Blog

DIE VERWIRKUNG IM SCHWEIZERISCHEN MARKENRECHT

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Seraina Keller

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

.

Trotz grosser praktischer Tragweite kennt das Schweizer Markenrecht – im Gegensatz zur EU – keine explizite Bestimmung zur Verwirkung markenrechtlicher Ansprüche und insbesondere keine exakte Verwirkungsfrist. Dennoch anerkennen Rechtsprechung und Lehre, dass markenrechtliche Ansprüche gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) verwirken können. Die Rechtsmissbräuchlichkeit wird im widersprüchlichen Verhalten des Berechtigten gesehen (venire contra factum proprium), indem dieser zunächst die Verletzung seiner älteren Marke duldet, dann aber doch gerichtlich gegen den Verletzer vorgeht.

.

.

.

.

I. VORAUSSETZUNGEN DER VERWIRKUNG

Eine Verwirkung kennzeichenrechtlicher Abwehransprüche setzt nach Lehre und Rechtsprechung voraus, dass a) der Verletzte während längerer Zeit inaktiv geblieben, b) der Berechtigte Kenntnis über das an sich verletzende Verhalten hatte oder dieses zumindest erkennbar war, c) der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erworben hat und d) der Verletzer gutgläubig war. Diese vier Voraussetzungen sind nachfolgend näher zu prüfen.

a) INAKTIVITÄT DES VERLETZTEN

Für den Eintritt der Verwirkung muss der Verletzte untätig geblieben sein, obwohl ein Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Löschungsanspruch besteht und er tatsächlich die Möglichkeit zur Rechtsausübung hatte.

Grundsätzlich ist die Untätigkeit des Verletzten ab dem Zeitpunkt relevant, ab welchem dieser Kenntnis von der Verletzung erhielt und damit sein Recht erstmals hätte ausüben können. In der Praxis dürfte der Beweis der positiven Kenntnis nicht ganz einfach zu erbringen sein, weshalb auf den Zeitpunkt abgestellt wird, ab welchem der Berechtigte Kenntnis von der Verletzung hätte haben müssen. Erst nach Ermittlung dieses Zeitpunkts kann festgestellt werden, wie lange der Verletzte zugewartet hat. Nach welcher Dauer Inaktivität des Verletzten vorliegt, ist in der Lehre umstritten; diese wird zwischen vier und zehn Jahren angenommen.[1]

Auch das Bundesgericht kennt keine einheitliche Regelung bezüglich der Dauer. Mit Urteil vom 2. März 2006 (BGer 4C.371/2005) erachtete es eine zweijährige Untätigkeit bereits als verwirkungsrelevant, in früheren Urteilen liess es eine Duldung ab sieben Jahren als verwirkungsrelevant gelten. Als Kriterium nennt das Bundesgericht, dass es entscheidend sei, ob beim Verletzer der Eindruck entsteht, der Berechtigte dulde die Verletzung.

Es wird ersichtlich, dass weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre einheitlich definiert ist, nach welcher Dauer von Inaktivität des Verletzten ausgegangen wird, sondern dies vielmehr von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig ist.

b) KENNTNIS BZW. ERKENNBARKEIT DER VERLETZUNG

Dem untätig gebliebenen Inhaber der älteren Marke kann ein widersprüchliches Verhalten nur dann vorgeworfen werden, wenn er während seiner Untätigkeit Kenntnis von der Verletzung hatte und diese duldete. Von positiver Kenntnis seitens des Berechtigten wird bspw. ausgegangen, wenn der Inhaber der jüngeren Marke bei diesem um Einwilligung zur Markenanmeldung und –benutzung ersuchte oder wenn der Berechtigte Letzteren abgemahnt hat. Indessen ist die verzögerte Rechtsausübung nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann missbräuchlich, wenn sie auf fahrlässige oder gar unverschuldete Unkenntnis der Rechtsverletzung zurückzuführen ist (BGE 117 II 575, E. 4). Diesfalls stützt sich die Verwirkung nicht auf das widersprüchliche Verhalten des Verletzten, sondern ist Folge seines fehlenden Interesses oder des krassen Missverhältnisses der sich gegenüberstehenden Interessen. Damit dem Berechtigten fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden kann, ist zu prüfen, ob der Berechtigte es sorgfaltswidrig unterlassen hat, den Markt auf gegnerische Zeichen hin zu beobachten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welches Mass an Sorgfalt vom Berechtigten bei der Überwachung des Marktes auf verletzende Zeichen erwartet werden kann. Dabei ist entscheidend, ob der Verletzer aufgrund seines Auftretens in der Öffentlichkeit davon ausgehen darf, dass der Berechtigte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von der Verletzung Kenntnis erlangen kann und wahrscheinlich Widerspruch erheben wird. Seitens des Berechtigten ist zu prüfen, ob es sich um ein Unternehmen handelt, das regelmässig Marktbeobachtungen durchführt und bei Verletzungen sofort reagiert. Dies dürfte bei grösseren Unternehmen eher der Fall sein.

