UNTERHALTSANSPRUCH: BEHANDLUNG DES ÜBERSCHUSSANTEILS BEI KINDERN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

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I. GRUNDSÄTZE DES KINDESUNTERHALTS

Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt wird in Art. 276 ff. ZGB geregelt. Dieser Anspruch steht dem Kind unabhängig davon zu, ob die Eltern verheiratet, geschieden oder (getrennte) Konkubinatspartner sind. Der Kindesunterhalt in Form von Geldzahlung (nachfolgend: Kindesunterhalt) setzt sich aus dem Barbedarf des Kindes und dem Betreuungsunterhalt zusammen.

Der Barbedarf deckt die laufenden Lebenskosten des Kindes, wie bspw. Kleider, Essen, Wohnkosten, etc. Der Betreuungsunterhalt findet seinen Grund im Anspruch des Kindes auf Betreuung. Der hauptbetreuende Elternteil kann aufgrund dieser Aufgabe nicht oder nur einer reduzierten Arbeitstätigkeit nachgehen. Dadurch erleidet der hauptbetreuende Elternteil eine Einkommenseinbusse. Ist diese Einbusse so gross, dass der hauptbetreuende Elternteil nicht in der Lage ist, seinen eigenen finanziellen Bedarf zu bestreiten, so ist im Umfang dieses Mankos Betreuungsunterhalt geschuldet. Auf diese Weise wird die Betreuung des Kindes sichergestellt. In der heutigen Zeit liegen sehr viele unterschiedliche Familienmodelle vor. Der Einfachheit halber wird jedoch nachfolgend davon ausgegangen, dass der Vater keine Betreuungsaufgaben übernimmt und deshalb der unterhaltspflichtige Elternteil und die Mutter der hauptbetreuende und damit unterhaltsberechtigte Elternteil ist.

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II. ÜBERSCHUSSVERTEILUNG

Verbleiben beim Unterhaltspflichtigen nach der Deckung des Barbedarfs sowie des Betreuungsunterhalts und seines eigenen Bedarfs weitere finanzielle Mittel (sog. Überschuss), kann der Kindesunterhalt durch Zuweisung eines Überschussanteils erhöht werden. Die Überschussanteile werden nach grossen (Eltern) und kleinen (Kinder) Köpfen verteilt. In einer Familie mit einem Kind bedeutet dies, dass der grosse Kopf jeweils zwei Anteile erhält, der kleine Kopf nur einen. So werden dem Vater 2/5, der Mutter 2/5 und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen.

Bei verheirateten Paaren wird der Überschuss der gesamten Familie nach grossen und kleinen Köpfen zwischen den beiden Elternteilen und den Kindern verteilt. Bei unverheirateten Paaren hat die Mutter keinen Anspruch auf eine Überschussbeteiligung, weil keine gesetzliche Grundlage dazu vorliegt. Deshalb wird der Überschuss nur zwischen dem Vater und den Kindern aufgeteilt. Bei den zu definierenden Anteilen am Überschuss gibt es zwei unterschiedliche Verteilungsmethoden, mit welchen sich das Bundesgericht kürzlich im Urteil BGer 5A_597/2022 vom 7. März 2023 auseinanderzusetzen hatte.

Nach der ersten Verteilungsmethode wird bei einer Familie mit einem Kind der «grosse Kopf» der Mutter wie bei verheirateten Paaren in der Verteilung miteingerechnet. Der Überschussanteil der Mutter fällt dabei dem Vater zu, weil die Mutter mangels Heirat keinen Anspruch auf einen Überschussanteil hat. Damit werden dem Vater 4/5 (grosser Kopf der Mutter von 2/5 + grosser Kopf des Vaters von 2/5) und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1’200 (= 4 x CHF 300) und das Kind einen Anteil von CHF 300 erhalten. Diese Methode wird von der Mehrheit der Lehre vertreten. In der Lehre wird die Anwendung dieser Methode mit der Gleichbehandlung der Kinder von verheirateten Paaren und nicht verheirateten Paaren begründet, weil damit alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern rechnerisch denselben Anteil erhalten.

Nach der alternativen Verteilungsmethode wird der Anteil der Mutter am Überschuss zu Beginn nicht eingerechnet. Der Vater erhält als grosser Kopf 2/3 und das Kind als kleiner Kopf 1/3 des Überschusses. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1000 (= 2 x 500) und das Kind einen Anteil von CHF 500 erhalten. Diese Methode wird von der Minderheit der Lehre vertreten. Die Minderheitsmeinung weist darauf hin, dass der durch die Mutter generierte Überschuss gemäss Bundesgericht in der Berechnung nicht berücksichtigt werden darf (BGer 5A_1032/2019 vom 9. Juni 2020 E. 5.6). Entsprechend sei es widersprüchlich, bei der Verteilung den Kopf der Mutter zu berücksichtigen.

Im vom Bundesgericht behandelten Fall hatte die Vorinstanz sich für die Anwendung der zweiten Berechnungsmethode entschieden. Der Vater hat dagegen Beschwerde beim Bundesgericht geführt und argumentiert, dass die erste Methode anzuwenden sei, weil diese von der Mehrheit der Lehre vertreten werde. Das Bundesgericht konnte im zu beurteilenden Fall das Urteil der Vorinstanz nur dahingehend überprüfen, ob der Entscheid willkürlich ergangen ist (sog. Willkürprüfung). Das bedeutet, dass das Bundesgericht den Entscheid nicht bereits abändern darf, nur weil sich eine potentiell bessere Lösung anbietet. Vielmehr muss der Entscheid für eine Abänderung durch das Bundesgericht offensichtlich unhaltbar sein. Das Bundesgericht legte sich in seinem Entscheid nicht auf eine der beiden Methoden fest. Es entschied, dass, weil sich die Vorinstanz auf eine Lehrmeinung – wenn auch nur eine Minderheitsmeinung – stützen konnte, die Anwendung dieser ersten Methode denkbar und nicht willkürlich sei.

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III. FAZIT

Nach dem Gesagten bleibt abzuwarten, wie das Bundesgericht die Frage entscheiden wird, wenn es in einem anderen Fall nicht auf eine Willkürprüfung beschränkt sein wird. Bis die Frage höchstrichterlich entschieden wird, können beide Verteilungsmethoden angewendet werden und es obliegt den unteren Instanzen, sich für eine dieser Methoden zu entscheiden. Werden also die Interessen des unverheirateten Vaters vertreten, sollte die erste Verteilungsmethode geltend gemacht werden. Sind die Interessen des Kindes oder der unverheirateten Mutter zu wahren, sollte in der Unterhaltsberechnung die zweite Verteilungsmethode gewählt werden.

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8. Mai 2023 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV


NACHEHELICHER UNTERHALT: BUNDESGERICHT (5A_568/2021) RÜTTELT AM BEGRIFF DER LEBENSPRÄGUNG DER EHE

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Scheidungsrecht beinhaltet unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf Unterhaltszahlungen durch den jeweils anderen Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung. In einer Reihe von Grundsatzentscheiden hat das Bundesgericht in letzter Zeit das Unterhaltsrecht in entscheidenden Punkten revidiert. Aktuell scheint diese Modernisierungsbewegung des Unterhaltsrechts weiterzugehen, indem das Bundesgericht in seinem jüngsten Urteil zum Unterhaltsrecht die bisher geltenden Annahmen, wann eine Ehe als lebensprägend zu gelten hat, in Frage stellt. Die Lebensprägung ist eine der Voraussetzungen, um Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zu haben.

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I. GRUNDSÄTZE DES UNTERHALTSRECHTS

Nacheheliche Unterhaltsansprüche, d.h. solche, welche auch nach der rechtskräftigen Scheidung fortdauern, haben ihre rechtliche Grundlage in der sogenannten nachehelichen Solidarität. Dennoch, und nun umso mehr, ist es so, dass der nacheheliche Rentenanspruch an sich eine Ausnahme darstellt bzw. darstellen sollte. Grundsätzlich gilt nämlich nach der Scheidung, und dahin tendiert das Bundesgericht in letzter Zeit immer mehr, die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten. Es wird verlangt, dass jeder für seinen eigenen Bedarf selber aufkommt.

Immer dann, wenn also Gerichte Unterhalt für einen Ehegatten festlegen, hängt dies damit zusammen, dass aufgrund der gelebten Rollenverteilung während der Ehe oder aus anderen Gründen wie Alter, Krankheit, sonstiger Aussichtslosigkeit eigener Erwerbstätigkeit etc. die vorgenannte Eigenversorgungskapazität zu gering oder gar nicht vorhanden ist.

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II. «LEBENSPRÄGENDE EHE»

Für die Frage, ob ein nachehelicher Unterhalt geschuldet ist, ist entscheidend, ob die gelebte Ehe für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten lebensprägend war oder nicht. Wird diese Frage bejaht, so haben die Eheleute nach der Scheidung grundsätzlich Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Lebensstandards. Bis vor kurzem galt die Vermutung, dass eine Ehe immer dann als lebensprägend zu qualifizieren ist, wenn sie mehr als 10 Jahre gedauert hat und/oder aber Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind.

