGSPFLICHT DES UNFALLVERSICHERERS IM ALLGEMEINEN

Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Unfallversicherer nur dann leistungspflichtig, wenn der Gesundheitsschaden Folge eines Unfalles ist. Als Unfall gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Ungewöhnlich ist der äussere Faktor nur dann, wenn er nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. Nicht alles, was umgangssprachlich als Unfall bezeichnet wird, erfüllt diesen Unfallbegriff. Auf das subjektive Empfinden des Geschädigten kommt es nicht an.

II. DIE MEDIZINISCHE BEHANDLUNG ALS UNFALL?

Das Bundesgericht bestätigt vorab einmal mehr, dass es mit dem Erfordernis der Aussergewöhnlichkeit streng zu nehmen ist, wenn eine medizinische Massnahme in Frage steht (vgl. auch BGE 121 V 35). Nur ausnahmsweise sei in solchen Fällen der Unfallbegriff, namentlich das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors, erfüllt und eine Leistungspflicht des Unfallversicherers zu bejahen, der im Rahmen der Behandlung einer Krankheit ja grundsätzlich nicht leistungspflichtig sei. Einzig grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten (oder sogar absichtliche Schädigungen), mit denen niemand rechnet oder zu rechnen braucht, erfüllen diesfalls den Unfallbegriff. Selbst das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers, der eine zivilrechtliche Haftung begründet, macht die Fehlbehandlung nicht automatisch zum Unfall.

III. FEHLENDE EINWILLIGUNG DES PATIENTEN

Im konkreten Entscheid hatte der Operateur im Rahmen einer Wirbelsäulenoperation einen Eingriff an einem zusätzlichen Wirbelelement vorgenommen, für welchen weder eine explizite Einwilligung der Patientin vorlag noch diese über das entsprechende Risiko aufgeklärt worden war. Die Patientin berief sich gegenüber dem Unfallversicherer darauf, dass eine solche erweiterte Behandlung per se aussergewöhnlich und mit ihr nicht zu rechnen gewesen sei.

Das Bundesgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat klargestellt, dass selbst das Vorliegen einer in zivilrechtlicher Hinsicht widerrechtlichen Behandlung nicht von der Prüfung entbinde, ob der Eingriff ein ungewöhnlicher äusserer Faktor im Rechtssinne sei.

Im konkreten Fall kam das Bundesgericht wie schon die kantonale Vorinstanz zum Schluss, dass der erweiterte Eingriff im Rahmen der Operation (Stabilisierung eines weiteren Wirbelsäulenelements) die Behandlung als solche nicht zur ungewöhnlichen im Sinne des Unfallbegriffs mache (und auch die nachfolgende Wundinfektion nicht aussergewöhnlich und daher kein Unfall sei). Die intraoperative Ausdehnung des Eingriffs weiche hier aus medizinischer Sicht nicht ganz erheblich vom medizinisch üblichen ab, weil erstens die Versicherte über das Operationsverfahren als solches und die möglichen Risiken grundsätzlich aufgeklärt worden war und zweitens auch im Rahmen der erweiterten Operation weder grobe noch ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder absichtliche Schädigungen erkennbar seien.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Die Rechtssprechung des Bundesgerichts zur Leistungspflicht des UVG-Versicherers nach einer missglückten (krankheitsbedingten) medizinischen Behandlung bleibt restriktiv. In aller Regel erfüllt selbst ein ärztlicher Kunstfehler den Unfallbegriff nicht. Eine fehlende rechtsgenügliche Einwilligung des Patienten in die Behandlung ändert daran nichts.

Auch das „Opfer“ einer fehlgeschlagenen Behandlung, das dieser nicht in rechtsgenüglicher Form zugestimmt hat, muss sich mit den in aller Regel (betraglich und/oder zeitlich) geringfügigeren Ansprüchen gegen Krankenund Krankentaggeldversicherer bzw. mit den aufgrund der höheren Beweislast und der damit verbundenen Prozessrisiken nicht leicht durchzusetzenden zivil- oder öffentlichrechtlichen Haftungsansprüchen gegen Arzt und Spital begnügen.

18. Mai 2015 / lic. iur. Martin Kuhn


SCHEIDUNGSRENTE ODER EIGENVERSORGUNGSPFLICHT

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Gemäss Art. 125 ZGB gilt nach der Scheidung einer Ehe grundsätzlich die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten.

