6. September 2024

Nachehelicher Unterhalt – wie lange besteht die nacheheliche Unterhaltspflicht?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt MLaw Kim Hirzel, Anwaltspraktikantin

Nachehelicher Unterhalt – wie lange muss man zahlen, wie lange bekommt man nach der Scheidung finanzielle Unterstützung?

I. AUSGANGSLAGE

Lassen sich zwei Ehegatten scheiden, so endet grundsätzlich auch ihre gegenseitige eheliche (finanzielle) Unterstützungspflicht. Ist es einem Ehegatten jedoch nicht zuzumuten, für seinen ihm gebührenden Unterhalt vollständig selber aufzukommen, so ist nach Art. 125 Abs. 1 ZGB der andere aus «nachehelicher Solidarität» dazu verpflichtet, ihm einen angemessenen Beitrag zu leisten. Das Vorliegen einer nachehelichen Unterhaltspflicht sowie dessen Höhe und Dauer richtet sich nach bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Kriterien, welches das Bundesgericht jüngst konkretisiert hat.

Folgende Punkte sind von Gesetzes wegen für die Festlegung des nahehelichen Unterhalts massgebend:

  • die Aufgabenteilung während der Ehe;
  • die Dauer der Ehe;
  • die Lebensstellung während der Ehe;
  • das Alter und die Gesundheit der Ehegatten;
  • das Einkommen und Vermögen der Ehegatten;
  • die berufliche Ausbildung und Erwerbsaussichten der Ehegatten;
  • der Umfang und die Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Betreuung der Kinder;
  • der Aufwand für die berufliche Eingliederung des potenziell unterhaltsberechtigten Ehegatten;
  • die Anwartschaften aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung und der beruflichen oder anderweitig privaten oder staatlichen Vorsorge.

Das Bundesgericht beachtet ausserdem in seiner Rechtsprechung, ob die Ehe lebensprägend war oder nicht. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Ehe lebensprägend, wenn die Ehe aufgrund verschiedener Faktoren das Leben der Ehegatten in massgebender Weise geprägt hat, weil beispielsweise der eine Ehegatte sich vorwiegend um die Erziehung der Kinder gekümmert hat und dadurch auf die Verfolgung der eigenen beruflichen Karriere verzichtet wurde. Hinsichtlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung nach der Ehe liegt es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts festzulegen, wie lange der Unterhaltspflichtige nachehelichen Unterhalt an den anderen Ehegatten zu leisten hat. Unbestritten ist jedoch, dass kein Anspruch auf lebenslängliche finanzielle Gleichstellung der Ehegatten bestehen kann, da dies der ehelichen Unterhalts- und Unterstützungspflicht gleichkommen würde, obwohl die Ehegatten geschieden sind. Es stellt sich demnach die Frage, nach welchen Kriterien die Dauer der nachehelichen Unterhaltspflicht festzulegen ist

II. ZEITLICHE BEGRENZUNG DES NACHEHELICHEN UNTERHALTS

Im aktuellen Entscheid BGer 5A_801/2022 vom 10. Mai 2022 hat sich das Bundesgericht unter anderem mit der Frage der zeitlichen Begrenzung des nachehelichen Unterhalts auseinandergesetzt. Gemäss Bundesgericht sei insbesondere die Dauer des ehelichen Zusammenlebens für die Unterhaltsdauer massgebend.

Je kürzer die Ehe gelebt wurde, desto weniger einschneidend erscheint in der Regel die Umgewöhnung in den getrennten Haushalt. Dementsprechend ist auch die Unterhaltspflicht weniger lange aufrechtzuerhalten. Umgekehrt erscheint es gerechtfertigt, bei längerem ehelichem Zusammenleben die Unterhaltspflicht länger bestehen zu lassen und das Vertrauen des anspruchsberechtigen Ehegatten in den Fortbestand der Ehe zu würdigen.

Für den Unterhaltsschuldner gilt es weiter zu berücksichtigen, ob dieser von der während der Ehe gelebten Aufgabenteilung in seiner beruflichen Tätigkeit profitieren konnte. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Unterhaltspflichtige durch die Entlastung des anderen Ehegatten während der Ehe beruflich aufsteigen konnte, was ihm eine Einkommenssteigerung ermöglichte. Fällt diese Einkommenssteigerung besonders gross aus, so rechtfertigt sich eine länger andauernde Unterhaltspflicht.

Auf Seiten des Unterhaltgläubigers gilt es zu berücksichtigen, über welche potenzielle Erwerbskraft er verfügen würde, wenn er seine Arbeitstätigkeit nicht aufgrund der ehelichen Aufgabenteilung und Lebensplanung aufgegeben oder eingeschränkt hätte. Massgebend ist jedoch, dass die eingeschränkte Erwerbskraft ehebedingt und nicht beispielsweise gesundheitsbedingt ist, denn letzteres hat nichts mit der Ehe an sich zu tun. Abgesehen davon können aber auch das Alter, der Gesundheitszustand und die Art der Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit des Unterhaltsgläubigers, die vereinbarte Aufgabenteilung während der Ehe sowie die damit einhergehende Dauer des Erwerbsunterbruchs und die Dauer der beruflichen Tätigkeit vor dem Erwerbsabbruch entscheidend sein.

III. FAZIT

Für die Dauer der nachehelichen Unterhaltspflicht können die Kriterien aus Art. 125 Abs. 2 ZGB herangezogen werden. Als Richtwert dient insbesondere die Dauer des ehelichen Zusammenlebens. Grundsätzlich gilt je kürzer die Ehe, desto weniger lange dauert die Unterhaltspflicht an. Aber auch die ehebedingten karrieretechnischen Einbussen beim Unterhaltsgläubiger oder Vorteile beim Unterhaltsschuldner sind für die Festsetzung der Unterhaltsdauer massgebend.


6. September 2024 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin