ABSICHERUNG VON RECHTEN UND PFLICHTEN IM AKTIONÄRBINDUNGSVERTRAG

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Abschluss eines Aktionärbindungsvertrages ist heute Standard, insbesondere in Gesellschaften mit einem überschaubaren Aktionariat. Entsprechend sind im Internet auch einige Vorlagen zu finden, welche – so scheint es zumindest – durch ein, zwei Änderungen und Ergänzungen den eigenen Bedürfnissen angepasst werden können. Häufig beinhalten diese zwar die gängigen Standardformulierungen, welche den Parteien durchaus auch einen gewissen Schutz bieten und den betreffenden Aktionären angemessen und sinnvoll erscheinen. Häufig zeigt sich den betroffenen Parteien allerdings erst im Nachhinein, nämlich dann, wenn eine Partei den Vertrag verletzt, dass die Rechte und Pflichten zusätzlich auch auf gesellschaftsrechtlicher Ebene hätten abgesichert werden sollen. Durch eine Abstimmung des Aktionärbindungsvertrages mit anderen, gesellschaftsrechtlichen Dokumenten, namentlich mit den Statuten, ist dies nämlich möglich. Nachstehend wird aufgezeigt, wie auf diese Weise ein optimaler Schutz von Aktionärsrechten und -pflichten erreicht werden kann.

I. EINLEITUNG

Der Aktionärbindungsvertrag («ABV») ist ein Vertrag zwischen allen oder einzelnen Aktionären einer Gesellschaft. Er ist vorzugsweise schriftlich abzuschliessen, wäre grundsätzlich aber auch formfrei gültig. Allerdings gilt er lediglich inter partes, was bedeutet, dass er auf gesellschaftsrechtlicher Ebene keine Wirkung hat und ein Aktionär als Vertragspartei im Fall der Verletzung des ABV durch eine andere Vertragspartei vom Verwaltungsrat der Gesellschaft auch nicht verlangen kann, dass er der betreffenden Vertragsbestimmungen zum Durchbruch verhilft. Verletzt eine Partei den ABV, hat sich die dadurch in ihren Rechten verletzte Vertragspartei selbständig zur Wehr zu setzen und einen daraus allfällig entstandenen Schaden oder die Realerfüllung der betreffenden Pflichten selber geltend zu machen und notfalls gerichtlich einzuklagen. Auf die Hilfe des Verwaltungsrates kann dabei nicht gezählt werden. Zumindest dann nicht, wenn bei Abschluss des ABV nicht gleichzeitig auch ein Instrumentarium geschaffen wurde, welches auch auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Wirkung entfaltet und womit gezielt auch der Verwaltungsrat in die Pflicht gefasst werden kann.

II. VERTRAGLICHE ABSICHERUNG

Bevor auf die bereits angesprochene Möglichkeit der statutarischen Absicherung eingegangen wird, gilt es an dieser Stelle zu erwähnen, dass dem Aktionär durchaus auch vom OR und ZGB gewisse Sicherungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. So ist es beispielsweise möglich, die Verletzung einer Pflicht aus ABV durch eine Konventionalstrafe abzusichern. Dies erlaubt dem in seinen Rechten verletzten Aktionär, einen bestimmten Betrag als Schaden einzuklagen, ohne dass er den mühsamen und oftmals schwierigen Nachweis erbringen muss, dass ihm in diesem Umfang auch effektiv ein Schaden im Rechtssinne entstanden ist. Weiter besteht die Möglichkeit, gerade im Hinblick darauf, vertragliche Vorhand- und Vorkaufsrechte abzusichern, die Aktien (am besten blanko indossiert) bei einer unabhängigen Drittperson (beispielsweise der Treuhandstelle, zu welcher alle Aktionäre eine ähnliche Beziehung pflegen) zu hinterlegen. Auch eine fiduziarische Übertragung der Aktien auf eine unabhängige Drittperson kann sich als sinnvoll erweisen. Dadurch wird sichergestellt, dass ein einzelner Aktionär seine Aktien nicht einfach in Verletzung des ABV und damit in Umgehung des Vorhand- oder Vorkaufsrechts eines anderen Aktionärs auf einen Dritten überträgt.

III. STATUTARISCHE ABSICHERUNG

Die sinnvollste Art der Absicherung von aktionärbindungsvertraglichen Rechten und Pflichten besteht darin, Dokumente mit gesellschaftsrechtlicher Wirkung, die gegenüber allen Aktionären wirken und auch von den Organen der Gesellschaft (insbesondere dem Verwaltungsrat oder der Geschäftsführung) durchgesetzt werden können, mit dem ABV abzustimmen. Im Fokus stehen hier die Stauten der Gesellschaft. Durch Einführung einer sinnvollen Vinkulierungsordnung ist es möglich, die Übertragung von Aktien zu verhindern, indem für eine gültige Übertragung der Verwaltungsrat der Gesellschaft seine Zustimmung dazu erteilen muss. Aus welchen Gründen die Zustimmung verweigert werden darf, kann ebenfalls in den Stauten festgehalten werden. Der Grund der Ablehnung durch den Verwaltungsrat kann freilich nicht völlig willkürlich gewählt werden. Vielmehr muss er der Erhaltung der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Unternehmens oder des Gesellschaftszwecks dienen. Unter Bezugnahme auf diese Gründe ist es aber beispielsweise möglich, sicherzustellen, dass eine Übertragung von Aktien nur innerhalb der Familie möglich ist. Ebenso ist es erlaubt, in den Stauten festzuhalten, dass der Verwaltungsrat den Verkauf an einen Dritten ablehnen kann, wenn dadurch eine Bestimmung des unter den Aktionären abgeschlossenen Aktionärbindungsvertrages verletzt würde. Verstösst ein Aktionär, der sich in einem ABV verpflichtet hat, seine Aktien vor einem allfälligen Verkauf an einen Dritten den anderen Aktionären (welche ebenfalls Partei des ABV sind) zum Kauf anzubieten, gegen diese Pflicht und verkauft er seine Aktien an einen beliebigen Dritten, hat der Verwaltungsrat die Möglichkeit (und je nach Statutenbestimmung sogar die Pflicht) diese Übertragung zu verhindern mit der Folge, dass der Dritte nicht Aktionär wird. Dieses im Rahmen der Vinkulierungsordnung statuierte Verhalten des Verwaltungsrates hat, wie erwähnt, gesellschaftsrechtliche Wirkung. Das bedeutet also, dass es grundsätzlich von jedem Aktionär oder Organ der Gesellschaft verlangt werden kann und nicht nur von jenen Parteien, die durch den ABV verletzt worden sind.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, in den Statuten nicht nur die Möglichkeit der Ablehnung eines Dritterwerbers für den Fall, dass dadurch ein allfälliger ABV verletzt wird, vorzusehen, sondern darüber hinaus sogar die Pflicht des Verwaltungsrates, dass dieser alle Aktionäre über das Vorliegen eines neues Gesuchs um Aufnahme eines Dritterwerbers ins Aktienbuch informieren muss. Der Verwaltungsrat kann namentlich verpflichtet werden, den anderen Aktionären Mitteilung eines solchen Gesuchs eines Dritten zu machen und ihnen Frist anzusetzen, innert welcher sie sich dazu äussern sollen, ob sie sich für einen Ablehnungsgrund aussprechen oder ob – sollte dem nicht so sein – sie von ihrem (gesetzlichen) Recht Gebrauch machen wollen, die Aktien anstelle des Dritterwerbers zum wirklichen Preis vom Veräusserer zu übernehmen.

Freilich ist es häufig so – gerade in Gesellschaften mit überschaubarem Aktionariat –, dass sich der Verwaltungsrat aus Personen zusammensetzt, die selber auch Aktionäre sind. Insofern kann die Unabhängigkeit des Verwaltungsrates natürlich fraglich sein. Nicht vergessen werden darf allerdings, dass der Verwaltungsrat immer, unabhängig davon, ob er selber Aktionär ist, Organ der Gesellschaft ist und in seinem Handeln den gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen untersteht. In seiner Funktion als Verwaltungsrat hat er immer zugunsten der Gesellschaft zu handeln und die Gleichbehandlung aller Aktionäre zu gewährleisten. Er ist damit in seiner Funktion als Verwaltungsrat nicht gleich frei, wie wenn er als Aktionär handelt.

IV. FAZIT

Aktionärbindungsverträge können bei richtiger und sinnvoller Abfassung den Vertragsparteien wesentliche Rechte einräumen, welche sie insbesondere davor schützen, dass sie sich nach Ausscheiden einer anderen Vertragspartei aus dem Vertrag oder aus dem Aktionariat mit einem unliebsamen Mitaktionär konfrontiert sehen. Aufgrund der inter-partes-Wirkung des ABV ist eine umfassende Absicherung dieser vertraglichen Rechte und Pflichten durch das Abfassen von zusätzlichen Dokumenten, welchen gesellschaftsrechtliche Wirkung zukommen, zu empfehlen. Es ist damit entscheidend, dass nicht nur ein Aktionärbindungsvertrag abgeschlossen, sondern ein sinnvolles und gezielt aufeinander abgestimmtes Gesamtkonstrukt an vertraglichen- und gesellschaftsrechtlichen Dokumenten entworfen wird.

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10. September 2019 / lic. iur. Patricia Geissmann


ERHÖHTE DIVIDENDENZAHLUNGEN ZUGUNSTEN EINZELNER AKTIONÄRE

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Gerade in kleineren Aktiengesellschaften mit geschlossenem Aktionärskreis, sowie in Gesellschaften, in welchen nicht alle Aktionäre im Betrieb mitarbeiten, kann das Bedürfnis aufkommen, einzelne Aktionäre im Verhältnis zur Gesamtheit des Aktionariats bevorzugt an den von der Gesellschaft erwirtschafteten Gewinnen partizipieren zu lassen. Die aktive Mitarbeit einzelner Aktionäre soll damit mittels erhöhten Dividendenzahlungen, die auch aus steuerrechtlicher Sicht Vorteile bringen, belohnt werden. Doch in welchem Rahmen ist eine solche bevorzugte Behandlung einzelner Aktionäre aus gesellschaftsrechtlicher sowie aus steuerrechtlicher Perspektive zulässig?

I. EINLEITUNG / BEISPIELFALL

Die Ernst Walter AG hat ein Aktienkapital von CHF 100’000.-, eingeteilt in 100 Aktien zu einem Nennwert von je CHF 1’000.-. Die Aktien sind gleichmässig auf die vier Aktionäre Ernst Huber, Walter Bürki, Sven Graber und Otto Falke verteilt. Im Betrieb der Ernst Walter AG sind nur Ernst Huber und Walter Bürki tätig. Sven Graber und Otto Falke haben sich lediglich im Rahmen der Gründung am Kapital der Ernst Walter AG beteiligt. Als Entschädigung für ihren besonderen Effort in der und für die Gesellschaft verlangen Ernst Huber und Walter Bürki, dass sie im Umfang von je 40% statt nur 25% an den Gewinnen der Ernst Walter AG partizipieren dürfen. Sven Graber und Otto Falke sollen damit lediglich im Umfang von je 10% dividendenberechtigt sein. Der Vorschlag stösst bei den beiden allerdings auf wenig Begeisterung, sie sind jedoch bereit, einer solchen Regelung einstweilen zuzustimmen. Um sich auch auf Dauer abzusichern, wollen Ernst Huber und Walter Bürki eine entsprechende Regelung in einem Aktionärbindungsvertrag (ABV) vorsehen.