Bereits in einem früheren Entscheid (BGE 5A_907/2018) stellte das Bundesgericht im Rahmen seiner Modernisierung des Unterhaltsrechts bei der Frage der Lebensprägung darauf ab, ob die Erwerbstätigkeit und damit die ökonomische Selbstständigkeit zugunsten der Besorgung des Haushalts und der Betreuung der Kinder hat aufgegeben werden müssen und ob es der betroffenen Person eben gerade deshalb nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an die frühere berufliche Stellung anzuknüpfen oder einer ähnlichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Neu war an diesem Entscheid, dass das Bundesgericht nicht mehr schematisch, sondern stets für den Einzelfall die Frage der Lebensprägung beantwortet haben wollte. Damit wendete sich das Bundesgericht von seiner langjährigen Rechtsprechung ab, wonach das Vertrauen in den Fortbestand der Ehe bei längerer Dauer oder gemeinsamen Kindern zu vermuten ist und man daraus Unterhaltsansprüche ableiten kann.

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III. LEBENSPRÄGUNG MUSS BEWIESEN WERDEN

Neu wird das Bundesgericht bezüglich der Frage, ob eine lebensprägende Ehe vorliegt oder nicht, noch strenger (BGE 5a_568/2021). Erst dann, wenn von einem schutzwürdigen Vertrauen auf eine Fortführung der Ehe ausgegangen werden kann, ist für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten auch der Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Standards bzw. bei, zufolge scheidungsbedingter Mehrkosten, ungenügender Mittel Anspruch auf beidseits gleiche Lebenshaltung gegeben. Wird dieses schutzwürdige Vertrauen auf Fortführung der Ehe verneint, ist für den nachehelichen Unterhalt am vorehelichen Stand anzuknüpfen, d.h. der Unterhalt begehrende Ehegatte maximal so zu stellen, wie wenn die Ehe nicht geschlossen worden wäre.

Das Bundesgericht hat sich offenbar verabschiedet von der Idee, dass die Lebensprägung den «Kippschalter» bezüglich der Frage von nachehelichem Unterhalt darstellen soll. Die bisher für das Vorliegen einer Lebensprägung sprechenden Vermutungen (gemeinsame Kinder, mindestens 10-jährige Ehedauer) gelten für sich alleine nicht mehr. Eine Ehe ist vielmehr nur noch dann als lebensprägend einzustufen, wenn ein Ehegatte aufgrund eines gemeinsamen Lebensplanes seine wirtschaftliche Selbständigkeit zugunsten der Haushaltsbesorgung und Kinderbetreuung aufgegeben hat und es ihm nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen.

Hinzu kommt, dass seit dem Inkrafttreten des neuen Kinderunterhaltsrechts diejenigen Nachteile, welche einem Elternteil aus der nachehelichen Betreuung von Kindern erwachsen, primär durch den Betreuungsunterhalt, enthalten im Kinderunterhalt, ausgeglichen werden (Art. 276 und 285 ZGB). Beim nachehelichen Unterhalt kann es also nur noch um «andere oder weitere wirtschaftliche Nachteile» gehen. Das neue Kinderunterhaltsrecht soll auch verheiratete Elternteile denjenigen aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichstellen. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, inwiefern Nachteile, welche aus der Kinderbetreuung herrühren, für sich alleine überhaupt noch zur Begründung einer Lebensprägung (und eines eigenen Ehegattenunterhalts) geeignet sind. Somit kann also aus dem Vorhandensein gemeinsamer Kinder alleine für sich klar nicht mehr auf eine Lebensprägung geschlossen werden.

Wer nachehelichen Unterhalt für sich beanspruchen will, hat also aufzuzeigen, dass sich die wirtschaftliche Abhängigkeit seiner Person im Laufe der ehelichen Beziehung und insbesondere seit Eheschluss in eine bestimmte Richtung entwickelt hat und dabei auf die wirtschaftliche Untersützung des jeweils anderen Ehegatten gebaut wurde. Dabei ist ausschlaggebend, dass diese geltend zu machende wirtschaftliche Konstellation/Abhängigkeit zwingend direkte oder notwendige Folge der Ehe an sich ist und im Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe gründet. Liegt hingegen eine Konstellation vor, wo Eheleute von sich aus, unabhängig von der Ehe, wirtschaftliche Bindungen und Abhängigkeiten eingegangen sind, so kann dies für sich selber keine Lebensprägung bedeuten (5A_568/2021).

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IV. FAZIT

Die sich für einen Ehegatten nach der Scheidung wirtschaftlich negativ auswirkenden ehebedingte Nachteile müssen inskünftig wohl genauer geprüft und aufgezeigt werden. Eine lange Ehedauer oder gemeinsame während der Ehe gezeugte Kinder sind für sich alleine keine Konstellationen, welche automatisch Anspruch auf nachehelichen Unterhalt vermitteln. Vielmehr muss geltend gemacht werden, dass aufgrund der bestehenden Ehe dauerhafte Vorkehrungen getroffen worden sind – dies vor dem Hintergrund des Vertrauens in den weiteren Bestand der Ehe –, welche wirtschaftlich negative Auswirkungen auf einen der Ehepartner haben und sich nachehelich auswirken


26. April 2022 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV


UNTERNEHMEN IN DER GÜTERRECHTLICHEN AUSEINANDERSETZUNG

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV unter Mithilfe von MLaw Sara Sommer

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Lassen sich Eheleute scheiden, gilt es in finanzieller Hinsicht nebst der Regelung allfälliger Unterhaltszahlungen (Zuteilung von laufenden Einnahmen) die sogenannte güterrechtliche Auseinandersetzung (Verteilung des vorhandenen ehelichen Vermögens) vorzunehmen.

Das zu teilende eheliche Vermögen kann sich aus verschiedensten Vermögenswerten (z.B. aus Bargeld, Liegenschaften, Fahrzeugen etc.) zusammensetzen. Gehört einem Ehegatten ein Unternehmen, stellt dieses ebenfalls einen Vermögenswert dar und es ergeben sich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung diverse Besonderheiten und Fallstricke, die nachfolgend thematisiert werden.

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I. GÜTERRECHTLICHE AUSEINANDERSETZUNG

Haben die Ehepartner keinen besonderen Güterstand (Gütertrennung oder Gütergemeinschaft) vereinbart, unterstehen sie während der Dauer der Ehe dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Demgemäss verwaltet und nutzt jeder Ehepartner sein Vermögen selbst und haftet grundsätzlich nur für seine eigenen Schulden.

Die Besonderheit der Errungenschaftsbeteiligung zeigt sich erst bei deren Beendigung. Lässt sich ein Ehepaar scheiden, wird nämlich der Güterstand aufgelöst und es erfolgt die sogenannte güterrechtliche Auseinandersetzung. Ziel davon ist es, das vorhandene Vermögen unter den Ehegatten aufzuteilen. Hierfür wird zwischen vier Arten von Vermögensmassen unterschieden.

Einerseits verfügen beide Ehepartner – falls vorhanden – je über das sogenannte Eigengut. Darunter fällt insbesondere in die Ehe eingebrachtes Vermögen, erhaltene Erbschaften und Schenkungen und persönliche Gegenstände. Andererseits verfügen beide Ehepartner – falls vorhanden – je über die sogenannte Errungenschaft. Darunter fallen alle Vermögenswerte, die nicht Eigengut darstellen (typischerweise während der Ehe angespartes Vermögen aus Arbeitserwerb oder aus Erträgen des Eigengutes).

Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung behält jeder Ehegatte sein Eigengut. Zudem hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der Errungenschaft des Ehepartners. Es kann auch vorkommen, dass nur einer der beiden Ehegatten über Errungenschaftsvermögen verfügt. Dennoch muss die Hälfte davon dem Partner abgegeben werden.

Befindet sich ein Unternehmen im ehelichen Vermögen, ist also vorab festzustellen, ob das Unternehmen in das Eigengut oder in die Errungenschaft eines Ehegatten fällt und mithin, ob das Unternehmen bzw. der Unternehmenswert entsprechend zu teilen ist oder nicht.

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II. UNTERNEHMEN IM EIGENGUT

Hat dem Unternehmerehegatten das Unternehmen vor der Eheschliessung bereits gehört oder hat er das Unternehmen während der Ehe durch Erbschaft oder Schenkung erhalten, fällt das Unternehmen in dessen Eigengut. Bei der Teilung des Vermögens im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung hat der Unternehmerehegatte das Unternehmen in der Folge grundsätzlich nicht mit dem Ehepartner zu teilen.

Allerdings ist zu beachten, dass das Einkommen aus Arbeitstätigkeit als auch Erträge des Eigenguts während der Dauer der Ehe in die Errungenschaft fallen.

Die während der Dauer der Ehe ausgeschütteten Dividenden aus dem Unternehmen (als Erträge des Eigengutes) fallen daher in die Errungenschaft. (Gemäss Art. 199 Abs. 2 ZGB können Ehepaare abweichend davon mittels Ehevertrag vereinbaren, dass Erträge aus Eigengut nicht in die Errungenschaft fallen.) Werden Dividenden über mehrere Jahre jedoch nicht ausbezahlt, obwohl der Geschäftsgang des Unternehmens dies eigentlich nahelegen würde und werden die Gelder stattdessen im Unternehmen (z.B. als Gewinnvortrag oder Reserven) zurückbehalten, schmälert dies in unzulässiger Weise die eigentliche Errungenschaft. Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung sollte dieser Umstand festgestellt und ein entsprechender Ausgleich für die nicht ausbezahlten Dividenden verlangt werden.

