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ALTRECHTLICHE ZAHLVATERSCHAFT UND (FEHLENDES) ERBRECHT DES ANERKANNTEN KINDES

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Vor dem 1. Januar 1978 in der Schweiz ausserehelich geborenen Kindern steht in der Regel  (nach derzeitiger Rechtspraxis) gegenüber dem leiblichen Vater kein gesetzlicher Erbanspruch zu, weil dieser ein rechtliches Kindesverhältnis voraussetzt. Dies gilt wegen der damaligen Rechtslage und allzu kurzen, oftmals nicht beachteten Übergangsfristen selbst dann, wenn das Kind vom leiblichen Vater anerkannt und für es Unterhalt bezahlt wurde: Die sogenannte «Zahlvaterschaft» begründet keinen gesetzlichen Erbanspruch. Es dürfte nach wie vor tausende von «Zahlkindern» geben, die – teilweise trotz enger Beziehung zum leiblichen Vater – aus Unkenntnis von dessen Erbschaft ausgeschlossen sind. Was tun?

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I. RECHTSLAGE VOR DEM 1. JANUAR 1978

Das altrechtliche Schweizerische Abstammungsrecht kannte zwei Arten von Verhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserehelich geborenen Kind. Einerseits gab es in bestimmten Konstellationen und im Falle, dass das Kind vom leiblichen Vater ausdrücklich mit Standesfolge anerkannt (oder dies mittels entsprechendem Vaterschaftsfeststellungsurteil angeordnet) wurde, ein eigentliches rechtliches, auch den Erbanspruch begründendes Kindesverhältnis zum Vater. Andererseits – dies insbesondere für im Ehebruch gezeugte Kinder – sah die Rechtsordnung eine Anerkennung ohne Standesfolge vor, welche dem Kind zwar einen Anspruch auf Unterhaltsbeiträge gegen den leiblichen Vater verschaffte, aber kein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch keine Erbansprüche zwischen dem leiblichen Vater und seinem Kind begründete. Entsprechend erfolgte auch kein Eintrag des Kindes im Familienregister des sogenannten blossen «Zahlvaters».

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II. NEUE RECHTSLAGE UND ÜBERGANGSRECHT

Mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtsrevision am 01.01.1978 verschwand das Institut der Zahlvaterschaft aus der Schweizerischen Rechtsordnung. Neu wurden mit jeder festgestellten oder anerkannten Vaterschaft ein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch ein Erbanspruch begründet. Für die unter altem Recht und somit vor dem 31.12.1977 geborenen und unter die Anerkennung der Vaterschaft ohne Standesfolge fallenden Kinder wurde mit Art. 13a SchlT ZGB ein leider eng beschränkter Anspruch geschaffen, die Zahlvaterschaft in eine volle Vaterschaft (mit Standes- und Erbfolge) umzuwandeln. Nur Kinder die per 01.01.1978 noch nicht 10 Jahre alt waren und nur solche, welche innert 2 Jahren (das heisst bis 31.12.1979) auf Feststellung des Kindesverhältnisses klagten, konnten eine solche Umwandlung der bisherigen reinen Zahlvaterschaft und ihre Eintragung als Kind im Familienregister des Vaters erzwingen. Wer früher geboren wurde oder diese Klagefrist verwirkte, steht noch heute unter der reinen Zahlvaterschaft und hat keinen Erbanspruch gegenüber seinem leiblichen Vater; dies selbst dann, wenn die Anerkennung der Vaterschaft (und die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) seinerzeit in einer amtlichen Urkunde festgestellt wurden.

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III. KEINE ERBBERECHTIGUNG BEI REINER ZAHLVATERSCHAFT

Wie hiervor bereits ausgeführt, hat das ohne Standesfolge anerkannte Kind keinen gesetzlichen Erbanspruch, was oftmals weder ihm noch dem leiblichen Vater bewusst und keinesfalls auch immer so gewollt ist. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, in welchem Vater und Kind – allenfalls nach einer Übergangsphase – eine enge familiäre Beziehung gelebt und gerade deswegen bzw. im Vertrauen auf die seinerzeit erfolgte Anerkennung (oder aus Unkenntnis) auf rechtliche Abklärungen oder gar gerichtliche Schritte verzichtet haben. Umso mehr, als das Bundesgericht die 2-jährige Klagefrist gemäss Art. 13a SchlT ZGB konstant als verbindlich qualifizierte und auch die Frist  für die allgemeine Klage auf Feststellung eines Kindesverhältnisses gemäss Art. 263 Abs. 1 und 263 Abs. 3 ZGB restriktiv anwendet – dies gerade in Streitfällen um eine allfällige Erbberechtigung – stellt sich die Frage, ob das «Zahlkind» und/oder der «Zahlvater» die unerfreuliche Tatsache einer fehlenden Erbberechtigung trotz biologischer Vaterschaft hinzunehmen haben und eine derart strenge Praxis nicht gegen Art. 8 EMRK verstösst?

