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MISSBRÄUCHLICHE KÜNDIGUNG – NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID (4A_368/2023) BETREFFEND ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN VON ARBEITGEBERINNEN BEI VERDACHT AUF EIN STRAFBARES VERHALTEN

MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

Das Bundesgericht hatte sich in seinem Urteil 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 erneut mit der Frage der Missbräuchlichkeit einer ordentlichen Kündigung zu befassen. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitnehmer war seit dem 1. November 2010 bei der Arbeitgeberin (Bank) als Director angestellt. Im August 2018 meldete sich eine Mitarbeiterin bei der betriebsinternen Ombudsfrau wegen sexueller Belästigungen durch den Arbeitnehmer. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin eine interne Untersuchung ein. Im Rahmen dieser Untersuchung kam die Arbeitgeberin zum Schluss, dass die dem Arbeitnehmer unangemessenen Verhaltensweisen mit grosser Wahrscheinlichkeit stattgefunden hätten. Die Arbeitgeberin kündigte den Arbeitsvertrag deshalb am 23. Oktober 2018 ordentlich.

Der Arbeitnehmer erachtete die Art und Weise wie die Kündigung ausgesprochen wurde, als missbräuchlich, und forderte deshalb in der Folge von der Arbeitgeberin eine Entschädigung im Sinne von Art. 336a Abs. 1 OR. Nachdem das erstinstanzliche Gericht dem Arbeitnehmer keine Entschädigung zugesprochen hat, erachtete das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich, weshalb sie ihm eine Entschädigung zusprach. Die Arbeitgeberin erhob dagegen Beschwerde beim Bundesgericht.

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I. GRUNDSÄTZLICHES ZUR MISSBRÄUCHLICHEN KÜNDIGUNG

Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann nach Art. 335 abs. 1 OR von jeder Vertragspartei unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist gekündigt werden. In der Schweiz gilt damit bei privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen das Prinzip der Kündigungsfreiheit (vgl. für Kündigungen öffentlicher-rechtlicher Arbeitsverhältnisse im Kanton Aargau den Newsletter vom 17.03.2023). Die Kündigungsfreiheit gilt jedoch nicht absolut und eine Kündigung kann auch als missbräuchlich qualifiziert werden. Wird eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert, hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer eine Entschädigung auszurichten (vgl. Art. 336a OR). Missbräuchlich ist eine Kündigung namentlich, wenn sie aus einem bestimmten, in Art. 336 OR umschriebenen, unzulässigen Grund ausgesprochen wird (z.B. wenn die Kündigung ausgesprochen wird, nachdem ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat, vgl. für weitere Gründe auch Art. 336 OR). Die Aufzählung in Art. 336 OR ist jedoch nicht abschliessend und das Bundesgericht hat in den letzten Jahren verschiedentlich weitere Tatbestände anerkannt, welche eine Kündigung als missbräuchlich erscheinen lassen (z.B. missbräuchliche Alterskündigungen oder Konfliktkündigungen). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann sich die Missbräuchlichkeit insbesondere auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht zur Kündigung ausübt. Auch wenn eine Kündigung rechtmässig erklärt wird, muss gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Gebot der schonenden Rechtsausübung beachtet werden. Die kündigende Partei darf namentlich kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht. Bei einem krass vertragswidrigen Verhalten, namentlich einer schweren Persönlichkeitsverletzung im Umfeld der Kündigung kann eine Kündigung als missbräuchlich qualifiziert werden. Ein bloss unanständiges Verhalten genügt jedoch nicht. Die Verletzung des Gebots der schonenden Rechtsausübung muss somit eine gewisse Schwere aufweisen.

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II. ANFORDERUNGEN AN INTERNE UNTERSUCHUNGEN BEI VERDACHT AUF STRAFBAHRES VERHALTEN GEMÄSS ENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS

1. Feststellungen der Vorinstanzen

Wie bereits erwähnt, wurde gemäss vorliegend vom Bundesgericht zu beurteilenden Sachverhalt gegen den betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Vorwurfs sexueller Belästigungen eine interne Untersuchung eingeleitet.

Gemäss den Erwägungen der ersten Instanz sei die interne Untersuchung im Wesentlichen getreu den Richtlinien und Merkblättern der Arbeitgeberin erfolgt. Ein unabhängiges Team habe den Arbeitnehmer und weitere Personen befragt, die Ergebnisse in einem Untersuchungsbericht festgehalten und der internen Disziplinarstelle präsentiert. Es seien sowohl entlastende als auch belastende Aussagen berücksichtigt worden, wobei die Arbeitgeberin zum Schluss gekommen sei, dass die Vorwürfe mit grosser Wahrscheinlichkeit zutreffen würden. Dabei sei die Arbeitgeberin zu Recht von einem begründeten Verdacht ausgegangen, der die Weiterbeschäftigung als unzumutbar habe erscheinen lassen. Die Kündigung des Arbeitnehmers sei deshalb nicht als missbräuchlich zu qualifizieren.

