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NATURKATASTROPHE – WER ÜBERNIMMT MEINE REISEKOSTEN?

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin unter Mithilfe von Simone Küng (MLaw)

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Vor wenigen Wochen tobte in der Karibik einer der stärksten jemals gemessenen Hurrikans und verwüstete unter anderem die Inseln Barbuda, Saint-Barthélemy, St. Martin und Kuba. Im Juli dieses Jahres wurden zudem die griechische Insel Kos und die türkische Stadt Bodrum durch ein Erdbeben der Stärke 6.7 heimgesucht. Betrifft die Naturkatastrophe das gebuchte Reiseziel, fühlen sich viele Reisende verunsichert und überlegen, von ihrer geplanten Reise zurückzutreten. Doch die Rückerstattung von bereits geleisteten Anzahlungen an die Reisekosten ist in solchen Fällen nur bedingt möglich. Ausschlaggebend ist auch hier – wie so oft – das Kleingedruckte.

I. AUSGANGSLAGE

Grundsätzlich gilt, dass im Fall eines sogenannten Elementarereignisses, wie Naturkatastrophen im Rechtsgebrauch bezeichnet werden, weder die Fluggesellschaft noch der Reiseveranstalter für einen allfällig entstandenen Schaden der Touristen einstehen müssen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der betreffenden Rei- severanstalter wird dabei oftmals von „höherer Gewalt“ gesprochen. Auch Basis-Reiseversicherungen schliessen Schäden durch Elementarereignisse wie Erdbeben, Hurrikans, Vulkanausbrüche oftmals pauschal von einer Versicherungsdeckung aus. Eine Konsultation der Versicherungspolice bzw. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist damit unumgänglich. Denn solche Haftungsbeschränkungen sind gültig, weshalb Reisende im Fall einer Naturkatastrophe oftmals auf ihren Kosten sitzen bleiben.

Bei Reiseleistungen muss jedoch zwischen Einzelbuchungen (wie beispielsweise nur die Buchung eines Flugs oder einer Unterkunft) und Pauschalreisen unterschieden werden.

II. EINZELBUCHUNGEN

Handelt es sich um eine Einzelbuchung, kommen grundsätzlich die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts zur Anwendung. Kann die Reiseleistung infolge einer Naturkatastrophe nicht mehr angetreten werden, spricht man von einer „nachträglich unverschuldeten Unmöglichkeit“ der Leistungserbringung. In diesen Fällen entfällt die Pflicht des Reisedienstleisters, die gebuchte Leistung zu erbringen sowie die Kosten für allfällig daraus entstandene Schäden zu ersetzen – und zwar unabhängig davon, ob dies in den AGB festgehalten wurde oder nicht. Der Reisende kann jedoch die bereits im Voraus bezahlten Kosten auf dem Wege der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern. Grundsätzlich besteht also die Möglichkeit, zumindest seine Anzahlungen an die Reise wieder zurückzuerhalten. Sofern der Reisende noch keine Anzahlung geleistet hat oder weitere Reisekosten ausstehen würden, ist er nicht mehr zu deren Leistung verpflichtet. Hingegen wälzen die Reisedienstanbieter das Risiko für den Fall, dass sie die gebuchten Leistungen aufgrund einer Naturkatastrophe nicht erbringen können, oftmals vollumfänglich auf ihre Kunden ab. Zu finden sind solche „Risikoüberwälzungen“ sowohl in spezialgesetzlichen Einzelbestimmungen als auch in individuellen Vertragsvereinbarungen – zumeist unter dem Titel „Haftungsbestimmungen“. Damit wird die Gefahr eines unverschuldeten Leistungsuntergangs (wie eben im Fall einer Naturkatastrophe) auf den Reisenden übertragen. So sieht insbesondere die EU-Verordnung über die Passagierrechte (EG 261/2004)* einen solchen Haftungsausschluss für Fluggesellschaften vor. Wird der Flug also infolge eines Naturereignisses annulliert, ist eine Rückforderung der Flugkosten beim Fluganbieter somit nicht möglich. Darüber hinaus könnte der Reiseanbieter auch die restlichen Reisekosten einfordern, obwohl er seine Leistung gar nicht erbringen kann. Um bei Konsumentenschützern und Kunden nicht in Verruf zu geraten, wird der Reisedienstanbieter aber regelmässig auf die Eintreibung einer solchen Restforderung verzichten.

Solche Haftungsausschlüsse bilden keine Seltenheit, weshalb die Konsultation einzelner spezialgesetzlicher Bestimmungen und individueller Vertragsbedingungen für jeden Einzelfall unumgänglich ist.

