MISSBRÄUCHLICHE KÜNDIGUNG – NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID (4A_368/2023) BETREFFEND ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN VON ARBEITGEBERINNEN BEI VERDACHT AUF EIN STRAFBARES VERHALTEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Das Bundesgericht hatte sich in seinem Urteil 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 erneut mit der Frage der Missbräuchlichkeit einer ordentlichen Kündigung zu befassen. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitnehmer war seit dem 1. November 2010 bei der Arbeitgeberin (Bank) als Director angestellt. Im August 2018 meldete sich eine Mitarbeiterin bei der betriebsinternen Ombudsfrau wegen sexueller Belästigungen durch den Arbeitnehmer. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin eine interne Untersuchung ein. Im Rahmen dieser Untersuchung kam die Arbeitgeberin zum Schluss, dass die dem Arbeitnehmer unangemessenen Verhaltensweisen mit grosser Wahrscheinlichkeit stattgefunden hätten. Die Arbeitgeberin kündigte den Arbeitsvertrag deshalb am 23. Oktober 2018 ordentlich.

Der Arbeitnehmer erachtete die Art und Weise wie die Kündigung ausgesprochen wurde, als missbräuchlich, und forderte deshalb in der Folge von der Arbeitgeberin eine Entschädigung im Sinne von Art. 336a Abs. 1 OR. Nachdem das erstinstanzliche Gericht dem Arbeitnehmer keine Entschädigung zugesprochen hat, erachtete das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich, weshalb sie ihm eine Entschädigung zusprach. Die Arbeitgeberin erhob dagegen Beschwerde beim Bundesgericht.

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I. GRUNDSÄTZLICHES ZUR MISSBRÄUCHLICHEN KÜNDIGUNG

Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann nach Art. 335 abs. 1 OR von jeder Vertragspartei unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist gekündigt werden. In der Schweiz gilt damit bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen das Prinzip der Kündigungsfreiheit (vgl. für Kündigungen öffentlicher-rechtlicher Arbeitsverhältnisse im Kanton Aargau den Newsletter vom 17.03.2023). Die Kündigungsfreiheit gilt jedoch nicht absolut und eine Kündigung kann auch als missbräuchlich qualifiziert werden. Wird eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert, hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer eine Entschädigung auszurichten (vgl. Art. 336a OR). Missbräuchlich ist eine Kündigung namentlich, wenn sie aus einem bestimmten, in Art. 336 OR umschriebenen, unzulässigen Grund ausgesprochen wird (z.B. wenn die Kündigung ausgesprochen wird, nachdem ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat, vgl. für weitere Gründe auch Art. 336 OR). Die Aufzählung in Art. 336 OR ist jedoch nicht abschliessend und das Bundesgericht hat in den letzten Jahren verschiedentlich weitere Tatbestände anerkannt, welche eine Kündigung als missbräuchlich erscheinen lassen (z.B. missbräuchliche Alterskündigungen oder Konfliktkündigungen). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann sich die Missbräuchlichkeit insbesondere auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht zur Kündigung ausübt. Auch wenn eine Kündigung rechtmässig erklärt wird, muss gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Gebot der schonenden Rechtsausübung beachtet werden. Die kündigende Partei darf namentlich kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht. Bei einem krass vertragswidrigen Verhalten, namentlich einer schweren Persönlichkeitsverletzung im Umfeld der Kündigung kann eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert werden. Ein bloss unanständiges Verhalten genügt jedoch nicht. Die Verletzung des Gebots der schonenden Rechtsausübung muss somit eine gewisse Schwere aufweisen.

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II. ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN BEI VERDACHT AUF STRAFBAHRES VERHALTEN GEMÄSS ENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS

1. Feststellungen der Vorinstanzen

Wie bereits erwähnt, wurde gemäss vorliegend vom Bundesgericht zu beurteilenden Sachverhalt gegen den betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Vorwurfs sexueller Belästigungen eine interne Untersuchung eingeleitet.

Gemäss den Erwägungen der ersten Instanz sei die interne Untersuchung im Wesentlichen getreu den Richtlinien und Merkblättern der Arbeitgeberin erfolgt. Ein unabhängiges Team habe den Arbeitnehmer und weitere Personen befragt, die Ergebnisse in einem Untersuchungsbericht festgehalten und der internen Disziplinarstelle präsentiert. Es seien sowohl entlastende als auch belastende Aussagen berücksichtigt worden, wobei die Arbeitgeberin zum Schluss gekommen sei, dass die Vorwürfe mit grosser Wahrscheinlichkeit zutreffen würden. Dabei sei die Arbeitgeberin zu Recht von einem begründeten Verdacht ausgegangen, der die Weiterbeschäftigung als unzumutbar habe erscheinen lassen. Die Kündigung des Arbeitnehmers sei deshalb nicht als missbräuchlich zu qualifizieren.

Das Obergericht Zürich hielt hingegen fest, dass der Arbeitnehmer gemäss «Merkblatt sexuelle Belästigung» Anspruch auf Begleitung durch eine Vertrauensperson gehabt hätte. Vor seiner Anhörung am 20. September 2018 sei er aber nicht auf dieses Recht hingewiesen worden und vom Gespräch insgesamt überrumpelt worden. Es sei deshalb sein Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson verletzt worden. Zudem habe der Arbeitnehmer auch nicht erfahren, wann, er wen, wo und wie sexuell belästigt haben soll. Er habe sich insgesamt während des Gesprächs deshalb nicht wirksam verteidigen können. Dies hätte der Arbeitnehmer aber können müssen, da er einer Straftat beschuldigt worden sei und wie in einem Strafverfahren insbesondere das Anklageprinzip und der Anspruch auf rechtliches Gehör gelten würden. Das Obergericht des Kantons Zürich kam deshalb zum Schluss, dass die Kündigung des Arbeitnehmers als missbräuchlich zu qualifizieren sei.

2.Feststellungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte gestützt auf den zu beurteilenden Sachverhalt zunächst klar, dass die strafprozessualen Garantien keine direkte Wirkung auf interne Untersuchungen einer Arbeitgeberin hätten. Die Übernahme strafprozessualer Regeln ins Privatrecht verbiete sich bereits aufgrund der grundlegenden Unterschiede der Rechtsverhältnisse. Die Parteien eines Arbeitsvertrages würden nämlich freiwillig ein Dauerschuldverhältnis eingehen, wohingegen eine beschuldigte Person im Strafverfahren unabhängig von ihrem Willen der staatlichen Strafgewalt unterworfen werde.

Gestützt darauf erwog das Bundesgericht, dass es nicht zu beanstanden sei, dass der Arbeitnehmer erst zu Beginn des Gesprächs über dessen Zweck und Inhalt informiert worden sei. Weiter stellte das Bundesgericht fest, dass das Obergericht des Kantons Zürich der Arbeitgeberin zu Unrecht vorgeworfen habe, dass der Arbeitnehmer sich beim Gespräch im September nicht gemäss internem Merkblatt von einer Vertrauensperson habe begleiten lassen könne. Es würde sogar nach den strengen strafprozessualen Grundsätzen – welche vorliegend aber keine Anwendung finden – genügen, die beschuldigte Person erst zu Beginn der ersten Einvernahme auf ihr Recht zur Verteidigung hinzuweisen.

Auch der Vorwurf der Vorinstanz, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer nicht hinreichend über die Vorwürfe und die Identität der betroffenen Mitarbeiterin (bzw. Mitarbeitenden) aufgeklärt, erachtete das Bundesgericht gestützt darauf, dass die interne Untersuchung eines privaten Arbeitgebers nicht mit einer staatlichen Strafuntersuchung zu vergleichen sei, als unbegründet.

Abschliessend stellte das Bundesgericht fest, dass im Gegensatz zum Strafrecht, wo es keine “Verdachtsverurteilungen” gäbe, im Arbeitsrecht Verdachtskündigungen zulässig und nicht einmal dann missbräuchlich seien, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweise. Entsprechend müsse auch nicht die Arbeitgeberin beweisen, dass die Vorwürfe zutreffen würden. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Arbeitgeberin genügend umfangreiche Abklärungen getroffen habe. Die Kündigung sei damit weder leichtfertig noch ohne vernünftige Gründe ausgesprochen worden. Indem das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich qualifizierte, habe es Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde entsprechend gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Zürich aufgehoben und die Klage des Arbeitnehmers betreffend Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung abgewiesen.

III. FAZIT

Gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 kann somit zusammenfassend folgendes festgehalten werden:

  • Die strafprozessualen Regelungen gelten bei Verdacht auf strafbares Verhalten für interne Untersuchungen von Arbeitgeberinnen nicht;
  • Vor der ersten Konfrontation wegen eines Vorwurfs von strafbarem Verhalten muss der Arbeitnehmer nicht über den Gegenstand der Untersuchung informiert werden;
  • Eine Begleitung durch eine Vertrauensperson zum Gespräch muss nicht zwingend gewährleistet werden;
  • Dem beschuldigten Arbeitnehmer müssen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht im Detail bekannt gegeben werden. Insbesondere die Identität der betroffenen Person ist grundsätzlich vertraulich zu behandeln;  
  • Eine missbräuchliche Kündigung liegt in solchen Fällen in der Regel nur vor, wenn Arbeitgeberinnen leichtfertig oder ohne vernünftigen Grund Vorwürfe gegen Arbeitnehmer erheben.


16. Februar 2024 / MLaw Kim Wysshaar


VERTRAGSANPASSUNGEN UND ÄNDERUNGSKÜNDIGUNGEN – WAS GILT ES ZU BEACHTEN?

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin und MLaw Joshua Minder, Anwaltspraktikant

Arbeitgeberinnen passen ihre Arbeitsverträge und/oder Reglemente an neue Gegebenheiten oder gesetzliche Grundlagen regelmässig mit Wirkung auf den 1. Januar an. In diesem Zusammenhang müssen sich Arbeitgeberinnen mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei den geplanten Änderungen lediglich um Änderungen handelt, welche einseitig im Rahmen des Weisungsrechts umgesetzt werden können oder, ob es sich um wesentliche Vertragsänderungen handelt, welche die Zustimmung der Arbeitnehmer voraussetzen. Im Folgenden sollen die Voraussetzungen und Möglichkeiten für Vertragsänderungen deshalb kurz für Sie zusammengefasst werden.

