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FRISTBERECHNUNG IM MIETRECHT BEI ANFECHTUNG DER KÜNDIGUNG UND/ODER EINREICHUNG EINES ERSTRECKUNGSBEGEHRENS

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Erhält der Mieter einer Wohnung die Kündigung, so beginnt eine 30-tägige Frist, innert welcher der Mieter an die zuständige Schlichtungsbehörde für Mietsachen gelangen muss, falls er die Kündigung anfechten will oder aber, allenfalls verbunden als Eventualantrag zur Anfechtung der Kündigung, die Erstreckung des Mietverhältnisses beantragen will.

Das Bundesgericht hat nun in einem neuen Entscheid den Beginn dieser 30-tägigen Frist für das Erstreckungsbegehren neu definiert.

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I. EINLEITUNG

Will ein Mieter die erhaltene Kündigung des Mietvertrages anfechten, so muss er gemäss Art. 273 Abs. 1 OR dieses Begehren innert einer Frist von 30 Tagen nach Empfang der Kündigung der Schlichtungsbehörde einreichen. Will der Mieter eine Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen, so gilt für ein unbefristetes Mietverhältnis die gleiche Frist von 30 Tagen ab Empfang der Kündigung (Art. 273 Abs. lit. a OR). Bei einem befristeten Mietverhältnis muss der Mieter das Erstreckungsbegehren spätestens 60 Tage vor Ablauf der fixen Vertragsdauer einreichen (Art. 273 Abs. 2 lit. b OR). Vorliegend stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die 30-tägige Frist gemäss Art. 273 Abs. 1 sowie Art. 273 Abs. 2 lit. a OR beginnt.

Art. 273 OR definiert klar, dass der Empfang der Kündigung massgebend für die Fristberechnung ist. Somit stellt das Gesetz für die Bestimmung des Fristbeginns auf die Mitteilung der einseitigen Willenserklärung des Vermieters, d.h. die Mitteilung der Kündigung ab. Doch wann gilt diese Mittelung als eingegangen?

II. ABSOLUTE EMPFANGSTHEORIE

Die Kündigung eines Vertragsverhältnisses ist eine Willenserklärung und ist damit grundsätzlich empfangsbedürftig. Dies bedeutet, dass diese Willenserklärung an eine bestimmte Person gerichtet werden muss und erst dann wirksam wird, wenn sie von dieser Person auch empfangen worden ist. Betreffend die Wirksamkeit des Empfangs der Willenserklärung von mittelbaren Erklärungen, d.h. Erklärungen, bei welchen die Abgabe der Erklärung und die Kenntnisnahme derselben zeitlich auseinander fallen, ist grundsätzlich zwischen dem Zugang der Erklärung beim Empfänger und der Kenntnisnahme der Erklärung beim Empfänger zu unterscheiden. Grundsätzlich massgeblich für die Wirksamkeit der Willenserklärung ist lediglich der Zugang. Dabei wird gemäss Rechtsprechung auf den Zeitpunkt abgestellt, in welchem die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt.

Dabei ist unerheblich, ob der Empfänger tatsächlich Kenntnis von dieser Erklärung nimmt. Entscheidend für das Wirksamwerden ist, ob der Empfänger grundsätzlich in der Lage wäre, von der Willenserklärung Kenntnis zu nehmen. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Konzept wird absolute bzw. uneingeschränkte Empfangstheorie genannt bzw. zuweilen auch als Zugangsprinzip bezeichnet.

Der Absender, vorliegend der Vermieter, ist verantwortlich und beweispflichtig, dass seine Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Demzufolge drängt es sich auf, entsprechende Willenserklärungen eingeschrieben zu versenden. In dem Augenblick, in dem die Willenserklärung den Machtbereich des Empfängers erreicht, trägt der Empfänger das Risiko, von der Erklärung verspätet oder überhaupt keine Kenntnis zu erlangen.

Somit kann es sein, dass der Empfänger einer Erklärung diese verzögert oder gar nicht wahrnimmt. Dabei fordert die Rechtsprechung aber, dass unter den gegebenen Umständen damit gerechnet werden darf, dass der Empfänger die Willenserklärung auch zur Kenntnis nehmen kann. Beispielsweise bedeutet dies, dass eine mit normaler Post zugestellte Kündigung erst dann als zugestellt qualifiziert werden kann, wenn mit einer Leerung des Briefkastens beim Empfänger auch gerechnet werden kann.

