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AKTUELLES VOM BAUREKURSGERICHT ZÜRICH – DIE AUFNAHME EINES GEBÄUDES IN EIN INVENTAR STELLT NOCH KEINE SCHUTZMASSNAHME DAR

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

rechtliche Überlegungen zum Umgang mit Inventaren im Kanton Zürich

Das Baurekursgericht Zürich hat in einem aktuellen (zurzeit noch nicht rechtskräftigen) Entscheid (BRGE II Nr. 0004/2020) die bisherige kantonale Praxis zur Rechtswirkung und der Nichtanfechtbarkeit der Inventarisierung eines Gebäudes in ein kommunales Inventar bestätigt. Eine Praxis, welche aus Sicht der verfassungsmässigen Eigentumsrechte der betroffenen Eigentümer durchaus kritisch zu betrachten ist.

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I. Sachverhalt

Eine Gemeinde im Kanton Zürich hat ein privates Gebäude in das Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung der Gemeinde aufgenommen, bzw. dieses entsprechend ergänzt. Schutzmassnahmen bzw. ein formelles vorsorgliches gesetzliches Veränderungsverbot nach § 209 PBG wurden jedoch ausdrücklich (noch) nicht ausgesprochen. Die Eigentümerin reichte Rekurs beim Baurekursgericht ein und beantragte die Aufhebung des Beschlusses und dass das Gebäude nicht in das Inventar aufzunehmen sei. Das Baurekursgericht Zürich ist im Entscheid vom 21. Januar 2020 auf den Rekurs nicht eingetreten. Das Baurekursgericht stützt sich in seiner Begründung auf die Praxis und Lehre im Kanton Zürich, nach welcher Inventare erst dann eine eigentümerverbindliche Wirkung entfalten, wenn die Aufnahme eines Objektes in ein Inventar förmlich (schriftlich) angezeigt und mit dem Hinweis auf ein damit wirksam werdendes gesetzliches Veränderungsverbot verbunden werden. Die blosse Inventaraufnahme stelle noch keine Schutzmassnahme dar, auch keine provisorische. Die Wirkung eines Inventares bestehe (nur) darin, die Behörden und die nachfragenden Eigentümer oder Drittpersonen darauf aufmerksam zu machen, dass die aufgenommenen Objekte im Falle von Veränderungen einer erhöhten Aufmerksamkeit bedürfen (vgl. E. 3, BRGE II Nr. 0004/2020).

II. Kommentar

Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zur Inventarisierung ist der Entscheid nachvollziehbar. Er zeigt jedoch eine grundsätzliche Problematik der Hinweisinventare und der fehlenden Anfechtungs- bzw. Überprüfungsmöglichkeiten von solchen Inventarisierungen. Denn auch wenn einem Inventar nur die Aufgabe eines behördeninternen Sachplanes zukommt (vgl. Zürcher Planungs- und Baurecht, FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF/KUNZ, S. 277) wird faktisch mit der Inventarisierung eines Gebäudes bereits in das Eigentumsrecht der Grundeigentümerin eingegriffen bzw. dieses zumindest tangiert.

Fakt ist, dass bereits mit der Inventarisierung eines Gebäudes dieses öffentlich einsehbar und in einem Inventar aufgeführt einem «Generalverdacht» in Bezug auf die Schutzwürdigkeit unterstellt wird. Auch wenn es sich bei der Inventarisierung nach Lehre und Rechtsprechung nicht um eine provisorische Schutzmassnahme handelt, kommt dem Inventareintrag in der Praxis oft eine präjudizielle Wirkung zu. So ist immer wieder feststellbar, dass solche Inventareinträge Vorlage oder Referenz für Schutzabklärungen, Gutachten und auch Verfügungen bilden. Gerade bei Gutachtern aber auch den Behörden wird die inhaltliche und insbesondere rechtliche Relevanz und Wirkung der Hinweisinventare überhöht.

In Unterschutzstellungsverfahren finden sich so immer wieder Schutzgutachten, welche als Referenz für den Schutzwert integral oder schwerpunktmässig auf den entsprechenden Inventareintrag und die dortigen Feststellungen verweisen, ohne diese zu hinterfragen. Wenn nun aber solche Gutachten sich inhaltlich derart auf die Inventareinträge abstützen, führt dies dazu, dass dem Inventareintrag die entscheidende Bedeutung zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Gebäudes zukommt. Es trifft somit nicht zu, wenn man davon ausgeht, dass eine Inventarisierung noch keine Rechtswirkung begründen würde.  Wird dem Inventareintrag eine solche Bedeutung beigemessen, ist er mehr als ein verwaltungsinternes Hilfswerkzeug.

Dies zeigt sich auch daran, dass die Behörden Inventare nicht ohne weiteres wieder bereinigen können. Denn die Entlassung eines einmal aufgenommenen Gebäudes aus einem Inventar ist nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in der Regel nur gestützt auf ein Gutachten möglich. Eine Inventarentlassung ist zu verfügen und kann mit einem Rechtsmittel (etwa von Heimatschutzverbänden) angefochten werden. Im Gegensatz zur Inventarisierung ist die Entlassung aus einem Inventar somit dem Rechtsschutz unterstellt.