Eine Scheidungsrente kommt daher nur in Frage, wenn eine lebensprägende Ehe vorliegt, der eine Ehegatte unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall zur Eigenversorgung nicht in der Lage ist und dem anderen Ehegatten entsprechende Rentenzahlungen möglich sind.

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I. VORRANG DER EIGENVERSORGUNG

In Lehre und Rechtsprechung ist unbestritten, dass die Eigenversorgungspflicht der Ehegatten nach Scheidung der Grundsatz und die Rentenverpflichtung die Ausnahme ist. Diese klare Auslegung von Art. 125 ZGB geht in der Praxis oft vergessen und sollte zumindest bei der Bemessung einer Rentenverpflichtung vermehrt berücksichtigt werden. Nur wenn eine (ausreichende) Eigenversorgung nicht möglich ist, besteht überhaupt ein Rentenanspruch und muss die Höhe und Dauer der Scheidungsrente geregelt werden.

II. LEBENSPRÄGENDE EHE

In Lehre und Rechtsprechung wird das Vorhandensein einer lebensprägenden Ehe namentlich dann bejaht, wenn Kinder vorhanden sind und der betreuende Ehegatte deswegen seine Erwerbstätigkeit aufgegeben oder eingeschränkt

hat, wenn bei internationalen Verhältnissen die Ehe dazu führte, dass ein Ehegatte sein soziales und wirtschaftliches Umfeld im Ausland verlassen musste und eine bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit in der Schweiz deshalb unmöglich oder erschwert ist, wenn bei längerer Ehe aus gesundheitlichen Gründen die Eigenversorgung unmöglich bzw. eingeschränkt ist oder wenn nach längerer Ehe einem Ehegatten altersbedingt der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben nicht mehr möglich oder zumutbar ist.

Für die Beurteilung, ob eine lange und deswegen lebensprägende Ehe vorliegt, ist grundsätzlich auf die Zeit zwischen der Heirat und der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes (nicht der Scheidung selber) abzustellen, weil ab diesem (früheren) Zeitpunkt das Vertrauen in eine lebenslängliche Versorgung entfällt. Mehrheitlich ist eine Ehe lang, wenn sie mindestens 10 Jahre gedauert hat.

III. EINSCHRÄNKUNG ZUFOLGE KINDERBETREUUNG

Auch dann, wenn die Eigenversorgung zufolge Betreuung der gemeinsamen Kinder eingeschränkt ist, ist aufgrund aller Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob nicht doch die Eigenversorgungspflicht – allenfalls eingeschränkt – im Vordergrund steht. Als Regel gilt unverändert, dass der die Kinder betreuende Elternteil bis zum 10. Altersjahr gar nicht und danach bis zum 16. Altersjahr nur zu maximal 50 % arbeiten muss. Das deshalb fehlende oder nur reduziert vorhandene Einkommen ist vom anderen Ehegatten durch eine Scheidungsrente auszugleichen, sofern er dazu in der Lage ist.

Ob diese Regel-Rechtsprechung angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse und wesentlich weitergehender Eigenversorgungspflicht in den umliegenden Ländern noch richtig oder angemessen ist, wird zunehmend in Frage gestellt und derzeit auch politisch überprüft. Bis auf Weiteres ist aber in der Beratung wie in der Prozessführung dieser gefestigten Praxis Rechnung zu tragen.

Quasi als Ausgleich für diese grosszügige Regelung kommt eine über das 16. Altersjahr des jüngsten Kindes hinausgehende Rentenverpflichtung nur in Frage, wenn wegen des fortgeschrittenen Alters der Rentenberechtigten (oder einem der anderen besonderen Umstände, siehe unten) ein bedarfsdeckender Wiedereinstieg ins Erwerbsleben nicht mehr möglich oder zumutbar ist (siehe unten), oder wenn nach langer Ehe ein erheblicher Mehrverdienst des Rentenpflichtigen eine weiterdauernde Rente (Aufstockungsunterhalt) rechtfertigt.

Nicht in Frage kommt eine längere Rente dort, wo der kinderbetreuende Ehegatte bereits vor der Scheidung (teilzeitlich) erwerbstätig war und während der Kinderbetreuungszeit erwerbstätig bleibt, weil diesfalls in aller Regel die Aufnahme einer bedarfsdeckenden vollen Erwerbstätigkeit ab dem 16. Altersjahr des jüngsten Kindes nicht nur zumutbar sondern auch ohne weiteres möglich ist.

