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VERTRETUNGSMACHT VS. VERTRETUNGSBEFUGNIS DER MITGLIEDER DES VERWALTUNGSRATES EINER AKTIENGESELLSCHAFT

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Mitglieder des Verwaltungsrates sind mit ihrer Funktion sowie der Zeichnungsberechtigung (meist Einzelzeichnungsrecht oder Kollektivzeichnungsrecht) im Handelsregister einzutragen. Die Publikation dient Dritten bei der Beurteilung, ob ein von einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern unterzeichnetes Vertragsdokument Gültigkeit hat oder nicht. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sog. «Vertretungsmacht». Eine andere Frage ist, ob Verwaltungsratsmitglieder mit Einzelzeichnungsrecht in jedem Fall dazu berechtigt sind, ohne die vorherige Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates zu handeln. Dies ist eine Frage der sog. «Vertretungsbefugnis». Nachfolgend wird aufgezeigt, dass Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis nicht immer übereinstimmend sind und welche Konsequenzen ein selbständiges Handeln von Verwaltungsratsmitgliedern hat, wenn dafür die erforderliche Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates fehlt.

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I. KOMPETENZEN UND INTERNE ORGANISATION DES VERWALTUNGSRATES

Das Aktienrecht sieht in Art. 716 OR vor, dass der Verwaltungsrat in allen Angelegenheiten Beschluss fassen kann und muss, die nicht nach Gesetz oder Statuten der Generalversammlung zugeteilt sind. Diese Kompetenzvermutung erfolgt zugunsten des Verwaltungsrates als Gesamtgremium. Abs. 2 der genannten Gesetzesbestimmung lässt eine Delegation von Aufgaben an einzelne Mitglieder oder an Dritte jedoch durchaus zu. Eine solche Kompetenzübertragung erfolgt aber nur dann korrekt, wenn einerseits die Statuten eine Grundlage dafür vorsehen und andererseits der Verwaltungsrat – und zwar als Gesamtgremium – ein Organisationsreglement erlassen hat, das solche Einzel- oder Kollektivkompetenzen einzelner Mitglieder oder Dritter ausdrücklich regelt. Fehlt es am einen oder anderen Erfordernis, so sind grundsätzlich sämtliche dem Verwaltungsrat vorbehaltenen Aufgaben dem Gesamtgremium vorbehalten. Das bedeutet auch, dass in solchen Gesellschaften sämtliche Beschlüsse stets vom Gesamtverwaltungsrat getroffen werden müssen und nicht an einzelne Mitglieder oder gar Dritte delegiert werden dürfen. Die Tatsache, dass die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder gegebenenfalls dennoch mit Einzel- oder Kollektivzeichnungsrecht im Handelsregister eingetragen sind und einzeln oder zu zweit für die Gesellschaft handeln können, vermag nichts daran zu ändern, dass sie dies aufgrund der internen Gesellschaftsorganisation ohne Genehmigung des Gesamtverwaltungsrates nicht dürfen. Fehlt es in den Statuten einer Aktiengesellschaft also an einer Ermächtigung des Verwaltungsrates, ein Organisationsreglement überhaupt zu erlassen, sind verwaltungsratsinterne Aufgabendelegationen nicht gestattet. Sämtliche Beschlüsse des Verwaltungsrates bedürfen dann der Zustimmung der Mehrheit des Gesamtgremiums. Gleiches gilt nach vorherrschender Lehre auch dann, wenn zwar die statutarische Grundlage vorhanden wäre, der Verwaltungsrat es aber unterlassen hat, ein Organisationsreglement zu erlassen. In diesen Konstellationen fallen die im Handelsregister nach aussen kundgegebene Vertretungsmacht (d.h. das rechtliche «Können» aufgrund einer Einzelzeichnungsberechtigung) und die Vertretungsbefugnis (d.h. das rechtliche «Dürfen» aufgrund der internen Regelung) auseinander. Welche Folgen in dieser Konstellation ein eigenmächtiges Handeln einzelner Verwaltungsräte haben kann, wird in nachstehender Ziff. III. aufgezeigt.

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II. INHALT DER ERLAUBTEN KOMPETENZENDELEGATION

Inhaltlich ist der Gesamtverwaltungsrat in seiner Delegationsbestimmung weitgehend frei. Existiert die erforderliche statutarische Grundlage, kann er im Organisationsreglement beliebig regeln, ob lediglich einzelne Mitglieder, ein bereits bestimmter oder zu bestimmender Ausschuss oder gegebenenfalls auch Dritte (zusammen oder je einzeln) berechtigt sein sollen, einen Beschluss zu fassen oder ein Rechtsgeschäft abzuschliessen. Nach vorherrschender Lehre ist eine Delegation lediglich für jene Beschlüsse untersagt, für welche das Gesetz in Art. 716a Abs. 1 OR eine unentziehbare Kompetenz des Verwaltungsrates – und damit ist eben eine solche des Gesamtverwaltungsrates gemeint – vorsieht. Von der genannten Bestimmung erfasst sind insb. die grundlegenden organisatorischen Aufgaben wie bspw. die Oberleitung der Gesellschaft, die Ernennung und Abberufung von Geschäftsführern etc., wie auch die Vorbereitung der Generalversammlung oder die Benachrichtigung des Richters im Fall der Überschuldung (Auswahl). In allen ausserhalb des Katalogs von Art. 716a Abs. 1 OR stehenden Beschlüssen ist eine Delegation dem Grundsatz nach erlaubt. Eine zusätzliche Beschränkung besteht indes noch dahingehend, dass mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrates sowie – falls dieses keinen Wohnsitz in der Schweiz haben sollte – mindestens ein weiteres Verwaltungsratsmitglied oder ein Direktor mit Wohnsitz in der Schweiz zur Vertretung befugt sein müssen. Ist nur eine zur Vertretung berechtigte Person in der Schweiz wohnhaft, ist ihr Einzelzeichnungsrecht zu gewähren; bei zwei Personen mit Wohnsitz in der Schweiz ist Kollektivzeichnungsrecht ausreichend. 

