Stiefkindadoption / Erwachsenenadoption: Aktuelle Rechtslage und laufende Revision
lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt MLaw Dionisa Zyba, AnwaltspraktikantinDie Adoption von Erwachsenen spielt zunehmend eine Rolle in familiären Konstellationen, in denen über viele Jahre hinweg eine enge soziale Bindung zwischen einem Stiefelternteil und einem damals unmündigen Kind bestand, auf eine Adoption aber verzichtet wurde, weil die Herstellung einer rechtlichen Beziehung zweitrangig erschien (oder weil der leibliche Elternteil opponierte). Bis anhin, d.h. unter dem geltenden Recht, schwierig bzw. unmöglich ist die Erwachsenenadoption eines Stiefkindes trotz langjähriger und enger sozialer Elternschaft, wenn die ursprüngliche Lebensgemeinschaft zwischen dem leiblichen Elternteil und dem Stiefelternteil inzwischen aufgelöst wurde. Die laufende Revision des Adoptionsrechts zielt darauf ab, auch in solchen Konstellationen eine rechtliche Anerkennung der gewachsenen familiären Beziehung zu erleichtern, und wird hier – hoffentlich – Abhilfe schaffen.
1. AKTUELLE RECHTSLAGE IM ALLGEMEINEN
Nach Art. 266 ZGB darf eine volljährige Person adoptiert werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Möglich ist die Adoption gemäss Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB etwa dann, wenn die betreffende Person aus körperlichen, geistigen oder psychischen Gründen dauerhaft hilfsbedürftig ist und die adoptionswillige Person ihr während mindestens eines Jahres Pflege erwiesen hat. Ebenso ist sie nach Art. 266 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB zulässig, wenn bereits während der Minderjährigkeit ein Pflege- und Erziehungsverhältnis von mindestens einem Jahr bestanden hat. Schliesslich erlaubt das Gesetz die Erwachsenenadoption, wenn andere wichtige Gründe vorliegen – etwa eine langjährige soziale Eltern-Kind-Beziehung – und die volljährige Person mindestens ein Jahr mit der adoptionswilligen Person im gemeinsamen Haushalt gelebt hat (Art. 266 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Obwohl der Begriff der «Hausgemeinschaft» im Gesetz nur in Art. 266 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB ausdrücklich genannt wird, ist sie für jede Volljährigenadoption von zentraler Bedeutung. Nach herrschender Lehre und Praxis muss der Adoption in der Regel ein gemeinsames Zusammenleben in einem Haushalt vorausgegangen sein, unabhängig davon, auf welcher rechtlichen Grundlage sie beantragt wird.
Ob diese Hausgemeinschaft auch im Zeitpunkt der Adoption noch bestehen muss, ist nicht abschliessend entschieden. Unbestritten ist jedoch, dass eine fortdauernde, stabile sozialpsychische Beziehung erforderlich ist, die den Adoptierenden zur tatsächlichen Bezugsperson macht, mit engerer Bindung als zur Herkunftsfamilie. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass eine Hausgemeinschaft zumindest bis unmittelbar vor dem Adoptionsgesuch bestanden haben muss (BGer 5A_962/2019 vom 3. Februar 2020 E. 4.4). Je länger das gemeinsame Wohnen zurückliegt, desto eher besteht der Verdacht, dass nicht die rechtliche Absicherung der familiären Bindung im Vordergrund steht, sondern etwa steuerliche oder erbrechtliche Motive. Nach herrschender Lehre wird jedenfalls eine über längere Zeit gelebte, sozialpsychisch tragfähige Beziehung zwischen der adoptionswilligen Person und der zu adoptierenden volljährigen Person verlangt (BSK-Breitschmid zu Art. 266 ZGB N 11). Diese Voraussetzungen sollen sicherstellen, dass zwischen den Beteiligten eine gefestigte und gelebte familiäre Bindung besteht, die eine rechtliche Anerkennung verdient.
Nach Art. 266 Abs. 2 ZGB finden die Bestimmungen über die Stiefkindadoption minderjähriger Kinder (Art. 264 ff. ZGB) auch bei volljährigen Personen sinngemäss Anwendung – mit Ausnahme der Zustimmungspflicht der leiblichen Eltern. Demnach darf eine Person das Kind adoptieren, mit dessen Mutter oder Vater sie verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt. Voraussetzung dafür ist, dass zwischen den «Eltern» eine Ehe, eine eingetragene Partnerschaft oder eine faktische Lebensgemeinschaft besteht. Von besonderer Relevanz im Zusammenhang mit der Stiefkindadoption von Volljährigen ist das Erfordernis gemäss Art. 246c Abs. 2 ZGB, wonach die «Eltern» seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen müssen.
Gemäss Art. 267 Abs. 2 und 3 ZGB führt eine Adoption grundsätzlich zum Erlöschen aller verwandtschaftlichen Beziehung zur Herkunftsfamilie – mit Ausnahme des Ehehindernisses. Gemäss Art. 267 Abs. 3 ZGB bleiben jedoch bei Stiefkindadoptionen die familienrechtlichen Beziehungen zum leiblichen Elternteil bestehen, sofern dieser mit der adoptierenden Person verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt. Demnach erlischt das Kindesverhältnis nur gegenüber dem nicht mit dem Adoptierenden verheirateten, in eingetragener Partnerschaft lebenden, oder eine faktische Lebensgemeinschaft führenden Elternteil.