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I. VERÄNDERUNGEN WÄHREND DES ARBEITSVERHÄLTNISSES

Verändern sich die Umstände oder die Bedürfnisse, die einem Arbeitsverhältnis zugrunde liegen, besteht oftmals die Notwendigkeit, bereits bestehende Arbeitsverträge und/oder Reglemente anzupassen. Sind die Arbeitnehmer mit einer Anpassung ihrer Arbeitsverträge oder den geltenden Reglementen einverstanden, sind Änderungen grundsätzlich problemlos möglich. Oftmals sind die Arbeitnehmer mit den Anpassungen ihres Arbeitsvertrages und/oder der Reglemente im Unternehmen jedoch nicht gänzlich einverstanden, insbesondere, wenn sich die Vertragsbedingungen durch die Anpassungen verschlechtern. In diesen Fällen muss das Arbeitsverhältnis von der Arbeitgeberin einseitig angepasst werden.

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II. WEISUNG ODER WESENTLICHE ÄNDERUNG

Bei einseitigen Anpassungen des Arbeitsverhältnisses bzw. der Vertragsbedingungen ist vorab in Erfahrung zu bringen, ob es sich dabei um wesentliche Änderungen des Arbeitsverhältnisses handelt, welche eine Vertragsänderung darstellen und die Zustimmung der Arbeitnehmer voraussetzen, oder um Änderungen, welche gestützt auf das gesetzlich verankerte Weisungsrecht der Arbeitgeberin einseitig angeordnet werden können.

Weisungen sind allgemeine oder individuelle Anordnungen, die die Ausführung der Arbeit und das Verhalten im Betrieb regeln. Das Weisungsrecht der Arbeitgeberin gemäss Art. 321d OR ist direkter Ausfluss des für den Arbeitsvertrag begriffsnotwendigen Unterordnungsverhältnisses zwischen der Arbeitgeberin und den Arbeitnehmern. Das Weisungsrecht der Arbeitgeberin ergibt sich sowohl direkt aus Art. 321d OR als auch indirekt aus der allgemeinen Treuepflicht der Arbeitnehmer nach Art. 321a OR.  Weisungen der Arbeitgeberin können sich sowohl an die Mehrheit der Arbeitnehmer (z.B. Rauchverbot im Betrieb) als auch direkt an einen einzelnen Arbeitnehmer richten (z.B. Weisung an einen Kurier, eine bestimmte Sendung auszuliefern) (vgl. hierzu ausführlicher auch den Newsletter vom 24.03.2021 «Das Weisungsrecht des Arbeitgebers – Wo liegen die Grenzen meines Weisungsrechts»).

Handelt es sich nicht mehr um Weisungen, sondern um wesentliche Anpassungen des Arbeitsverhältnisses, wie z.B. in den Bereichen Lohn, Arbeitszeiten, Überstunden, Kündigungsfristen etc., können diese ohne Zustimmung der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht umgesetzt werden. In Arbeitsverträgen findet man deshalb häufig Klauseln, welche der Arbeitgeberin ein Gestaltungsrecht einräumen, damit die Arbeitgeberin auch während des Arbeitsverhältnisses wesentliche Vertragsänderungen einseitig vornehmen kann. Solche Klauseln sind jedoch nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr verstossen unbeschränkte einseitige Änderungsklauseln betreffend wesentliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses gegen das gesetzliche Verbot der übermässigen Bindung (nach Art. 27 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 20 OR).

Werden die Änderungsvorbehalte zugunsten der Arbeitgeberin statt im Arbeitsvertrag in einem Personalreglement festgehalten, stellt sich die Frage nach deren Zulässigkeit. Wird einzig der Bereich erfasst, der ohnehin unter das Weisungsrecht fällt, sind solche Vorbehalte zweifellos zulässig, aber in praktischer Hinsicht auch redundant. Eine einseitige Änderung des Personalreglements wäre in diesem Fall auch keine Vertragsänderung und damit jederzeit zulässig. Viele Personalreglemente enthalten jedoch für alle Vertragsverhältnisse einheitlich geltende vertragliche Bestimmungen, z.B. das Verbot einer Nebenbeschäftigung neben der Haupterwerbstätigkeit. Auch wenn in solchen Personalreglementen Änderungsvorbehalte zulässig sein können, sind diese in aller Regel ungewöhnlich und müssen durch den Arbeitnehmer ausdrücklich akzeptiert werden.

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III. DURCHSETZUNG VON VERTRAGSÄNDERUNGEN MITTELS ÄNDERUNGSKÜNDIGUNGEN

Fallen wesentliche Änderungen in den Bereich, in dem eine einseitige Vertragsanpassung unzulässig ist (z.B. bei einer Lohnanpassung), verbleibt der Arbeitgeberin bei fehlender Zustimmung der Arbeitnehmer einzig das Aussprechen einer Änderungskündigung. Eine Änderungskündigung ist eine ordentliche Kündigung unter Geltung der vertraglichen und gesetzlich verankerten Kündigungsregeln (insb. Kündigungsfrist, Verbot der missbräuchlichen Kündigung), die mit einer Offerte zur Vertragsänderung kombiniert wird. Die Kündigung kann erst nach Ablehnung der Offerte ausgesprochen werden oder, wenn die Kündigung in jedem Fall gelten soll, auch vor oder zusammen mit der unterbreiteten Offerte. Wird die neue Offerte angenommen, führt dies nicht zu einem neuen Arbeitsverhältnis (auch nicht bei vorsorglich ausgesprochener Kündigung), sondern stellt einzig eine Vertragsänderung dar.

In diesem Zusammenhang stellt sich für Arbeitgeberinnen regelmässig die Frage, welche Bedenkzeit den Arbeitnehmern eingeräumt werden soll und, wie lange die Arbeitgeberin an ihr eigenes Angebot gebunden ist. Im Gesetz nicht festgehalten ist, was als angemessene Bedenkzeit gilt. Es müssen somit stets die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. In der Regel empfiehlt sich aber, dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit von mindestens einer Woche einzuräumen.

Mit der Frage, wie lange die Arbeitgeberin an ihr neues Vertragsangebot gebunden ist, hat sich das Bundesgericht zuletzt im Juni 2023 befasst (Urteil des Bundesgerichts 8C_637/2022 vom 2. Juni 2023) und festgehalten, dass das Vertragsangebot für die Arbeitgeberin so lange verpflichtend sei, bis die eingeräumte Bedenkfrist abgelaufen ist. Wird die ursprünglich angesetzte Bedenkzeit nicht abgewartet und die Offerte vor deren Ablauf zurückgezogen, sei die Kündigung als missbräuchlich im Sinne von Art. 336a OR zu qualifizieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_637/2022 vom 2. Juni 2023, E. 7.4.).

Ganz allgemein sind Änderungskündigungen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zulässig, wenn die Arbeitgeberin dabei die gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften wie bei einer ordentlichen Kündigung einhält und wenn das Vorgehen nicht zur Durchsetzung von unbilligen, sprich unbegründeten, ungünstigen Änderungen der Lohn und Arbeitsbedingungen missbraucht wird (BGE 123 III 246 E. 3b). Es müssen somit zumindest betriebliche oder marktbedingte Gründe für das Aussprechen einer Änderungskündigung vorliegen, andernfalls sie als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Klar missbräuchlich ist eine Änderungskündigung, wenn sie beispielsweise während der Schwangerschaft ausgesprochen wird, um mit der Anpassung des Vertrages den Lohn der Mutter an die möglicherweise zu erwartende Leistungsminderung anzupassen.

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IV. FAZIT

Für Arbeitgeberinnen bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Arbeitsverträge ihrer Arbeitnehmer oder Reglemente mit oder ohne Zustimmung der Arbeitnehmer zu ändern. Ist die angestrebte Änderung vom gesetzlichen Weisungsrecht umfasst, ist die Anpassung in der Regel problemlos möglich. Soll jedoch einseitig eine wesentliche Vertragsänderung vorgenommen werden, besteht das Risiko, dass die Arbeitnehmer mit der Änderung nicht einverstanden sind und Änderungskündigungen ausgesprochen werden müssen. Anpassungen von Arbeitsverträgen und Reglementen sollten deshalb wohl überlegt sein und frühzeitig geplant werden. 

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21. Dezember 2023 / MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin und MLaw Joshua Minder, Anwaltspraktikant


DATENSCHUTZ IM ARBEITSVERHÄLTNIS – WORAUF ALS ARBEITGEBER/IN ZU ACHTEN IST

MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

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Am 1. September 2023 tritt das revidierte Datenschutzgesetz sowie die dazugehörige Verordnung in Kraft. Damit verbunden sind insbesondere auch weitergehende Pflichten der Arbeitgeberinnen und neue Rechte für Mitarbeitende. Der aktuelle Newsletter behandelt daher insbesondere die Anforderungen, welche an die Arbeitgeberinnen als Datenbearbeiterinnen gestellt werden, und welche Daten in welchen Fällen bearbeitet werden dürfen.

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I. ÜBERBLICK

In jedem Arbeitsverhältnis werden personenbezogene Daten der Mitarbeitenden bearbeitet. Dies beginnt in der Regel beim Bewerbungsprozess, indem die eingehenden Bewerbungsunterlagen abgespeichert werden. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses werden die Personendaten der Mitarbeitenden im Rahmen der allgemeinen Personaladministration und der Lohnbuchhaltung verwendet und stetig aktualisiert. Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden die Daten der ausgetretenen Mitarbeitendenin der Regel nicht gleich gelöscht, sondern noch für eine gewisse Dauer aufbewahrt. Dabei handelt es sich stets um Datenbearbeitungen, die dem Schweizer Obligationenrecht und dem Datenschutzgesetz unterstehen.

Art. 328b OR bestimmt, dass die Arbeitgeberin Daten über Mitarbeitende nur bearbeiten darf, soweit sie deren Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder für die Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind. Gestützt auf das Datenschutzgesetz kann aber auch eine weitergehende Datenbearbeitung zulässig sein, wenn die betroffenen Mitarbeitenden explizit einwilligen oder die Arbeitgeberin oder ein Dritter ein überwiegendes Interesse daran hat (vgl. BGer 4A_5118/2020).

Dies vorangestellt, wird nachfolgend auf einzelne Arbeitgeberpflichten im Zusammenhang mit der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung eingegangen.

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II. INFORMATIONSPFLICHTEN

Sobald planmässig Personendaten bearbeitet werden, müssen die hiervon betroffenen Personen in der Regel vorgängig informiert werden – dies betrifft insbesondere auch Personendaten der eigenen Mitarbeitenden und Bewerbenden. Im Arbeitsverhältnis erfolgen diese Informationen in der Regel über ein Mitarbeiterreglement oder über eine interne Mitarbeiterinformation, welche den nachfolgenden Mindestinhalt aufweisen sollten:

  • Wer ist für die Datenbearbeitung verantwortlich (inkl. Kontaktdaten)?
  • Welche Daten werden erhoben?
  • Weshalb werden diese Daten erhoben (Bearbeitungszweck)?
  • Wem werden die erhobenen Daten weitergegeben?
  • In welche Staaten können die Daten weitergegeben werden (Auslandsbekanntgabe) und gestützt auf welche rechtliche Grundlage?