II. GRUNDPRINZIP DER GLEICHBEHANDLUNG VON AKTIONÄREN

Entscheidendes Grundprinzip des Aktienrechts ist das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre. In diesem Sinne ist insbesondere der Verwaltungsrat verpflichtet, alle Aktionäre nach Massgabe ihres Beteiligungsverhältnisses an der Aktiengesellschaft gleich zu behandeln. Dies gilt – besondere aktienrechtliche Instrumente wie bspw. Stimmrechtsaktien etc. vorbehalten – sowohl für die Gewährung von Mitwirkungs- und Stimmrechten, als auch hinsichtlich der Ausschüttung von Dividenden. Weiter verbietet es das Aktienrecht auch, einem Aktionär nebst der Pflicht, das Nennkapital der von ihm gezeichneten Aktien zu liberieren, weitere Leistungspflichten aufzuerlegen. Konsequenterweise sind damit alle Leistungen eines Aktionärs, die über die Pflicht zur Liberierung des Aktienkapitals hinausgehen, nicht via Dividendenausschüttung zu honorieren. Die Tatsache, dass einzelne Aktionäre aktiv im Betrieb tätig sind und einen höheren Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Gesellschaft leisten, schafft aus aktienrechtlicher Sicht somit keinen Grund für eine bevorzugte Behandlung bei der Gewinnausschüttung. Solcher zusätzlicher Effort ist via Lohnzahlung, Verwaltungsratshonorar oder Tantiemen zu entschädigen. Ein Beschluss der Generalversammlung, womit einzelnen Aktionären eine höhere Dividende zugesprochen wird, als ihnen aufgrund ihres Aktienanteils zukommen würde, verletzt damit grundsätzlich zwingendes Aktienrecht. Folglich ist es auch dem Verwaltungsrat untersagt, eine ungleiche Dividendenausschüttung vorzunehmen.

Sollen einzelne Aktionäre bei der Dividendenausrichtung bewusst bevorzugt behandelt werden, gibt es hierfür das Instrument der Vorzugsaktie. Vorzugsaktien müssen jedoch statutarisch verankert sein, d.h. die Generalversammlung muss für die Schaffung von Vorzugsaktien einen öffentlich zu beurkundenden Beschluss über eine Statutenänderung fassen. Diese Möglichkeit erweist sich in der Praxis somit als etwas umständlich und unflexibel, weshalb häufig darauf verzichtet wird. Stattdessen werden entsprechende Vereinbarungen in einem Aktionärbindungsvertrag getroffen. Die Aktionäre vereinbaren damit in einer privatrechtlichen und lediglich unter den Vertragsparteien verbindlichen Vereinbarung, dass die an der Generalversammlung beschlossene Gewinnausschüttung nicht im Verhältnis der Beteiligungsquoten, sondern in der von den Parteien eigenmächtig festgelegten Höhe auf die einzelnen Aktionäre verteilt wird. Man spricht hierbei von einer asymmetrischen Dividende. Erfolgt die Anweisung des Verwaltungsrates zur Gewinnausschüttung einstimmig, wird er sich in der Regel fügen, zumal die einzelnen Aktionäre damit bewusst auf ihr Gleichbehandlungsrecht verzichten. Heikel erscheint diese Handhabung dennoch, da der Verwaltungsrat auch in einem solchen Fall dazu gedrängt wird, das Gleichbehandlungsgebot zu verletzen. Sofern die Anweisung der Aktionäre daher nicht einstimmig und nicht nur für das aktuelle Geschäftsjahr erfolgt, darf ihr m.E. nicht gefolgt werden. Konsequenterweise kann eine solche Vereinbarung auf Dauer auch nicht gültig getroffen werden. Dies gilt insbesondere auch für eine entsprechende Bestimmung in einem auf Dauer ausgelegten ABV. In unserem Beispielfall wären Ernst Huber und Walter Bürki daher schlecht beraten, würden sie sich zu stark auf eine Regelung im ABV verlassen. Sven Graber und Otto Falke wären auf Dauer nicht an diese Vereinbarung gebunden und könnten ihre Zustimmung zu einer asymmetrischen Dividendenausschüttung im Einzelfall verwei- gern. Auch wenn dies etwas umständlicher ist, sollten Ernst Huber und Walter Bürki ihr Dividendenvorrecht mittels der Schaffung von Vorzugsaktien absichern. Soll eine ungleiche Dividendenausrichtung lediglich für ein einzelnes Geschäftsjahr erfolgen, dürfte dies mit einer für diesen Einzelfall gültig und einstimmig getroffenen Vereinbarung möglich sein.

III. STEUERRECHTLICHE ASPEKTE

Ein weiterer Aspekt der asymmetrischen Dividende ergibt sich aus dem Steuerrecht. Insbesondere dann, wenn mit einer asymmetrischen Dividende der zusätzliche Effort eines Aktionärs als Arbeitnehmer oder Geschäftsführer entschädigt werden soll, kann die Differenz zwischen der erhöhten Dividendenausschüttung und desjenigen Betrags, der bei einer symmetrischen Dividendenausrichtung ausgerichtet worden wäre, als Lohnzahlung qualifiziert wer- den. In der Folge wird dieser Differenzbetrag nicht als Dividende, sondern als Erwerbseinkommen oder als Tanti- eme besteuert, woraus einerseits eine höhere Steuerlast resultiert und zudem auch AHV geschuldet ist. Der guten Ordnung halber ist auch darauf hinzuweisen, dass eine asymmetrische Dividende – sofern ein zusätzlicher Effort eines Aktionärs für die Aktiengesellschaft nicht ersichtlich ist – gar als Schenkung zwischen den Aktionären qualifiziert werden könnte. Dies hätte dann zur Folge, dass der Differenzbetrag einerseits bei dem/den vermeintlich schenkenden Aktionär(en) als Dividende und andererseits – abhängig vom Kanton und dem Verwandtschaftsverhältnis der Aktionäre – bei dem/den vermeintlich beschenkten Aktionär(en) als Schenkung zu versteuern wäre.

IV. FAZIT

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass asymmetrische Dividenden in jedem Fall nur bei Vorliegen von Vorzugsaktien ausgeschüttet werden dürfen. Ausnahmsweise, sofern ein einstimmiger Beschluss aller Aktionäre für ein spezifisches Geschäftsjahr vorliegt, kann eine Ausschüttung in Abweichung der Beteiligungsquoten erfolgen. Eine entsprechende langfristige Vereinbarung in einem auf Dauer ausgelegten Aktionärbindungsvertrag ist m.E. aber nicht gültig und kann gegen den Willen eines durch diese Regelung benachteiligten Aktionärs im Einzelfall nicht durchgesetzt werden. Hinzu kommt, dass auch der Fiskus eine bevorzugte Besteuerung als Dividende nicht akzeptieren wird und es zu einer Umqualifizierung zu Lohn kommt, was eine Erhöhung der Steuerlast mit sich bringt.

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3. April 2019 / lic. iur. Patricia Geissmann


DIE SICHERUNG EINER FORDERUNG MITTELS SICHERUNGSÜBEREIGNUNG VON AKTIEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Valentin Spahr

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In der Schweiz gibt es eine Vielzahl an Privatpersonen und Unternehmungen, welche ihre Anschaffungen und Geschäfte fremdfinanzieren. Die häufigste Form der Fremdfinanzierung stellt die Hypothek dar. Auf den Plätzen zwei und drei folgen der Kontokorrentkredit und das Darlehen. Eine Hypothekarschuld wird durch das entsprechende Grundstück gesichert, wohingegen beim Darlehen und den übrigen Krediten in der Regel eine anderweitige Sicherheit zu bestellen ist. Als solche Sicherheit können unter anderem Aktien dienen. Nachfolgend werden die rechtlichen Voraussetzungen und Schwierigkeiten aufgezeigt, welche es bei der Sicherungsübereignung von Aktien zu beachten gilt. Dabei ist es nicht relevant, basierend auf welchem Vertragstypus die Fremdfinanzierung erfolgt, denn die in der Folge dargestellten rechtlichen Aspekte sind bei einer Sicherungsübereignung von Aktien stets zu beachten.

I. EINLEITUNG

Mit der Sicherungsübereignung wird grundsätzlich derselbe Zweck verfolgt wie mit einer gewöhnlichen Verpfändung. Der Sicherungsnehmer (Fiduziar) hat die Befugnis, im Falle der Nichtzahlung der Sicherungsforderung den zur Sicherung übertragene Sicherungsgegenstand zu verwerten und sich aus dem Erlös zu befriedigen. Der Sicherungsgeber (Fiduziant) überträgt somit dem Sicherungsnehmer den Sicherungsgegenstand fiduziarisch (treuhänderisch) zu Eigentum. Dies bedeutet, dass der Sicherungsgegenstand dem Sicherungsnehmer zwar zu Eigentum übertragen wird, jedoch mit der Abrede (Sicherungsabrede), dass über diesen nur im Rahmen des Sicherungszweckes verfügt werden darf und bei Tilgung der Sicherungsforderung dem Sicherungsgeber zurück zu übertragen ist. Damit verfügt der Sicherungsnehmer im Vergleich zum Pfandrecht über eine stärkere Rechtsstellung. Er erhält ein absolutes Recht (Eigentum) am Sicherungsgegenstand, welches er gegenüber jedermann durchsetzen kann. Dieses absolute Recht ist nur im Innenverhältnis zwischen ihm und dem Sicherungsgeber durch eine relatives Recht (Sicherungsabrede) beschränkt. Der Sicherungsnehmer kann somit im Verhältnis zu Dritten mehr, als er gemäss Sicherungsabrede mit dem Sicherungsgeber darf. Man spricht diesbezüglich von «überschiessender Rechtsmacht» zu Gunsten des Sicherungsnehmers.

Als Sicherungsforderung kommen bestehende, bedingte, zukünftige oder bloss mögliche Forderungen in Betracht. In der Regel ist der Sicherungsgeber Schuldner der Sicherungsforderung, wobei ohne Weiteres auch eine Drittschuld mit der Sicherungsübereignung gesichert werden kann. Als Sicherungsobjekt kommen alle jene beweglichen Sachen in Frage, die Gegenstand des Faustpfandrechts (Art. 884 ff. ZGB) sein können. So können Inhaber- und Orderpapiere Gegenstand einer Sicherungsübereignung sein. Darunter fallen auch verbriefte Aktien (d.h. in einer Urkunde ausgestellte Namen- oder Inhaberaktien). Werden hingegen Forderungen, Rechte und unverbriefte Aktien zur Sicherung einer Forderung übertragen, spricht man von einer Sicherungszession, da diese Vermögenswerte mittels Zession (Art. 164 ff. OR) übertragen werden. Auf die Sicherungszession wird in diesem Artikel nur am Rande eingegangen.

Die vertragliche Grundlage der Sicherungsübereignung bildet die Sicherungsabrede. Sie beinhaltet die Verpflichtung des Sicherungsgebers gegenüber dem Sicherungsnehmer, diesem das Eigentum am Sicherungsgegenstand zu verschaffen. Weiter beinhaltet die Sicherungsabrede das relative Recht, welches den Sicherungsnehmer in der Ausübung seines absoluten Rechts (Eigentum) am Sicherungsgegenstand beschränkt. Weiter werden in der Sicherungsabrede die Voraussetzungen geregelt, unter denen der Sicherungsgegenstand zurückzugeben ist. Bei der Sicherungsabrede handelt es sich um einen Innominatkontrakt oder einen Vertrag sui generis, auf welchen, vorbehältlich anderer Vereinbarungen die Vorschriften über das Faustpfand (Art. 884 ff. ZGB), vornehmlich die Vorschriften über den einfachen Auftrag (Art. 394 ff. OR) sowie die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 1 ff. OR) Anwendung finden.