Bei eingeschriebenen Postzustellungen ergibt sich oft die Situation, dass der Postangestellte bei Abwesenheit des Empfängers diesem einen Abholschein in den Briefkasten legt. Normalerweise ist dem Empfänger nicht zumutbar, die Sendung noch am gleichen Tag bei der Post abholen zu gehen. Die Rechtsprechung verlangt jedoch die Abholung der Sendung am nächstmöglichen Tag (Folgetag nach der Hinterlegung der Abholungseinladung).

III. RELATIVE EMPFANGSTHEORIE

Im Bereich des Mietrechts bestehen Konstellationen, in denen die tatsächliche Kenntnisnahme einer Willensbildung durch den Empfänger entscheidend bleibt. Dies bedeutet im Fall der eingeschriebenen Postsendung, dass nicht die Abholungseinladung im Briefkasten des Empfängers massgebend sein kann, sondern darauf abgestellt wird, wann der Empfänger die Sendung bei der Post tatsächlich abgeholt hat. Jedoch ist auch hier Vorsicht geboten und werden auch hier die Interessen der Absenderin ab einer bestimmten Frist in den Vordergrund gestellt: In allen Fällen wird Kenntnisnahme nämlich angenommen am 7. und letzten Tag der durch die Post angesetzten Abholfrist. Dabei ist zu beachten, dass eine spezielle Vereinbarung des Empfängers bezüglich Verlängerung dieser Frist mit seiner Poststelle keine Gültigkeit hat und auch die kulanterweise oder fälschlicherweise länger angesetzte Frist diese 7-tägige Abholfrist nicht zu verlängern vermag. Somit gilt in diesen Bereichen die Zustellung am 7. Tag nach dem vergeblichen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern der Empfänger mit einer Zustellung des entsprechenden Schreibens hat rechnen müssen (bspw. Gerichtsurkunden in einem laufenden Verfahren).

IV. ANWENDUNG AUF DIE FRAGE DER ANFECHTUNG DER KÜNDIGUNG BZW. DAS MIETERSTRECKUNGSBEGEHREN

Die Zustellung der Kündigung im Mietrecht untersteht gemäss Rechtsprechung der absoluten Empfangstheorie. Diese bestimmt sodann den Fristbeginn für die Anfechtungder Kündigung.  Die Verwirkungsfrist für das Erstreckungsbegehrengemäss Art. 273 Abs. 2 lit. a OR war bislang der relativen Empfangstheorie unterstellt. Dies hat das Bundesgericht in seinem letzten Entscheid nun geändert. Somit gelten für den Beginn der 30-tägigen Frist für das Erstreckungsbegehren genau die gleichen Regeln wie für den Beginn der 30-tägigen Frist zur Anfechtung der Kündigung. Dies hat immerhin den Vorteil, da die meisten Kündigungsanfechtungen mit den Eventualbegehren der Erstreckung verbunden werden, dass für beide Begehren der gleiche Fristbeginn gilt.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie auch ein überwiegender Anteil der Lehre sprachen sich bis zu diesem Urteil dahingehend aus, dass für die Anfechtung der Kündigung die absolute Empfangstheorie gelten solle (was so bleibt), jedoch für die Verwirkungsfrist für das Erstreckungsbegehren gemäss Art. 273 Abs. 2 lit. a OR die relative Empfangstheorie zur Anwendung gelangen soll. Der zweite Fall ist nun anders, auch hier gilt die absolute Empfangstheorie.

V. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Das dem vorliegenden Artikel zugrunde liegende Bundesgerichtsurteil wurde lediglich in einer Dreierbesetzung des Bundesgerichts entschieden. Zudem handelte es sich um eine Eventualerwägung, denn das Bundesgericht trat aus prozessualen Gründen auf die entsprechende Beschwerde des Beschwerdeführers nicht ein. Auch ist das entsprechende Urteil nicht für die Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen.

Mit diesem Urteil hat das Bundesgericht mehr Rechtsunsicherheit geschaffen, als dass nun Klarheit vorliegen würde. Ob das Bundesgericht auch in Zukunft bei diesem Entscheid bleiben wird, darf in Frage gestellt werden. In der Zwischenzeit empfiehlt es sich, Begehren betreffend Erstreckung eines Mietverhältnisses gemäss Art. 273 Abs. 2 lit. a OR der Schlichtungsbehörde frühzeitig einzureichen, so dass betreffend Fristbeginn der 30-tägigen Frist in jedem Fall die absolute Empfangstheorie angewendet werden kann und damit die Frist als gewahrt gelten kann.

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17. März 2014 / lic. iur. Stephan Hinz

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