SINN UND ZWECK DER VINKULIERUNG VON AKTIEN

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

.

Aktien sind dem Grundsatz nach unbeschränkt übertragbar. Dies im Unterschied zur Übertragung von Stammanteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), wo das Obligationenrecht die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Übertragung verlangt. Jedoch kennt das Aktienrecht auch eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Sind die Aktien nach Art. 685a ff. OR vinkuliert, kann die Gesellschaft die Übertragung von Aktien immerhin ablehnen und den Eintrag des Erwerbers im Aktienbuch verweigern. Welche Auswirkungen sich durch die Vinkulierung ergeben und welchen Sinn und Zweck dieser Möglichkeit zuzumessen ist, wird nachfolgend erläutert. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich allerdings nur mit der Vinkulierung von nicht-börsenkotierten Aktien.

.

.

I. GRUNDSATZ

Das Schweizer Aktienrecht kennt die Möglichkeit der Vinkulierung nur im Zusammenhang mit einer statutarischen Grundlage. Aktiengesellschaften, die ihre Aktien von der freien Übertragbarkeit ausnehmen wollen, haben dies in ihren Statuten vorzusehen. Dabei ist nicht erforderlich – jedoch möglich – die Vinkulierungsordnung bis ins letzte Detail zu regeln. Es reicht, wenn die Statuten in einem Satz vorsehen, dass die Übertragbarkeit der Aktien beschränkt ist. Es kommen dann die Bestimmungen von Art. 685a ff. OR zur Anwendung.

Sind die Aktien vinkuliert, können sie nur mit der Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden. Ohne eine anderslautende Regelung in den Statuten ist der Verwaltungsrat das entscheidende Organ der Gesellschaft. Die Übertragung muss ihm vom Erwerber der Aktien angezeigt werden. Das geschieht meistens zeitgleich mit dem Gesuch des Erwerbers um Eintragung ins Aktienbuch der Gesellschaft. Das Aktienbuch wird ebenfalls vom Verwaltungsrat geführt. Will die Aktienübertragung verhindert werden, kann der Verwaltungsrat das Gesuch innert 3 Monaten ablehnen. Wird diese Frist versäumt, ist das Recht verwirkt, mit der Folge, dass der Aktientransfer seine Wirkung entfaltet und alle mit den Aktien zusammenhängenden Rechte (und Pflichten, soweit diese existieren) auf den Erwerber übergehen. Für börsenkotierte Aktien gilt eine andere Regelung, auf die hier aber nicht eingegangen wird.

Wollen die Aktionäre die Gründe für die Ablehnung eines Erwerbers nennen, haben sie diese in den Statuten festzuhalten. Allerdings muss es sich um einen sachlichen Grund handeln. Liegt kein sachlicher Grund für die Ablehnung eines Erwerbers vor oder sind die Gründe in den

Statuten nicht geregelt, ist eine Ablehnung nur aufgrund der sog. „Escape Clause“ möglich (vgl. dazu unten, Ziff. III.).

.

II. ZUSAMMENSPIEL MIT AKTIONÄRBINDUNGSVERTRÄGEN

Wollen Aktionäre sich gegenseitig Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als Aktionäre auferlegen, so können sie dies in Form eines Aktionärbindungsvertrags tun. Denn das Aktienrecht selbst kennt grundsätzlich nur Aktionärsrechte und keine -pflichten. Einzige Ausnahme bildet die Pflicht zur Liberierung des Aktienkapitals. Alle weiteren Pflichten sind daher rein bilateral bzw. nur im parteiinternen Verhältnis der Aktionäre untereinander verbindlich, nicht aber gegenüber der Gesellschaft. Übertragbarkeitsbeschränkungen bilden daher standardmässiger Inhalt eines Aktionärbindungsvertrag. Die Aktionäre auferlegen sich darin gegenseitige Regelungen, wie sie sich im Fall von Verkaufsabsichten zu verhalten haben. Im Regelfall haben die Aktionäre die Pflicht, die Aktien vorab, d.h. bevor sie sich überhaupt nach einem potenziellen Käufer umsehen, den Mitaktionären zum Kauf anzubieten. Der Kaufpreis – oder zumindest ein Bewertungsmechanismus – wird oftmals ebenfalls im Aktionärbindungsvertrag geregelt. Damit soll verhindert werden, dass die Parteien ausufernde Verkaufsgespräche führen, sich nicht auf einen Preis einigen können und im Ergebnis während einer längeren Zeitspanne blockiert sind. Weiter gibt dies den Aktionären auch die Möglichkeit, gewisse unternehmerische Entwicklungen, ob vorhersehbar oder nicht, bei der Kaufpreisberechnung auszuklammern. Das kann z.B. in der Aufbauphase eines Unternehmens Sinn machen, aber auch dann, wenn mit dem austretenden Aktionär eine Schlüsselperson das operative Unternehmen verlässt, was sich nachteilig auf die Unternehmensentwicklung auswirken könnte. Weitere Standardinhalte eines Aktionärbindungsvertrags sind gegenseitige Erwerbsrechte für den Fall, dass sich ein bestimmtes Ereignis zuträgt (sog. Kaufrechtsfall). Nebst dem Todesfall sollen solche Erwerbsrechte regelmässig auch bei Eintritt der grundlegenden Handlungsunfähigkeit, der Konkurseröffnung über eine Partei oder der Pfändung der Aktien einer Partei wirken. Es besteht durchaus die Möglichkeit, solche Kaufrechtsfälle sehr individuell zu gestalten. Auch die Aufgabe der operativen Tätigkeit eines Aktionärs für das betreffende Unternehmen kann in einer Verkaufspflicht resultiert.

Übertragungsbeschränkungen werden in Aktionärbindungsverträgen oftmals sehr ausführlich geregelt. In dieser Möglichkeit liegt einer der Hauptunterschiede zur statutarischen Vinkulierung. Allerdings ermöglicht es die gesetzliche Vinkulierungsordnung, solche vertraglichen Übertragungsregelungen gesellschaftsrechtlich abzusichern. Verletzt bspw. ein Aktionär die Andienungspflicht gemäss Aktionärbindungsvertrag und verkauft er seine Aktien an einen beliebigen Dritten, so hat die Gesellschaft ein zusätzliches Ablehnungsrecht gestützt auf die Vinkulierungsordnung. Damit die Gesellschaft in Bezug auf diese Ablehnung frei ist bzw. die Verletzung des Aktionärbindungsvertrags als Grund für die Ablehnung geltend machen kann, ist es empfehlenswert, dies so in den Statuten festzuhalten. Die Statuten sollten somit festhalten, dass die Verletzung des Aktionärbindungsvertrags als sachlicher Grund für die Ablehnung eines Erwerbers erlaubt ist.

Die Zulässigkeit von solchen statutarischen Regelungen wird in Lehre und Praxis allerdings uneinheitlich beurteilt. Wo das Handelsregisteramt Aargau seit einiger Zeit Statutenbestimmungen erlaubt, welche der Gesellschaft (meinst dem Verwaltungsrat) die Erlaubnis erteilen, eine Transaktion zu verhindern, wenn sie in Verletzung eines Aktionärbindungsvertrags erfolgt, so scheint das Handelsregisteramt Zürich eine uneinheitliche Praxis zu vertreten. Der Autorin ist sowohl die Akzeptanz als auch die Ablehnung entsprechender Statutenbestimmungen bekannt. Es wird sich zeigen, ob sich eine einheitliche Praxis festigt.

.

III. ESCAPE CLAUSE ALS NOTNAGEL

Erlaubt das Handelsregisteramt die statutarische Absicherung von aktionärbindungsvertraglichen Übertragungsbeschränkungen via die Vinkulierung nicht, kann die sog. Escape Clause für Abhilfe schaffen. Sie findet in Art. 685b Abs. 1 OR ihre gesetzliche Grundlage und sieht vor, dass ein Erwerber abgelehnt werden darf, wenn die Gesellschaft dem Veräusserer anbietet, die Aktien (für eigen Rechnung, für Rechnung anderer Aktionäre oder für Rechnung Dritter) zum wirklichen Wert zu übernehmen. Der „wirkliche Wert“ wird notfalls vom Gericht bestimmt, d.h. vor allem dann, wenn sich die Parteien darüber nicht einigen können. Vertragliche Regelungen über die Kaufpreisbewertung sind bei Anwendung der Escape Clause damit nicht verbindlich. Und in aller Regel werden die Parteien eine solche vertraglichen Regelung auch nicht freiwillig akzeptieren, andernfalls es wohl gar nicht erst zur Anwendung der Escape Clause gekommen wäre. Den Parteien von Aktionärbindungsverträgen bleibt somit nichts anderes übrig, als eine allfällige Differenz zwischen wirklichem Wert und vertraglich vereinbartem Wert als Schadenersatz gegenüber dem vertragsbrüchigen Aktionär einzuklagen. Die Escape Clause bietet daher – eben im Sinne eines Notnagels – zwar die Chance, eine ungewünschte Öffnung des Aktionärskreises durch Verkauf an Dritte zu verhindern, allerdings nur, soweit der wirkliche Wert entschädigt wird. Das ist freilich nicht im Sinne der Parteien eines Aktionärbindungsvertrags, weshalb es sinnvoll ist, die Verletzung des Vertrags an eine Konventionalstrafe zu knüpfen, die eine abzugeltende Differenz nach Möglichkeit betraglich abdeckt. 

IV. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

Die Vinkulierung von Aktien ist ein wichtiges und sinnvolles Instrument des Gesellschaftsrechts, um die freie Übertragbarkeit von Aktien an Dritte zu verhindern. Im Zusammenspiel mit Aktionärbindungsverträgen ermöglicht sie – die Akzeptanz entsprechender Statutenbestimmungen durch das hiesige Handelsregisteramt vorausgesetzt – die Absicherung von, teilweise sehr detailliert ausgestalteten, vertraglichen Übertragungsbeschränkungen. Wie gezeigt ist dies nicht nur zum Schutz eines geschlossenen oder regulierten Aktionärskreises wichtig, sondern auch, um sicherzustellen, dass sich im Fall von Übertragungen der Kaufpreis, der einem austretenden Aktionär bezahlt werden soll, nach der vertraglichen Vereinbarung bemisst und nicht von einen Richter festgelegt wird, der einerseits eine Momentaufnahme tätigt und sich andererseits auch nicht an den Überlegungen zu orientieren hat, welche die Parteien des Aktionärbindungsvertrags der vertraglichen Kaufpreisbestimmung zugrunde gelegt haben.

.


