SINN UND ZWECK DER VINKULIERUNG VON AKTIEN

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

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Aktien sind dem Grundsatz nach unbeschränkt übertragbar. Dies im Unterschied zur Übertragung von Stammanteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), wo das Obligationenrecht die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Übertragung verlangt. Jedoch kennt das Aktienrecht auch eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Sind die Aktien nach Art. 685a ff. OR vinkuliert, kann die Gesellschaft die Übertragung von Aktien immerhin ablehnen und den Eintrag des Erwerbers im Aktienbuch verweigern. Welche Auswirkungen sich durch die Vinkulierung ergeben und welchen Sinn und Zweck dieser Möglichkeit zuzumessen ist, wird nachfolgend erläutert. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich allerdings nur mit der Vinkulierung von nicht-börsenkotierten Aktien.

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I. GRUNDSATZ

Das Schweizer Aktienrecht kennt die Möglichkeit der Vinkulierung nur im Zusammenhang mit einer statutarischen Grundlage. Aktiengesellschaften, die ihre Aktien von der freien Übertragbarkeit ausnehmen wollen, haben dies in ihren Statuten vorzusehen. Dabei ist nicht erforderlich – jedoch möglich – die Vinkulierungsordnung bis ins letzte Detail zu regeln. Es reicht, wenn die Statuten in einem Satz vorsehen, dass die Übertragbarkeit der Aktien beschränkt ist. Es kommen dann die Bestimmungen von Art. 685a ff. OR zur Anwendung.

Sind die Aktien vinkuliert, können sie nur mit der Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden. Ohne eine anderslautende Regelung in den Statuten ist der Verwaltungsrat das entscheidende Organ der Gesellschaft. Die Übertragung muss ihm vom Erwerber der Aktien angezeigt werden. Das geschieht meistens zeitgleich mit dem Gesuch des Erwerbers um Eintragung ins Aktienbuch der Gesellschaft. Das Aktienbuch wird ebenfalls vom Verwaltungsrat geführt. Will die Aktienübertragung verhindert werden, kann der Verwaltungsrat das Gesuch innert 3 Monaten ablehnen. Wird diese Frist versäumt, ist das Recht verwirkt, mit der Folge, dass der Aktientransfer seine Wirkung entfaltet und alle mit den Aktien zusammenhängenden Rechte (und Pflichten, soweit diese existieren) auf den Erwerber übergehen. Für börsenkotierte Aktien gilt eine andere Regelung, auf die hier aber nicht eingegangen wird.

Wollen die Aktionäre die Gründe für die Ablehnung eines Erwerbers nennen, haben sie diese in den Statuten festzuhalten. Allerdings muss es sich um einen sachlichen Grund handeln. Liegt kein sachlicher Grund für die Ablehnung eines Erwerbers vor oder sind die Gründe in den

Statuten nicht geregelt, ist eine Ablehnung nur aufgrund der sog. „Escape Clause“ möglich (vgl. dazu unten, Ziff. III.).

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II. ZUSAMMENSPIEL MIT AKTIONÄRBINDUNGSVERTRÄGEN

Wollen Aktionäre sich gegenseitig Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Aktionäre auferlegen, so können sie dies in Form eines Aktionärbindungsvertrags tun. Denn das Aktienrecht selbst kennt grundsätzlich nur Aktionärsrechte und keine -pflichten. Einzige Ausnahme bildet die Pflicht zur Liberierung des Aktienkapitals. Alle weiteren Pflichten sind daher rein bilateral bzw. nur im parteiinternen Verhältnis der Aktionäre untereinander verbindlich, nicht aber gegenüber der Gesellschaft. Übertragbarkeitsbeschränkungen bilden daher standardmässiger Inhalt eines Aktionärbindungsvertrag. Die Aktionäre auferlegen sich darin gegenseitige Regelungen, wie sie sich im Fall von Verkaufsabsichten zu verhalten haben. Im Regelfall haben die Aktionäre die Pflicht, die Aktien vorab, d.h. bevor sie sich überhaupt nach einem potenziellen Käufer umsehen, den Mitaktionären zum Kauf anzubieten. Der Kaufpreis – oder zumindest ein Bewertungsmechanismus – wird oftmals ebenfalls im Aktionärbindungsvertrag geregelt. Damit soll verhindert werden, dass die Parteien ausufernde Verkaufsgespräche führen, sich nicht auf einen Preis einigen können und im Ergebnis während einer längeren Zeitspanne blockiert sind. Weiter gibt dies den Aktionären auch die Möglichkeit, gewisse unternehmerische Entwicklungen, ob vorhersehbar oder nicht, bei der Kaufpreisberechnung auszuklammern. Das kann z.B. in der Aufbauphase eines Unternehmens Sinn machen, aber auch dann, wenn mit dem austretenden Aktionär eine Schlüsselperson das operative Unternehmen verlässt, was sich nachteilig auf die Unternehmensentwicklung auswirken könnte. Weitere Standardinhalte eines Aktionärbindungsvertrags sind gegenseitige Erwerbsrechte für den Fall, dass sich ein bestimmtes Ereignis zuträgt (sog. Kaufrechtsfall). Nebst dem Todesfall sollen solche Erwerbsrechte regelmässig auch bei Eintritt der grundlegenden Handlungsunfähigkeit, der Konkurseröffnung über eine Partei oder der Pfändung der Aktien einer Partei wirken. Es besteht durchaus die Möglichkeit, solche Kaufrechtsfälle sehr individuell zu gestalten. Auch die Aufgabe der operativen Tätigkeit eines Aktionärs für das betreffende Unternehmen kann in einer Verkaufspflicht resultiert.

Übertragungsbeschränkungen werden in Aktionärbindungsverträgen oftmals sehr ausführlich geregelt. In dieser Möglichkeit liegt einer der Hauptunterschiede zur statutarischen Vinkulierung. Allerdings ermöglicht es die gesetzliche Vinkulierungsordnung, solche vertraglichen Übertragungsregelungen gesellschaftsrechtlich abzusichern. Verletzt bspw. ein Aktionär die Andienungspflicht gemäss Aktionärbindungsvertrag und verkauft er seine Aktien an einen beliebigen Dritten, so hat die Gesellschaft ein zusätzliches Ablehnungsrecht gestützt auf die Vinkulierungsordnung. Damit die Gesellschaft in Bezug auf diese Ablehnung frei ist bzw. die Verletzung des Aktionärbindungsvertrags als Grund für die Ablehnung geltend machen kann, ist es empfehlenswert, dies so in den Statuten festzuhalten. Die Statuten sollten somit festhalten, dass die Verletzung des Aktionärbindungsvertrags als sachlicher Grund für die Ablehnung eines Erwerbers erlaubt ist.

Die Zulässigkeit von solchen statutarischen Regelungen wird in Lehre und Praxis allerdings uneinheitlich beurteilt. Wo das Handelsregisteramt Aargau seit einiger Zeit Statutenbestimmungen erlaubt, welche der Gesellschaft (meinst dem Verwaltungsrat) die Erlaubnis erteilen, eine Transaktion zu verhindern, wenn sie in Verletzung eines Aktionärbindungsvertrags erfolgt, so scheint das Handelsregisteramt Zürich eine uneinheitliche Praxis zu vertreten. Der Autorin ist sowohl die Akzeptanz als auch die Ablehnung entsprechender Statutenbestimmungen bekannt. Es wird sich zeigen, ob sich eine einheitliche Praxis festigt.

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III. ESCAPE CLAUSE ALS NOTNAGEL

Erlaubt das Handelsregisteramt die statutarische Absicherung von aktionärbindungsvertraglichen Übertragungsbeschränkungen via die Vinkulierung nicht, kann die sog. Escape Clause für Abhilfe schaffen. Sie findet in Art. 685b Abs. 1 OR ihre gesetzliche Grundlage und sieht vor, dass ein Erwerber abgelehnt werden darf, wenn die Gesellschaft dem Veräusserer anbietet, die Aktien (für eigen Rechnung, für Rechnung anderer Aktionäre oder für Rechnung Dritter) zum wirklichen Wert zu übernehmen. Der „wirkliche Wert“ wird notfalls vom Gericht bestimmt, d.h. vor allem dann, wenn sich die Parteien darüber nicht einigen können. Vertragliche Regelungen über die Kaufpreisbewertung sind bei Anwendung der Escape Clause damit nicht verbindlich. Und in aller Regel werden die Parteien eine solche vertraglichen Regelung auch nicht freiwillig akzeptieren, andernfalls es wohl gar nicht erst zur Anwendung der Escape Clause gekommen wäre. Den Parteien von Aktionärbindungsverträgen bleibt somit nichts anderes übrig, als eine allfällige Differenz zwischen wirklichem Wert und vertraglich vereinbartem Wert als Schadenersatz gegenüber dem vertragsbrüchigen Aktionär einzuklagen. Die Escape Clause bietet daher – eben im Sinne eines Notnagels – zwar die Chance, eine ungewünschte Öffnung des Aktionärskreises durch Verkauf an Dritte zu verhindern, allerdings nur, soweit der wirkliche Wert entschädigt wird. Das ist freilich nicht im Sinne der Parteien eines Aktionärbindungsvertrags, weshalb es sinnvoll ist, die Verletzung des Vertrags an eine Konventionalstrafe zu knüpfen, die eine abzugeltende Differenz nach Möglichkeit betraglich abdeckt. 

IV. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

Die Vinkulierung von Aktien ist ein wichtiges und sinnvolles Instrument des Gesellschaftsrechts, um die freie Übertragbarkeit von Aktien an Dritte zu verhindern. Im Zusammenspiel mit Aktionärbindungsverträgen ermöglicht sie – die Akzeptanz entsprechender Statutenbestimmungen durch das hiesige Handelsregisteramt vorausgesetzt – die Absicherung von, teilweise sehr detailliert ausgestalteten, vertraglichen Übertragungsbeschränkungen. Wie gezeigt ist dies nicht nur zum Schutz eines geschlossenen oder regulierten Aktionärskreises wichtig, sondern auch, um sicherzustellen, dass sich im Fall von Übertragungen der Kaufpreis, der einem austretenden Aktionär bezahlt werden soll, nach der vertraglichen Vereinbarung bemisst und nicht von einen Richter festgelegt wird, der einerseits eine Momentaufnahme tätigt und sich andererseits auch nicht an den Überlegungen zu orientieren hat, welche die Parteien des Aktionärbindungsvertrags der vertraglichen Kaufpreisbestimmung zugrunde gelegt haben.

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7. Mai 2024  / lic. iur. Patricia Geissmann, CAS Merger & Acquisitions and Corporate Law


AKTIENREVISION 2023 – EINIGE WESENTLICHE ÄNDERUNGEN KURZ ZUSAMMENGEFASST

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin und MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin

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Am 1. Januar 2023 tritt die lang erwartete Revision des Aktienrechts in Kraft. Auch für KMU ergeben sich aus den neuen Gesetzesbestimmungen einige nützliche Chancen. Auf einzelne davon gehen wir nachstehend ein und zeigen auf, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben können. Gleichzeitig informieren wir darüber, welche Vorkehrungen gegebenenfalls auf gesellschaftsrechtlicher Ebene getroffen werden müssen, damit ein Unternehmen von den neu geschaffenen Möglichkeiten profitieren kann.

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I. DAS KAPITALBAND

Ein wichtiger Eckpfeiler der Aktienrechtsrevision ist das in Art. 653s-653v revOR neu geschaffene Institut des Kapitalbands. Grob zusammengefasst weitet das Kapitalband für Aktiengesellschaften – und zwar nur für diese, Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) können nicht davon profitieren – die unter geltendem Recht bestehende Möglichkeit zur Schaffung von genehmigtem Aktienkapital aus.

Unter dem neuen Recht kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, innerhalb einer Frist von 5 Jahren flexibel und nach eigenem Gutdünken neues Aktienkapital zu schaffen oder bestehendes Aktienkapital zu reduzieren. Im Unterschied zur heutigen genehmigten Kapitalerhöhung (Art. 651 ff. OR) schafft das Kapitalband neu also auch die Möglichkeit einer sozusagen genehmigten Kapitalherabsetzung. Weiter können Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen – stets im Rahmen des zeitlichen Limits von neu 5 Jahren – auch beliebig kombiniert werden. Der Verwaltungsrat erhält damit viel mehr Flexibilität bei der Kapitalbeschaffung oder -reduktion, was insbesondere bei Projektfinanzierungen oder bei Unternehmensübernahmen und Fusionen hilfreich sein kann.

Wichtig zu wissen ist, dass das Kapitalband einer statutarischen Ermächtigung in den Statuten bedarf. Wird diese nun nachträglich in die Statuten eingeführt, bedarf es, wie jeder Statutenänderung, einer öffentlichen Beurkundung. Zudem bedarf der Beschluss einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 der Aktienstimmen, die zugleich die Mehrheit der Aktiennennwerte auf sich vereinen (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 5 revOR).

Weiter gilt es zu beachten, dass es Aktiengesellschaften, die im Rahmen eines Opting-outs auf die eingeschränkte Revision verzichtet haben, verwehrt ist, von den Möglichkeiten des Kapitalbands Gebrauch zu machen. Grund dafür ist der erweiterte Gläubigerschutz, der bei Kapitalherabsetzungen Platz greift. Auch wenn eine Kapitalherabsetzung generell (auch beim Kapitalband) nur erfolgen darf, wenn ein Revisor bestätigt hat, dass sämtliche Gläubigerforderungen gedeckt sind, soll sich der Revisor auf den Jahresabschluss verlassen dürfen. Und dieser weist nur dann eine erhöhte Glaubwürdigkeit aus, wenn er revidiert wurde.

Der Gestaltungsspielraum des Verwaltungsrats im Rahmen des Kapitalbands ergibt sich in den grundlegenden Zügen aus dem Gesetz. So darf die Erhöhung bspw. nicht unbeschränkt erfolgen, sondern nur um maximal 50% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals. Die gesetzliche Untergrenze des Aktienkapitals von mind. CHF 100’000.00 bleibt ebenfalls unangetastet. Aktiengesellschaften mit dem Mindestkapital von CHF 100’000.00 können damit nicht von einer Kapitalreduktion im Rahmen des Kapitalbands profitieren. Die Generalversammlung kann dem Verwaltungsrat indes weitere Regeln bei der Ausübung des Kapitalbands auferlegen. So hat die GV insb. die Möglichkeit, die Kapitalveränderungen nur einseitig, d.h. entweder im Sinne einer Kapitalerhöhung oder einer Kapitalherabsetzung, zu erlauben und eine flexible Gestaltung durch Kombination von Erhöhung und Herabsetzung auszuschliessen. Auch weitere Auflagen und Bedingungen sind möglich; die Generalversammlung ist hierbei weitgehend frei. Erforderlich ist aber, dass auch solche Auflagen und Bedingungen in den Statuten genau bezeichnet sind, sodass sie auch für eine Drittperson, bspw. das Handelsregisteramt bei der Eintragung der Kapitalveränderungen, überprüfbar sind. Missachtet der Verwaltungsrat diese statutarischen Bedingungen und Auflagen, ist sein Erhöhungs- oder Herabsetzungsbeschluss nichtig.

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II. FLEXIBLERE GESTALTUNG VON GENERALVERSAMMLUNGEN

Bei der Durchführung von Generalversammlungen bringt die Aktienrechtsrevision ebenfalls eine grössere Flexibilität. Zugleich sollen dadurch die Teilnahmerechte der Aktionäre gestärkt werden.

