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DAS WEISUNGSRECHT DES ARBEITGEBERS – WO LIEGEN DIE GRENZEN MEINES WEISUNGSRECHTS?

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Nicht nur im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie müssen sich Arbeitgeber immer wieder mit der Frage auseinandersetzen, wie weit ihr Weisungsrecht gegenüber ihren Arbeitnehmenden reicht und wie sie ihre Weisungen auch durchsetzen können. Darf ich als Arbeitgeber beispielsweise meinen Arbeitnehmenden vorschreiben, dass sie ihren Arbeitsplatz vorübergehend an einen anderen Ort versetzen? Darf ich meinen Arbeitnehmenden die Weisung erteilen, regelmässig einen COVID-19 Test zu machen oder sich sogar gegen COVID-19 impfen zu lassen? Wie reagiere ich als Arbeitgeber, wenn sich Arbeitnehmende nicht an die Weisungen halten? Dieser Newsletter soll aufzeigen, inwieweit der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmenden Weisungen erteilen darf und wie im Falle einer Verletzung der Weisungen durch die Arbeitnehmenden vorgegangen werden kann. Dies auch unter besonderer Berücksichtigung der neuen Herausforderungen für Arbeitgeber aufgrund der COVID-19 Pandemie.

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I. WEISUNGSRECHT NACH ART. 321D OR

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäss Art. 321d OR ist direkter Ausfluss des für den Arbeitsvertrag begriffsnotwendigen Unterordnungsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden, das sich namentlich in der persönlichen und betrieblichen Abhängigkeit des Arbeitnehmenden äussert. Der genaue Inhalt der Tätigkeit eines Arbeitnehmenden wird dabei im Arbeitsvertrag meist nur allgemein umschrieben. Die Einzelheiten, wie namentlich die Art, der Umfang, die Organisation und die Ausführung der Arbeit sowie das Verhalten des Arbeitnehmenden im Betrieb, müssen vom Arbeitgeber in der Regel noch näher umschrieben werden. Gestützt auf Art. 321d OR kann der Arbeitgeber deshalb allgemeine Anordnungen erlassen und seinen Arbeitnehmenden besondere Weisungen erteilen. Zudem kann sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch direkt aus seinem Eigentum am Unternehmen oder Arbeitsutensilien ergeben. Als Eigentümer kann der Arbeitgeber beispielsweise den Zutritt zu gewissen Räumen verbieten oder die Benützung seines Eigentums an bestimmte Bedingungen knüpfen. Der Arbeitgeber kann sein Weisungsrecht schliesslich auch delegieren, sei dies an Arbeitnehmende, wie namentlich an verschiedene Vorgesetzte oder an Dritte.   

Wenn eine Weisung zudem aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmenden erforderlich ist, geht mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers ausnahmsweise auch eine Weisungspflicht einher. Unterlässt es der Arbeitgeber in diesen Fällen entsprechende Weisungen zu erlassen, kann er sogar schadenersatzpflichtig werden.

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II. Form der Weisungen

Das Gesetz unterscheidet in Art. 321d Abs. 1 OR zwischen allgemeinen Anordnungen und besonderen Weisungen. Die allgemeinen Anordnungen wenden sich dabei an eine Mehrzahl von Arbeitnehmenden und enthalten Richtlinien für verschiedene Fälle, wie zum Beispiel die Kontrolle des Arbeitsganges sowie Gesundheits- und sicherheitspolizeiliche Massregeln. Die besonderen Weisungen hingegen wenden sich an einen bestimmten Arbeitnehmenden und haben ein ein- oder mehrmaliges Handeln oder Unterlassen in einer konkreten Situation zum Gegenstand. Der Übergang zwischen allgemeinen und besonderen Weisungen ist dabei fliessend, und zahlreiche Weisungen fallen unter beide Kategorien.

Die Weisungen können mündlich oder schriftlich, auch durch Zirkular oder Anschläge am schwarzen Brett, erfolgen und müssen klar und unmissverständlich abgefasst werden. Obwohl Weisungen auch mündlich erteilt werden können, ist Arbeitgebern vor allem bei allgemeinen Anordnungen oder bei besonderen Weisungen, die stark in die Stellung des Arbeitnehmenden eingreifen, jedoch zu empfehlen, diese stets schriftlich zu erteilen. Dies insbesondere auch, um widersprüchliche Weisungen und Unsicherheiten auf Seiten der Arbeitnehmenden zu vermeiden. In dringenden Fällen muss der Arbeitnehmende bei sich widersprechenden Weisungen nämlich nach Treu und Glauben selber entscheiden, was nicht zwingend im Interesse des Arbeitgebers liegt.