In Bezug auf die Vergütung der Arbeitstätigkeit des Unternehmerehegatten im Unternehmen ist das Augenmerk darauf zu legen, ob die Arbeitstätigkeit angemessen entlöhnt (was würde unter Berücksichtigung der Funktion und Verantwortung im Betrieb sowie bei der Unternehmensentwicklung einem Dritten bezahlt) wurde. Wurde der Unternehmerehegatte nicht angemessen entlöhnt und hat das Unternehmen während der Dauer der Ehe aufgrund der zu tiefen Lohnzahlungen an Wert gewonnen (sog. industrieller Mehrwert), so fällt die Wertsteigerung im Umfang der Differenz vom ausbezahlten zum angemessenen Lohn doch in die Errungenschaft. Damit soll verhindert werden, dass der Unternehmerehegatte sich über Jahre hinweg bloss einen Hungerlohn ausbezahlt, während er sein Eigengut durch Steigerung des Unternehmenswertes – zu Lasten der Errungenschaft – vergrössert. 

Bezahlt der Unternehmerehegatte sich einen angemessenen Lohn für seine Erwerbstätigkeit und gewinnt das Unternehmen dennoch an Wert, so spricht man vom sogenannt konjunkturellen Mehrwert. Die Wertsteigerung ist dann auf die den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage zurückzuführen. Dieser Mehrwert kommt alleine dem Unternehmerehegatten zu und der andere Ehegatte partizipiert nicht.

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III. UNTERNEHMEN IN DER ERRUNGENSCHAFT

Hat der Unternehmerehegatten das Unternehmen erst nach der Eheschliessung mit Mittel der Errungenschaft (Lohnzahlungen und eigene Arbeitskraft) gegründet, so fällt es in die Errungenschaft. Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ist es daher grundsätzlich zwischen den Ehegatten zu teilen. Bezahlt sich der Unternehmerehegatte einen zu tiefen Lohn oder zu tiefe Dividenden aus, spielt dies keine Rolle, da der andere Ehegatte an einer allfälligen Wertsteigerung ohnehin hälftig beteiligt wird. Auch von einem konjunkturellen Mehrwert profitieren beide Ehegatten hälftig.

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IV. VERMISCHUNG VON EIGENGUT UND ERRUNGENSCHAFT

In der Praxis kommt es oft vor, dass Eigengut und Errungenschaft miteinander vermischt werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bereits bei der Unternehmensgründung Mittel sowohl aus Eigengut und als auch aus der Errungenschaft mitwirken oder wenn zu einem späteren Zeitpunkt Investitionen zugunsten des Unternehmens aus einer anderen Vermögensmasse getätigt werden.

Rechtlich muss jedoch jeder Vermögenswert – also auch das Unternehmen – entweder der Errungenschaft oder dem Eigengut zugeordnet werden. Die Zuteilung erfolgt an jene Vermögensmasse, die zeitlich zuerst involviert war oder – falls beide Massen zu Beginn beteiligt waren – an jene Vermögensmasse mit dem engeren sachlichen Zusammenhang zum Unternehmen.

Der faktischen Vermischung der beiden Vermögensmassen schenkt der Gesetzgeber im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung insofern Beachtung, als dass zwischen den Massen für entsprechende Investitionen eine Ausgleichspflicht besteht. Das bedeutet, dass beispielsweise eine aus der Errungenschaft zugunsten des Unternehmens im Eigengut geleistete Investition in die Errungenschaft «zurückgeführt» bzw. bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung berücksichtigt werden muss. Je nachdem zwischen welchen der vier Vermögensmassen (Errungenschaft Mann/Frau, Eigengut Mann/Frau) Investitionen flossen, ist zudem ein allfälliger Mehrwert (ein Wertzuwachs des Unternehmens) oder ein allfälliger Minderwert (Wertverlust des Unternehmens) bei der «Rückzahlung» an die investierende Vermögensmasse zu berücksichtigen.

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V. BEWERTUNG DES UNTERNEHMENS

Ist ein Unternehmen zwischen den Ehegatten zu teilen, da es in die Errungenschaft fällt, erlangt der Nichtunternehmerehegatte jedoch keinen zwingenden Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der Hälfte des Unternehmens. Er erlangt lediglich einen Anspruch auf den Wert der Hälfte des Unternehmens (güterrechtlicher Ausgleichsanspruch). Dieser Anspruch kann zwar durch Übertragung von Unternehmensanteilen befriedigt werden, aber er kann beispielsweise auch mit allfälligen Gegenansprüchen verrechnet werden oder durch Geldzahlung abgegolten werden kann.

Da meist nicht eine effektive Teilung des Unternehmens zwischen den Ehegatten vorgenommen wird, sondern ein Wertausgleich erfolgt, ist der Unternehmenswert zu eruieren. Hierfür muss die Bewertungsmethode bestimmt werden. Ausserdem stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt für die Unternehmensbewertung relevant ist und wie der tatsächliche Unternehmenswert – frei von Manipulationen – ermittelt wird. 

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1) BEWERTUNGSMETHODE

Soll ein Unternehmen in Zukunft – egal ob durch den Unternehmerehegatten selbst oder einen allfälligen Käufer – weitergeführt werden, ist eine Gesamtbewertung des Unternehmens als eine Einheit vorzunehmen. Man spricht von der Bewertung zum sogenannten Fortführungswert. Bei der Festsetzung dieses Wertes sind unter anderem die in Zukunft zu erwartenden Gewinne und immaterielle Werte wie beispielsweise das fachliche Know-How des Unternehmens oder ein wertvoller Kundenstamm zu berücksichtigen.

Muss der Betrieb jedoch eingestellt bzw. liquidiert werden, weil niemand das Unternehmen fortführen möchte oder kann, ist der sogenannte Liquidationswert (auch: Zerschlagungswert) massgeblich. Dieser wiederspiegelt, welchen Erlös man bei der Versilberung der einzelnen Vermögensgegenstände (z.B. Maschinen, Liegenschaft, Warenbestände) abzüglich der Unternehmensschulden erlangen kann und fällt in der Regel tiefer aus als der Fortführungswert.

Die Bestimmung der Bewertungsmethode (Fortführungs- oder zum Liquidationswert) stellt eine Rechtsfrage dar und ist im Streitfall durch den Richter zu entscheiden. Steht die Bewertungsmethode einmal fest, wird die eigentliche Bezifferung des Wertes idealerweise durch entsprechende Bewertungsexperten vorgenommen.

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2) BEWERTUNGSZEITPUNKT

Massgeblich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ist der Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Scheidungsurteils (und nicht zum Zeitpunkt der der Klageerhebung). Das Scheidungsrecht birgt daher die vom Gesetzgeber beabsichtigte Besonderheit, dass ein Wertzuwachs oder ein Wertverlust des Unternehmens bis zum Abschluss des Scheidungsverfahrens beide Ehegatten betrifft. Bei einer mutwilligen Wertverminderung während des laufenden Verfahrens durch einen der Ehegatten kann ein Richter jedoch gegebenenfalls vom gesetzlichen Bewertungszeitpunkt abweichen.

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3) MANIPULATION DES UNTERNEHMESWERTES

Die Versuchung eines Unternehmerehegatten, insbesondere, wenn er die alleinige Kontrolle über das in die Errungenschaft fallende Unternehmen hat, den angeblichen Unternehmenswert im Hinblick auf eine güterrechtliche Auseinandersetzung durch Manipulationen (übermässige Abschreibungen, Verbuchung von Privataufwänden, Bildung von zu hohen Rückstellungen etc.) zu reduzieren, gilt als hoch. Es darf bei der Unternehmensbewertung daher nicht blindlings auf die letzten Jahresabschlüsse abgestützt werden, sondern die Geschäftsgänge sind kritisch zu würdigen.

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VI. FAZIT

Eine güterrechtliche Auseinandersetzung ist für Laien ohnehin oft kein einfaches Unterfangen. Fällt ein Unternehmen in das eheliche Vermögen können sich bereits bei der korrekten Zuteilung des Unternehmens in die jeweilige Gütermasse (Eigengut oder Errungenschaft) Schwierigkeiten ergeben. Tragen finanzielle Mittel einer anderen Gütermasse zum wirtschaftlichen Fortkommen des Unternehmens bei oder bezahlt der Unternehmerehegatte sich einen zu tiefen Lohn oder zu tiefe Dividenden aus dem in seinem Eigengut stehenden Unternehmen aus, so sind ausserdem Ausgleichszahlungen und/oder Ersatzforderungen zu prüfen. Zu guter Letzt ist bei der eigentlichen Unternehmensbewertung – insbesondere hinsichtlich buchhalterischen Manipulationen – Vorsicht geboten. 

