Blog

VERSORGUNGSENGPÄSSE UND PREISERHÖHUNGEN BEI ROHSTOFFEN – DIE AUSWIRKUNGEN DER CORONA-PANDEMIE AUF LIEFERFRISTEN UND PAUSCHALPREISE IN WERKVERTRÄGEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

I. FRAGESTELLUNG

Die weltweite Corona-Pandemie hatte und hat noch immer massive Auswirkungen auf die Gesellschaft und damit auch die Wirtschaft. Dies betrifft u.a. das Baugewerbe. Fast alle Staaten haben zum Teil mit massiven Massnahmen wie Lock-Downs, Ausgangssperren, Home-Office Pflicht, aber auch Schliessungen von Betrieben, usw. in die Wirtschaftsprozesse eingegriffen. Ebenso wurden Exportverbote gewisser Rohstoffe erlassen. Zudem treten Produktionsengpässe auf. Lieferketten und Produktionsabläufe wurden und sind noch immer teilweise unterbrochen oder eingeschränkt. Dadurch können für Unternehmen Verzögerungen entstehen, die es ihnen verunmöglichen, vertraglich vereinbarte Liefer- und Fertigstellungstermine einhalten zu können.

Gleichzeitig führen die obgenannten Umstände und Schwierigkeiten aber auch die Knappheit und gleichzeitige starke Nachfrage an gewissen Rohstoffen zu teils massiv höheren Rohstoffpreisen.

Gerade im Baubereich werden aber die Werkverträge und die entsprechenden Konditionen oft viele Monate im Voraus ausgehandelt. Dies gilt insbesondere auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Dabei wird meist der Preis pauschalisiert. Damit übernimmt die Unternehmerin grundsätzlich das Risiko (und auch die Chancen) von Mehr- oder Minderkosten aufgrund (normalen) Preisänderungen. Zudem werden in den Werkverträgen klare Termine vereinbart, bis zu welchen die Leistungen erbracht werden müssen. Oft versehen mit empfindlichen Konventionalstrafen, wenn die Termine nicht eingehalten werden können.

Die aktuelle Situation führt zwischen Bestellerin und Unternehmerin zu offenen Fragen und Diskussionen. Wie ist mit den teils massiven Preiserhöhungen und Verzögerungen umzugehen. Gerade Konstellationen mit verschiedenen Vertragsebenen und Sub(sub)unternehmer sind auch betreffend Koordination und Kommunikation einer Lösungsfindung komplex.

Nachfolgend wird beleuchtet, welche vertraglichen Regelungen und Grundsätze in solchen Konstellationen zur Anwendung gelangen. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf die im Baugewerbe übliche Ordnung SIA 118 sowie die Rechtslage gemäss schweizerischem Obligationenrecht.

.

II. LIEFERVERZUG AUFGRUND UNVERSCHULDETER COVID-19 BEDINGTER VERZÖGERUNGEN UND BEHINDERUNGEN

Die Unternehmerin hat die vertraglich geschuldeten Leistungen grundsätzlich fristgerecht zu erfüllen (pacta sunt servanda). Dies ist Teil der Vertragspflichten. Sowohl die SIA 118 wie auch das Obligationenrecht sehen aber Ausnahmen vor, in denen eine Unternehmerin Anspruch auf angemessene Fristerstreckung zur Erfüllung der Leistungen hat. Die SIA 118 regelt diese Fälle in Art. 96. Danach hat die Unternehmerin Anspruch auf eine angemessene Erstreckung der Bauzeit, wenn sie konkret nachweisen kann, dass Beeinträchtigungen vorliegen, welche «nicht vom Unternehmer verschuldet» sind und die Verzögerung nur mit einer Bauzeitverlängerung aufgeholt werden kann. Unverschuldet ist eine Verzögerung dann, wenn äussere Umstände wie Natureinflüsse, Lieferstörungen, behördliche Massnahmen, usw. dazu führen, dass die Unternehmerin trotz aller Vorkehrungen (die zumutbar und üblich sind) die Lieferzeiten nicht einhalten kann.

Das Obligationenrecht spricht in Art. 103 Abs. 2 OR auch von unverschuldeter Unmöglichkeit der Leistungserbringung bzw. «objektiver Unmöglichkeit».

Bei der Corona-Pandemie handelt es sich nach überwiegender Rechtsauffassung um solche vom Unternehmer weder vorhersehbaren noch in seinem Einflussbereich stehenden äussere Einflüsse, vergleichbar mit einer Naturkatastrophe (wobei der Corona Virus auch als solche bezeichnet werden kann). Entsprechend wird sich eine Unternehmerin bei einem Covid-19 bedingten Verzug auf den Anspruch auf angemessene Fristverlängerung berufen können, wenn sie die Fristerstreckung umgehend dem Vertragspartner anzeigt, sobald sie erkannt, dass eine vertragliche Frist möglicherweise nicht gehalten werden kann.

Wichtig: Dieser Anspruch besteht nur insoweit, als der Verzug im konkreten Einzelfall effektiv auf Covid-19 bedingte Verspätungen oder Hindernisse zurückzuführen ist. Es gibt keine allgemeine «Corona Fristverlängerung» welche immer gilt, sondern nur dann, wenn im konkreten Fall effektiv ein Termin aufgrund den oben beschriebenen Massnahmen oder Folgen nicht eingehalten werden kann. Dabei muss eine Kausalität zwischen Massnahme und Verzögerung vorliegen. Vertragliche Fristen sind grundsätzlich auch während der Corona Pandemie einzuhalten.

.