II. DIE ÜBERTRAGUNG VON AKTIEN

Wie erwähnt, hat der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer das Eigentum am Sicherungsgegenstand (vorliegend den Aktien) basierend auf den Vereinbarungen in der Sicherungsabrede zu verschaffen. Bei der Übertragung von Aktien muss unterschieden werden, ob es sich bei den fraglichen Aktien um Namenaktien oder Inhaberaktien handelt. Weiter ist von Bedeutung, ob die Aktien in verbriefter Form (als Wertpapier) oder in unverbriefter Form vorliegen. Je nach Ausgestaltung unterscheiden sich die Vorschriften der Übertragung. Werden Inhaberpapiere verbrieft und als Wertpapiere ausgegeben, findet eine Übertragung unmittelbar durch die Übergabe des Wertpapiers vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer statt. Sind die Inhaberpapiere nicht als Wertpapier verbrieft, liegt entweder eine unverbriefte Inhaberaktie oder ein Wertrecht vor. Beide werden durch Zession nach Art. 164 ff. OR übertragen. Als Wertpapier verbriefte Namenaktien werden durch die Übergabe des Wertpapiers und einen Übertragungsvermerk, dem sog. Indossament (z.B. auf der Rückseite des Aktientitels), übertragen. Beim Indossament handelt es sich um die Unterschrift des bisherigen Eigentümers, allenfalls ergänzt mit dem Namen des Erwerbers. Wird der Name des Erwerbers weggelassen, so handelt es sich um ein Blankoindossament, und die Namenaktie kann künftig wie eine Inhaberaktie allein durch Übergabe des Papiers übertragen werden. Jeder zukünftige Inhaber kann seinen Namen eigenhändig ergänzen und sich so zum ausgewiesenen Eigentümer der Aktie erklären. Sind die Namenaktien nicht als Wertpapier ausgegeben, handelt es sich entweder um unverbriefte Namenaktien oder um Wertrechte. Beide werden mittels schriftlicher Abtretung (Zession) übertragen. Bei Gesellschaften mit Namenaktien ist es üblich, dass eine Übertragungsbeschränkung (Vinkulierung) vorliegt, wonach die Übertragung der Aktien in der Regel zusätzlich noch der Zustimmung des Verwaltungsrates bedarf. Dieser Zustimmung bedarf es auch im Fall einer Sicherungsübereignung.

Aufgrund der bestehenden Formalitäten geschehen in der Praxis bei der Übertragung von Aktien häufig Fehler. Sollen die Aktien jedoch als Sicherungsobjekt im Rahmen einer Sicherungsübereignung dienen, müssen sie gemäss der vertraglichen Verpflichtung in der Sicherungsabrede dem Sicherungsnehmer zu Eigentum übertragen werden. Zu beachten ist, dass wenn verbriefte Aktien vor der Eintragung der Aktiengesellschaft ins Handelsregister ausgegeben werden, dies die Nichtigkeit des Wertpapiers zur Folge hat. Dies kommt häufig vor, da zwischen der Gründung der Aktiengesellschaft beim Notar und der Eintragung im Handelsregister jeweils einige Tage vergehen. Aktien, die in dieser Zeit ausgegeben werden, sind nichtig. Weiter wird oft fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Übertragung der Aktien mit dem Abschluss des Kaufvertrags stattfindet. Diese geschieht jedoch erst mit der Einhaltung der relevanten Formvorschriften. Verbriefte Namenaktien müssen übergeben und indossiert werden. Unverbriefte Namen- und Inhaberaktien werden nur mit Einhaltung der Formvorschriften der Zession nach Art. 164 ff. OR gültig übertragen. Auch werden die anfallenden Veränderungen im Aktionariat oftmals unzureichend dokumentiert. Im Aktienbuch oder auf dem Aktientitel werden Fusionen, Erbgänge oder Spaltungen häufig nicht korrekt nachvollzogen. Sodann ist es auch denkbar, dass Aktientitel verloren gehen oder vernichtet werden. Die Folge fehlerhafter Übertragung ist, dass das Eigentum an den Aktien nicht vom Sicherungsgeber auf den Sicherungsnehmer übergeht, was zur Konsequenz hat, dass die zu sichernde Forderung gerade nicht gesichert ist.

III. DIE AUSÜBUNG DER AKTIONÄRSRECHTE

In Bezug auf die Ausübung der Aktionärsrechte an den per Sicherungsübereignung übertragenen Aktien steht es den Parteien grundsätzlich frei, im Rahmen der Sicherungsabrede zu vereinbaren, wer die Aktionärsrechte während der Sicherungsübereignung ausüben darf (z.B. Stimmrecht), wem der finanzielle Nutzen (z.B. Dividenden) aus den Aktien zusteht und ob dieser bei Rückübergabe des Sicherungsgegenstandes herauszugeben ist. Zu beachten ist, dass, wie oben dargestellt, der Sicherungsnehmer gegenüber Dritten als Eigentümer der Aktien gilt. Somit wird er von der Unternehmung, die die Aktien ausgestellt hat, als Eigentümer dieser Aktien betrachtet. Wurde nun vereinbart, dass trotzdem der Sicherungsgeber das Stimmrecht der Aktien ausüben darf, muss dieser vom Sicherungsnehmer gehörig bevollmächtigt werden. Auch denkbar wäre es, dass zwar der Sicherungsnehmer das Stimmrecht ausübt, sich jedoch an die Instruktionen des Sicherungsgebers zu halten hat. Weiter werden auch die Dividendenzahlungen an den Sicherungsnehmer geleistet. Diese sind jedoch, wenn nichts anderes in der Sicherungsabrede vereinbart wurde, dem Sicherungsgeber herauszugeben. Dies entspricht dem Sinn der Sicherungsübereignung, nur den Ausfall der Sicherungsforderung abzusichern. Deshalb wurde der Sicherungsgegenstand dem Sicherungsnehmer fiduziarisch zu Eigentum übertragen. Auf die dazu gehörenden Rechte und den daraus resultierenden Nutzen erstreckt sich das Sicherungseigentum nur bei entsprechender Vereinbarung in der Sicherungsabrede. Weiter sind bei einer kotierten Gesellschaft oder einer Bank die börsenrechtlichen Mel- depflichten, die Pflicht zur Bekanntgabe bedeutender Aktionäre und die Meldepflicht nach Bankengesetz zu beachten.

IV. DIE VERWERTUNG

Wird die Sicherungsforderung bei Fälligkeit nicht getilgt, so hat der Sicherungsnehmer Anspruch auf Befriedigung aus dem Sicherungsgegenstand. Die Verwertung erfolgt nicht durch eine Betreibung auf Pfandverwertung, sondern entsprechend den Regeln über die private Verwertung. Diesbezüglich braucht es keine besondere Vereinbarung in der Sicherungsabrede. Dem Sicherungsnehmer steht sowohl der «freihändige Verkauf», die «freiwillige Versteigerung» wie auch der «Selbsteintritt» zur Verfügung. Nach der Verwertung ist der Sicherungsnehmer gegenüber dem Sicherungsgeber zur Abrechnung verpflichtet. Bei der Abrechnung kann der Sicherungsnehmer nebst dem Kapitalbetrag seiner Forderung die Vertragszinsen, Verzugszinsen und Inkassospesen einschliesslich Verwertungskosten veranschlagen. Auf der anderen Seite sind dem Verwertungserlös Nutzungserträge (z.B. Dividenden) hinzuzurechnen. Ein allfälliger Überschuss ist dem Sicherungsgeber herauszugeben.

Bei der privaten Verwertung muss der Sicherungsnehmer den Verwertungsvorgang rechtzeitig ankündigen und damit den Sicherungsgeber über die bevorstehende Änderung der Rechtslage ins Bild setzen, damit der Sicherungsgeber Gelegenheit hat, die angedrohte Verwertung durch Befriedigung des Sicherungsnehmers abzuwenden. Im Regelfall hat die Androhung zu erfolgen, wenn die gesicherte Forderung fällig wird. Gleichzeitig wird eine angemessene Nachfrist auf Erfüllung der Forderung angesetzt. Die Pflicht zur Androhung ist jedoch dispositiver Natur und kann folglich wegbedungen werden. Der Sicherungsnehmer übt sein Selbstverkaufsrecht durch Abschluss und Erfüllung eines Kaufvertrages mit dem Erwerber des Sicherungsgegenstandes aus. Hat der Sicherungsgegenstand einen Börsen- oder Marktwert, ist auch ein Selbsteintritt, d.h. die Übernahme des Sicherungsgegenstandes vom fiduziarischen Eigentum zu normalem Eigentum, zulässig. Verfügt der Sicherungsgegenstand nicht über einen Börsen- oder Marktwert, steht dem Sicherungsnehmer der Selbsteintritt nur zur Verfügung, wenn das Einverständnis des Sicherungsgebers vorliegt. Nachdem der Selbsteintritt erfolgt ist, ist das Eigentum des Sicherungsnehmers am Sicherungsgegenstand nicht mehr durch die Sicherungsabrede begrenzt.

Es empfiehlt sich, sowohl die Voraussetzungen der Verwertung wie auch deren Modalitäten in der Sicherungsvereinbarung vorab zu vereinbaren.

V. SONDERFALL: EIGENE AKTIEN

Werden einer Aktiengesellschaft, welche als Sicherungsnehmerin fungiert, eigene Aktien als Sicherungsgegenstand angeboten, hat sie zusätzliche rechtliche und wirtschaftliche Aspekte zu beachten. Vorrangig stellt sich dem Verwaltungsrat die Frage der Risikoeinschätzung und der Bewertung der Sicherheit. Im Zweifelsfall darf er die eigenen Aktien nicht als vollwertige Sicherheit qualifizieren, da bei einer Verwertung des Sicherungsgegenstandes das plötzliche Angebot der Aktien auf den Markt drücken kann, insoweit als die Gesellschaft nicht selber als Erwerberin auftreten kann oder darf. Ferner muss diesbezüglich berücksichtigt werden, dass bei nicht kotierten Aktien sich die Suche nach einem Käufer schwieriger gestalten kann, da die Aktien nicht an einer Börse gehandelt werden. Dies kann so weit gehen, dass bei der Verwertung der eigenen Aktien kein Erlös mehr erzielt werden kann und sich die gesichert geglaubte Forderung als ungesichert herausstellt. Weiter sind die gesetzlichen Limitierungen in Bezug auf das Halten eigener Aktien nach Art. 659 Abs. 1 OR zu beachten. Eine Unternehmung darf grundsätzlich nicht mehr als zehn Prozent ihres Aktienkapitals selber halten, und zum Kauf der eigenen Aktien darf nur frei verwendbares Eigenkapital eingesetzt werden.

VI. FAZIT

Bei der Sicherungsübereignung von Aktien stellen sich sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Fragen. Die verschiedenen Formvorschriften bei der Übertragung der unterschiedlichen Aktienarten sind entscheidend, da ansonsten die Übertragung der Aktien nichtig ist. Die Verwertung erfolgt nach den Regeln der Privatverwertung, und der Sicherungsnehmer hat gegenüber dem Sicherungsgeber entsprechend abzurechnen. Auf der wirtschaftlichen Seite stellt sich insbesondere hinsichtlich der «eigenen Aktien» die Frage der Risikoeinschätzung. Kommt der Verwaltungsrat in Bezug auf diese Risikoeinschätzung seinen Pflichten nicht nach, kann sich die Frage der persönlichen Haftung der Verwaltungsratsmitglieder nach Art. 754 OR stellen.

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9. Januar 2019 /  lic. iur. Patricia Geissmann unter Mithilfe von MLaw Valentin Spahr


MÖGLICHKEITEN BEI MÄNGELN BEIM UNTERNEHMENSKAUF

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Kauf eines Unternehmens oder eines Unternehmensteils erfolgt in aller Regel entweder als «Share Deal» oder als «Asset Deal». Beim Share Deal wird die (stimmen- und kapitalmässige) Mehrheit der Anteile (d.h. Aktien oder Anteilscheine) der zu übernehmenden Gesellschaft erworben; beim Asset Deal erfolgt die Übernahme des Unternehmens durch Erwerb sämtlicher oder eines Teils der Vermögenswerte, d.h. der Aktiven und Passiven des Unternehmens. Obwohl das zu kaufende Unternehmen resp. die zu kaufenden Vermögensteile vom Käufer nach Möglichkeit bereits im Vorfeld des Vertragsabschlusses detailliert geprüft werden («Due Diligence»), kann es vorkommen, dass sich erst nach Vertragsvollzug herausstellt, dass das erworbene Unternehmen oder der erworbene Unternehmensteil nicht von jener Qualität oder Quantität war, die der Käufer erwartete oder welche ihm vom Verkäufer gar explizit versprochen wurde. Nachstehend soll im Rahmen einer Übersicht aufgezeigt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten ein Käufer in einer solchen Situation hat.