Einerseits ermöglicht die Revision neu, dass Geschäftsbericht und Revisionsbericht den Aktionären lediglich «zugänglich gemacht» werden und nicht mehr am Geschäftssitz physisch zur Einsicht aufgelegt werden. Auch die Einberufung und die Versammlung selbst können neu elektronisch bzw. physisch erfolgen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Statuten eine entsprechende Grundlage enthalten.

Die elektronische Ausübung der Stimmen an der Generalversammlung (sog. «direct voting») ist ohne eine statutarische Grundlage möglich; die diesbezügliche Entscheidungskompetenz liegt beim Verwaltungsrat, wobei er die Sicherheitsvorschriften gem. Art. 701e Abs. 2 revOR zu wahren hat. Diese Bestimmungen beinhalten, kurz zusammengefasst, dass (i) die Identität der Aktionäre in jedem Fall feststellbar ist. Diesbezüglich geht das Spektrum von der Vorweisung einer Identitätskarte bis hin zur Anwendung einer Gesichtserkennungssoftware. Weiter ist an der virtuellen Generalversammlung sicherzustellen, dass (ii) eine unmittelbare Übertragung der Voten erfolgt (sog. Unmittelbarkeitsprinzip), (iii) jeder Aktionär aktiv teilnehmen und auch Anträge stellen kann, und (iv) das virtuell getroffene Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Diese Voraussetzungen zeigen, dass es neu auch möglich ist, eine Generalversammlung ohne Bildübertragung, d.h. bspw. lediglich per Telefon, durchzuführen.

Soll nicht nur die Stimmabgabe virtuell erfolgen, sondern die Generalversammlung als solche virtuell durchgeführt werden, ist eine statutarische Grundlage erforderlich. Der Verwaltungsrat hat aber auch dann vorzusehen, dass die technischen Anforderungen die Teilnahme auch einem durchschnittlich begabten und mit technischen Hilfsmitteln ausgerüsteten Aktionär ermöglichen.

Das Rede- und Fragerecht an der virtuellen Generalversammlung ist selbstverständlich zu wahren. Somit muss eine unmittelbare Kommunikation in jedem Fall gewährleistet sein. Eine Durchführung per E-Mail ist somit nicht möglich, da diese das Unmittelbarkeitsprinzip nicht wahrt. Das gleiche Problem stellt sich bei der Übermittlung von Audiodateien. Bei kleineren Generalversammlungen ist daher zu überlegen, ob nicht eine Telefonkonferenz das einfachste, und den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich genügende, Mittel darstellt. Dies selbstverständlich vorausgesetzt, eine Identifizierung kann stattfinden, was bei kleineren Gesellschaften jedoch meist der Fall sein dürfte.

Kommt es bei der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung zu grösseren technischen Problemen, muss die Versammlung, zumindest teilw., wiederholt werden. Denn unter technischen Problemen gefasste Beschlüsse sind ungültig. Hiervon zu unterscheiden sind Schwierigkeiten, die im Verantwortungsbereich der Aktionäre liegen. Diese machen die Beschlussfassung nicht ungültig. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht einen Grossteil der Aktionäre betreffen, wie bspw. bei einem Stromausfall oder einem breitflächigen Ausfall / Unterbruchs des Internets. Die Abgrenzung zwischen Problemen im Verantwortungsbereich der Gesellschaft bzw. eben der Aktionäre dürfte im Einzelfall schwierig sein und die Gesellschaften vor neue Herausforderungen stellen.

Bei der physischen Durchführung einer Generalversammlung ist neu, dass diese nun auch an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden darf. Die Lehre liess dies zwar bereits unter geltendem Recht zu, sofern sachliche Gründe vorlagen. Die Aktienrechtsrevision schafft nun die Rechtssicherheit, dass diese Möglichkeit auch ohne das Vorliegen sachlicher Gründe möglich ist. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Versammlungen alle gleichzeitig durchgeführt werden und sämtliche Voten von allen Teilnehmern unmittelbar in Bild und Ton übertragen werden können. Bedürfen so gefasste Beschlüsse der öffentlichen Beurkundung, reicht es aus, wenn sich der beurkundende Notar an einem der diversen physischen Tagungsorte befindet und von dort aus die Beschlüsse, die über virtuelle Übertragung auch an anderen Tagungsorten gefasst werden, beurkundet.

Der Tagungsort oder einer der Tagungsorte darf auch im Ausland liegen, soweit die Ausübung der Aktionärsrechte dadurch nicht in unsachlicher Weise erschwert wird. Voraussetzung ist auch hier, dass die Statuten diese Möglichkeit ausdrücklich vorsehen. Die betreffende Bestimmung bedarf der Zustimmung der Generalversammlung und zwar mit qualifizierter Mehrheit, d.h. mit 2/3 der Aktienstimmen und der Mehrheit der Aktiennennwerte. Weiter hat der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen, welcher auf Wunsch hin die Stimmen der nicht anwesenden Aktionäre ausübt. Weiter ist zu beachten, dass Beschlüsse, die der öffentlichen Beurkundung unterliegen, nicht von einem Schweizer Notar beurkundet werden können. Es gilt die Gesetzgebung am Tagungsort.

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III. WEITERE NEUERUNGEN IM ÜBERBLICK

Ebenfalls Teil der Gesetzesrevision sind Änderungen der Kompetenzen von Generalversammlung und Verwaltungsrats. Insbesondere wenn die Statuten lediglich Abschriften der bisherigen Gesetzesbestimmungen zu den Kompetenzen der Generalversammlung (Art. 698 OR) und/oder deren Abstimmungsquoren (Art. 704 OR) enthalten, empfiehlt es sich daher, die Statuten ans neue Gesetz anzupassen. Andernfalls könnten Unstimmigkeiten zwischen den Statuten und dem Gesetz zu Unklarheiten führen.

Neu hat die Generalversammlung folgende Kompetenzen (Art. 698 revOR):

  • Festsetzung der Zwischendividende und Genehmigung des dafür erforderlichen Zwischenabschlusses: Neu wird die Zulässigkeit einer Zwischendividende (sog. Interimsdividende) explizit im Gesetz verankert. Es gelten allerdings dieselben Voraussetzungen wie bei der ordentlichen Dividendenausschüttung. So müssen vorab Zuweisungen an die gesetzlichen und freiwilligen Reserven erfolgen. Weiter muss vor der Beschlussfassung durch die Generalversammlung ein Zwischenabschluss erstellt und von der Revisionsstelle geprüft werden, sofern die Gesellschaft der Revisionspflicht untersteht.

  • Beschlussfassung über die Rückzahlung der gesetzlichen Kapitalreserve: Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass Kapitalreserven unter gewissen Umständen an die Aktionäre ausgeschüttet werden dürfen. Die diesbezügliche Beschlussfassung obliegt nun der Generalversammlung.

  • Dekotierung der Beteiligungspapiere der Gesellschaft: Bisher konnte diese vom Verwaltungsrat beschlossen werden, neu liegt die Beschlussfassungskompetenz bei der Generalversammlung.

  • Genehmigung des Berichts über nichtfinanzielle Belange nach Art. 964c OR. Der Bericht über nichtfinanzielle Belange gibt Rechenschaft über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange sowie über die Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption. Es ist durch die Generalversammlung zu genehmigen.

Neu ist entsprechend auch der Katalog an Beschlüssen, die dem qualifizierten Mehr von 2/3 der vertretenen Aktionärsstimmen und der Mehrheit der Aktiennennwerte bedarf. Der Katalog wird um folgende Bestimmungen ergänzt (Art. 704 revOR):

  • Die Zusammenlegung von Aktien, soweit dafür nicht die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre erforderlich ist: Bisher bedurfte die Zusammenlegung von Aktien der Zustimmung sämtlicher Aktionäre, was sich in der Praxis je nach Ausgestaltung des Aktionariats als nicht praktikabel erwiesen hat. Entsprechend wurde das Quorum von Einstimmigkeit auf die qualifizierte Stimmenmehrheit gesenkt.

  • Die Kapitalerhöhung durch Verrechnung mit einer Forderung (sog. Verrechnungsliberierung): Neu ist die Verwendung von Forderungen von Gläubigern, die nicht vollständig durch Aktiven der Gesellschaft gedeckt sind, explizit zugelassen (Art. 634a Abs. 2 revOR).

  • Die Einführung eines bedingten Kapitals oder die Einführung eines Kapitalbands: Diesbezüglich wird auf die vorstehenden Ausführungen in Ziff. I. verwiesen.

  • Die Umwandlung von Partizipationsscheinen in Aktien: Die Umwandlung von Partizipationsscheinen war bereits vor der Gesetzesrevision zulässig; eine entsprechende gesetzliche Bestimmung fehlte hingegen bis anhin, was nun nachgeholt wurde.

  • Der Wechsel der Währung des Aktienkapitals: Neu ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, das Aktienkapital der Gesellschaft in einer Fremdwährung festzulegen, wobei dieses dem Gegenwert von CHF 100’000.00 entsprechen muss. Dabei wird auf den Umrechnungskurs im Zeitpunkt der Beurkundung abgestellt.

  • Die Einführung des Stichentscheids des Vorsitzenden in der Generalversammlung: Diese Möglichkeit bestand auch ohne explizite gesetzliche Regelung und damit bereits vor der Aktienrechtsrevision. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Stichentscheid in Generalversammlungen bei bestimmten, für den Minderheitenschutz wichtigen Geschäften nicht zulässig (z.B. bei der Wahl der Revisionsstelle; vgl. BGE 143 III 120). Wie sich diese Rechtsprechung zum neu eingeführten Gesetzesartikel (Art. 703 Abs. 2 revOR) verhält, ist zum heutigen Zeitpunkt unklar. Sicherheitshalber sollte man bei Abstimmungen, die den Minderheitenschutz betreffen, nicht auf den Stichentscheid abstellen.

  • Die Dekotierung der Beteiligungspapiere der Gesellschaft: Diesbezüglich wurde das Quorum erhöht – zuvor stand dieser Beschluss dem Verwaltungsrat zu, was nun neu von der Generalversammlung mit qualifiziertem Mehr beschlossen werden muss.

  • Die Einführung einer statuarischen Schiedsklausel: Neu kann in den Statuten vorgesehen werden, dass bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten der Gesellschaft ausschliesslich ein Schiedsgericht zuständig sein soll.

Weiter sieht die Aktienrechtsrevision auch einige Änderungen bei den Kompetenzen des Verwaltungsrats vor. Explizit im Gesetz kodifiziert ist ab dem 1. Januar 2023, dass auch der Verwaltungsrat elektronische Versammlungen abhalten kann. Weiter bedarf eine allfällige Übertragung der Geschäftsführung auf einzelne Mitglieder oder Dritte keiner statuarischen Grundlage mehr. Nach wie vor muss jedoch eine allfällige Delegation von Verwaltungsratsaufgaben in einem Organisationsreglement festgehalten werden.

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15. Dezember 2022  / lic. iur. Patricia Geissmann und MLaw Simone Kessler


WIE VIEL IST MEIN UNTERNEHMEN WERT? BEWERTUNGSMETHODEN UND FAKTOREN, DIE DEN WERT BZW. DEN PREIS BEEINFLUSSEN.

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Methoden für die Bewertung von Unternehmen gibt es viele. Im KMU-Bereich wird häufig die sogenannte Praktikermethode angewendet; eine Bewertungsmethode, die sowohl den Substanzwert wie auch den Ertragswert, meist im Verhältnis 2:1, berücksichtigt. Teilweise wird eine Bewertung aber auch basierend auf nur einem dieser beiden Werte, d.h. nur auf dem Substanzwert oder nur auf dem (historischen) Ertragswert, erstellt. Allen diesen Methoden gemein ist, dass sie nur die Vergangenheit berücksichtigen und die zukünftige Entwicklungschancen gänzlich ausklammern. Dies im Gegensatz zur DCF-Methode, ebenfalls eine Art der Ertragswertberechnung, die jedoch auf einer Zukunftsbetrachtung basiert und somit Raum für Zukunftspläne und Perspektiven lässt. Eine reine Vergangenheitsbetrachtung ist nicht per se falsch, wenn sie sich nicht starr an Zahlen orientiert, sondern auch Faktoren berücksichtigt, die sich aus der Geschäftspraxis sowie allfällig vorliegenden Business-Plänen ergeben. Nachfolgend werden die gängigen Bewertungsmethoden kurz erläutert und aufgezeigt, welche Faktoren dabei unabdinglich zu berücksichtigen sind. Dabei halten die nachfolgenden Ausführungen immer einen Unternehmensverkauf bzw. -kauf im Fokus.

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I. ÜBERSICHT ÜBER DIE EINZELNEN BEWERTUNGSMETHODEN

Grob lassen sich drei Arten von Bewertungsmethoden unterscheiden: Zum einen die Substanzwertmethode, die lediglich die Vermögenswerte wie Cash, Forderungen, Anlagevermögen etc. berücksichtigt. Zum anderen gibt es die Ertragswertmethode. Diese Methode ist zwar grundsätzlich zukunftsorientiert, denn der Wert ergibt sich aus den diskontierten zukünftigen Gewinnen. Allerdings spielen die Vergangenheitszahlen auch bei dieser Ertragswertmethode eine Rolle, nämlich dann, wenn als Grundlage für die zukünftigen Gewinne die Gewinnzahlen einer repräsentativen Zeitspanne in der Vergangenheit dienen. Durch die Diskontierung wird eruiert, welchen Wert ein Betrag X (aktuelle Gewinnzahlen) am Tag Y in der Zukunft hat. Der so eruierte Wert ist natürlich höher als der heutige Betrag X, denn das Geld soll in der Zukunft verständlicherweise mehr Wert haben als heute. Möglich ist es allerdings auch, die Ertragswertmethode basierend auf reinen Zukunftsperspektiven anzuwenden (sog. DCF-Methode). Dabei dienen die Vergangenheitswerte nur als Anhaltspunkt; der eigentlichen Bewertung werden jedoch die Ergebnisse eines Businessplans zugrunde gelegt. Als dritte konzeptionelle Bewertungsmethode ist die Marktwertmethode (sog. Trading Multiples) zu erwähnen. Dabei werden Vergleichswerte von Unternehmen, die in derselben Branche tätig sind, zur Bewertung herangezogen.

Die Anwendung der Substanzwertmethode eignet sich in der Regel für kapitalintensive Unternehmen mit aussagekräftiger Bilanz. Zu berücksichtigen gilt es jedoch, dass der so ermittelte Wert meist tiefer zu liegen kommt als ein durch die Ertragswert- oder Marktwertmethode ermittelte Unternehmenswert. Weiter finden auch immaterielle Vermögenswerte bei dieser Methode keine genügende Berücksichtigung.

Die Ertragswertmethode führt bei stabiler Ertragslage und konstantem Investitionsverhalten zu einem realistischen Unternehmenswert. Zu beachten gilt es indes, dass zukünftige Entwicklungen, zumindest dann, wenn lediglich Vergangenheitswerte angewendet werden, auch hier keine Berücksichtigung finden. Das ändert sich, wenn anstatt der kapitalisierten Durchschnittsgewinne der Vergangenheit der diskontierte zukünftige freie Cashflow aus dem operativen Geschäft berücksichtigt wird (sog. Discounted Cashflow-Methode). Die DCF-Methode macht insbesondere dort Sinn, wo Buchwerte alleine keine grosse Rolle spielen. Man erinnert sich an das Unternehmen Facebook, das rund 66 Mrd. Assets aufwies, wovon rund 35 Mrd. Cash, der Börsenwert sich aber bei 500 Mrd. bewegte. Konsequenterweise stellen die Planzahlen bzw. die Zukunftswerte bei der DCF-Methode die grösste Unbekannte und somit auch das grösste Risiko dar. Insbesondere bei einer aggressiven Zukunftsplanung kann die DCF-Methode zu sehr hohen oder gar zu hohen Werten führen.