Eine Ausnahme der Informationspflicht besteht hingegen dort, wo die Datenbeschaffung gesetzlich vorgeschrieben ist. Gerade im Arbeitsverhältnis bestehen diverse gesetzliche Pflichten, die die Bearbeitung von Personendaten von Mitarbeitenden erfordern (zu denken ist bspw. an Meldepflichten im Zusammenhang mit Sozialversicherungen und der beruflichen Vorsorge, aber auch die Pflicht zur Ausstellung eines Arbeitszeugnisses bringt die Notwendigkeit mit sich, die Leistungen der Mitarbeitenden zu erfassen). Vor diesem Hintergrund besteht für Personendaten, die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten zwingend in einem Personaldossier geführt werden müssen, aller Voraussicht nach keine gesetzliche Informationspflicht. Da die Qualifikation als «notwendige Daten» aber unter Umständen schwierig sein kann, empfiehlt sich dennoch eine proaktive Information durch die Arbeitgeberin. Denn wird in Verletzung der Informationspflicht nicht transparent über die Datenbearbeitung informiert, kann eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeitenden oder Bewerbenden vorliegen. Die vorsätzliche Verletzung der Informationspflicht kann zudem mit Busse bis zu CHF 250’000.00 belegt werden.

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III. BEARBEITUNGSVERZEICHNIS

Für Unternehmen, die mind. 250 Mitarbeitende beschäftigen oder Daten bearbeiten, die ein hohes Risiko in sich bergen (bspw. umfassende Bearbeitung besonders schützenswerter Daten[1]/Hochrisiko-Profiling[2]), ist das Führen eines Datenbearbeitungsverzeichnisses Pflicht. Es soll der Nachvollziehbarkeit und Überprüfung sämtlicher Datenbearbeitungstätigkeiten dienen. Der Mindestinhalt wird durch Art. 12 revDSG festgelegt:

  • Identität des Verantwortlichen
  • Bearbeitungszweck
  • Kategorien von betroffenen Personen und der bearbeiteten Personendaten
  • Aufbewahrungsdauer (hierzu nachfolgend)
  • Beschreibung der Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit
  • Empfängerstaaten, falls die Personendaten ins Ausland gehen, sowie Garantien zum Datenschutzniveau der betroffenen Empfängerstaaten

Unternehmen, die weniger als 250 Beschäftigte haben und keine riskanten Datenbearbeitungen vornehmen, sind von dieser Pflicht hingegen ausgenommen.

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IV. AUFBEWAHRUNGSDAUER

Das Datenschutzgesetz sieht keine maximale Aufbewahrungsdauer vor, sondern bestimmt lediglich, dass Personendaten grundsätzlich nur so lange bearbeitet und aufbewahrt werden dürfen, als dies für den Bearbeitungszweck notwendig, gerechtfertigt und verhältnismässig ist. Anschliessend müssen die Daten entweder anonymisiert oder gelöscht werden. Eine pauschale Aussage, wonach sämtliche Personendaten erst nach einer gewissen Anzahl Jahre gelöscht werden müssten, ist folglich nicht möglich. Vielmehr bedarf es einer Einzelfallbeurteilung, wobei insbesondere gesetzliche Aufbewahrungspflichten und Verjährungsfristen berücksichtigt werden sollten. Allgemein festgehalten werden kann jedoch, dass eine Aufbewahrungsdauer von über 10 Jahren kaum zu rechtfertigen sein wird. Unterlagen von zurückgewiesenen Bewerbenden sind dahingegen unmittelbar zu retournieren oder zu löschen, sofern der Bewerber/die Bewerberin nicht explizit in eine längere Aufbewahrungsdauer eingewilligt hat (bspw. für potentielle andere in Zukunft entstehende Vakanzen).

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V. AUSKUNFTSRECHT

Während des laufenden Arbeitsverhältnisses hat jeder Mitarbeitende das Recht auf Auskunft über die eigenen Daten und insbesondere auf Einsicht in sein eigenes Personaldossier. Die Auskunft hat grundsätzlich kostenlos innert 30 Tagen zu erfolgen. Dabei zu beachten gilt, dass die Erteilung einer falschen oder unvollständigen Auskunft unter Strafandrohung steht (bei Vorsatz ebenfalls Busse bis zu CHF 250’000.00). Es sollte deshalb nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Auskunft vollständig ist, geschweige denn eine Vollständigkeitserklärung abgegeben werden.

Das Auskunftsrecht gilt hingegen nicht absolut. Sprechen überwiegende Interessen Dritter oder eigene überwiegende Interessen (insbesondere Geschäftsgeheimnisse) dagegen, kann die Auskunft verweigert werden. Gleiches gilt, wenn das Auskunftsbegehren offensichtlich unbegründet oder querulatorisch ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gesuch einen datenschutzwidrigen Zweck verfolgt.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf das Auskunftsgesuch grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberin Dritten gegenüber nur Auskünfte erteilen darf, wenn der betroffene Mitarbeitende hiermit einverstanden ist. Ansonsten ist die Arbeitgeberin nicht dazu befugt, Auskunft über das Arbeitsverhältnis zu erteilen.

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VI. BERICHTIGUNGSRECHT

Die Arbeitgeberin darf über die Mitarbeitenden nur richtige Daten bearbeiten. Stellen Mitarbeitende fest, dass über sie falsche Daten erfasst wurden, haben sie ein Recht auf Berichtigung. Keiner Korrektur zugänglich sind allerdings rein subjektive Wertungen, da diese schlichtweg nicht auf deren Richtigkeit überprüft werden können. Ist nicht klar, ob die erfassten Daten nun korrekt sind oder nicht, so ist zumindest ein entsprechender Vermerk anzubringen.

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VII. PROFILING – AUTOMATISIERTE EINZELENTSCHEIDE

Besondere Vorschriften gelten sodann, wenn gestützt auf erstellte Persönlichkeitsprofile automatisierte Einzelentscheide getroffen werden. Führt ein so getroffener Entscheid für die betroffene Person zu einer Rechtsfolge oder wird sie dadurch erheblich beeinträchtigt, muss sie vorgängig darüber informiert werden. Gleichzeitig hat die betroffene Person ein Recht auf Stellungnahme und sie kann verlangen, dass der Entscheid von einer natürlichen Person überprüft wird (sog. Widerspruchsrecht). Klassisches Beispiel hierfür ist der Einsatz von Recruiting-Software, die eine Entscheidung vollautomatisiert auf der Basis einer durch Profiling erstellten Bewertung trifft.

Die vorgenannten Voraussetzungen gelten allerdings nicht, wenn die betroffene Person vorgängig explizit eingewilligt hat oder der Entscheid im Sinne der betroffenen Person ausgefallen ist.

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VIII. KONTROLLEN UND ÜBERWACHUNGEN AM ARBEITSPLATZ

Grundsätzlich ist die systematische Überwachung von Mitarbeitenden unzulässig (Art. 26 ArGV 3), da sie einen zu starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden darstellt. Werden im Betrieb dennoch Überwachungs- und Kontrollmassnahmen eingeführt, so bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes (bspw. Sicherheitsgründe oder Leistungserfassung der Mitarbeitenden), wobei die ergriffenen Massnahmen auch in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen müssen. Die Mitarbeitenden sind vorgängig zu informieren. Werden Kontrollmassnahmen eingeführt, so sollten diese (verbunden mit der von der Arbeitgeberin erlassen Weisung) in einem Reglement festgehalten werden. Klassisches Beispiel wäre der Erlass eines IT-Reglements, welches insbesondere die Leitplanken für die Nutzung von Internet und E-Mail sowie die diesbezüglichen Kontrollrechte der Arbeitgeberin festlegt.

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IX. PUBLIKATION VON FOTOS

Sollen Fotos von Mitarbeitenden publiziert werden – sei es im Intranet oder im Internet –, so bedarf es der expliziten vorgängigen Einwilligung der betroffenen Mitarbeitenden (Recht am eigenen Bild). Dies gilt auch für Fotos, die bei Veranstaltungen wie Apéros oder Betriebsausflügen gemacht werden. Aus der entsprechenden Einwilligung sollten Art (Foto/Video/Tonaufnahmen etc.), Umfang (bspw. firmeneigene Website/Zeitschriften-Kolumne) und Zweck (bspw. zu Werbezwecken / Öffentlichkeitsarbeit) der Verwendung klar hervorgehen.

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X. BERUFSGEHEIMNIS

Abschliessend ist auf das mit der Datenschutzrevision neu einzuführende «kleine Berufsgeheimnis» hinzuweisen: Demnach müssen geheime Personendaten, die Mitarbeitende im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Rahmen ihrer Ausbildung anvertraut wurden, geheim gehalten werden (bspw. eine Kundin klärt den Coiffeur über ihre noch geheime Schwangerschaft auf, weil sie nicht jedes Haarfärbemittel verträgt). Wer vorsätzlich gegen das «kleine Berufsgeheimnis» verstösst, kann mit Busse bis zu CHF 250’000.00 bestraft werden. Es empfiehlt sich dringend, die Mitarbeitenden entsprechend für dieses Thema zu sensibilisieren.

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[1] Als besonders schützenswerte Personendaten gelten Informationen zu religiösen, weltanschaulichen, politischen, gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten, Angaben zur Ethnie, Gesundheit, Intimsphäre oder Rassenzugehörigkeit, Massnahmen der sozialen Hilfe, administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen sowie genetische und biometrische Daten.

[2] Ein hohes Risiko liegt vor, wenn die Persönlichkeit / die Grundrechte der betroffenen Person besonders gefährdet sind, indem das Profiling zu einer Verknüpfung von Daten führt, die eine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit einer Person erlaubt.

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15. August 2023 / MLaw Simone Kessler und MLaw Kim Wysshaar


KÜNDIGUNGEN ÖFFENTLICH-RECHTLICHER ANSTELLUNGSVERHÄLTNISSE IM KANTON AARGAU

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

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Arbeitnehmende öffentlich-rechtlicher Anstellungsbehörden profitieren im Gegensatz zu Arbeitnehmenden privatrechtlicher Arbeitgeber in der Regel von einem erhöhten Kündigungsschutz. Dies wird von den öffentlich-rechtlichen Anstellungsbehörden oftmals vergessen, was zu hohen Entschädigungszahlungen an die gekündigten Arbeitnehmenden führen kann. Im vorliegenden Newsletter sollen die zu berücksichtigenden Rechtsquellen sowie die allgemeinen Voraussetzungen für eine Kündigung öffentlich-rechtlicher Anstellungsverhältnisse im Kanton Aargau, deshalb kurz zusammengefasst werden.