2. STIEFKINDER-ERWACHSENENADOPTION IM BESONDEREN
Nach dem Obigen ist klar, weshalb eine Erwachsenenstiefkindadoption de lege lata kaum in Frage kommt, wenn sich der leibliche Elternteil und der soziale Elternteil zwischenzeitlich getrennt oder gar geschieden haben. Auch wenn die Trennung der «Eltern» an der sozialen und emotionalen Bindung des volljährigen Kindes zum Stiefelternteil rein gar nichts ändert, entfällt in solchen Fällen das aktuell im Vordergrund stehende Adoptionsziel einer Zusammenführung der «Familie» als Rechtfertigungsgrund. Hinzu kommt, dass die Ausnahmeregelung von Art. 267 Abs. 3 ZGB diesfalls nicht mehr greift, d.h. eine Bewilligung des Adoptionsgesuchs des Stiefelternteils an sich das Erlöschen des Kindesverhältnis zum leiblichen Elternteil zur Folge hätte, was in aller Regel nicht angestrebt wird.
3. NEUERUNGEN DER STIEFKINDADOPTION BEI ERWACHSENEN
Im Rahmen der laufenden Revision des Adoptionsrechts soll diese Hürde im Zusammenhang mit der Erwachsenen-Stiefkindadoption bei getrennten «Eltern» entfallen. Künftig soll bei der Adoption eines volljährigen Stiefkindes kein gemeinsamer Haushalt zwischen dem leiblichen Elternteil und dem Stiefelternteil mehr erforderlich sein. Der Gesetzgeber will damit der Tatsache Rechnung tragen, dass erwachsene Kinder nicht mehr auf ein gemeinsames Familienleben angewiesen sind. Wenn ein Stiefkind im Erwachsenenalter adoptiert werden soll, ist es nicht mehr erforderlich, dass zum Zeitpunkt des Adoptionsgesuches ein gemeinsamer Haushalt besteht. Ebenso soll auf das Erfordernis der Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder faktischen Lebensgemeinschaft zwischen dem leiblichen Elternteil und der adoptionswilligen Person zum Zeitpunkt der Adoption verzichtet werden (Art. 264c Abs. 1 ZGB). Entscheidend ist vielmehr, dass während der Minderjährigkeit ein echtes familiäres Verhältnis und ein mindestens einjähriges Pflegeverhältnis mit dem Stiefelternteil bestanden habe (Erläuternder Bericht zur Revision «Erleichterte Stiefkindadoption, S. 12).
Damit trägt der Gesetzesentwurf der gelebten Realität vieler Patchwork-Familien Rechnung. Beziehungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern entwickeln sich oft über Jahre hinweg und bleiben entsprechend stabil, auch wenn rechtliche oder formale Bindungen wie Ehe oder eine gemeinsame Hausgemeinschaft der Eltern später wegfallen. In der Praxis bedeutet die neue Regelung, dass ehemalige Stiefkinder, die als Minderjährige längere Zeit im gemeinsamen Haushalt von leiblichem Elternteil und Stiefelternteil gelebt haben, im Erwachsenenalter einfacher adoptiert werden können – selbst dann, wenn sich die familiäre Situation inzwischen verändert hat. So wird anerkannt, dass elterliche Fürsorge und Bindung nicht an formale Strukturen gebunden sein müssen. Eine wichtige Voraussetzung bleibt jedoch bestehen: Das Paar (leiblicher Elternteil und Stiefelternteil) muss gemäss Art. 264c Abs. 2 ZGB in der Vergangenheit während mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Dieses Erfordernis stellt sicher, dass die mit dem Adoptionsgesuch angestrebte rechtliche Familienstruktur während der entscheidenden Phase der Kindheit tatsächlich einmal gelebt wurde.
Weiter nimmt der Gesetzgeber besondere Rücksicht auf das bestehende Kindesverhältnis zum leiblichen Elternteil, damit dieses durch eine Adoption des ehemaligen Stiefelternteils nicht beeinträchtigt wird. Es ist entsprechend vorgesehen, dass trotz einer solchen Adoption das rechtliche Band zum ursprünglichen Elternteil unberührt weiterbesteht (Art. 267 Abs. 3 Ziff. 4 VE-ZGB). Diese bewusste gesetzgeberische Entscheidung soll sicherstellen, dass die familiären Bindungen des Kindes möglichst vollständig erhalten bleiben und aus der Erwachsenen-Stiefkindadoption keine neuen rechtlichen Nachteile entstehen. Auch diese Änderung entspricht dem Anliegen, das Kindeswohl konsequent in den Mittelpunkt zu stellen und den besonderen Umständen insbesondere in Patchworkfamilien Beachtung zu schenken.
4. FAZIT
Die Erwachsenen-Stiefkindadoption ist nach geltendem Recht nur unter engen Voraussetzungen möglich. Insbesondere bei getrennten «Eltern» ist die rechtliche Ausgangslage komplex. Die aktuelle Revision verspricht, den Zugang zur Adoption von Erwachsenen in Fällen von gelebter familiärer Realität durch die Anerkennung der tatsächlichen sozialen Verhältnisse zu erleichtern.