Auf die Marktwertmethode ist an dieser Stelle nicht vertiefter einzugehen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass diese Methode vornehmlich dazu dient, einen errechneten Unternehmenswert zu plausibilisieren. 

Wie schon eingangs erwähnt, erfreut sich insb. in der KMU-Welt die sogenannte Praktiker-Methode grosser Beliebtheit. Grund dafür ist, dass sowohl die Substanz als auch die Gewinnzahlen Berücksichtigung finden. Es wird ein Mittelwert berechnet, der sich aus dem durchschnittlichen Substanzwert und dem durchschnittlichen diskontierten Ertragswert im Verhältnis 1 : 2 ergibt. Nachteilig ist, dass gerade durch diese Mittelwertbildung wichtige bewertungsrelevante Informationen verloren gehen können. Weist ein Unternehmen bspw. eine grosse Diskrepanz zwischen Substanz- und Ertragslage aus, wird mit der Praktikermethode ein Wert ermittelt, der letztlich einfach eine Mischung zweier ganz unterschiedlicher Bewertungsmethoden ist. Das kann das Bild einer bspw. ertragsstarken Unternehmung, wie das z.B. bei einem Architekturbüro oder einer IT-Unternehmung der Fall sein kann, aufgrund einer schwachen Substanz massiv verfälschen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle Bewertungsmethoden Vor- und Nachteile aufweisen. Welche Methode Berücksichtigung finden soll, ist in Abhängigkeit von der Art der Unternehmung, der operativen Tätigkeit sowie der Vorabbeurteilung von Substanz- und Ertragslage zu entscheiden.

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II. FAKTOREN, DIE BEI DER BEWERTUNG ZU BERÜCKSICHTIGEN SIND

Wie soeben aufgezeigt, gibt es für alle Bewertungsmethoden Argumente dafür und dagegen. Welche Methode angezeigt ist, ist in jedem Einzelfall zu entscheiden. Nicht nur die Wahl der Bewertungsmethode ist jedoch ausschlaggebend, sondern auch die Berücksichtigung diverser Faktoren wenn es um die konkrete Bewertung selbst geht. Auf eine Auswahl solcher Faktoren ist nachfolgend einzugehen.

Zum einen ist bei der Bewertung zu unterscheiden, ob sich unter den Assets nur betriebliche oder auch betriebsfremde Werte (bspw. ein Ferienhaus) befinden. Die Unterscheidung ist insb. dann relevant, wenn die Bewertung im Hinblick auf einen Unternehmenskauf oder -verkauf erfolgt. Betriebliche Assets sind in der Regel zu Fortführungswerten zu bewerten, betriebsfremde Assets hingegen zu (tieferen) Liquidations- bzw. Verkaufswerten. Dies deshalb, weil solche Assets von Käufer in der Regel baldmöglich wiederverkauft werden wollen.

Zu berücksichtigen sind auch ausserordentliche Aufwände oder Erträge. Belastete bspw. die Erneuerung der IT-Infrastruktur in einem Geschäftsjahr die Erfolgsrechnung, so ist ein so entstandener reduzierter Gewinn (oder gar ein Verlust) bei der Ertragswertberechnung entsprechend zu berücksichtigen.

Bei kleineren Gesellschaften ist weiter ein besonderes Augenmerkt auf die Personalaufwendungen zu legen und darauf zu achten, ob ein Eigentümer-Unternehmer seinen Einsatz durch Lohn oder durch Dividendenbezüge entschädigt hat. Hat sich ein Eigentümer-Unternehmer regelmässig ein sehr hohes Gehalt ausbezahlt, dafür verhältnismässig tiefe Dividenden bezogen, schlägt sich dies ohne angemessene Bereinigung auf den Ertragswert der Gesellschaft nieder. Entsprechend sind die Personalkosten in der Bewertung auf denjenigen Betrag zu reduzieren, der einem Dritten mit der entsprechenden Funktion und Qualifikation realistischerweise bezahlt würde. Regelmässig erhöht dies den kalkulatorischen Gewinn und damit den Ertragswert der Unternehmung.

Die Abhängigkeit von sog. Key Personen ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Ist nach einem Kauf mit dem Abgang von Schlüsselpersonen zu rechnen, insb. dann, wenn sie in der Person des Verkäufers selbst bestehen, rechtfertigt dies unter Umständen ebenfalls eine Bereinigung des (kalkulatorischen) Gewinns. Aus diesem Grund ist auch die sog. Integrationsphase, d.h. also die Zeit nach Vollzug der Transaktion, enorm wichtig. Das gilt insb. für Unternehmungen, deren Wert stark von Personen und deren Dienstleistungen abhängt.

Abschliessend ist noch auf die Rückstellungspraxis eizugehen. Selbst wenn diese buchhalterisch absolut in Ordnung sein können und steuerlich vielleicht sogar wünschenswert waren, ist es möglich, dass gewisse Abschreibungen ökonomisch unsinnig sind. Im Zuge der Unternehmensbewertung gehören diese daher ebenfalls bereinigt.

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III. PREISBESTIMMUNG

Häufig werden die Begriffe «Wert» und «Preis» gleichgesetzt. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nicht immer richtig ist. Der sich aus einer Bewertungsmethode errechnete Unternehmenswert entspricht nicht immer auch dem Preis, der von einem Käufer für das besagte Unternehmen bezahlt wird. Wie gezeigt, ergibt sich der Wert aufgrund einer rein theoretischen Betrachtung, wenn auch gewisse «soft facts» selbstverständlich zu berücksichtigen sind. Der Preis ergibt sich jedoch auch, und sogar sehr entscheidend, aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Und er reflektiert auch das Ergebnis von Vertragsverhandlungen. Sofern das Risiko des Abgangs von Schlüsselpersonen (vgl. oben) nicht bereits Einfluss auf die Bewertung hatte, so ist es bei der Preisbestimmung angemessen zu berücksichtigen. Und gleichzeitig ist ein Käufer, der grosses Synergiepotential in einem Kauf sieht, selbstredend eher bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, als sich dieser aus einer abstrakten Bewertung ergibt.

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IV. SCHLUSSFOLGERUNG

Es gibt weder den einen «richtigen» Wert, noch die eine «richtige» Bewertungsmethode. Vielmehr sind Methodik und Resultat einer Unternehmensbewertung stark davon abhängig, in welchem Sektor das zu bewertende Unternehmen tätig ist, von wem und wie es in den vergangenen Jahren geführt wurde und von wem und wie es nach der Akquisition weitergeführt (oder integriert) werden soll. Die Frage, wie viel ein Unternehmen wert ist, ist damit einerseits unter Berücksichtigung diverser individueller Faktoren zu beantworten und andererseits auch davon abhängig, wie gross die Nachfrage ist und welchen individuellen Wert ein Käufer dem Unternehmen zumisst. Zusammenzufassen ist dies mit einem Zitat von Warren Buffet, der einst meinte: «Preis ist, was man bezahlt, und Wert ist, was man [oder eben ein individueller Käufer] dafür erhält.


6. September 2022 / lic. iur. Patricia Geissmann


VERTRETUNGSMACHT VS. VERTRETUNGSBEFUGNIS DER MITGLIEDER DES VERWALTUNGSRATES EINER AKTIENGESELLSCHAFT

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Mitglieder des Verwaltungsrates sind mit ihrer Funktion sowie der Zeichnungsberechtigung (meist Einzelzeichnungsrecht oder Kollektivzeichnungsrecht) im Handelsregister einzutragen. Die Publikation dient Dritten bei der Beurteilung, ob ein von einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern unterzeichnetes Vertragsdokument Gültigkeit hat oder nicht. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. «Vertretungsmacht». Eine andere Frage ist, ob Verwaltungsratsmitglieder mit Einzelzeichnungsrecht in jedem Fall dazu berechtigt sind, ohne die vorherige Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates zu handeln. Dies ist eine Frage der sog. «Vertretungsbefugnis». Nachfolgend wird aufgezeigt, dass Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis nicht immer übereinstimmend sind und welche Konsequenzen ein selbständiges Handeln von Verwaltungsratsmitgliedern hat, wenn dafür die erforderliche Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates fehlt.

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I. KOMPETENZEN UND INTERNE ORGANISATION DES VERWALTUNGSRATES

Das Aktienrecht sieht in Art. 716 OR vor, dass der Verwaltungsrat in allen Angelegenheiten Beschluss fassen kann und muss, die nicht nach Gesetz oder Statuten der Generalversammlung zugeteilt sind. Diese Kompetenzvermutung erfolgt zugunsten des Verwaltungsrates als Gesamtgremium. Abs. 2 der genannten Gesetzesbestimmung lässt eine Delegation von Aufgaben an einzelne Mitglieder oder an Dritte jedoch durchaus zu. Eine solche Kompetenzübertragung erfolgt aber nur dann korrekt, wenn einerseits die Statuten eine Grundlage dafür vorsehen und andererseits der Verwaltungsrat – und zwar als Gesamtgremium – ein Organisationsreglement erlassen hat, das solche Einzel- oder Kollektivkompetenzen einzelner Mitglieder oder Dritter ausdrücklich regelt. Fehlt es am einen oder anderen Erfordernis, so sind grundsätzlich sämtliche dem Verwaltungsrat vorbehaltenen Aufgaben dem Gesamtgremium vorbehalten. Das bedeutet auch, dass in solchen Gesellschaften sämtliche Beschlüsse stets vom Gesamtverwaltungsrat getroffen werden müssen und nicht an einzelne Mitglieder oder gar Dritte delegiert werden dürfen. Die Tatsache, dass die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder gegebenenfalls dennoch mit Einzel- oder Kollektivzeichnungsrecht im Handelsregister eingetragen sind und einzeln oder zu zweit für die Gesellschaft handeln können, vermag nichts daran zu ändern, dass sie dies aufgrund der internen Gesellschaftsorganisation ohne Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates nicht dürfen. Fehlt es in den Statuten einer Aktiengesellschaft also an einer Ermächtigung des Verwaltungsrates, ein Organisationsreglement überhaupt zu erlassen, sind verwaltungsratsinterne Aufgabendelegationen nicht gestattet. Sämtliche Beschlüsse des Verwaltungsrates bedürfen dann der Zustimmung der Mehrheit des Gesamtgremiums. Gleiches gilt nach vorherrschender Lehre auch dann, wenn zwar die statutarische Grundlage vorhanden wäre, der Verwaltungsrat es aber unterlassen hat, ein Organisationsreglement zu erlassen. In diesen Konstellationen fallen die im Handelsregister nach aussen kundgegebene Vertretungsmacht (d.h. das rechtliche «Können» aufgrund einer Einzelzeichnungsberechtigung) und die Vertretungsbefugnis (d.h. das rechtliche «Dürfen» aufgrund der internen Regelung) auseinander. Welche Folgen in dieser Konstellation ein eigenmächtiges Handeln einzelner Verwaltungsräte haben kann, wird in nachstehender Ziff. III. aufgezeigt.

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II. INHALT DER ERLAUBTEN KOMPETENZENDELEGATION

Inhaltlich ist der Gesamtverwaltungsrat in seiner Delegationsbestimmung weitgehend frei. Existiert die erforderliche statutarische Grundlage, kann er im Organisationsreglement beliebig regeln, ob lediglich einzelne Mitglieder, ein bereits bestimmter oder zu bestimmender Ausschuss oder gegebenenfalls auch Dritte (zusammen oder je einzeln) berechtigt sein sollen, einen Beschluss zu fassen oder ein Rechtsgeschäft abzuschliessen. Nach vorherrschender Lehre ist eine Delegation lediglich für jene Beschlüsse untersagt, für welche das Gesetz in Art. 716a Abs. 1 OR eine unentziehbare Kompetenz des Verwaltungsrates – und damit ist eben eine solche des Gesamtverwaltungsrates gemeint – vorsieht. Von der genannten Bestimmung erfasst sind insb. die grundlegenden organisatorischen Aufgaben wie bspw. die Oberleitung der Gesellschaft, die Ernennung und Abberufung von Geschäftsführern etc., wie auch die Vorbereitung der Generalversammlung oder die Benachrichtigung des Richters im Fall der Überschuldung (Auswahl). In allen ausserhalb des Katalogs von Art. 716a Abs. 1 OR stehenden Beschlüssen ist eine Delegation dem Grundsatz nach erlaubt. Eine zusätzliche Beschränkung besteht indes noch dahingehend, dass mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates sowie – falls dieses keinen Wohnsitz in der Schweiz haben sollte – mindestens ein weiteres Verwaltungsratsmitglied oder ein Direktor mit Wohnsitz in der Schweiz zur Vertretung befugt sein müssen. Ist nur eine zur Vertretung berechtigte Person in der Schweiz wohnhaft, ist ihr Einzelzeichnungsrecht zu gewähren; bei zwei Personen mit Wohnsitz in der Schweiz ist Kollektivzeichnungsrecht ausreichend. 

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III. FEHLEN EINER RECHTLICH KORREKTEN DELEGATION

Wie bereits aufgezeigt, können Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis einzelner Verwaltungsratsmitglieder durchaus auseinanderfallen. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn einzelne Verwaltungsratsmitglieder, die im Handelsregister mit Einzelzeichnungsrecht eingetragen sind, im Alleingang, d.h. ohne die Zustimmung des Gesamtverwaltungsrates, Handlungen vollziehen. Oder in Konstellationen, in welchen zwar eine rechtlich gültige Delegation besteht, einzelne Mitglieder aber nicht im Rahmen dieser Delegation handeln, bspw., weil gemäss Organisationsreglement ein Ausschuss entscheidungsbefugt wäre. In beiden Fällen ist das jeweilige Verwaltungsratsmitglied zwar zu der entsprechenden Vertretung ermächtigt (aufgrund des Einzelzeichnungsrechts), jedoch nicht befugt. Die Auswirkungen, welche ein solches Verhalten zeitigt, sind zu differenzieren: Gegenüber einer/m unbeteiligten Dritten, welche/r in den seltensten Fällen Einsicht in die gesellschaftsrechtlichen Unterlagen wie Statuten oder Organisationsreglement haben wird, bleibt ein eigenmächtiges Verhalten, d.h. trotz Überschreiten der Vertretungsbefugnis, in aller Regel gültig. Die Aktiengesellschaft kann durch solches Verhalten also rechtsgültig verpflichtet werden. Aus diesem Grund ist ein Einzelzeichnungsrecht mit Vorbehalt einzuräumen. Der Vermerk eines Kollektivzeichnungsrechts schafft zumindest eine gewisse Kontrolle durch ein weiteres Mitglied. Denn ist ein Mitglied des Verwaltungsrates nur mit Kollektivzeichnungsrecht im Handelsregister eingetragen, darf auch ein Dritter nicht darauf vertrauen, dass ein von diesem VR-Mitglied alleine unterzeichneter Vertrag gültig ist. Einzelne Ausnahmen vorbehalten darf sich die Gesellschaft in einem solchen Fall auf die Publizitätswirkung des Handelsregisters berufen und sie kann sich mit Erfolg gegen die Rechtsverbindlichkeit des Vertrages zur Wehr setzen.