7. Mai 2024  / lic. iur. Patricia Geissmann, CAS Merger & Acquisitions and Corporate Law


AUSSERORDENTLICHE KÜNDIGUNG INFOLGE UNTERVERMIETUNG ÜBER AIRBNB UND BOOKING.COM

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

Am 7. Februar 2024 urteilte das Mietgericht Zürich (MJ230070-L), dass die gewerbliche Untervermietung ohne Zustimmung der Vermieterin eine Vertragsverletzung darstellt, welche die Vermieterin nach einer Abmahnung berechtigt, das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Anders zu beurteilen ist die bloss gelegentliche Vermietung von Mietwohnungen über Buchungsplattformen, welche vom vertraglich vereinbarten Wohnzweck gedeckt und damit (unter Berücksichtigung der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen) zulässig sind. Zum Zeitpunkt der Publikation dieses Newsletters ist ein allfälliger Weiterzug an die nächste Instanz noch offen.

.

I. Sachverhalt

Der Mieter / Kläger mietete in Zürich zwei Wohnungen. Im Mietvertrag wurde die Benutzung der Wohnung auf eine Person begrenzt und die Verwendung zu Wohnzwecken festgelegt.

Der Mieter vermietete die beiden Wohnungen über Airbnb und Booking.com zu einem Preis von jeweils durchschnittlich ca. CHF 215.00 pro Nacht für bis zu vier Personen. Die Auslastung war jeweils hoch.

Kurze Zeit nach Beginn des Mietverhältnisses gingen bei der Vermieterin diverse Beschwerdeschreiben anderer Mietparteien ein, welche sich über die wechselnden und störenden Untermieter beschwerten. Es folgte eine Abmahnung der Vermieterin an den Mieter mit der Aufforderung, die Inserate abzuschalten. Der Mieter liess sich davon nicht beeindrucken und führte sein Geschäftsmodell weiter. Infolgedessen kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis fristlos.

Im Gerichtsverfahren betr. Anfechtung der Kündigung stellte sich der Mieter / Kläger auf den Standpunkt, die von ihm gewählte Nutzung und somit die Untervermietung sei ihm mündlich und konkludent gestattet worden. Mangels Beweis drang er mit diesem Argument nicht durch.

.

II. Rechtliches / Gerichtliche Beurteilung

Bei dieser speziellen Form der Untervermietung kann man sich fragen, ob lediglich die Bestimmungen über die (Unter-) Miete zur Anwendung gelangen oder ob eventuell gar ein Beherbergungsvertrag oder Gastaufnahmevertrag vorliegt. Dies ist im Einzelfall je nach Ausgestaltung des Vertrages zu beurteilen. Jedenfalls wird in der Praxis die analoge Anwendung der Regeln zur Untermiete bei jeder Art der entgeltlichen Gebrauchsüberlassung bejaht. Insofern kann ein Vermieter die Vermietung von Wohnungen über Buchungsplattformen verbieten, soweit der Mieter damit einen missbräuchlichen Ertrag erzielt, er die Bedingungen der Untervermietung nicht offenlegt oder die Grenzen des zulässigen Gebrauchs überschreitet. Wird eine dieser Pflichten durch den Mieter verletzt, kann die Vermieterin das Vertragsverhältnis kündigen.  Möchte die Vermieterin das Mietverhältnis ausserordentlich kündigen, so bedarf es grundsätzlich einer Abmahnung und mehrerer Pflichtverletzungen, sodass die Weiterführung für sie nicht mehr zumutbar ist.

Das Gericht kam im zu beurteilenden Fall zum Schluss, dass der Mieter mit seinem fortgesetzten Verhalten den Mietvertrag verletzt hat und dies auch nachdem er gemahnt worden ist nicht zu ändern beabsichtigte. Eine Fortführung war für die Vermieterin nicht zumutbar. Die ausserordentliche Kündigung war damit rechtens. 

Abschliessend bestätigte das Gericht die ständige Rechtsprechung, dass die Vermieterin im Falle einer widerrechtlichen Untervermietung berechtigt ist, den Gewinn gestützt auf die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag nach Art. 423 OR abzuschöpfen.

.


15. April 2024  / MLaw Kim Attenhofer


SICHERHEITSLEISTUNG ZUR ABLÖSUNG EINES BAUHANDWERKERPFANDRECHTS

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

Das Bauhandwerkerpfandrecht stellt für einen Unternehmer ein einflussreiches Druckmittel gegen den Grundeigentümer dar, wenn der Bauherr den Werklohn für Arbeiten auf einem Baugrundstück nicht bezahlt. Es kann gleichzeitig die Kreditwürdigkeit des Grundeigentümers erheblich beeinträchtigen und die Verfügung über das Grundstück erschweren. Das Gesetz gewährt dem Grundeigentümer die Möglichkeit, sich gegen ein Bauhandwerkerpfandrecht zu wehren, namentlich in dem er eine hinreichende Sicherheit leistet (Art. 839 Abs. 3 ZGB). Diese tritt an Stelle des Pfandrechts und soll dem Unternehmer gleichwertigen Schutz bieten.

.

I. HINREICHENDE SICHERHEIT

Als mögliche Sicherheiten für die Pfandsumme kommen insb. die (Bank-/Versicherungs-) Garantie, die Hinterlegung eines Geldbetrages beim Gericht, einer Bank oder einem Notar oder die Bürgschaft in Frage.

In den allermeisten Fällen wird als Sicherheitsleistung die Garantie gewählt. Sie hat gegenüber den beiden anderen Sicherungsmitteln den Vorteil, dass nicht zwingend ein garantierter Höchstbetrag festgelegt werden muss, was angesichts der (noch) aktuellen Rechtslage / Rechtsprechung von grossem Vorteil ist (siehe hiernach).

.

II. RECHTSPRECHUNG

Mit seinem Urteil vom 5. Oktober 2016 (BGE 142 III 738) stellte das Bundesgericht fest, dass eine Sicherheitsleistung nur dann hinreichend im Sinne des Gesetzes ist, wenn sie die gleiche Deckung (qualitativ und quantitativ) bietet wie das Bauhandwerkerpfandrecht. Gemäss Bundesgericht müssen auch die Verzugszinsen der Forderung zeitlich unlimitiert sichergestellt sein. Stellt eine Garantie zwar den Kapitalbetrag aber nicht zeitlich unlimitiert die Verzugszinsen sicher, genügt sie den Anforderungen an eine „hinreichende Sicherheit“ nicht. Mit diesem Entscheid stellte das Bundesgericht klar, dass eine Sicherstellung des Kapitalbetrages zuzüglich Verzugszinse für 10 Jahre, wie dies früher als ausreichend angesehen wurde, nicht mehr gilt. Ebenfalls darf eine Garantie keine terminliche Befristung der Gültigkeitsdauer aufweisen.

Eine Bankgarantie mit unlimitiertem Zinsenlauf und ohne konkrete Befristung dürfte in der Praxis schwer zu erlangen sein und insb. von der Liquidität des Grundeigentümers abhängen. Durch das zitierte Bundesgerichtsurteil verschärfte sich in der Praxis die Problematik der Ablösung von Bauhandwerkerpfandrechten.

Im Entscheid 5A_323/2022 vom 27. Oktober 2022 hatte das Bundesgericht erneut die Möglichkeit, sich mit dem Thema der hinreichenden Sicherheit und seiner früheren Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die in der Lehre stark kritisiert worden ist, und Anlass für eine Gesetzesrevision gab (vgl. hiernach).

Die Vorinstanz des Bundesgerichts (Kantonsgericht Genf) hatte in ihrem Entscheid festgehalten, dass die von den Grundeigentümern geleistete Sicherheit im Umfang der Forderung des Unternehmers zuzüglich 5% Zins für eine Dauer von 10 Jahren den Anforderungen einer hinreichenden Sicherheit genüge und daher das provisorisch im Grundbuch eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht zu löschen sei und wich damit von der geltenden Rechtsprechung ab.

Das Bundesgericht stützte diesen Entscheid und hielt fest, dass er nicht willkürlich sei. Es erwog, dass in bestimmten Fällen eine laufende Gesetzesrevision bei der Auslegung einer Norm berücksichtigt werden kann. Dies ist jedoch nur denkbar, wenn die anwendbare Regelung nicht grundlegend geändert wird und es lediglich darum geht, die bestehende Rechtslage zu konkretisieren oder Lücken im anwendbaren Recht zu schliessen.

Aufgrund der anstehenden Gesetzesrevision (vgl. hiernach) dürfte die unterschiedliche Rechtsprechung für die Praxis aber ohnehin nicht mehr von grundlegender Bedeutung sein.

.

III. ALTERNATIVE HANDLUNGSMÖGLICHKEIT DES GRUNDEIGENTÜMERS

Das Handelsgericht Aargau hat in einem Entscheid vom 23. Februar 2023 (HSU.2022.41) festgehalten, dass für den Fall, dass der Unternehmer die von der sicherheitsleistenden Person angebotene Ersatzsicherheit anstelle des Bauhandwerkerpfandrechts akzeptiert, das Gericht nicht mehr zu überprüfen hat, ob die Sicherheitsleistung «hinreichend» im Sinne von Art. 839 Abs. 3 ZGB ist und entsprechend die Löschung des Bauhandwerkerpfandrechts anordnen kann. Somit besteht seitens Grundeigentümer die Möglichkeit, im Vorfeld einer Sicherheitsleistung, namentlich einer geplanten Hinterlegung das Einverständnis des Unternehmers einzuholen, dass die zu hinterlegende Summe eine hinreichende Sicherheit bietet und kann dadurch die Hürden der aktuellen Rechtsprechung umgehen. Praktisch gesehen, ist der Grundeigentümer auf diese Zustimmung angewiesen.

.

IV. GESETZESREVISION

Die Rechtsprechung des Bundesgerichts war Anlass für einen politischen Vorstoss Ende 2017 (Motion Burkhart 17.4079). Das Ziel war, Verzugszinse, die in den Sicherheiten nach Art. 839 Abs. 3 ZGB enthalten sind, auf zehn Jahre zu begrenzen.

Zwischenzeitlich wurde Art. 839 Abs. 3 ZGB (neu): «Sie (die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts) darf nur erfolgen, wenn die Pfandsumme vom Eigentümer anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist, und kann nicht verlangt werden, wenn der Eigentümer für die angemeldete Forderung zuzüglich Verzugszinse für die Dauer von zehn Jahren hinreichende Sicherheit leistet» von der Bundesversammlung angenommen. Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Die Änderung und damit im Gesetz niedergeschriebene Begrenzung verleiht der gesetzlichen Bestimmung wieder eine praktische Bedeutung. Der Umfang der Ersatzsicherheit kann wieder konkret beziffert werden. Im Sinne der Rechtssicherheit und der einheitlichen Rechtsanwendung ist dies zu begrüssen.


