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WEGZUG EINES ELTERNTEILS INS AUSLAND

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Aufgrund der grossen Anzahl binationaler Ehen stellt sich immer mehr die Frage, wie mit dem Wegzug eines Elternteiles gemeinsam mit den Kindern ins Ausland, zumeist in das eigene Heimatland, zu verfahren ist, nachdem mit der Gesetzesreform im Sommer 2014 bei gemeinsamer elterlicher Sorge auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht beiden Elternteilen – ungeachtet der ausgeübten Obhut für die Kinder – zusteht. Folge ist, dass es für den Umzug eines gemeinsamen Kindes ins Ausland bzw. wenn die Besuchskontakte durch den Wegzug erschwert werden, grundsätzlich der Zustimmung des anderen sorgeberechtigten Elternteils bedarf (Art. 301a ZGB).

I.

Im Entscheid 5A_450/2015 vom 11. März 2016 hat sich das Bundesgericht ausführlich mit der eingangs erwähnten Thematik befasst. Gegenstand der Diskussion ist hierbei Art. 301a ZGB, der im Hinblick auf die bestehende Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit der Elternteile auszulegen ist. Vor diesem Hintergrund wird festgehalten, dass der Umzug einer erwachsenen Person aufgrund erfolgter Trennung keiner Zustimmung des anderen Elternteils bedarf. Andernfalls hätte der verweigerungsberechtigte Elternteil die Möglichkeit, Verfassungsrechte der Kindsmutter bzw. desjenigen Elternteils, der das Land verlassen will, zu beschneiden. Auf diese Art und Weise würde faktisch eine Residenzpflicht begründet, was keinesfalls Ziel der abverlangten Zustimmung für einen Umzug ins Ausland war. Dies bedeutet zugleich, dass die Motive des wegziehenden Elternteils grundsätzlich nicht zur Debatte stehen können. Damit beschränkt sich die geforderte Zustimmung ausschliesslich auf den Wegzug des Kindes, dessen Lebensgestaltung von den Interessen und Plänen der Eltern abhängt. Diese gegenseitig bedingte Abhängigkeit erfordert eine Interessenabwägung im Einzelfall, die nur unter Berücksichtigung des Kindeswohls beurteilt werden kann, wobei die Gründe des umziehenden Elternteils für den Wegzug ebenfalls zu gewichten sind; verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung den Zweck, den Kontakt zum anderen Elternteil und – damit auch zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind – zu vereiteln, drängt sich die Frage auf, ob der wegziehende Elternteil ausreichend erziehungsgeeignet ist, da das zuvor genannte Motiv des Wegzugs nicht zu überzeugen vermag. Gleichwohl steht einer Auswanderung nicht ohne weiteres entgegen, dass zum Kindeswohl in der Regel der Umgang zu beiden Elternteilen gehört. Die Erschwerung des Umgangs bzw. der Besuchskontakte durch den Umzug ins Ausland ist als notwendige Folge des Wegzugs dann hinzunehmen, wenn vertretbare Gründe für den Umzug ins Ausland vorliegen. Die Kernfrage ist hierbei die Abwägung, ob die Auswanderung mit dem hauptbetreuenden Elternteil oder der Verbleib des Kindes beim im Inland ansässigen Elternteil die bessere Lösung für das Kind darstellt. Hierbei ist eine klare Tendenz erkennbar, dass der Wegzug eines Elternteils mit dem Kind dann ermöglicht werden soll, wenn die Betreuung des Kindes auch vor dem Wegzug überwiegend vom Wegziehenden übernommen wurde. Entscheidend ist immer die persönliche Beziehung zwischen Eltern und Kind, wobei darauf abzustellen ist, ob die Bereitschaft besteht, das bzw. die Kinder weitgehend persönlich zu betreuen. Entscheidend ist selbstverständlich auch das Alter der Kinder; sind die Kinder noch klein und demzufolge mehr personenbezogen, ist eine Umteilung an den zurückbleibenden Elternteil angesichts des Grundsatzes der Betreuungs- und Erziehungskontinuität nicht leichthin vorzunehmen. Etwas anderes gilt für ältere Kinder, welche zunehmend einen eigenen Freundeskreis aufbauen und bei welchen ein Schulwechsel Probleme mit sich bringen kann. Mit den einzelnen Gesichtspunkten setzt sich der BGE vom 11. März 2016 auseinander, der zusammenfassend festhält, dass einem wegzugswilligen Elternteil, welcher die Kinder bislang überwiegend betreut hat und dies auch zukünftig tun wird, die Verlegung des Aufenthaltsorts des Kindes ins Ausland in der Regel zu bewilligen sein wird, wovon auch die Lehre ausgeht. Auch wenn die Frage, ob ein Elternteil ins Ausland wegziehen darf, immer im Einzelfall zu entscheiden ist, ist klar, dass sich diese Entscheidung am Kindeswohl zu orientieren hat.

Gleichwohl wurde im eingangs erwähnten Entscheid auch unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsrechtes eines jeden sowie des grundsätzlichen Rechts auf freie Wahl des Wohnorts festgehalten, dass erwartete Sprachschwierigkeiten des Kindes im Ausland oder die Beeinträchtigung der Besuchskontakte zum verbleibenden Elternteil keinen Grund darstellen, einen Umzug ins Ausland zu verwehren, womit gewichtige Gründe angeführt werden müssen, um den Wegzug des Kindes ins Ausland zu verweigern. Dies muss erst recht gelten, wenn das Kind innerhalb der Schweiz umzieht und hierdurch die Besuchskontakte beeinträchtigt werden.

II.

Der Entscheid leistet einen wichtigen Beitrag zu Art. 301a II ZGB (erforderliche Zustimmung bei Wegzug des Kindes) der im Spannungsverhältnis mit den Freiheitsrechten des mit dem Kind wegeziehenden Elternteils steht, mit diesen gewissermassen kollidiert. So stellt der Entscheid klar, dass nur gewichtige Gründe betreffend das Kindeswohl geeignet sind, eine Zustimmung zu verweigern, womit Art. 301a II ZGB, der eine Verweigerung der Zustimmung zum Umzug ins Ausland bzw. bei einer Beeinträchtigung des persönlichen Kontakts zum Kind vorsieht, klar relativiert wird.

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12. September 2016 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

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