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ACHTUNG VOR ÜBERSCHULDETEN ERBSCHAFTEN

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Angesichts der zunehmenden Lebensdauer ist es gar nicht mehr so selten, dass ein Erblasser – allenfalls nach Jahren in einem teuren Alters- oder Pflegeheim – sein Vermögen aufgebraucht hat oder gar Schulden hinterlässt. Nicht immer sind die durch Gesetz oder letztwillige Verfügung berufenen Erben ausreichend über die Vermögensverhältnisse des Erblassers orientiert. In der Praxis gilt dies namentlich als Folge der Globalisierung, insbesondere für im Ausland lebende Kinder oder solche aus erster Ehe, die zum Erblasser über Jahre oder gar Jahrzehnte keinen Kontakt mehr pflegten. Das schweizerische Erbrecht sieht zum Glück Möglichkeiten vor, wie man sich als Erbe vor solchen Unsicherheiten oder dem Antritt einer möglicherweise überschuldeten Erbschaft schützen kann.

I. AUSSCHLAGUNG DER ERBSCHAFT

Sowohl gesetzliche als auch eingesetzte Erben können sich gegen einen Erbanfall wehren, wenn die Erbschaft überschuldet ist oder überschuldet sein könnte. Andernfalls treten sie nämlich in die Rechtsstellung des Erblassers ein und werden für alle Erbgangs- und Erbschaftsschulden uneingeschränkt, d.h. auch mit dem eigenen Vermögen, haftbar. Zusätzlich nachteilig ist dabei, dass mehrere Erben für solche Erbschaftsschulden solidarisch haften, d.h. bei jedem einzelnen die gesamten Schulden eingefordert werden können.

Um diese Erbenhaftung zu verhindern, ist die Erbschaft auszuschlagen, was in einer gesetzlich vorgesehenen Frist beim zuständigen Nachlassgericht am letzten Wohnsitz des Erblassers zu geschehen hat: Dies zu Beweiszwecken mit einer eingeschriebenen Erklärung. Die Ausschlagungsfrist beträgt 3 Monate ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme von dessen Tod oder – in Ausnahmefällen – vom Zeitpunkt an, ab welchem man von der eigenen Erbenstellung Kenntnis erlangt hat (vgl. BGE 143 III 369, E.2.1). Die Frist kann nach Lehre und Rechtsprechung aus begründetem Anlass erstreckt werden, beispielsweise weil Abklärungen über die Vermögensverhältnisse des Erblassers noch andauern.

Im Interesse potentieller Erben liegt die Ausschlagung namentlich dann, wenn diese vom Erblasser zu Lebzeiten bereits Vermögen erhalten hatten, welches sie ohne Ausschlagung zugunsten von Miterben auszugleichen hätten. In solchen Fällen ist wirtschaftlich die Ausschlagung sogar dann zu empfehlen, wenn der Nachlass nicht überschuldet ist, der auszugleichende Betrag aber den zu erwartenden Erbanteil übersteigt.

II. ANTRITT DER ERBSCHAFT UNTER ÖFFENTLICHEM INVENTAR

Sind die Vermögensverhältnisse des Erblassers nicht bekannt, derselbe aber nicht offensichtlich überschuldet, so macht es in der Regel Sinn, beim gleichermassen zuständigen Nachlassgericht die Aufnahme eines öffentlichen Inventars zu verlangen. In demselben werden nach einem amtlich publizierten Rechnungsruf alle Aktiven und alle innert der Inventarisierungsfrist angemeldeten Passiven erfasst. Erklärt der Erbe nach Auflage des Inventars den Antritt der Erbschaft unter öffentlichem Inventar, so haftet er nur für die darin aufgelisteten Schulden, d.h. er kann das Haftungsrisiko beschränken. Dies macht dann Sinn, wenn schwer zu bewertende Aktiven oder nicht abschätzbare Risiken vorhanden sind, so dass – möglicherweise für lange Zeit – eine Beurteilung der Werthaltigkeit eines Nachlasses verunmöglicht ist.

Ein weiterer Vorteil des öffentlichen Inventars ist der Umstand, dass während der Inventarisierung die Ausschlagungsfrist stillsteht und allen Erben nach der Auflage des öffentlichen Inventars eine Frist von einem Monat zur Verfügung steht, um sich definitiv über die Ausschlagung der Erbschaft, die vorbehaltlose Annahme oder eben die Annahme unter öffentlichem Inventar zu erklären. Statt der andernfalls geltenden Dreimonatsfrist (siehe oben Ziff.  I) kann so ausreichend Zeit gewonnen werden, die Verhältnisse rechtssicher(er) zu klären.