I. GRUNDZÜGE ASSET DEAL / SHARE DEAL

Ein Unternehmenskauf kann in Form eines Asset Deals oder eines Share Deals erfolgen. Beim Asset Deal, bei welchem der Käufer Aktiven, Passiven, Forderungen und Vertragsbeziehungen eines Unternehmens erwirbt, handelt es sich um einen sog. Innominatkontrakt mit vorwiegend kaufrechtlichen Elementen. Die einzelnen Vermögensteile werden mit anderen Worten käuflich erworben, Forderungen werden an den Käufer abgetreten und der Käufer tritt in die laufenden Vertragsbeziehungen des zu kaufenden Unternehmens ein. Die zu übernehmenden Vermögenswerte, z.B. Maschinen, Mobiliar, Bargeld, Forderungen etc., müssen daher individuell bestimmt und vom Verkäufer auf den Käufer übertragen werden. Die Übertragung kann je einzeln, im Rahmen einer sog. Singularsukzession, oder gesamtheitlich, im Rahmen einer fusionsrechtlichen Vermögensübertragung (sog. Universalssukzession) erfolgen. Beide Übertragungsformen weisen Vor- und Nachteile auf, auf welche vorliegend nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.

Im Unterscheid zu einem Asset Deal werden bei einem Share Deal vom Käufer die Aktien oder Anteilscheine des zu übernehmenden Unternehmens vom bisherigen Inhaber (Aktionär oder Gesellschafter) erworben. Das Unternehmen resp. die Vermögenswerte des Unternehmens werden dadurch somit nur indirekt, via dessen Aktien/Anteilscheine, auf den Käufer übertragen. Der Käufer erlangt durch den Kauf der Aktien/Anteilscheine somit die Kontrolle am Unternehmen als solchem.

II. MÖGLICHKEITEN BEI MÄNGELN

Leidet eine gekaufte Sache an inhaltlichen oder rechtlichen Mängeln, die den Wert oder die Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern, hat ein Käufer die Möglichkeit, die Rechtsbehelfe gemäss Art. 197 ff. OR geltend zu machen. Demnach kann der Käufer entweder die Wandlung, d.h. die Rückabwicklung des Kaufvertrages, oder die Minderung des von ihm für die Sache bezahlten Kaufpreises verlangen. Alternativ dazu besteht je nach Situation zudem die Möglichkeit, die Gültigkeit des Kaufvertrages als solchen in Frage zu stellen. Dies dann, wenn sich der Käufer bei Abschluss des Kaufvertrages in einem Irrtum hinsichtlich Tatsachen, welche Grundlage des Kaufvertrages bildeten, befunden hat (Irrtumsanfechtung, Art. 23 und Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR).

Wie bereits einleitend ausgeführt, ist der Kaufgegenstand bei einem Unternehmenskauf im Rahmen eines Share Deals zu unterscheiden vom Kaufgegenstand bei einem Asset Deal. Da im erstgenannten Fall Aktien/Anteilscheine und im zweitgenannten Fall Vermögenswerte (bspw. Maschinen) gekauft werden, beurteilt sich auch die Mangelhaftigkeit dieser Kaufgegenstände unterschiedlich. Nachfolgend wird aufgezeigt, welche Auswirkungen diese Unterscheidung auf die Rechtsbehelfe des Käufers hat:

1. Sachmängelgewährleistung

Beim Asset Deal werden wie erwähnt Vermögenswerte eines Unternehmens auf den Käufer übertragen. Der Kaufpreis für diese Vermögenswerte wird damit mehrheitlich im Verhältnis zur Qualität und zum Wert derselben festgelegt. Leidet der Kaufgegenstand an einem Mangel und ist sein Wert effektiv tiefer als von den Parteien im Kaufvertrag zugrunde gelegt, hat der Käufer die Möglichkeit einer Kaufpreisminderung gemäss Art. 205 OR. Möglich wäre grundsätzlich auch die Rückgabe des Kaufgegenstandes gegen Rückzahlung des Kaufpreises. Je nach Zeitdauer, die seit Abschluss des Kaufvertrages verstrichen ist, und je nach Gewichtigkeit des geltend gemachten Mangels, ist eine solche Rückabwicklung aber in den seltensten Fällen angemessen und praktikabel.

Beim Share Deal werden keine Vermögenswerte direkt, sondern Aktien/Anteilscheine an einem Unternehmen übertragen. Ein Qualitätsmangel der einzelnen Vermögenswerte des Unternehmens stellen somit keinen eigentlichen Mangel der Kaufsache dar. Denn die Kaufsache sind ja die Aktien und nicht die einzelnen Vermögenswerte. Dies hat zur Folge, dass eine Wandlung oder Kaufpreisminderung grundsätzlich nicht möglich ist, wenn «bloss» die Vermögenswerte des gekauften Unternehmens mangelhaft sind. Trotz diverser kritischer Stimmen ist diese Rechtsfolge bis heute ständige bundesgerichtliche Rechtsprecung. Für den wirtschaftlichen Wert des durch die Aktien verbrieften Unternehmens haftet der Verkäufer somit nur dann, wenn er dafür eine besondere Zusicherung abgegeben hat. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages oder eine Kaufpreisminderung kommen bei einem Share Deal daher einzig dann in Frage, wenn der Verkäufer im Kaufvertrag eine Zusicherung hinsichtlich der Qualität oder des Wertes der durch die Aktien verkörperten Vermögenswerte des Unternehmens abgegeben hat.

2. Irrtumsanfechtung

Was sowohl dem Share Deal als auch dem Asset Deal gemeinsam ist, ist dass der Käufer, der sich hinsichtlich des Abschlusses des Kaufvertrages in einem Irrtum befunden hat, den Vertrag als Ganzes anfechten kann (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Dieser Weg steht jedoch nur dann offen, wenn er sich beim Abschluss des Kaufvertrages über eine wesentliche Grundlage des Kaufvertrages geirrt hat. Wesentliche Grundlage kann hierbei aber auch der Wert des gekauften Unternehmens sein. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann der Wert des Unternehmens sowohl beim Share Deal als auch beim Asset Deal Gegenstand einer Fehlvorstellung bilden, da beiden Vertragskonstrukten gemeinsam ist, dass die Parteien letztlich die Übertragung des Unternehmens als wirtschaftliche Einheit anstreben. Das Bundesgericht hält diesbezüglich aber auch fest, dass der vereinbarte Kaufpreis nicht ohne Weiteres mit der Wertvorstellung einer Partei gleichgesetzt werden könne. Eine Fehlvorstellung hinsichtlich einer einzelnen oder bestimmten Tatsache kann daher nur den betriebswirtschaftlich ermittelten Unternehmenswert betreffen bzw. sich auf Faktoren beziehen, welche diesen beeinflussen. Der ausgehandelte Kaufpreis als Ganzes muss dadurch nicht betroffen sein.1 Vielmehr hat der Käufer nachzuweisen, dass dem auch tatsächlich so ist.

III. FAZIT

Hat sich der Käufer eines Unternehmens hinsichtlich dessen Vermögenswerte erwiesenermassen in einem Irrtum bezüglich Qualität, Quantität oder Wert befunden, kann er unter Umständen die Rückabwicklung des Kaufvertrages gestützt auf einen Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob der Unternehmenskauf als Share Deal oder Asset Deals stattgefunden hat. Zu beachten gilt es indes, dass mit der Irrtumsanfechtung die Rückabwicklung des Kaufvertrages als Ganzes angestrebt wird; eine eigentliche Kaufpreisminderung ist mit der Irrtumsanfechtung – zumindest gemäss heutiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung – nicht möglich. Zielt der Käufer auf eine Kaufpreisminderung ab, steht ihm dieser Weg nur offen, wenn er nachzuweisen vermag, dass die eigentliche Kaufsache an einem quantitativen oder qualitativen Mangel leidet. Vorbehältlich einer expliziten vertraglichen Zusicherung beim Share Deal besteht diese Möglichkeit somit nur beim Asset Deal, da nur dort die Vermögenswerte des Unternehmens den eigentlichen Kaufgegenstand bilden.

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9. Mai 2018 / lic. iur. Patricia Geissmann


NATURKATASTROPHE – WER ÜBERNIMMT MEINE REISEKOSTEN?

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin unter Mithilfe von Simone Küng (MLaw)

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Vor wenigen Wochen tobte in der Karibik einer der stärksten jemals gemessenen Hurrikans und verwüstete unter anderem die Inseln Barbuda, Saint-Barthélemy, St. Martin und Kuba. Im Juli dieses Jahres wurden zudem die griechische Insel Kos und die türkische Stadt Bodrum durch ein Erdbeben der Stärke 6.7 heimgesucht. Betrifft die Naturkatastrophe das gebuchte Reiseziel, fühlen sich viele Reisende verunsichert und überlegen, von ihrer geplanten Reise zurückzutreten. Doch die Rückerstattung von bereits geleisteten Anzahlungen an die Reisekosten ist in solchen Fällen nur bedingt möglich. Ausschlaggebend ist auch hier – wie so oft – das Kleingedruckte.

I. AUSGANGSLAGE

Grundsätzlich gilt, dass im Fall eines sogenannten Elementarereignisses, wie Naturkatastrophen im Rechtsgebrauch bezeichnet werden, weder die Fluggesellschaft noch der Reiseveranstalter für einen allfällig entstandenen Schaden der Touristen einstehen müssen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der betreffenden Rei- severanstalter wird dabei oftmals von „höherer Gewalt“ gesprochen. Auch Basis-Reiseversicherungen schliessen Schäden durch Elementarereignisse wie Erdbeben, Hurrikans, Vulkanausbrüche oftmals pauschal von einer Versicherungsdeckung aus. Eine Konsultation der Versicherungspolice bzw. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist damit unumgänglich. Denn solche Haftungsbeschränkungen sind gültig, weshalb Reisende im Fall einer Naturkatastrophe oftmals auf ihren Kosten sitzen bleiben.

Bei Reiseleistungen muss jedoch zwischen Einzelbuchungen (wie beispielsweise nur die Buchung eines Flugs oder einer Unterkunft) und Pauschalreisen unterschieden werden.

II. EINZELBUCHUNGEN

Handelt es sich um eine Einzelbuchung, kommen grundsätzlich die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts zur Anwendung. Kann die Reiseleistung infolge einer Naturkatastrophe nicht mehr angetreten werden, spricht man von einer „nachträglich unverschuldeten Unmöglichkeit“ der Leistungserbringung. In diesen Fällen entfällt die Pflicht des Reisedienstleisters, die gebuchte Leistung zu erbringen sowie die Kosten für allfällig daraus entstandene Schäden zu ersetzen – und zwar unabhängig davon, ob dies in den AGB festgehalten wurde oder nicht. Der Reisende kann jedoch die bereits im Voraus bezahlten Kosten auf dem Wege der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern. Grundsätzlich besteht also die Möglichkeit, zumindest seine Anzahlungen an die Reise wieder zurückzuerhalten. Sofern der Reisende noch keine Anzahlung geleistet hat oder weitere Reisekosten ausstehen würden, ist er nicht mehr zu deren Leistung verpflichtet. Hingegen wälzen die Reisedienstanbieter das Risiko für den Fall, dass sie die gebuchten Leistungen aufgrund einer Naturkatastrophe nicht erbringen können, oftmals vollumfänglich auf ihre Kunden ab. Zu finden sind solche „Risikoüberwälzungen“ sowohl in spezialgesetzlichen Einzelbestimmungen als auch in individuellen Vertragsvereinbarungen – zumeist unter dem Titel „Haftungsbestimmungen“. Damit wird die Gefahr eines unverschuldeten Leistungsuntergangs (wie eben im Fall einer Naturkatastrophe) auf den Reisenden übertragen. So sieht insbesondere die EU-Verordnung über die Passagierrechte (EG 261/2004)* einen solchen Haftungsausschluss für Fluggesellschaften vor. Wird der Flug also infolge eines Naturereignisses annulliert, ist eine Rückforderung der Flugkosten beim Fluganbieter somit nicht möglich. Darüber hinaus könnte der Reiseanbieter auch die restlichen Reisekosten einfordern, obwohl er seine Leistung gar nicht erbringen kann. Um bei Konsumentenschützern und Kunden nicht in Verruf zu geraten, wird der Reisedienstanbieter aber regelmässig auf die Eintreibung einer solchen Restforderung verzichten.

Solche Haftungsausschlüsse bilden keine Seltenheit, weshalb die Konsultation einzelner spezialgesetzlicher Bestimmungen und individueller Vertragsbedingungen für jeden Einzelfall unumgänglich ist.