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I. RECHTSQUELLEN ÖFFENTLICHES PERSONALRECHT IM KANTON AARGAU

Bei Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst muss für die Frage, welche Rechtsquellen auf das Anstellungsverhältnis konkret Anwendung finden, vorgängig zwischen Anstellungen beim Kanton und bei den einzelnen Gemeinden unterschieden werden. Auf Arbeitnehmende des Kantons kommt grundsätzlich das Personalgesetz des Kantons Aargau (nachfolgend «PersG») sowie die dazugehörige Personal- und Lohnverordnung zur Anwendung. Das Personalgesetz des Kantons Aargau verweist zudem in verschiedenen Belangen auf die Bestimmungen des Obligationenrechts als öffentliches Recht, welches sonst nur für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse gilt.

Die Gemeinden des Kantons Aargau können hingegen gemäss § 50 des Gesetzes über die Einwohnergemeinden (Gemeindegesetz, nachfolgend «GG») selbst ein Dienst- und Besoldungsreglement für ihr Personal erlassen und damit von den gesetzlichen Bestimmungen des Personalgesetzes / der Personal- und Lohnverordnung abweichen. Nur, wenn ein solches fehlt oder Lücken enthält, gelten sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des kantonalen Personalrechts. In der Regel wird das Gemeindepersonal – wie kantonal angestellte Arbeitnehmende – durch öffentlichen Vertrag oder Verfügung angestellt. Den Gemeinden bleibt es jedoch vorbehalten, ihr Personal auch durch privatrechtlichen Arbeitsvertrag anzustellen (§ 49 Abs. 1 GG). Diesfalls kommen auf das Anstellungsverhältnis grundsätzlich die zivilrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung.

Für Lehrer und Lehrerinnen des Kantons und der Gemeinde gelten zudem die Spezialbestimmungen im Gesetz über die Anstellung von Lehrpersonen, die Verordnung über die Anstellung und Löhne der Lehrpersonen und das Dekret über die Löhne der Lehrpersonen.

Des Weiteren kommen auf öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse allgemein die in der Bundesverfassung festgehaltenen Grundsätze staatlichen Handelns, namentlich das Verhältnismässigkeitsprinzip, das Prinzip der Rechtsgleichheit, das Willkürverbot und das Prinzip von Treu und Glauben, zur Anwendung. Je nachdem, ob eine Gemeinde oder der Kanton Anstellungsbehörde ist, sind somit unterschiedliche Rechtserlasse zu berücksichtigen. Die Rechtszersplitterung des öffentlichen Personalrechts im Kanton Aargau führt insbesondere bei Gemeindepersonal regelmässig zu Unklarheiten. Um diese in Bezug auf die anwendbaren Rechtsnormen im Vorneherein bestmöglich zu minimieren, wird den einzelnen Gemeinden empfohlen, ihre Dienst- und Besoldungsreglemente regelmässig überprüfen zu lassen.

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II. KÜNDIGUNGSVORAUSSETZUNGEN IM ÖFFENTLICHEN PERSONALRECHT

In privatrechtlichen Anstellungsverhältnissen gilt das Prinzip der Kündigungsfreiheit, d.h. eine ordentliche Kündigung kann grundlos erfolgen, solange sie nicht zur Unzeit ergeht oder missbräuchlich ist. Bei öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnissen werden für eine ordentliche Kündigung hingegen sachlich zureichende Gründe vorausgesetzt. Eine Kündigung kann somit nicht grundlos ausgesprochen werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber an die Grundsätze der Verfassung, namentlich das Verhältnismässigkeitsprinzip, gebunden sind und damit keine Kündigung aussprechen dürfen, wenn sie nicht sachlich gerechtfertigt ist – persönliche Empfindungen sind dabei nicht zu beachten. Für eine fristlose Kündigung wird hingegen sowohl im Privatrecht als auch im öffentlichen Recht ein wichtiger Grund vorausgesetzt.

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II.I SACHLICHE KÜNDIGUNGSGRÜNDE

Für Kantonsangestellte ergeben sich die sachlichen Gründe aus § 10 Abs. 1 PersG. Die Dienst- und Besoldungsreglemente der Gemeinden enthalten zudem in der Regel eine eigene Aufzählung von sachlichen Kündigungsgründen. Das Erfordernis des sachlichen Grundes ergibt sich jedoch allgemein aus der Verfassung und gilt auch, wenn dem Personalerlass nichts Konkretes dazu entnommen werden kann.

In § 10 Abs. 1 PersG werden als sachliche Kündigungsgrunde namentlich folgende genannt:

–     Aufhebung der Stelle aus organisatorischen oder wirtschaftlichen Gründen, nach Prüfung der Möglichkeit einer anderen zumutbaren Stelle (lit. a)

–     Mangelnde Eignung für die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit (lit. b)

–     Mängel in der Leistung oder im Verhalten, die sich trotz schriftlicher Mahnung während der angesetzten Bewährungszeit fortsetzen (lit. c)

–     Mangelnde Bereitschaft während oder nach der Bewährungszeit, die im Anstellungsvertrag vereinbarte Arbeit oder eine zumutbare andere Arbeit zu verrichten (lit. d)

Der häufigste Kündigungsgrund dürfte im Vorliegen von Mängeln in der Leistung oder im Verhalten liegen, wobei vor Aussprechen der Kündigung eine (am besten schriftliche) Abmahnung zu erfolgen hat. Damit soll dem Arbeitnehmenden die Möglichkeit gegeben werden, sein Verhalten oder seine Leistungen in einer gewissen Zeit zu verbessern. Wichtig ist zudem, dass in der Abmahnung die gegen den Arbeitnehmenden bestehenden Rügen konkret abgefasst werden. Ein pauschaler Hinweis, man sei mit dem Verhalten oder den Leistungen nicht zufrieden, genügt nicht.

Im Gegensatz zum Erfordernis eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung bedeutet das Erfordernis eines sachlichen Grundes aber nicht, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geradezu unzumutbar sein muss. Vielmehr genügt es, wenn die Weiterbeschäftigung dem öffentlichen Interesse an einem gut funktionierenden Betrieb wiederspricht. Dies dürfte regelmässig der Fall sein, wenn ein Vertrauensverlust besteht. Allgemein ist sodann vor dem Aussprechen einer Kündigung der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Sofern sachliche Kündigungsgründe vorliegen, ist zusätzlich zu prüfen, ob nicht mildere Massnahmen zum gleichen Ziel geführt hätten und, ob sich die Kündigung aufgrund der gesamten Umstände rechtfertigen lässt. Hierfür ist das Interesse an einem funktionierenden Betrieb gegen das Interesse des Arbeitnehmenden an einer Weiterbeschäftigung abzuwägen.

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II.II. RECHTLICHES GEHÖR

Vor Kündigung des Anstellungsverhältnisses ist der betroffene Arbeitnehmende anzuhören. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 BV und der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Einzelne Gemeinden haben den Anspruch auf rechtliches Gehör auch ausdrücklich in ihren Dienst- und Besoldungsreglementen festgehalten.

Die Gewährung des rechtlichen Gehörs dient einerseits der Sachaufklärung und stellt andererseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Wesentlicher Teilgehalt des rechtlichen Gehörs ist das Recht auf vorgängige Anhörung, welches auch in § 21 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Aargau (nachfolgend «VRPG») ausdrücklich festgehalten wird. Dabei muss die Anstellungsbehörde die Äusserungen des betroffenen Arbeitnehmenden auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen und sich in der Entscheidfindung sowie –begründung sachgerecht mit den Vorbringen des Arbeitnehmenden auseinandersetzen. Auf eine vorgängige Anhörung kann nur in einzelnen Ausnahmefällen verzichtet werden (vgl. § 21 Abs. 1 VRPG).

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III. ENTSCHÄDIGUNG BEI FEHLEN EINES SACHLICHEN KÜNDIGUNGSGRUNDES ODER VERLETZUNG DES RECHTLICHEN GEHÖRS

Fehlt ein sachlicher Kündigungsgrund oder wird der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, führt dies in der Regel zur Widerrechtlichkeit der Kündigung und damit zu deren Anfechtbarkeit. Nichtig und damit ungültig ist eine Kündigung ohne sachlichen Grund oder in Verletzung des rechtlichen Gehörs nur ausnahmsweise, nämlich wenn der Mangel besonders schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar gewesen ist. Zudem darf die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet werden. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen deshalb nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit einer Kündigung. Eine Gehörsverletzung oder eine Kündigung ohne sachlichen Grund führt somit in der Regel zu einem Entschädigungsanspruch des betroffenen Arbeitnehmenden gegen die Anstellungsbehörde. Ein Recht auf Weiterbeschäftigung besteht nur, wenn dies im Dienst- und Besoldungsreglement ausdrücklich vorgesehen wird (im PersG ist dies nicht vorgesehen). Das PersG verweist in Bezug auf die Entschädigung bei rechtswidriger Kündigung auf die Bestimmung des Obligationenrechts in Art. 336a Abs. 2 OR (Sanktion bei missbräuchlicher Kündigung), welche bei Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen vorsieht. Die Höhe der Entschädigung wird vom Gericht nach pflichtgemässem Ermessen aufgrund der Umstände des Einzelfalls festgelegt. Massgebend für die Höhe der Entschädigung sind insbesondere die Dauer der Anstellung, das Alter des Arbeitnehmenden, die Auswirkungen der Kündigung, das Mass der Widerrechtlichkeit (beispielweise Erhöhung der Entschädigung, weil auch der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde), die finanzielle Situation der Parteien sowie ein allfälliges Mitverschulden des Arbeitnehmenden. Die maximal vorgesehene Entschädigung von sechs Monatslöhnen wird betroffenen Arbeitnehmenden in der Praxis jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen zugesprochen. In der Regel beläuft sich die Entschädigung wegen einer widerrechtlichen Kündigung auf zwei bis vier Monatslöhne.

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IV. FAZIT

Jede ordentliche Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses setzt im Gegensatz zu Kündigungen privatrechtlicher Anstellungsverhältnisse das Vorliegen eines sachlichen Grundes voraus. Zudem ist den betroffenen Arbeitnehmenden vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren. Liegt kein sachlicher Grund vor oder wird das rechtliche Gehör verletzt, besteht für die Anstellungsbehörde das Risiko von nicht unerheblichen Entschädigungsforderungen der betroffenen Arbeitnehmenden wegen widerrechtlicher Kündigung. Um dieses Risiko im Einzelfall auszuschliessen, empfiehlt sich eine rechtliche Beratung vor Auflösung eines Anstellungsverhältnisses.