Gesellschaftsintern hat das eigenmächtige Verhalten eines Verwaltungsratsmitglieds, das gemäss Handelsregister zwar Einzelzeichnungsrecht hat, zur Folge, dass das betreffende Verwaltungsratsmitglied (oder ein Geschäftsführer oder Direktor) der Gesellschaft für pflichtwidriges Verhalten haftbar wird. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn ein Organisationsreglement existiert, dagegen aber verstossen wird. In Fällen, in welchen die Gesellschaft gar nicht über ein Organisationsreglement (oder ggf. auch über keine statutarische Grundlage dafür) verfügt und sich weder das betreffende VR-Mitglied, noch der Gesamtverwaltungsrat bewusst sind, dass eine Delegation gar nicht statthaft war, hat das Verhalten vielmehr die Konsequenz, dass gesellschaftsintern eben keine Möglichkeit besteht, das betreffende VR-Mitglied aufgrund eines Fehlverhaltens zu belangen. Der Gesamtverwaltungsrat bleibt damit für jegliche Konsequenzen aus einem solchen Handeln haftbar, da er es unterlassen hat, für eine rechtlich korrekte Kompetenzdelegation zu sorgen. Im Rahmen einer Verantwortlichkeitsklage dürfte es für die weiteren (nicht selbst handelnden) Verwaltungsratsmitglieder daher schwierig werden, sich mit dem Argument einer Haftung zu entziehen, sie hätten den Beschluss nicht aktiv mitgetragen. 

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IV. SCHLUSSFOLGERUNG

Die gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich Kompetenzdelegation sind vielen Verwaltungsräten, insb. in kleineren Gesellschaften, nicht bewusst. Die Folgen derselben können aber von grosser Tragweite sein. Dies spätestens dann, wenn sich die Mitglieder des Verwaltungsrates mit Verantwortlichkeitsansprüchen konfrontiert sehen, die aufgrund des Verhaltens eines einzelnen Verwaltungsratsmitgliedes entstanden sind, für welches eine rechtsgültige Delegation gar nicht bestand. Wie erwähnt, dürfte es in solchen Konstellationen schwierig werden, sich einer Haftung zu entziehen, da es an den Voraussetzungen für eine rechtsgültige Delegation und somit auch für die Abgabe der Verantwortung fehlte. Weiter ist zusammenfassend festzuhalten, dass Einzelzeichnungsrechte nur mit Zurückhaltung eingeräumt werden sollten. Die Auswirkungen eigenmächtigen Verhaltens einzelner Verwaltungsratsmitglieder, Geschäftsführer oder Direktoren können gravierend und die Möglichkeiten, auf das fehlbare Mitglied Regress zu nehmen, ernüchternd sein.  


18. Oktober 2021 / lic. iur. Patricia Geissmann


DAS AUSKUNFTSRECHT DES AKTIONÄRS

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Gemäss Art. 697 OR ist jeder Aktionär berechtigt, an der Generalversammlung vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verlangen. Wie weit dieses Auskunftsrecht geht bzw. wie detailliert die Auskünfte des Verwaltungsrates sein müssen, ist immer wieder Thema diverser rechtlicher Abhandlungen und Lehrmeinungen. Kürzlich hat sich auch das Bundesgericht wieder einmal mit dieser Frage befasst: Mit Entscheid vom 25. Februar 2021 (4A_561/2020) hat es einen weiteren wegweisenden Entscheid gefällt, der die strengen Einschränkungen dieses Auskunftsrecht erneut aufzeigt.

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I. DAS AUSKUNFTSRECHT ALS INFORMATIONS- UND KONTROLLRECHT DES AKTIONÄRS

Art. 697 OR regelt ein individuelles Recht auf Auskunft und Einsicht des Aktionärs. Die Gesellschaft bzw. der Verwaltungsrat ist dadurch unter gewissen Voraussetzungen zur Informationsoffenlegung gegenüber einem Aktionär verpflichtet. Grundsätzlich umfasst das Auskunftsrecht alle Informationen, die entscheidend sind, um die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Lage der Aktiengesellschaft beurteilen zu können. Jeder Aktionär muss die Möglichkeit haben, sich ein Bild der Gesellschaft zu machen, da dieses Bild letztlich für den Entscheid ausschlaggebend ist, ob sich der Aktionär weiterhin an der Gesellschaft beteiligen wird oder seine Anteile gegebenenfalls zu veräussern versucht.

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II. INHALTLICHE SCHRANKEN DES AUSKUNFTSRECHTS

Was auf den ersten Blick umfassend und detailliert anmuten mag, ist in der Praxis weitgehenden Schranken ausgesetzt. So kann ein Aktionär sein Auskunftsrecht insb. nur für solche Informationen ausüben, die allgemeiner Natur sind. Einzelheiten zur Geschäftsführung sind grundsätzlich nicht zu erstatten, es sei denn, der betreffende Aktionär kann nachweisen, dass eine detaillierte Auskunft über einen Geschäftsgang für die Ausübung seiner Aktionärsrechte zwingend erforderlich ist. Es wird also ein aktuelles Rechtschutzinteresse des Aktionärs an der betreffenden Information verlangt. Zudem dürfen Auskünfte immer dann verweigert werden, wenn ihr Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdige Interessen der Gesellschaft entgegenstehen.

Mit der Frage, wann eine Auskunft effektiv notwendig ist, d.h. wann ein aktuelles Rechtschutzinteresse eines Aktionärs zu bejahen ist, hat sich das Bundesgericht in einem kürzlich erschienenen Entscheid erneut befasst. Dem Entscheid 4A_561/2020 lag ein Fall zugrunde, in dem eine Aktionärin Auskunft über die konkrete Aufschlüsselung der Verwaltungsratshonorare verlangte. Die Doktrin hatte sich in der Vergangenheit bereits intensiv mit der Frage befasste, ob der Verwaltungsrat die Auszahlung seiner Honorare mit Blick auf die Privatsphäre der einzelnen Mitglieder generell nicht aufzuschlüsseln hat oder ob er gegebenenfalls dazu verpflichtet werden kann. Teilweise wird die Lehrmeinung vertreten, dass Auskünfte über die Aufschlüsselung nie verhältnismässig seien. Diesbezüglich hat das Bundesgericht in seinem neusten Entscheid nun festgehalten, dass diese Frage basierend auf der gesetzlichen Bestimmung nicht generell mit ja oder nein beantwortet werden könne. Vielmehr sei auch bei dieser Frage entscheidend, ob die betreffende Information für die Wahrung der konkret geltend zu machenden Aktionärsinteressen notwendig sei. 

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III. DAS ERFORDERNIS DER NOTWENDIGKEIT

Das Erfordernis der Notwendigkeit einer Auskunft für die Wahrnehmung der Aktionärsrechte stellt damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Anspruch eines Aktionärs auf Auskunft gegenüber dem Verwaltungsrat dar. Zugleich werden an die Erfüllung dieser Voraussetzung hohe Anforderungen gestellt. Dies hat das Bundesgericht in seinem neusten Entscheid erneut bestätigt. Im zu behandelnden Fall hat die auskunftsersuchende Aktionärin hinsichtlich der Notwendigkeit geltend gemacht, dass sich die Verwaltungsratsmitglieder, die alle Mitglieder ihrer Familie waren, bereits in der Vergangenheit stets dort «bedient» hätten, «wo es am besten geht». Sie schilderte das Bild einer eigentlichen «Gefahrensituation», ohne jedoch detailliert auf einzelne Ereignisse einzugehen, die sie zur Annahme veranlassten, dass die einzelnen Familien- und Verwaltungsratsmitglieder auch hinsichtlich der betreffenden Aktiengesellschaft ein übersetztes Honorar beziehen und sich damit ungerechtfertigt an der Gesellschaft bereichern. Die Klägerin machte lediglich geltend, dass es sich rechtfertige, gestützt auf diese Gefahrensituation «näher hinzusehen», um ein weiteres rechtswidriges Verhalten zu verhindern.

Das Bundesgericht hielt fest, dass die Darstellungen der betreffenden Aktionärin und Klägerin zu wenig konkret seien, um eine solch detaillierte Auskunft wie die Aufschlüsselung von Verwaltungsratshonoraren zu rechtfertigen. Die von ihr vorgetragene Gefahrensituation wurde als zu pauschal qualifiziert, als dass sich daraus ein aktuelles Rechtsschutzinteresse hinsichtlich einer Rückforderungs- oder Verantwortlichkeitsklage gegen einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats ergeben könnte. Diese Rechtsbehelfe bestünden in der jetzigen Situation der Klägerin erst als abstrakte Möglichkeit und es sei nicht dargelegt worden, dass das Ergreifen dieser Rechtsbehelfe bei entsprechender Information bereits konkret in Betracht falle. Ebenso wenig fehlten dem obersten Gericht konkrete Anhaltpunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattungs- oder Verantwortlichkeitsklage auch effektiv erfüllt sein könnten.

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IV. FAZIT UND WÜRDIGUNG DES ENTSCHEIDS

Der Entscheid des Bundesgerichts ist insofern zu begrüssen, als dass er wieder einmal etwas Klarheit darüber schafft, wann das Erfordernis der Notwendigkeit einer Auskunft für die Wahrnehmung der Aktionärsrechte gegeben ist und welche Anforderungen an dieses Kriterium zu setzen sind. Inhaltlich stellt sich allerdings die Frage, ob das Auskunftsrecht des Aktionärs damit nicht seines eigentlichen Sinnes entleert wird. Wenn der Verdacht, dass sich einzelne Verwaltungsratsmitglieder ungerechtfertigt am Vermögen der Gesellschaft bereichern, im Zeitpunkt der Einforderung der Auskunft über die Honorare bereits dermassen konkretisiert sein muss, dass beinahe schon die Voraussetzungen für die Einleitung einer Rückforderungs- oder Verantwortlichkeitsklage erfüllt sind, fragt sich, ob eine Auskunft dann überhaupt noch erforderlich ist. Bei einem dermassen konkreten Verdacht, wenn nicht gar bereits Wissen, könnten die entsprechenden Unterlagen grundsätzlich auch bereits in einem entsprechenden Gerichtsprozess (Rückforderungs- oder Verantwortlichkeitsklage) zur Edition verlangt werden. Ob dies wirklich Sinn und Zweck des Auskunftsrechts ist, wagt die Autorin zu bezweifeln.


25. Juni 2021 / lic. iur. Patricia Geissmann


NEUE MÖGLICHKEITEN BEI DER DURCHFÜHRUNG VON GENERALVERSAMMLUNGEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 19. Juni 2020 verabschiedete das Parlament die dritte grosse Aktienrechtsrevision in der Geschichte des vereinheitlichten Gesellschaftsrechts. Eine entscheidende Modernisierung erfahren insb. die Vorschriften zur Durchführung der Generalversammlung. Die neuen Bestimmungen werden voraussichtlich per 1. Januar 2022 in Kraft treten. Aufgrund des Änderungsbedarfs der Statuten, welcher wie immer geplant sein will, soll indes bereits heute auf die neuen Möglichkeiten im Bereich der Abhaltung der Generalversammlung hingewiesen werden.

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I. EINLEITUNG

Die Aktienrechtsrevision 2020 beinhaltet eine weitgehende Überarbeitung in den Bereichen Corporate Governance, Aktionärsrechte, Generalversammlung, Aktienkapital, aktienrechtlicher Klagen, in der Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat sowie im Sanierungsrecht. Im Bereich der Durchführung von Generalversammlungen soll einerseits den Gesellschaften mehr Flexibilität eingeräumt werden, andererseits sollen aber auch die Teilnahmerechte der Aktionäre gestärkt werden. Nachfolgend werden die gewichtigsten Änderungen auszugsweise vorgestellt.

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II. WESENTICHE NEUERUNGEN (AUSZUG)

a) Elektronische Einberufung der Generalversammlung

Art. 696 OR ermöglicht bereits heute die elektronische Einberufung der Generalversammlung, solange die Statuten diese Möglichkeit vorsehen. Der Geschäfts- bzw. Revisionsbericht muss indes nach geltendem Recht auch bei einer elektronischen Einberufung physisch am Sitz der Gesellschaft aufgelegt sein. Auf dieses Erfordernis wird unter dem revidierten Recht verzichtet. Geschäfts- und Revisionsbericht müssen den Aktionären lediglich zugänglich gemacht werden. Neu können diese Unterlagen also auch elektronisch zur Verfügung gestellt werden.

Inhaltlich muss sich die elektronische Einberufung der Generalversammlung neu auch dazu äussern, ob die Versammlung physisch oder gegebenenfalls auch virtuell stattfindet, denn diese Möglichkeiten bietet die Aktienrechtsrevision. Und es ist in der Einladung auch anzugeben, ob – im Fall einer nach wie vor physisch stattzufindenden Versammlung – diese an einem oder an mehreren Orten erfolgt.

Wie erwähnt, muss die Möglichkeit der elektronischen Einberufung der Generalversammlung in den Statuten verankert sein. Fehlt diese, sind die in der Versammlung getroffenen Beschlüsse anfechtbar.

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b) Tagungsort(e) der Generalversammlung

Entgegen dem geschriebenen geltenden Recht kann eine Generalversammlung nach revidiertem Aktienrecht nicht nur an einem Ort, sondern nun offiziell auch an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden. Die Lehre lässt dies bereits unter geltendem Recht zu, sofern sachliche Gründe vorliegen. Die Aktienrechtsrevision schafft insofern ein Stück mehr Rechtssicherheit, indem diese Möglichkeit nun auch gesetzlich verankert wird und auf das Vorliegen sachlicher Gründe verzichtet. Möglich ist neu auch, dass der Tagungsort (auch ohne sachliche Gründe) ins Ausland verlegt werden kann. Dabei gilt es indes nach wie vor zu beachten, dass die Ausübung der Aktionärsrechte – wenn auch nur jene einer Minderheit – dadurch nicht in unsachlicher Weise erschwert werden darf. Das Gleichbehandlungs- und Sachlichkeitsgebot gilt nach wie vor und ist zu wahren.

Einen erweiterten Spielraum gewährt das neue Gesetz, indem bei eingeschränkter Erreichbarkeit eines Tagungsortes für einzelne Aktionäre eine virtuelle Teilnahmemöglichkeit geschaffen werden kann oder denjenigen Aktionären, denen eine Teilnahme nicht oder nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich ist, ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter zur Seite gestellt wird. Die Nichteinhaltung dieser Bestimmungen hätte – wie auch schon bis anhin – die Anfechtbarkeit sämtlicher in einer solchen Versammlung gefasster Beschlüsse zur Folge.

Soll die Generalversammlung im Ausland stattfinden, haben die Statuten hierfür die Grundlage zu schaffen. Diese erfordert eine qualifizierte Mehrheit, d.h. 2/3 der Aktienstimmen und die Mehrheit der Aktiennennwerte. Weiter hat der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen, welcher auf Wunsch hin die Stimmen der nicht anwesenden Aktionäre ausübt.

Bei der Durchführung einer Generalversammlung im Ausland gilt es weiter zu beachten, dass Beschlüsse, die der öffentlichen Beurkundung unterliegen, nicht von einem Schweizer Notar beurkundet werden können. Diesbezüglich ist die Gesetzgebung am Tagungsort zu beachten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei Abhaltung der Generalversammlung im Ausland gegebenenfalls ein ausländischer Gerichtsstand für Anfechtungsklagen geschaffen wird. Soweit sowohl ein ausländischer, als auch ein inländischer Tagungsort gewählt wird, steht der Beurkundung der Beschlüsse durch einen am Tagungsort in der Schweiz (in seinem Hoheitskanton) anwesenden Notar nichts im Weg.