III. PAUSCHALREISEN

Eindeutig ist der Fall hingegen bei sogenannten „Pauschalreisen“. Von einer Pauschalreise spricht man, wenn mindestens zwei touristische Hauptleistungen (zumeist Flug und Unterkunft, aber auch Kreuzfahrten oder Anreise verbunden mit einer Rundreise etc.) beim selben Anbieter gebucht werden. Ist dies der Fall, kommt das Pau- schalreisegesetz zur Anwendung. Dieses Gesetz sieht explizit einen Haftungsausschluss im Fall höherer Gewalt vor. Muss der Reiseveranstalter die Pauschalreise infolge einer Naturkatastrophe annullieren, ist er somit nicht verpflichtet, den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen, unabhängig davon, ob er dies in seinen AGB vorsieht oder nicht.

Da bei Pauschalreisen immer zwei Hauptleistungen gebucht werden, kann eine Naturkatastrophe zur Konstellation führen, dass die Reise zwar grundsätzlich angetreten werden kann (beispielsweise findet der Flug statt), die gebuchte Unterkunft am Reiseziel aber nicht bezogen oder die geplante Rundreise nicht durchgeführt werden kann. Das Pauschalreisegesetz sieht daher für den Fall, dass der Reiseveranstalter einen erheblichen Teil der vereinbarten Leistungen nicht erbringen kann, die Leistung von Ersatzmassnahmen – u.a. auch Schadenersatz – vor. Davon ausgeschlossen sind aber wiederum Fälle der höheren Gewalt. Das heisst, der Reiseveranstalter ist somit nicht dazu verpflichtet, dem Reisenden eine Alternative (wie beispielsweise eine andere Unterkunft oder Rundreise) anzubieten. Immerhin ist der Reisevermittler jedoch gesetzlich dazu verpflichtet, dem Reisenden in solchen Situationen „Hilfe zu leisten“ (Art. 15 Abs. 2 Pauschalreisegesetz). Wie diese „Hilfe“ aussehen soll, wird allerdings nicht näher definiert.

IV. VERSICHERUNGSDECKUNG

Um schlussendlich nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben, schliessen viele Reisende regelmässig Reiseversicherungen ab. Allerdings ist auch hierbei Vorsicht geboten. Denn auch Reiseversicherungen haften im Fall höherer Gewalt oft nur begrenzt.

Selbst wenn eine Reiseversicherung abgeschlossen wurde, müssen im Fall einer Naturkatastrophe die Allgemeinen Geschäftsbedingungen konsultiert werden. Denn gewöhnliche Basisreiseversicherungen schliessen oftmals eine Haftung für sogenannte Elementarereignisse aus. Hat sich die Versicherung eine Haftung wegbedungen und die Gefahr eines zufälligen Leistungsuntergangs auf den Versicherungsnehmer übertragen, gibt es kaum eine Möglichkeit, um sich die bereits geleisteten Zahlungen an den Reisedienstleister zurückerstatten zu lassen. Und selbst wenn Elementarereignisse vom Versicherungsschutz miteingeschlossen sind, sind die Rückerstattungskosten in ihrer Höhe häufig begrenzt.

Wurde eine sog. Annullierungskosten-Versicherung abgeschlossen, übernimmt die Versicherung die Kosten einer bereits im Voraus bezahlten Reise ebenfalls nur dann, wenn die versicherte Person die Reise aus wichtigen Gründen wie Krankheit, Unfall oder Tod des Reisebegleiters nicht antreten kann. Im Falle einer Naturkatastrophe übernimmt sie die Annullierungs-Kosten in der Regel nur in den Fällen, in welchen das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) für das betroffene Reiseziel eine Reisewarnung herausgegeben hat bzw. ausdrücklich empfiehlt, nicht in das entsprechende Land zu reisen. Im aktuellen Fall des Hurrikans „Irma“ rät das EDA aber nicht von einer touristischen Reise in die betroffenen Länder ab (mit Ausnahme von Haiti), sondern weist lediglich auf Sachschäden und eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten hin. Entsprechend muss davon ausgegangen werden, dass die Reise in die betroffenen Länder grundsätzlich angetreten werden kann und die Versicherung allfällige Annullierungskosten höchstens aus Kulanzgründen übernimmt. Möchte man dennoch von der Reise zurücktreten, schuldet man dem Reisedienstleister die Entschädigung gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die Reisewarnungen können auf der Website des EDA unter „Vertretungen und Reisehinweise“ abgerufen werden.

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* Die EU-Verordnung (EG 261/2004) über die Passagierrechte gilt für sämtliche Flüge, die ab einem EU- Flughafen starten sowie für Flüge, die von EU-Fluggesellschaften durchgeführt werden und einen EU-Flughafen als Ziel haben. Die Verordnung mitunterzeichnet haben zudem die Schweiz, Norwegen und Island. Sofern in diesem Kontext von EU gesprochen wird, sind die Schweiz, Norwegen und Island somit miteingeschlossen.

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4. Oktober 2017 / lic. iur. Patricia Geissmann


WISSENSWERTES ZU RESERVATIONSGEBÜHREN IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ERWERB VON GRUNDSTÜCKEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Hinblick auf einen geplanten Grundstückerwerb ist es heute weit verbreitet, im Vorfeld des Abschlusses eines Grundstückkaufvertrags und eines allfälligen Vorvertrags auch noch eine sogenannte Reservationsvereinbarung abzuschliessen. Diese Reservationsvereinbarungen werden üblicherweise nicht notariell beurkundet, haben aber zumeist eine erste Anzahlung von nicht unerheblicher Höhe an den späteren Erwerbspreis zur Folge. Für den Fall, dass es dann doch nicht zum Erwerb des Grundstücks kommt, wird gestützt auf ebendiese Klausel die Rückerstattung der Anzahlung verweigert. Vorliegender Beitrag befasst sich mit der Zulässigkeit dieser in der Praxis weit verbreiteten Vorgehensweise.

I. GRUNDSATZ: FORMERFORDERNIS DER ÖFFENTLICHEN BEURKUNDUNG

Im Zusammenhang mit dem Erwerb von Grundstücken ist das Formerfordernis gemäss Art. 216 Abs. 1 OR zu berücksichtigen: Kaufverträge über Grundstücke müssen öffentlich beurkundet werden, damit sie gültig sind. Dasselbe gilt für allfällige Vorverträge (Art. 216 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 2 OR). Weiter hat das Bundesgericht auch die Pflicht zur öffentlichen Beurkundung von als „Reservationsvereinbarungen“ bezeichneten Verträgen, welche jeweils vor Abschluss eines Grundstückkaufvertrages erfolgen, explizit bejaht (BGer Urteil 4C.271/2003 vom 17. Februar 2004, E. 2.1; BGer Urteil 4P.195/2003 vom 17. Februar 2004, E. 3.1).

Nach dem Gesagten gilt, dass eine Reservationsvereinbarung, ist sie nur schriftlich abgeschlossen, grundsätzlich formnichtig ist, mit der Folge, dass eine allfällige, darauf gestützte Reservationszahlung ohne jeden Rechtsgrund erfolgte und somit vom Empfänger zurückerstattet werden muss. In der Praxis zeigt sich derweil jedoch, dass die Rückerstattung der genannten Zahlung durch den Verkäufer mit dem Argument verweigert wird, es handle sich dabei um die Leistung einer im Rahmen der Reservationsvereinbarung eigens abgeschlossenen Konventionalstrafe für den Fall, dass sich der Käufer vom Abschluss des Kaufvertrages zurückziehe. Weiter wird dann jeweils argumentiert, eine solche Konventionalstrafe bedürfe keiner öffentlichen Beurkundung. Diesbezüglich gilt es folgendes festzuhalten: Richtig ist, dass Konventionalstrafen für sich alleine keiner öffentlichen Beurkundung bedürfen und somit auch nur schriftlich abgeschlossen werden können. Im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Reservationsvereinbarung bilden sie indes lediglich eine sogenannte Nebenabrede, weshalb diesbezüglich das Formerfordernis der Reservationsvereinbarung ebenfalls eingehalten werden muss. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung umfasst die Nichtigkeit eines Vertrages aufgrund einer nicht respektierten Formvorschrift auch allfällige Nebenabreden wie bspw. Konventionalstrafen (BGer Urteil 4C.271/2003 vom 17. Februar 2004, E. 2.1; BGer Urteil 4P.195/2003 vom 17. Februar 2004, E. 3.1). Folglich ist die genannte Strafzahlung auch unter dem Titel der Konventionalstrafe nicht geschuldet resp. kann, sofern sie bereits geleistet wurde, vom Käufer zurückverlangt werden.

II. AUSNAHMSWEISE GÜLTIGKEIT BEI BLOSSER SCHRIFTLICHKEIT

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen ist somit festzuhalten, dass Reservationsvereinbarungen als eigentliche Vorverträge zu Grundstückkaufverträgen in aller Regel öffentlich beurkundet werden müssen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch auf die möglichen Ausnahmen hinzuweisen, wonach eine von einem potentiellen Käufer an einen potentiellen Verkäufer geleistete Zahlung als rechtsgültig qualifiziert werden kann, selbst wenn es an der öffentlichen Beurkundung dieser Zahlungspflicht fehlt.

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung können Zahlungsversprechen im Zusammenhang mit Reservationsvereinbarungen dann formlos erfolgen, wenn sie auch unabhängig vom Erwerb eines konkreten Grundstücks vereinbart worden wären (BGE 140 III 200, E. 5.3 ff.). Ergibt sich somit aufgrund der Umstände eines konkreten Vertragsverhältnisses zweier Parteien, dass die Zahlungsverpflichtung einer Partei einer selbständigen Entschädigungsvereinbarung zugrunde liegt, an welcher die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse haben oder hatten, so kann diese folglich auch losgelöst vom Reservationsvertrag und dessen Formerfordernis formlos abgeschlossen werden. Sofern allerdings feststeht, dass die Entschädigungsvereinbarung einzig und alleine im Zusammenhang mit der Reservationsvereinbarung und insbesondere im Hinblick auf den abzuschliessenden Grundstückkaufvertrag getroffen wurde, fehlt es an dieser Eigenständigkeit und die Pflicht zur öffentlichen Beurkundung des Vertrages erstreckt sich auch auf diese Entschädigungsvereinbarung (vgl. BGE 140 III 200, E. 5.3 und BGer Urteil 4A_281/2014 vom 17. Dezember 2014, E. 3.3). Die Autorinnen erlauben sich an dieser Stelle jedoch die kritische Bemerkung, dass die Anzahlung einer Partei im Rahmen einer Reservationsvereinbarung wohl sehr häufig im Hinblick auf den späteren Erwerb des Grundstücks abzielen dürfte, weshalb das Vorliegen einer selbständigen Entschädigungsvereinbarung, an welcher die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse haben, gut begründet sein müsste.

III. SCHADENERSATZPFLICHT BEI ABGEBROCHENEN VERHANDLUNGEN

Abschliessend ist auf die Frage einzugehen, ob eine im Rahmen einer Reservationsvereinbarung geleistete Zahlung ihre rechtliche Grundlage allenfalls im Grundsatz der culpa in contrahendo haben könnte. Oftmals findet sich in den Reservationsvereinbarungen nämlich folgender Wortlaut: „Diese Anzahlung wird dereinst an den Erwerbspreis angerechnet, dient aber gleichzeitig als Reservationsgebühr zur Abdeckung der von der Verkäuferin erbrachten Vorleistungen“.Teilweise wird eine solche Anzahlung auch als „pauschalisierte Abdeckung für Schäden, die aufgrund der Verletzung von vorvertraglichen Pflichten entstehen können“, bezeichnet.

