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FRISTBEGINN FÜR KÜNDIGUNGSANFECHTUNG IM MIETVERHÄLTNIS WÄHREND FERIENABWESENHEIT

lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Sabrina Engel (MLaw)

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Wird dem Mieter einer Wohnung eine Kündigung mittels eingeschriebenem Brief zugestellt und will dieser die Kündigung anfechten, muss er das Schlichtungsgesuch innert einer Frist von dreissig Tagen bei der zuständigen Schlichtungsbehörde für Mietsachen einreichen. Die Anfechtungsfrist beginnt – im Sinne der absoluten Empfangstheorie – direkt mit der erfolgten Zustellung an den Mieter. Diese Rechtsprechung bestätigt das Bundesgericht in einem neueren Entscheid und setzt sich gleichzeitig mit der Frage auseinander, ob die Frist zur Anfechtung einer Kündigung auch nach dieser Regel zu laufen beginnt, wenn sich der Mieter beim Zustellungsversuch in den Ferien befindet.

I. GELTENDE RECHTSLAGE BEI KÜNDIGUNG DURCH DEN VERMIETER

Die Fristberechnung bei vertraglichen Rechtshandlungen richtet sich nach Art. 77 OR, wonach der Tag, auf den das fristauslösende Ereignis fällt, bei den nach Tagen berechneten Fristen grundsätzlich nicht mitgerechnet wird (Abs. 1). Bei Willenserklärungen wie z.B. Kündigungen oder Mahnungen gilt hingegen, sofern die Parteien für die Willenserklärung untereinander nicht anderes vereinbart haben, für den Beginn und Wahrung von Fristen die Empfangstheorie. Danach ist für die Bestimmung des Fristbeginns massgebend, wann die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist.

So hat das Bundesgericht im Jahr 2014 im Urteil 140 III 244 entschieden, dass die 30-tägige Frist zur Anfechtung einer Kündigung gemäss Art. 273 Abs. 1 OR an dem Tag zu laufen beginnt, an dem die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers oder seines Vertreters gelangt, so dass dieser bei normaler Organisation seines Geschäftsverkehrs grundsätzlich in der Lage ist, von der Willenserklärung Kenntnis zu erlangen.

Dies bedeutet, dass die Anfechtungsfrist einer eingeschrieben verschickten Kündigung am Tag der physischen Aushändigung durch den Postboten an den Mieter oder dessen Vertreter zu laufen beginnt. Falls aufgrund der Abwesenheit des Mieters hingegen vom Postboten eine Abholungseinladung in den Briefkasten gelegt werden muss, beginnt die Frist dann zu laufen, sobald der Mieter gemäss der Abholungseinladung bei der zugehörigen Poststelle vom Kündigungsschreiben Kenntnis nehmen kann. Das Bundesgericht trifft dabei die Annahme, dass die Kenntnisnahme noch am (gleichen!) Tag, an dem die Abholungseinladung in den Briefkasten gelegt wird, möglich ist, sofern dies vom Empfänger erwartet werden kann. Andernfalls gilt die eingeschriebene Sendung gemäss dem Bundesgericht am darauffolgenden Tag als zugestellt, womit die Frist erst an diesem Tag zu laufen beginnt (vgl. BGE 137 III 208).

Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Prinzip wird als absolute bzw. uneingeschränkte Empfangstheorie bezeichnet. In unserem Newsletter vom 17. März 2014 wurde diese bundesgerichtliche Praxis bereits thematisiert und dabei auf die geschaffene Rechtsunsicherheit bezüglich des effektiven Fristbeginns aufmerksam gemacht. Insbesondere ist nicht eindeutig geregelt, in welchen Fällen die Frist bei Erhalt einer Abholeinladung nicht am gleichen Tag, sondern erst am darauffolgenden, zu laufen beginnt. Aus diesem Grund ist dem Mieter dringend anzuraten, den Tag der Zustellung der Abholeinladung bei der 30-tägigen Anfechtungsfrist mitzuzählen (vgl. Newsletter Fristberechnung im Mietrecht bei Anfechtung der Kündigung und/oder Einreichung eines Erstreckungsbegehrens vom 17. März 2014).

Im Entscheid 4A_293/2016 vom 13. Dezember 2016 bestätigt und konkretisiert das Bundesgericht die Geltung der absoluten Empfangstheorie im Zusammenhang mit der Kündigung eines Mietverhältnisses. Namentlich wird festgehalten, dass die Frist für die Anfechtung einer Kündigung auch dann nach der Regel der absoluten Empfangstheorie zu laufen beginnt, wenn sich der Mieter beim Zustellversuch in den Ferien befindet.

II. GELTENDE RECHTSLAGE BEI MIETZINSERHÖHUNGEN UND ABMAHNUNGEN WEGEN ZAHLUNGSVERZUGS

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich beim Erhalt einer Mietzinserhöhung (mittels amtlichen Formulars) oder einer Abmahnung von offenen Mietzinsen grösstenteils differenziert verhält: In diesem Fall beginnt die 30-tägige Frist für eine entsprechende Anfechtung oder Kündigung wegen Zahlungsverzug zwar auch ab dem Tag der Zustellung des Einschreibens des Vermieters beim Mieter zu laufen.