28. Februar 2024  / MLaw Kim Attenhofer


MISSBRÄUCHLICHE KÜNDIGUNG – NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID (4A_368/2023) BETREFFEND ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN VON ARBEITGEBERINNEN BEI VERDACHT AUF EIN STRAFBARES VERHALTEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Das Bundesgericht hatte sich in seinem Urteil 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 erneut mit der Frage der Missbräuchlichkeit einer ordentlichen Kündigung zu befassen. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitnehmer war seit dem 1. November 2010 bei der Arbeitgeberin (Bank) als Director angestellt. Im August 2018 meldete sich eine Mitarbeiterin bei der betriebsinternen Ombudsfrau wegen sexueller Belästigungen durch den Arbeitnehmer. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin eine interne Untersuchung ein. Im Rahmen dieser Untersuchung kam die Arbeitgeberin zum Schluss, dass die dem Arbeitnehmer unangemessenen Verhaltensweisen mit grosser Wahrscheinlichkeit stattgefunden hätten. Die Arbeitgeberin kündigte den Arbeitsvertrag deshalb am 23. Oktober 2018 ordentlich.

Der Arbeitnehmer erachtete die Art und Weise wie die Kündigung ausgesprochen wurde, als missbräuchlich, und forderte deshalb in der Folge von der Arbeitgeberin eine Entschädigung im Sinne von Art. 336a Abs. 1 OR. Nachdem das erstinstanzliche Gericht dem Arbeitnehmer keine Entschädigung zugesprochen hat, erachtete das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich, weshalb sie ihm eine Entschädigung zusprach. Die Arbeitgeberin erhob dagegen Beschwerde beim Bundesgericht.

.

.

.

.

I. GRUNDSÄTZLICHES ZUR MISSBRÄUCHLICHEN KÜNDIGUNG

Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann nach Art. 335 abs. 1 OR von jeder Vertragspartei unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist gekündigt werden. In der Schweiz gilt damit bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen das Prinzip der Kündigungsfreiheit (vgl. für Kündigungen öffentlicher-rechtlicher Arbeitsverhältnisse im Kanton Aargau den Newsletter vom 17.03.2023). Die Kündigungsfreiheit gilt jedoch nicht absolut und eine Kündigung kann auch als missbräuchlich qualifiziert werden. Wird eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert, hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer eine Entschädigung auszurichten (vgl. Art. 336a OR). Missbräuchlich ist eine Kündigung namentlich, wenn sie aus einem bestimmten, in Art. 336 OR umschriebenen, unzulässigen Grund ausgesprochen wird (z.B. wenn die Kündigung ausgesprochen wird, nachdem ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat, vgl. für weitere Gründe auch Art. 336 OR). Die Aufzählung in Art. 336 OR ist jedoch nicht abschliessend und das Bundesgericht hat in den letzten Jahren verschiedentlich weitere Tatbestände anerkannt, welche eine Kündigung als missbräuchlich erscheinen lassen (z.B. missbräuchliche Alterskündigungen oder Konfliktkündigungen). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann sich die Missbräuchlichkeit insbesondere auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht zur Kündigung ausübt. Auch wenn eine Kündigung rechtmässig erklärt wird, muss gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Gebot der schonenden Rechtsausübung beachtet werden. Die kündigende Partei darf namentlich kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht. Bei einem krass vertragswidrigen Verhalten, namentlich einer schweren Persönlichkeitsverletzung im Umfeld der Kündigung kann eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert werden. Ein bloss unanständiges Verhalten genügt jedoch nicht. Die Verletzung des Gebots der schonenden Rechtsausübung muss somit eine gewisse Schwere aufweisen.

.

II. ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN BEI VERDACHT AUF STRAFBAHRES VERHALTEN GEMÄSS ENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS

1. Feststellungen der Vorinstanzen

Wie bereits erwähnt, wurde gemäss vorliegend vom Bundesgericht zu beurteilenden Sachverhalt gegen den betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Vorwurfs sexueller Belästigungen eine interne Untersuchung eingeleitet.

Gemäss den Erwägungen der ersten Instanz sei die interne Untersuchung im Wesentlichen getreu den Richtlinien und Merkblättern der Arbeitgeberin erfolgt. Ein unabhängiges Team habe den Arbeitnehmer und weitere Personen befragt, die Ergebnisse in einem Untersuchungsbericht festgehalten und der internen Disziplinarstelle präsentiert. Es seien sowohl entlastende als auch belastende Aussagen berücksichtigt worden, wobei die Arbeitgeberin zum Schluss gekommen sei, dass die Vorwürfe mit grosser Wahrscheinlichkeit zutreffen würden. Dabei sei die Arbeitgeberin zu Recht von einem begründeten Verdacht ausgegangen, der die Weiterbeschäftigung als unzumutbar habe erscheinen lassen. Die Kündigung des Arbeitnehmers sei deshalb nicht als missbräuchlich zu qualifizieren.

Das Obergericht Zürich hielt hingegen fest, dass der Arbeitnehmer gemäss «Merkblatt sexuelle Belästigung» Anspruch auf Begleitung durch eine Vertrauensperson gehabt hätte. Vor seiner Anhörung am 20. September 2018 sei er aber nicht auf dieses Recht hingewiesen worden und vom Gespräch insgesamt überrumpelt worden. Es sei deshalb sein Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson verletzt worden. Zudem habe der Arbeitnehmer auch nicht erfahren, wann, er wen, wo und wie sexuell belästigt haben soll. Er habe sich insgesamt während des Gesprächs deshalb nicht wirksam verteidigen können. Dies hätte der Arbeitnehmer aber können müssen, da er einer Straftat beschuldigt worden sei und wie in einem Strafverfahren insbesondere das Anklageprinzip und der Anspruch auf rechtliches Gehör gelten würden. Das Obergericht des Kantons Zürich kam deshalb zum Schluss, dass die Kündigung des Arbeitnehmers als missbräuchlich zu qualifizieren sei.

2.Feststellungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte gestützt auf den zu beurteilenden Sachverhalt zunächst klar, dass die strafprozessualen Garantien keine direkte Wirkung auf interne Untersuchungen einer Arbeitgeberin hätten. Die Übernahme strafprozessualer Regeln ins Privatrecht verbiete sich bereits aufgrund der grundlegenden Unterschiede der Rechtsverhältnisse. Die Parteien eines Arbeitsvertrages würden nämlich freiwillig ein Dauerschuldverhältnis eingehen, wohingegen eine beschuldigte Person im Strafverfahren unabhängig von ihrem Willen der staatlichen Strafgewalt unterworfen werde.

Gestützt darauf erwog das Bundesgericht, dass es nicht zu beanstanden sei, dass der Arbeitnehmer erst zu Beginn des Gesprächs über dessen Zweck und Inhalt informiert worden sei. Weiter stellte das Bundesgericht fest, dass das Obergericht des Kantons Zürich der Arbeitgeberin zu Unrecht vorgeworfen habe, dass der Arbeitnehmer sich beim Gespräch im September nicht gemäss internem Merkblatt von einer Vertrauensperson habe begleiten lassen könne. Es würde sogar nach den strengen strafprozessualen Grundsätzen – welche vorliegend aber keine Anwendung finden – genügen, die beschuldigte Person erst zu Beginn der ersten Einvernahme auf ihr Recht zur Verteidigung hinzuweisen.

Auch der Vorwurf der Vorinstanz, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer nicht hinreichend über die Vorwürfe und die Identität der betroffenen Mitarbeiterin (bzw. Mitarbeitenden) aufgeklärt, erachtete das Bundesgericht gestützt darauf, dass die interne Untersuchung eines privaten Arbeitgebers nicht mit einer staatlichen Strafuntersuchung zu vergleichen sei, als unbegründet.

Abschliessend stellte das Bundesgericht fest, dass im Gegensatz zum Strafrecht, wo es keine “Verdachtsverurteilungen” gäbe, im Arbeitsrecht Verdachtskündigungen zulässig und nicht einmal dann missbräuchlich seien, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweise. Entsprechend müsse auch nicht die Arbeitgeberin beweisen, dass die Vorwürfe zutreffen würden. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Arbeitgeberin genügend umfangreiche Abklärungen getroffen habe. Die Kündigung sei damit weder leichtfertig noch ohne vernünftige Gründe ausgesprochen worden. Indem das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich qualifizierte, habe es Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde entsprechend gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Zürich aufgehoben und die Klage des Arbeitnehmers betreffend Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung abgewiesen.

III. FAZIT

Gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 kann somit zusammenfassend folgendes festgehalten werden:

  • Die strafprozessualen Regelungen gelten bei Verdacht auf strafbares Verhalten für interne Untersuchungen von Arbeitgeberinnen nicht;
  • Vor der ersten Konfrontation wegen eines Vorwurfs von strafbarem Verhalten muss der Arbeitnehmer nicht über den Gegenstand der Untersuchung informiert werden;
  • Eine Begleitung durch eine Vertrauensperson zum Gespräch muss nicht zwingend gewährleistet werden;
  • Dem beschuldigten Arbeitnehmer müssen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht im Detail bekannt gegeben werden. Insbesondere die Identität der betroffenen Person ist grundsätzlich vertraulich zu behandeln;  
  • Eine missbräuchliche Kündigung liegt in solchen Fällen in der Regel nur vor, wenn Arbeitgeberinnen leichtfertig oder ohne vernünftigen Grund Vorwürfe gegen Arbeitnehmer erheben.


16. Februar 2024 / MLaw Kim Wysshaar


VERTRAGSANPASSUNGEN UND ÄNDERUNGSKÜNDIGUNGEN – WAS GILT ES ZU BEACHTEN?

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin und MLaw Joshua Minder, Anwaltspraktikant

Arbeitgeberinnen passen ihre Arbeitsverträge und/oder Reglemente an neue Gegebenheiten oder gesetzliche Grundlagen regelmässig mit Wirkung auf den 1. Januar an. In diesem Zusammenhang müssen sich Arbeitgeberinnen mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei den geplanten Änderungen lediglich um Änderungen handelt, welche einseitig im Rahmen des Weisungsrechts umgesetzt werden können oder, ob es sich um wesentliche Vertragsänderungen handelt, welche die Zustimmung der Arbeitnehmer voraussetzen. Im Folgenden sollen die Voraussetzungen und Möglichkeiten für Vertragsänderungen deshalb kurz für Sie zusammengefasst werden.