17. März 2023 / MLaw Kim Wysshaar


GÜLTIGKEIT VON RÜCKZAHLUNGSVEREINBARUNGEN BEI AUS- UND WEITERBILDUNGEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

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Regelmässige Aus- und Weiterbildungen liegen nicht nur im Interesse der Arbeitnehmenden, sondern auch im Interesse der Arbeitgeberin. Durch regelmässige Aus- und Weiterbildungen werden die jeweiligen Arbeitnehmenden auf den aktuellsten Wissensstand gebracht, was sich regelmässig auch positiv auf das Unternehmen auswirkt. Heutzutage werden die Kosten für Aus- und Weiterbildungen deshalb oft von der Arbeitgeberin übernommen. Im Gegenzug hierfür verpflichten sich die Arbeitnehmenden für eine bestimmte Dauer bei der Arbeitgeberin zu verbleiben. Scheiden sie vor Ablauf der vereinbarten Dauer aus dem Unternehmen aus, sind die von der Arbeitgeberin übernommenen Kosten dann in der Regel zurückzubezahlen. Solche Vereinbarungen sind in der Praxis zwar weit verbreitet, aber nicht immer gesetzeskonform. Der vorliegende Newsletter soll aufzeigen, für welche Aus- und Weiterbildungen eine Rückzahlungspflicht vereinbart werden kann und wie die Rückzahlungsmodalitäten ausgestaltet sein müssen, damit diese gerichtlich durchsetzbar sind.

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I. AUS- UND WEITERBILDUNGSKOSTEN ALS NOTWENDIGE AUSLAGEN IM SINNE VON ART. 327a OR?

Je nach Aus- oder Weiterbildung ist die Arbeitgeberin verpflichtet, die Kosten dafür vorbehaltlos zu übernehmen. Hierfür wir in einem ersten Schritt zwischen Ausbildungen, die der Einarbeitung und solchen, die der Weiterbildung dienen, unterschieden. Im Gegensatz zur Einarbeitungsausbildung, welche sich auf eine bestimmte Arbeitgeberin oder auf ein bestimmtes Produkt beschränkt, verschafft eine generelle Weiterbildung in der Regel auch Vorteile bei anderen Arbeitgeberinnen. Kosten, die für Ausbildungen im Rahmen einer normalen Einarbeitung anfallen, sind als notwendige Auslagen im Sinne von Art. 327a OR zu qualifizieren und die Arbeitgeberin ist verpflichtet, diese vollständig zu übernehmen. Für eine Ausbildung im Sinne einer Einarbeitung sprechen beispielsweise das Fehlen eines bestimmten (auch ausserhalb des Betriebs der Arbeitgeberin anerkannten) Diploms bei Abschluss der Ausbildung, eine kurze Ausbildungsdauer und eine geringe Verwertbarkeit des Erlernten auf dem Arbeitsmarkt.

Die von der Arbeitgeberin übernommenen Kosten für notwendige Aus- und Weiterbildungen können aufgrund von Art. 327a OR von den Arbeitnehmenden in keinem Fall zurückverlangt werden und entsprechende Vereinbarungen sind nicht durchsetzbar. Dabei gilt allgemein, dass Aus- und Weiterbildungen nur als notwendig im Sinne von Art. 327a OR zu qualifizieren sind, wenn sie von der Arbeitgeberin angeordnet wurden. Aus- und Weiterbildungen, welche lediglich als wünschenswert angesehen werden oder deren Besuch während der Arbeitszeit erlaubt wird, gelten nicht als notwendig.

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II. GÜLTIGKEIT VON RÜCKZAHLUNGSVERPFLICHTUNGEN

Die Kosten für Aus- und Weiterbildungen, welche nicht der Einarbeitung von Arbeitnehmenden dienen und von der Arbeitgeberin auch nicht angeordnet wurden, sind somit grundsätzlich von den Arbeitnehmenden zu tragen. Erklärt sich die Arbeitgeberin bereit, die Aus- und Weiterbildungskosten dennoch zu übernehmen, können diese unter bestimmten Voraussetzungen von den Arbeitnehmenden zurückverlangt werden.

Als zulässige Bedingungen, welche die Rückzahlung auslösen, wurden beispielsweise der Ausbildungsabbruch oder das Nichtbestehen einer Prüfung angesehen. In der Praxis wird die Rückzahlungspflicht sodann häufig durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während eines bestimmten Zeitraums nach Abschluss der Aus- / Weiterbildung vereinbart. Die Pflicht zur Rückzahlung der übernommenen Kosten darf aber insbesondere die persönliche Freiheit der Arbeitnehmenden nicht übermässig einschränken. Entsprechend ist die Rückzahlungspflicht zeitlich zu befristen. Als zulässig erachtet wurde dabei eine Rückzahlungspflicht während dreier Jahre pro rata temporis nach Ausbildungsende. Zudem muss die Rückzahlungspflicht degressiv ausgestaltet sein, d.h. gegen Ende der Verpflichtungszeit muss sich der zurückzuzahlende Betrag verringern. Begründet wird dies auch damit, dass die Arbeitgeberin nach Abschluss der Aus- bzw. Weiterbildung bereits für einen gewissen Zeitraum von dieser profitieren konnte.

Bei Kündigungen durch die Arbeitgeberin fällt eine Rückzahlungspflicht Aufgrund der Kündigungsfreiheit sodann in der Regel dahin. Geben die Arbeitnehmenden zur Kündigung jedoch einen begründeten Anlass, z.B. bei schweren Verstössen gegen die allgemeine Treuepflicht, sind die Kosten dennoch zurückzuzahlen. Ebenfalls zur Rückzahlung verpflichtet werden, können Arbeitnehmende, die das Arbeitsverhältnis von sich aus kündigen, ohne dass die Arbeitgeberin dazu einen begründeten Anlass gegeben hat. Die Rechtsprechung stellt hierzu auf die Regelung zum Dahinfallen eines Konkurrenzverbotes nach Art. 340c Abs. 2 OR und die dazugehörige Rechtsprechung ab (vgl. hierzu auch den Newsletter von Dr. Stephan Fröhlich zum Konkurrenzverbot vom 22.04.2015, Ziff. II. 5).

Will die Arbeitgeberin die übernommenen Kosten zurückverlangen, empfiehlt es sich, mit den Arbeitnehmenden eine schriftliche Rückzahlungsvereinbarung bzw. Aus- und Weiterbildungsvereinbarung zu treffen. Die Schriftlichkeit bildet zwar keine Gültigkeitsvoraussetzung, dient aber der besseren Beweisbarkeit. Nach herrschender Lehre ist eine allfällige Aus- und Weiterbildungsvereinbarung zudem vor Abschluss der Aus- bzw. Weiterbildung zu treffen.

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III. AUS- UND WEITERBILDUNGSZEIT ALS ARBEITSZEIT

Nach Art. 13 der Verordnung Nr. 1 zum Arbeitsgesetz gilt Aus- und Weiterbildungszeit dann als Arbeitszeit, wenn sie vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet wurde oder, weil der Arbeitnehmende sich von Gesetzes wegen weiter- oder fortbilden muss. In allen übrigen Fällen, d.h. wenn die Ausbildung für die Arbeitgeberin lediglich wünschenswert ist, gilt die dafür aufgewendete Zeit nicht als Arbeitszeit. Demzufolge ist es ratsam, nicht nur die Modalitäten zur Rückerstattungspflicht der effektiven Aus- und Weiterbildungskosten schriftlich festzuhalten, sondern sich vorab auch über die für die Aus- und Weiterbildung erforderliche Arbeitszeit zu einigen.

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IV. FAZIT

Die Bezahlung von Aus- und Weiterbildungen durch die Arbeitgeberin hat sowohl für die Arbeitnehmenden als auch für die Arbeitgeberin Vorteile. So können Arbeitgeberinnen mittels Weiterbildungsvereinbarungen ihre Arbeitnehmenden langfristig binden und entsprechend von ihrem erlernten Wissen profitieren. Vor Übernahme der Kosten einer entsprechenden Aus- und Weiterbildung empfiehlt es sich, eine schriftliche Aus- und Weiterbildungsvereinbarung zur Regelung der allfälligen Rückzahlung zu treffen. Zu berücksichtigten ist hierbei, dass die Kündigungsfreiheit der Arbeitnehmenden durch die vereinbarte Rückzahlungspflicht nicht übermässig eingeschränkt wird, ansonsten die Rückzahlungspflicht dahinfällt bzw. nicht durchsetzbar ist.  


25. Januar 2023 / MLaw Kim Wysshaar


REVISION DES ERBRECHTS – MÖGLICHKEITEN ZUR ENTZIEHUNG DES PFLICHTTEILS DER/S NOCH EHEGATTIN/ EHEGATTEN WÄHREND EINES LAUFENDEN SCHEIDUNGSVERFAHRENS

Lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Neben den Neuerungen betreffend den Pflichtteilsschutz gesetzlicher Erben wurden auch neue Bestimmungen zur Regelung des Erbanspruchs der/s überlebenden Ehegattin/en im Falle eines laufenden Scheidungsverfahrens eingeführt (vgl. für weitere Informationen auch den Newsletter von Rechtsanwalt lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht, vom 28.04.2021 betreffend die Revision des Erbrechts: Neue Freiheiten für Erblasser)

Mit der Einführung des neuen Erbrechts wird der Erblasserin/dem Erblasser ab 01.01.2023 unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, bereits während eines rechtshängigen Scheidungsverfahrens seinem/r noch Ehegatten/Ehegattin den Pflichtteil von ½ des gesetzlichen Erbanteils bzw. – im Endeffekt – den Erbanspruch vollständig zu entziehen. Ohne entsprechendes Handeln bleibt der Ehegatte trotz laufendem Scheidungsverfahren bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils erbberechtigt. Der Entzug des Pflichtteils kann grundsätzlich in der Form eines normalen Testaments verfügt werden. Sofern Ehegatten einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen haben, muss jedoch zunächst geprüft werden, ob der Entzug des Pflichtteils mit den vertraglichen Regelungen vereinbar ist. In einer solchen Situation ist fachmännische Beratung angezeigt.

Wir unterstützen Sie gerne beim Verfassen eines entsprechenden Testaments oder der Prüfung eines allfällig bestehenden Erb- und Ehevertrages, sollten Sie eine vorzeitige Beendigung der erbrechtlichen Ansprüche des Ehegattens bzw. den Entzug des Pflichtteils in Erwägung ziehen.

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12. Dezember 2022  / lic. iur. Martin Kuhn und MLaw Kim Wysshaar


ABGRENZUNG ZWISCHEN ARBEITSVERTRAG UND AUFTRAG

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Das Bundesgericht bestätigte kürzlich den Entscheid des Kantonsgerichts Genf, wonach Uber Fahrer und Fahrerinnen als Angestellte und nicht selbständig Erwerbende gelten würden (BGer 2C_34/2021 vom 30.05.2022). Der Entscheid des Bundesgerichts ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, welcher aufzeigt, dass flexible Arbeitsmodelle in rechtlicher Hinsicht nicht immer leicht zu qualifizieren sind. In der Praxis ist insbesondere die Abgrenzung zwischen Arbeitsvertrag und Auftrag im Einzelfall schwierig und oftmals Thema gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die wesentlichen Merkmale der beiden Vertragstypen sowie deren Unterschiede werden in vorliegendem Newsletter deshalb kurz zusammengefasst.

