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AUSWIRKUNGEN DER EINSPRACHE GEGEN EINEN STRAFBEFEHL AUF DIE VERFOLGUNGSVERJÄHRUNG

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und Antonia Mästinger, MLaw

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hatte sich in einem kürzlich erschienenen Urteil mit der Frage des Eintritts der Rechtskraft bei Erlass eines Strafbefehls zu befassen. Dem Entscheid liegt der Sachverhalt zugrunde, bei dem die Überschreitung der innerorts geltenden Höchstgeschwindigkeit um 16 km/h im April 2011 mittels Strafbefehl mit einer Busse von Fr. 290 bestraft wurde. Das zuständige Bezirksgericht, welches sich mit der gegen diesen Strafbefehl erhobenen Einsprache zu befassen hatte, bestätigte die Busse von Fr. 290 mit Urteil vom 24. Juni 2014.

Gegen den Entscheid wurde Berufung eingereicht, mit der Begründung, die Verfolgungsverjährung sei bereits eingetreten, weshalb eine Verurteilung durch das Bezirksgericht nicht mehr möglich gewesen sei. In Gutheissung dieser Berufung wurde das Verfahren im April 2015 wegen Verjährung eingestellt. Dagegen erhob die Oberstaatsanwaltschaft Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht mit der Begründung, die Verjährungsfrist sei im Zeitpunkt der Überweisung des Verfahrens an das Bezirksgericht unterbrochen worden. Im Entscheid 6B_608/2015 vom 15. Januar 2016 hatte das Bundesgericht somit die Frage zu beantworten, ob das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung zu Recht eingestellt worden ist oder nicht.

I. VERJÄHRUNGSFRIST VON ÜBERTRETUNGEN

Bei der vorliegend begangenen Verkehrsregelverletzung handelt es sich um eine Übertretung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG, welche mit Busse bestraft wird. Gem. Art. 109 StGB verjähren Übertretungen in drei Jahren. Die Verjährung beginnt an dem Tag zu laufen, an welchem die Übertretung begangen worden ist, vorliegend also im April 2011. Art. 97 Abs. 3 StGB bestimmt, dass die Verjährung dann nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Um ein solches handelt es sich bei einem richterlichen Urteil oder bei einem rechtskräftigen Entscheid einer Justizbehörde, d.h. bspw. der Staatsanwaltschaft (BGE 135 IV 196 E. 2.6 S. 198).

II. FEHLENDE URTEILSQUALITÄT

Bis zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 15 km/h innerorts wird gemäss Nr. 303 des Anhangs 1 zur Ordnungsbussenverordnung (OBV) eine Ordnungsbusse erteilt. Liegt, wie vorliegend, indes eine höhere Geschwindigkeitsüberschreitung vor, kann das Ordnungsbussenverfahren nicht mehr angewendet werden. In solchen Fällen wird ein Strafbefehl ausgestellt, den die beschuldigte Person akzeptieren oder gegen den sie gemäss Art. 354 Abs. 1 StPO bei der Staatsanwaltschaft innert Frist von 10 Tagen Einsprache erheben kann. Wird von dieser letztgenannten Möglichkeit kein Gebrauch gemacht, wird der Strafbefehl gemäss Art. 354 Abs. 3 StPO zum rechtskräftigen Urteil erhoben. E contrario ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass einem Strafbefehl, der mittels Einsprache angefochten wird, die Urteilsqualität per se abgeht, weshalb auch kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB vorliegt. Denn die Einsprache ist ein Rechtsbehelf, der dazu führt, dass der Strafbefehl gerade nicht in Rechtskraft erwächst, sondern dahinfällt. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 15. Januar 2016 entschieden, dass die Verjährungsfrist aufgrund der Erhebung der Einsprache im vorliegenden Fall nicht unterbrochen worden ist und folglich auch während des Verfahrens vor Bezirksgericht weiterhin lief.

Nach Erheben der Einsprache hat die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 355 StPO die weiteren Beweise abzunehmen, welche zur Beurteilung der Sachlage erforderlich sind, um darüber zu entscheiden, ob (1.) am Strafbefehlf estgehalten werden soll, was gemäss Art. 356 Abs. 1 StPO dazu führt, dass die Akten dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens überwiesen werden, ob (2.) das Verfahren ganz einzustellen sei, (3.) ein neuer Strafbefehl erlassen werden soll oder aber ob (4.) Anklage beim erstinstanzlichen Gericht zu erheben sei. Von dieser letztgenannten Möglichkeit hat die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht.

Zu berücksichtigen gilt es, dass das vorstehend geschilderte Strafbefehlsverfahren nur dann erlaubt ist, wenn die Voraussetzungen von Art. 352 StPO erfüllt sind. Dies bedeutet einerseits, dass die beschuldigte Person den Sachverhalt im Vorverfahren eingestanden haben muss oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist. Weiter darf mit Strafbefehl nur eine Busse, eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen, gemeinnützige Arbeit von höchstens 720 Stunden oder eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten ausgefällt werden. Verallgemeinert ausgedrückt darf ein Strafbefehl somit nur bei leichteren Delikten erlassen werden. Dies deshalb, weil das Strafbefehlsverfahren ein vereinfachtes schriftliches Verfahren darstellt, in welchem eine Anklage vor Gericht, sowie eine Hauptverhandlung mit Beweisverfahren nur stattfindet, wenn dieser nicht akzeptiert wird und dagegen folglich Einsprache erhoben wird (Niggli, Heer, Wiprächtiger, RIKLIN, Vor Art. 352-356 N 1).

Handelt es sich um ein schwereres Delikt, bei welchem der Erlass eines Strafbefehls nicht mehr möglich ist, kann die Verjährung – in Übereinstimmung mit Art. 97 Abs. 3 StGB – frühestens mit dem erstinstanzlichen Urteil unterbrochen werden. Hätte das Bundesgericht nun entschieden, dass in einem Strafverfahren aufgrund eines leichteren Deliktes, wie einer Geschwindigkeitsüberschreitung, in welchem die Voraussetzungen des Strafbefehlsverfahrens erfüllt sind, die Verjährung bereits durch die Anfechtung des Strafbefehls unterbrochen wird, hätte dies dazu geführt dass die Verjährung bei leichteren Delikten früher unterbrochen werden kann als bei schwereren Delikten. Da dies zu einer stossenden Ungleichbehandlung geführt hätte, ist der Entscheid des Bundesgerichts nachvollziehbar.

III. FAZIT

Da gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben worden ist, fehlt dem Strafbefehl die Urteilsqualität, welche zur Unterbrechung der Verjährung erforderlich ist. Die dreijährige Verfolgungsverjährung hat somit im April 2011 zu laufen begonnen und ist nach drei Jahren, d.h. im April 2014, eingetreten. Im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils des Bezirksgerichts im Juni 2014 ist die Verjährung daher bereits eingetreten, weshalb das Bundesgericht die gegen den obergerichtlichen Entscheid erhobene Beschwerde abgewiesen hat.

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26. Februar 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann

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