Als culpa in contrahendo wird die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem vorvertraglichen Verhältnis zweier Parteien bezeichnet. Wird ein Vertrag letztlich doch nicht abgeschlossen, weil eine Partei z.B. trotz bereits fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen plötzlich unerwartet von den Verhandlungen zurücktritt, haftet die zurücktretende Partei unter bestimmten Umständen für die bereits getätigten Auslagen der Gegenpartei (z.B. den Planungsaufwand). Der Haftungsanspruch aus culpa in contrahendo existiert von Gesetzes wegen und somit unabhängig von einer expliziten Erwähnung im Vertrag oder der Einhaltung einer bestimmten Form. Es gilt jedoch auch – gerade im Zusammenhang mit Grundstückkaufverträgen – die strenge Rechtsprechung des Bundesgericht in solchen Fällen zu berücksichtigen: Bereits in BGE 106 II 36 hielt das Bundesgericht fest, dass ein Haftungsanspruch einer Partei aus culpa in contrahendo, nachdem sich die andere Partei vom Abschluss des formgültigen Kaufvertrages distanziert hat, dann ausgeschlossen sei, wenn das Zustandekommen eines formgültigen Grundstückkaufvertrages gleichermassen auf die Nachlässigkeit der einen wie der anderen Partei zurückzuführen sei (E. 5). Im genannten Fall hatten sich die Parteien nach Leistung der Reservationszahlung zu wenig darum bemüht, den (formell rechtsgültigen) Grundstückkaufvertrag zeitnah abzuschliessen, weshalb es nach Auffassung des Bundesgerichts keinen Grund gab, um diejenige Partei, welche die Zahlung empfangen hatte, in ihrem Vertrauen auf den Abschluss eines formgültigen Grundstückkaufvertrages zu schützen. Das Bundesgericht hielt fest, dass, wer im Wissen um ein formtechnisch gesehen ungültiges Versprechen trotzdem Auslagen tätigt, auf eigenes Risiko handle (vgl. BGer Urteil 4C.56/2004 vom 16. Juni 2004, E. 2.3). Eine Partei dürfe daher nur unter speziellen Umständen darauf vertrauen, dass es „dann schon noch“ zum Abschluss des Vertrages komme; solche speziellen Umstände seien aber nicht bereits dann gegeben, wenn die Vertragsverhandlungen lange andauerten oder die vom Vertrag zurücktretende Partei von den getätigten Investitionen der Gegenseite Kenntnis hatte (BGer Urteil 4A_615/2010 vom 14. Januar 2011, E. 4.1.1).

V. FAZIT

In der Praxis wird zunehmend die Tendenz beobachtet, dass Verkäufer von Grundstücken mit spezifischen Vertragsklauseln in bloss schriftlich abgeschlossenen (und somit eben nicht öffentlich beurkundeten) Reservationsvereinbarungen versuchen, eine pauschalisierte Abdeckung der von ihnen getätigten Auslagen zu vereinbaren.

Angesichts der strengen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist diesbezüglich Folgendes festzuhalten: Wurde der Reservationsvertrag nicht öffentlich beurkundet und kommt es schliesslich doch nicht zum Abschluss des Kaufvertrags, ist ein Anspruch des potentiellen Verkäufers auf eine Entschädigungszahlung resp. die Pflicht des potentiellen Käufers zur Leistung einer Konventionalstrafe grundsätzlich nicht gegeben. Eine ausnahmsweise Gültigkeit solcher Zahlungsverpflichtungen ist nur dann gegeben, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls klar dafür sprechen, dass diese Zahlungsverpflichtung unabhängig vom zukünftigen Grundstückkaufvertrag abgeschlossen wurde und die Parteien ein eigenes und vom Grundstückkaufvertrag unabhängiges Interesse an dieser Vereinbarung haben. Der Beweis dafür dürfte allerdings nicht einfach zu erbringen sein. Ein Schadenersatzanspruch gestützt auf den Grundsatz der culpa in contrahendo ist dem Grundsatz nach ebenfalls möglich; auch hier gilt es jedoch die strenge bundesgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen. 

Für den Verkäufer hat das vorstehend Erläuterte die Konsequenz, dass er unbedingt darauf zu achten hat, dass die einer Reservationszahlung zugrunde liegende Vereinbarung (sog. Reservationsvereinbarung) öffentlich beurkundet wird. Solange er ohne formgültigen Vertrag Auslagen tätigt, besteht das Risiko, dass er bei einem Verhandlungsabbruch seitens des Käufers auf den Kosten sitzen bleibt. Der Käufer wiederum hat zu berücksichtigen, dass er eine Reservationszahlung ebenfalls nicht leichthin leistet, da eine solche – sofern alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind – als sogenannte Zahlung aus culpa in contrahendo qualifiziert werden könnte, mit der Folge, dass er sie nicht mehr zurückfordern kann.
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20. Februar 2017 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, unter Mithilfe von Simona Serratore (B.A. HSG)


GELTENDMACHUNG VON MÄNGELRECHTEN BEI LIEFERUNG EINES ANDEREN ALS DEM BESTELLTEN, JEDOCH (TECHNISCH) BESSEREN PRODUKTS?

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In Werkverträgen werden oftmals ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen betreffend Werkseigenschaften geschlossen. Darin halten die Parteien fest, welche Eigenschaften das bestellte Werk aufweisen muss.

Es kann sich dabei um technische Eigenschaften (bspw. die Höhe der Schalldichte einer Tür) oder um bloss optische Eigenschaften (bspw. eine bestimmte Farbe) handeln. Wird nun im Fall einer vereinbarten technischen Eigenschaft ein abweichendes Werk geliefert, welches nicht die vereinbarte, sondern eine andere, jedoch technisch bessere Eigenschaft aufweist, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um einen Werkmangel im Sinne von Art. 368 OR handelt, welcher dem Besteller die gesetzlichen Mängelrechte (Wandelung/Minderung/Nachbesserung) einräumt.

I. MANGELHAFTIGKEIT DES WERKES

Ein Werk gilt dann als mangelhaft im Sinne des Gesetzes, wenn es nach der allgemeinen Verkehrsanschauung fehlerhaft ist oder wenn es nicht diejenige Beschaffenheit aufweist, die nach dem Vertrag geschuldet ist. Im zweitgenannten Fall kann sich die Frage stellen, ob ein Werk, welches in einem Punkt zwar nicht die vereinbarten Eigenschaften aufweist, in ebendiesem Punkt jedoch eine (technisch) bessere Lösung bietet, überhaupt ein Mangel i.S.v. Art. 368 OR darstellt.

1. Vereinbarte Eigenschaften

Als vereinbarte Eigenschaft gelten einerseits die allgemeinen Merkmale eines Werkes, wie bspw. das Material, die Form, die Abmessung eines Werkes oder deren Ausführung, und andererseits aber auch die besonderen Merkmale eines Werkes, wie bspw. die genauere Beschreibung des Werkes, die Undurchlässigkeit eines Daches (BGE 93 II 316), die spezifische Leistungsfähigkeit einer Maschine, ein bestimmter Wärmedurchlasswert von Fenster- und Türrahmen, etc.

Ob und welche Werkeigenschaften durch eine entsprechende Abrede vereinbart worden sind, ist im Einzelfall durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Jede Eigenschaftsvereinbarung setzt eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien voraus (Art. 1 Abs. 1 OR). Bei der Beurteilung der Vertragswidrigkeit und folglich bei der Frage, was konkret Inhalt des Vertrages war, darf man sich allerdings nicht darauf beschränken, einzig und alleine auf den Wortlaut des Vertrages abzustellen, sondern es ist nach den Auslegungsregeln festzustellen, was die Parteien im konkreten Fall effektiv gewollt haben (vgl. BGer 4A_460/2009 vom 04.12.2009).

2. Werkmangel beim Fehlen der vereinbarten Eigenschaft?

Weist das Werk nicht die vereinbarten (vom Unternehmer zugesicherten) Eigenschaften auf, liegt immer ein Werkmangel vor, unabhängig davon, ob das betreffende Werk nach den „anerkannten Regeln der Technik“ oder einem gleichwertigen Standard erstellt worden ist. Das Werk weist somit auch dann einen Mangel auf, wenn es in seinen Eigenschaften wirtschaftlich oder technisch besser, wertvoller oder zum massgeblichen Gebrauch tauglicher ist, als es mit den vereinbarten Eigenschaften gewesen wäre. Fraglich ist freilich, ob dem Besteller in einem solchen Fall dennoch die gesetzlichen Mängelrechte zustehen.

II. GELTENDMACHUNG DER MÄNGELRECHTE

Grundsätzlich hat der Besteller eines Werkes, das vom Unternehmer im Sinne des Gesetzes oder der gegenseitigen Vereinbarung mangelhaft geliefert worden ist, Anspruch auf Wandlung des Vertrages, Minderung des Werklohnes oder Nachbesserung des Werkes.

1. Wandlung des Werkvertrages

Das Wandelungsrecht zielt auf die Aufhebung und Rückabwicklung des Werkvertrages ab. Da dies den Unternehmer schwer treffen kann, kann es nicht in jedem Fall der Mängelhaftung geltend gemacht werden. Als besondere Voraussetzung dafür muss die Annahme des Werkes für den Besteller unzumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit ist eine Ermessensfrage. Entscheidend ist, ob es dem Besteller nach „Recht und Billigkeit“ zugemutet werden kann, das abgelieferte Werk zu behalten. Diese Frage ist freilich einzelfallorientiert zu beantworten. In einem Fall, in welchem die Mangelhaftigkeit des Werkes bloss in der Abweichung einer vertraglich vereinbarten, technischen Eigenschaft liegt, das gelieferte Werk jedoch technisch besser ist, ist diese Frage sicherlich zu verneinen. Handelt es sich bei der Vereinbarung jedoch bspw. um die Farbe des Werkes und wird das Werk in einer anderen Farbe geliefert, kann sich eine Wandlung des Vertrages durchaus rechtfertigen.

2. Minderung des Werkpreises

Das Minderungsrecht setzt voraus, dass das Werk auch effektiv einen Minderwert aufweist. Dies ist nur dann der Fall, wenn zwischen dem abgelieferten – mangelhaften – Werk und dem vereinbarten – mängelfreien – Werk eine effektive Wertdifferenz besteht. Dies ist bei der Lieferung eines Werkes mit – zwar vom Vertrag abweichenden, jedoch besseren – Eigenschaften nicht der Fall. Dem Minderungsrecht des Bestellers wird in einem solchen Fall somit die Grundlage entzogen (Gauch, Der Werkvertrag, N 1638). Der Besteller kann sich folglich in diesem Fall nicht auf das Minderungsrecht gemäss Art. 368 Abs. 2 OR berufen.

3. Nachbesserung

Das Nachbesserungsrecht gibt dem Besteller das Recht, den Unternehmer zur unentgeltlichen Nachbesserung und zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Als besondere Voraussetzungen dafür muss es dem Unternehmer einerseits möglich sein, den Mangel zu beheben und andererseits darf die Nachbesserung nicht übermässige Kosten verursachen. Übermässig sind Kosten dann, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen, den die Mangelbeseitigung für den Besteller hat, stehen. Die Nachbesserung im vorstehend geschilderten Fall wäre daher (unter den erläuterten Voraussetzungen) grundsätzlich möglich. Die „Nachbesserung“ eines Werkes zu einem schlechteren Produkt scheint allerdings wohl in den seltensten Fällen sinnvoll zu sein.

III. FAZIT

Ein Werk, welches nicht die von den Parteien im Vertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist, stellt immer ein mangelhaftes Werk im Sinne des Gesetzes dar. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob es auch nach den „anerkannten Regeln der Technik“ minderwertig ist oder nicht. Der Besteller soll sich darauf verlassen dürfen, dass das von ihm bestellte Werk über jene Eigenschaften verfügt, die ihm vom Unternehmer vertraglich versprochen worden sind. In jenem Fall allerdings, in welchem das vom Vertrag abweichende (und im Sinne des Gesetzes daher mangelhafte) Werk technisch besser ist als das von ihm tatsächlich Bestellte, wird es in den meisten Fällen an den besonderen Voraussetzungen für die Geltendmachung der Mängelrechte durch den Besteller fehlen, so dass dieser zwar ein „mangelhaftes“ Werk im Sinne des Gesetzes hat, aufgrund des nicht vorliegenden Nachteils jedoch keine Mängelrechte geltend machen kann. Im Ergebnis hat er sich daher mit dem besseren, wenn auch im Sinne des Gesetzes mangelhaften, Werk abzufinden.