Ist eine Grundeigentümerin mit der Inventarisierung nicht einverstanden, so hat sie nur die Möglichkeit, ein Provokationsbegehren zu stellen und so in der Regel innert Jahresfrist verbindlich über allfällige definitive Schutzmassnahmen entscheiden zu lassen; sie muss den Schutzentscheid in einem formellen Verfahren «provozieren». Solche Provokationsbegehren sozusagen ins «Blaue» hinaus (d.h. ohne konkrete Bauabsichten) sind risikoreich und aufwändig. Zudem kann ein Provokationsbegehren nur bei einem aktuellen Interesse gestellt werden, zumindest müssen Bau-, Verkaufs- oder Erbteilungsabsichten glaubhaft gemacht werden können. Weiter kommt hinzu, dass sie sich gegen den bereits erstellten Inventareintrag wehren muss, bei dessen Erstellung sie die verfassungsmässig garantierten Verfahrensrechte, welche Betroffenen bei einer Beweiserhebung normalerweise zustehen, nicht hatte, insbesondere ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.  Ohne Provokationsbegehren wird das inventarisierte Gebäude unter Umstände über Jahre oder Jahrzehnte einfach in einem Inventar für die schützenswerten Objekte der Gemeinde geführt. Die Grundeigentümerin muss damit leben, dass ihr Gebäude öffentlich als inventarisiert und damit «potentiell geschützt» gilt. Will die Grundeigentümerin ein solches Gebäude einmal verkaufen, wird der Inventareintrag selbstredend eine Auswirkung auf den Wert der Liegenschaft haben. Im Wissen um den Inventareintrag werden für die interessierten Käufer die Risiken einer späteren Unterschutzstellung kaufpreisrelevant sein. Für nicht mit denkmalschutzrechtlichen Angelegenheiten vertraute Personen ist es zudem kaum möglich, die genaue Unterscheidung zwischen der (vorsorglichen) Inventarisierung und einer formellen Unterschutzstellung zu verstehen.

Es trifft somit nicht zu, dass die Inventarisierung die Grundeigentümerin nicht direkt betrifft, findet bereits mit der Inventaraufnahme ein potentieller Eingriff in die Eigentumsrechte der Grundeigentümer statt (Wertminderung), gegen welche sich der Grundeigentümer nicht direkt mit einem Rechtsmittel wehren kann. Weiter kommt noch folgender verfahrenstechnischer Umstand dazu: Die Nachführung der kommunalen Inventare obliegt den Gemeinden, welche dafür regelmässig Fachleute aus dem Bereich der Denkmalpflege beiziehen. In den Erläuterungen des Amtes für Raumentwicklung des Kantons Zürich (Denkmalschutz – Erläuterungen zur Erarbeitung, Festsetzung und Anwendung) werden die Gemeinden unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts angeleitet, ein Inventar zu erstellen, welches eine «Bestandsaufnahme der in Betracht fallenden Schutzobjekte ermöglichen soll. Es sollen daher «[…] nicht nur jene Objekte Aufnahme in die Inventare finden, welche mit Sicherheit formell geschützt werden; vielmehr geht es darum, den gesamten Bestand der schutzfähigen Objekte zu erfassen, ohne Rücksicht auf beabsichtigte Schutzmassnahmen seitens der Behörden» (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9.2.2011, VB.2010.00032, E. 5.3, unter Hinweis auf den Entscheid RB 1990 Nr. 72).

M.E. liegt in dieser Praxis die Krux bei den Inventaren:  Denn wenn alle «in Betracht fallenden» bzw. «schutzfähigen» Schutzobjekte im Inventar erfasst werden und die Frage der Verhältnismässigkeit und der Interessenabwägung erst im Schutzverfahren geklärt werden sollen, besteht die Gefahr einer sehr grosszügigen Inventarisierung. Auch unter Fachexperten wird der Begriff «Schutzfähig» kontrovers diskutiert. Ketzerisch betrachtet kommt fast jedem älteren Gebäude eine gewisse «Schutzfähigkeit» zu.

Wenn nun Fachexperten von den Gemeinden beauftragt werden, das Inventar alle paar Jahren zu aktualisieren und mit «potentiellen und allen in Betracht fallenden» Schutzobjekten zu ergänzen, ist es nichts als logisch, dass in der Tendenz jeweils weitere «schutzfähige» Objekt dazukommen. Dies gilt umso mehr, wenn die Gemeinde mit der Aufgabe externe Dienstleister beauftragt, welche verständlicherweise auch ein Ergebnis bzw. neue Inventareinträge präsentieren wollen. Im Zweifel wird daher eher ein Gebäude mehr inventarisiert, sozusagen «in dubio pro inventarium». Da gegen diese vorsorgliche Inventarisierung kein Rechtsmittel für die Grundeigentümer offensteht, besteht die Gefahr, dass Gebäude inventarisiert werden, die keinen Schutzwert haben.

Gestützt auf die verfahrensrechtlichen Grundsätze dürfen bzw. dürften solchen Hinweisinventare keinen Beweiswert in einem späteren Schutzverfahren zukommen, denn sie werden ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs und Rechtschutz erstellt und stellen eine erstmalige subjektive Einschätzung von einem oder wenigen einzelnen Fachexperten dar.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Inventare oder der gesamten Praxis in Zukunft ändern wird. Bis dahin ist es umso wichtiger, dass man sich der unverbindlichen und damit inhaltlich geringen Aussagekraft der Hinweisinventare bewusst ist, sei dies auf Seite Behörden, Gutachter aber auch der Gerichtsinstanzen. Schutzentscheide, welche sich bei der Begründung auf den fachlichen Inhalt der Inventare beziehen, sind daher problematisch bzw. nicht haltbar, da dafür eine unabhängige neue und in einem rechtskonformen Verfahren ergangene Begutachtung durch Fachexperten notwendig ist. Ansonsten kommt dem Inventareintrag eine präjudizierende Wirkung zu, etwas was sie nach der Rechtsprechung des Baurekursgerichts und Verwaltungsgerichts jedoch nicht haben dürfen.


19. Februar 2020 / lic. iur. Christoph Schärli,

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