..

.

.

I. VERÄNDERUNGEN WÄHREND DES ARBEITSVERHÄLTNISSES

Verändern sich die Umstände oder die Bedürfnisse, die einem Arbeitsverhältnis zugrunde liegen, besteht oftmals die Notwendigkeit, bereits bestehende Arbeitsverträge und/oder Reglemente anzupassen. Sind die Arbeitnehmer mit einer Anpassung ihrer Arbeitsverträge oder den geltenden Reglementen einverstanden, sind Änderungen grundsätzlich problemlos möglich. Oftmals sind die Arbeitnehmer mit den Anpassungen ihres Arbeitsvertrages und/oder der Reglemente im Unternehmen jedoch nicht gänzlich einverstanden, insbesondere, wenn sich die Vertragsbedingungen durch die Anpassungen verschlechtern. In diesen Fällen muss das Arbeitsverhältnis von der Arbeitgeberin einseitig angepasst werden.

.

II. WEISUNG ODER WESENTLICHE ÄNDERUNG

Bei einseitigen Anpassungen des Arbeitsverhältnisses bzw. der Vertragsbedingungen ist vorab in Erfahrung zu bringen, ob es sich dabei um wesentliche Änderungen des Arbeitsverhältnisses handelt, welche eine Vertragsänderung darstellen und die Zustimmung der Arbeitnehmer voraussetzen, oder um Änderungen, welche gestützt auf das gesetzlich verankerte Weisungsrecht der Arbeitgeberin einseitig angeordnet werden können.

Weisungen sind allgemeine oder individuelle Anordnungen, die die Ausführung der Arbeit und das Verhalten im Betrieb regeln. Das Weisungsrecht der Arbeitgeberin gemäss Art. 321d OR ist direkter Ausfluss des für den Arbeitsvertrag begriffsnotwendigen Unterordnungsverhältnisses zwischen der Arbeitgeberin und den Arbeitnehmern. Das Weisungsrecht der Arbeitgeberin ergibt sich sowohl direkt aus Art. 321d OR als auch indirekt aus der allgemeinen Treuepflicht der Arbeitnehmer nach Art. 321a OR.  Weisungen der Arbeitgeberin können sich sowohl an die Mehrheit der Arbeitnehmer (z.B. Rauchverbot im Betrieb) als auch direkt an einen einzelnen Arbeitnehmer richten (z.B. Weisung an einen Kurier, eine bestimmte Sendung auszuliefern) (vgl. hierzu ausführlicher auch den Newsletter vom 24.03.2021 «Das Weisungsrecht des Arbeitgebers – Wo liegen die Grenzen meines Weisungsrechts»).

Handelt es sich nicht mehr um Weisungen, sondern um wesentliche Anpassungen des Arbeitsverhältnisses, wie z.B. in den Bereichen Lohn, Arbeitszeiten, Überstunden, Kündigungsfristen etc., können diese ohne Zustimmung der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht umgesetzt werden. In Arbeitsverträgen findet man deshalb häufig Klauseln, welche der Arbeitgeberin ein Gestaltungsrecht einräumen, damit die Arbeitgeberin auch während des Arbeitsverhältnisses wesentliche Vertragsänderungen einseitig vornehmen kann. Solche Klauseln sind jedoch nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr verstossen unbeschränkte einseitige Änderungsklauseln betreffend wesentliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses gegen das gesetzliche Verbot der übermässigen Bindung (nach Art. 27 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 20 OR).

Werden die Änderungsvorbehalte zugunsten der Arbeitgeberin statt im Arbeitsvertrag in einem Personalreglement festgehalten, stellt sich die Frage nach deren Zulässigkeit. Wird einzig der Bereich erfasst, der ohnehin unter das Weisungsrecht fällt, sind solche Vorbehalte zweifellos zulässig, aber in praktischer Hinsicht auch redundant. Eine einseitige Änderung des Personalreglements wäre in diesem Fall auch keine Vertragsänderung und damit jederzeit zulässig. Viele Personalreglemente enthalten jedoch für alle Vertragsverhältnisse einheitlich geltende vertragliche Bestimmungen, z.B. das Verbot einer Nebenbeschäftigung neben der Haupterwerbstätigkeit. Auch wenn in solchen Personalreglementen Änderungsvorbehalte zulässig sein können, sind diese in aller Regel ungewöhnlich und müssen durch den Arbeitnehmer ausdrücklich akzeptiert werden.

.

III. DURCHSETZUNG VON VERTRAGSÄNDERUNGEN MITTELS ÄNDERUNGSKÜNDIGUNGEN

Fallen wesentliche Änderungen in den Bereich, in dem eine einseitige Vertragsanpassung unzulässig ist (z.B. bei einer Lohnanpassung), verbleibt der Arbeitgeberin bei fehlender Zustimmung der Arbeitnehmer einzig das Aussprechen einer Änderungskündigung. Eine Änderungskündigung ist eine ordentliche Kündigung unter Geltung der vertraglichen und gesetzlich verankerten Kündigungsregeln (insb. Kündigungsfrist, Verbot der missbräuchlichen Kündigung), die mit einer Offerte zur Vertragsänderung kombiniert wird. Die Kündigung kann erst nach Ablehnung der Offerte ausgesprochen werden oder, wenn die Kündigung in jedem Fall gelten soll, auch vor oder zusammen mit der unterbreiteten Offerte. Wird die neue Offerte angenommen, führt dies nicht zu einem neuen Arbeitsverhältnis (auch nicht bei vorsorglich ausgesprochener Kündigung), sondern stellt einzig eine Vertragsänderung dar.

In diesem Zusammenhang stellt sich für Arbeitgeberinnen regelmässig die Frage, welche Bedenkzeit den Arbeitnehmern eingeräumt werden soll und, wie lange die Arbeitgeberin an ihr eigenes Angebot gebunden ist. Im Gesetz nicht festgehalten ist, was als angemessene Bedenkzeit gilt. Es müssen somit stets die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. In der Regel empfiehlt sich aber, dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit von mindestens einer Woche einzuräumen.

Mit der Frage, wie lange die Arbeitgeberin an ihr neues Vertragsangebot gebunden ist, hat sich das Bundesgericht zuletzt im Juni 2023 befasst (Urteil des Bundesgerichts 8C_637/2022 vom 2. Juni 2023) und festgehalten, dass das Vertragsangebot für die Arbeitgeberin so lange verpflichtend sei, bis die eingeräumte Bedenkfrist abgelaufen ist. Wird die ursprünglich angesetzte Bedenkzeit nicht abgewartet und die Offerte vor deren Ablauf zurückgezogen, sei die Kündigung als missbräuchlich im Sinne von Art. 336a OR zu qualifizieren (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_637/2022 vom 2. Juni 2023, E. 7.4.).

Ganz allgemein sind Änderungskündigungen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zulässig, wenn die Arbeitgeberin dabei die gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften wie bei einer ordentlichen Kündigung einhält und wenn das Vorgehen nicht zur Durchsetzung von unbilligen, sprich unbegründeten, ungünstigen Änderungen der Lohn und Arbeitsbedingungen missbraucht wird (BGE 123 III 246 E. 3b). Es müssen somit zumindest betriebliche oder marktbedingte Gründe für das Aussprechen einer Änderungskündigung vorliegen, andernfalls sie als missbräuchlich zu qualifizieren ist. Klar missbräuchlich ist eine Änderungskündigung, wenn sie beispielsweise während der Schwangerschaft ausgesprochen wird, um mit der Anpassung des Vertrages den Lohn der Mutter an die möglicherweise zu erwartende Leistungsminderung anzupassen.

.

  

IV. FAZIT

Für Arbeitgeberinnen bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Arbeitsverträge ihrer Arbeitnehmer oder Reglemente mit oder ohne Zustimmung der Arbeitnehmer zu ändern. Ist die angestrebte Änderung vom gesetzlichen Weisungsrecht umfasst, ist die Anpassung in der Regel problemlos möglich. Soll jedoch einseitig eine wesentliche Vertragsänderung vorgenommen werden, besteht das Risiko, dass die Arbeitnehmer mit der Änderung nicht einverstanden sind und Änderungskündigungen ausgesprochen werden müssen. Anpassungen von Arbeitsverträgen und Reglementen sollten deshalb wohl überlegt sein und frühzeitig geplant werden. 

.

.



21. Dezember 2023 / MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin und MLaw Joshua Minder, Anwaltspraktikant


ALTRECHTLICHE ZAHLVATERSCHAFT UND (FEHLENDES) ERBRECHT DES ANERKANNTEN KINDES

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Vor dem 1. Januar 1978 in der Schweiz ausserehelich geborenen Kindern steht in der Regel  (nach derzeitiger Rechtspraxis) gegenüber dem leiblichen Vater kein gesetzlicher Erbanspruch zu, weil dieser ein rechtliches Kindesverhältnis voraussetzt. Dies gilt wegen der damaligen Rechtslage und allzu kurzen, oftmals nicht beachteten Übergangsfristen selbst dann, wenn das Kind vom leiblichen Vater anerkannt und für es Unterhalt bezahlt wurde: Die sogenannte «Zahlvaterschaft» begründet keinen gesetzlichen Erbanspruch. Es dürfte nach wie vor tausende von «Zahlkindern» geben, die – teilweise trotz enger Beziehung zum leiblichen Vater – aus Unkenntnis von dessen Erbschaft ausgeschlossen sind. Was tun?

.

.

.

.

.

I. RECHTSLAGE VOR DEM 1. JANUAR 1978

Das altrechtliche Schweizerische Abstammungsrecht kannte zwei Arten von Verhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserehelich geborenen Kind. Einerseits gab es in bestimmten Konstellationen und im Falle, dass das Kind vom leiblichen Vater ausdrücklich mit Standesfolge anerkannt (oder dies mittels entsprechendem Vaterschaftsfeststellungsurteil angeordnet) wurde, ein eigentliches rechtliches, auch den Erbanspruch begründendes Kindesverhältnis zum Vater. Andererseits – dies insbesondere für im Ehebruch gezeugte Kinder – sah die Rechtsordnung eine Anerkennung ohne Standesfolge vor, welche dem Kind zwar einen Anspruch auf Unterhaltsbeiträge gegen den leiblichen Vater verschaffte, aber kein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch keine Erbansprüche zwischen dem leiblichen Vater und seinem Kind begründete. Entsprechend erfolgte auch kein Eintrag des Kindes im Familienregister des sogenannten blossen «Zahlvaters».

.

.