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III. Einschränkungen des Weisungsrechts

Das Weisungsrecht steht dem Arbeitgeber selbstverständlich nicht unbegrenzt zur Verfügung, sondern nur im Rahmen der betrieblichen Bedürfnisse. Es gilt zudem nur soweit, als die näheren Einzelheiten der Arbeitsleistung und des Verhaltens des Arbeitnehmenden nicht im Gesetz, einem Gesamtarbeitsvertrag, einem Normalarbeitsvertrag oder mittels einer schriftlichen oder mündlichen Abrede festgelegt werden. Dabei kann die eine Weisung ausschliessende oder einschränkende Abrede auch stillschweigend getroffen werden. Das blosse Dulden eines bestimmten Verhaltens des Arbeitnehmenden durch den Arbeitgeber darf aber nicht ohne weiteres als dessen Einverständnis gedeutet werden. Um Streitigkeiten zu vermeiden, ist daher auch in Bezug auf die Einzelheiten der Arbeitsleistung und das Verhalten des Arbeitnehmenden stets zu empfehlen, diese schriftlich festzuhalten.

Soweit die Einzelheiten der Arbeitsausführung vertraglich umfassend umschrieben sind, besteht für eine Konkretisierung durch Weisungen kein Raum mehr. Die Weisung ist kein Mittel, die Pflichten des Arbeitnehmenden zu erweitern. Die Weisung, eine von der vertraglich vereinbarten Tätigkeit abweichende Arbeit zu verrichten, ist daher grundsätzlich unzulässig, sofern nicht die Treuepflicht des Arbeitnehmenden in besonderen Fällen, namentlich aus dringenden betrieblichen Gründen, eine Ausnahme zulässt. Gestützt auf die Treuepflicht ist es insbesondere zulässig, den Arbeitnehmenden anzuweisen, vorübergehend den Arbeitsplatz zu wechseln und im Home Office zu arbeiten oder eine andere Tätigkeit auszuüben. Der Wechsel muss für den Arbeitnehmenden aber stets mit Blick auf sein Privatleben, wie namentlich auf den Arbeitsweg, zumutbar sein und darf nicht zu lange andauern. Aufgrund der andauernden COVID-19 Pandemie und dem damit verbundenen Gesundheitsrisiko ist es in der Regel jedoch zulässig bzw. sogar angezeigt, die Arbeitnehmenden vorübergehend von Zuhause aus arbeiten zu lassen oder eine andere Arbeit auszuführen.  

Unzulässig sind hingegen Weisungen, welche die dem Arbeitnehmenden vertraglich eingeräumte freie und selbstständige Stellung einschränken und in seinen vertraglich festgelegten Kompetenzbereich eingreifen. Wird eine unter diesem Gesichtspunkt unzulässige, aber nicht gegen zwingendes Recht verstossende Weisung vom Arbeitnehmenden jedoch widerspruchslos entgegengenommen und befolgt, so lässt sich daraus sein Einverständnis ableiten und in der Regel eine Änderung des Einzelarbeitsvertrages in gegenseitigem Einverständnis annehmen. Arbeitnehmende, die zum Beispiel für unbestimmte Zeit widerspruchslos auf Weisung des Arbeitgebers in einer anderen Stadt arbeiten, können sich später nicht darauf berufen, diese Weisung sei unzulässig.

Weiter ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmenden begrenzt. Dabei ist immer eine Interessenabwägung vorzunehmen: je grösser das betriebliche Interesse ist, desto weiter darf in Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmenden eingegriffen werden. Umgekehrt müssen Weisungen, die in die Persönlichkeit des Arbeitnehmenden eingreifen, sich auf das betrieblich Notwendige beschränken. Aufgrund der Treuepflicht des Arbeitnehmenden im Sinne von Art. 321a OR ist im Zweifel aber davon auszugehen, dass der Arbeitnehmende die ihm erteilten Weisungen auch befolgen muss. Enge Grenzen sind dem Weisungsrecht zudem im Bereich der verfassungsmässigen Rechte und politischen Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmenden gesetzt. Verfassungsmässige Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies durch berechtigte, überwiegende Interessen des Arbeitgebers, insbesondere zur erfolgreichen Durchführung des Arbeitsvertrages, geboten ist. Ausnahmen gibt es diesbezüglich insbesondere bei Tendenzbetrieben, das heisst Betrieben mit politischer, konfessioneller oder wissenschaftlicher Ausrichtung.

Schliesslich muss das Weisungsrecht nach Treu und Glauben ausgeübt werden. Willkürliche, ohne sachliche Begründung erlassene oder gar schikanöse Weisungen sind unzulässig, wie beispielsweise Weisungen, die sich ohne sachliche Gründe nur gegen einzelne Arbeitnehmende richten.