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26. Januar 2022 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV unter Mithilfe von MLaw Sara Sommer


WER ENTSCHEIDET ÜBER (COVID-) IMPFUNGEN BEI MINDERJÄHRIGEN KINDERN BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Aktuell wird kaum eine andere Frage in wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Hinsicht mehr diskutiert, als die Frage um die Notwendigkeit, Gefahr oder Absicherung der Gesundheit durch eine Impfung gegen das Corona-Virus. Insbesondere bei Kindern wird diese Frage sowohl in der Wissenschaft als selbstverständlich auch durch betroffene Eltern rege diskutiert und ist mit entsprechenden Emotionen und Ängsten belastet. Solange nicht der Staat im Sinne einer Impfpflicht die Frage der Impfung einer minderjährigen Person beantwortet, was in der Schweiz aktuell kaum befürchtet werden muss, obliegt dieser Entscheid den Eltern, welche Inhaber der elterlichen Sorge sind. Gerade im Bereich von Trennungsverfahren oder Scheidungsverfahren wird diese Frage aktuell oft und zusätzlich zum Zankapfel.

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I. DIE IMPFUNG, EIN MEDIZINISCHER EINGRIFF

Völlig unabhängig davon, ob wir nun von einer Impfung gegen das Corona-Virus sprechen oder von Impfungen gegen Masern, Hepatitis oder gar Borreliose: Die Impfung stellt immer einen medizinischen Eingriff dar und fällt damit nicht unter eine alltägliche und damit normale Entscheidung, über welche ein Elternteil, ob nun getrennt lebend oder nicht, alleine entscheiden dürfte (Art. 301 Abs. 1bis Ziff. 1 ZGB e contrario). Damit ist grundsätzlich erstellt, dass beide Elternteile, sofern sie gemeinsame elterliche Sorge über das betreffende Kind haben, diesem Entscheid zustimmen müssen. Dies gilt, wenn die Eltern zusammenleben, dies gilt aber auch dann, wenn die Eltern getrennt leben oder gar geschieden sind und gemäss Scheidungsurteil die elterliche Sorge beiden Eltern zugeteilt wurde, was der gesetzliche Normalfall ist (Art. 296 Abs. 2 iVm Art. 298 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB).

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II. WAS, WENN SICH ELTERN NICHT EINIG SIND?

Wie zuvor festgestellt, ist kein Elternteil befugt, sofern eine gemeinsame elterliche Sorge besteht, den Impfentscheid über das gemeinsame minderjährige Kind alleine zu fällen. Es stellt sich somit die Frage, was ein Elternteil tun kann, welcher sich für die Impfung des Kindes einsetzen will, jedoch am Widerstand des anderen Elternteils scheitert?

Art. 307 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass immer dann, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die die gemeinsame elterliche Sorge innehabenden Eltern von sich aus nicht für Abhilfe schaffen, die Kindesschutzbehörde (KESB) geeignete Massnahmen zum Schutz des Kindes ergreifen darf und ergreifen muss. So ist die KESB insbesondere befugt, den Eltern verbindliche Weisungen zu erteilen (Art. 307 Abs. 3 ZGB). Für den Fall, dass solche Kindesschutzmassnahmen erfolglos bleiben, sich also ein Elternteil, oder beide, gegen ergangene Weisungen der Behörde widersetzen würden, kann die Behörde den Eltern die elterliche Sorge entziehen, um so den Entscheid selber fällen zu können.

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III. DARF KESB DIE IMPFUNG DES KINDES VERLANGEN / DURCHSETZEN?

Bei Uneinigkeit unter Eltern in relevanten Erziehungsbelangen, so insbesondere im Bereich der Gesundheit, kann ein behördlicher Entscheid nur infrage kommen, wenn die Weiterführung des bisherigen Zustandes eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die konkrete Situation des Kindes, seines Umfeldes und die allgemeine Gefährdungslage abzustellen. Insbesondere in Bezug auf eine Covid-Impfung wurde diese Frage bislang, zumindest höchstrichterlich, noch nicht entschieden.

In einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem es um eine Masernimpfung ging, entschied das Bundesgericht für die Notwendigkeit der Impfung und ordnete diese an.

Im konkreten Fall stellte das Bundesgericht vorab einmal darauf ab, ob das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Impfung gegen Masern empfiehlt, was der Fall war. Das Bundesgericht hatte also zu entscheiden, ob das Wohl der minderjährigen Kinder durch Nichtimpfung gegen das Masernvirus gefährdet sei, falls eine behördliche Entscheidung über die Frage der Masernimpfung unterbleibe und damit der Status quo, die Nichtimpfung, aufrechterhalten würde. Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen im Sinne von Art. 307ff. ZGB setzt die konkrete Gefährdung des Kindeswohls voraus. Nicht erforderlich ist, dass sich die Gefahr bereits verwirklicht hat. Präventivmassnahmen sind also vom Gesetz mitumfasst. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die Eltern etwas falsch gemacht haben oder nicht. Das Bundesgericht führte aus, dass «wer losgelöst von einer besonderen Zwangslage auf den Impfschutz für seine minderjährigen Kinder verzichtet», diese zwar nicht unmittelbar den gesundheitlichen Risiken aussetze, aber die Unwägbarkeiten in Kauf nehme, die eine konkrete Gefahrenlage auch für die allenfalls gesunden Kinder mit sich bringen würde. Dies insbesondere bei hochansteckenden Krankheiten wie Masern. In rund 10% der Fälle würden Masern zu verschiedenen, teils schweren Komplikationen führen, was das Bundesgericht zum Schluss führte, dass angesichts dieser gesundheitlichen Risiken und Gefahren, denen ein Kind ohne Impfschutz gegen Masern ausgesetzt wäre oder ist, die Passivität oder Weigerung der Eltern nicht ertrage, weshalb sich aus dieser besonderen Situation ein Anwendungsfall von Art. 307 Abs. 1 ZGB ergebe, was wiederum bedeute, dass die zuständige Behörde berufen sei, in dieser Frage anstelle der Eltern zu entscheiden. Dabei sollen die Empfehlungen des BAG jeweils als fachkompetente eidgenössische Behörde für deren Entscheid Richtschnur sein. Eine Abweichung davon sei nur dort angebracht, wo sich die (Masern-)impfung aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht mit dem Kindeswohl vertragen würde.

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IV. ANWENDUNG AUF DIE COVID-IMPFUNG

Folgt man den Argumenten des Bundesgerichts zur Masernimpfung, so darf mit gewisser Vorsicht vermutet werden, dass bei einem ähnlich gelagerten Fall, jedoch in Bezug auf die Frage der Covid-Impfung, ähnlich entschieden würde. Nach Ansicht des Schreibenden dürfte lediglich bei der notwendigerweise vorzunehmenden Einstufung der Gefährlichkeit oder des Gefährdungspotenzials einer Erkrankung Unsicherheit herrschen, zumal in der aktuellen Lage das Corona-Virus in regel-mässigen Abständen zu Mutationen neigt, welche wiederum neue und andere Gefährdungen der verschiedenen Bevölkerungsschichten (insbesondere in Bezug auf das Alter) hervorrufen. Diese Frage müsste wohl in der konkreten Situation beantwortet werden, dürfte jedoch nach der hier vertretenen Auffassung vom Resultat her dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts in Bezug auf Masern im Wesentlichen gleichgestellt werden.

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V. WAS, WENN BEIDE ELTERNTEILE GEGEN DIE IMPFUNG SIND?

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid diese Frage bewusst offengelassen, da sie nicht zur angefochtenen Fragestellung gehörte. Gestützt auf die vorgemachten Ausführungen dürfte der hier vertretenen Ansicht nach jedoch auch diese Situation gleich entschieden werden müssen, zumal es nicht darum gehen kann, ob nur ein Elternteil dagegen ist oder aber beide. Denn immer dann, wenn die Gefährdung des Kindeswohls bejaht werden muss, muss und darf die Behörde gemäss den gesetzlichen Richtlinien einschreiten, wobei es nicht darauf ankommen kann, ob gegen die Überzeugung eines Elternteils oder aber zweier Elternteile entschieden werden muss.

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7. Dezember 2021 / lic. iur. Stephan Hinz


GESETZESÄNDERUNG FÜR DEN BEZUG VON ERGÄNZUNGSLEISTUNGEN – INPFLICHTNAHME DER ERBEN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Leider viel zu oft kommt es vor, dass ältere Leute nach der Pensionierung auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind. Das Parlament hat nun im Bereich der Ergänzungsleistungen eine Gesetzesänderung verabschiedet, welche per 1. Januar 2021 in Kraft treten wird. Neu wird unter Umständen in die Ansprüche der Erben eingegriffen, wenn die Erbschaft von einem Erblasser stammt, welcher zu Lebzeiten Ergänzungsleistungen bezogen hat. Aber auch sonst sieht die Gesetzesänderung eine stärkere Berücksichtigung des Vermögens bei der Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen vor.

I. GRUNDSÄTZLICHES ZU DEN ERGÄNZUNGSLEISTUNGEN

Ergänzungsleistungen dienen der Existenzsicherung von Personen, die eine AHV- oder eine IV-Rente beziehen und finanziell nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen werden die anerkannten Ausgaben den entsprechenden anrechenbaren Einnahmen gegenübergestellt; die Ergänzungsleistungen entsprechen der Differenz und dienen der Deckung des Ausgabenüberschusses.

