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ANTWORTEN ZUR ÜBERSTUNDENARBEIT

Dr. iur. Stephan Fröhlich, Rechtsanwalt

I. NORMALE ARBEITSZEIT ODER ÜBERSTUNDENARBEIT ?

In aller Regel bestimmt der schriftliche Arbeitsvertrag oder gegebenenfalls ein Generalarbeitsvertrag, wie viele Stunden der Arbeitnehmer in einem bestimmten Arbeitsverhältnis wöchentlich zu leisten hat. Haben die Parteien keine konkrete Arbeitszeit vereinbart und gibt es auch keine generalarbeitsvertraglichen Vorgaben, so wird auf die im jeweiligen Betrieb übliche Arbeitszeit abgestellt, sofern sich eine solche feststellen lässt. Überstunden sind die positive zeitliche Differenz zwischen dieser normalen Arbeitszeit und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit (BGE 116 II 69, E. 4a). Wo sich keine konkrete Wochenarbeitszeit feststellen lässt, können auch keine Überstunden geleistet werden bzw. werden solche nicht anerkannt (BGer, Urteil vom 16.12.1992, 4C.256/1992).

II. PFLICHT ZUR ÜBERSTUNDENARBEIT

Der Arbeitnehmer ist gemäss Art. 321c Abs. 1 OR zur Überstundenarbeit verpflichtet, sofern diese tatsächlich notwendig ist. Diese Pflicht geht indes nur soweit, als der Arbeitnehmer die Überstunden auch zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden können. Notwendig ist Überstundenarbeit etwa bei ausserordentlichem Arbeitsaufkommen oder bei krankheitsbedingtem Arbeitsausfall anderer Arbeitnehmer, sofern sie nicht durch den Beizug vorhandener Hilfskräfte oder durch bessere Arbeitsorganisation vermieden werden können.

Selten auftretende Überstunden sind in der Regel als zumutbar einzustufen, sofern sie nicht mit wichtigen Aufgaben des Arbeitnehmers in dessen Freizeit (z.B. Elternpflichten) kollidieren. Fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer regelmässig in kurzen Abständen zur Leistung von Überstunden auf, so kann in dieser Häufung bereits eine Unzumutbarkeit erblickt werden. Bei einer solchen andauernden Belastung des Arbeitnehmers wäre es dem Arbeitgeber immerhin zumutbar, innert nützlicher Frist zusätzliches Personal einzustellen (vgl. m.w.H. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl., Art. 321c N 2).

III. ÜBERSTUNDEN UND ÜBERZEIT

Abzugrenzen ist die Überstundenarbeit von der sogenannten Überzeit. Gemäss Arbeitsgesetz beträgt die Maximalarbeitszeit 45 Stunden pro Woche für industrielle Betriebe, Büropersonal sowie technische und andere Angestellte (einschliesslich des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels). 50 Stunden gelten dagegen für die übrigen dem Arbeitsgesetz unterliegenden Betriebe und Arbeitnehmer; im Besonderen auch für das Gewerbe (Art. 9 ArG). Übersteigt die wöchentliche Arbeitszeit diese Stundengrenzen, so spricht man nicht mehr von Überstunden sondern von Überzeit. Diese Unterscheidung drängt sich auf, weil diese beiden Formen der „Mehrarbeit“ wiederum unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen (vgl. dazu Ziff. V nachstehend).

IV. BEWEISLAST

Überstundenarbeit ist grundsätzlich nur entschädigungspflichtig, wenn sie durch den Arbeitgeber angeordnet wurde oder aus betrieblichen Gründen auch ohne eine derartige Anordnung notwendig war. Die Beweislast für das Vorliegen notwendiger oder angeordneter Überstunden liegt – andere arbeitsvertragliche Vereinbarungen vorbehalten – beim Arbeitnehmer. Es genügt in der Regel, wenn der Arbeitnehmer beweisen kann, dass der Arbeitgeber von der Leistung der Überstunden Kenntnis hatte oder hätte haben müssen und dagegen dennoch nicht eingeschritten ist (BGer, Urteil vom 15. Juli 2011, 4A_42/2011, Erw. 5.2). In diesem Zusammenhang verlangt das Bundesgericht, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber geleistete Überstunden innert kurzer Frist melden müsse (BGer, Urteil vom 19.08.2008, 4A_40/2008). Letzteres ist in jedem Fall empfehlenswert und gilt selbstverständlich insbesondere dort, wo der Arbeitgeber nicht anderweitig Kenntnis von den Überstunden erhalten kann. Gelingt dem Arbeitnehmer nur der Beweis, dass notwendige oder angeordnete Überstunden geleistet wurden, ist aber deren genaue Zahl nicht mehr nachweisbar, so kann der Umfang der Überstundenarbeit durch das Gericht in Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR geschätzt werden. Vereinzelt senken die Gerichte auch das den Arbeitnehmer treffende Beweismass, wenn der Arbeitgeber die Aufzeichnungen über die geleistete Arbeitszeit pflichtwidrig zurückbehält oder diese nur lückenhaft geführt hat. Wer aber sicher sein will, dass er seine Überstunden tatsächlich kompensieren oder entschädigen lassen kann, der sollte selbst für eine gute Dokumentation über die Notwendigkeit bzw. die Anordnung sowie die Zahl der Überstunden besorgt sein.

V. ABGELTUNG VON ÜBERSTUNDEN UND ÜBERZEIT

In welcher Form die Überstunden letztlich abgegolten werden, hängt von der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer ab. Eine Abgeltung der Überstunden durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ist nur mit dem Einverständnis des Arbeitsnehmers möglich. Willigt der Arbeitnehmer in diese Art der Überstundenkompensation nicht ein, so sind ihm die Überstunden gemäss Art. 321c Abs. 3 OR mit einem Zuschlag von mindestens 25 % in Form einer Lohnzahlung zu vergüten.

Durch schriftliche Abrede können Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch vereinbaren, dass entweder nur der Lohnzuschlag oder auch jegliche Bezahlung von Überstunden ausgeschlossen werden. Lehre und Rechtsprechung erachten eine totale Wegbedingung von Lohnzahlungen für Überstunden allerdings nicht in jedem Fall als zulässig. Eine verlässliche bundesgerichtliche Praxis liegt zu dieser Frage noch nicht vor. Ob ein vollumfänglicher Verzicht auf die Überstundenentschädigung erlaubt ist, hängt in jedem Fall von der Würdigung des Einzelfalls ab. Im Zentrum dürfte aber regelmässig die Frage stehen, ob der vertraglich vereinbarte Lohn so hoch ist, dass angenommen werden kann, er decke auch Überstunden angemessen ab.

Unabhängig von der für Überstunden vereinbarten Kompensationsregelung kann bei der Überzeit der Zuschlag von mindesten 25 % im Falle der Abgeltung durch Lohn nicht wegbedungen werden. Einzig bei Büropersonal sowie technischen und anderen Angestellten (unter Einschluss des Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels) fällt der Lohnzuschlag von 25 % erst bei Überzeitarbeit von mehr als 60 Stunden im Kalenderjahr an (Art. 13 Abs. 1 ArG). Sofern der Arbeitnehmer ausdrücklich einwilligt, kann aber auch die Überzeitarbeit durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen werden. In diesem Fall ist kein Zuschlag auszurichten (Art. 13 Abs. 2 ArG).

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28. Mai 2014 / Dr. iur. Stephan Fröhlich

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