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KANTONSWECHSEL VON QUELLENSTEUERPFLICHTIGEN PERSONEN – NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID BETREFFEND DIE ZUWEISUNG DES STEUERBAREN EINKOMMENS/VERMÖGENS

Tamara Tormen, dipl. Steuerexpertin

Am 29. Januar 2014 fällte das Bundesgericht ein Urteil bezüglich der Zuordnung der Einkünfte und der Vermögenswerte beim Kantonswechsel einer quellensteuerpflichtigen Person. Aufgrund dieses Urteils muss die bisherige Praxis der Kantone nicht mehr akzeptiert werden. Dieser Newsletter geht auf das Bundesgerichtsurteil ein und legt insbesondere den Sachverhalt dar, wann ein Quellensteuerpflichtiger sich gegen die bisherige Praxis gestützt auf das vorliegende Urteil wehren sollte.

I. GENERELLE AUSGANGSLAGE, GESETZESGRUNDLAGEN UND BISHERIGE PRAXIS DER KANTONALEN STEUERBEHÖRDEN

Ausländische Arbeitnehmer, welche die fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung („C“) nicht besitzen und in der Schweiz bzw. in einem Kanton den steuerlichen Wohnsitz oder Aufenthalt haben, werden für ihr Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit einem Steuerabzug an der Quelle unterworfen. Die übrigen Einkünfte und Vermögenswerte werden, soweit sie massgeblich sind, separat veranlagt (ergänzende Veranlagung). Wenn die jährlichen Bruttoerwerbseinkünfte einen im jeweiligen Wohnsitzkanton festgesetzten Betrag (i.d.R. CHF 120‘000/Jahr) übersteigen, wird eine nachträgliche ordentliche Veranlagung durchgeführt, wobei die Quellensteuer (nachfolgend QST) an die durch die ordentliche Veranlagung resultierende Steuer angerechnet wird. Das Steuerharmonisierungsgesetz (nachfolgend StHG) hält bezüglich eines Kantonswechsels grundsätzlich fest (Art. 68 Abs. 1 StHG), dass die Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit grundsätzlich in jenem Kanton ist, in welchem der Steuerpflichtige am Ende der Steuerperiode seinen Wohnsitz hat. Für Quellensteuerpflichtige wurde aber eine spezielle Gesetzesbestimmung (Art. 38 Abs. 4 StHG) erlassen, die vorsieht, dass dem jeweiligen Wohnsitz- und Aufenthaltskanton das Besteuerungsrecht im Verhältnis zur Dauer der Steuerpflicht zusteht, wenn eine quellensteuerpflichtige Person mit steuerrechtlichem Wohnsitz oder Aufenthalt im Kanton ihren Wohnsitz oder Aufenthalt innerhalb der Schweiz verlegt.

Die Schweizerische Steuerkonferenz (nachfolgend SSK) erliess am 6. Juli 2001 das Kreisschreiben Nr. 14, in welchem sie das Vorgehen für die Veranlagung und Aufteilung der Steuerfaktoren festhielt. Die SSK ist eine Organisation, an welcher die kantonalen Steuerverwaltungen und die Eidgenössische Steuerverwaltung beteiligt sind. Zweck dieser Organisation ist die Koordination, die Anwendung und die Weiterentwicklung des Steuerrechts unter den Kantonen und mit dem Bund. Die Kreisschreiben der SSK haben keinen bindenden Charakter. Da jedoch die Kantonalen Steuerbehörden an der Ausgestaltung dieser Kreisschreiben beteiligt waren, halten sich die meisten daran. Gestützt auf dieses Kreisschreiben wird nicht nur das Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, sondern das gesamte Einkommen und Vermögen zwischen dem Wegzugs- und Zuzugskanton aufgeteilt.

Basierend auf die gesetzlichen Bestimmungen und das Kreisschreiben der SSK werden anhand eines vereinfachten Beispiels die steuerlichen Auswirkungen der bisherigen Praxis aufgezeigt:

Anhand dieses vereinfachten Beispiels sind die unterschiedlichen Steuerbelastungen zwischen den Kantonen ersichtlich, wenn man die Einkünfte und Vermögenswerte pro rata temporis gleichmässig verteilt und daraus den anteilsmässigen Steuerbetrag ermittelt.