II. NEUE RECHTSLAGE UND ÜBERGANGSRECHT

Mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtsrevision am 01.01.1978 verschwand das Institut der Zahlvaterschaft aus der Schweizerischen Rechtsordnung. Neu wurden mit jeder festgestellten oder anerkannten Vaterschaft ein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch ein Erbanspruch begründet. Für die unter altem Recht und somit vor dem 31.12.1977 geborenen und unter die Anerkennung der Vaterschaft ohne Standesfolge fallenden Kinder wurde mit Art. 13a SchlT ZGB ein leider eng beschränkter Anspruch geschaffen, die Zahlvaterschaft in eine volle Vaterschaft (mit Standes- und Erbfolge) umzuwandeln. Nur Kinder die per 01.01.1978 noch nicht 10 Jahre alt waren und nur solche, welche innert 2 Jahren (das heisst bis 31.12.1979) auf Feststellung des Kindesverhältnisses klagten, konnten eine solche Umwandlung der bisherigen reinen Zahlvaterschaft und ihre Eintragung als Kind im Familienregister des Vaters erzwingen. Wer früher geboren wurde oder diese Klagefrist verwirkte, steht noch heute unter der reinen Zahlvaterschaft und hat keinen Erbanspruch gegenüber seinem leiblichen Vater; dies selbst dann, wenn die Anerkennung der Vaterschaft (und die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) seinerzeit in einer amtlichen Urkunde festgestellt wurden.

.

.

III. KEINE ERBBERECHTIGUNG BEI REINER ZAHLVATERSCHAFT

Wie hiervor bereits ausgeführt, hat das ohne Standesfolge anerkannte Kind keinen gesetzlichen Erbanspruch, was oftmals weder ihm noch dem leiblichen Vater bewusst und keinesfalls auch immer so gewollt ist. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, in welchem Vater und Kind – allenfalls nach einer Übergangsphase – eine enge familiäre Beziehung gelebt und gerade deswegen bzw. im Vertrauen auf die seinerzeit erfolgte Anerkennung (oder aus Unkenntnis) auf rechtliche Abklärungen oder gar gerichtliche Schritte verzichtet haben. Umso mehr, als das Bundesgericht die 2-jährige Klagefrist gemäss Art. 13a SchlT ZGB konstant als verbindlich qualifizierte und auch die Frist  für die allgemeine Klage auf Feststellung eines Kindesverhältnisses gemäss Art. 263 Abs. 1 und 263 Abs. 3 ZGB restriktiv anwendet – dies gerade in Streitfällen um eine allfällige Erbberechtigung – stellt sich die Frage, ob das «Zahlkind» und/oder der «Zahlvater» die unerfreuliche Tatsache einer fehlenden Erbberechtigung trotz biologischer Vaterschaft hinzunehmen haben und eine derart strenge Praxis nicht gegen Art. 8 EMRK verstösst?

.

.

IV. BEGRÜNDUNG DER ERBBERECHTIGUNG DURCH EINE ANERKENNUNG VON TODES WEGEN

Gemäss Art. 260 Abs. 3 ZGB entsteht das rechtliche Kindesverhältnis zum Vater auch dann, wenn dieser seine Vaterschaft durch letztwillige Verfügung (Testament) anerkennt. Vorausgesetzt ist allerdings, dass diese Anerkennung im Testament ausdrücklich gewollt und unmissverständlich ist. Eine solche Anerkennung von Todes wegen begründet auch für frühere «Zahlkinder» ein rechtliches Kindesverhältnis und damit den Anspruch auf Eintragung im Familienregister des Erblassers und – insbesondere – auf einen gesetzlichen (pflichtteilsgeschützten) Erbanspruch.

Dieses letztwillig begründete «echte» Kindesverhältnis hat zur Folge, dass der Erbanfall steuerfrei bleibt. Anders ist die Rechtslage dann, wenn der leibliche Vater letztwillig keine rechtliche Anerkennung vornimmt, sondern sein leibliches aber von Gesetzes wegen nicht erbberechtigtes «Zahlkind» (siehe oben) im Rahmen der Dispositionsfreiheit letztwillig begünstigt, das heisst als Erbe einsetzt oder ihm ein Vermächtnis ausrichtet. Je nach verfügbarer Quote kann dies zwar einen gleich hohen Anspruch des «Zahlkindes» am Nachlass zur Folge haben, welcher aber der (in der Regel hohen) Erbschaftsteuer unterliegt, weil das nicht anerkannte Kind steuerrechtlich wie eine Drittperson zu qualifizieren ist.

.

V. ANFECHTUNG DER FEHLENDEN ERBBERECHTIGUNG DURCH DAS «ZAHLKIND»

Für ein ohne Standesfolge anerkanntes Kind, welches vor 1968 geboren wurde oder die 2-jährige Klagefrist nach Art. 13a SchlT  ZGB verpasst hatte, war nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts der Versuch, doch noch ein rechtliches Kindesverhältnis und damit eine Erbberichtigung herbeizuführen, chancenlos. Im Entscheid BGE 5A_423/2016 vom 7. März 2017 begründete das Bundesgericht die Abweisung einer Feststellungsklage des altrechtlich geborenen Kindes allerdings nicht mehr mit dem Verweis auf den fehlenden Anspruch bzw. die verpasste Frist nach Art. 13a SchlT ZGB, sondern mit einer unverändert engen Auslegung von Art. 263 Abs. 3 ZGB, weshalb im konkreten Fall die Zulässigkeit der Klage (einer 1964 geborenen Frau) auf Feststellung der Vaterschaft dennoch verneint wurde. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wurde vom EGMR abgewiesen, obwohl das Recht auf Begründung eines rechtlichen Kindesverhältnisses zum leiblichen Vater anerkanntermassen unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht.

Sollte das Bundesgericht auch zukünftig in Fällen altrechtlich ohne Standesfolge anerkannter Kinder Art. 263 Abs. 3 ZGB als grundsätzlich anwendbar betrachten, so besteht unter dem Schutz von Art. 8 EMRK und dessen zeitgemässer Auslegung für das Kind allenfalls in denjenigen Fällen eine Chance auf nachträgliche Feststellung des rechtlichen Kindesverhältnisses und damit der Erbberichtigung, in welchen das Zuwarten mit Abklärungen oder einer früheren Vaterschaftsklage entschuldbar ist: Dies namentlich also in Fällen, in denen das Kind erst mit dem Tod seines leiblichen Vaters von dessen Vaterschaft erfährt oder es ihm aus anderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen weder möglich noch zumutbar war, das rechtliche Vaterschaftsverhältnis früher klären zu lassen.

.

VI. FAZIT

«Zahlväter» und vor dem 01.01.1978 geborene, ohne Standesfolge anerkannte Kinder, welche einen (steuerbefreiten) gesetzlichen Erbanspruch auch dieses «Zahlkindes» begründen wollen, müssen rechtzeitig Vorkehrungen (Anerkennung mittels Testament) treffen, was eine umfassende Klärung und Beratung durch Fachpersonen beinhaltet. Im Nachhinein, d. h. erst nach dem Tod des leiblichen Vaters, auf Feststellung der Vaterschaft und eine Erbberichtigung zu klagen, ist trotz des Obigen unverändert riskant und gegebenenfalls kostspielig.

.


21. September 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht


DATENSCHUTZ IM ARBEITSVERHÄLTNIS – WORAUF ALS ARBEITGEBER/IN ZU ACHTEN IST

MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

.

.

.

.

Am 1. September 2023 tritt das revidierte Datenschutzgesetz sowie die dazugehörige Verordnung in Kraft. Damit verbunden sind insbesondere auch weitergehende Pflichten der Arbeitgeberinnen und neue Rechte für Mitarbeitende. Der aktuelle Newsletter behandelt daher insbesondere die Anforderungen, welche an die Arbeitgeberinnen als Datenbearbeiterinnen gestellt werden, und welche Daten in welchen Fällen bearbeitet werden dürfen.

.

.

.

I. ÜBERBLICK

In jedem Arbeitsverhältnis werden personenbezogene Daten der Mitarbeitenden bearbeitet. Dies beginnt in der Regel beim Bewerbungsprozess, indem die eingehenden Bewerbungsunterlagen abgespeichert werden. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses werden die Personendaten der Mitarbeitenden im Rahmen der allgemeinen Personaladministration und der Lohnbuchhaltung verwendet und stetig aktualisiert. Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden die Daten der ausgetretenen Mitarbeitendenin der Regel nicht gleich gelöscht, sondern noch für eine gewisse Dauer aufbewahrt. Dabei handelt es sich stets um Datenbearbeitungen, die dem Schweizer Obligationenrecht und dem Datenschutzgesetz unterstehen.

Art. 328b OR bestimmt, dass die Arbeitgeberin Daten über Mitarbeitende nur bearbeiten darf, soweit sie deren Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder für die Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind. Gestützt auf das Datenschutzgesetz kann aber auch eine weitergehende Datenbearbeitung zulässig sein, wenn die betroffenen Mitarbeitenden explizit einwilligen oder die Arbeitgeberin oder ein Dritter ein überwiegendes Interesse daran hat (vgl. BGer 4A_5118/2020).

Dies vorangestellt, wird nachfolgend auf einzelne Arbeitgeberpflichten im Zusammenhang mit der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung eingegangen.

.

II. INFORMATIONSPFLICHTEN

Sobald planmässig Personendaten bearbeitet werden, müssen die hiervon betroffenen Personen in der Regel vorgängig informiert werden – dies betrifft insbesondere auch Personendaten der eigenen Mitarbeitenden und Bewerbenden. Im Arbeitsverhältnis erfolgen diese Informationen in der Regel über ein Mitarbeiterreglement oder über eine interne Mitarbeiterinformation, welche den nachfolgenden Mindestinhalt aufweisen sollten:

  • Wer ist für die Datenbearbeitung verantwortlich (inkl. Kontaktdaten)?
  • Welche Daten werden erhoben?
  • Weshalb werden diese Daten erhoben (Bearbeitungszweck)?
  • Wem werden die erhobenen Daten weitergegeben?
  • In welche Staaten können die Daten weitergegeben werden (Auslandsbekanntgabe) und gestützt auf welche rechtliche Grundlage?