III. PREISANPASSUNGEN AUFGRUND GESTIEGENER ROHSTOFF- ODER PRODUKTIONSKOSTEN

Sofern eine Unternehmerin einen Pauschalpreis für eine Leistung vereinbart hat, bleibt der Preis fix, selbst wenn sich der Aufwand und die Kosten für die Unternehmerin erhöhen. Die SIA 118 und auch das Obligationenrecht sehen aber auch hier eine Ausnahme vor. Dies wenn sogenannte «ausserordentliche Umstände» vorliegen (Art. 59 der SIA-Norm 118 bzw.  Art. 373 Abs. 2 OR). Gemäss Art. 59 SIA 118 hat der Unternehmer Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, falls ausserordentliche Umstände, welche nicht vorausgehen werden konnten, die Fertigstellung hindern oder übermässig erschweren. Solche Umstände können zum Beispiel Wassereinbrüche, Erdbeben, Sturm, einschneidende behördliche Massnahmen, etc. darstellen. Art. 59 Abs. 1 der SIA-Norm 118 setzt jedoch voraus, dass die ausserordentlichen Umstände so beschaffen sind, dass die Ausführungskosten derart erhöht werden, dass zwischen der Gesamtleistung des Unternehmers und der vertraglichen Vergütung ein offenes Missverhältnis zulasten des Unternehmers entsteht. Die Lehre und Rechtsprechung beurteilen den Fall, bei welchem eine aussergewöhnliche Steigerung von Materialkosten vorliegt, als solche nicht vorhersehbaren ausserordentlichen Umstände, welche die Unternehmerin zu einer Preisanpassung berechtigen.

Unter Verweis auf die obigen Ausführungen wird wohl unbestritten sein, dass die Corona Pandemie ein nicht vorhersehbares Ereignis darstellt. Selbst das vorsichtigste kalkulierende Unternehmen wird bei der Berechnung und Kalkulation seiner Pauschalofferte nicht mit solchen Szenarien und einem solchen einmaligen noch nie dagewesenen Ereignis gerechnet haben.

Entsprechend liegt ein Fall von Art. 59 SIA 118 bzw. Art. 373 OR vor und die Unternehmerin hat – sofern konkrete und substantiell durch die Corona-Pandemie bzw. -Massnahmen versursachte Preiserhöhungen von Rohstoffen oder Produktionskostensteigerungen vorliegen, Anspruch auf eine angemessene Preiserhöhung. Normale Preisschwankungen sind nicht dasselbe. Die Unternehmerin muss somit nachweisen, dass es erhebliche Preissteigerungen sind, welche unerwartet waren.

Wichtig: Sowohl nach Art. 59 SIA 118 wie auch Art. 373 OR hat die Unternehmerin bei Vorliegen ausserordentliche Umstände «nur» insoweit Anspruch auf zusätzliche Vergütung, als ein Missverhältnis zwischen der Gesamtleistung der Unternehmerin (Herstellungskosten) und der Gesamtvergütung besteht. Die Unternehmerin kann somit nicht einfach die Preiserhöhung der Rohstoffpreise auf die verarbeitete Menge an die Bestellerin weitergeben. Geschuldet ist ein angemessener Ausgleich des Missverhältnisses.

.

IV. FAZIT

Die unmittelbaren Folgen der Covid-19 bzw. Corona-Pandemie auf Produktionsabläufe und Produktions- bzw. Materialkosten erfüllen die Voraussetzungen der sogenannten Fälle von «höherer Gewalt». Die Corona-Pandemie ist ein Ereignis, welche für die Unternehmungen völlig unvorhersehbar und unverschuldet eingetreten ist. Entsprechend kommen die in der SIA 118 und dem Obligationenrecht verankerten Regelungen der Ansprüche der Unternehmen für angemessene Fristverlängerung zur Leistungserfüllung und/oder Anpassung der Vergütung aufgrund ausserordentlicher Umstände zum Tragen, sofern im konkreten Fall ein «Covid-19 bedingter» unverschuldeter Verzug oder eine durch die Corona- Pandemie verursachte unvorhersehbare wesentliche Kostensteigerung vorliegt. Dies ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist die Unternehmerin beweispflichtig. Sie hat darzulegen, weshalb und gestützt auf welche Parameter sich die Umstände ausserordentlich und unerwartet (und unverschuldet) geändert haben.

Da die Grösse, welche Preisanpassungen nun als «angemessen» betrachtet werden, nur schwer justiziabel ist, wird es sowohl für Besteller als auch Unternehmerin meist vorteilhafter sein, eine aussergerichtliche partnerschaftliche Lösung zu suchen.

Bei neuen Vertragsverhandlungen über zukünftige Projekte ist angesichts der unklaren Aussichten, wie und wann sich die Preise und Lieferfristen wieder normalisieren bzw. in welche Richtung sie sich entwickeln werden, beiden Seiten zu empfehlen, eine Regelung im Werkvertrag zu vereinbaren, wie mit den beidseitigen Risiken umzugehen ist. Denn die obgenannten Ausführungen treffen auf den Fall zu, in dem die Unternehmerin von der Preiserhöhung der Rohstoffe und Lieferverzögerung unerwartet betroffen ist.

Bei Verträgen, welche aktuell und zukünftig ausgehandelt werden, wird es für eine Unternehmerin wohl aber schwer werden, sich auf eine fehlende Voraussehbarkeit der entsprechenden Risiken zu berufen. Diese sind nun bekannt. Deshalb sollten im Falle von Pauschalpreisabreden (wenn möglich) entsprechende Anpassungsklauseln für den Fall von starken Schwankungen der Rohstoffpreise (in beide Richtungen) vereinbart werden.


19. August 2021 / lic. iur. Christoph Schärli

Sorry, the comment form is closed at this time.