IV. GESUNDHEITLICHE EINSCHRÄNKUNG

Ausgenommen in Fällen kurzer Ehe begründet die – dauernde – gesundheitlich bedingte Unmöglichkeit der Eigenversorgung einen Rentenanspruch, wobei sich selbstverständlich der zufolge Scheidung grundsätzlich zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verpflichtete Ehegatte jedes invaliditätsbedingte Ersatzeinkommen anzurechnen hat. Wo keine solchen Ansprüche (IV-Rente, etc.) bestehen, ist die im Scheidungsverfahren behauptete Unmöglichkeit der Eigenversorgung zu hinterfragen. Da die Invaliditätsleistungen in aller Regel nicht bedarfsdeckend sind, kommt trotz Anrechnung der Renteneinkünfte eine Aufstockungsrente in Frage.

V. ALTERSBEDINGTE EINSCHRÄNKUNG

Eine angemessene Beurteilung und Rentenlösung zu finden, erweist sich dort am Schwierigsten, wo nach lebensprägender Ehe der eine Ehegatte altersbedingt Probleme hat, sich wieder ins Erwerbsleben zu integrieren und sich selber zu versorgen. Eine Beurteilung der Prozessaussichten ist gerade in solchen Fällen höchst unsicher, weil nachgerade jedes Gericht seine eigene (schwankende) Praxis hat. Höchstrichterlich gilt heute, dass einem bis zu diesem Zeitpunkt nicht erwerbstätigen Ehegatten die Aufnahme eines vollen Arbeitspensums nach dem 50. Altersjahr nicht mehr möglich bzw. zumutbar ist, während bei einer bereits aufgenommenen teilzeitlichen Erwerbstätigkeit während der Ehe oder vor diesem Alter eine Ausdehnung des Erwerbspensums auf ein volles Pensum, zumindest aber auf ein Pensum von 70 % – 80 %, als möglich und zumutbar erachtet wird. Gerade im letzteren Fall ist sehr oft ein Kompromiss geboten, wonach die Rente auf Grundlage eines erhöhten Teilpensums von 70 % – 80 % und einem bis zur Pensionierung abgestuft zu reduzierenden Bedarf der Rentenberechtigten berechnet wird. Es erscheint jedenfalls stossend, dass der 50-jährige Ehegatte seiner gleichaltrigen, nicht erwerbstätigen Ehefrau noch während 15 Jahren eine volle Scheidungsrente zu bezahlen hat, die sich am allenfalls hohen Lebensstandard per Trennung bemisst.

VI. RENTENDAUER

Der nach dem Obigen allenfalls bestehende Anspruch auf eine Deckung eines gebührenden Bedarfs mittels Scheidungsrente besteht grundsätzlich lebenslänglich. Dass heute in aller Regel die Scheidungsrente dennoch per Eintritt des Rentenpflichtigen ins Pensionierungsalter beschränkt wird, hat seinen Grund darin, dass ab dann im Normalfall seine Leistungsfähigkeit erheblich sinkt, wogegen sich die Berechtigte ab ihrer Pensionierung die Altersrenten und das für das Alter bestimmte Vermögen (beispielsweise aus dem Pensionskassenausgleich) anzurechnen hat. Wo dies nicht gilt, kann allerdings auch heute noch eine lebenslängliche Rente gerechtfertigt sein.

VII. FAZIT

Wie die obigen Ausführungen zeigen, gibt es Beurteilungs- und Bemessungsregeln zur Scheidungsrente. Wie diese im Einzelfall zu gewichten sind bzw. gewichtet werden, hängt von den Umständen im Einzelfall und nicht zuletzt vom subjektiven Ermessen des Beurteilenden (beratenden Anwalts, Richters) ab. Entsprechend schwierig ist die Beurteilung der Prozessaussichten in einem strittigen Verfahren.

Ob diese Bemessungsregeln noch zeitgemäss sind, muss zumindest bezüglich der Einschränkung der Eigenversorgung bei Betreuung gemeinsamer Kinder in Frage gestellt werden. Dies auch aus volkswirtschaftlichen Überlegungen besteht doch Einigkeit darüber, dass wir zunehmend auf einen – möglichst frühen und weitgehenden – Einstieg kinderbetreuender Elternteile (Frauen) in die Wirtschaft angewiesen sind, welcher längst (zunehmend) der gesellschaftlichen Realität entspricht.