c) WERTVOLLER BESITZSTAND

Für die Verwirkungseinrede entscheidend ist sodann, ob es dem Inhaber der jüngeren Marke zuzumuten ist, den im Vertrauen auf die Untätigkeit des Berechtigten geschaffenen Besitzstand wieder aufzugeben. Für die Beantwortung der Frage, ob ein wertvoller Besitzstand geschaffen wurde, ist der Blick auf die gesamte wirtschaftliche Bedeutung der Zeichenverwendung auszuweiten, d.h. es ist nicht alleine auf den Umsatz mit dem betroffenen Zeichen in einem bestimmten Land abzustellen. Ein wertvoller Besitzstand fehlt, wenn die jüngere Marke nicht oder nur sporadisch genutzt wird und sich keine Werbeanstrengungen nachweisen lassen. Nur ein intensiv genutztes und in den massgebenden Verkehrskreisen gekanntes Zeichen kann einen wertvollen Besitzstand verkörpern. Der Richter muss folglich prüfen, ob der Verletzer eine derart starke Wettbewerbsstellung erlangt hat, von der angenommen wird, der Verletzer könne das alte Zeichen nicht ohne ernsthafte Nachteile durch ein neues ersetzen.

d) GUTGLÄUBIGKEIT

Schliesslich muss der Verletzer in Bezug auf die Zulässigkeit der Benutzung des eigenen Zeichens gutgläubig sein. In der Praxis wird es kaum möglich sein, den guten Glauben des Verletzers zu beweisen, weshalb der Richter auf Indizien und seine Lebenserfahrung abzustellen hat. Ein Indiz für Gutgläubigkeit ist, wenn der Verletzer vor Einführung seines Kennzeichens den Markt auf prioritätsältere Zeichen überprüfte und sich ein solches nicht finden liess und das ältere Zeichen auch in keinem Register eingetragen war. Weiter dürfte Gutgläubigkeit vorliegen, wenn die ältere Marke wenig bekannt war oder das neue Zeichen kein Anlass zu Verwechslung mit der älteren Marke gibt. Schliesslich kann als Indiz für die Gutgläubigkeit auch die Tatsache gelten, dass dem Verletzer bekannt ist, dass ähnliche Zeichen durch den prioritätsälteren Markeninhaber toleriert werden.

II. RECHTSFOLGEN DER VERWIRKUNG

Sind alle vier Voraussetzungen erfüllt, lässt sich als Rechtsfolge der Verwirkung ein an sich begründeter markenrechtlicher Anspruch gerichtlich nicht mehr durchsetzen. Dabei gilt es zu beachten, dass dies nur inter partes gilt, d.h. die Rechtsfolgen entfalten sich nur gegenüber demjenigen, der die Verwirkung zu seinen Gunsten einwendet. Auch tritt die Verwirkung nicht für sämtliche Produkte, sondern nur für diejenigen, für welche der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erworben hat, ein.

III. VERGLEICH ZUR EU

Nach Art. 9 der Europäischen Markenrechtsrichtlinie setzt die Verwirkung die Duldung (trotz Kenntnis) durch den prioritätsälteren Markeninhaber während fünf aufeinanderfolgenden Jahren voraus. Das EU-Recht hat damit eine starre Verwirkungsfrist statuiert, während die Zeitdauer bis zum Verwirkungseintritt nach Schweizer Recht gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot variabel ist, von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist und entsprechend auch bereits vor fünf Jahren eintreten kann. Als weiterer Unterschied zum Schweizer Recht tritt die Verwirkung nach EU-Recht unabhängig von der Tatsache ein, ob der Verletzer einen wertvollen Besitzstand erlangt hat. Demgegenüber kann die Verwirkung – wie im Schweizer Recht – auch bei fahrlässiger Unkenntnis des Verletzten eintreten, da Letzteren eine Sorgfaltspflicht trifft. Schliesslich ist der kennzeichenrechtliche Begriff der Bösgläubigkeit ein anderer, da das Schweizer Rechtsmissbrauchsverbot anfängliche Bösgläubigkeit des Verletzers duldet.

IV. FAZIT

Der Verwirkungstatbestand ist im Schweizer Recht nicht normiert; nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist er als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchsverbotes von Art. 2 Abs. 2 ZGB (venire contra factum proprium) ohne Bindung an starre Regeln und stets unter Würdigung des Einzelfalls sowie nach richterlichem Ermessen zu beurteilen. Im Ergebnis führt dies – im Unterschied zur starren EU-Verwirkungsfrist von fünf Jahren – zu vielen Unklarheiten und unterschiedlichen Auslegungen, lässt dafür aber auch Spielraum für eine einzelfallgerechte Beurteilung offen.

.

.


[1] Nach Marbach setzt die Verwirkung kaum vor fünf Jahren ein und dürfte nach Ablauf von zehn Jahren aber meistens eingetreten sein, Marbach, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, S. 214; David bejaht die Verwirkung nach vier Jahren, David, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, N 46 zu Vorbemerkungen zum 3. Titel; für Killias und Schlosser sind fünf Jahre massgebend, Killias, La mise en oeuvre de la protection des signes distinctifs, S. 390 f; Schlosser, La péremption en matière de signes distinctifs, in: sic! 2006 p. 549 ff., S. 557; für Hilti gelten acht Jahre, Hilti, Firmenrecht, S. 92.


20. Oktober 2020 / MLaw Simone Küng unter Mithilfe von MLaw Seraina Keller,

Sorry, the comment form is closed at this time.