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11. Oktober 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick


HAFTUNG UND HAFTUNGSAUSSCHLUSS BEI FEHLENDER STRASSENSIGNALISATION

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Matthias Meier

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Schilder, Signale und Ampeln, wohin das Auge reicht: Manch ein Strassenbenützer fühlt sich heute durch den „Schilderwald“ im Strassenverkehr eher verwirrt als orientiert. Bei manch einem Automobilisten dürfte auch der Verdacht aufkommen, dass Verkehrssignale nur platziert werden, damit die Polizei bei deren Missachtung eine Busse aussprechen kann. Interessant ist hingegen auch die gegenteilige Konstellation: Fehlt ein Signal oder eine Markierung, können auf den betreffenden Eigentümer der Strasse – in der Regel die Gemeinde, den Kanton oder die Eidgenossenschaft – unter Umständen Haftungsansprüche zukommen: Das Bundesgericht hat kürzlich in einem Entscheid bestätigt, dass die fehlende Signalisation von Gefahren einen Werkmangel darstellen kann, wodurch den Eigentümer eine Werkeigentümerhaftung treffen kann.

I. DER BUNDESGERICHTSENTSCHEID

Dem Entscheid des Bundesgerichts (Urteil 4A_479/2015 vom 2. Februar 2016) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Motorradfahrerin verunfallte bei Regen auf der Autobahn in einer Linkskurve im Bereich einer Baustelle und erlitt beim Sturz leichte Verletzungen. Die Fahrbahn war im Bereich des Unfalls sehr rutschig. Die Baustelle war zwar mit dem Signal «Baustelle» gekennzeichnet; allerdings fehlte das Signal «Schleudergefahr».

Die Motorradfahrerin klagte vor Kantonsgericht Luzern gegen die (Werk-)Eigentümerin der Strasse (Eidgenossenschaft) und bekam recht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Eidgenossenschaft gegen diesen Entscheid ab.

Das Bundesgericht hob zwar hervor, dass es in erster Linie Sache der einzelnen Verkehrsteilnehmer sei, die Strasse mit Vorsicht zu benützen und ihr Verhalten den Strassenverhältnissen anzupassen. Ein Strassenverkehrsteilnehmer dürfe jedoch grundsätzlich von einer guten und sicheren Strasse ausgehen. Ein Hindernis, das bei zumutbarer Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig erkannt werden kann und mit dem nach den Umständen nicht gerechnet werden muss, muss hinreichend signalisiert werden, sofern es nicht mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden kann. Das Fehlen einer Signalisation von Gefahren kann daher einen Werkmangel darstellen, wodurch eine Haftung des Werkeigentümers gemäss Artikel 58 OR in Frage kommt. Mit einer derart rutschigen Fahrbahn habe die Motorradfahrerin nicht rechnen müssen und können. Zusätzlich zum Signal «Baustelle» hätte daher auch das Signal «Schleudergefahr» aufgestellt werden müssen.

II. WERKEIGENTÜMERHAFTUNG

Gemäss Artikel 58 OR hat der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhaftem Unterhalt verursachen. Als Werke gelten stabile, durch Menschenhand künstlich hergestellte oder angeordnete, bauliche oder technische Anlagen, die mit dem Erdboden, sei es direkt oder indirekt, dauerhaft verbunden sind. Unter den Werkbegriff fallen neben Gebäuden auch Strassen sowie blosse Werkteile wie beispielsweise Treppen, Aufzüge, Leitungen, Mauern, Abschrankungen, Schutzbauten oder auch künstlich geschaffene Skipisten. Ein Werk ist mangelhaft, wenn es nicht die erforderliche Sicherheit bietet. Als Ursachen kommen insbesondere der mangelhafte Unterhalt (wenn sich z.B. ein Ziegel vom Dach eines alten Hauses löst) bzw. die fehlerhafte Anlage oder Herstellung (z.B. eine fehlende Verbotstafel bei gefährlicher Wassertiefe für jugendliche Badegäste) in Betracht.

Der Eigentümer eines Werkes haftet für alle Schäden, die das mangelhafte Werk verursacht. Die Verpflichtung des Eigentümers, ein mängelfreies Werk zu errichten und zu unterhalten, wird umso strenger beurteilt, je grössere Risiken das Werk mit sich bringt und je kostengünstiger Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden können. Obwohl nicht jede Gefahrenquelle einen Werkmangel darstellt, der Eigentümer nur normale Risiken vermeiden, d.h. nicht jedem entfernt vorstellbaren Schaden vorbeugen muss, kann sich der Werkeigentümer grundsätzlich nicht mit dem Nachweis von der Haftung befreien, dass er die nötige Sorgfalt im Zusammenhang mit der Erstellung und dem Unterhalt des Werkes aufgewendet hat. Der Werkeigentümer haftet kraft seiner Eigentümerstellung kausal – also auch ohne Verschulden – für alle Schäden, die sein Werk verursacht.

Der Werkeigentümer kann sich auch nicht mit dem Hinweis von der Haftung befreien, dass er auf die Gefahr des Werkes hingewiesen habe. Das blosse Aufhängen oder Aufstellen von Warn- bzw. Verbotsschildern (“Zutritt verboten – Jede Haftung wird abgelehnt“ und dergleichen) genügt im Normalfall nicht, um die Haftung wegzubedingen.

Es kann höchstens als Umstand gelten, den das Gericht bei der Schadenersatzbemessung wertet.

III. DER STRASSENUNTERHALT IM BESONDEREN

Die oben beschriebenen Grundsätze der Werkeigentümerhaftung gelten grundsätzlich auch für öffentliche Strassen.

Strassen müssen – wie alle anderen Werke privater Eigentümer – so angelegt und unterhalten sein, dass sie den Benutzern hinreichende Sicherheit bieten. Im Vergleich zu anderen Werken stellt die Rechtsprechungbezüglich Anlage und Unterhalt von Strassen aber nicht allzu strenge Anforderungen. Dies insbesondere deshalb, weil das Strassennetz nicht in gleichem Mass unterhalten werden kann wie zum Beispiel ein einzelnes Gebäude. Dabei sind die Grundsätze der Rechtsprechung nicht nur auf eigentliche Strassen, sondern auch auf Plätze, Radfahrer- und Fussgängerwege, Promenaden, Reitwege, Durchgänge, Verbindungsbrücken oder Passagen anwendbar.

Es kann vom Strasseneigentümer, bei dem es sich meistens um das Gemeinwesen handelt, nicht erwartet werden, dass er jede Strasse so ausgestaltet, dass sie den grösstmöglichen Grad an Verkehrssicherheit bietet. Vom Benützer einer Strasse wird erwartet, dass er die durch die Umstände gebotene Aufmerksamkeit walten lässt.

Namentlich bei witterungsmässig schlechten Strassenverhältnissen ist Vorsicht geboten. Auf der anderen Seite ist bei selbst geschaffenen Gefahrenquellen (z.B. eine Baustelle) in der Regel mit einer entsprechenden Signalisation auf daraus entspringende Gefahren (z.B. rutschige Fahrbahn) hinzuweisen.

Es genügt somit, dass der Verkehrsteilnehmer die Strasse bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt ohne Gefahr benützen kann, er also über sämtliche Gefahren informiert ist. Sodann muss in jedem einzelnen Fall geprüftwerden, ob der Strasseneigentümer – in der Regel der Staat – nach den zeitlichen, technischen und finanziellenGegebenheiten in der Lage war, seine Aufgabe zu erfüllen. Die Frage der Zumutbarkeit von Sicherheitsvorkehren

wird zudem unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob es sich um eine Autobahn, eine verkehrsreiche Hauptstrasse oder einen Feldweg handelt. Es muss also im Winter nicht bei jeder Nebenstrasse auf das mögliche Auftreten von Glatteis hingewiesen werden.

Auf der anderen Seite ist die Verantwortung des Eigentümers gerade bei Glatteisgefahr und starkem Publikumsverkehr hervorgehoben. In solchen Fällen muss er um die wirksame Gefahrenbeseitigung (Streuen, Auslegen eines Teppichs etc.) oder das Aufstellen eines Warnschildes besorgt sein. Die Rechtsprechung stellt hierbei an den Privateigentümer höheren Anforderungen bezüglich Unterhalt als an ein Gemeinwesen, weil dieses ein ganzes Strassennetz zu unterhalten hat. 

IV. FAZIT

Der Werkeigentümer haftet kausal – also auch ohne Verschulden – für alle Schäden, die sein Werk verursacht. Er kann sich auch nicht von der Haftung befreien, indem er schlicht auf die Gefahr des Werkes hinweist. Vielmehr hat er alles Notwendige vorzunehmen, um einen Schadenseintritt zu verhindern. Im Vergleich zu anderen Werken stellt die Rechtsprechung bezüglich Anlage und Unterhalt von Strassen aber diesbezüglich nicht allzu strenge Anforderungen.

Gerade bei Glatteisgefahr und starkem Publikumsverkehr gelten jedoch höhere Anforderungen bezüglich Aufstellen von Warnschildern und Unterhalt von Strassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Privateigentümer einer Strasse höhere Anforderungen treffen. Ihnen ist deshalb zu empfehlen, auf den Unterhalt von Gebäuden und anderen Werken zu achten und gegebenenfalls mit Warnschildern auf Gefahren hinzuweisen.

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2. Juni 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Matthias Meier


AUSWIRKUNGEN DER EINSPRACHE GEGEN EINEN STRAFBEFEHL AUF DIE VERFOLGUNGSVERJÄHRUNG

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und Antonia Mästinger, MLaw

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hatte sich in einem kürzlich erschienenen Urteil mit der Frage des Eintritts der Rechtskraft bei Erlass eines Strafbefehls zu befassen. Dem Entscheid liegt der Sachverhalt zugrunde, bei dem die Überschreitung der innerorts geltenden Höchstgeschwindigkeit um 16 km/h im April 2011 mittels Strafbefehl mit einer Busse von Fr. 290 bestraft wurde. Das zuständige Bezirksgericht, welches sich mit der gegen diesen Strafbefehl erhobenen Einsprache zu befassen hatte, bestätigte die Busse von Fr. 290 mit Urteil vom 24. Juni 2014.

Gegen den Entscheid wurde Berufung eingereicht, mit der Begründung, die Verfolgungsverjährung sei bereits eingetreten, weshalb eine Verurteilung durch das Bezirksgericht nicht mehr möglich gewesen sei. In Gutheissung dieser Berufung wurde das Verfahren im April 2015 wegen Verjährung eingestellt. Dagegen erhob die Oberstaatsanwaltschaft Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht mit der Begründung, die Verjährungsfrist sei im Zeitpunkt der Überweisung des Verfahrens an das Bezirksgericht unterbrochen worden. Im Entscheid 6B_608/2015 vom 15. Januar 2016 hatte das Bundesgericht somit die Frage zu beantworten, ob das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung zu Recht eingestellt worden ist oder nicht.

I. VERJÄHRUNGSFRIST VON ÜBERTRETUNGEN

Bei der vorliegend begangenen Verkehrsregelverletzung handelt es sich um eine Übertretung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG, welche mit Busse bestraft wird. Gem. Art. 109 StGB verjähren Übertretungen in drei Jahren. Die Verjährung beginnt an dem Tag zu laufen, an welchem die Übertretung begangen worden ist, vorliegend also im April 2011. Art. 97 Abs. 3 StGB bestimmt, dass die Verjährung dann nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Um ein solches handelt es sich bei einem richterlichen Urteil oder bei einem rechtskräftigen Entscheid einer Justizbehörde, d.h. bspw. der Staatsanwaltschaft (BGE 135 IV 196 E. 2.6 S. 198).