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9. Februar 2015 / lic. iur. Martin Kuhn


DAS EXISTENZMINIMUM IN EHERECHTLICHEN VERFAHREN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht 

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei der Unterhaltsberechnung in eherechtlichen Verfahren (Trennung/Scheidung) spielt in aller Regel das Existenzminimum der beiden Ehegatten eine wesentliche Rolle: Es entspricht demjenigen Teil seines Einkommens beim Unterhaltspflichtigen, der ihm zwingend verbleiben muss, bzw. bestimmt die Höhe eines allfälligen auf die Ehegatten aufzuteilenden Einkommensüberschusses. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Entscheid der kantonal unterschiedlichen Festlegung des Existenzminimums in einem weiteren Punkt Einhalt geboten.

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I. STEUERN GEHÖREN NICHT INS EXISTENZMINIMUM

Das Bundesgericht hat im Entscheid 5A_890/2013 vom 22. Mai 2014 (nach öffentlicher Beratung) entschieden, dass die Steuerverpflichtungen bei der Berechnung des Existenzminimums in eherechtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen sind, d.h. die Abzahlung von Steuerschulden oder die laufenden Steuern das Existenzminimum nicht erhöhen. Dies weil nach Ansicht des Bundesgerichts die Begleichung von Steuerschulden nicht existenziell sei und es nicht angehe, den Staat vor anderen Schuldnern zu begünstigen. Die gegenteilige Praxis in einzelnen Kantonen (namentlich Solothurn und St. Gallen) wird entsprechend zu korrigieren sein.

II.KINDERZULAGEN UND EXISTENZMINIMUM

Bereits in verschiedenen früheren Entscheiden hat das Bundesgericht klargestellt, dass bei der Berechnung des Existenzminimums des Ehegattens, bei dem die Kinder leben, die von ihm selber oder vom anderen Elternteil bezogenen und abgelieferten Kinderzulagen das Existenzminimum reduzieren, d.h. vollumfänglich anzurechnen sind. Die Kinderzulagen seien für die Lebenshaltungskosten der Kinder bestimmt und diese (auch) aus denselben zu decken, weshalb sich das Existenzminimum entsprechend reduziere.

Auch insoweit ist die gegenteilige kantonale Praxis (teilweise auch nur einzelner Richter) also zu korrigieren, soweit dies nicht bereits geschehen ist.

III. KANTONALE UNTERSCHIEDE

Obwohl also die Rechtslage vom Bundesgericht in zwei wesentlichen Punkten geklärt wurde, verbleiben dennoch kantonale Unterschiede bei der Bemessung des Existenzminimums, die durchaus relevant sein können. So zeigt sich beispielsweise im Vergleich der Kantone Aargau und Zürich, dass in Zürich gestützt auf die einschlägigen kantonalen „Richtlinien“ bei gleichen Verhältnissen ein wesentlich höheres Existenzminimum resultiert, weil einzelne im Aargau im Grundbetrag enthaltene Auslagen dort zusätzlich aufgerechnet werden. Es kann also für den Unterhaltspflichtigen, der auf den Schutz seines Existenzminimums angewiesen ist – oder für die Unterhaltsberechtigte, die möglichst hohe Unterhaltsbeiträge benötigt – durchaus eine Rolle spielen, in welchem Kanton ein eherechtliches Verfahren geführt wird: Soweit verschiedene Gerichtsstände zur Verfügung stehen, ist dem in der anwaltlichen Beratung Rechnung zu tragen.

IV. AUFTEILUNG DES ÜBERSCHUSSES

In Erinnerung zu rufen gilt es abschliessend, dass die Nichtberücksichtigung von Steuerschulden und laufenden Steuern nur in sogenannten Mankofällen gilt, d.h. dort wo kein Überschuss resultiert, weil das Total der Einkünfte beider Ehegatten nicht höher ist als das Total ihrer Existenzminima. Sowohl Schuldzahlungen (für gemeinsame Schulden wie beispielsweise Steuern) als auch die laufenden Steuern sind demgegenüber aufzurechnen und dem Pflichtigen entsprechende Mittel zuzuweisen, wo ein Überschuss resultiert. In solchen Fällen spielt also durchaus eine Rolle, wer bis anhin wie viel für bestehende Steuerschulden bezahlt hat und noch bezahlen muss,  und mit welchen Steuerlasten nach der Trennung die Ehegatten zu rechnen haben. Hälftig bzw. nach Köpfen unter den Ehegatten aufzuteilen ist nur der danach verbleibende Nettoüberschuss.

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23. Juni 2014 / lic. iur. Martin Kuhn


SIND DEINE SMS AUCH MEINE SMS?

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

SMS und Mails als Beziehungskiller, Artikel in der AZ vom 6. Juli 2012, unter Mitwirkung von RA Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht.

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