Für die Durchführung einer Generalversammlung an mehreren Tagungsorten (sofern nicht im Ausland) bedarf es keiner besonderen Statutenbestimmung. Es muss indes sichergestellt sein, dass die Versammlungen alle gleichzeitig durchgeführt werden und es müssen sämtliche Voten von allen Teilnehmern unmittelbar in Bild und Ton übertragen werden können. Bedürfen solche Generalversammlungsbeschlüsse der öffentlichen Beurkundung, reicht es aus, wenn sich der beurkundende Notar an einem der diversen physischen Tagungsorte befindet und von dort aus die Beschlüsse, die über virtuelle Übertragung auch an anderen Tagungsorten gefasst werden, beurkundet.

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c) Physische vs. virtuelle Durchführung der Generalversammlung

Neu ist es möglich, dass Aktionäre ihre Stimme an der Generalversammlung elektronisch ausüben (sog. «direct voting»). Bisher existierte lediglich die Möglichkeit, Instruktionen zuhanden eines Stimmrechtsvertreters elektronisch zu erteilen. Die Aktienrechtsrevision weitet die Aktionärsrechte diesbezüglich also aus. Eine statutarische Grundlage ist für die elektronische Stimmabgabe nicht erforderlich; die diesbezügliche Entscheidungskompetenz liegt beim Verwaltungsrat, wobei er die Sicherheitsvorschriften gem. Art. 701e Abs. 2 revOR zu wahren hat. Diese Bestimmungen beinhalten, kurz zusammengefasst, dass (i) die Identität der Aktionäre in jedem Fall feststellbar ist. Diesbezüglich geht das Spektrum von der Vorweisung einer Identitätskarte bis hin zur Anwendung einer Gesichtserkennungssoftware. Weiter ist an der virtuellen Generalversammlung sicherzustellen, dass (ii) eine unmittelbare Übertragung der Voten erfolgt (sog. Unmittelbarkeitsprinzip), (iii) jeder Aktionär aktiv teilnehmen und auch Anträge stellen kann, und (iv) das virtuell getroffene Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Diese Voraussetzungen zeigen, dass es also auch möglich sein wird, eine Generalversammlung ohne Bildübertragung, d.h. bspw. Lediglich per Telefon, durchzuführen.

Soll nicht nur die Stimmabgabe virtuell erfolgen, sondern die Generalversammlung als solche virtuell durchgeführt werden, ist eine statutarische Grundlage erforderlich. Kommt diese mit einer Mehrheit zustande, können sich einzelne Aktionäre somit nicht gegen eine virtuelle Durchführung der Generalversammlung wehren. Der Verwaltungsrat hat lediglich vorzusehen, dass die technischen Anforderungen die Teilnahme auch einem durchschnittlich begabten und mit technischen Hilfsmitteln ausgerüsteten Aktionär ermöglichen.

Das Rede- und Fragerecht an der virtuellen Generalversammlung ist selbstverständlich zu wahren. Somit muss eine unmittelbare Kommunikation in jedem Fall gewährleistet sein. Eine Durchführung per E-Mail ist nicht möglich, da diese das Unmittelbarkeitsprinzip nicht wahrt. Das gleiche Problem stellt sich bei der Übermittlung von Audiodateien. Bei kleineren Generalversammlungen ist daher zu überlegen, ob nicht eine Telefonkonferenz das einfachste, und den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich genügende, Mittel darstellt. Dies selbstverständlich vorausgesetzt, eine Identifizierung kann stattfinden, was aber insb. bei kleineren Gesellschaften meist der Fall sein wird.

Kommt es bei der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung zu nicht behebbaren technischen Problemen, muss die Versammlung zumindest teilw. wiederholt werden. Denn unter technischen Problemen gefasste Beschlüsse sind ungültig. Hiervon zu unterscheiden sind Schwierigkeiten, die im Verantwortungsbereich der Aktionäre liegen. Diese machen die Beschlussfassung nicht ungültig. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht flächendeckend und einen Grossteil der Aktionäre betreffen, wie bspw. bei einem Stromausfall oder einem breitflächigen Ausfall / Unterbruchs des Internets. Die Abgrenzung zwischen Problemen im Verantwortungsbereich der Gesellschaft bzw. eben der Aktionäre dürfte im Einzelfall schwierig sein und die Gesellschaften vor neue Herausforderungen stellen.

Müssen Beschlüsse in einer virtuellen Generalversammlung beurkundet werden, stellt sich die Frage, ob bezüglich des Hoheitsgebiets des betreffenden Notars besondere Regelungen gelten. Aktuell wird indes überwiegend die Meinung vertreten, die virtuelle Teilnahme auch des Notars sei unbegrenzt möglich, solange er sich physisch in seinem Hoheitsgebiet befindet und von dort aus die Beurkundung der virtuell gefassten Beschlüsse vornimmt.

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III. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, wird den Aktiengesellschaften nach revidiertem Aktienrecht ein breites Spektrum an neuen Möglichkeiten zur Seite gestellt, insb. wenn es darum geht, die Generalversammlung zu organisieren und durchzuführen. Dass Erneuerungen in diesem Bereich längst fällig sind, haben nicht zuletzt auch die vergangenen Monate gezeigt, in denen die Pandemie grössere Personenversammlungen verunmöglichte. Wie immer schaffen neue Möglichkeiten aber auch neue Herausforderungen, insb. im technischen Bereich. Zu begrüssen ist, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der neuen Regelungen auch kleinere Aktiengesellschaften im Fokus hatte, weshalb insb. für Gesellschaften mit kleinem Aktionärskreis mehr Flexibilität geschaffen wurde.


15. Februar 2021 / lic. iur. Patricia Geissmann


STOLPERSTEINE BEI DER UNTERNEHMENSNACHFOLGE

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden
MLaw Simone Küng

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden
Lic. iur. Patricia Geissmann

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Die Suche nach einem Nachfolger für das eigene Unternehmen kann viel Zeit für sich beanspruchen. Umso grösser ist die Freude, wenn der passende Nachfolger gefunden ist. Die Abwicklung der Nachfolgeregelung im Unternehmen kann hingegen diverse gesellschaftsrechtliche wie auch steuerrechtliche Fallen mit sich bringen. Während der Verkauf des Unternehmens unbedingt vertraglich abgesichert sein sollte, sind vor der Veräusserung auch familieninterne ehe- und erbrechtliche Ansprüche zu prüfen. Die Unternehmensnachfolge birgt folglich einige Stolpersteine, welche es zu vermeiden gilt. Anhand dreier Beispiele für Nachfolgeregelungen aus der Praxis werden nachfolgend einzelne dieser Stolpersteine aufgezeigt, analysiert und dazugehörige Lösungsvorschläge unterbreitet.

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I. UNTERNEHMENSEXTERNE NACHFOLGEREGELUNG (VERKAUF AN EINEN UNBETEILIGTEN DRITTEN)

Im vorliegenden Fall wurde die Muster AG von Herrn Meier gegründet. Er führte das Unternehmen über 20 Jahre lang erfolgreich, bis er seinen Ruhestand plante. Er lernte Herrn Vogt kennen und verkaufte ihm das Unternehmen für CHF 1.5 Mio. Zur Übernahme gründete Herr Vogt die Muster Holding AG, welche die Aktien mit Hilfe eines Bankkredits von Herrn Meier kaufte. Bei der Muster AG handelte es sich um ein Dienstleistungsunternehmen, welches weitgehend personenbezogen geführt wurde. Entsprechend vereinbarten die Parteien, dass Herr Meier Herrn Vogt den Kunden der Muster AG als seinen Nachfolger vorstellen (Anbindung der Kunden) und selbst noch einige Jahre im Betrieb tätig sein wird (Know-how-Transfer), bevor er sich definitiv pensionieren lässt. Der Kaufpreis von CHF 1.5 Mio. basierte hauptsächlich auf prognostizierten Umsatzzahlen. Nur wenige Monate nach Vertragsunterzeichnung verliess Herr Meier die Muster AG, gründete nur wenige Kilometer entfernt ein Konkurrenzunternehmen, nahm den Grossteil der Mitarbeiter der Muster AG mit und warb nahezu alle bisherigen Kunden der Muster AG für sein neues Konkurrenzunternehmen ab. In der Folge brach der Umsatz der Muster AG massiv zusammen und die Rückzahlung des Bankkredits war gefährdet. Wie konnte es so weit kommen?

Herr Meier wurde vertraglich nicht an die Muster AG gebunden – weder in Form eines (befristeten) Arbeitsvertrages noch in Form einer Gewährleistung im Aktienkaufvertrag. Weiter vereinbarten die Parteien im Aktienkaufvertrag nur ein ungenügendes Konkurrenzverbot, welches de facto die Tätigkeit an sich in einem Konkurrenzunternehmen nicht untersagte. Auch ein Abwerbeverbot von Kunden oder der Mitarbeiter wurde in keiner Weise vertraglich vereinbart und obwohl der Kaufpreis der Muster AG nahezu nur auf Umsatzzahlen basierte, wurde von Herrn Meier keinerlei Gewährleistung für zukünftige Umsatzzahlen übernommen. Dies bedeutet, dass eine Kaufpreisrückerstattung oder eine nachträgliche Kaufpreisanpassung bei Umsatzeinbruch nicht vertraglich abgesichert war. Sämtliche Punkte hätten im Rahmen eines Aktienkaufvertrages schriftlich geregelt und abgesichert werden können und sollen.

Der Aktienkaufvertrag enthielt hingegen eine andere Bestimmung, nämlich zur sog. «indirekten Teilliquidation». Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen sind grundsätzlich steuerfrei. Dies bedeutet, dass der Kaufpreis, den Herr Meier für die Muster AG erhalten hat, grundsätzlich nicht zu versteuern ist. Ausnahmen bestehen bei der Veräusserung von mind. 20% der Aktien von einer Privatperson an eine juristische Person sofern nicht betriebsnotwendige Substanz (Gewinnvorträge, Reserven), welche bereits am Vollzugstag des Verkaufs der Muster AG vorhanden war, innert 5 Jahren durch den Käufer, vorliegend Herrn Vogt, entnommen werden. Würde Herr Vogt also in einem Zeitrahmen von 5 Jahren nach dem Vollzug des Kaufvertrages bereits bestehende, nicht betriebsnotwendige Substanz ausschütten, hat Herr Meier nachträglich einen Teil des Kaufpreises als Einkommen zu versteuern. Um einer solchen Steuerforderung vorzubeugen, kann der Verkäufer entweder vor dem Verkauf seiner Gesellschaft sämtliche handelsrechtlich ausschüttungsfähige und nicht betriebsnotwendige Substanz ausschütten oder er sichert sich – wie im vorliegenden Fall ­ über den Aktienkaufvertrag ab, in dem er die ihn betreffenden potentiellen Steuerfolgen vertraglich auf den Käufer abwälzt.

Dem Thema der indirekten Teilliquidation ist bei der Gründung einer sog. «Akquisitionsholding», wie im vorliegenden Fall die Muster Holding AG, welche die Aktien des zu erwerbenden Unternehmens kaufte somit besondere Beachtung zu schenken. Eine Akquisitionsholding wird vornehmlich deshalb gegründet, damit die aus der Muster AG fliessenden Dividenden steuerbegünstigt an die Muster Holding AG fliessen und eine kurzfristigere Rückzahlung des Akquisitionskredits gewährleisten.

II. UNTERNEHMENSINTERNE NACHFOLGEREGELUNG (MANAGEMENT BUY-OUT)

A und B haben die XY-AG gegründet und möchten die langjährigen Mitarbeiter C und D als Nachfolger nachziehen. C und D sind bereits mit Aktien an der XY-AG beteiligt. Nun sollen auch die restlichen Aktien von A und B an C und D veräussert werden, womit die XY-AG vollumfänglich an C und D übergehen würde. Auch hier gründeten die Käufer (C und D) zur Kaufpreisfinanzierung eine Akquisitionsholding. Im Rahmen der Gründung der Holding brachten C und D ihre bisherigen Aktien an der XY-AG zum inneren Wert, d.h. zum Verkehrswert, als Sacheinlage in die Akquisitionsholding ein.

A und B haben sich bewusst für die langjährigen Mitarbeiter C und D als Nachfolger entschieden (interne Nachfolge). Damit die Wunschnachfolge nicht am Kaufpreis scheiterte, entschieden sich A und B, C und D die Aktien an der XY-AG vergünstigt weiterzugeben. Die Folge dieser Transaktion: Massive Steuernachzahlungen auf Seiten von C und D und zwar aus unterschiedlichen Gründen.

Eine Steuerfalle in der vorliegenden Konstellation liegt im sogenannten Transponierungstatbestand begründet. Wie vorstehend beschrieben, brachten C und D ihre Aktien zum inneren Wert in die Akquisitionsholding ein. Die Differenz zwischen dem Nominalwert und dem inneren Wert dieser Aktien wurde C und D als Darlehen in der Akquisitionsholding gutgeschrieben. Dieser Vorgang wird von den Steuerbehörden indes als «Verkauf an sich selbst» qualifiziert. Könnte ein solcher Verkauf steuerfrei abgewickelt werden, würde das latent auf den Aktien haftende Steuersubstrat (Einkommenssteuern) auf zukünftige Gewinnentnahmen vernichtet. Dies wird von den Steuerbehörden nicht akzeptiert. Folglich wird die Differenz zwischen dem inneren Wert (welcher C und D in den Büchern der Akquisitionsholding gutgeschrieben wurde) und dem Nominalwert der eingebrachten Aktien als Einkommen versteuert und zwar bereits im Zeitpunkt der Einlage der Aktien. Verhindert werden kann diese Steuernachzahlung dadurch, dass die Aktien entweder lediglich zum Nominalwert in die Akquisitionsholding eingebracht werden, oder aber zum inneren Wert, wobei die Differenz zwischen dem inneren Wert und dem Nominalwert in die freien Reserven der Akquisitionsholding fliessen (sog. «Agio-Lösung»). Empfohlen wird in solchen Situationen stets ein Ruling des inneren Wertes der Aktien.

Eine weitere Steuerfalle bildet der Verkauf der Aktien zu Vorzugskonditionen. Die Aktien von C und D wurden von der Steuerbehörde als «Mitarbeiteraktien» qualifiziert, da sie C und D zu einem tieferen Preis als zum inneren Wert übergeben wurden. Die Differenz zwischen dem inneren Wert der Aktien und dem eigentlichen Kaufpreis wird von den Steuerbehörden als Lohn qualifiziert, was bei C und D zu Einkommenssteuern führte. Diesen Steuerfolgen können vorgebeugt werden, indem der Kaufpreis der Aktien für den Fall der internen Nachfolge bereits in Gesellschaftsdokumenten (bspw. in einem Aktionärsbindungsvertrag) festgehalten wird. Alternativ kann der den Aktien potentiell zugerechnete Mehrwert auch reduziert werden, in dem das Verhältnis Lohn / Gewinnanteil bei der zu übernehmenden Gesellschaft richtig festlegt wird. Dadurch soll verhindert werden, dass ein potentiell mit den Aktien zusammenhängender Gewinnanteil im Verhältnis zum Lohn untergeordnet ist. Auch hier empfiehlt es sich, den Aktienwert bzw. den Kaufpreis mit den Steuerbehörden zu rulen.

