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DAS NEUE KINDESUNTERHALTSRECHT (BETREUUNGSUNTERHALT, ETC.)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit Beschluss vom 4. November 2015 hat der Bundesrat entschieden, die neuen gesetzlichen Regelungen zum Kindesunterhalt per 1. Januar 2017 in Kraft zu setzen. Ergänzt werden diese Regelungen zum Kindesunterhalt mit der neuen bundesrechtlichen Kompetenz zur Regelung der Inkassohilfe im Scheidungs- und Kindesrecht sowie zur Sicherung ausstehender Unterhaltszahlungen durch Meldepflichten im Bereich der beruflichen Vorsorge. Diese Ergänzungen des neuen Rechts werden zusammen mit einer noch ausstehenden bundesrätlichen Verordnung allerdings erst später in Kraft gesetzt.

I. GRUNDSÄTZLICHE NEUERUNGEN

Das neue Unterhaltsrecht beseitigt die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter bzw. getrennter/ geschiedener und von Kindern unverheirateter Eltern. Zudem erhält der Kinderunterhalt zukünftig Vorrang vor allen übrigen familienrechtlichen Unterhaltspflichten und die zuständige Behörde kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Möglichkeit einer alternierenden (geteilten) Obhut prüfen, sofern dies ein Elternteil oder das Kind verlangt.

II. BETREUUNGSUNTERHALT

Bis anhin erfolgte ein Ausgleich für die Fremdbetreuungskosten oder den Nachteil der verunmöglichten/ eingeschränkten Erwerbsfähigkeit bei Betreuung der Kinder durch den einen Elternteil lediglich bei verheirateten Eltern, in dem die entsprechenden Kosten bzw. die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Ehegattenunterhalts berücksichtigt wurde. Alleinerziehende unverheiratete Elternteile gingen demgegenüber leer aus, weil sie einzig Anspruch auf den nur die eigentlichen Kinderkosten umfassenden Kinderunterhalt hatten.

Unter dem neuen Recht erhöht sich der Kinderunterhalt im Regelfall, also auch bei Trennung oder Scheidung, um den Betreuungsunterhalt, welcher vom pflichtigen Elternteil zusätzlich zu den eigentlichen laufenden Lebenshaltungskosten zu entschädigen ist. Die Ansprüche auf Kinderunterhalt bzw. auf Unterhaltszahlungen unter Eltern gemeinsamer Kinder werden sich dadurch (teilweise wohl massiv) erhöhen, auch wenn erstens noch nicht klar ist, wie dieser neue Betreuungsunterhalt zu berechnen und wie lange er im Einzelfall zu zahlen ist, und zweitens in Fällen von Trennung oder Scheidung dem höheren Kinderunterhalt in aller Regel durch einen tieferen Ehegattenunterhalt wird Rechnung getragen werden können/müssen.

Dem zukünftig finanziell stärker belasteten unterhaltspflichtigen Elternteil wird mit dem neuen Recht allerdings die Möglichkeit eingeräumt, den Betreuungsunterhalt bzw. die gesamthaft geschuldeten Unterhaltsleistungen dadurch zu reduzieren, dass er einen Antrag auf alternierende oder geteilte Obhut stellt, d.h. er bereit ist, über das übliche Besuchs- und Ferienrecht hinaus das Kind mit zu betreuen (oder betreuen zu lassen?) und dadurch Fremdbetreuungskosten einzusparen oder den anderen Elternteil zu entlasten. Inwiefern solche Lösungen praktikabel sind und entsprechende Anträge dann auch gutgeheissen werden, ist noch kaum absehbar: Klar ist einzig, dass in jeder Hinsicht das Kindeswohl im Mittelpunkt zu stehen hat. Letztendlich geht es mit der Neuregelung erklärtermassen darum, einerseits dem Kind eine stärkere Betreuung durch beide Elternteile zu ermöglichen und andererseits eine angemessene Lebenshaltung dadurch zu sichern, dass eben auch seine Betreuung – durch den anderen Elternteil oder Dritte – durch Unterhaltszahlungen gesichert ist.

III. HÖHE DES NEUEN KINDERUNTERHALTS?

Der Gesetzgeber wie auch der Bundesrat überlassen die Bemessung des neuen Kindesunterhalts den zuständigen Behörden und Gerichten, weshalb Prognosen über die sich durchsetzende – möglicherweise kantonal auch unterschiedliche – Praxis schwierig sind. In der bundesrätlichen Botschaft finden sich kaum taugliche Kriterien, was denn zur gebührenden, durch die Eltern bzw. den andern Elternteil zu entschädigenden, Kinderbetreuung gehört bzw. was diese kosten darf.