II. STÄRKERE BERÜCKSICHTIGUNG DES VERMÖGENS

A)  Vermögensgrenze für den grundsätzlichen Anspruch

Neben den Einnahmen soll neu das Vermögen bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen stärker berücksichtigt werden. Neu haben nur noch Personen mit einem Vermögen von weniger als CHF 100’000.00 überhaupt einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Für Ehepaare liegt diese Schwelle bei CHF 200’000.00 und für Kinder bei CHF 50’000.00. Entscheidend ist, dass bei der Ermittlung des massgebenden Vermögens der Wert einer selbstbewohnten Liegenschaft nicht eingerechnet wird.

B)  Freibeträge und Vermögensverzehr

Das Vermögen wurde bei der Berechnung von Ergänzungsleistungen schon immer berücksichtigt, neu sind jedoch die Freibeträge angepasst. Mit anderen Worten: Wer zu wenig Vermögen hat und somit grundsätzlich Ergänzungsleistungen beziehen kann, hat sich unter Umständen aber einen Vermögensverzehr anrechnen zu lassen. Alleinstehende dürfen über einen Freibetrag von CHF 30’000.00, Ehepaare über einen solchen von rund CHF 60’000.00 und Kinder über einen solchen von CHF 15’000.00 verfügen. Erst darüber wird ein Vermögensverzehr verlangt. Entscheidend bei der Bemessung des Vermögensverzehrs ist, dass eine selbstbewohnte Liegenschaft ebenfalls mit eingerechnet wird. Der diesbezügliche Freibetrag ist nach wie vor bei CHF 112’500.00 bzw. CHF 300’000.00, wenn ein Ehepaar eine Liegenschaft besitzt und einer der Ehegatten im Heim oder Spital lebt, festgemacht.

C)  Schenkungen/Vermögensverzicht

Bereits bisher wurden Vermögenswerte angerechnet, auf die freiwillig verzichtet worden ist, so beispielsweise durch eine Schenkung (zu Lebzeiten) an die Nachkommen. Die Erfassung solcher Vermögensverzichte wird nun ebenfalls ausgedehnt. Neu werden auch Fälle erfasst, in denen eine Person grössere Teile ihres Vermögens selber verbraucht hat. Wer also bei einem Vermögen von über CHF 100’000.00 innerhalb eines Jahres mehr als 10 % ausgegeben hat, dem wird der diese 10 % übersteigende Anteil als relevanter Vermögensverzicht angerechnet. Bei einem Vermögen unterhalb CHF 100’000.00 gelten Beträge ab CHF 10’000.00 als Vermögensverzicht. Bezieht man eine AHV-Rente, gilt diese Regelung für 10 Jahre vor Beginn des Rentenanspruchs. Der bisherige Grundsatz «verprassen erlaubt, verschenken nicht» wird damit eingeschränkt und ein möglicher Ergänzungsleistungs-berechtigter tut gut daran, in den 10 massgebenden Jahren seine Ausgaben im Rahmen zu halten. Die neue Regel gilt nur für Ergänzungsleistungen, welche ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes ausbezahlt worden sind. Gleiches gilt für Schenkungen an Angehörige, welche im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht im Falle eines solchen Vermögensverzichts des Ergänzungsleistungsberechtigten in Pflicht genommen werden können. Wenn keine solche Vermögenszuwendung erfolgt ist, darf immerhin darauf hingewiesen werden, dass das Recht auf Erhalt von Ergänzungsleistungen der Verwandtenunterstützungspflicht vorgeht – ist aber eine solche Schenkung gemacht worden, wird beim Ergänzungsleistungsbeantragenden dieses verschenkte Vermögen hypothetisch hinzugerechnet, was in aller Regel dazu führen wird, dass kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen besteht.

D)  Rückerstattung durch Erben

Die wohl grösste und einschneidenste Änderung bringt die Gesetzesänderung für die Erben. Neuerdings müssen die Erben eines Erblassers, der Ergänzungsleistungen bezogen hatte, die von diesem bezogenen Ergänzungsleistungen zurückerstatten, sofern ihnen ein Erbteil zugegangen ist, der den Betrag von CHF 40’000.00, gemessen am gesamten Nachlass, übersteigt. Unter CHF 40’000.00 gibt es keine Rückerstattungspflicht. Sofern ein Ehepartner des Erblassers vorhanden ist, entsteht die vorgenannte Rückerstattungspflicht erst zum Zeitpunkt des Versterbens des Ehegatten. Diese Neuerung widerspricht dem bisher geltenden Grundsatz, dass rechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen nicht zurückbezahlt werden müssen und greift damit in das Erbrecht und die Stellung der Erben ein.

III. FAZIT

Die in Art. 16a und 16b ELG (Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung) per 1. Januar 2021 in Kraft tretende Reform ändert wesentliche Elemente der bisherigen Gesetzessituation. Ganz entscheidend ist, dass Ergänzungsleistungen selbst dann rückerstattungspflichtig werden können, wenn sie rechtmässig bezogen worden sind. In der Praxis wird dies insbesondere Erben von Ergänzungsleistungsbezügerinnen und -bezüger, welche in ihrem Eigenheim gelebt hatten, treffen. Denn nur so war es bislang möglich, dass die jeweiligen Eigenheime den Bezügern belassen werden konnten – was nach wie vor der Fall ist – und die Erben danach dieses Eigenheim ohne zusätzliche Belastung erben konnten – was heute nicht mehr der Fall ist, da in der Regel damit die Grenze von CHF 40’000.00 überschritten wird und die Erben damit in Bezug auf die bezogenen Leistungen der Erblasser in Pflicht genommen werden können.


3. Juni 2020 / lic. iur. Stephan Hinz


NACHTRAG ZU: STRASSENVERKEHR – ZULÄSSIGKEIT UND VERWERTBARKEIT EINES DROGEN-SCHNELLTESTS

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In unserem Newsletter vom 11. August 2017 wurde der Verweigerungsfall eines von der Polizei angeordneten Drogenschnelltests thematisiert. Der Drogenschnelltest hat den Vorteil, dass er nicht in einem Spital durchgeführt werden, sondern schnell und unkompliziert direkt vor Ort vorgenommen werden kann. Dannzumal kamen wir aufgrund eines Urteils zum Schluss, dass es sich beim Drogenschnelltest infolge des dazu erforderlichen konkre- ten Anfangsverdachts um eine strafprozessuale Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 251 StPO handle, die gemäss Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO zwingend von der Staatsanwaltschaft anzuordnen sei. Läge demnach nur eine Aufforderung der Polizei zur Mitwirkung vor und fehlte es an einer entsprechenden Anordnung durch die Staats- anwaltschaft, bestünde für die betroffene Person keine Mitwirkungs- oder Duldungspflicht. Ohne das Bestehen einer solchen Pflicht fehlte es offensichtlich an einer Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestands von Art. 91a SVG. Ins Visier geratene Verkehrsteilnehmer hätten das Recht den von der Polizei angeordneten Drogen- schnelltest aufgrund eines Anfangsverdachts zu verweigern. Nur wenn die Massnahme durch den Staatsanwalt angeordnet würde – was im Normalfall per Telefon erfolgt –, wären Betroffene gehalten, den Test durchzuführen.

In der Zwischenzeit äusserte sich das Bundesgericht zu diesem Thema und kam zu einem anderen Schluss, der sich zuungunsten der Fahrzeuglenker auswirken kann. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird nachfolgend dargelegt.

I. VEREITELUNG VON MASSNAHMEN ZUR FESTSTELLUNG DER FAHRUN- FÄHIGKEIT (ART. 91A SVG)

Art. 91a SVG bedroht mit Strafe, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalko- holprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung (Art. 10 SKV; Vortest im Urin, Speichel oder Schweiss), die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder sich einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahme vereitelt hat.

Die genannte Strafnorm setzt jedoch zunächst voraus, dass der Täter überhaupt verpflichtet war, sich einer sol- chen Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zu unterziehen bzw. bei der Durchführung einer solchen Massnahme mitzuwirken. Eine Mitwirkungs- bzw. Duldungspflicht bei der Durchführung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit besteht nur bei einer gültigen Anordnung durch die zuständige Behörde.

II. URTEIL DES BUNDESGERICHTS 6B_598/2018 VOM 7. NOVEMBER 2018

Das Bundesgericht äusserte sich im Entscheid 6B_598/2018 vom 7. November 2018 zur zuständigen Behörde. Es hält fest, dass die Polizei gemäss Art. 10 Abs. 2 SKV zum Nachweis von Betäubungs- und Arzneimitteln na- mentlich im Urin, Speichel oder Schweiss Vortests durchführen kann, wenn Hinweise bestehen, dass die kontrol- lierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug gelenkt hat. Das Bundesgericht wies bereits in einem früheren Entscheid darauf hin, dass der Art. 10 Abs. 2 SKV eine Anordnungskompetenz der Polizei enthält (Urteil des Bundesgerichts 6B_563/2017 vom 11. September 2017 E. 1.5).

Die Polizei ist im Bereich des Strassenverkehrsgesetzes Sicherheits- bzw. Verkehrspolizei sowie Strafverfol- gungsbehörde im Sinne von Art. 15 StPO. Um die polizeiliche Tätigkeit einem dieser Bereiche zuzuordnen, ist der Einzelfall massgebend, wobei eine exakte Grenzziehung schwierig ist. Das Bundesgericht hält in diesem Zu- sammenhang fest, dass polizeiliche Kontrollen, die nicht auf einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO beruhen, Handlungen im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Kontrolltätigkeit darstellen.

