KOMMUNALER MEHRWERTAUSGLEICH BEI AUF- UND UMZONUNGEN – ZÜRCHER REGIERUNGSRAT HÄLT AN UMSETZUNGSFRIST FEST

MLaw Marius Reinhardt, Rechtsanwalt und lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

Mit Urteil 1C_233/2021 vom 5. April 2022 („Meikirch“) hat das Bundesgericht entschieden, dass Gemeinden künftig nicht nur bei Einzonungen, sondern auch bei Um- und Aufzonungen von Grundstücken Mehrwertabgaben erheben müssen. Nur so lasse sich der Gesetzgebung-sauftrag gemäss Art. 5 des Raumplanungsgesetzes des Bundes (RPG) interpretieren, welcher einen angemes-senen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen entstehen, vorschreibe. Ein gänzlicher Verzicht auf einen Mehrwertausgleich für Auf- und Umzonungen widerspreche daher dem gültigen Bundesrecht. Das kantonalzürcherische Mehrwertausgleichsgesetz (MAG) überlässt es in seiner heutigen Form jedoch weitgehend den Gemeinden, ob und in welcher Höhe sie eine Mehrwertabgabe für Auf- und Umzonungen einführen möchten. Das besagte Bundesgerichtsurteil erging in einem denkbar ungünstigen Moment, sind zurzeit doch unzählige Zürcher Gemeinden im Begriff, ihre jeweiligen Bau- und Zonenordnungen (BZO) unter anderem an das zürcherische MAG anzupassen. Zeit dazu verbleibt ihnen nur noch bis am 1. März 2025 (§ 29 Abs. 4 MAG).

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Zur Anfrage der Zürcher Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel sowie der Kantonsräte Domenik Ledergerber und Martin Farner-Brandenberger vom 30. Mai 2022 (1179. Anfrage), welche Konsequenzen das Bundesgerichtsurteil nun nach sich ziehe und inwiefern Handlungsbedarf bestehe, hat sich der Regierungsrat des Kantons Zürich anlässlich seiner Sitzung vom 7. September 2022 (KR-Nr. 183/2022) wie folgt geäussert: Der Regierungsrat verwies einerseits auf das im Sommer 2022 angestossene Revisionsverfahren im Bundesparlament, dessen weiterer Verlauf sowie zeitlicher Horizont ungewiss seien, und rief andererseits das Kreisschreiben der Baudirektion des Kantons Zürich vom 23. Juni 2022 in Erinnerung, gemäss welchem die Praxis bezüglich der Verzichtsmöglichkeit auf den kommunalen Mehrwertausgleich – entgegen dem Wortlaut von § 19 MAG – angepasst worden sei. Vorlagen, in welchen Gemeinden auf den Mehrwertausgleich für Auf- und Umzonungen verzichten, könnten nicht mehr genehmigt werden. Dies gelte auch für bereits vorgeprüfte Vorlagen. Wird ein kommunaler Mehrwertausgleich eingeführt, müsse zudem ein angemessener Abgabesatz gewählt werden (Art. 5 RPG). Ein Abgabesatz von wenigen Prozenten sei aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben und Rechtsprechung aller Voraussicht nach nicht bundesrechtskonform. Inhaltlich hat sich somit nichts geändert.

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Zürcher Gemeinden, welche bislang keine entsprechende Mehrwertabgabe für Auf- und Umzonungen einführen wollten, kommen nun zeitlich unter Druck. Die Stellungnahme der kantonalzürcherischen Exekutive entschärft in dieser Hinsicht aber keineswegs – ganz im Gegenteil. Trotz bestehender Unsicherheiten und laufender Gesetzgebungsprojekte in Bundesbern will der Regierungsrat von einer allgemeinen Fristverlängerung bezüglich der am 1. März 2025 ablaufenden Frist nichts wissen. Die Zürcher Gemeinden werden daher implizit aufgefordert, im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Lösung mit Abgabe für Auf- und Umzonungen zu verfolgen, sofern sie nicht in Kauf nehmen wollen, die Frist im Jahr 2025 zu verpassen. Am eingeschlagenen Weg würde dann wohl auch eine liberalere, das Bundesgerichtsurteil „korrigierende“ Revision des RPG nichts mehr ändern

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23. September 2022  / lic. iur. Christoph Schärli und MLaw Marius Reinhardt


BERÜCKSICHTIGUNG DES BUNDESINVENTARS DER SCHÜTZENSWERTEN ORTSBILDER DER SCHWEIZ (ISOS) IM BAUBEWILLIGUNGSVERFAHREN

MLaw Marius Reinhardt, Rechtsanwalt

Bei der Erfüllung von Bundesaufgaben sieht das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) einen verstärkten Schutz für Ortsbilder von nationaler Bedeutung vor. Für Bauherren und Projektentwickler stellt sich zuweilen die Frage, ob neben kantonalrechtlichen Natur- und Heimatschutzvorschriften auch das ISOS auf ihr Bauvorhaben Anwendung findet. Gemäss aktueller (aber umstrittener) bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist bei in ISOS-Gebieten geplanten Bauvorhaben, welche teilweise unter dem mittleren Grundwasserspiegel zu liegen kommen sollen, Vorsicht geboten, da eine direkte Anwendbarkeit des ISOS bejaht wird.