II. BUNDESGERICHTSENTSCHEID 2C_490/2013 VOM 29. JANUAR 2014

Im vorerwähnten Bundesgerichtsentscheid wechselte ein quellensteuerpflichtiger Ausländer im November 2010 den Wohnsitz vom Kanton St. Gallen („Hochsteuerkanton“) in den Kanton Schwyz („Tiefsteuerkanton“). Basierend auf die vorgenannte Praxis wurden die Steuerfaktoren pro rata temporis aufgeteilt. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass er aufgrund der Regelung nach Art. 38 Abs. 4 StHG (Aufteilung des Besteuerungsrechts des Wegzugs- und Zuzugskantons im Verhältnis zur Dauer der Steuerpflicht) schlechter als ein Schweizer Bürger behandelt wird. Ein Schweizer Bürger würde im gleichen Fall für das ganze Jahr im Kanton Schwyz steuerpflichtig und müsste gesamthaft weniger Steuern bezahlen, als der Beschwerdeführer aufgrund der teilweisen Besteuerung im Kanton St. Gallen bezahlen muss. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass diese Schlechterbehandlung gegen Art. 2 des Freizügigkeitsabkommens mit der EU (nachfolgend FZA) und Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA, gegen 01.01.2013 St. Gallen 01.07.2013 Schwyz 31.12.2013 Art. 25 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland (nachfolgend DBA-D) sowie gegen Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung verstosse.

Das Bundesgericht stellte fest, dass der angefochtene Entscheid dem StHG widerspricht, und schon daher aufzuheben ist. Gemäss Art. 38 Abs. 4 StHG ist die pro-rata-Aufteilung auf die beteiligten Kantone nur für das Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit vorzunehmen; d.h. die Kantone dürfen die übrigen Einkünfte und Vermögenswerte nicht im Verhältnis zur Steuerperiode aufteilen. Das Besteuerungsrecht hinsichtlich dem übrigen Einkommen und dem Vermögen steht einzig dem Zuzugskanton zu.

Die Steuerbehörde (Beschwerdegegnerin) argumentierte, dass die Quellensteuer eine Sicherungssteuer ist und deshalb eine unterschiedliche Handhabung in Bezug auf den Sicherungszweck gestützt auf Art. 21 Abs. 3 FZA gerechtfertigt sei. Gemäss dem Bundesgericht lässt sich jedoch Art. 38 Abs. 4 StHG durch den in Art. 21 Abs. 3 FZA vorbehaltenen Sicherungszweck nicht rechtfertigen und ist auch nicht durch das System der Quellensteuer bedingt.

Die Beschwerde wurde vollumfänglich gutgeheissen.

III. AUSWIRKUNGEN AUF KÜNFTIGE FÄLLE / BEISPIELE

Dieser neue Bundesgerichtsentscheid wird Auswirkungen auf die Veranlagungspraxis der Kantone haben. Nachfolgend werden einige Beispiele basierend auf das Ausgangsbeispiel in Ziffer I erläutert, um die steuerlichen Auswirkungen aufzuzeigen.

Beispiel 1 (Ausgangssachverhalt Ziffer 1)

Basierend auf das neue Bundesgerichtsurteil müsste die Steuerbelastung nun wie folgt betragen:

Der Kanton Schwyz hat das vollumfängliche Besteuerungsrecht für das gesamte Einkommen und Vermögen der Steuerperiode 2013. Der quellensteuerpflichtige Ausländer wird in Bezug auf die Höhe des Steuerbetrages vollumfänglich einem in der Schweiz wohnhaften Schweizer gleichgestellt.

Beispiel 2 (Ausgangssachverhalt Ziffer 1; Ausländer mit Staatsangehörigkeit zu einem Staat, mit dem kein Diskriminierungsverbot vereinbart wurde)

Bei diesem Beispiel gehen wir davon aus, dass der quellensteuerpflichtige Ausländer Staatsangehöriger eines Staates ist, mit dem die Schweiz kein Diskriminierungsverbot vereinbart hat oder mit dem überhaupt kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht.

Gemäss dem Bundesgerichtsentscheid steht dem Kanton Schwyz das Besteuerungsrecht für das Vermögen und das übrige Einkommen (ausgenommen dem Anteil des Einkommens aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, der dem Wegzugskanton zuzuweisen ist) auf jeden Fall zu, weil Art. 38 Abs. 4 StHG sich nur auf das Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bezieht.