Für die Durchführung eines Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV reichen gemäss bundesgerichtlicher Rechtspre- chung bereits geringe Anzeichen für eine durch Betäubungs- oder Arzneimittel begründete Fahrunfähigkeit, wie ein blasser Teint oder wässrige Augen (Urteil des Bundesgerichts 6B_244/2011 vom 20. Juni 2011 E. 1.4).

Die Kontrollmassnahmen nach Art. 55 SVG verfolgen auch generalpräventive Motive. Art. 55 Abs. 2 SVG spricht sodann ausdrücklich von Voruntersuchungen, während gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO für die Untersuchung ein hinreichender Tatverdacht erforderlich ist. Die nach Art. 10 Abs. 2 SKV erforderlichen Hinweise, dass eine Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug gelenkt hat, ist nicht mit dem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO gleichzusetzen. Das Bundesgericht kommt demgemäss zum Schluss, dass die Polizei im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Tätig- keit befugt ist, einen Vortest nach Art. 10 Abs. 2 SKV anzuordnen. Je nach den konkreten Umständen und dem Ergebnis des Vortests ergibt sich daraus ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO, der zu einer gemäss Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO durch die Staatsanwaltschaft anzuordnenden Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das SVG führen kann (z.B. Blutentnahme).

III. FAZIT

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Polizei befugt ist, einen Drogenschnelltest anzuordnen. Dies ist jedoch nur im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Tätigkeit zulässig. Liegt aufgrund der konkreten Um- stände sowie des Ergebnisses des Vortests ein hinreichender Tatverdacht vor, kann dies zu einer nach Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO durch die Staatsanwaltschaft anzuordnenden Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das SVG führen. Ein Drogenschnelltest ist somit nicht wie im Newsletter vom 11. August 2017 festgehalten zwingend durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, sondern nur wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt.

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30. August 2019 / lic. iur. Stephan Hinz


DER AUSGLEICH VON WEF-VORBEZÜGEN BEI SCHEIDUNG

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Nicht selten führt ein Scheidungsverfahren im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung dazu, dass eine in der Ehe erworbene und gemeinsam bewohnte Liegenschaft von einem Ehepartner nach der Scheidung alleine nicht mehr weiter gehalten werden kann und deshalb dem Verkauf zugeführt werden muss. Dies kann, sofern die Finanzierung der Liegenschaft teilweise mit Pensionskassengeldern, einem Wohneigentumsförderungs-Bezug, gemacht worden ist, dann zu Problemen führen, wenn die Liegenschaft mit Verlust verkauft werden muss. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie sich der Verlust aus dem Verkauf der Liegenschaft auf diesen vorbezogenen Pensionskassenanteil bezüglich des Vorsorgeausgleichs auswirkt.

I. GRUNDSÄTZLICHE REGELUNG DES VORSORGEAUSGLEICHS

Art. 122 ZGB schreibt vor, dass die während der Ehe bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge bei der Scheidung ausgeglichen werden. Damit legt das Gesetz den Berechnungszeitpunkt, zu welchem das seit Eheschluss angesparte Guthaben berechnet wird, fest: Massgebend ist das Datum der Einleitung des Scheidungsverfahrens, damit das Datum der Scheidungsklage oder eines gemeinsamen Scheidungsgesuchs. Diese Bestimmung gilt vorbehaltlos für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung, dem 1. Januar 2017, hängigen Gerichtsverfahren und selbstverständlich für alle später eingeleiteten Scheidungsverfahren.

Art. 22a Abs. 3 FZG sieht vor, dass Vorbezüge während der Ehe für die Berechnung der Vorsorgeteilung hinzugezählt werden müssen, jedoch derart, dass der Kapitalabfluss und der Zinsverlust anteilsmässig dem vor der Eheschliessung und dem nach Eheschluss bis zum Bezug geäufneten Vorsorgeguthaben belastet werden. Mit anderen Worten: Der auf den Vorbezug fallende Verlust ist anteilsmässig auf den vorehelichen Vorsorgeanteil und den während der Ehe angesparten Anteil aufzuteilen.

Zu unterscheiden ist der Vorbezug stets von der blossen Verpfändung des Vorsorgeguthabens. Dies, da die lediglich verpfändete, aber immer im Vermögen der Vorsorgeeinrichtung unverändert vorhandene Austrittsleistungen problemlos jederzeit ermittelt werden kann. Insofern ist bezüglich eines bloss verpfändeten Anteils auch kein Verlust möglich – ausser das Pfandrecht wird eingelöst und der Vorgang (Verkauf) führt zu einem Verlust. In diesem Fall ist analog vorzugehen, wie nachfolgend umschrieben (Vorbezug für Finanzierung einer Liegenschaft und Verlust bei der Veräusserung derselben).

II. VERLUST BEIM VERKAUF DER LIEGENSCHAFT

Trotz der gesetzlichen Rückzahlungsverpflichtung und deren grundbuchlichen Sicherstellung kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Wohneigentum, in das vorbezogene Mittel der beruflichen Vorsorge investiert (oder dafür verpfändet) wurden, an Wert verliert. Was geschieht nun mit dem investierten (verpfändeten) Vorsorgegeld, wenn die Liegenschaft mit Verlust verkauft werden muss und der Pensionskassenvorbezug nicht vollumfänglich an die betreffende Pensionskasseneinrichtung zurückgeführt werden kann (und damit die Rückzahlungspflicht in die Pensionskasse auch nicht mehr besteht)?

Das Bundesgericht hat sich bezüglich dieser Fragestellung dahingehend geäussert, dass damit einhergehend auch die Berücksichtigung dieses Vorbezugs, oder des nicht rückzahlbaren Teils des Vorbezugs, im Rahmen des Vorsorgeausgleichs entfalle (BGer 5A_407/2018). Im Umfang des eingetretenen Verlustes fallen die vorbezogenen (oder verpfändeten) Beträge aus dem System der beruflichen Vorsorge heraus. Sie sind für die Vorsorge verloren und bei der Ermittlung der zu teilenden Austrittsleistung nicht mehr zu berücksichtigen. Der Verlust ist von beiden Ehegatten gemeinsam (im Normalfall je hälftig) zu tragen, namentlich auch, weil das während der Ehe mithilfe des Vorbezugs (oder der Verpfändung) erworbene Wohneigentum in der Regel als gemeinsame Wohnung der Ehegatten gedient hat und diese Finanzierung nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten überhaupt möglich war und ist.

Auch für den Fall eines zum Berechnungszeitpunkt noch nicht realisierten, jedoch absehbaren Wertverlustes gelten diese Grundsätze (BGE 137 III 49 E. 3.3). Bei einem absehbaren Wertverlust des Wohneigentums ist nur derjenige Teil des Vorbezuges zur teilbaren Austrittsleistung hinzuzurechnen, der im Falle einer Veräusserung des Wohneigentums an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden müsste bzw. könnte. Der verlorene Teil des WEF-Vorbezugs wird nicht ausgeglichen. Dessen Höhe muss mit einer Schätzung des Verkehrswertes im Rahmen der Scheidung ermittelt und bewiesen werden. Diesbezüglich muss regelmässig eine Schätzung des Wohneigentums im Rahmen der Scheidung gemacht werden.

Dieses Prinzip gilt gemäss aktuellem Entscheid des Bundesgerichts auch dann, wenn der Verlust des Vorbezugs des Pensionskassenguthabens erst nach dem massgeblichenen Stichtag, also erst während des Scheidungsverfahrens eintritt, weil die Liegenschaft erst nach dem Stichtag (mit Verlust) verkauft wird.

III. EXKURS: EIN EHEGATTE VERBLEIBT NACH DER SCHEIDUNG ALLEIN-EIGENTÜMER DER LIEGENSCHAFT – MÖGLICHKEITEN DES AUSGLEICHS (MIT ODER OHNE VERLUST)

Übernimmt ein Ehegatte nach der Scheidung die Liegenschaft, kann dies auch einhergehen mit der zuvor ausgeführten Problematik, nämlich dann, wenn der ermittelte Liegenschaftspreis (Anrechnungswert) unter demjenigen liegt, welchen die Eheleute einmal investiert hatten und es deshalb zu einem «Verlust» kommt. Für die Ausgleichung des dem anderen Ehegatten dennoch in einem gewissen Umfange zustehenden Ansprüche bestehen folgende Möglichkeiten:

1.

Wurden nicht sämtliche Mittel der beruflichen Vorsorge vorbezogen, ist die Ausgleichsforderung des anderen Ehegatten durch die noch vorhandene Freizügigkeitsleistungen auf Seiten des übernehmenden Ehegatten zu tilgen. Dies setzt aber voraus, dass noch ausreichende Guthaben der beruflichen Vorsorge auf Seiten des übernehmenden Ehegatten vorhanden sind.

2.

Verfügt der ausgleichungspflichtige Ehegatte über genügend Vermögen (freies Vermögen, nicht Pensionskassenguthaben), kann er den geschuldeten Betrag an seine Vorsorgeeinrichtung zurückzahlen, welche danach den Anspruch des anderen Ehegatten durch Übertragung einer Freizügigkeitsleistung auf ein Freizügigkeitskonto desselben oder an dessen Pensionskasse erfüllt (damit ist der Vorsorgekreislauf geschlossen bzw. eingehalten).