Aufgrund der gemachten Ausführungen kann es somit für Arbeitnehmende eines Spitals durchaus betrieblich als notwendig erachtet werden, dass sich die Arbeitnehmenden regelmässig einem COVID-19 Test unterziehen, obwohl dadurch in die persönliche Integrität und Freiheit der Arbeitnehmenden eingegriffen wird. Dies einerseits zum Schutz der Arbeitnehmenden selbst und andererseits zum Schutz der Patienten. Anders dürfte es jedoch in Bezug auf die Arbeitnehmenden eines Bürobetriebs beurteilt werden, bei welchen im Sinne einer milderen Massnahme auch die Möglichkeit besteht, von zu Hause aus zu arbeiten, womit das Risiko einer Ansteckung mit COVID-19 eingeschränkt werden kann. Sofern es jedoch für einen Betrieb allgemein nicht möglich sein sollte, auf die körperliche Anwesenheit ihrer Arbeitnehmenden zu verzichten, wie beispielsweise bei Baufirmen oder Lebensmittelgeschäften, könnte aufgrund der Fürsorgepflicht eine Weisung, sich regelmässig einem COVID-19 Test zu unterziehen, sogar dringend angezeigt sein. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte in der Regel jedoch aufgrund des schweren Eingriffs in die körperliche Integrität und die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmenden selten mit betrieblichen Interessen zu rechtfertigen sein. Dies ist jedoch stets im Einzelfall zu beurteilen, und für Arbeitnehmende in einem Spital kann die Interessenabwägung beispielsweise anders ausfallen als für Arbeitnehmende eines Lebensmittelgeschäfts. Sofern Arbeitgeber ihre Arbeitnehmenden somit zu einer Impfung verpflichten wollen, ist dies im Einzelarbeitsvertrag ausdrücklich festzuhalten. Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen sind dabei die besonderen Voraussetzungen einer Änderungskündigung zu beachten.

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IV. Befolgungspflicht des Arbeitnehmenden

Dem Weisungsrecht des Arbeitgebers steht als Gegenstück die Treuepflicht des Arbeitnehmenden im Sinne von Art. 321a OR gegenüber. Er ist verpflichtet, den innerhalb der erwähnten Schranken erlassenen allgemeinen Anordnungen und speziellen Weisungen nach Treu und Glauben nachzukommen. Der Arbeitnehmende ist jedoch weder verpflichtet noch berechtigt, Weisungen zu befolgen, die vertragswidrig, widerrechtlich oder unsittlich sind. Bloss unzweckmässige Weisungen hat der Arbeitnehmende im Allgemeinen zu befolgen, denn es ist nicht seine Aufgabe, Weisungen auf ihre Zweckmässigkeit zu überprüfen. Dies gilt jedoch nicht für völlig unpraktikable Weisungen.

Hält sich ein Arbeitnehmender nicht an die innerhalb der gesetzten Schranken erlassenen allgemeinen Anordnungen und speziellen Weisungen, stellt dies grundsätzlich eine Vertragsverletzung dar. Mögliche Sanktionen der Verletzung der Befolgungspflicht sind dabei vor allem eine ordentliche oder fristlose Entlassung (Art. 337 OR), eine Schadenersatzpflicht (Art. 321e OR) sowie eine Herabsetzung des Lohnes, sofern die Verletzung der Befolgungspflicht in der Verweigerung der Arbeitsleistung besteht. Insbesondere für die fristlose Entlassung eines Arbeitnehmenden braucht es aber stets wichtige Gründe, welche die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar erscheinen lassen. Weigert sich beispielsweise ein Arbeitnehmender, im Betrieb eine Maske zum Schutz gegen COVID-19 trotz entsprechender Weisung zu tragen, kann dies aufgrund der Gesundheitsgefahr unter Umständen eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Jedoch ist dies stets im Einzelfall zu beurteilen.

Bevor einem Arbeitnehmenden sogleich gekündigt wird, können auch Disziplinarmassnahmen, wie eine Verwarnung oder ein Verweis, ausgesprochen werden. Im Falle des Vorliegens einer Betriebsordnung können bei Verstössen gegen dieselbe zudem auch Bussen und andere Ordnungsstrafen verhängt werden. Ausserhalb der Betriebsordnung besteht jedoch keine Rechtsgrundlage zur Verhängung von Bussen. Hingegen können durch besondere Regelung im Einzel-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag eine Konventionalstrafe (Art. 160 ff. OR) oder andere Sanktionen wie etwa Lohnkürzungen wegen Verletzung der Befolgungspflicht festgelegt werden. Die Sanktionen müssen aber vertraglich festgelegt und im Vergleich zur Schwere der Vertragsverletzung verhältnismässig sein. Zudem dürfen sie nicht gegen zwingendes Recht verstossen.

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V. Fazit

Dem Arbeitgeber steht im Rahmen der betrieblichen Bedürfnisse und in den gesetzlichen sowie vertraglichen Schranken ein weitgehendes Weisungsrecht zu. Allgemein und auch bei Weisungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie sind aber stets die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmenden zu beachten, und es ist abzuwägen, ob die Weisungen betrieblich auch tatsächlich notwendig sind. Aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann auch eine Weisungspflicht bestehen, wie namentlich die Weisung zum Tragen einer Maske am Arbeitsplatz zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden. Bei Nichtbefolgung der Weisungen oder allgemeinen Anordnungen kann der Arbeitgeber schliesslich verschiedene Sanktionen ergreifen, wobei eine fristlose Kündigung stets die ultima ratio sein sollte.


24. März 2021 / MLaw Kim Wysshaar

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