Eine Ausnahme der Informationspflicht besteht hingegen dort, wo die Datenbeschaffung gesetzlich vorgeschrieben ist. Gerade im Arbeitsverhältnis bestehen diverse gesetzliche Pflichten, die die Bearbeitung von Personendaten von Mitarbeitenden erfordern (zu denken ist bspw. an Meldepflichten im Zusammenhang mit Sozialversicherungen und der beruflichen Vorsorge, aber auch die Pflicht zur Ausstellung eines Arbeitszeugnisses bringt die Notwendigkeit mit sich, die Leistungen der Mitarbeitenden zu erfassen). Vor diesem Hintergrund besteht für Personendaten, die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten zwingend in einem Personaldossier geführt werden müssen, aller Voraussicht nach keine gesetzliche Informationspflicht. Da die Qualifikation als «notwendige Daten» aber unter Umständen schwierig sein kann, empfiehlt sich dennoch eine proaktive Information durch die Arbeitgeberin. Denn wird in Verletzung der Informationspflicht nicht transparent über die Datenbearbeitung informiert, kann eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeitenden oder Bewerbenden vorliegen. Die vorsätzliche Verletzung der Informationspflicht kann zudem mit Busse bis zu CHF 250’000.00 belegt werden.

.

III. BEARBEITUNGSVERZEICHNIS

Für Unternehmen, die mind. 250 Mitarbeitende beschäftigen oder Daten bearbeiten, die ein hohes Risiko in sich bergen (bspw. umfassende Bearbeitung besonders schützenswerter Daten[1]/Hochrisiko-Profiling[2]), ist das Führen eines Datenbearbeitungsverzeichnisses Pflicht. Es soll der Nachvollziehbarkeit und Überprüfung sämtlicher Datenbearbeitungstätigkeiten dienen. Der Mindestinhalt wird durch Art. 12 revDSG festgelegt:

  • Identität des Verantwortlichen
  • Bearbeitungszweck
  • Kategorien von betroffenen Personen und der bearbeiteten Personendaten
  • Aufbewahrungsdauer (hierzu nachfolgend)
  • Beschreibung der Massnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit
  • Empfängerstaaten, falls die Personendaten ins Ausland gehen, sowie Garantien zum Datenschutzniveau der betroffenen Empfängerstaaten

Unternehmen, die weniger als 250 Beschäftigte haben und keine riskanten Datenbearbeitungen vornehmen, sind von dieser Pflicht hingegen ausgenommen.

.

IV. AUFBEWAHRUNGSDAUER

Das Datenschutzgesetz sieht keine maximale Aufbewahrungsdauer vor, sondern bestimmt lediglich, dass Personendaten grundsätzlich nur so lange bearbeitet und aufbewahrt werden dürfen, als dies für den Bearbeitungszweck notwendig, gerechtfertigt und verhältnismässig ist. Anschliessend müssen die Daten entweder anonymisiert oder gelöscht werden. Eine pauschale Aussage, wonach sämtliche Personendaten erst nach einer gewissen Anzahl Jahre gelöscht werden müssten, ist folglich nicht möglich. Vielmehr bedarf es einer Einzelfallbeurteilung, wobei insbesondere gesetzliche Aufbewahrungspflichten und Verjährungsfristen berücksichtigt werden sollten. Allgemein festgehalten werden kann jedoch, dass eine Aufbewahrungsdauer von über 10 Jahren kaum zu rechtfertigen sein wird. Unterlagen von zurückgewiesenen Bewerbenden sind dahingegen unmittelbar zu retournieren oder zu löschen, sofern der Bewerber/die Bewerberin nicht explizit in eine längere Aufbewahrungsdauer eingewilligt hat (bspw. für potentielle andere in Zukunft entstehende Vakanzen).

.

V. AUSKUNFTSRECHT

Während des laufenden Arbeitsverhältnisses hat jeder Mitarbeitende das Recht auf Auskunft über die eigenen Daten und insbesondere auf Einsicht in sein eigenes Personaldossier. Die Auskunft hat grundsätzlich kostenlos innert 30 Tagen zu erfolgen. Dabei zu beachten gilt, dass die Erteilung einer falschen oder unvollständigen Auskunft unter Strafandrohung steht (bei Vorsatz ebenfalls Busse bis zu CHF 250’000.00). Es sollte deshalb nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Auskunft vollständig ist, geschweige denn eine Vollständigkeitserklärung abgegeben werden.

Das Auskunftsrecht gilt hingegen nicht absolut. Sprechen überwiegende Interessen Dritter oder eigene überwiegende Interessen (insbesondere Geschäftsgeheimnisse) dagegen, kann die Auskunft verweigert werden. Gleiches gilt, wenn das Auskunftsbegehren offensichtlich unbegründet oder querulatorisch ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gesuch einen datenschutzwidrigen Zweck verfolgt.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf das Auskunftsgesuch grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberin Dritten gegenüber nur Auskünfte erteilen darf, wenn der betroffene Mitarbeitende hiermit einverstanden ist. Ansonsten ist die Arbeitgeberin nicht dazu befugt, Auskunft über das Arbeitsverhältnis zu erteilen.

.

VI. BERICHTIGUNGSRECHT

Die Arbeitgeberin darf über die Mitarbeitenden nur richtige Daten bearbeiten. Stellen Mitarbeitende fest, dass über sie falsche Daten erfasst wurden, haben sie ein Recht auf Berichtigung. Keiner Korrektur zugänglich sind allerdings rein subjektive Wertungen, da diese schlichtweg nicht auf deren Richtigkeit überprüft werden können. Ist nicht klar, ob die erfassten Daten nun korrekt sind oder nicht, so ist zumindest ein entsprechender Vermerk anzubringen.

.

VII. PROFILING – AUTOMATISIERTE EINZELENTSCHEIDE

Besondere Vorschriften gelten sodann, wenn gestützt auf erstellte Persönlichkeitsprofile automatisierte Einzelentscheide getroffen werden. Führt ein so getroffener Entscheid für die betroffene Person zu einer Rechtsfolge oder wird sie dadurch erheblich beeinträchtigt, muss sie vorgängig darüber informiert werden. Gleichzeitig hat die betroffene Person ein Recht auf Stellungnahme und sie kann verlangen, dass der Entscheid von einer natürlichen Person überprüft wird (sog. Widerspruchsrecht). Klassisches Beispiel hierfür ist der Einsatz von Recruiting-Software, die eine Entscheidung vollautomatisiert auf der Basis einer durch Profiling erstellten Bewertung trifft.

Die vorgenannten Voraussetzungen gelten allerdings nicht, wenn die betroffene Person vorgängig explizit eingewilligt hat oder der Entscheid im Sinne der betroffenen Person ausgefallen ist.

.

VIII. KONTROLLEN UND ÜBERWACHUNGEN AM ARBEITSPLATZ

Grundsätzlich ist die systematische Überwachung von Mitarbeitenden unzulässig (Art. 26 ArGV 3), da sie einen zu starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden darstellt. Werden im Betrieb dennoch Überwachungs- und Kontrollmassnahmen eingeführt, so bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes (bspw. Sicherheitsgründe oder Leistungserfassung der Mitarbeitenden), wobei die ergriffenen Massnahmen auch in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen müssen. Die Mitarbeitenden sind vorgängig zu informieren. Werden Kontrollmassnahmen eingeführt, so sollten diese (verbunden mit der von der Arbeitgeberin erlassen Weisung) in einem Reglement festgehalten werden. Klassisches Beispiel wäre der Erlass eines IT-Reglements, welches insbesondere die Leitplanken für die Nutzung von Internet und E-Mail sowie die diesbezüglichen Kontrollrechte der Arbeitgeberin festlegt.

.

IX. PUBLIKATION VON FOTOS

Sollen Fotos von Mitarbeitenden publiziert werden – sei es im Intranet oder im Internet –, so bedarf es der expliziten vorgängigen Einwilligung der betroffenen Mitarbeitenden (Recht am eigenen Bild). Dies gilt auch für Fotos, die bei Veranstaltungen wie Apéros oder Betriebsausflügen gemacht werden. Aus der entsprechenden Einwilligung sollten Art (Foto/Video/Tonaufnahmen etc.), Umfang (bspw. firmeneigene Website/Zeitschriften-Kolumne) und Zweck (bspw. zu Werbezwecken / Öffentlichkeitsarbeit) der Verwendung klar hervorgehen.

.

X. BERUFSGEHEIMNIS

Abschliessend ist auf das mit der Datenschutzrevision neu einzuführende «kleine Berufsgeheimnis» hinzuweisen: Demnach müssen geheime Personendaten, die Mitarbeitende im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Rahmen ihrer Ausbildung anvertraut wurden, geheim gehalten werden (bspw. eine Kundin klärt den Coiffeur über ihre noch geheime Schwangerschaft auf, weil sie nicht jedes Haarfärbemittel verträgt). Wer vorsätzlich gegen das «kleine Berufsgeheimnis» verstösst, kann mit Busse bis zu CHF 250’000.00 bestraft werden. Es empfiehlt sich dringend, die Mitarbeitenden entsprechend für dieses Thema zu sensibilisieren.

.

.


[1] Als besonders schützenswerte Personendaten gelten Informationen zu religiösen, weltanschaulichen, politischen, gewerkschaftlichen Ansichten oder Tätigkeiten, Angaben zur Ethnie, Gesundheit, Intimsphäre oder Rassenzugehörigkeit, Massnahmen der sozialen Hilfe, administrative oder strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen sowie genetische und biometrische Daten.

[2] Ein hohes Risiko liegt vor, wenn die Persönlichkeit / die Grundrechte der betroffenen Person besonders gefährdet sind, indem das Profiling zu einer Verknüpfung von Daten führt, die eine Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit einer Person erlaubt.

.


15. August 2023 / MLaw Simone Kessler und MLaw Kim Wysshaar


REVISION DES SCHWEIZER DATENSCHUTZGESETZES – EIN ÜBERBLICK FÜR KMU

MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin

Am 1. September 2023 tritt das revidierte Datenschutzgesetz in Kraft. Worauf KMU im Wesentlichen achten müssen, wird im beiliegenden Merkblatt kurz und kompakt zusammengefasst – einsehbar unter folgendem: Link


2. August 2023 / MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin


UNTERSTELLUNG STRATEGISCHER INFRASTRUKTUREN DER ENERGIEWIRTSCHAFT UNTER DIE LEX KOLLER – IST DIES DER RICHTIGE WEG ?