3.

Möglich ist auch, durch ein Gestaltungsurteil zu erwirken, dass der Vorsorgeeinrichtung des ausgleichungsberechtigen Ehegatten die bedingte Forderung auf Rückzahlung des Vorbezugs der Pensionskasse gegenüber dem übernehmenden Ehegatten übertragen wird.

4.

Im Falle einer Scheidungskonvention bestünden die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Fälligkeit der Ausgleichungsforderung für eine bestimmte Zeit aufzuschieben und mittels Grundpfand auf dem übertragenen Wohneigentum zu sichern. In bescheidenem Umfang und als Ausnahme kann wohl auch die Abgeltung des nicht gedeckten/zahlbaren Teils des Ausgleichungsbetrages mit Gegenansprüchen güterrechtlicher Natur vereinbart werden, wobei gegenüber dem Gericht mit Vorteil nachgewiesen wird, dass im Alter die Gefahr, von Sozialleistungen abhängig zu werden, nicht gegeben ist.

Bei den vorgenannten Lösungsansätzen gilt es bei verpfändeten Guthaben der beruflichen Vorsorge zu beachten, dass der Pfandinhaber (in der Regel die Vorsorgeeinrichtung) je nach Situation sein Einverständnis zu solchen Vereinbarungen erteilen muss.

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12. Juni 2019 / lic. iur. Stephan Hinz


GÜTERRECHTLICHE ANSPRÜCHE IM FALL, DASS EINER DER EHEGATTEN EIGENTÜMER UND ZUGLEICH ANGESTELLTER EINER EIGENEN UNTERNEHMUNG IST

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der nachfolgende Bericht befasst sich mit der nicht selten vorkommenden Konstellation, dass ein Ehegatte mit eigenen Mitteln (Eigengut) eine Firma gegründet oder gekauft hat und als Geschäftsführer derselben während der Ehe sein Einkommen generiert. Im Falle der Scheidung bzw. der güterrechtlichen Auseinandersetzung stellt sich in der Regel die Frage, ob der an der Unternehmung nicht beteiligte Ehepartner dennoch Möglichkeiten hat, güterrechtliche Ansprüche in Bezug auf diese Unternehmung durchzusetzen.

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I. ERTRÄGE AUS EIGENGUT (ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 4 ZGB)

Gemäss Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB umfasst die Errungenschaft der einzelnen Ehegatten insbesondere auch die Erträge aus dem Eigengut eines jeden Ehegatten. Damit gemeint sind unter anderem periodische, wiederkehrende Leistungen aufgrund eines Rechtsverhältnisses, welche im Zusammenhang mit einem Vermögensbestandteil des Eigenguts stehen, die Substanz des Eigenguts aber grundsätzlich unberührt lassen. Dazu gehören beispielsweise Dividenden und andere statutarische Leistungen aus Beteiligungen an Handelsgesellschaften mit juristischer Persönlichkeit.

Daraus kann gefolgt werden, dass Dividenden etc. welche aus Beteiligungen, welche dem Eigengut eines Ehegatten zugeordnet werden müssen, in die Errungenschaft zu zählen sind, wovon bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung der jeweils andere Ehegatte profitiert.

II. ARBEITSERWERB (ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 1 ZGB)

Ebenfalls zur Errungenschaft zu zählen sind die Einkünfte jeglicher Art von selbständiger Erwerbstätigkeit (Lohn, Tantiemen etc.) und insbesondere auch der Gewinn im Zusammenhang mit einem Gewerbe oder Unternehmen, soweit dieser Gewinn auf der unternehmerischen Tätigkeit beruht. Die Lehre und Rechtsprechung unterscheidet dabei, ob industrielle Mehrwerte entstanden sind, welche auf den Einsatz der Arbeitskraft des einen Ehegatten zurückzuführen sind, oder ob konjunkturelle Mehrwerte vorliegen. Konjunkturelle Mehrwerte entstehen durch die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage. Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB erfasst nur die industriellen Mehrwerte. Konjunkturelle Mehrwerte fallen bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung nicht in die Errungenschaft, sondern wachsen dem Anfangswert an und verbleiben einheitlich in der gleichen und ursprünglichen Gütermasse (im vorliegenden Beispiel Eigengut).

III. UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN KONJUNKTURELLEN UND INDUSTRIELLEN MEHRWERTEN FÜR DEN ANWENDUNGSFALL VON ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 1 ZGB

Als Abgrenzungskriterium kann jeweils die Frage gestellt werden, ob eine vorhandene Wertsteigerung auch ohne wirtschaftliche Tätigkeit eingetreten wäre. Typisches Beispiel dafür wäre ein Beteiligungspapier (zum Beispiel Aktie) an einer Drittunternehmung, in welcher keiner der Ehegatten arbeitet. Dies wäre ein klassischer konjunktureller Mehrwert.

Resultiert der vorhandene Mehrwert jedoch aufgrund eines die ordentliche Verwaltung überschreitenden persönlichen Einsatzes, so spricht man von einem industriellen Mehrwert. Mit anderen Worten: Arbeitet der Eigentümerehegatte oder aber ein dritter Angestellter weitaus über Gebühr oder erhält er dafür eine Entschädigung weitaus unter dem angemessenen Wert, so entsteht industrieller Mehrwert, an welchem der andere Ehegatte hälftig zu beteiligen ist, da dieser Mehrwert der Errungenschaft zuzuordnen ist.

Insbesondere im Bereich von zurückbehaltenen Unternehmensgewinnen findet die vorgemachte Betrachtung ebenfalls Anwendung. Man spricht dabei von einem Vermögenszuwachs des Unternehmens, bei dem nicht mehr bloss von einer Refinanzierung zur Erhaltung der bisherigen Konkurrenzfähigkeit gesprochen werden kann, sondern vielmehr von einer Erweiterung der Unternehmung bzw. der Marktanteile die Rede sein muss.

Als industrieller Mehrwert muss also ein zurückbehaltender Gewinn gelten, sofern die Arbeitsleistung des Unternehmerehegatten zu Gunsten der vermehrten Selbstfinanzierung nicht in einem Masse abgegolten worden ist, wie dies einem Dritten gegenüber hätte geschehen müssen. Damit gemeint ist insbesondere der Fall, dass sich der Unternehmerehegatte keinen gebührenden Lohn auszahlt. Kapitalerträge können ebenfalls zur Unternehmenserweiterung eingesetzt worden sein. Dabei muss jedoch unterschieden werden, ob die Anlage vom Ehegatten aktiv bewirtschaftet worden ist (industrieller Mehrwert) oder bloss auf Marktmechanismen beruht (konjunktureller Mehrwert). Ebenfalls ein Anwendungsbereich eines industriellen Mehrwerts stellt die Situation dar, in der auf eine angemessene Kapitalverzinsung verzichtet worden ist.

IV. ERSATZFORDERUNG DER ERRUNGENSCHAFT GEGENÜBER DEM EIGENGUT (GÜTERMASSE DES GESCHÄFTSVERMÖGENS)

Haben Mittel der einen Vermögensmasse zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung von Vermögensgegenständen der anderen beigetragen und ist ein Mehr- oder Minderwert eingetreten, so entspricht die Ersatzforderung dem Anteil des Beitrages und wird nach dem Wert der Vermögensgegenstände im Zeitpunkt der Auseinandersetzung oder der Veräusserung berechnet (Art. 209 Abs. 3 ZGB).

Wird also etwa die einem Ehegatten zustehende Entschädigung aus Arbeitsleistung nicht oder nicht voll bezogen, sondern als Investitionen in der Unternehmung belassen, bleibt der Charakter des Arbeitserwerbs und damit die güterrechtliche Zuordnung der Errungenschaft erhalten.

V. BEWEISPROBLEMATIK

Aufgrund der allgemeinen Beweislastregel von Art. 8 ZGB sind die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer Ersatzforderung der einen Gütermasse gegenüber der anderen zu beweisen. Dies erfordert insbesondere Einsicht in die Buchhaltung und insbesondere auch Lohnunterlagen. Weiter hinzugezogen werden müssen Quellen für durchschnittliche Lohnsummen der entsprechenden Positionen und Branchen. Oft hinzugezogen wird das sogenannte Salarium des Bundesamts für Statistik BFS: (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten/lohnniveau-schweiz/salarium.html).

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4. September 2018 / lic. iur. Stephan Hinz


DIE ALTERNIERENDE OBHUT BEI TRENNUNG UND SCHEIDUNG – MEHR RECHTE FÜR DEN BISLANG NICHT IN DER HAUPTSACHE ERZIEHENDEN ELTERNTEIL

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Immer mehr beantragen Parteien in einem Trennungs- oder Scheidungsprozesse die Zuteilung der Kinder an beide Elternteile nach einem alternierenden Betreuungskonzept (alternierende Obhut). Bis vor kurzem wurde diese Form der Betreuungsregelung jedoch durch Gerichte vornehmlich nur dann zur Anwendung gebracht, wenn beide Parteien dahingehend gleiche Vorstellungen und Anträge vorbrachten. Sobald sich ein Elternteil gegen die Installation einer alternierenden Obhut wehrte, wurde diese in aller Regel durch die Gerichte ebenfalls abgelehnt.