Eine nicht steuerlich, sondern gesellschaftsrechtlich bedingte Hürde ergibt sich in solchen Konstellationen übrigens sehr häufig durch eine lückenhafte Aktionärskette: Im Rahmen der Vertragsverhandlungen über den Ver-/Kauf einer Aktiengesellschaft wird ein umsichtiger Käufer in der Regel Einblick in die Aktionärskette verlangen. Dabei zeigt sich wiederholt, dass in der Vergangenheit die Aktien nicht rechtsgültig auf deren Nachfolger übertragen worden sind. Insbesondere bei Aktiengesellschaften, welche vor dem 1. Januar 2008 gegründet wurden, ist Vorsicht geboten. Vor dem 1. Januar 2008 waren für die Gründung einer Aktiengesellschaft drei natürliche Personen notwendig, eine Einmann-Aktiengesellschaft gab es damals noch nicht. Deshalb fungierten bei Aktiengesellschaftsgründungen vor dem 1. Januar 2008 oftmals noch Treuhänder und Familienmitglieder als Gründungsmitglieder, welche jeweils ein paar wenige Aktie hielten. Die Übertragung der Aktien solcher «Strohmänner» auf den designierten Gründer wurde dann oftmals vernachlässigt, womit die Aktionärskette bereits ganz zu Beginn der History die erste Lücke aufweist. Dies führt streng juristisch dazu, dass die heute zum Verkauf stehenden Aktien gar nie rechtmässig auf den heutigen Verkäufer übertragen wurden und er damit streng juristisch gesehen auch nicht Eigentümer dieser Aktien ist. Folglich kann er die Aktien auch nicht weiterveräussern. Eine lückenhafte Aktionärskette kann sich in der Kaufpreisdebatte für den Verkäufer negativ auswirken, da die Käufer selten bereit sein werden, für etwas zu bezahlen, das ihnen rechtlich gar nicht übergeben werden kann. Es wird daher empfohlen, vor dem Verkauf der Aktien die Aktionärskette rückwirkend wiederherzustellen. Vorzugsweise erfolgt dies durch das nachträgliche Einholen der Unterschriften von ehemaligen Aktionären (auf einem Indossament oder auf einer separaten Zession).

III. FAMILIENINTERNE NACHFOLGEREGELUNG (ERBRECHTLICHE ASPEKTE)

Im vorliegenden Fall war es dem Geschwisterpaar A und B (Familie Muster) ein Anliegen, dass das Familienunternehmen, die Immo-AG, den Stamm der Familie Muster nicht verlässt. A hatte zwei Kinder, womit die familieninterne Übergabe gesichert war. B war hingegen kinderlos, aber verheiratet mit C. Sollte B vorversterben, bestand die Gefahr, dass ein Grossteil des Unternehmens in die Hände einer «fremden» bzw. angeheirateten Familie fallen würde. Dies wollten die Geschwister vermeiden. Da die Immo-AG rund CHF 5 Mio. Wert war und damit den Hauptvermögenswert von A und B darstellte, hätte C im Falle des Vorversterbens von B nicht einfach ausbezahlt werden können – dafür fehlten A die liquiden Mittel. C wäre aber im Falle des Vorversterbens von B pflichtteilsgeschützt, womit ihm auf jeden Fall ein beträchtlicher Vermögensanteil zugestanden hätte. Ein Verzicht auf ein allfälliges Erbe kam für C nicht in Betracht. Wenn der Pflichtteilserbe also weder ausbezahlt werden kann, noch auf sein Erbe verzichten möchte, wie kann die familieninterne Nachfolge gesichert werden?

Die einfachste, wenn auch in der Praxis etwas aufwendige Lösung besteht darin, vertraglich vorzusehen, dass die Aktien der Immo-AG von A im Falle des Vorversterbens von B in Stimmrechtsaktien umgewandelt werden. So ist die Stimmenmehrheit der Familie Muster nach dem Tod von B gesichert. C erhält zwar die Aktien der Immo-AG, mitbestimmen kann er aber aufgrund der Stimmrechtsaktien von A kaum, wobei es einige Beschlüsse gibt, bei welchen die Stimmrechtsaktien keine Wirkung entfalten (bspw. die Einleitung einer Sonderprüfung, die Wahl der Revisionsstelle etc.). Finanziell ist C an der Immo-AG beteiligt (Dividenden, Liquidationsanteil etc.) und er kann auch über seinen Aktienanteil frei verfügen. Dadurch schwingt natürlich das Risiko mit, dass eines Tages doch ein Fremder am Familienunternehmen der Familie Muster beteiligt ist, wenn auch ohne entscheidende Stimmkraft. Soll auch dies verhindert werden, besteht alternativ die Möglichkeit, vertraglich vorzusehen, dass im Falle des Versterbens von B die Aktien von B auf A zu übertragen sind und C lediglich eine lebzeitige Nutzniessung an den Aktien von B erhält. So kann die Stimmenmehrheit der Familie Muster wieder gesichert werden (da sie die Aktien hält, hat sie auch die Stimmrechte). C, welcher nur eine Nutzniessung am Aktienanteil hat, profitiert lediglich von den Vermögenswerten (Dividenden, Liquidationsanteil etc.), wobei der Dividendenbeschluss allein von der Familie Muster gefällt wird (Ausblutungsgefahr von C). Problematisch wird diese Konstellation dann, wenn die Nutzniessung an den Aktien zugunsten von C nicht die Höhe seines Pflichtteils erreicht. Die Nutzniessung an den Aktien wird bewertet – je älter C ist, desto weniger Wert wird die Nutzniessung sein. Fällt der Wert der Nutzniessung tiefer als sein Pflichtteil aus, so wäre er im Umfang der Differenz von den restlichen Erben auszubezahlen. Zu bedenken ist zudem, dass die Zuweisung von Aktien im Erbfall Erbschaftssteuern auslöst. A müsste also nebst einer allfälligen Auszahlung an C auch mit Erbschaftssteuern rechnen, weshalb diese Variante nur in Frage kommt, wenn A über genügend Liquidität verfügt. Alternativ bestünde die Möglichkeit, sich mit C vertraglich zu einigen, wobei C teilweise auf sein Erbe verzichtet, im Gegenzug wird ihm bspw. eine gewisse Dividendenausschüttung zugesichert.

IV. SCHLUSSBETRACHTUNG

Auch wenn sich die Vertragsparteien im Rahmen einer Nachfolgeregelung von Beginn weg einig zu sein scheinen, sollte diese in keinem Fall überstürzt erfolgen. Eine sorgfältige Herangehensweise unter Berücksichtigung sowohl gesellschaftsrechtlicher, steuerrechtlicher wie auch erbrechtlicher Aspekte ist unabdingbar, auch wenn die einzelnen diesbezüglichen Abklärungen eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wie die drei vorstehenden Beispiele von Unternehmensnachfolgen aus der Praxis zeigen, können insbesondere auf Anhieb pragmatisch erscheinende Lösungsansätze zu massiven Steuerfolgen führen, sofern diesen Themen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies ist umso ärgerlicher, da in den weitaus meisten Fällen durchaus alternative Abwicklungsmöglichkeiten ohne unliebsame (Steuer-)Folgen bestehen. Weiter kommt aber auch der Ausgestaltung des Aktienkaufvertrags eine wesentliche Bedeutung zu. Eine minimale vertragliche Absicherung sollte in jedem Vertrag enthalten sein, auch wenn die Vorzeichen für die Transaktion und ggf. auch für die weitere Zusammenarbeit der Parteien gut stehen. Ist ein Streit im Nachgang einer Unternehmenstransaktion erst entfacht, kann ein vorteilhaft abgefasster Kaufvertrag zumindest die finanziellen Schäden in Schach halten und hoffentlich auch einen jahrelangen Zivil- und Strafprozess verhindern.


16. Oktober 2020 / Lic. iur. Patricia Geissmann und MLaw Simone Küng


ZULÄSSIGKEIT UND TÜCKEN DES MANTELHANDELS

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Kauf eines Gesellschaftsmantels, insb. des Mantels einer AG oder einer GmbH, erscheint oftmals als attraktive Alternative zur Gründung einer neuen Gesellschaft. Zukünftige Gesellschafter bzw. Aktionäre erhoffen sich so vor allem die Einsparung von Kosten – einerseits von Gründungskosten, andererseits aber auch die Einsparung des zu liberierenden Gesellschaftskapitals. Das Bundesgericht beurteilt den Mantelhandel an sich, d.h. den eigentlichen Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Käufer eines Gesellschaftsmantels, indes seit jeher als unzulässig. Die Konsequenzen sind den Beteiligten allerdings nicht immer bewusst. 

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I. WAS IST EIN GESELLSCHAFTSMANTEL?

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt eine Mantelgesellschaft – meist ein Aktienmantel oder ein GmbH-Mantel – dann vor, wenn die betreffende Gesellschaft keinen eigentlichen materiellen, wirtschaftlichen Gehalt mehr hat und folglich nur noch als formales rechtliches Gebilde fortbesteht. Inhaltlich ist die Gesellschaft daher sozusagen «entkleidet». Wirtschaftlich betrachtet ist sie auch in den meisten Fällen schon fast vollständig liquidiert und existiert nur noch von Rechts wegen, da sie formell noch nicht aufgelöst wurde. Mantelgesellschaften sind also wie alle anderen Gesellschaften im Handelsregister eingetragen. Später hat das Bundesgericht diese Definition etwas erweitert und den Begriff «Gesellschaftsmantel» auch auf Gesellschaften ausgedehnt, die durchaus noch über gewisse Aktiven verfügen, allerdings meist lediglich über Aktiven in flüssiger Form.

Die Bilanz einer
Mantelgesellschaft stellt sich daher sehr einfach dar. Meist existieren auf der
Aktivseite wenige flüssige Mittel und/oder Darlehensforderungen gegenüber
Beteiligten sowie ggf. auch ein Verlustvortrag. Auf der Passivseite steht meist
nur noch das Gesellschaftskapital. Die Erfolgsrechnung einer Mantelgesellschaft
präsentiert sich ebenfalls sehr schlank, da die Gesellschaft wie erwähnt am
Markt gar nicht mehr aktiv ist und folglich auch keine betriebsspezifischen Aufwands-
und Ertragspositionen mehr auszuweisen hat.

Das Bundesgericht
bezeichnet Mantelgesellschaften grundsätzlich als rechtswidrig. Darauf ist
unten, in Ziff. III., nochmals zurückzukommen.

II. BEWEGGRÜNDE FÜR DEN MANTELHANDEL

Man mag sich fragen, was einen Käufer dazu bewegt, eine Gesellschaft erwerben zu wollen, die vom Bundesgericht als rechtswidrig bezeichnet wird. Häufig locken hier wohl erste finanzielle Überlegungen des Käufers. Während bei der Neugründung einer AG oder einer GmbH auf Anhieb – und zwar noch vor dem eigentlichen Gründungsakt – das gesamte Gesellschaftskapital (bzw. bei der teilliberierten Aktiengesellschaft mindestens 20% und in jedem Fall mindestens CHF 50’000.00) liberiert werden muss und somit für viele Gründer eine nicht unbeachtliche Summe Geld einbezahlt oder mittels Sachwerten zur Verfügung gehalten werden muss, ist bei einem Mantelkauf «nur» der Kaufpreis zu bezahlen. Zwar wird dieser in den seltensten Fällen tiefer sein als das Gesellschaftskapital, zumindest dann nicht, wenn die Gesellschaft über echte Aktiven verfügt. Allerdings kann dieser je nach Verhandlung mit dem Verkäufer gegebenenfalls ratenweise bezahlt werden, was einem Käufer finanziell etwas Luft lässt. Im Fall einer Unterkapitalisierung der Gesellschaft wird der Kaufpreis zwar tiefer ausfallen als bei einer Mantelgesellschaft, die über genügend Aktiven verfügt, allerdings hat der Käufer dann nachträglich Mittel in die Gesellschaft einzuschiessen, wenn er verhindern will, dass seine erste Amtshandlung in der neuen Gesellschaft die Deponierung der Bilanz ist. Doch auch dann besteht meist die Möglichkeit, das Kapital schrittweise aufzubringen, was bei einer Neugründung wie gezeigt nicht geht.

Obwohl diese zeitliche
Komponente bei der Finanzierung des Gesellschaftskapitals bzw. des Kaufpreises
für die Mantelgesellschaft durchaus ein Argument bildet, dürfte sich der
Mantelkauf bei einer Gesamtbetrachtung finanziell dennoch in den wenigsten
Fällen lohnen. Einerseits ist ein Käufer stets gut beraten, eine vorbestehende
Gesellschaft auf Herz und Nieren zu prüfen, und zwar auch dann, wenn sie in den
vergangenen paar Jahren inaktiv war. Forderungen verjähren in den meisten
Fällen erst nach 5 oder 10 Jahren, weshalb es durchaus sein kann, dass Gläubiger
vor der Tür stehen, kaum ist der Kauf besiegelt. Insbesondere auf
Steuerforderungen gilt es ein Augenmerk zu legen. Die Prüfung der Vergangenheit
einer Gesellschaft erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Fachwissen. Einem
umsichtigen Mantelkäufer entstehen so (Rechts-)Beratungskosten, die
selbstverständlich in die Gesamtkalkulation miteinzubeziehen sind. Weiter geht
auch gerne vergessen, dass nach dem Mantelkauf meist eine Statutenänderung
erforderlich wird, denn in den seltensten Fällen wird die Mantelgesellschaft
genau jenen Zweck umfasst haben, den der Käufer mit der Gesellschaft anstrebt.
Die öffentliche Beurkundung sowie die neuen Handelsregistereinträge (insb.
Personalmutationen) verursachen ebenfalls Kosten.

Ein weiteres Motiv eines
Käufers für den Kauf eines Gesellschaftsmantels kann vordergründig der
Zeitgewinn sein. Eine Neugründung nimmt Zeit in Anspruch; die
Gründungsunterlagen müssen erstellt und ein Termin mit dem Notar gefunden
werden. Zudem ist vorab ein Kapitaleinzahlungskonto zu eröffnen oder ein
Revisor hat den Wert von in die Gesellschaft einzubringenden Gegenständen zu beurteilen.
Angesichts der angesprochenen Expertenprüfung, die beim Mantelkauf erforderlich
wird, dürfte aber auch dieser Zeitfaktor nicht weiter ins Gewicht fallen.

Zusammenfassend
scheinen die Vorteile des Käufers für einen Mantelkauf oftmals bloss vordergründig
zu bestehen. Bei näherer Betrachtung dürfte die Neugründung – insb. bei einer
GmbH oder einer Aktiengesellschaft mit Teilliberierung – unter dem Strich die
kostengünstigere Lösung sein. Für den Verkäufer sieht die Situation natürlich
anders aus; für ihn überwiegen die Vorteile des Verkaufs einer Gesellschaft
(bzw. auch nur noch eines Mantels) wohl meistens. Die formelle und rechtliche
Liquidierung einer Gesellschaft nimmt Zeit in Anspruch und verursacht Kosten.
Diese können durch den Verkauf der Gesellschaft umgangen werden.