Die Steuerbelastung beträgt wie folgt (auf die Darstellung der Quellensteuer wird verzichtet, da diese schlussendlich an die effektiven Steuern angerechnet wird; Basis für die Steuerberechnung sind die Grundlagen/Annahmen im Ausgangssachverhalt):

Vergleicht man die geschätzte Gesamtsteuerbelastung von CHF 47‘400 im Vergleich zu jener, die sich ergibt, wenn ein Diskriminierungsverbot besteht, ist der Betrag in diesem Beispiel um CHF 7‘400 höher, aber immer noch tiefer als die frühere Praxis vor dem neuen Bundesgerichtsentscheid.

Beispiel 3 (Ausgangssachverhalt Ziffer 1; Wegzug aus dem Kanton Schwyz, Zuzug in den Kanton St. Gallen)

In diesem Beispiel werden die Folgen dargestellt, wenn – im Gegensatz zu Beispiel 1 und 2 – der Wegzug von einem „Tiefsteuerkanton“ in einen „Hochsteuerkanton“ erfolgt.

Der Kanton Schwyz darf das Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit nach Art. 38 Abs. 4 StHG im Verhältnis der Dauer der Steuerpflicht besteuern. Der Kanton St. Gallen darf das gesamte Vermögen, die übrigen Einkünfte und das anteilige Einkommen aus der unselbständigen Erwerbstätigkeit besteuern. Wenn die Schweiz mit dem Staat, mit welchem der Quellensteuerpflichtige die Staatsangehörigkeit besitzt, ein Abkommen hat, welches ein Diskriminierungsverbot einhält, kann sich der Quellensteuerpflichtige trotzdem auf Art. 38 Abs. 4 StHG berufen, weil ein Diskriminierungsverbot einseitig eine Schlechterstellung, aber nicht eine Besserstellung, regelt.

Die Steuerbelastung beträgt wie folgt (auf die Darstellung der Quellensteuer wird verzichtet, da diese schlussendlich an die effektiven Steuern angerechnet wird; Basis für die Steuerberechnung sind die Grundlagen/Annahmen im Ausgangssachverhalt):

Die Steuerbelastung ist im Kanton St. Gallen höher als im Kanton Schwyz. Bei einem Wegzug aus dem Kanton Schwyz in den Kanton St. Gallen würde der quellensteuerpflichtige Ausländer sogar mehr Steuern bezahlen, als bei der Anwendung der bisherigen Praxis der Steuerbehörden, weil gemäss dem Bundesgerichtsentscheid dem Kanton St. Gallen das Besteuerungsrecht für das gesamte Vermögen und das übrige Einkommen auf jeden Fall zusteht und nur das anteilige Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit nach Art. 38 Abs. 4 StHG dem Kanton Schwyz zur Besteuerung zufällt.

VIII. FAZIT

Der neue Bundesgerichtsentscheid kann je nach Sachverhalt günstiger oder belastender bezüglich der Gesamtsteuerlast eines Quellensteuerpflichtigen mit steuerrechtlichem Wohnsitz in der Schweiz im Gegensatz zu der bisherigen Praxis der Steuerbehörden sein.

Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden:

– Für Quellensteuerpflichtige mit Staatangehörigkeit zu einem Staat, mit welchem die Schweiz ein Diskriminierungsverbot beachten muss:

– Wegzug von einem „Hochsteuerkanton“ in einen „Tiefsteuerkanton“: Anwendung des Diskriminierungsverbots nach dem entsprechenden Staatsvertrag und somit Besteuerung der Einkommen und Vermögenswerte im Zuzugskanton

– Wegzug von einem „Tiefsteuerkanton“ in einen „Hochsteuerkanton“: Anwendung von Art. 38 Abs. 4 StHG und somit Besteuerung des anteiligen unselbständigen Erwerbseinkommens im Wegzugskanton

– Für Quellensteuerpflichtige mit Staatsangehörigkeit zu einem Staat, mit welchem die Schweiz kein Diskriminierungsverbot vereinbarte oder kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht

– Wegzug von einem Kanton in einen anderen Kanton (unabhängig der Besteuerungshöhe): Anwendung von Art. 38 Abs. 4 StHG und somit Besteuerung des anteiligen unselbständigen Erwerbseinkommens im Wegzugskanton.

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4. August 2014 / Tamara Tormen, dipl. Steuerexpertin 

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