II. FEHLENDE URTEILSQUALITÄT

Bis zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 15 km/h innerorts wird gemäss Nr. 303 des Anhangs 1 zur Ordnungsbussenverordnung (OBV) eine Ordnungsbusse erteilt. Liegt, wie vorliegend, indes eine höhere Geschwindigkeitsüberschreitung vor, kann das Ordnungsbussenverfahren nicht mehr angewendet werden. In solchen Fällen wird ein Strafbefehl ausgestellt, den die beschuldigte Person akzeptieren oder gegen den sie gemäss Art. 354 Abs. 1 StPO bei der Staatsanwaltschaft innert Frist von 10 Tagen Einsprache erheben kann. Wird von dieser letztgenannten Möglichkeit kein Gebrauch gemacht, wird der Strafbefehl gemäss Art. 354 Abs. 3 StPO zum rechtskräftigen Urteil erhoben. E contrario ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass einem Strafbefehl, der mittels Einsprache angefochten wird, die Urteilsqualität per se abgeht, weshalb auch kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB vorliegt. Denn die Einsprache ist ein Rechtsbehelf, der dazu führt, dass der Strafbefehl gerade nicht in Rechtskraft erwächst, sondern dahinfällt. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 15. Januar 2016 entschieden, dass die Verjährungsfrist aufgrund der Erhebung der Einsprache im vorliegenden Fall nicht unterbrochen worden ist und folglich auch während des Verfahrens vor Bezirksgericht weiterhin lief.

Nach Erheben der Einsprache hat die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 355 StPO die weiteren Beweise abzunehmen, welche zur Beurteilung der Sachlage erforderlich sind, um darüber zu entscheiden, ob (1.) am Strafbefehlf estgehalten werden soll, was gemäss Art. 356 Abs. 1 StPO dazu führt, dass die Akten dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens überwiesen werden, ob (2.) das Verfahren ganz einzustellen sei, (3.) ein neuer Strafbefehl erlassen werden soll oder aber ob (4.) Anklage beim erstinstanzlichen Gericht zu erheben sei. Von dieser letztgenannten Möglichkeit hat die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht.

Zu berücksichtigen gilt es, dass das vorstehend geschilderte Strafbefehlsverfahren nur dann erlaubt ist, wenn die Voraussetzungen von Art. 352 StPO erfüllt sind. Dies bedeutet einerseits, dass die beschuldigte Person den Sachverhalt im Vorverfahren eingestanden haben muss oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist. Weiter darf mit Strafbefehl nur eine Busse, eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen, gemeinnützige Arbeit von höchstens 720 Stunden oder eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten ausgefällt werden. Verallgemeinert ausgedrückt darf ein Strafbefehl somit nur bei leichteren Delikten erlassen werden. Dies deshalb, weil das Strafbefehlsverfahren ein vereinfachtes schriftliches Verfahren darstellt, in welchem eine Anklage vor Gericht, sowie eine Hauptverhandlung mit Beweisverfahren nur stattfindet, wenn dieser nicht akzeptiert wird und dagegen folglich Einsprache erhoben wird (Niggli, Heer, Wiprächtiger, RIKLIN, Vor Art. 352-356 N 1).

Handelt es sich um ein schwereres Delikt, bei welchem der Erlass eines Strafbefehls nicht mehr möglich ist, kann die Verjährung – in Übereinstimmung mit Art. 97 Abs. 3 StGB – frühestens mit dem erstinstanzlichen Urteil unterbrochen werden. Hätte das Bundesgericht nun entschieden, dass in einem Strafverfahren aufgrund eines leichteren Deliktes, wie einer Geschwindigkeitsüberschreitung, in welchem die Voraussetzungen des Strafbefehlsverfahrens erfüllt sind, die Verjährung bereits durch die Anfechtung des Strafbefehls unterbrochen wird, hätte dies dazu geführt dass die Verjährung bei leichteren Delikten früher unterbrochen werden kann als bei schwereren Delikten. Da dies zu einer stossenden Ungleichbehandlung geführt hätte, ist der Entscheid des Bundesgerichts nachvollziehbar.

III. FAZIT

Da gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben worden ist, fehlt dem Strafbefehl die Urteilsqualität, welche zur Unterbrechung der Verjährung erforderlich ist. Die dreijährige Verfolgungsverjährung hat somit im April 2011 zu laufen begonnen und ist nach drei Jahren, d.h. im April 2014, eingetreten. Im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils des Bezirksgerichts im Juni 2014 ist die Verjährung daher bereits eingetreten, weshalb das Bundesgericht die gegen den obergerichtlichen Entscheid erhobene Beschwerde abgewiesen hat.

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26. Februar 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann


MÖGLICHKEITEN DER ERBENGEMEINSCHAFT NACH ARRESTBESCHLAG AUF DEM GRUNDSTÜCKSANTEIL EINES ERBEN

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin und Claudia Biellmann Liebi, MLaw

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Ist ein Erbe einer Erbengemeinschaft verschuldet, kann dies für die anderen Erben zu unangenehmen Situationen führen. Dies beispielsweise dann, wenn sich in der Erbschaft ein Grundstück befindet, das in der Folge von einem Gläubiger des verschuldeten Erben verarrestiert wird. Ein Arrest auf einem Grundstück bedeutet eine umfassende Einschränkung der Verfügungsfreiheit über das gesamte Grundstück, auch wenn der Wert des Grundstücks einiges höher ist als die Forderung des betreffenden Gläubigers. Für die Erbengemeinschaft hat ein Arrest die Konsequenz, dass das Grundstück weder veräussert werden kann, noch irgendwelche anderen rechtlichen oder tatsächlichen Veränderungen daran vorgenommen werden dürfen. Es stellt sich somit die Frage, welche Mittel ergriffen werden können, um die uneingeschränkte Verfügungsfreiheit über das Grundstück wieder zu erlangen.

I. ARRESTBESCHLAG IN FOLGE EINES KONKURSVERLUSTSCHEINS

Können in einem Konkurs nicht alle Gläubiger befriedigt werden, erhält jeder Gläubiger für den ungedeckten Betrag seiner Forderung von Amtes wegen einen Verlustschein (Art 265 Abs. 1 SchKG). Damit kann eine neue Betreibung gegen den Schuldner allerdings nur dann eingeleitet werden, wenn dieser zu neuem Vermögen gekommen ist. Ein Umstand, der zu neuem Vermögen führen kann, ist bspw. ein Erbanfall. Da der Konkursverlustschein auch einen Arrestgrund gem. Art. 271 Abs. 5 SchKG bildet, gibt er seinem Inhaber ein wichtiges Sicherungsmittel zu Hand, welches ihm erlaubt, neues Vermögen des Schuldners, bspw. aufgrund einer angefallenen Erbschaft, provisorisch als Vollstreckungssubtrat zu sichern.

Befindet sich in der Erbmasse ein Grundstück, so liegt dieses, solange die Erbteilung noch nicht vorgenommen worden ist, i.S.v. Art. 652 ZGB im Gesamteigentum der Erbengemeinschaft. Charakteristisch für das Gesamteigentum ist, dass sich das Eigentumsrecht jedes einzelnen Gesamteigentümers (im vorliegenden Sachverhalt jedes einzelnen Erben der Erbgemeinschaft) auf die ganze Sache erstreckt und nicht nur auf einen einzelnen, unabhängigen Teil davon. Der Arrestbeschlag einer Sache im Gesamteigentum hat somit zur Folge, dass die Verfügungsgewalt über die ganze Sachen, bei einem Grundstück somit über das ganze Grundstück, verloren geht.

Folglich kann ein einmal verarrestiertes Grundstück – auch wenn sich der Arrest nur auf den Erbteil eines einzelnen Erben bezieht – weder veräussert werden, noch ist die Erbengemeinschaft befugt, daran irgendwelche andere Änderungen vorzunehmen. Darüber hinaus wird der arrestsuchende Gläubiger aus dem Grundstück selbst befriedigt werden, was aufgrund des Gesamteigentums nur dadurch möglich sein wird, dass das Betreibungsamt das Grundstück als Ganzes verwertet (und nicht nur den ideellen Anteil des verschuldeten Erben). Die Verwertung des Grundstücks erfolgt in aller Regel durch Versteigerung.

II. MÖGLICHKEITEN ZUR ABWENDUNG DES VERFÜGUNGSVERBOTES

Will die Erbengemeinschaft die Versteigerung des Grundstücks verhindern und die freie Verfügung darüber zurück erhalten, hat sie hierfür verschiedene Möglichkeiten. Nachfolgend werden zwei mögliche Wege aufgezeigt. 
a. Befriedigung des Gläubigers 
Einerseits bestünde die Möglichkeit, das Gespräch mit dem arrestersuchenden Gläubiger zu suchen und diesen gegen Bezahlung der Schuld zum Rückzug des Arrestes zu bewegen. Dies wird jedoch nur dann gelingen, wenn der Schuldner über liquide Mittel im Umfang der Forderungssumme verfügt. Erschöpft sich das neue Vermögen des Arrestschuldners jedoch in seinem Anteil an dem geerbten Grundstück, so werden ihm dazu die liquiden Mittel fehlen. Allenfalls sind dann die anderen Miterben, welche am verarrestierten Grundstück ebenfalls anteilig berechtigt sind, bereit, die Forderungen des Gläubigers zu befriedigen. Darauf werden sich die Erben wohl aber nur dann einlassen, wenn der Erbanspruch des verschuldeten Miterben grösser ist als die Forderung des Gläubigers, andernfalls die Miterben einen Teil dieser Forderung aus ihrem eigenen Erbteil bezahlen müssten.

b. Erbringung einer Sicherheitsleistung

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Arrestgegenstand gestützt auf Art. 277 SchKG gegen Bezahlung einerSicherheitsleistung beim Betreibungsamt „einzutauschen“. Dies hat den Vorteil, dass dadurch die freie Verfügung über die Arrestgegenstände wieder erlangt werden kann. Neben dem Arrestschuldner können auch Drittansprecher oder Drittschuldner mit befreiender Wirkung an das Betreibungsamt leisten. Nach Bezahlung dieser Sicherheitsleistung hat die Erbengemeinschaft zumindest die Möglichkeit, wieder nach Belieben über den nunmehr frei gewordenen Arrestgegenstand zu verfügen. Ein verarrestiertes Grundstück wird somit durch Leisten einer hinreichenden Sicherheit wieder veräusserbar.

Die Sicherheitsleistung ist an das Betreibungsamt zu leisten. Sie tritt an die Stelle des Arrestobjektes. Der Höchstbetrag für die Sicherheitsleistung entspricht demjenigen Betrag, auf den der Betreibungsbeamte die Arrestforderung samt Nebenrechten geschätzt hat (BGE 114 III 38).

Die Möglichkeit der Hinterlegung einer Sicherheitsleistung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn bereits ein potentieller Käufer für das verarrestierte Grundstück gefunden ist, allenfalls bereits vor Bekanntwerden des Arrestes. In einer solchen Situation bietet es sich an, mit dem potentiellen Käufer eine Vereinbarung zu treffen, dass ein Teil des Kaufpreises nicht an die Erbengemeinschaft, sondern direkt an das Betreibungsamt als Sicherheitsleistung bezahlt wird, sodass dadurch das Verfügungsverbot über das Grundstück aufgehoben werden kann. Die Einzelheiten müssen jedoch mit dem Betreibungsamt abgesprochen werden, weshalb es sich empfiehlt, sich diesbezüglich vorab rechtlich beraten zu lassen.

III. FAZIT

Ist ein Erbe einer Erbengemeinschaft verschuldet, besteht die Gefahr, dass Objekte der Erbmasse durch Arrestbeschlag „blockiert“ werden. Für die Erbengemeinschaft ist dies mit der negativen Folge verknüpft, dass sie die freie Verfügungsgewalt über die verarrestierten Objekte verliert. Scheitern die Versuche, sich mit dem arrestersuchenden Gläubiger zu einigen, um so den Arrestbeschlag abzuwenden, kann durch Hinterlegen einer Sicherheitsleistung die freie Verfügungsgewalt über das Arrestobjekt wiedererlangt werden. Art. 277 SchKG erlaubt es dem Arrestschuldner, sowie einem an dem Arrestobjekt besser Berechtigten oder einem Drittschuldner, durch Leisten einer Sicherheit an das Betreibungsamt die freie Verfügungsmacht über das Arrestobjekt zurück zu gewinnen.

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17. November 2015 / lic. iur. Patricia Geissmann

GEISSMANN RECHTSANWÄLTE AG
MELLINGERSTRASSE 2A, FALKEN, POSTFACH 2078, 5402 BADEN, TEL +41 56 203 00 11
TURNERSTRASSE 6, POSTFACH, 8042 ZÜRICH, TEL +41 44 204 53 63