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III. FEHLEN EINER RECHTLICH KORREKTEN DELEGATION

Wie bereits aufgezeigt, können Vertretungsmacht und Vertretungsbefugnis einzelner Verwaltungsratsmitglieder durchaus auseinanderfallen. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn einzelne Verwaltungsratsmitglieder, die im Handelsregister mit Einzelzeichnungsrecht eingetragen sind, im Alleingang, d.h. ohne die Zustimmung des Gesamtverwaltungsrates, Handlungen vollziehen. Oder in Konstellationen, in welchen zwar eine rechtlich gültige Delegation besteht, einzelne Mitglieder aber nicht im Rahmen dieser Delegation handeln, bspw., weil gemäss Organisationsreglement ein Ausschuss entscheidungsbefugt wäre. In beiden Fällen ist das jeweilige Verwaltungsratsmitglied zwar zu der entsprechenden Vertretung ermächtigt (aufgrund des Einzelzeichnungsrechts), jedoch nicht befugt. Die Auswirkungen, welche ein solches Verhalten zeitigt, sind zu differenzieren: Gegenüber einer/m unbeteiligten Dritten, welche/r in den seltensten Fällen Einsicht in die gesellschaftsrechtlichen Unterlagen wie Statuten oder Organisationsreglement haben wird, bleibt ein eigenmächtiges Verhalten, d.h. trotz Überschreiten der Vertretungsbefugnis, in aller Regel gültig. Die Aktiengesellschaft kann durch solches Verhalten also rechtsgültig verpflichtet werden. Aus diesem Grund ist ein Einzelzeichnungsrecht mit Vorbehalt einzuräumen. Der Vermerk eines Kollektivzeichnungsrechts schafft zumindest eine gewisse Kontrolle durch ein weiteres Mitglied. Denn ist ein Mitglied des Verwaltungsrates nur mit Kollektivzeichnungsrecht im Handelsregister eingetragen, darf auch ein Dritter nicht darauf vertrauen, dass ein von diesem VR-Mitglied alleine unterzeichneter Vertrag gültig ist. Einzelne Ausnahmen vorbehalten darf sich die Gesellschaft in einem solchen Fall auf die Publizitätswirkung des Handelsregisters berufen und sie kann sich mit Erfolg gegen die Rechtsverbindlichkeit des Vertrages zur Wehr setzen.

Gesellschaftsintern hat das eigenmächtige Verhalten eines Verwaltungsratsmitglieds, das gemäss Handelsregister zwar Einzelzeichnungsrecht hat, zur Folge, dass das betreffende Verwaltungsratsmitglied (oder ein Geschäftsführer oder Direktor) der Gesellschaft für pflichtwidriges Verhalten haftbar wird. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn ein Organisationsreglement existiert, dagegen aber verstossen wird. In Fällen, in welchen die Gesellschaft gar nicht über ein Organisationsreglement (oder ggf. auch über keine statutarische Grundlage dafür) verfügt und sich weder das betreffende VR-Mitglied, noch der Gesamtverwaltungsrat bewusst sind, dass eine Delegation gar nicht statthaft war, hat das Verhalten vielmehr die Konsequenz, dass gesellschaftsintern eben keine Möglichkeit besteht, das betreffende VR-Mitglied aufgrund eines Fehlverhaltens zu belangen. Der Gesamtverwaltungsrat bleibt damit für jegliche Konsequenzen aus einem solchen Handeln haftbar, da er es unterlassen hat, für eine rechtlich korrekte Kompetenzdelegation zu sorgen. Im Rahmen einer Verantwortlichkeitsklage dürfte es für die weiteren (nicht selbst handelnden) Verwaltungsratsmitglieder daher schwierig werden, sich mit dem Argument einer Haftung zu entziehen, sie hätten den Beschluss nicht aktiv mitgetragen. 

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IV. SCHLUSSFOLGERUNG

Die gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich Kompetenzdelegation sind vielen Verwaltungsräten, insb. in kleineren Gesellschaften, nicht bewusst. Die Folgen derselben können aber von grosser Tragweite sein. Dies spätestens dann, wenn sich die Mitglieder des Verwaltungsrates mit Verantwortlichkeitsansprüchen konfrontiert sehen, die aufgrund des Verhaltens eines einzelnen Verwaltungsratsmitgliedes entstanden sind, für welches eine rechtsgültige Delegation gar nicht bestand. Wie erwähnt, dürfte es in solchen Konstellationen schwierig werden, sich einer Haftung zu entziehen, da es an den Voraussetzungen für eine rechtsgültige Delegation und somit auch für die Abgabe der Verantwortung fehlte. Weiter ist zusammenfassend festzuhalten, dass Einzelzeichnungsrechte nur mit Zurückhaltung eingeräumt werden sollten. Die Auswirkungen eigenmächtigen Verhaltens einzelner Verwaltungsratsmitglieder, Geschäftsführer oder Direktoren können gravierend und die Möglichkeiten, auf das fehlbare Mitglied Regress zu nehmen, ernüchternd sein.  


18. Oktober 2021 / lic. iur. Patricia Geissmann

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