III. PAUSCHALREISEN

Eindeutig ist der Fall hingegen bei sogenannten „Pauschalreisen“. Von einer Pauschalreise spricht man, wenn mindestens zwei touristische Hauptleistungen (zumeist Flug und Unterkunft, aber auch Kreuzfahrten oder Anreise verbunden mit einer Rundreise etc.) beim selben Anbieter gebucht werden. Ist dies der Fall, kommt das Pau- schalreisegesetz zur Anwendung. Dieses Gesetz sieht explizit einen Haftungsausschluss im Fall höherer Gewalt vor. Muss der Reiseveranstalter die Pauschalreise infolge einer Naturkatastrophe annullieren, ist er somit nicht verpflichtet, den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen, unabhängig davon, ob er dies in seinen AGB vorsieht oder nicht.

Da bei Pauschalreisen immer zwei Hauptleistungen gebucht werden, kann eine Naturkatastrophe zur Konstellation führen, dass die Reise zwar grundsätzlich angetreten werden kann (beispielsweise findet der Flug statt), die gebuchte Unterkunft am Reiseziel aber nicht bezogen oder die geplante Rundreise nicht durchgeführt werden kann. Das Pauschalreisegesetz sieht daher für den Fall, dass der Reiseveranstalter einen erheblichen Teil der vereinbarten Leistungen nicht erbringen kann, die Leistung von Ersatzmassnahmen – u.a. auch Schadenersatz – vor. Davon ausgeschlossen sind aber wiederum Fälle der höheren Gewalt. Das heisst, der Reiseveranstalter ist somit nicht dazu verpflichtet, dem Reisenden eine Alternative (wie beispielsweise eine andere Unterkunft oder Rundreise) anzubieten. Immerhin ist der Reisevermittler jedoch gesetzlich dazu verpflichtet, dem Reisenden in solchen Situationen „Hilfe zu leisten“ (Art. 15 Abs. 2 Pauschalreisegesetz). Wie diese „Hilfe“ aussehen soll, wird allerdings nicht näher definiert.

IV. VERSICHERUNGSDECKUNG

Um schlussendlich nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben, schliessen viele Reisende regelmässig Reiseversicherungen ab. Allerdings ist auch hierbei Vorsicht geboten. Denn auch Reiseversicherungen haften im Fall höherer Gewalt oft nur begrenzt.

Selbst wenn eine Reiseversicherung abgeschlossen wurde, müssen im Fall einer Naturkatastrophe die Allgemeinen Geschäftsbedingungen konsultiert werden. Denn gewöhnliche Basisreiseversicherungen schliessen oftmals eine Haftung für sogenannte Elementarereignisse aus. Hat sich die Versicherung eine Haftung wegbedungen und die Gefahr eines zufälligen Leistungsuntergangs auf den Versicherungsnehmer übertragen, gibt es kaum eine Möglichkeit, um sich die bereits geleisteten Zahlungen an den Reisedienstleister zurückerstatten zu lassen. Und selbst wenn Elementarereignisse vom Versicherungsschutz miteingeschlossen sind, sind die Rückerstattungskosten in ihrer Höhe häufig begrenzt.

Wurde eine sog. Annullierungskosten-Versicherung abgeschlossen, übernimmt die Versicherung die Kosten einer bereits im Voraus bezahlten Reise ebenfalls nur dann, wenn die versicherte Person die Reise aus wichtigen Gründen wie Krankheit, Unfall oder Tod des Reisebegleiters nicht antreten kann. Im Falle einer Naturkatastrophe übernimmt sie die Annullierungs-Kosten in der Regel nur in den Fällen, in welchen das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) für das betroffene Reiseziel eine Reisewarnung herausgegeben hat bzw. ausdrücklich empfiehlt, nicht in das entsprechende Land zu reisen. Im aktuellen Fall des Hurrikans „Irma“ rät das EDA aber nicht von einer touristischen Reise in die betroffenen Länder ab (mit Ausnahme von Haiti), sondern weist lediglich auf Sachschäden und eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten hin. Entsprechend muss davon ausgegangen werden, dass die Reise in die betroffenen Länder grundsätzlich angetreten werden kann und die Versicherung allfällige Annullierungskosten höchstens aus Kulanzgründen übernimmt. Möchte man dennoch von der Reise zurücktreten, schuldet man dem Reisedienstleister die Entschädigung gemäss den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die Reisewarnungen können auf der Website des EDA unter „Vertretungen und Reisehinweise“ abgerufen werden.

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* Die EU-Verordnung (EG 261/2004) über die Passagierrechte gilt für sämtliche Flüge, die ab einem EU- Flughafen starten sowie für Flüge, die von EU-Fluggesellschaften durchgeführt werden und einen EU-Flughafen als Ziel haben. Die Verordnung mitunterzeichnet haben zudem die Schweiz, Norwegen und Island. Sofern in diesem Kontext von EU gesprochen wird, sind die Schweiz, Norwegen und Island somit miteingeschlossen.

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4. Oktober 2017 / lic. iur. Patricia Geissmann

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