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DER UNTERHALTSANSPRUCH DES VOLLJÄHRIGEN, NOCH IN DER ERSTAUSBILDUNG STEHENDEN KINDES GEGENÜBER BEIDEN ELTERNTEILEN (ART. 277 ZGB)

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit aktuellem Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020) bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung betreffend die proportionale Aufteilung des Unterhaltes für volljährige Kinder auf beide Elternteile nach deren (finanzieller) Leistungsfähigkeit und hält an seiner Praxis fest, dass das volljährige Kind keinen Anspruch auf einen Anteil an einem Überschuss seiner Eltern hat.

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I. GRUNDSÄTZE ZUR ERMITTLUNG DES KINDERUNTERHALTS

Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB sieht als Grundsatz vor, dass beide Elternteile, ein jeder nach seinen Kräften, für den in Form von Pflege, Erziehung und Geld zu erbringenden Unterhalt des Kindes zu sorgen haben. Bei Unterhaltsansprüchen des noch minderjährigen Kindes sind Geld- und Naturalunterhalt grundsätzlich gleich zu gewichten. Die Regelung gemäss Art. 276 Abs. 1 und 2 ZGB gilt auch für den gesamten Barunterhalt eines Kindes, der sich nach Art. 285 Abs. 1 ZGB bemisst. Der Barunterhaltsbetrag soll den Bedürfnissen des Kindes einerseits, aber auch der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern andererseits, entsprechen, wobei das Vermögen und die Einkünfte des Kindes entsprechend zu berücksichtigen sind. Art. 276 Abs. 3 ZGB sieht vor dem Hintergrund der einer Unterhaltspflicht der Eltern vorgehenden Eigenverantwortung des Kindes vor, dass die Eltern von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit sind, als dem Kind zugemutet werden kann, seinen Unterhalt aus seinem Vermögen, eigenem Arbeitserwerb oder anderen Mitteln zu bestreiten. Bei volljährigen Kindern ist ein allfälliger Arbeitserwerb des Kindes gegebenenfalls ohnehin bereits mit Blick auf Art. 277 Abs. 2 ZGB (anteilsmässig) zu berücksichtigen. Der Umfang der Berücksichtigung des Kindeseinkommens im Rahmen der Festlegung des Unterhaltsanspruchs hängt von den Verhältnissen im Einzelfall ab, wobei die Zumutbarkeit i.S.v. Art. 276 Abs. 3 ZGB basierend auf dem Vergleich der Leistungsfähigkeit von Eltern und Kind, aber auch nach der Höhe ihrer Leistungen und dem konkreten Bedarf des Kindes zu prüfen ist. Den kantonalen Gerichten kommt bei dieser Beurteilung ein grosser Ermessensspielraum zu.

Gestützt auf die tatsächlich gelebte Lebenshaltung der Eltern hat das Kind bei einer besonders günstigen Lebensstellung der Eltern grundsätzlich Anspruch auf eine grosszügige Berechnung seines Bedarfs, der bspw. einen erhöhten Grundbedarf, die Kosten für eine Zusatzversicherung (VVG) bei der Krankenkasse oder Freizeitaktivitäten enthält. Dabei nicht zu berücksichtigen ist eine lediglich hypothetisch günstige Lebenshaltung der Eltern, die sie sich aufgrund ihres (hohen) Einkommens tatsächlich leisten könnten. Die konkrete Bedarfsermittlung des Kindes kommt nicht ohne gewisse Pauschalisierungen (bspw. betr. Grundbedarf und Wohnkostenanteil) aus und das Bundesgericht bestätigt im Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020), mit Verweisen, dass das Abstellen auf vorgegebene Bedarfszahlen im Rahmen des richterlichen Ermessens unumgänglich und zulässig ist, sofern die erforderlichen Anpassungen basierend auf der konkreten Lebensstellung der Eltern vorgenommen werden.