Es ist anzunehmen, dass sich je nach den Lebensverhältnissen und der Aufgabenteilung vor Beginn der Unterhaltspflicht „Normfälle und -berechnungen“ entwickeln werden, wobei auf der einen Seite die weitgehende Fremdbetreuung (Krippe, etc.) beim Obhutsinhaber und auf der anderen Seite die weitgehende Selbstbetreuung durch den Obhutsinhaber mit entsprechendem Einkommensausfall stehen. Gehen wir davon aus, dass in durchschnittlichen Fällen bis anhin für ein Kind unverheirateter Eltern zur Deckung dessen Kosten ein monatlicher Betrag von CHF 1‘000.00 festgelegt wurde, so kann dieser Betrag im ersteren Fall (Fremdbetreuung) je nach Alter des Kindes und Kostenstruktur in der entsprechenden Gemeinde durchaus auf CHF 2‘000.00 bis 3‘000.00, nämlich um die Krippekosten, Randbetreuungskosten, etc., steigen. Noch teurer dürfte es werden, wenn der obhutsinhabende Elternteil das (noch kleine) Kind bis anhin persönlich betreut hat und dies weiterhin tun will bzw. solches aus Gründen des Kindeswohls geschützt wird: Diesfalls schuldet nämlich der Unterhaltspflichtige bei gegebener Leistungsfähigkeit neben dem bisherigen Kinderunterhalt zur Deckung der Kosten des Kindes (im obigen Durchschnittsfall CHF 1‘000.00/Monat) auch einen Betreuungsunterhalt, welcher den ganzen Bedarf des die Betreuung wahrnehmenden und deshalb nicht erwerbstätigen Elternteils beinhaltet, so dass selbst bei noch durchschnittlichen Verhältnissen ein angemessener Kinderunterhalt neu eher bei CHF 4‘000.00 (oder mehr) liegen dürfte. Auch auf den nie verheirateten Unterhaltspflichtigen kommen damit Unterhaltslasten zu, wie sie im Trennungs- und Scheidungsrecht üblich sind.

Wo in luxuriösen Verhältnissen, d.h. bei hoher Leistungsfähigkeit und hohem bisherigen Lebensstandard beider oder des einen Elternteils der neue Kindesunterhalt inkl. Betreuungskosten betraglich liegen könnte, ist effektiv noch nicht einzuschätzen. Klar erscheint einzig, dass eine volle Gleichstellung von nicht verheirateten Eltern mit gemeinsamen Kindern und sich trennenden/scheidenden Ehegatten auf dem Umweg über den Betreuungsunterhalt nicht gerechtfertigt wäre, fehlt es bei Ersteren doch an der ehetypischen Beistands- und Solidaritätspflicht. Angesichts der fehlenden gesetzlichen Vorgaben und der Bandbreite möglicher Betreuungsregelungen/-kosten ist aktuell kaum prognostizierbar, was ab 1. Januar 2017 gefordert werden kann bzw. geschuldet ist. Dies gilt nicht nur für die Höhe des neuen Kindesunterhalts, sondern auch für dessen Dauer oder beispielsweise die Aufteilung der Betreuungskosten bei mehreren Kindern (von möglicherweise unterschiedlichen Pflichtigen). Es ist zu hoffen, dass Lehre und Rechtsprechung baldmöglichst für eine Eingrenzung und Klärung sorgen, allenfalls kantonale Kindesbehörden auch Richtlinien und Empfehlungen zur Bemessung des neuen Kindesunterhalts publizieren, an welchen sich die Praxis orientieren kann. Bis dann werden intensivere Auseinandersetzungen nicht nur um den Kinderunterhalt, sondern auch den Scheidungsunterhalt wohl nicht zu vermeiden sein.

IV. ANPASSUNG / ABÄNDERUNG BESTEHENDER UNTERHALTSVERPFLICHTUNGEN

Unterhaltsbeiträge, die vor dem 1. Januar 2017 (in einem Unterhaltsvertrag oder in einem Unterhaltsentscheid) festgelegt werden, können auf Gesuch des Kindes dem neuen Recht angepasst, d.h. um den gegebenenfalls geschuldeten Betreuungsunterhalt erhöht, werden.

Eingeschränkt ist dieses Abänderungsrecht dort, wo der Kinderunterhalt gleichzeitig mit Unterhaltsbeiträgen an den Elternteil festgelegt wurde, namentlich also in Trennungs- oder Scheidungsurteilen: Hier ist eine Anpassung nur möglich, wenn sich die Verhältnisse erheblich verändert haben.

Zu beachten gilt es zudem, dass auf alle noch kantonal rechtshängigen Verfahren ab 1. Januar 2017 das neue Recht anwendbar ist. Auch dem wird bei der Beratung gebührend Rechnung zu tragen sein.

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1. Dezember 2015 / lic. iur. Martin Kuhn

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