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I. WESENSMERKMALE DES ARBEITVSERTRAGES

Nach Art. 319 Abs. 1 OR verpflichtet sich der Arbeitnehmer durch einen Einzelarbeitsarbeitsvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Leistung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers und dieser zur Entrichtung eines Lohnes. Nach der gesetzlichen Definition weist der Arbeitsvertrag somit folgende Hauptmerkmale auf:

  • Erbringen einer Arbeitsleistung
  • Entgeltlichkeit
  • Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation (sog. Subordinationsverhältnis)
  • Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses

Der Arbeitsvertrag stellt ein Dauerschuldverhältnis dar, welches sich nicht in einem einmaligen Austausch von Vertragsleistungen erschöpft. Ebenfalls als Einzelarbeitsvertrag gilt auch ein Vertrag, durch welchen sich ein Arbeitnehmer zur regelmässigen Leistung von stunden-, halbtage- oder tageweiser Arbeit (Teilzeitarbeit) im Dienst des Arbeitgebers verpflichtet. Für die entsprechenden Arbeitsleistungen ist dem Arbeitnehmer zwingend ein Entgelt im Sinne eines Zeit- oder Akkordlohnes zu bezahlen. Bei einer unentgeltlichen Tätigkeit liegt kein Arbeitsvertrag vor.

Das wohl bedeutendste Kriterium für das Vorliegen eines Arbeitsvertrages, welchen den Arbeitsvertrag auch von anderen Vertragstypen abgrenzt, ist jedoch die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Durch die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation entsteht das für das Arbeitsverhältnis typische Abhängigkeitsverhältnis, das den Arbeitnehmer im Arbeitsvollzug persönlich, organisatorisch, zeitlich und wirtschaftlich der Weisungsgewalt des Arbeitgebers unterstellt.

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II. WESENSMERKMALE DES AUFTRAGES

Der Beauftragte verpflichtet sich durch die Annahme eines Auftrages gemäss Art. 394 Abs. 1 OR, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen. Beim Auftrag handelt es sich somit wie beim Arbeitsvertrag um einen Arbeitsleistungsvertrag. Der Beauftragte hat gewisse Dienstleistungen im Hinblick auf ein bestimmtes Resultat zu erbringen, ohne dabei einen Erfolg zu schulden. Er führt fremde Geschäfte und wahrt damit fremde Interessen. Die entsprechende Treueverpflichtung ist für den Auftrag typisch. Geschäftsherr bleibt der Auftraggeber, weshalb dessen Weisungen vom Beauftragten zu befolgen sind. Zudem besteht zwischen dem Auftraggeber und Beauftragten grundsätzlich ein besonderes Vertrauensverhältnis.

Die entscheidenden Wesensmerkmale des Auftrages sind somit die Folgenden:

  • Treueverpflichtung
  • besonderes Vertrauensverhältnis und Persönlichkeitsbezug
  • oft vorhandene inhaltliche Unbestimmtheit
  • die selbständige Beauftragtenstellung (der Beauftragte handelt auf fremde Rechnung und fremde Gefahr)

Der Auftrag stellt einen zweiseitigen Schuldvertrag dar, welcher entgeltlich oder unentgeltlich ausgestaltet sein kann. Er ist ebenfalls oft als Dauerschuldverhältnis ausgestaltet, wobei das Auftragsverhältnis jederzeit widerrufen werden kann. Der Inhalt vieler Aufträge lässt sich zum Voraus nicht genau bestimmen, da die vom Beauftragten zu besorgenden Angelegenheiten in der Regel ständigen Veränderungen ausgesetzt sind. 

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III. ABGRENZUNG ZWISCHEN ARBEITSVERTRAG UND AUFTRAG

Vergleicht man die Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages mit denjenigen des Auftrages zeigt sich, dass die Abgrenzung zwischen den beiden Vertragstypen in der Praxis äusserst schwierig sein kann. Beide Vertragstypen beinhalten insbesondere eine gewisse Weisungsgewalt des Arbeitgebers bzw. Auftraggebers. 

Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses und gegen das Vorliegen eines Auftrages sprechen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere folgende Merkmale:

  • Einbindung des Arbeitnehmers in die Hierarchie des Arbeitgebers bzw. Einbettung in fremde Arbeitsorganisation. Der Auftragnehmer ist demgegenüber nicht in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden.
  • Klare Instruktion in Bezug auf Zeitpunkt, Ort und Art und Weise, wie die Arbeitsleistungen zu erbringen sind. Je freier der Arbeitnehmer in Bestimmung seiner Arbeitszeit, seines Arbeitsortes und Art, wie er die Arbeitsleistungen erbringen will, ist, desto weniger wird ein Subordinationsverhältnis und damit ein Arbeitsverhältnis angenommen. Der Auftragnehmer verfügt über weitgehende Freiheit bei der Bestimmung wann, wo und wie die Dienstleistungen ausgeführt werden.
  • Die Arbeitsleistungen erfolgen mit einer gewissen Regelmässigkeit und für eine bestimmte Dauer.
  • Vereinbarung von typisch arbeitsvertraglichen Rechten und Pflichten, wie Lohnfortzahlung bei Krankheit, nachvertragliches Konkurrenzverbot, Ferien etc.
  • Arbeit mit Arbeitsgeräten und Materialien des Arbeitgebers, Büro am Sitz des Arbeitgebers, Visitenkarten mit dem Namen und Logo des Arbeitgebers, E-Mail-Adresse des Arbeitgebers etc.

Obwohl die obgenannten Merkmale den Parteien als Hilfestellung bei der Abgrenzung zwischen Arbeitsvertrag und Auftrag dienen können, muss stets sorgfältig geprüft werden, welches Vertragsverhältnis nun konkret vorliegt. Es kann dabei insbesondere nicht ohne Weiteres auf die Bezeichnung des jeweiligen Vertrages abgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr die gelebte Realität der Vertragsparteien. Je nachdem, ob ein Auftrag oder ein Arbeitsvertrag vorliegt, sind zudem unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen zu beachten. Bei Vorliegen eines Arbeitsvertrages gilt es insbesondere die sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben sowie die Bestimmungen betreffend Arbeitnehmerschutz einzuhalten.  

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IV. FAZIT

Flexible Arbeitsmodelle können für die beteiligten Parteien gleichermassen attraktiv sein. Je nachdem, ob das konkrete Beschäftigungsmodell jedoch als Auftrag oder Arbeitsvertrag qualifiziert wird, gilt es unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen zu beachten. Es empfiehlt sich daher, bereits vor Abschluss eines nicht konkret definierten Beschäftigungsmodells zu prüfen, ob die Wesensmerkmale eines Arbeitsvertrages oder Auftrages erfüllt sind. Wird ein Vertragsverhältnis nachträglich als Arbeitsvertrag qualifiziert, kann dies insbesondere für den Arbeitgeber einschneidende Konsequenzen (u.a. in Bezug auf Sozialversicherungsbeiträge und Steuern) haben. 


10. Oktober 2022 / MLaw Kim Wysshaar


RECHTLICHE BESONDERHEITEN BEI TEILZEITARBEIT – WORAUF ARBEITGEBER ACHTEN SOLLTEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Daniela Bächli

Teilzeitarbeit hat in der Schweiz stark an Bedeutung und Beliebtheit gewonnen. Grundsätzlich gelten für Teilzeitangestellte die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für Vollzeitmitarbeitende. Diese Bestimmungen sind allerdings auf die Vollzeitarbeit zugeschnitten, sodass sich bei deren Anwendung auf Teilzeitarbeitsverhältnisse gewisse Besonderheiten ergeben können. Dieser Newsletter zeigt auf, welche Besonderheiten Arbeitgeber bei Teilzeitmitarbeitenden zu beachten haben.

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I. BEGRIFF DER TEILZEITARBEIT UND DEREN FORMEN

Teilzeitarbeit liegt vor, wenn die vertragliche, auf eine Arbeitswoche bezogene, Arbeitszeit unter der branchenüblichen Arbeitszeit liegt. Sog. «eigentliche Teilzeitarbeit» liegt vor, wenn die Teilzeitarbeit regelmässig, z.B. nach einem bestimmten Arbeitseinsatzplan, geleistet wird. Ist der konkrete Einsatz nicht im Voraus bestimmt, handelt es sich um «uneigentliche Teilzeitarbeit» (auch als Arbeit auf Abruf bezeichnet). Diese wird wiederum unterteilt in sog. «echte Arbeit auf Abruf», bei der den Arbeitnehmer eine Einsatzpflicht trifft, und in sog. «unechte Arbeit auf Abruf», bei welcher der angefragte Arbeitnehmer das Recht hat, den Einsatz abzulehnen oder generell seine Arbeitseinsätze selber nach seinen Bedürfnissen zu bestimmen.

Eine weitere Form der Teilzeitarbeit stellt das Jobsharing dar. Dabei verzichtet der Arbeitgeber darauf, sein Weisungsrecht bezüglich der Arbeitszeitregelung von zwei oder mehreren Arbeitnehmern auszuüben. Stattdessen überlässt er den Arbeitnehmern die Entscheidung, wie sie die Arbeitsstelle unter sich aufteilen wollen (= Zeitsouveränität). Die Teilzeitarbeit tritt somit in verschiedenen (Misch-)Formen auf. Je nach Form des konkreten Teilzeitarbeitsmodells sind unterschiedliche rechtliche Konsequenzen zu berücksichtigen. 

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II. LOHNFORTZAHLUNG BEI UNFALL UND KRANKHEIT

Der Arbeitsvertrag als schuldrechtlicher Austauschvertrag kennt den Grundsatz: «Ohne Arbeit kein Lohn» (Art. 82 und Art. 119 Abs. 2 OR). Eine wichtige Ausnahme davon ist die Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers infolge Krankheit oder Unfall. Diesfalls ist weiterhin Lohn geschuldet, wenn das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen worden ist.

Teilzeitarbeitsverhältnisse mit im Voraus festgelegten fixen Arbeitszeiten bieten bei Krankheit oder Unfall kaum Probleme. In diesen Fällen erhält der Arbeitnehmer für eine beschränkte Zeit den Lohn, den er erhalten hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. Anders verhält es sich, wenn nicht klar bestimmt werden kann, wie viel Lohn der Arbeitnehmer bei Arbeitsfähigkeit erhalten hätte, z.B. bei unregelmässigen Arbeitseinsätzen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber den bei Arbeitsfähigkeit wahrscheinlich erzielten Lohn ermitteln. Je nach Teilzeitmodell kann sich die Ermittlung des wahrscheinlichen Lohnes schwierig gestalten.

