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BEWERTUNG BZW. WERT VON PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMEN IN DER SCHEIDUNG (BGE 5A_361/2022)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei der im Scheidungsverfahren durchzuführenden güterrechtlichen Auseinandersetzung spielen sehr oft die Bewertung eines personenbezogenen Unternehmens (beispielsweise Arzt- oder Zahnarztpraxis, Anwaltskanzlei, Treuhandfirma, Architekturbüro, etc.) und der bei Errungenschaft den Ehegatten je hälftig zustehende Wert dieses Unternehmens eine wesentliche Rolle. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (BGE 5A_361/2022 vom 24. 11.2022) Ausführungen gemacht, welche einerseits für die Bewertungspraxis  und andererseits für betroffene Unternehmer/innen eine mehr als zu begrüssende Klärung bringen: Es ist davon auszugehen, dass dieser Entscheid zukünftig die öfters viel zu hohen Bewertungen solcher Einzelunternehmen bzw. personenbezogenen Unternehmungen verhindert.

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I. VERKEHRSWERT: FORTFÜHRUNGS- ODER LIQUIDATIONSWERT

Grundsätzlich gilt unverändert, dass ein Unternehmen zum Verkehrswert in die güterrechtliche Auseinandersetzung einzubeziehen ist, wobei in aller Regel auf den Fortführungswert abzustellen ist. Der tiefere Liquidationswert kommt nur dann zum Tragen, wenn eine Liquidation nachweislich unmittelbar bevorsteht oder unvermeidlich ist. Der Verkehrswert ist das, was der Unternehmer bei einer Veräusserung seines Unternehmens auf dem Markt tatsächlich an Erlös erzielen kann.

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II. PRAKTIKERMETHODE

Auch im vorliegenden vom Bundesgericht entschiedenen Verfahren waren die Vorinstanzen bei der Bewertung eines Einzelunternehmens (Zahnarztpraxis) von der weit verbreiteten Praktikermethode ausgegangen, bei welcher der Substanzwert einfach und der Ertragswert zweifach berücksichtigt wird. Da der Ertragswert des Unternehmens sehr hoch aber, wie in solchen Unternehmungen in der Regel, stark von der Persönlichkeit des Unternehmers/in geprägt war, hatte die Vorinstanz den Ertragswert nur zu 10% berücksichtigt. Überraschend hat das Bundesgericht dem Einwand der beschwerdeführenden Unternehmerin Recht gegeben, dass die Berücksichtigung des Ertragswerts mit 10% willkürlich (zu hoch) sei. Der von der Vorinstanz bei einem Ertragswert von mehr als CHF 3 Mio. ermittelte und in der Scheidung aufgeteilte Unternehmenswert von CHF 300’000 sei immer noch zu hoch, weil damit ausser Acht gelassen werde, dass ein Verkehrswert auch realisierbar sein müsse.

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III. BEWERTUNGSGRUNDSÄTZE

Unverändert gilt, dass Unternehmen als Sachgesamtheit nach den Grundsätzen der Betriebslehre zu bewerten sind. Dabei gebe es verschiedene Bewertungsmethoden, wobei die Praktikermethode als Mischung aus Substanz- und Ertragswert kaum mehr vertretbar sei und grundsätzlich die verschiedenen Ertragswertmethoden vorzuziehen seien. Die konkret gewählte Methode müsse jedoch nachvollziehbar, plausibel und anerkannt sein und den Verhältnissen im konkreten Einzelfall Rechnung tragen.

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IV. BESONDERHEITEN BEI DER PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMUNG

Da der Verkehrswert dem tatsächlich realisierbaren Veräusserungswert entspreche, müsse bei personenbezogenen Unternehmen separat geprüft werden, ob die Ertragskraft (Ertragswert) des Unternehmens tatsächlich auf Dritte übertragbar sei. Die rein personenbezogene Ertragskraft, namentlich der Wert der eigenen Leistung der Unternehmer/in, sei nicht übertragbar und damit nicht wertrelevant. Zu ermitteln sei mithin der Wert des Unternehmens ohne den Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber. Werthaltig seien nur das eingesetzte Kapital bzw. dessen angemessene Verzinsung und die Prämie für die Unternehmer/in, wobei diese/r sogenannte Goodwill seinerseits eine personenbezogene und eine geschäftsbezogene Komponente aufweise. Auch diese personenbezogene Komponente entfalle mit dem Verkauf des Unternehmens und werde von einem Käufer nicht entschädigt, weshalb auch sie nicht relevant sei.

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V. FOLGEN FÜR DEN WERT EINES UNTERNEHMENS

Gerade Unternehmen, die als Einzelfirma geführt werden oder nur aus dem Unternehmer bzw. der Unternehmerin selber bestehen und deren Ertrag somit allein von deren Persönlichkeit und deren Leistung abhängig ist, sind nach Massgabe dieses neuen bundes-gerichtlichen Urteils zukünftig wesentlich tiefer zu bewerten, als dies insbesondere nach der Praktikermethode bis anhin der Fall war. Namentlich dann, wenn ein solches Unternehmen über bescheidene Substanz verfügt (wie beispielsweise eine Anwaltspraxis), werden bei einem Verkauf nach gerade der ganze Ertrag und ein allfälliger Goodwill gar nicht verkauft werden können, hat doch der Käufer im Normalfall des gleichzeitigen Ausstiegs des Unternehmers/in keinerlei Gewähr, dass die Kunden/ Klienten der Unternehmung treu bleiben und er tatsächlich Folgeaufträge erhält, weshalb der Käufer dafür auch keine Entschädigung bezahlen wird. Der Verkehrswert solcher Unternehmen ist mithin bescheiden.


VI. WEITERE KRITERIEN

Kann im Einzelfall nachgewiesen werden, dass ein hoher Gewinn des Unternehmens und damit ein hoher Ertragswert nicht nur von der Person des Unternehmers/der Unternehmerin sondern auch von dessen aussergewöhnlicher Stellung (Befähigung) oder einem aussergewöhnlichen Einsatz (Arbeitspensum) abhängig sind, so muss der Ertragswert umso mehr unberücksichtigt bleiben und ist ein allfälliger Goodwill erheblich zu reduzieren, wenn der durchschnittliche Marktteilnehmer (Käufer) nicht über analoge Fähigkeiten oder die Bereitschaft verfügt, mehr als das übliche Pensum zu arbeiten.

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VII. FAZIT

Es ist zu hoffen, dass nicht nur von Gerichten oder beratenden Anwälten beigezogene Bewertungsunternehmen diesen bundesgerichtlichen Vorgaben Rechnung tragen, sondern dass auch die Gerichte erster und zweiter Instanz ihnen von Bewertungsunternehmungen vorgelegte Verkehrswertberechnungen kritisch prüfen. Diesfalls darf davon ausgegangen werden, dass zukünftig viel zu hohe – und nie realisierbare -Bewertungen von Unternehmen in der güterrechtlichen Auseinandersetzung mit entsprechend übersetzten Wertbeteiligungsansprüchen des Ehegatten unterbleiben. Vorausgesetzt hierfür ist natürlich, dass der Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber gut beraten ist und die massgeblichen wertmindernden Kriterien in den Verhandlungen oder im Prozess auch fachmännisch geltend macht.


18. Januar 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

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