Das Obergericht Zürich hielt hingegen fest, dass der Arbeitnehmer gemäss «Merkblatt sexuelle Belästigung» Anspruch auf Begleitung durch eine Vertrauensperson gehabt hätte. Vor seiner Anhörung am 20. September 2018 sei er aber nicht auf dieses Recht hingewiesen worden und vom Gespräch insgesamt überrumpelt worden. Es sei deshalb sein Recht auf Begleitung durch eine Vertrauensperson verletzt worden. Zudem habe der Arbeitnehmer auch nicht erfahren, wann, er wen, wo und wie sexuell belästigt haben soll. Er habe sich insgesamt während des Gesprächs deshalb nicht wirksam verteidigen können. Dies hätte der Arbeitnehmer aber können müssen, da er einer Straftat beschuldigt worden sei und wie in einem Strafverfahren insbesondere das Anklageprinzip und der Anspruch auf rechtliches Gehör gelten würden. Das Obergericht des Kantons Zürich kam deshalb zum Schluss, dass die Kündigung des Arbeitnehmers als missbräuchlich zu qualifizieren sei.

2.Feststellungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte gestützt auf den zu beurteilenden Sachverhalt zunächst klar, dass die strafprozessualen Garantien keine direkte Wirkung auf interne Untersuchungen einer Arbeitgeberin hätten. Die Übernahme strafprozessualer Regeln ins Privatrecht verbiete sich bereits aufgrund der grundlegenden Unterschiede der Rechtsverhältnisse. Die Parteien eines Arbeitsvertrages würden nämlich freiwillig ein Dauerschuldverhältnis eingehen, wohingegen eine beschuldigte Person im Strafverfahren unabhängig von ihrem Willen der staatlichen Strafgewalt unterworfen werde.

Gestützt darauf erwog das Bundesgericht, dass es nicht zu beanstanden sei, dass der Arbeitnehmer erst zu Beginn des Gesprächs über dessen Zweck und Inhalt informiert worden sei. Weiter stellte das Bundesgericht fest, dass das Obergericht des Kantons Zürich der Arbeitgeberin zu Unrecht vorgeworfen habe, dass der Arbeitnehmer sich beim Gespräch im September nicht gemäss internem Merkblatt von einer Vertrauensperson habe begleiten lassen könne. Es würde sogar nach den strengen strafprozessualen Grundsätzen – welche vorliegend aber keine Anwendung finden – genügen, die beschuldigte Person erst zu Beginn der ersten Einvernahme auf ihr Recht zur Verteidigung hinzuweisen.

Auch der Vorwurf der Vorinstanz, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer nicht hinreichend über die Vorwürfe und die Identität der betroffenen Mitarbeiterin (bzw. Mitarbeitenden) aufgeklärt, erachtete das Bundesgericht gestützt darauf, dass die interne Untersuchung eines privaten Arbeitgebers nicht mit einer staatlichen Strafuntersuchung zu vergleichen sei, als unbegründet.

Abschliessend stellte das Bundesgericht fest, dass im Gegensatz zum Strafrecht, wo es keine “Verdachtsverurteilungen” gäbe, im Arbeitsrecht Verdachtskündigungen zulässig und nicht einmal dann missbräuchlich seien, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweise. Entsprechend müsse auch nicht die Arbeitgeberin beweisen, dass die Vorwürfe zutreffen würden. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Arbeitgeberin genügend umfangreiche Abklärungen getroffen habe. Die Kündigung sei damit weder leichtfertig noch ohne vernünftige Gründe ausgesprochen worden. Indem das Obergericht des Kantons Zürich die Kündigung als missbräuchlich qualifizierte, habe es Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde entsprechend gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Zürich aufgehoben und die Klage des Arbeitnehmers betreffend Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung abgewiesen.

III. FAZIT

Gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 kann somit zusammenfassend folgendes festgehalten werden:

  • Die strafprozessualen Regelungen gelten bei Verdacht auf strafbares Verhalten für interne Untersuchungen von Arbeitgeberinnen nicht;
  • Vor der ersten Konfrontation wegen eines Vorwurfs von strafbarem Verhalten muss der Arbeitnehmer nicht über den Gegenstand der Untersuchung informiert werden;
  • Eine Begleitung durch eine Vertrauensperson zum Gespräch muss nicht zwingend gewährleistet werden;
  • Dem beschuldigten Arbeitnehmer müssen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht im Detail bekannt gegeben werden. Insbesondere die Identität der betroffenen Person ist grundsätzlich vertraulich zu behandeln;  
  • Eine missbräuchliche Kündigung liegt in solchen Fällen in der Regel nur vor, wenn Arbeitgeberinnen leichtfertig oder ohne vernünftigen Grund Vorwürfe gegen Arbeitnehmer erheben.

16. Februar 2024 / MLaw Kim Wysshaar

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