Nicht nur die Höhe des Lohnes während einer Abwesenheit, sondern auch die Zeiterfassung kann bei Teilzeitmodellen zu Unklarheiten führen. Die Zeiterfassung kann generell auf unterschiedliche Arten erfolgen. Jedoch birgt insbesondere die lineare Zeiterfassung – welche vorsieht, dass die Zeitgutschrift nicht nach der geleisteten Arbeitsdauer an den vereinbarten Arbeitstagen erfolgt, sondern nach dem auf eine 5-Tagewoche entfallenden täglichen arbeitsvertraglichen Pensum – für Teilzeitarbeitsverhältnisse Tücken. Arbeitet beispielsweise ein Arbeitnehmer mit einem 20% Pensum jeweils nur an einem fixen Tag in der Woche und wird er an diesem Tag krank, werden ihm bei der linearen Zeiterfassung nur 1.68 Std. angerechnet, obwohl er normalerweise 8.4 Std. gearbeitet hätte. Der Arbeitnehmer generiert somit wegen seiner Krankheit Minusstunden (vgl. hierzu auch: www.geissmannlegal.ch/publikationen/das-versagen-der-linearen-arbeitszeiterfassung-in-eigentlichen-teilzeitarbeitsverhaeltnissen-der-krankheitsfall/)

Ist ein Arbeitnehmer infolge Krankheit oder Unfall an der Arbeit verhindert, obliegt ihm die Beweispflicht für seine Arbeitsverhinderung. Meistens wird dieser Beweis durch ein Arztzeugnis erbracht. In der Praxis führen Arztzeugnisse, insbesondere bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmenden mit reduziertem Beschäftigungsgrad, jedoch häufig zu Unklarheiten.

Beispiel: Eine Arbeitnehmerin hat ein 70% Pensum. Nun wird ihr eine nicht näher umschriebene Arbeitsunfähigkeit von 50% attestiert. Dies kann auf verschiedene Arten verstanden werden:

  • zu 50% krank und zu 20% arbeitsfähig oder
  • zu 50% arbeitsfähig und zu 20% krank sein oder
  • zu 35% krank und zu 35% arbeitsfähig.

Grundsätzlich beziehen sich Arztzeugnisse auf das konkrete Anstellungspensum. Einem zu 50% arbeitsunfähig geschriebenen Arbeitnehmer mit einem Pensum von 70% stehen somit noch 35% seiner Arbeitskraft zur Verfügung und er hat die Pflicht, diese Arbeit anzubieten (Variante 3 im Beispiel). Bei Unklarheiten empfiehlt es sich, bei dem attestierenden Arzt nachzufragen resp. den Arbeitnehmer zu verpflichten, beim Arzt eine Klärung einzuholen.

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III. FERIEN

Ferien dienen der Förderung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude, kurz gesagt, dem Erholungszweck. Den Arbeitgeber trifft eine Pflicht zur Feriengewährung und zur Lohnfortzahlung. Voll- und Teilzeitmitarbeitende haben den gleichen Anspruch auf Ferientage. Art. 329a OR hält fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer jedes Dienstjahr wenigstens vier Wochen, dem Arbeitnehmer bis zum vollendeten 20. Altersjahr wenigstens fünf Wochen zu gewähren hat. Bei Teilzeitarbeitnehmern ist der Anspruch entsprechend dem Teilzeitgrad zu berechnen.

In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob bei Teilzeitangestellten im Stundenlohn die Ferien durch eine Lohnpauschale oder einen Lohnzuschlag abgegolten werden können. Grundsätzlich ist der Ferienlohn während der Ferien geschuldet, d.h. der Lohn läuft während dem Ferienbezug ordentlich weiter. Deshalb ist es meist nicht statthaft, den Ferienlohn in den regulären Lohn einzurechnen oder diesen hinzuzuschlagen. Der Arbeitgeber riskiert in diesem Fall eine Doppelzahlung. Bei sehr unregelmässiger Arbeitsleistung oder bei sehr kurzem Arbeitseinsatz kann ein in der Lohnzahlung inbegriffener Ferienlohn jedoch zulässig sein, sofern der auf die Ferien entfallende Lohnanteil sowohl im Vertrag als auch in der Lohnabrechnung separat ausgewiesen wird. Hervorzuheben gilt, dass bei einer zulässigen Ferienabgeltung der Ferienlohn als einziger Unterschied laufend mit der Lohnzahlung vergütet wird. Der Arbeitnehmer hat davon unbeachtet Anspruch auf tatsächlichen Bezug der Ferien.

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IV. FAZIT

Teilzeitmodelle tragen dem aktuellen Zeitgeist Rechnung und erlauben es Arbeitgebern, die Bedürfnisse ihrer Arbeitnehmer einzugehen, was deren Motivation erhöhen kann. Wie aufgezeigt, können sich für den Arbeitgeber aber gewisse rechtliche Stolpersteine ergeben. Um im Einzelfall Streitigkeiten zu vermeiden, kann es deshalb lohnenswert sein, in die Ausgestaltung eines unmissverständlichen und transparenten Arbeitsvertrages für Teilzeitarbeitnehmer zu investieren.


10. Oktober 2022 / MLaw Kim Wysshaar unter Mithilfe von MLaw Daniela Bächli


BONUS ODER GRATIFIKATION – WIE SICH ARBEITGEBER VOR BONUSFORDERUNGEN SCHÜTZEN KÖNNEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Das Bundesgericht musste sich kürzlich erneut mit der Frage befassen, ob eine konkrete Bonusvereinbarung Lohnbestandteil oder eine freiwillige Gratifikation darstellt (Urteil des BGer 4A_169/2021 vom 18. Januar 2022). Bonusvereinbarungen bilden immer wieder Thema gerichtlicher Prozesse, da die einzelnen Vertragsbestimmungen oft unklar formuliert sind und Arbeitgeber sich trotz Intention einer freiwilligen Sondervergütung dazu verpflichten, einen Bonus als Lohnbestandteil auszubezahlen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Abgrenzung zwischen Bonus als variabler Lohnbestandteil und freiwilliger Sondervergütung für den Arbeitgeber oft schwierig und die Rechtsprechung hierzu zahlreich ist. Nachfolgend soll deshalb kurz zusammengefasst aufgezeigt werden, wie zwischen Bonus als Lohnbestandteil und freiwilliger Gratifikation unterschieden wird, welche Konsequenzen sich je nach Qualifikation der vereinbarten Bonusklausel für den Arbeitgeber ergeben können und worauf Arbeitgeber bei der vertraglichen Formulierung achten sollten. 

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I. VARIABLER LOHNBESTANDTEIL ODER GRATIFIKATION?

Das Bundesgericht hatte sich in seinem Urteil 4A_169/2021 vom 18. Januar 2022 mit der Frage zu befassen, ob es sich beim vereinbarten Bonus gestützt auf die Vertragsklausel «Variable Pay: 20% of annual base salary, pro rata temporis (Payment in March of the following year, based on achievement of the agreed business and individual objectives)” um einen Lohnbestandteil oder um eine freiwillige Sondervergütung im Sinne einer Gratifikation handelt.

Ein Bonus im Sinne einer Gratifikation bzw. einer freiwilligen Sondervergütung liegt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung vor, wenn der Bonus an sich bzw. dessen Höhe mindestens in einem gewissen Mass vom Ermessen des Arbeitgebers abhängt. Zudem darf dem Bonus im Verhältnis zum Lohn nur eine zweitrangige Bedeutung zukommen und nicht das eigentliche Entgelt für die Arbeitsleitung darstellen. Ob ein Bonus vom Ermessen des Arbeitgebers abhängt, ist sodann durch Auslegung der konkreten Vertragsklausel zu bestimmen. Wird beispielsweise vertraglich festgehalten, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf einen jährlichen Bonus von CHF 20’000.00 hat, stellt dieser Betrag einen fixen Lohnbestandteil dar. Denn die Höhe des Bonus liegt nicht mehr im Ermessen des Arbeitgebers. Das Gleiche gilt, wenn der Bonus zwar zahlenmässig nicht fest vereinbart wurde, aber objektiv bestimmbar ist. Auch in diesem Fall, ist die Höhe des Bonus nicht mehr vom Ermessen des Arbeitgebers abhängig. Wird die Auszahlung eines Bonus vertraglich beispielsweise vom Erreichen eines bestimmten Umsatzes oder Gewinns oder von persönlichen Zielen, die objektiv messbar sind, abhängig gemacht, ist die Höhe des Bonus objektiv bestimmbar und der vereinbarte Bonus stellt einen Lohnbestandteil dar.  Entsprechend kam das Bundesgericht in seinem Urteil 4A_169/2021 vom 18. Januar 2022 zum Schluss, dass der vertraglich mit obgenannter Klausel vereinbarte Bonus Lohnbestandteil darstelle. Dies mit der Begründung, dass dem Arbeitgeber bei der Kalkulation des konkreten Bonus zwar ein Ermessen zustand, dies jedoch zu wenig ausgeprägt sei, um von einer freiwilligen Gratifikation auszugehen. Ein Ermessen des Arbeitgebers wird nach ständiger Rechtsprechung somit nur bejaht, wenn die Ausrichtung des Bonus von einer subjektiven Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber abhängig gemacht wird und diese subjektive Einschätzung allfällig zusätzliche objektive Kriterien, wie das Erreichen eines bestimmten Umsatzes, überwiegt.

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II. UNTERSCHIEDLICHE RECHTSFOLGEN

Aus der Unterscheidung zwischen Bonus als Lohnbestandteil und Bonus als Gratifikation ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen. Da ein Bonus, welcher als Lohn qualifiziert wird, unbedingt geschuldet ist, ist dieser auch auszurichten, wenn sich der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ausrichtung in einem gekündigten Verhältnis befindet. Scheidet der Arbeitnehmer vor Ablauf einer Bonusperiode aus dem Unternehmen aus, hat er dennoch Anspruch auf einen Anteil (pro rata) am vertraglich vereinbarten Bonus. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist von seiner Arbeitsleistung freistellt, oder wenn der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen, wie Krankheit, an der Arbeitsleistung verhindert ist und der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist.