Das Bundesgericht geht nun neue Wege, was eine Chance für bislang nicht zur Hauptsache erziehenden Elternteile, vornehmlich Väter, bedeutet.

I. ALTERNIERENDE OBHUT

Alternierende Obhut bedeutet, dass beide Elternteilen zu gewissen Teilen die Betreuung der Kinder übernehmen. Die alternierende Obhut steht der einem Elternteil allein zugesprochenen Obhut mit Ausgestaltung eines Besuchsrechts für den jeweils anderen Elternteil gegenüber. Letzteres ist bislang das verbreitetere Modell, welches jedoch durch die Gesetzesrevision im Familienrecht und die sich langsam anpassende Rechtsprechung vor dem Hintergrund einer anderen Lebensrealität langsam angepasst wird. Die alternierende Obhut muss nicht bedeuten, dass jeder Elternteil die Betreuung der Kinder zu genau 50% übernimmt. Es sind verschiedenste Modelle denkbar, welche sich jedoch alle am Kindeswohl zu orientieren haben.

II. VORAUSSETZUNGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

Bei gegebenen Voraussetzungen kann die alternierende Obhut auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Voraussetzung ist jedoch immer, dass beide Eltern erziehungsfähig sind. Weiter erforderlich sind organisatorische Massnahmen, welche die Eltern ergreifen können müssen sowie der Austausch von Informationen unter den Parteien über die Kinderbelange. Auch die geographische Situation muss derart sein, dass eine alternierende Obhut dem Kindeswohl gerecht werden kann. So müssen die Kinder insbesondere von beiden

Wohnorten aus in der Lage sein, ohne grössere Aufwendungen und Hindernisse die Schule, Ausbildung oder aber den Kindergarten besuchen zu können.

Kriterien wie Stabilität der Betreuung sowie die Möglichkeit der persönlichen Betreuung sind zwar ebenfalls wichtig, sind jedoch den einzelnen Umständen und Altersstufen der Kinder anzupassen. Bei Jugendlichen kommt der Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld (Schule, Freunde, Vereine) eine grosse Bedeutung zu. Die vorhandene Kooperationsfähigkeit der Eltern wiederum ist bei schulpflichtigen Kindern oder gar noch jüngeren Kindern ein wichtiges und unerlässliches Element.

III. BETREUUNG DURCH DRITTPERSONEN

Weiter setzt die alternierende Obhut selbstredend auf beiden Seiten der Eltern eine gewisse Verfügbarkeit voraus. Immerhin soll es darum gehen, dass die Eltern, und nicht andere, die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernehmen sollen und wollen. Nicht geschützt wird ein entsprechender Antrag eines Elternteils, die Betreuung zu einem gewissen Teil übernehmen zu wollen, obwohl diese in der Hauptsache auf Drittpersonen übertragen werden sollen. Eine solche Lösung wäre mit dem Kindeswohl in aller Regel nicht vereinbar. Auf der anderen Seite hat das Bundesgericht aber entschieden, dass ein Elternteil während der Zeit, in welcher er die Kinder zu be- treuen hat, durchaus berechtigt ist, einen Teil dieser Betreuung beispielsweise durch seine Eltern, mithin die Grosseltern der Kinder, sicherzustellen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Grosseltern bereits zuvor gewisse Betreuungsaufgaben übernommen hatten und die Betreuung im Idealfall am Wohnort einer der beiden Elternteile übernehmen können.

IV. WEIGERUNG EINES ELTERNTEILS

Für die Installation einer alternierenden Betreuungsregelung müssen die Eltern fähig und bereit sein, in den Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass dies beide Eltern auch wollen bzw. dass sich die Eltern bezüglich der Betreuungsregelung in der alternierenden Form einig sind. Allein aus dem Umstand, dass ein Elternteil sich vor Gericht der alternierenden Obhut widersetzt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine alternierende Obhut nicht möglich ist. Sind alle Voraussetzungen der alternierenden Obhut gegeben, so kann ein Richter diese auch gegen den expliziten Willen eines Elternteils anordnen, denn bei gegebenen Voraussetzungen haben beide Eltern gleichermassen Anspruch darauf, sich an der Betreuung des Kindes zu beteiligen. Dies liegt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Interesse des Kindes, welches eine Beziehung zu beiden Elternteilen leben und pflegen dürfen will. Dies gilt so- gar dann, wenn ein Elternteil, in der Regel der Vater, in der Vergangenheit zu 100% erwerbstätig war und sich kaum der Erziehung des Nachwuchses gewidmet hatte. Entscheidend ist, ob dieser Elternteil sich in Zukunft durch Reduktion seines Arbeitspensums an der Betreuung des Kindes ernsthaft beteiligen möchte und die entsprechenden Voraussetzungen dafür mitbringt. Ein solcher Elternteil tut also gut daran, dem Gericht aufzuzeigen, wie er dieser Betreuungsaufgabe, insbesondere zeitlich und organisatorisch, in Zukunft nachkommen will und kann. Idealerweise verfügt eine Partei mit einem solchen Ansinnen über eine Bestätigung des Arbeitgebers, wo- nach eine Reduktion des Arbeitspensums möglich sei.

V. FOLGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

In der Regel führt die alternierende Obhut dazu, dass beide Elternteile verfügbare Zeit haben, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Dies kann bedeuten, dass der Elternteil, welcher bislang zu 100% die Kindererziehung übernommen hat, inskünftig gehalten ist, teilzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat logischerweise Folgen auf die Unterhaltsregelungen, was nicht selten ein Grund für ein Festhalten am klassischen Modell sein dürfte.

VI. FAZIT

Mit der zuvor ausgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts wird insbesondere – auch unter dem bisherigen Modell der klassischen Rollenverteilung – die Position der sich in Trennung oder Scheidung befindenden Väter gestärkt, in dem vom gerichtsüblichen Besuchsrecht, d.h. alle 2 Wochen übers Wochenende, Abkehr genommen wird und der heute bereits ausgeprägten Realität, gemäss welcher in der Regel beide Elternteile zumindest teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Rechnung getragen wird. Insbesondere werden auch die Rollen der Elternteile egalisiert und vom bislang leider zu häufig vertretenen Modell «die Mutter erzieht, der Vater zahlt» Abstand genommen. Dies zu Recht.

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21. Juni 2018 / lic. iur. Stephan Hinz


OBHUT UND BESUCHSRECHT BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE – WAS WENN EIN ELTERNTEIL WEIT WEG ZIEHT?

NACHTRAG ZUM NEWSLETTER VOM 29. NOVEMBER 2017

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt unter Mithilfe von Simona Serratore (M.A. HSG)

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Im Newsletter-Beitrag vom 29. November 2017 wurden die Hintergründe des seit 1. Juli 2014 geltenden «Zügelartikels» (Art. 301a ZGB) erläutert. Es wurde festgehalten, dass dank der Gesetzesrevision der obhutsberechtigte Elternteil grundsätzlich nicht mehr nach Belieben seinen und damit den Wohnort des Kindes verschieben kann. Stattdessen wird verlangt, dass bei potentiell erheblichen Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil (dies sind alles Fragen, die das Kindeswohl betreffen) erst die Zustimmung des betroffenen Elternteils eingeholt wird. Die bisher dazu ergangenen Bundesgerichtsurteile machen deutlich, dass es keine universelle Antwort auf die Frage gibt, in welchen Fällen es bei einem Wegzug innerhalb der Schweiz der Zustimmung des Elternteils bedarf: Es bedarf jeweils einer Abwägung der massgebenden Kriterien im Einzelfall. Klar jedoch ist, dass das Wohl des Kindes stets im Vordergrund steht.

In einem soeben publizierten Entscheid (BGer 5A_47/2017 vom 6. November 2017) hat das Bundesgericht nun ausdrücklich festgehalten, dass wenn ein Elternteil trotz gemeinsamem Sorgerecht ohne Einwilligung des Partners weit weg zieht, keine direkte Möglichkeit besteht, den wegziehenden Elternteil zu sanktionieren. Im behan- delten Entscheid war die Mutter mit den Kindern vom Kanton Aargau nach Bellinzona in den Kanton Tessin gezogen. Zudem betonte das Bundesgericht weiter, dass eine Weisung des Gerichts zum Aufenthaltsort des wegziehenden Elternteils – das Bezirksgericht hatte der Mutter noch die Auflage gemacht, den Wohnsitz wieder näher zum ursprünglichen Wohnort zu verlegen, damit die Ausübung des Besuchsrechts nicht verunmöglicht wird – nur erlassen werden darf, wenn das Kindeswohl durch den Umzug extrem gefährdet ist (also z.B. durch körperliche und psychische Misshandlung oder Vernachlässigung durch den obhutsberechtigten Elternteil). Das Bundesgericht wies die Sache zur Anpassung der Besuchs- und Ferienrechtsregelung sowie der Übergabemodalitäten (insbesondere auch örtlich, d.h. zur Regelung eines allfälligen Übergabeortes «in der Mitte» zwischen den Wohnsitzen) an die Vorinstanz zurück. Es gilt abzuwarten, ob und wie das Gericht den knappen finanziellen Verhältnissen im Fall Rechnung tragen wird.

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12. März 2018 / lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Simona Serratore (MLaw)

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