7. November 2025

Überschussanteil des Kindes unverheirateter Eltern bei alternierender Obhut

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt MLaw Dionisa Zyba, Anwaltspraktikantin

Die alternierende Obhut stellt das Unterhaltsrecht immer wieder vor anspruchsvolle Fragen – insbesondere dann, wenn die Eltern nicht verheiratet sind. Auch wenn beide Eltern die Betreuung zu gleichen Teilen übernehmen, bleibt die Frage offen, wie die finanziellen Lasten gerecht zu verteilen sind. Besonders der Überschussanteil – jener Betrag, der über den Grundbedarf hinausgeht – sorgt dabei regelmässig für Diskussionen. In einem aktuellen Urteil hat das Bundesgericht die Grundsätze zur Berechnung und Verteilung des Überschusses klargestellt und damit für die Praxis wichtige Leitlinien geschaffen.

1. AUSGANGSLAGE

Das Bundesgericht präzisierte in einem aktuellen Entscheid eine bislang ungeklärte Frage im Zusammenhang mit der Unterhaltberechnung bei alternierender Obhut unverheirateter Eltern.  Während die alternierende Obhut heute als gleichwertige Betreuungsform etabliert ist, wirft sie bei der Unterhaltsberechnung – insbesondere bei der Bestimmung der Verteilung des Überschusses, also jener Teil des Einkommens, der über das familienrechtliche Existenzminimum hinausgeht und nicht einer Sparquote zugeschrieben wird – nach wie vor Fragen auf. Zunächst hält das Bundesgericht fest, dass ein Kind bei alternierender Obhut Anspruch darauf hat, am Gesamtüberschuss beider Elternteile zu partizipieren, da sowohl die Mutter als auch der Vater für den Barunterhalt der Kinder verantwortlich sind. Insbesondere da Art. 285 Abs. 1 ZGB die Berücksichtigung der Mittel sowohl des Vaters als auch der Mutter vorsieht und somit den Kindern ermöglicht wird, vom Lebensstandard der Eltern zu profitieren, entspreche diese Lösung den Anforderungen des Gesetzgebers (BGer 5A_384/2024 vom 10. September 2025 E. 5.4.1). Bereits in seiner früheren Rechtsprechung hat das Bundesgericht festgestellt, dass der Gleichheitsgedanke einem allgemeinen Grundsatz entspricht, und betont, dass die konkrete Situation in jedem Fall Ausgangspunkt und Wesenskern der Unterhaltsberechnung ist (BGE 149 III 441 E. 2.5 f.).

2. VARIANTEN ZUR VERTEILUNG DES ÜBERSCHUSSES

Bei der Frage, wie der Überschuss verteilt werden könnte, befasste sich das Bundesgericht mit zwei Lösungsansätzen.

Gemäss der ersten Variante ist der gesamte Familienüberschuss global zu berechnen und – analog zur Praxis bei verheirateten Eltern – nach dem Prinzip der «grossen und kleinen Köpfe» auf Eltern und Kinder zu verteilen. Die Eltern erhalten dabei je den doppelten Anteil eines Kindes. Demzufolge führt dies bei zwei Kindern dazu, dass jedes Kind jeweils Anspruch auf 1/6 des Gesamtüberschusses hätte. Der virtuelle Anteil des nicht unterhaltsberechtigten Elternteils verbleibt beim zahlungspflichtigen Elternteil, da bei nicht verheirateten Eltern der unterhaltsansprechende Elternteil keinen Anspruch auf einen Überschussanteil hat. Damit wird verhindert, dass der unterhaltspflichtige Elternteil über den Kindesunterhalt indirekt auch den anderen Elternteil mitfinanziert.

Alternativ wäre denkbar, den Überschuss jedes Elternteils separat zu ermitteln und die Kinder an beiden Überschüssen zu beteiligen. Dies würde bedeuten, dass bei zwei Kindern jedes Kind Anspruch auf je 1/4 des Überschusses der Mutter und je 1/4 des Überschusses des Vaters hätte. Diese Lösung knüpft stärker an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Elternteils an und vermeidet eine fiktive Zurechnung.

Das Bundesgericht entschied sich für die erste Methode, mit der Begründung, dass es keinen sachlichen Grund gebe, Kinder je nach Zivilstand ihrer Eltern unterschiedlich zu behandeln. Eine getrennte Berechnung würde das Gleichbehandlungsgebot unterlaufen und könnte zu Ungleichheiten zwischen Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern führen. Zugleich betonte das Gericht, dass keine Gefahr einer indirekten Subventionierung des anderen Teils bestehe. Der virtuelle Anteil, der rechnerisch für den zweiten Elternteil eingesetzt wird, verbleibt beim unterhaltspflichtigen Elternteil. Zudem reduziere die Berücksichtigung von «zwei grossen Köpfen» (also beider Eltern) indirekt den Kinderanteil, was zu einer ausgewogenen und realitätsnahen Verteilung führe (BGer 5A_384/2024 vom 10. September 2025 E. 5.4.2).

3. FAZIT

Zustimmung verdient das Urteil insoweit, als es den Grundsatz festhält, dass Kinder unverheirateter Eltern bei alternierender Obhut am Überschuss beider Eltern zu beteiligen sind. Dieser Ansatz entspricht dem Gleichbehandlungsgebot und dem Gedanken, dass bei alternierender Obhut beide Eltern wirtschaftlich gleichermassen in die Verantwortung genommen werden.  Weniger überzeugend ist die Ansicht, den Gesamtüberschuss und nicht separat den Überschuss für jeden Elternteil zu berechnen. Bereits in seinem Leitentscheid BGE 149 III 441 hatte das Bundesgericht festgehalten, dass bei Kindern unverheirateter Eltern, die unter alleiniger Obhut stehen, kein virtueller Überschussanteil des betreuenden Elternteils auszuscheiden sei (E. 2.7). Diese Überlegung liesse sich folgerichtig auch auf die alternierende Obhut übertragen. Es erscheint nun inkonsequent, einerseits bei alleiniger Obhut auf fiktive Anteile zu verzichten, diese aber bei alternierender Obhut über den Umweg der Berücksichtigung des Gesamtüberschusses wieder einzuführen. Eine separate Ermittlung der Überschusssituation jedes Elternteils wäre sachgerechter und würde die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Parteien besser abbilden. Da der unterhaltspflichtige Elternteil seinen Überschuss nur mit den Kindern und nicht zusätzlich mit dem ehemaligen Partner teilen muss, erhalten Kinder unverheirateter Eltern in der Regel einen höheren Überschussanteil als Kinder verheirateter Eltern. Dies spiegelt eine grössere finanzielle Leistungsfähigkeit wider und rechtfertigt die unterschiedliche Berechnung.

Mit diesem Entscheid stärkt das Bundesgericht die Rechtssicherheit hinsichtlich der Unterhaltberechnung im Kontext alternierender Obhut unverheirateter Eltern. Es führt die Linie der bisherigen Rechtsprechung fort, setzt aber neue Akzente bei der Einheitlichkeit der Berechnungsmethoden. Auch wenn die gewählte globale Methode nicht frei von Kritik ist, bietet sie immerhin und sicher eine praktikable und nachvollziehbare Lösung für die Praxis.