Wird ein vertraglich festgelegter Bonus hingegen als Gratifikation qualifiziert, hat der Arbeitnehmer lediglich Anspruch auf Ausrichtung des Bonus, wenn dies verabredet wurde (Art. 322d Abs. 2 OR). Hierfür ist eine über-einstimmende Willenserklärung der Parteien erforderlich, welche sich üblicherweise aus Vertrag ergibt, jedoch auch stillschweigend erfolgen kann. Das Bundesgericht geht von einem stillschweigenden Anspruch auf Auszahlung einer Gratifikation aus, wenn diese während mindestens dreier Jahre ununterbrochen und vorbehaltlos ausbezahlt wurde. Will der Arbeitgeber verhindern, dass der Arbeitnehmer einen stillschweigenden Anspruch auf Ausrichtung eines Bonus erwirkt, muss er den Arbeitnehmer jeweils explizit darauf hinweisen, dass die Ausrichtung freiwillig erfolgt. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt könnte selbstverständlich bereits im Arbeitsvertrag oder in einem Personalreglement festgehalten werden. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung scheint ein allgemeiner Freiwilligkeitsvorbehalt – zumindest im jetzigen Zeitpunkt – aber nicht zu genügen. Es empfiehlt sich daher, den Vorbehalt bei jeder konkreten Ausrichtung von Boni wiederholt anzubringen, um einem stillschweigenden Anspruch auf Ausrichtung einer Gratifikation zu verhindern.

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III. FAZIT

Gerichtliche Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Boni sind meist auf unklare Vertragsklauseln zurückzuführen, aus welchen nicht klar hervorgeht, ob ein Lohnbestandteil oder eine freiwillige Gratifikation vereinbart werden wollte. Selbst wenn jedoch eine freiwillige Gratifikation vereinbart wurde, können Arbeitgeber aufgrund jahrelanger und vorbehaltloser Ausrichtung einer solchen verpflichtet werden, dem Arbeitnehmer einen Bonus zu bezahlen. Arbeitgebern, welche ihren Arbeitnehmenden bei guten Leistungen und guten Geschäftsergebnissen einen Bonus ausrichten möchten, hierzu aber nicht verpflichtet werden wollen, ist deshalb folgendes zu empfehlen:

-Die Vertragsklausel betreffend Bonus muss klar und verständlich formuliert werden. Es muss daraus eindeutig ersichtlich sein, dass es sich bei der Auszahlung von Boni um freiwillige Sondervergütungen handelt, auf welche der Arbeitnehmer keinen Anspruch hat.

-Darüber hinaus sollte vertraglich festgehalten werden, dass die Ausrichtung eines Bonus im alleinigen Ermessen des Arbeitgebers liegt.

-Werden in der Folge dennoch wiederholt Boni an bestimmte Arbeitnehmer ausgerichtet, ist entscheidend, dass bei jeder einzelnen Ausrichtung ein Freiwilligkeitsvorbehalt angebracht wird, ansonsten die Gefahr besteht, dass ein Bonus trotz Qualifikation als Gratifikation geschuldet ist.


23. März 2022 / MLaw Kim Wysshaar


DIGITALE NACHLASSPLANUNG – WAS PASSIERT MIT MEINEN KRYPTOWÄHRUNGEN NACH DEM TOD?

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Bitcoin, Ethereum, Litecoin und Co. – aktuell investieren mehr Leute in Kryptowährungen als in herkömmliche Wertschriften oder Immobilien. Doch nur wenige machen sich dabei Gedanken darüber, was mit ihren Kryptowährungen nach ihrem Tod passieren soll. Wie wichtig es aber ist, bei Investitionen in Kryptowährungen bereits frühzeitig seinen Nachlass zu planen, zeigt der Fall des amerikanischen Unternehmers und Kryptowährungsinvestors Matthew Mellon, welcher unerwartet starb, das Passwort für seinen Kryptowährungsvorrat im Wert von 500 Millionen US-Dollar nirgends niedergeschrieben hatte und das Kryptovermögen damit für immer verloren war. Nachfolgend wird aufgezeigt, ob Kryptowährungen nach geltendem Schweizer Recht überhaupt vererbbar sind und wie diese in der Nachlassplanung berücksichtigt werden müssen.     

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I. RECHTLICHE QUALIFIKATION VON KRYPTOWÄHRUNGEN

Kryptowährungen, wie Bitcoin, Ethereum und Co. sind virtuelle Werteinheiten, über die in einem dezentralen softwarebasierten System, der sog. Blockchain, Buch geführt wird und durch eine Verschlüsselungstechnologie gesichert sind.

Die erbrechtliche Behandlung von Kryptowährungen ist von ihrer zivilrechtlichen Qualifikation abhängig. In der Literatur ist aktuell umstritten, wie Kryptowährungen in rechtlicher Hinsicht zu qualifizieren sind. Einige Autoren sehen in Kryptowährungen eine «Sache» im Sinne des Zivilgesetzbuches. Folgt man dieser Meinung, kann an Kryptowährungen ohne weiteres Eigentum und damit ein absolutes Recht begründet werden. Nach der heute (noch) überwiegenden Lehre und auch Ansicht des Bundesrates wird jedoch davon ausgegangen, dass es sich bei Kryptowährungen mangels Körperlichkeit gerade nicht um «Sachen» im zivilrechtlichen Sinne handelt, sondern um rein faktische Vermögenswerte, woran kein Eigentum begründet werden kann und für die kein Wert garantiert wird.

Obwohl an Krypotwährungen gemäss herrschender Lehre kein Eigentum begründet werden kann und somit kein absolutes Recht an Kryptowährungen besteht, können sogenannte relative Rechte daran begründet werden. Das relative Recht ist ein subjektives Recht, das im Gegensatz zum absoluten Recht nur gegenüber bestimmten Personen wirkt und nur von diesen verletzt oder durchgesetzt werden kann. Im Rahmen von Kryptowährungen dürfte dies jedoch nur der Fall sein, wenn der Erblasser seine Kryptowährungen in einem sogenannten Custodial Wallet aufbewahrt, welches von einem Dritten, beispielsweise einer Krypto-Bank verwahrt wird.

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II. VERERBBARKEIT VON KRYPTOWÄHRUNGEN

Verwaltet der Inhaber seine Kryptowährungen selbst, so ist fraglich, ob und inwiefern die Erben des verstorbenen Inhabers der Kryptowährungen auch diese umfasst werden. Mit der Mehrheit der Lehre ist jedoch – auch mangels die Kryptowährungen regulierender Gesetzgebung – von einer weiten Auslegung von Art. 560 ZGB auszugehen, womit mit von der Erbschaft auch Kryptowährungen umfasst wären und kraft Gesetzes auf die Erben übergehen würden. Eine Abweichung von dieser Meinung führte dazu, dass Kryptowährungen und damit die Vermögenswerte im Todesfall verloren gehen würden.

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III. FRÜHZEITIGE NACHLASSPLANUNG

Aufgrund der noch unsicheren Rechtslage ist Inhabern von Kryptowährungen zu empfehlen, sich frühzeitig mit ihrem Nachlass zu befassen. Bei der Ausarbeitung von Verfügungen von Todes wegen über kryptobasierte Vermögenswerte (insbesondere Erbeinsetzungen, Teilungsvorschriften, Vermächtnisse) sind dabei die erbrechtlichen Formvorschriften sowie die allfälligen Pflichtteile der Erben zu beachten.

Des Weiteren ist entscheidend, dass die Verschaffung der Zugriffsmöglichkeit (Übermittlung relevanter Zugangsdaten) an die Erben geregelt wird. Die Zugriffsmöglichkeit muss nicht zwingend in einem Testament oder Erbvertrag festgehalten werden und kann auch auf andere Weise sichergestellt werden. Aufgrund der Gefahr, dass derjenige welche über den «Private Key» oder die «Seed-Phrase» verfügt, faktisch über die Kryptowährungen verfügen kann, ist dabei bereits bei der Nachlassplanung sicherzustellen, dass die Zugangsinformationen auf sicherem Wege an die richtigen Erben gelangen.

Entscheidend für die Nachlassplanung ist zudem, ob die Kryptowährungen in einem Custodial Wallet oder Non-Custodial Wallet gehalten werden. Sofern die Kryptowährungen in einem Custodial Wallet gehalten werden, hat allein der Finanzintermediär Zugriff zum Wallet und zu den Kryptowährungen. Das zwischen dem Inhaber der Kryptowährungen und dem Dritten zugrundeliegende Vertragsverhältnis entspricht dabei regelmässig einem Auftrag. Im Todesfall des Inhabers treten die Erben deshalb mittels Universalsukzession gemäss Art. 560 ZGB in das Rechtsverhältnis des verstorbenen Inhabers ein. Entsprechend haben die Erben dessen Auskunfts- und Informationsrechte. In diesem Fall hat der Inhaber von Kryptowährungen somit nur dafür besorgt zu sein, dass die Erben von der Vertragsbeziehung mit dem Dritten Kenntnis nehmen können. Regelmässig sind diese Informationen bereits aus der Steuererklärung ersichtlich; sicherheitshalber empfiehlt es sich dennoch, dies mittels Verfügung von Todes wegen ausdrücklich festzuhalten.

Hält der Inhaber seine Kryptowährungen hingegen in einem Non-Custodial Wallet, müssen die Erben darüber informiert werden, wie auf die Kryptowährungen zugegriffen werden kann. Kennen die Erben weder die Zugangsdaten, noch wie sie diese anwenden können, besteht das Risiko, dass die Kryptowährungen nach dem Tod des Erblassers für immer verloren gehen. Der Inhaber muss seinen künftigen Erben deshalb den Zugang zum Non-Custodial Wallet inklusive Pin/Passwort oder zur Seed-Phrase sicherstellen. Hierfür empfiehlt es sich einen Krypto-Zugangsplan aufzustellen, der neben einer Auflistung der vorhanden Kryptowährungen und Wallets auch den Aufbewahrungsort des Wallet PINs bzw. Passworts und der Seed Phrase enthält. Es empfiehlt sich sodann den Krypto-Zugangsplan separat vom Wallet und der Seed Phrase aufzubewahren.

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IV. FAZIT

Fest steht: Die zunehmende Digitalisierung führt zu neuen Herausforderungen in der Nachlassplanung. Da die Rechtslage betreffend Kryptowährungen äusserst unsicher ist, ist die Nachlassplanung für Inhaber von Bitcoins, Ethereum und Co. umso wichtiger. Damit die Kryptowährungen nach dem Tod nicht für immer verloren gehen, müssen gewisse Vorbereitungsmassnahmen getroffen und im Idealfall schriftlich festgehalten werden. Allgemein empfiehlt es sich sodann, einen kryptoversierten Willensvollstrecker einzusetzen, um die Erben im Zusammenhang mit den sich im Nachlass befindlichen Kryptowährungen und ihrem Zugang zu unterstützen und damit der Missbrauchsgefahr durch einen Unberechtigten entgegenzuwirken.


22. Dezember 2021 / MLaw Kim Wysshaar

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