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I. BUNDESINVENTAR DER SCHÜTZENSWERTEN ORTSBILDER DER SCHWEIZ

Es ist unbestritten, dass die Pflege und die sorgfältige Weiterentwicklung von Ortsbildern zur Qualität unserer gebauten Umwelt und zu unserem Wohlbefinden beitragen. Den Schutz von qualitätsvollen Ortsbildern gewährleistet in der Schweiz insbesondere das Planungsrecht. Dafür sind in erster Linie die Kantone und Gemeinden zuständig. Sie bezeichnen bspw. Kern- und Schutzzonen und erlassen entsprechende Gestaltungsvorschriften. Somit sind für Um- oder Neubauten in schützenswerten Ortsbildern daher primär die kantonalen Fachstellen für Denkmalpflege Ansprechpartnerinnen. Auf nationaler Ebene kümmert sich das Bundesamt für Kultur (BAK) um den Ortsbildschutz und hat mit dem Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) ein Grundlageninstrument erarbeitet, das den Behörden der Denkmalpflege sowie des Bau- und Planungswesens hilft, baukulturelle Werte zu erkennen und langfristig zu sichern. Durch die Aufnahme eines Objektes von nationaler Bedeutung in das ISOS wird dargetan, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient (Art. 6 Abs. 1 NHG). Ein Abweichen von der ungeschmälerten Erhaltung darf bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur in Erwägung gezogen werden, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige
Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 abs. 2 NHG).

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II. BUNDESAUFGABE IM BAUBEWILLIGUNGSVERFAHREN?

Direkt zur Anwendung gelangt das ISOS immer dann, wenn das Vorliegen einer Bundesaufgabe im Sinn von Art. 2 NHG bejaht werden kann. Sollen beispielswiese einzelne Bauten einer ISOS-geschützten Baugruppe durch einen zeitgemässen Ersatzneubau ersetzt werden, stellt sich die Frage, ob das ISOS im Baubewilligungsverfahren direkt anwendbar und eine umfassende Interessenabwägung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG vorzunehmen ist.

Bundesaufgaben liegen nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung etwa dann vor, wenn der Bund Werke und Anlagen plant, errichtet oder verändert, wenn er Konzessionen und Bewilligungen erteilt, wenn er Subventionen gewährt oder wenn ein Bauprojekt ausserhalb der Bauzone entstehen soll oder bis zum Grundwasserspiegel reicht. In diesen Fällen darf ein Abweichen von den Erhaltungszielen des ISOS nur in Erwägung gezogen werden, wenn gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen (Art. 6 Abs. 2 NHG).

Mit Blick auf Bauvorhaben innerhalb der Bauzonen ist regelmässig derjenige Anwendungsfall relevant, in welchem Räume oder Kellergeschosse eines Bauvorhabens unter den mittleren Grundwasserspiegel (Gewässerschutzbereich Au) zu liegen kommen sollen. Diesfalls ist nämlich eine gewässerschutzrechtliche Ausnahmebewilligung der jeweiligen kantonalen Baudirektion im Sinne von Ziff. 211 Abs. 2 Anhang 4 der Gewässerschutzverordnung (GSchV) erforderlich. Als Ausnahmebewilligung im bundesrechtlich geregelten Gewässerschutz ist darin gemäss aktueller bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Bundesaufgabe im Sinne von Art. 2 NHG zu erblicken (vgl. BGer 1C_482/2012 vom 14. Mai 2014). Befindet sich die Bauparzelle zufälligerweise in einem ISOS-Gebiet, führt dies somit ohne Weiteres dazu, dass eine Interessenabwägung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 NHG durchzuführen ist. In verfahrensrechtlicher Hinsicht kommt dazu, dass zwingend ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) oder der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) eingeholt werden muss (Art. 7 NHG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 lit. d der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz [NHV]). Die Kommission gibt darin an, ob das Objekt ungeschmälert zu erhalten oder wie es zu schonen ist.

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III. FOLGEN FÜR BAUVORHABEN IN ISOS-GEBIETEN

Betrifft ein Bauvorhaben ein Grundstück in einem ISOS-Gebiet und kann die Erfüllung einer Bundesaufgabe im Sinne von Art. 2 NHG bejaht werden, kommen die Vorgaben des ISOS bzw. des NHG direkt zur Anwendung, was im Ergebnis dazu führt, dass zwingend ein Gutachten der ENHK oder EKD einzuholen und eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist. Nicht erforderlich ist zudem, dass das Ortsbild auf kantonaler / kommunaler Ebene (formell) geschützt ist oder als «Denkmalobjekt» in ein Denkmalinventar aufgenommen worden ist. Verfahrensmässig ziehen die Begutachtungspflicht sowie die Interessenabwägung nicht nur Mehrkosten, sondern vor allem auch eine deutliche Verlängerung des Baubewilligungsverfahrens nach sich. Die Bauherrschaft ist daher gut beraten, sich frühzeitig mit dieser Frage auseinanderzusetzen und das allenfalls notwendige Gutachten in Auftrag zu geben. Baubewilligungen, die in rechtswidriger Weise ohne Vornahme der entsprechenden Verfahrensschritte erteilt werden, sind anfechtbar. Bei rechtzeitigem Einholen des Gutachtens kann somit ein zeitaufwändiges Rechtsmittelverfahren vermieden werden.


13. Juli 2022  / MLaw Marius Reinhardt

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