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IV. BEGRÜNDUNG DER ERBBERECHTIGUNG DURCH EINE ANERKENNUNG VON TODES WEGEN

Gemäss Art. 260 Abs. 3 ZGB entsteht das rechtliche Kindesverhältnis zum Vater auch dann, wenn dieser seine Vaterschaft durch letztwillige Verfügung (Testament) anerkennt. Vorausgesetzt ist allerdings, dass diese Anerkennung im Testament ausdrücklich gewollt und unmissverständlich ist. Eine solche Anerkennung von Todes wegen begründet auch für frühere «Zahlkinder» ein rechtliches Kindesverhältnis und damit den Anspruch auf Eintragung im Familienregister des Erblassers und – insbesondere – auf einen gesetzlichen (pflichtteilsgeschützten) Erbanspruch.

Dieses letztwillig begründete «echte» Kindesverhältnis hat zur Folge, dass der Erbanfall steuerfrei bleibt. Anders ist die Rechtslage dann, wenn der leibliche Vater letztwillig keine rechtliche Anerkennung vornimmt, sondern sein leibliches aber von Gesetzes wegen nicht erbberechtigtes «Zahlkind» (siehe oben) im Rahmen der Dispositionsfreiheit letztwillig begünstigt, das heisst als Erbe einsetzt oder ihm ein Vermächtnis ausrichtet. Je nach verfügbarer Quote kann dies zwar einen gleich hohen Anspruch des «Zahlkindes» am Nachlass zur Folge haben, welcher aber der (in der Regel hohen) Erbschaftsteuer unterliegt, weil das nicht anerkannte Kind steuerrechtlich wie eine Drittperson zu qualifizieren ist.


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V. ANFECHTUNG DER FEHLENDEN ERBBERECHTIGUNG DURCH DAS «ZAHLKIND»

Für ein ohne Standesfolge anerkanntes Kind, welches vor 1968 geboren wurde oder die 2-jährige Klagefrist nach Art. 13a SchlT  ZGB verpasst hatte, war nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts der Versuch, doch noch ein rechtliches Kindesverhältnis und damit eine Erbberichtigung herbeizuführen, chancenlos. Im Entscheid BGE 5A_423/2016 vom 7. März 2017 begründete das Bundesgericht die Abweisung einer Feststellungsklage des altrechtlich geborenen Kindes allerdings nicht mehr mit dem Verweis auf den fehlenden Anspruch bzw. die verpasste Frist nach Art. 13a SchlT ZGB, sondern mit einer unverändert engen Auslegung von Art. 263 Abs. 3 ZGB, weshalb im konkreten Fall die Zulässigkeit der Klage (einer 1964 geborenen Frau) auf Feststellung der Vaterschaft dennoch verneint wurde. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wurde vom EGMR abgewiesen, obwohl das Recht auf Begründung eines rechtlichen Kindesverhältnisses zum leiblichen Vater anerkanntermassen unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht.

Sollte das Bundesgericht auch zukünftig in Fällen altrechtlich ohne Standesfolge anerkannter Kinder Art. 263 Abs. 3 ZGB als grundsätzlich anwendbar betrachten, so besteht unter dem Schutz von Art. 8 EMRK und dessen zeitgemässer Auslegung für das Kind allenfalls in denjenigen Fällen eine Chance auf nachträgliche Feststellung des rechtlichen Kindesverhältnisses und damit der Erbberichtigung, in welchen das Zuwarten mit Abklärungen oder einer früheren Vaterschaftsklage entschuldbar ist: Dies namentlich also in Fällen, in denen das Kind erst mit dem Tod seines leiblichen Vaters von dessen Vaterschaft erfährt oder es ihm aus anderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen weder möglich noch zumutbar war, das rechtliche Vaterschaftsverhältnis früher klären zu lassen.

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VI. FAZIT

«Zahlväter» und vor dem 01.01.1978 geborene, ohne Standesfolge anerkannte Kinder, welche einen (steuerbefreiten) gesetzlichen Erbanspruch auch dieses «Zahlkindes» begründen wollen, müssen rechtzeitig Vorkehrungen (Anerkennung mittels Testament) treffen, was eine umfassende Klärung und Beratung durch Fachpersonen beinhaltet. Im Nachhinein, d. h. erst nach dem Tod des leiblichen Vaters, auf Feststellung der Vaterschaft und eine Erbberichtigung zu klagen, ist trotz des Obigen unverändert riskant und gegebenenfalls kostspielig.

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21. September 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

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