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

x

I. AUSGANGSLAGE

Durch eine parlamentarische Initiative, eingereicht am 16.12.2016 durch Nationalrätin Jacqueline Badran, ist gewaltig Bewegung in die im Titel aufgeworfene Frage gekommen, wobei die Bewegungen immer kräftiger wurden und schlussendlich dazu führten, dass nach Annahme der parlamentarischen Initiative durch Nationalrat und Ständerat im Jahr 2018 die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) am 13. Oktober 2021 einen Vorentwurf zur Änderung der Lex Koller verabschiedete und am 3. November 2021 in die Vernehmlassung gab. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 3. November 2021 bis zum 17. Februar 2022, wurde von verschiedensten Personen, Organisationen, Unternehmen, Parteien etc. wahrgenommen, und schlussendlich gingen 91 Stellungnahmen ein, die inhaltlich sehr unterschiedlich waren. Die Inhalte, Kritiken und Forderungen der verschiedenen Vernehmlassungen erstreckten sich von totaler Zustimmung bis zu totaler Ablehnung, wobei zudem festgestellt werden konnte, dass viele Vernehmlassungsteilnehmer zwar durchaus eine Regelung der Behandlung von strategischen Infrastrukturen (allgemeinen und nicht nur derjenigen der Energiewirtschaft) begrüssten und als richtig empfanden, wobei dies allerdings nicht im Rahmen einer Änderung der Lex Koller geschehen sollte, sondern in einem eigenständigen Rechtserlass. Die Mehrheit des Nationalrates wollte von den Kritiken und Ablehnungen verschiedenster Seiten nichts wissen, sondern trat auf den Entwurf ein und verabschiedete ihn mit 120 gegen 72 Stimmen relativ klar. Dabei wurde vom Nationalrat der Vorentwurf der Kommission unverändert übernommen. Dies heisst, dass gemäß Meinung des Nationalrates die bisherige Lex Koller («Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland, BewG») wesentlich und durch Aufnahme verschiedenster Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Erwerb strategischer Infrastrukturen der Energiewirtschaft geändert werden soll und schlussendlich auch einen neuen Namen bekommen würde, nämlich «Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken und strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft durch Personen im Ausland (EGIAG)».

Art. 1 dieses neuen EGIAG würde heissen:

«Dieses Gesetz beschränkt den Erwerb durch Personen im Ausland:

a. von Grundstücken, um die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern;

b.    von strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft, um die Schweizer Volkswirtschaft zu schützen und die Energieversorgung in der Schweiz sicherzustellen.»

Der relativ klare (vielleicht für gewisse Personen überraschende) Entscheid im Nationalrat kam insbesondere auch dadurch zustande, dass eine (manche sagen «unheilige») Allianz zwischen SP, SVP und Grünen zustande kam und zu diesem Ergebnis führte.

Zu bemerken ist auch, dass sich der Bundesrat gegen dieses Vorgehen ausgesprochen hatte. Mit Spannung darf man erwarten, wie sich der Ständerat zu diesen Fragen stellt.

.

II. DISKUSSION DER PROBLEMATIK

Ich habe in einem Artikel vom 29. Oktober 2019 (aufgeschaltet auf der Webseite www.geissmannlegal.ch) bereits zu dieser Thematik Stellung genommen, dies im Zusammenhang mit einem möglichen Verkauf von AXPO, wo ich die Frage stellte, ob dies ein Fall für die Lex Koller wäre. Meine Antwort war damals klar: Falls man zum Schluss gelangt, dass es richtig bzw. notwendig ist, strategische Infrastrukturanlagen im Sinne einer Versorgungssicherheit zu schützen bzw. insbesondere auch die Veräußerung an Ausländer zu verbieten bzw. zumindest zu kontrollieren, zu beschränken bzw. einem Bewilligungsverfahren zu unterstellen, so hat dies in einem eigenständigen Rechtserlass zu geschehen, aber ganz sicher nicht im Rahmen einer Änderung der Lex Koller. Und diese Ansicht vertrete ich nach wie vor bzw. eher noch mehr als damals. Es gibt dafür mehrere Gründe:

Das BewG hat eine jahrzehntelange kontinuierliche Geschichte – dies äussert sich schon darin, dass die jeweils zuständigen Bundesräte (Celio, von Moos, Furgler, Friedrich, Koller) gleich auch den entsprechenden Rechtserlassen (durchaus volkstümlich) je ihren Namen gaben. Diese Erlasse (Bundesbeschlüsse und Bundesgesetze) wurden mehrere Male revidiert und den neuen Bedürfnissen bzw. politischen Zielen angepasst. Insbesondere die Fassungen des BewG vom 16. Dezember 1983 (Lex Friedrich) und vom 30. April 1997 (Lex Koller) sind derart beschaffen, dass trotz gewisser Änderungen diese Gesetze in den letzten 40 Jahren immer noch in den wichtigsten Grundzügen und Regelungen erkennbar geblieben sind. Es hat sich in diesen Jahrzehnten auch eine recht konstante Praxis gebildet, und auch die umfassende Rechtsprechung ist in sich weitgehend widerspruchslos und einheitlich geblieben. Dies zeigt sich z. B. auch darin, dass heute Bundesgerichtsentscheide, die 40 Jahre oder sogar wesentlich älter sind und sich noch auf Vorgängererlasse beziehen, immer noch anwendbar sind. Wenn etwa in der parlamentarischen Diskussionen zur hier thematisierten Frage die Meinung geäussert wurde, dass das BewG heute ein «Flickwerk» sei, kann dem nicht zugestimmt werden.

Das Ziel der entsprechenden Erlasse betreffend Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland war immer das gleiche und wurde immer im gleichen Zweckartikel formuliert, dass nämlich der Erlass den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland beschränkte, um die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern. Dies war während Jahrzehnten der einzige Zweck des Gesetzes, und nur um diesen ging es. Der neue Zweckartikel des Vorentwurfs zeigt deutlich, dass nunmehr zwei völlig unterschiedliche Zwecke verfolgt werden sollen. Und der neue Titel: «Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken und strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft durch Personen im Ausland EGIAG» macht endgültig klar, um was es neu gehen würde.

Es sind zwei völlig unterschiedliche Zwecke, die hier in einem Gesetz verfolgt werden sollen, was nicht gut gehen kann. Dies sieht man insbesondere auch daran, dass alle Artikel im Entwurf, welche sich zum Thema «strategische Infrastrukturen» äussern, völlig eigenständig und losgelöst sind und keinen Bezug zu den bisherigen Bestimmungen haben, die sich eben nur zum Grundstückerwerb äussern. Die beiden «zwangsverheirateten» Themen sind absolut nicht vereinbar und haben (thematisch) nichts miteinander zu tun. Zwei Bereiche, die sich völlig fremd sind, sollen in einem einheitlichen Gesetz geregelt werden. Dass dies nicht funktionieren kann, sieht man auch daran, dass im Entwurf bezüglich Behörden und Verfahren beim Erwerb von strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft ein vollständig neues Kapitel eingeführt werden musste, weil die im bisherigen BewG vorhandenen Verfahren und Behördenstrukturen nicht auf das Thema der Infrastrukturkontrolle übertragen werden können. Berücksichtigt man zudem, welche Behörden schlussendlich zuständig sind, wird absolut klar: Währenddem für die bisherige Thematik des Grundstückerwerbs eine austarierte Behörden- und Verfahrensordnung mit den in der Schweiz bekannten und geläufigen Behörden und Abläufen vorhanden ist, gibt es im Rahmen der Thematik «Infrastrukturen» praktisch nur noch eine Instanz: den Bundesrat – gegen dessen Entscheide zudem kein Rechtsmittel existiert. Schon dies lässt mehr als aufhorchen.

Zum Thema des Schutzes inländischer strategischer Infrastrukturen gegen unerwünschte Übernahmen durch ausländische Investoren gibt es nicht nichts, sondern es existiert bereits ein Vorentwurf mit dem Titel «Bundesgesetz über die Prüfung ausländischer Investitionen (Investitionsprüfgesetz, IPG)». In diesem Vorentwurf wird in einem eigenständigen Rechtserlass die gesamte Thematik des Schutzes inländischer strategischer Infrastrukturen geregelt.

In diesem Vorentwurf zu einem Investitionsprüfgesetz geht es gemäss Zweckartikel darum, Übernahmen inländischer Unternehmen durch ausländische Investoren zu verhindern, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden oder bedrohen. Der Zweckartikel ist relativ weit formuliert, und es geht nicht nur um den Schutz strategischer Infrastrukturen der Energiewirtschaft und um die Sicherstellung der Energieversorgung in der Schweiz, sondern um viel mehr. Dies ergibt sich auch aus der Aufzählung in Artikel 4 des Vorentwurfs, wo die heiklen Bereiche aufgezählt werden, die bei Übernahme durch ausländische Investoren die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Schweiz gefährden oder bedrohen könnten: Man findet die Begriffe Rüstungsgüter, Übertragungsnetze für Elektrizität, Kraftwerke zur Elektrizitätsproduktion, Erdgas-Hochdruckleitungen, Wasserversorgung, IT-Systeme, Universitätsspitäler, Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Impfstoffen, spezielle Unternehmen für den Transport von Gütern und Personen, Eisenbahninfrastrukturen, Lebensmittel-Verteilzentren, Telekommunikationsnetze, bedeutsame Finanzmarktinfrastrukturen, systemrelevante Banken. Die Genehmigungskriterien für eine Bewilligung zum Verkauf an Ausländer werden definiert, und es wird ein relativ aufwendiges Genehmigungsverfahren skizziert, wobei diverse Behörden in den Genehmigungsprozess eingebunden sind. Wenn man der Meinung ist, dass es notwendig ist, dieses Gebiet der verschiedensten strategischen Infrastrukturen zu regeln, dann ist nicht verständlich und nicht nachvollziehbar, warum jetzt nicht mit den Arbeiten am Investitionsprüfgesetz weitergefahren wird (wobei zuzugeben ist, dass es sich hier um eine Materie handelt, deren gesetzliche Regelung ausserordentlich schwierig sein dürfte), und warum stattdessen ein Bereich (strategische Infrastrukturen der Energiewirtschaft) herausgepflückt und in die Lex Koller transferiert werden soll – in ein Gesetz, das ganz andere Ziele verfolgt als den Schutz der Volkswirtschaft und die Sicherstellung der Energieversorgung.

.

III. ES BLEIBEN FRAGEN OFFEN

Was der Grund dafür ist, dass der Nationalrat offenbar der Meinung ist, dass aus dem ganzen Gebiet der strategischen Infrastrukturen jetzt nur diejenigen der Energiewirtschaft im Rahmen der Lex Koller gesetzlich geregelt werden sollen, erschließt sich für mich nicht ganz. Und dass und warum es völlig falsch ist, diese Thematik im BewG zu regeln, habe ich ausgeführt. Mag sein, dass die Energie (gerade heute) verglichen mit anderen Infrastrukturen absolut prioritär ist bzw. am meisten unter den Nägeln brennt, weshalb jetzt eine «mutige Tat» folgen soll, was insbesondere auch in Wahljahren Stimmen bringen könnte. Vielleicht sind Aussagen in gewissen Vernehmlassungen zum Vorentwurf betreffend Änderung der Lex Koller, dass nämlich ein Vorteil dieses Vorgehens darin bestehen könnte, dass es einfacher sei und vor allem schneller gehe, wenn man ein bestehendes Gesetz ändern würde statt ein neues Gesetz auszuarbeiten und in Kraft zu setzen, gar nicht so abwegig.