III. RECHTLICHE BEURTEILUNG DES MANTELHANDELS

Wie bereits einleitend festgehalten bringt der Mantelhandel nicht nur in der Praxis gewisse Herausforderungen mit sich, auch rechtlich ist er problematisch: Juristisch betrachtet ist die Existenz einer Mantelgesellschaft nämlich rechtswidrig. Art. 938a OR verpflichtet den Inhaber einer Gesellschaft, die zu bestehen aufhört, die Gesellschaft löschen zu lassen. Art. 155 der Handelsregisterverordnung (HRegV) sieht zudem vor, dass der Handelsregisterführer das oberste Leitungsorgan einer Gesellschaft, welche über keine Geschäftstätigkeit oder über keine verwertbaren Aktiven mehr verfügt, aufzufordern hat, die Gesellschaft zu löschen. Wird dieser Aufforderung nicht innert angesetzter Frist entsprochen und auch nicht dargelegt, dass und weshalb die Eintragung aufrecht erhalten bleiben soll, hat der Registerführer einen dreimaligen Schuldenruf anzusetzen und die Gesellschaft von Amtes wegen aufzulösen. Das Gesetz bezeichnet inaktive und inhaltlich entleerte Mantelgesellschaften somit als rechtswidrig und verlangt aus Gründen des Drittschutzes, dass sie zu löschen sind.

Das Bundesgericht
geht gar so weit, dass es den Mantelhandel als nichtiges Rechtsgeschäft
bezeichnet. Den Grund sieht das höchste Gericht einerseits in der Verletzung
der soeben angesprochenen Löschungspflicht sowie auch in der Umgehung der
Gründungsvorschriften. Denn auch die Vorschrift, dass das Gesellschaftskapital –
zumindest im Zeitpunkt der Gründung – in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe
effektiv vorhanden sein muss und nicht nur auf dem Papier existieren darf, wird
durch den Kauf einer Gesellschaft, die eventuell gar unterkapitalisiert ist und
nur dank Forderungen gegenüber von Gesellschaftern noch nicht konkursamtlich
liquidiert werden musste, umgangen.

Die neuere Lehre
erachtet die Folge der Nichtigkeit als zu streng, insbesondere auch wegen dem
juristischen Rattenschwanz, den die Nichtigkeit nach sich zieht. Denn streng
genommen könnte der Käufer eines nichtigen Rechtsgeschäfts gar nie Eigentümer der
Gesellschaft werden. Folglich könnte er auch keine gültigen Geschäfte für die
Gesellschaft tätigen. Dies ginge so weit, dass von der Statutenänderung über
die Wahl eines Verwaltungsrates oder eines Geschäftsführers bis hin zum
Abschluss von operativen Geschäften alle Rechtsgeschäft ebenfalls nichtig und
somit ungültig wären. Die neuere Lehre beurteilt den Kauf einer
Mantelgesellschaft zwar als rechtsbeständig, die eigentliche Gesellschaft
jedoch analog Art. 643 OR als mit Gründungsmängeln behaftet. Folglich kommt,
wenn möglich, der Gutglaubensschutz zur Anwendung mit der Folge, dass insb. die
bisher erfolgte operative Geschäftstätigkeit der reaktivierten Gesellschaft
nicht nichtig ist. Bei einer erheblichen Gefährdung der Interessen Dritter
(auch Gläubiger), kann indes auf Auflösung der Gesellschaft geklagt werden.

Auch wenn die neuere Lehre versöhnlich scheint und insb. in leichten Verstössen die Existenz der Mantelgesellschaft zulassen will, hat sich das Bundesgericht soweit ersichtlich noch nicht von seiner langjährigen Rechtsprechung distanziert, wonach der Mantelkauf wie erwähnt nichtig ist. Solange dies nicht der Fall ist, hat jeder Käufer einer Mantelgesellschaft mit der Rechtsunsicherheit zu leben, dass er seiner Eigentümerstellung plötzlich verlustig geht bzw. dass dies von rechtlicher Seite festgestellt wird. Weiter ist auch die Kompetenz des Handelsregisterführers nicht zu unterschätzen. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Mantelkauf vorliegt, bspw. weil bei einer Gesellschaft in einem Zuge eine Namenänderung, eine Sitzverlegung, eine Zweckänderung, ggf. eine Kapitalerhöhung und auch Personalmutationen angemeldet werden, darf dieser nachhaken und die Eintragung der gewünschten Änderungen sogar verweigern. Dass die Verweigerung der Eintragung im Handelsregister keinen Einfluss auf den eigentlichen Kaufvertrag hat, führt dazu, dass der Käufer gemäss Kaufvertrag die Mantelgesellschaft zwar erworben hat und gegebenenfalls den Kaufpreis dafür auch bereits bezahlt hat, er diese nun aber nicht in dem Sinne nutzen kann, wie er dies wünscht.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kauf eines Mantels nie eine gute Idee ist. Auch wenn aus Sicht des Käufers gewisse Motive für den Mantelkauf sprechen können, so sind die so erhofften Vorteile aber wie gezeigt nur vordergründig vorhanden. Und auch wenn gewisse Treuhandgesellschaften diese Motive aufgreifen und öffentlich mit dem Verkauf von Mantelgesellschaften werben, ist einem Käufer von einem solchen Kauf dringend abzuraten. Das Bundesgericht bezeichnet die Mantelgesellschaft wie gezeigt als rechtswidrig und den Kauf einer Mantelgesellschaft gar als nichtig. Zwar schlägt die neuere Lehre gewisse Lockerungen vor, diese haben sich aber noch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts ausgewirkt. Zudem ist in gewissen Fällen eine Löschung der Mantelgesellschaft auch nach neuerer Lehre durchaus möglich.

Der Käufer eines
Gesellschaftsmantels läuft somit nicht nur Gefahr, dass der eigentliche Kaufvertrag
als nichtig bezeichnet wird, mit der Folge, dass auch alle seine Handlungen als
Gesellschafter nichtig sind, sondern er riskiert auch, dass das
Handelsregisteramt wesentliche Änderungen in den Statuten und im
Handelsregister verweigert und er so gar nicht zu der Gesellschaft kommt, die
er sich wünscht. Für den Verkäufer ist der Mantelhandel zwar etwas weniger
riskant, allerdings kann sich auch für ihn die Situation ergeben, dass er sich
mit einem für nichtig erklärten Rechtsgeschäft konfrontiert sieht. Von der
Rückabwicklung des nichtigen Kaufvertrags ist konsequenterweise auch er
betroffen, und auch die anschliessende rechtliche Liquidierung der
Gesellschaft, welche er mit dem Verkauf der Gesellschaft ja umgehen wollte,
fiele dann wieder in seine Kompetenz.


3. September 2020 / lic. iur. Patricia Geissmann


ZULÄSSIGKEIT VON STICHENTSCHEIDEN IN DER AKTIENGESELLSCHAFT

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Eine Pattsituation im
Verwaltungsrat oder in der Generalversammlung kann für eine Gesellschaft
schwerwiegende Folgen haben und im Extremfall sogar zur Lähmung der
Gesellschaft führen. Am häufigsten tritt diese Situation wohl in paritätischen
Zweipersonen-Gesellschaften auf, in welchen sich sowohl das Verwaltungsratsgremium
als auch die Generalversammlung aus lediglich zwei Personen zusammensetzt. Aber
auch in Gesellschaften mit grösserem Aktionariat mit Stamm- und Stimmrechtsaktionären
kann sich eine Blockade bilden, nämlich dann, wenn eine Beschlussfassung ein
qualifiziertes Quorum erfordert, dieses aufgrund der fehlenden Kapitalmehrheit der
Stimmrechtsaktionäre aber nicht zustande kommt. Gerade weil die Folgen einer
solchen Blockade einschneidend sein können, besteht häufig das Bedürfnis,
mittels statutarischem Stichentscheid – sowohl im Verwaltungsrat als auch in
der Generalversammlung – für Abhilfe zu sorgen. Vorliegender Artikel befasst
sich mit der Gültigkeit solcher Stichentscheide und sucht nach möglichen
Alternativen

I. EINLEITUNG

Beschlüsse und Wahlen im Verwaltungsrat (VR) und in der Generalversammlung (GV) erfordern die Mehrheit der abgegebenen (im VR) bzw. der vertretenen (GV) Stimmen. Der Unterschied hat insbesondere zur Folge, dass Stimmenthaltungen in der GV als Nein-Stimmen gewertet werden, wobei sie im VR gar nicht erst zur Stimmenbasis dazuzählen. Für die Abstimmung im VR sieht das Obligationenrecht im Fall eines Patts (d.h. bei gleich vielen abgegebenen JA- wie auch NEIN-Stimmen) den Stichentscheid des Vorsitzenden (in der Regel des VR-Präsidenten) vor. Dies gilt zumindest dann, wenn die Statuten nichts Gegenteiliges regeln. Für die Abstimmung in der GV fehlt eine entsprechende Gesetzesbestimmung. Die Lehrmeinungen sind sich nicht einig, ob dies ein sog. qualifiziertes Schweigen des Gesetzes ist und ein Beschluss eben mehr als nur die Hälfte der Stimmen erfordert und mit nur gerade 50% somit ein NEIN beschlossen ist, oder ob in einem solchen Fall eine Patt-Situation zu erblicken ist, welche deshalb teilweise auch als Beschlussunfähigkeit der Gesellschaft bezeichnet wird. Bei Aktiengesellschaften mit Stimmrechtsaktien, d.h. mit Aktien, welche im Verhältnis zu ihrem Nennwertanteil eine unverhältnismässig hohe Stimmkraft haben, wodurch eine kleine Gruppe Aktionäre die Mehrheit der Aktienstimmen ausüben kann, obwohl sie für den Erwerb dieser (Stimmrechts-)Aktien weniger Kapital einsetzen mussten als die Stammaktionäre, kann sich eine ähnliche Situation ergeben. Dies dann, wenn für einen Beschluss ein qualifiziertes Quorum verlangt wird, das nur zustande kommt, wenn 2/3 der Stimmen für den Antrag stimmen, welche gleichzeitig auch mehr als 50% der Aktiennennwerte auf sich vereinigen. Es kann also vorkommen, dass ein Beschluss mit qualifiziertem Quorum deshalb kontinuierlich nicht gefasst werden kann, weil die Stimmrechts-Aktionäre die dafür erforderliche Kapitalmehrheit von mehr als 50% der Aktiennennwerte nicht aufbringen.

II. ZULÄSSIGKEIT VON STICHENTSCHEIDEN UND LÖSUNGSANSATZ

a) In der GV von Zweipersonen-Gesellschaften

Wie
bereits einleitend erwähnt, stellt sich in Gesellschaften, deren Aktionariat
aus lediglich zwei Aktionären mit jeweils 50% der Aktien besteht, eine
Patt-Situation besonders häufig dar. In solchen Gesellschaften kann es
vorkommen, dass bei Uneinigkeit der beiden Aktionäre in der Generalversammlung
kein Beschluss mehr gefasst werden kann bzw. eben nur ablehnende Beschlüsse
gefasst werden. Dies kann in extremis zur Folge haben, dass weder der
Jahresabschluss genehmigt wird, noch der Verwaltungsrat oder auch eine
Revisionsstelle gewählt werden kann. Da es sich beim Verwaltungsrat immer (und
bei der Revisionsstelle teilweise) um ein notwendiges Organ der
Aktiengesellschaft handelt, leider die Gesellschaft spätestens nach Ablauf der
Amtsperiode des letzten Verwaltungsrates an einem Organisationsmangel. Fraglich
ist nun, wie einem solchen Fall entgegnet werden soll und kann.

In
Frage kommt einerseits die Möglichkeit eines statutarisch verankerten
Stichentscheides des Verwaltungsratspräsidenten. Die Zulässigkeit einer solchen
Regelung wurde vom Bundesgericht in einem Entscheid aus dem Jahr 2017 mit
Verweis auf einen Entscheid aus dem Jahr 1969, der sich indes mit der Frage des
Stichentscheides bei Erfordernis des relativen Mehrs befasste, offengelassen.
Dem Grundsatz nach wurde die Zulässigkeit damit höchstrichterlich zumindest
(noch) nicht verneint. Vorbehalten bleibt ein Stichentscheid in Gesellschaften
mit Stimmrechtsaktien, wo sich der Patt aufgrund einer fehlenden
Kapitalmehrheit der Stimmrechtsaktionäre ergibt (vgl. unten, b)). Grundsätzlich
ist es in Zweipersonen-Gesellschaften ohne Stimmrechtsaktionäre somit erlaubt, im
Fall eines Patts (50:50) den Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten
vorzusehen. Und zwar auch dann, wenn dieser selbst gar nicht Aktionär ist. Die
Legitimation erhält der Verwaltungsrat dadurch, dass er einmal selbst von der
Generalversammlung und somit von der Mehrheit der Aktionäre gewählt wurde.
Freilich bleibt diese Argumentation nicht ohne Kritik. Insbesondere wird
teilweise auch die Auffassung vertreten, dass das Aktienrecht (im Unterschied
zum GmbH-Recht, das einen Stichentscheid des Vorsitzenden eben gerade explizit
vorsieht) im Fall eines 50:50-Patts eben einen NEIN-Entscheid erblickt und
nicht einen Nicht-Entscheid. Andernfalls würde das Aktienrecht sowohl für einen
JA- wie auch für einen NEIN-Beschluss eine Mehrheit verlangen, was aber nicht
der Fall sei. Daher wird teilweise die Ansicht vertreten, dass mit einem
Stichentscheid aus einem NEIN-Beschluss ein JA-Beschluss gemacht und somit letztlich
ein Minderheitsentscheid zu einem Mehrheitsentscheid verkehrt würde.