In drei aktuellen Leitentscheiden vom 11. November 2019 (5A_311/2019), vom 14. Dezember 2020 (5A_365/2019) und vom 2. Februar 2021 (5A_891/2018) hat das Bundesgericht als Methode zur Unterhaltsberechnung in allen familienrechtlichen Verfahren festgehalten, dass diese schweizweit zwingend nach der zweistufig-konkreten Methode, ausgehend vom eingeschränkten familienrechtlichen Existenzminimum und mit Überschussverteilung nach «grossen und kleinen Köpfen» zu ermitteln ist. Dabei darf die Verteilregel betr. Überschuss nicht schematisch angewandt werden, sondern besondere (Einkommens- und Vermögens-) Situationen bleiben für den konkreten Fall vorbehalten. So kann bspw. bei aussergewöhnlich guten finanziellen Verhältnissen der Eltern die Überschussverteilung anders vorgenommen werden oder aber ganz von einer konkreten Berechnung abgesehen werden, wenn letztlich nur noch die Frage zentral ist, in welcher Höhe der Kinderunterhalt aus erzieherischen und/oder aus den tatsächlichen Bedarfsgründen seine obere Grenze findet. Ein minderjähriges Kind darf nicht im Rahmen der Überschussverteilung Anspruch auf eine Lebensführung geltend machen, welche den angestammten Standard vor der Trennung der Eltern überschreitet.

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II. BESONDERHEITEN DES UNTERHALTS FÜR VOLLJÄHRIGE KINDER

Das Bundesgericht hält in seinem Urteil vom 14. Mai 2021 (5A_513/2020) fest, dass ein volljähriges Kind nicht mehr auf die Betreuung durch die Eltern angewiesen ist, weshalb sich die elterliche Pflicht zur Unterstützung auf einen finanziellen Beitrag an dessen Lebensunterhalt konzentriert und damit die Berücksichtigung eines Naturalunterhalts, der in Form von Pflege und Erziehung geleistet wird, ganz wegfällt. Vor diesem Hintergrund verliert der Umstand, bei welchem Elternteil das volljährige Kind lebt und sein Zuhause hat, als Teil der Berechnungsgrundlagen seine Relevanz. Die Pflicht der Eltern zur Leistung eines finanziellen Beitrags an den gemäss vorstehenden Ausführungen festgelegten Lebensunterhalt des volljährigen Kindes ist somit anteilsmässig auf beide Elternteile, im Rahmen deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufzuteilen, wobei sich die Quote eines jeden Elternteils nach der Differenz zwischen den jeweiligen Einkommen und dem jeweiligen Bedarf, bzw. nach dem ermittelten Überschuss eines jeden Elternteils, bemisst.

Bereits mit Urteil vom 11. November 2019 (5A_311/2019) hat das Bundesgericht bezüglich dem Volljährigenunterhalt ausserdem den Grundsatz festgehalten, dass dieser maximal auf das familienrechtliche Existenzminimum, einschliesslich der konkreten Ausbildungskosten, begrenzt ist, womit das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit nicht (mehr) von einem allfälligen Überschuss der Eltern profitieren kann.

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III. FAZIT

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, das aufgrund einer noch nicht abgeschlossenen Erstausbildung im Rahmen seiner Eigenversorgungskapazität nicht finanziell selbständig ist, nach Art. 285 Abs. 1 ZGB (Bedarfsberechnung), in Berücksichtigung von Art. 276 Abs. 3 ZGB und Art. 277 Abs. 2 ZGB (eigene Mittel), festzulegen ist. Dieser Barbedarf ist bei günstigen finanziellen Verhältnissen der Eltern bis maximal zur Höhe des bisher gelebten, familiären Standards zu erhöhen, wobei jedoch kein Anspruch des volljährigen Kindes auf eine Beteiligung am von den Eltern erwirtschafteten Überschuss besteht.

Die Pflicht zur Leistung des so ermittelten Unterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes ist in der Folge anteilsmässig auf beide Elternteile zu verlegen, wobei sich die jeweilige Quote an der konkreten Leistungsfähigkeit eines jeden Elternteils zu orientieren hat.

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9. Juli 2021  / lic. iur. Melanie Schmidt

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