Vielleicht geht es aber auch um etwas ganz anderes: Bekanntlich hat Nationalrätin Badran als Autorin dieser parlamentarischen Initiative schon früher die klare Forderung aufgestellt, man müsse die Lex Koller in dem Punkt rückgängig machen bzw. revidieren, dass der Erwerb von Betriebsstättengrundstücken nicht mehr von der Bewilligungspflicht ausgenommen werde, sondern dass wieder ein Bewilligungsverfahren eingeführt werden müsste. Wenn man dieses Ziel verfolgt, dann würde ein kluger Schachzug darin bestehen, jetzt zumindest einmal die Energieinfrastrukturen in die Lex Koller einzupflanzen, womit man es geschafft hätte, zumindest einmal eine Gruppe von Betriebsstätten in der Lex Koller der Bewilligungspflicht zu unterstellen. Der zweite und viel wichtigere Schritt, nämlich sämtliche Betriebsstättengrundstücke wieder der Bewilligungspflicht zu unterstellen, wäre dann wohl (so dürfte wohl die Spekulation sein) viel einfacher zu tun.

.

IV. FAZIT

Wenn der Schutz strategischer Infrastrukturen der Schweiz tatsächlich ein Thema ist, das gesetzlich geregelt werden soll, dann verdient es diese komplizierte und schwierige Materie auch, dass ein Rechtserlass mit der Sorgfalt ausgearbeitet wird, die sie verdient. Und für diesen Fall braucht es einen separaten und von der Lex Koller getrennten neuen Rechtserlass. Die Lex Koller andererseits verdient es auch nicht, dass ihr plötzlich ein zusätzlicher fremder Zweck eingepflanzt wird und dieses Gesetz dafür herhalten muss, auf die Schnelle eine ganz andere Thematik zu regeln. Solches Vorgehen führt zu Pfusch – es ist zu hoffen, dass der Ständerat hier Einhalt gebietet.


3. Juli 2023 / Hanspeter Geissmann


DER LIZENZVERTRAG (TEIL 4) – STOLPERSTEINE, INSBESONDERE UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DES WETTBEWERBSRECHTS

MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin

Im vierten und letzten Teil der Lizenzvertrags-Reihe wird auf einige vertragliche Vereinbarungen eingegangen, die insbesondere im Hinblick auf das Kartellrecht problematisch sein können und die den Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien bei der Redaktion des Lizenzvertrags einschränken können. Im Weiteren gilt es auch bei der Vertragsdauer gewisse Kriterien zu beachten

.

I. KARTELLRECHTLICHE EINSCHRÄNKLUNGEN

Grundsätzlich kommt das Kartellrecht zur Anwendung, wenn die involvierten Unternehmen einen gewissen Marktanteil haben (man kann von einer Grenze von rund 10% gemeinsamem Marktanteil ausgehen). Allerdings kommt den Wettbewerbsbehörden ein grosses Ermessen zu, weshalb auch ein Unternehmen mit einem sehr geringen Marktanteil ins Visier geraten kann. Zudem gibt es auch kartellrechtlich relevantes Verhalten, das keinen Mindestmarktanteil voraussetzt. Dies ist insbesondere bei Preis- und Gebietsabsprachen der Fall, weshalb durchaus auch KMU in den Fokus der Wettbewerbsbehörden geraten können. Und verstösst der Inhalt des Lizenzvertrags gegen kartellrechtliche Bestimmungen, so kann der Vertrag nichtig sein (Art. 20 OR). Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend auf die gängigsten kartellrechtlich heiklen Vertragsklauseln eingegangen, wobei jede Klausel einer Einzelfallbeurteilung bedarf und daher nicht pauschal als zulässig oder unzulässig qualifiziert werden kann:

1. Koppelungsgeschäfte

Marktbeherrschende Lizenzgeber dürfen keine Koppelungsgeschäfte erzwingen, d.h. sie dürfen den Lizenznehmer grundsätzlich nicht dazu verpflichten, zusätzlich zum Vertragsgegenstand weitere Produkte oder Leistungen zu beziehen. Eine Ausnahme liegt hingegen vor, wenn für die Koppelung sachliche Gründe vorliegen, was bspw. bei Wartungs- und Serviceleistungen der Fall sein kann. Weiter kann ein Koppelungsgeschäft zulässig sein, wenn die gekoppelten Produkte/Leistungen vom Endabnehmer als ein einziges Gut wahrgenommen werden.

2. Kundenkreisbeschränkungen

Mit einer Lizenzvereinbarung geht oftmals auch eine Gebietszuweisung einher. So können sich die Parteien bspw. darauf einigen, dass die Lizenz exklusiv für ein bestimmtes Vertragsgebiet gewährt wird, sprich kein anderer Händler bspw. in der Schweiz eine Lizenz erhält. Damit einher geht oftmals auch die Verpflichtung des Lizenznehmers, wonach er ausserhalb seines zugewiesenen Vertragsgebiets nicht tätig werden darf. Das ist aus kartellrechtlicher Sicht soweit grundsätzlich zulässig, sofern der aktive Verkauf untersagt wird. Passivverkäufe – also Verkäufe an Personen ausserhalb des Vertragsgebiets, die direkt auf den Lizenznehmer zukommen – müssen unter Umständen weiterhin erlaubt sein. Ansonsten kann ein Verstoss gegen das Kartellgesetz vorliegen. Vorsicht geboten ist hingegen, wenn sich die Parteien gegenseitig exklusive Lizenzen einräumen, denn das sog. «cross-licencing» von Exklusivlizenzen kann eine unzulässige Marktaufteilung darstellen und damit gegen das Kartellrecht verstossen.

Grundsätzlich unzulässig ist es zudem, dem Lizenznehmer den Vertrieb der lizenzierten Produkte über das Internet zu verbieten – es sei denn, sachliche Gründe (wie Gesundheitsschutz, Sicherheitsaspekte etc.) würden dafürsprechen. Inhaltliche Vorgaben, bspw. zur Produktpräsentation / Websitegestaltung, sind hingegen zulässig.

3. Preis – und Mengenvorschriften

Absolut unzulässig ist es, dem Lizenznehmer eine Preisbindung aufzuerlegen. Die Festsetzung des Verkaufspreises muss dem Lizenznehmer völlig freistehen. Preisempfehlungen können in der Schweiz unter Umständen abgegeben werden, sofern es sich denn auch tatsächlich um eine Empfehlung handelt. Entsprechende Preisangaben sollten dann stets als «unverbindliche Preisempfehlung» bezeichnet werden.

Auch bei der Vorgabe von Mengenbezügen ist Vorsicht walten zu lassen. Als wettbewerbsbeschränkend und damit wettbewerbswidrig wird insbesondere qualifiziert, wenn der Lizenznehmer mit der Lizenz zu einer Bezugsmenge verpflichtet wird, die mehr als 80% seines Einkaufsbedarfs deckt oder mehr als fünf Jahre dauert. Analoges gilt für vertraglich vereinbarte Konkurrenzverbote (das Verbot, die Waren/Dienstleistungen des Lizenzgebers zu konkurrenzieren), die sich de facto wie Mindestmengenbezüge auswirken. Darüber hinaus können auch Höchstproduktions-Beschränkungen unzulässig sein.

4. Nichtangriffsklauseln

Heikel können zudem vertragliche Bestimmungen sein, wonach der Lizenznehmer zusichert, dass er die Gültigkeit der Immaterialgüterrechte des Lizenzgebers nicht angreife. Als Alternative zur Nichtangriffsklausel kann dem Lizenzgeber hingegen ein ausserordentliches Kündigungsrecht eingeräumt werden, wonach er berechtigt ist, den Lizenzvertrag mit sofortiger Wirkung zu kündigen, wenn der Lizenznehmer den Bestand der Immaterialgüterrechte angreift.

.

II. ÜBERMÄSSIGE DAUER DES LIZENZVERTRAGS

Lizenzverträge werden oftmals auf eine bestimmte (Mindest-)Dauer abgeschlossen, um allfällige Investitionen der Vertragsparteien zu schützen. Gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung darf ein Vertrag allerdings nicht auf die Ewigkeit abgeschlossen werden. Sie werden als sittenwidrig im Sinne von Art. 2 und 27 ZGB qualifiziert, da sie zu stark in die Handlungsfähigkeit der Parteien eingreifen. Auch «übermässig langandauernde» Verträge können als sittenwidrig eingestuft werden, was dazu führt, dass den Vertragsparteien nach einer gewissen Dauer ein Kündigungsrecht zusteht. Wann ein Vertrag als «übermässig lange» zu qualifizieren ist, ist einzelfallabhängig und hängt vom konkreten Vertragsinhalt ab. Die Verpflichtung, auf die Ausübung eines Rechts zu verzichten, kann grundsätzlich länger vereinbart werden, als die Pflicht zu einer bestimmten Leistungserbringung. Müssen Leistungen wiederholt und über eine lange Dauer erbracht werden, wird grundsätzlich von einer kürzeren zulässigen Vertragsdauer ausgegangen, als wenn lediglich eine einmalige Leistung erbracht werden muss. Einschränkungen in der wirtschaftlichen (kommerziellen) Handlungsfähigkeit werden sodann als weniger gravierend qualifiziert als Verpflichtungen im persönlich-ideellen Lebensbereich. Einen Einfluss hat sodann das Austauschverhältnis der Parteien: Stehen Leistung und Gegenleistung noch in einem angemessenen Verhältnis? Je grösser das Ungleichgewicht, desto stärker der Eingriff in die Handlungsfähigkeit und desto kürzer die zulässige Vertragsdauer. Vor diesem Hintergrund kann keine allgemeine Maximaldauer beziffert werden; jeder Lizenzvertrag ist nach seinem Inhalt und seinen Vertragsparteien individuell zu beurteilen.



28. Juni 2023 / MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin

GEISSMANN RECHTSANWÄLTE AG
MELLINGERSTRASSE 2A, FALKEN, POSTFACH 2078, 5402 BADEN, TEL +41 56 203 00 11
TURNERSTRASSE 6, POSTFACH, 8042 ZÜRICH, TEL +41 44 204 53 63