Kann das Schreiben hingegen nicht direkt an den Mieter oder den Stellvertreter ausgehändigt werden, beginnt die Frist ab dem Tag der Abholung des Schreibens bei der Post oder bei Erhalt einer Abholeinladung der Post nach Ablauf der 7-tägigen Frist, zu laufen. Der Fristbeginn richtet sich dementsprechend nach der relativen Empfangstheorie (für nähere Ausführungen zu der relativen Empfangstheorie wird ebenfalls auf den oben genannten Newsletter verwiesen).

III. SACHVERHALT DES BUNDESGERICHTSENTSCHEIDES 4A_293/2016 VOM 13. DEZEMBER 2016

Dem Bundesgerichtsentscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis am 29. November 2013 mit entsprechendem amtlichem Formular. Infolge Ferienabwesenheit waren die Mieter nicht in der Lage, die eingeschriebene Kündigung entgegenzunehmen, weshalb der Postbote am 2. Dezember 2013 eine Abholeinladung in deren Briefkasten legte. Die Mieter kehrten jedoch erst am letzten Tag der Abholfrist und nach Schliessung des Postschalters von den Ferien zurück. Es war ihnen folglich nicht mehr möglich, die eingeschriebene Sendung abzuholen, da nach Ablauf der Abholfrist nicht abgeholte Schreiben jeweils an den Absender retourniert werden. Im vorliegenden Fall wurde den Mietern dann allerdings zum Verhängnis, dass sie sich anschliessend nicht über den Absender des inzwischen retournierten Schreibens erkundigt hatten. Über die am 29. November 2013 erfolgte Kündigung wurden sie von ihrem Vermieter erst am 23. Januar 2014 mit einfachem Schreiben und einer Kopie der Kündigungserklärung informiert, wozu der Vermieter nicht verpflichtet gewesen wäre. Der Vermieter teilte ihnen mit beiliegendem Schreiben mit, dass die Kündigung am letzten Tag der Abholeinladung als zugestellt gelte und dementsprechend ihre volle Wirksamkeit entfalten würde. Die Mieter reichten in der Folge am 7. Februar 2014 das Begehren um Anfechtung der Kündigung ein.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz und zuungunsten der Mieter entschied das Bundesgericht, dass sich die Empfänger einer Abholeinladung in einem solchen Fall bei der Post oder auf der Website der Post über den Absender hätten informieren müssen. Für unerheblich erachtete das Bundesgericht einerseits die Tatsache, dass die Abholfrist bereits abgelaufen war. Andererseits spielte es keine Rolle, dass die Mieter nicht mit einem eingeschriebenen Brief rechnen mussten und dementsprechend auch keine Vorkehrungen für den rechtzeitigen Empfang trafen. Es bestand gemäss Bundesgericht keine Obliegenheit des Absenders, die Empfänger rechtzeitig mit einfacher Post über die Kündigung zu orientieren.

IV. FAZIT

Das in diesem Artikel behandelte Bundesgerichtsurteil lässt einige Fragen offen, die sich erst mit der Weiterentwicklung der Rechtsprechung klären werden. Insbesondere ist unklar, inwiefern diese Regelung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchsverbots ihre Grenzen findet. So stellt sich namentlich die Frage, ob sich der Vermieter rechtmissbräuchlich verhält, wenn dieser im Wissen um die Abwesenheit und damit um die fehlende Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Mieter mit einer zweiten Zustellung der Kündigungserklärung zuwartet oder gar ganz auf diese verzichtet. Unklar ist auch, wie es sich verhält, wenn der Mieter gar nicht in der Lage ist, die Abholung von eingeschriebenen Sendungen während seiner Abwesenheit zu organisieren (z.B. wegen Krankheit oder unfallbedingtem Spitalaufenthalt). Zu solchen möglichen Spezialfällen schweigt der Bundesgerichtsentscheid.

Nichtsdestotrotz gilt es für Mieter zu beachten, dass diese sich entsprechend organisieren müssen, sofern sie mehr als sechs Tage abwesend sind; sei es durch einen Auftrag zum Rückbehalt von Sendungen bei der Poststelle – die im Übrigen auch auf Anfrage hin jederzeit Auskunft über den Absender einer zurückgegangenen Sendung erteilt – oder durch eine Stellvertretungslösung. So sind die Mieter auch bei einer längeren Ferienabwesenheit in der Lage, Kenntnis von einer eingeschriebenen Sendung zu erlangen und noch innerhalb der 30-tägigen Frist entsprechend zu reagieren. Denn am Ende tragen sie das Risiko bzw. die Konsequenzen einer verpassten Frist.

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26. April 2017 / lic. iur. Stephan Hinz unter Mithilfe von Sabrina Engel (MLaw)

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