Die Frist für den Antrag auf Aufnahme eines öffentlichen Inventars beträgt allerdings nur 30 Tage ab dem Tod des Erblassers bzw. ab Kenntnisnahme vom Tod desselben. Muss zuerst die Erbenstellung formell erstritten werden (bspw. bei einer Enterbung), so beginnt die Frist erst mit dem effektiven Erbanfall. Umso mehr, als nach der Rechtsprechung die Monatsfrist nicht erstreckbar ist, ist also dringliches Handeln geboten. Es ist zu empfehlen, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Klärung mittels öffentlichem Inventar zu verlangen.

III. VERWIRKUNG DER AUSSCHLAGUNGSFRIST

Die Gesamtheit aller gesetzlichen und/oder eingesetzten Erben erwirbt an sich die Erbschaft eo ipso mit dem Tod des Erblassers als Erbengemeinschaft. Bis zur Annahme der Erbschaft bzw. eben bis zu einer allfälligen Ausschlagung oder dem Ablauf der (verlängerten) Ausschlagungsfrist ist allerdings die Erbenstellung noch ungewiss. Dennoch müssen während dieser Schwebezeit der Nachlass verwaltet, Erbgangsschulden bezahlt oder dringliche Forderungen und Guthaben eingezogen werden. Solche Verwaltungshandlungen sind unproblematisch, wogegen eigentliche «Einmischungshandlungen» die ungewollte Folge haben können, dass dadurch das Ausschlagungsrecht verwirkt wird: Der sich «einmischende» Erbe hat die Erbschaft angetreten und muss diese mit allen Aktiven und Passiven, also auch möglicherweise überschiessenden Schulden, übernehmen. Solche Einmischungshandlungen sind beispielsweise die Aneignung von zum Nachlass gehörenden Vermögenswerten oder nicht mehr zur normalen Verwaltung gehörende Verfügungen über diese. Wer sich in diesem Sinne «einmischt» und sich damit (gegenüber Miterben oder Gläubigern) einen Vorteil verschafft, verliert das Recht zur Ausschlagung.

IV. ERBSCHAFTSVERWALTER

Bei einer nicht überschuldeten Erbschaft können dem nicht ausschlagenden Erben auch insoweit Nachteile erwachsen, als die möglicherweise Jahre oder Jahrzehnte ungeteilte Erbschaft nicht bestmöglich verwaltet wird. Zu denken ist an ein zum Nachlass gehörendes Geschäft, das durch die nur gemeinsam handlungsfähigen Erben und deren Differenzen blockiert ist und deswegen seinen Wert verliert oder gar in Konkurs geht. Derartige Differenzen innerhalb einer Erbengemeinschaft, d.h. unter den berufenen Erben, sind leider gar nicht so selten, was auch für die drohenden Folgen (Wertverringerung oder gar Überschuldung) gilt. In solchen Fällen bleibt oftmals nichts anderes übrig, als vor Gericht um die Einsetzung eines Erbschaftsverwalters zu kämpfen, welcher vom Gericht nach einem kontradiktorischen Verfahren eingesetzt und mit der Verwaltung des Nachlasses bis zur dereinstigen Teilung betraut wird. Unnötig ist ein solcher Schritt, wenn der Erblasser selber das Nötige gegen solche Streitigkeiten unter den Erben vorgekehrt und einen Willensvollstrecker eingesetzt hat, kann bzw. muss derselbe doch ungeachtet der Differenzen unter den Erben den Nachlass werterhaltend verwalten, bis er dereinst geteilt wird. Wenig erfreulich ist es dann allerdings, wenn der Willensvollstrecker in komplexen Verhältnissen oder bei absehbaren Streitigkeiten unter den Erben das ihm vom Erblasser erteilte Mandat ablehnt, wozu er jederzeit berechtigt ist. Hat der Erblasser für solche Fälle nicht einen Ersatzwillensvollstrecker eingesetzt, so bleibt auch diesfalls nichts anderes übrig, als sich vor Gericht einen Erbschaftsverwalter zu erstreiten.

V. FAZIT

Wenn auch der Anfall einer Erbschaft in aller Regel ein Segen ist, kann in Einzelfällen der Erbfall unliebsame Überraschungen oder durchaus existenzgefährdende Folgen mit sich bringen. Gerade für Erben, die (aus welchen Gründen auch immer) den Kontakt zum Erblasser abgebrochen hatten ist es daher ratsam, unverzüglich nach Kenntnisnahme des Todes des Erblassers zu handeln, zumindest aber fachmännischen Rat und Hilfe in Anspruch zu nehmen.


3. Juni 2020 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

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