Auch
wenn dieser Dogmatik dem Grundsatz nach zuzustimmen ist, rechtfertigt es sich
meines Erachtens, für den Fall, dass ein Aktionär in Entscheidungen, die für das
wirtschaftliche Fortkommen der Gesellschaft entscheidend sind, wiederholt
aufgrund der grundsätzlichen und konstanten Abwehrhaltung des Mitaktionärs mit
50:50 unterliegt, eine Abhilfemassnahme zuzulassen. Dies muss nicht zwingend
der Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten sein, auch wenn das wohl häufig
die einfachste und schnellste Lösung bringt. In Frage käme auch ein
Losentscheid oder der Entscheid durch einen unabhängigen externen Experten. Bei
grösseren Gesellschaften wäre auch die Entscheidung durch eine
Management-Delegation möglich und gegebenenfalls sinnvoll. Eine weitere, m.E.
sinnvollste, Möglichkeit besteht darin, in einem Aktionärbindungsvertrag einen
eigentlichen Eskalationsmechanismus vorzusehen, der in mehreren Etappen an eine
Entscheidung heranführt, bspw. indem die Parteien ein Schiedsgericht wählen,
deren Entscheidung sie sich unterwerfen. Für den Fall eines konstanten Patts in
jeglichen Entscheidungen könnte als letzte Eskalationsstufe dann auch die
Auflösung der Gesellschaft, gegebenenfalls eine Teilliquidation durch
Kapitalherabsetzung (sofern das Aktienkapital dies zulässt) oder die Anordnung
einer Versteigerung der Aktien o.ä. vorgesehen werden. Auch wenn sich diese
Folgen bei Gründung kein Aktionär wünscht, kann eine erzwungene Liquidation
oder der erzwungene Auskauf eines Aktionärs immer noch die bessere Lösung darstellen,
als dass ein Aktionär in der Gesellschaft gefangen bleibt, gegebenenfalls durch
die Weigerung von Dividendenausschüttungen ausgehungert oder die Gesellschaft ausgeblutet
wird.

b) In der GV von Gesellschaften mit Stimmrechtsaktien

Bei
Gesellschaften mit Stimmrechtsaktien stellt sich die Situation etwas anders
dar. Hier wurde vom Bundesgericht im besagten Entscheid aus dem Jahr 2017
ausdrücklich festgehalten, dass der Stichentscheid des
Verwaltungsratspräsidenten zumindest in jenen Entscheidungen, für welche das
Gesetz oder die Statuten das qualifizierte Mehr verlangen (d.h. 2/3 der Stimmen
sowie mind. 50% der Kapitalanteile), unzulässig ist. Der Grund liegt hier vornehmlich
darin, dass der Verwaltungsrat lediglich mit dem absoluten Mehr gewählt wird,
weshalb die Stimmrechtsaktionäre bei dieser Entscheidung von ihrer erhöhten
Stimmkraft profitieren können. Somit soll es nicht sein, dass eine Person, die
lediglich mit dem absoluten Mehr gewählt wurde, letztlich eine Entscheidung trifft,
für welche das qualifizierte Mehr und somit eben insbesondere die
Kapitalmehrheit erforderlich ist. Die Entscheidungen, welche das qualifizierte
Mehr erfordern, sind in Art. 704 Abs. 1 Ziff. 1 bis Ziff. 8 OR genannt. Die
Statuten können diesen Katalog beliebig erweitern. Die Vorkehrung eines
Abhilfemechanismus im Fall eines andauernden Patts zwischen
Stimmrechtsaktionären und Stammaktionären ist aber auch bei solchen
Konstellationen nicht grundsätzlich untersagt. Ausgeschlossen ist lediglich der
Stichentscheid einer Person, die nicht ebenfalls mit der Kapitalmehrheit
gewählt wurde. Damit steht insbesondere der Wahl eines sog.
Eskalationsmechanismus mit mehreren Etappen nichts entgegen.

c) Im Verwaltungsrat

Im Verwaltungsrat ist der Stichentscheid des Präsidenten von Gesetzes wegen vorgesehen. Somit stellen sich die oben behandelten Problemfelder der gesetzlichen Zulässigkeit in diesem Gremium nicht. Ob der Stichentscheid des Präsidenten letztlich auch sinnvoll ist, kann hinterfragt werden. Dies insbesondere dann, wenn sich der Verwaltungsrat in einer Zweipersonen-Gesellschaft ebenfalls aus den beiden Aktionären zusammensetzt. Auch im Verwaltungsrat ist es meines Erachtens daher angezeigt, einen Eskalationsmechanismus vorzusehen, der die Entscheidungsfindung im Fall eines Patts begünstigt.

III. FAZIT

Eine
Pattsituation, welche trotz strenger Rechtsdogmatik in der vorliegenden
Abhandlung bereits darin erblick wird, dass eine positive Entscheidung aufgrund
eines kontinuierlichen NEIN-Beschlusses eines Aktionärs (oder mehreren
Aktionären) mit 50% der Stimmen bzw., in Gesellschaften mit Stimmrechtsaktien,
mit lediglich 50% der Kapitalmehrheit nicht gefasst werden kann, kann
Gesellschaften langfristig in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen behindern und
im Extremfall sogar lähmen. Dies kann zulasten der Gesellschaft oder auch
zulasten einzelner Gesellschafter sein (bspw. durch Aushungern eines einzelnen
Gesellschafters). Der Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten bildete
hier sicher die einfachste und schnellste Lösung. Allerdings ist die
Zulässigkeit einer solchen Massnahme aufgrund der aktuellen Rechtsprechung
unklar. Zwar wurde ein Entscheid vom Bundesgericht vor nicht allzu langer Zeit
(in Bezug auf Gesellschaften mit Stammaktien) offengelassen und ein
Stichentscheid durch den Verwaltungsratspräsidenten nur in Beschlussfassungen,
die dem qualifizierten Mehr unterliegen, untersagt. Nichtsdestotrotz wird hier die
Ansicht vertreten, dass der Stichentscheid einer Partei in einer
Zweipersonen-Gesellschaft ohnehin nicht die optimale Lösung ist, da er
derjenigen Person, welche den Stichentscheid ausüben kann, faktisch die
alleinige Herrschaft einräumt. Vorzuziehen ist die Vorkehrung eines
eigentlichen Eskalationsmechanismus in einem entsprechenden
Aktionärbindungsvertrag, der in mehreren Etappen an die Entscheidungsfindung
und aus dem Patt herausführt.


11. März 2020 / lic. iur. Patricia Geissmann


HOLDINGGESELLSCHAFT – IN WELCHEN FÄLLEN MACHT DAS HOLDINGKONSTRUKT SINN?

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Gründung einer Holdinggesellschaft mit dem Zweck, mehrere Beteiligungen unter einer Hand zu halten, kann in vielen Fällen sinnvoll. Es ist allerdings ein verbreiteter Irrglaube, dass sich die Gründung einer Holding in jedem Fall lohnt, sobald eine Einzelperson oder eine Personengruppe mehrere Beteiligungen hält oder erwirbt. Nachfolgend sollen einzelne Fälle aufgezeigt werden, in welchen die Gründung einer Holdinggesellschaft vorteilhaft bzw. eben gerade nachteilig sein kann, wobei die Auflistung dieser Fälle nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und die Vor- und Nachteile in jedem Fall im Einzelnen näher geprüft werden müssen.

I. EINLEITUNG

Eine Holdinggesellschaft ist eine juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit, die meistens in Form der Aktiengesellschaft (AG) oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) existiert und als hauptsächlichen Zweck das Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften aufweist. Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive ist die Holdinggesellschaft damit denselben gesetzlichen Regelungen unterworfen wie jede andere (operativ tätige) AG oder GmbH mit Sitz in der Schweiz. Steuerlich profitieren Holdinggesellschaften in gewissem Mass von Vorteilen, was durchaus ein Argument für deren Gründung bilden kann. Indes sollte man sich nicht einzig von diesem Aspekt leiten lassen, zumal Steuervorteile die Nachteile, welche sich aufgrund der Existenz einer Holding ergeben können – und die sich auch finanziell niederschlagen können –, nicht in jedem Fall überwiegen.

II. VOR- UND NACHTEILE EINER HOLDINGGESELLSCHAFT

Wie bereits einleitend festgehalten, wird – wohl dadurch begründet, dass das sog. steuerliche «Holdingprivileg» ein weitaus bekannter Begriff ist – oftmals die irrtümliche Meinung vertreten, die Gründung einer Holdinggesellschaft mache in jedem Fall Sinn, sobald mehrere Beteiligungen in einem Gefäss gehalten werden sollen. Nebst der Tatsache, dass das sog. «Holdingprivileg» (gemeint ist die privilegierte Besteuerung bei Gewinn- und Kapitalsteuer) ab Januar 2020 abgeschafft wird (wobei der Beteiligungsabzug jedoch bestehen bleibt), gibt es eine Vielzahl weiterer Aspekte, welche im Einzelfall bei der Abwägung für oder gegen die Gründung einer Holdinggesellschaft in Betracht gezogen und genauer untersucht werden sollten.

Fälle, in welchen eine Holdingstruktur sinnvoll sein kann (Auswahl):

a) Holding als Dividendengefäss oder «Renten-Portmonee»

Für die Begründung einer Holdingstruktur kann die Absicht der Aktionäre sprechen, einerseits die operativ tätige(n) Tochtergesellschaft(en) schlank zu halten (aus welchen Gründen auch immer) und somit die jährlichen Gewinne regelmässig auszuschütten, und andererseits aber auch, zu verhindern, dass diese Gewinnerträge ins Privatvermögen der Aktionäre fliessen und bisweilen hohe Steuern (ggf. aufgrund einer Progressionsbesteuerung) bewirkt. Wird zwischen Aktionär(en) und Gesellschaft eine Holdinggesellschaft zwischengeschaltet, können die Gewinne der Tochtergesellschaften vollumfänglich ausgeschüttet werden und fliessen dennoch nicht in das Vermögen der Aktionäre als natürliche Personen. Eine allfällige Steuerprogression kann damit in Schach gehalten werden. Gleichzeitig stehen die in der Holdinggesellschaft sozusagen zwischengelagerten Erträge zu einem späteren Zeitpunkt, bspw. wenn eine Tochtergesellschaft auf finanzielle Unterstützung angewiesen sein sollte oder wenn der Erwerb einer weiteren Beteiligung zur Debatte steht, wieder vollumfänglich zur Verfügung. Die Tatsache, dass die Dividendenausschüttung an die Holding im Rahmen des Beteiligungsabzuges privilegiert (resp. praktisch nicht) besteuert wird, was bei der Ausschüttung an eine natürliche Person nicht der Fall wäre, hat den zusätzlichen Vorteil, dass für eine solche Investition nicht Geld aufgewendet werden muss, das schon einmal der Einkommensbesteuerung unterlegen war.

Im gleichen Rahmen kann die Holdinggesellschaft auch als sog. «Renten-Portmonee» dienen, von welchem die Aktionäre dann Gebrauch machen können, wenn mit zunehmendem Alter die Erträge aus Arbeitserwerb kleiner werden oder ganz wegfallen. Mittels Dividendenausschüttungen kann dann zu einem späteren Zeitpunkt die Altersrente aus dem «Renten-Portmonee» aufgebessert werden. Diese Ausschüttungen unterliegen dann selbstver- ständlich der ordentlichen Dividendenbesteuerung.

b) Tochtergesellschaft schlank halten

Wie bereits angesprochen kann aber auch einzig die Absicht, die Tochtergesellschaft(en) schlank zu halten, für die Begründung eines Holdingkonstrukts sprechen. Motivation für die Verschlankung einer Gesellschaft kann beispielsweise die Absicht sein, die Gesellschaft in naher Zukunft zu verkaufen. Wenn der Kaufpreis dann aufgrund von finanzträchtigen Vermögenswerten (bspw. einer nicht betrieblichen Liegenschaft) sehr hoch ausfallen würde, dürfte dies die Suche nach einem Käufer erschweren. Ebenfalls kann die Absicht bestehen, gewisse Vermögenswerte (bspw. wiederum eine Liegenschaft) vor dem Risiko, welches mit dem operativen Geschäftsalltag der Gesellschaft inhärent verbunden ist, zu schützen. In diesen Fällen macht es durchaus Sinn, die Vermögenswerte in separaten Schwestergesellschaften voneinander zu trennen (bspw. durch Überführung des Betriebsteils in eine separate Ge- sellschaft) und diese beiden Beteiligungen neu in einer Holding zu bündeln. Gerade im Fall einer beabsichtigten Veräusserung einer Gesellschaft muss indes davor gewarnt werden, dass dann der steuerfreie Kapitalgewinn gefährdet sein kann (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen).

c) Erwerb einer Beteiligung mittels Akquisitionsholding

Beabsichtigt eine natürliche Person (oder eine Personengruppe gemeinsam) den Erwerb einer Gesellschaft, deren Kaufpreis mittels Drittdarlehen finanziert werden soll, steht die Gründung einer Akquisitionsholding, welche als Käufergesellschaft auftritt, im Fokus. Die Akquisitionsholding ist für den Darlehensgeber (oftmals eine Bank) in der Regel attraktiver, da die Amortisierung des Darlehens häufig durch zukünftig resultierende Gewinne und zudem innert einer Frist von 5-7 Jahren erfolgen soll. Aufgrund des bereits erwähnten Beteiligungsabzugs werden die Dividendenausschüttungen zugunsten der Akquisitionsholding praktisch nicht besteuert, was bei Ausschüttung an eine natürliche Person nicht der Fall wäre. Dies bringt den Vorteil der schnelleren Amortisation des Drittdarlehens.


Nachteile des Holdingkonstrukts (Auswahl):

a) Erhöhter Administrativaufwand

Bei der Holdinggesellschaft handelt es sich wie erwähnt um eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, die denselben gesellschaftsrechtlichen Anforderungen unterliegt, wie eine operativ tätige Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Auch die Holdinggesellschaft gilt es vorab zu gründen, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Weiter bedarf sie einer Buchführung, hat jährliche Abschlüsse und Steuererklärungen zu erstellen, zur Generalversammlung einzuladen etc. Der damit verknüpfte Administrativaufwand wird häufig ausser Acht gelassen, mit der Folge, dass auch den Aufgaben, die solchen Aufwand auslösen, zu wenig Beachtung geschenkt wird.

b) Verlust des steuerfreien Kapitalgewinns

Wesentlicher Faktor bei der Entscheidung, ob eine Beteiligung durch eine (ggf. sogar eigens dafür gegründete) Holdinggesellschaft erworben werden soll oder nicht, sollte auch die Entscheidung bilden, ob die Beteiligung zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden soll oder nicht. Sobald die Möglichkeit des Verkaufs besteht, sollte unbedingt in Betracht gezogen werden, dass der Kaufpreis, der bei einem Verkauf realisiert werden kann, nur dann steuerfrei ist, wenn er an eine natürliche Person bezahlt wird, sprich wenn eine natürliche Person als Verkäuferin auftritt. Verkauft eine Holdinggesellschaft eine Tochtergesellschaft, fliesst der Kaufpreis in die Holdinggesellschaft, wo er nur via steuerpflichtige Dividendenausschüttung an die Aktionäre als natürliche Personen fliessen kann. Aufgrund des zukünftigen Wegfalls des Holdingprivilegs wird bei der Holdinggesellschaft zudem Gewinn- und Kapitalsteuer anfallen. Gehört die Beteiligung einer Tochtergesellschaft einmal einer Holding, kann der steuerfreie Kapitalgewinn aus dem Verkauf der Gesellschaft nur noch dann realisiert werden, wenn die Holding selbst verkauft wird. Dies wird aber nur dann realistisch sein, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um die einzige Beteiligung handelt oder aber gleich mehrere Tochtergesellschaften gemeinsam veräussert werden sollen und vom Käufer auch gemeinsam erworben werden wollen. Zudem sollte auch in Betracht gezogen werden, dass ein Käufer nicht unbedingt den Kauf eines Holdingkonstrukts anstrebt. Dies insbesondere dann nicht, wenn der Käufer seinerseits auf die Gründung einer Akquisitionsholding angewiesen ist und die eigentlich interessierende Beteiligung sodann letztlich über zwei Zwischengesellschaften gehalten werden müsste. Einen Doppelstock (bestehend aus Tochter und Holding) zu verkaufen, ist in der Praxis daher häufig weniger attraktiv und kann sich auch auf den Kaufpreis niederschlagen. Aufgrund von steuerlichen Sonderbestimmungen ist es dem Käufer zumal oftmals nicht anhin gestellt, den Doppelstock kurzerhand zu fusionieren.

III. FAZIT

Es gibt diverse Gründe, die für oder gegen die Gründung einer Holdinggesellschaft sprechen. Klar ist, dass sich die Aktionäre einer oder mehrerer Beteiligungen nicht nur das allseits bekannte Holdingprivileg (im Sinne der privilegierten Gewinn-/Kapitalbesteuerung) im Fokus haben sollten – zumal dieses Privileg per 01.01.2020 abgeschafft wird. Je nachdem, welche Absichten hinter der Gründung einer Holding stehen, kann das durchwegs Sinn machen oder eben nicht. Ein Aktionär wird damit nicht umhinkommen, den Einzelfall professionell und in Abwägung aller Vor- und Nachteile und Besonderheiten beurteilen zu lassen und in Anbetracht dieses Ergebnisses zu entscheiden, ob die Gründung einer Holdinggesellschaft sinnvoll ist oder nicht.


6. November 2019 / lic. iur. Patricia Geissmann

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