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DIE SACHLICHE ZUSTÄNDIGKEIT DES HANDELSGERICHTS IN MIETRECHTLICHEN ANGELEGENHEITEN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt 

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In der eidgenössischen Zivilprozessordnung hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass die Kantone ein Handelsgericht als so genanntes Fachgericht bezeichnen können. Einige Kantone haben von diesem Recht Gebrauch gemacht, so insbesondere der Kanton Zürich sowie der Kanton Aargau. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in Art. 273 OR festgehalten, dass ein Mieter, welcher eine Vertragskündigung anfechten will, zwingend innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Empfang der Kündigung die Schlichtungsbehörde anrufen muss. Gleiches gilt für Mieterstreckungsbegehren. Weiter sehen die Art. 197 ff. ZPO vor, dass dem Entscheidverfahren stets ein Schlichtungsverfahren vorauszugehen hat. Mietrechtliche Streitigkeiten sind von diesem Schlichtungszwang nicht ausgenommen. Ausgenommen sind jedoch Streitigkeiten, welche gemäss Art. 6 ZPO von einer einzigen kantonalen Instanz, also z.B. dem Handelsgericht, beurteilt werden.

Nachfolgend soll die Frage beantwortet werden, in welchen mietrechtlichen Angelegenheiten welche Stelle zuerst angerufen werden muss und welcher weitere Instanzenzug zu wählen ist.

I. ZUSTÄNDIGKEIT DES HANDELSGERICHTS

Gemäss Art. 6 Abs. 1 ZPO urteilt das Handelsgericht als einzige kantonale Instanz überhandelsrechtliche Streitigkeiten. Eine handelsrechtliche Streitigkeit liegt gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO vor, wenn a) mindestens die geschäftliche Tätigkeit einer betroffenen Partei Gegenstand des Streites ist und b) der Streitwert mindestens CHF 30’000.00 beträgt und damit die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 72 ff. BGG offensteht sowie c) beide Parteien im Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind.

Art. 6 Abs. 5 ZPO sieht vor, dass das Handelsgericht auch für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen vor Eintritt der Rechtshängigkeit einer Klage zuständig ist.

II. NORMALE ZIVILRECHTLICHE ZUSTÄNDIGKEIT BEI MIETSTREITIGKEITEN

Gemäss Art. 273 Abs. 1 OR sind Kündigungsanfechtungen sowie Mieterstreckungsbegehren zwingend bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht einzureichen. Nach Art. 197 ff. ZPO sind bei zivilrechtlichen Streitigkeiten vorab die Schlichtungsbehörden, bei mietrechtlichen Verhältnissen gestützt auf Art. 200 ZPO die Schlichtungsbehörden für Miete und Pacht, zwingend anzurufen, bevor nach einem allfällig resultatlosen Schlichtungsverfahren die Klagebewilligung ausgestellt wird.

III. VEREINFACHTES VERFAHREN

Ein weiteres Problem bei der Frage der Zuständigkeit in handels- und mietrechtlichen Angelegenheiten ergibt sich aus Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO, wo unabhängig vom Streitwert für Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohnund Geschäftsräumen, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- oder Pachtverhältnisses betroffen sind, das vereinfachte Verfahren zwingend vorgeschrieben wird. Die Anwendungsfälle von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO gehören zu den Kernbereichen des Mietrechts. Für übrige mietrechtliche Streitigkeiten gelten die Bestimmungen des vereinfachten Verfahrens nicht, sondern das ordentliche Verfahren.

IV. SCHLICHTUNGSBEHÖRDE UND/ODER HANDELSGERICHT?

Gestützt auf die vorgemachten Ausführungen kann festgestellt werden, dass grundsätzlich in allen mietrechtlichen Angelegenheiten die Schlichtungsbehörde für Mietsachen zwingend angerufen werden muss, bevor im ordentlichen oder vereinfachten Verfahren an die nächste Instanz weiter gegangen werden kann. Auf der anderen Seite wird aus Art. 6 ZPO klar, dass, sollte eine handelsgerichtliche Zuständigkeit gegeben sein, das Handelsgericht zuständig ist. Diese Frage kann sich bspw. dann stellen, wenn zwischen einer professionellen Vermieterin im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit und einer anderen Unternehmung, welche Mieträumlichkeiten für ihre geschäftliche Tätigkeit nutzt, mietvertragliche Streitigkeiten entstehen. Es entsteht ein miet- und zugleich handelsrechtlicher Sachverhalt. In solchen Fällen lässt sich grundsätzlich eine handelsrechtliche wie auch eine mietvertragliche Zuständigkeit begründen. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, ob nun von einer handelsrechtlichen oder einer mietrechtlichen Zuständigkeit ausgegangen werden muss.

V. LÖSUNG GEMÄSS BUNDESGERICHTLICHER RECHTSPRECHUNG

Geschäftliche Tätigkeiten, welche gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO unter die handelsgerichtliche Zuständigkeit fallen, erfassen, wie dargelegt, auch den Abschluss von Mietverträgen über Geschäftsliegenschaften und damit grundsätzlich auch Streitigkeiten aus diesen Verträgen. Gleichzeitig betrifft Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO auch Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Geschäftsräumen. Diese beiden Bestimmungen überschneiden sich also insofern, dass einerseits eine handelsgerichtliche Zuständigkeit als gegeben erscheint und auf der anderen Seite die ZPO eine Verfahrensart vorsieht, welche dem Handelsgericht gemäss Art. 243 Abs. 3 ZPO fremd ist (vereinfachtes Verfahren). Die Abgrenzung zwischen Art. 6 und Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO kann gemäss Bundesgericht nur so erfolgen, dass entweder das Handelsgericht zuständig ist und dieses im ordentlichen Verfahren und ohne vorgängige Schlichtung (Art. 198 lit. f ZPO) entscheidet, oder dass die spezifischen Mietstreitigkeiten von den ordentlichen Gerichten (bzw. in Kantonen mit Mietgericht von diesen) im vereinfachten Verfahren und mit vorgängiger Schlichtung durch die paritätische Schlichtungsbehörde entschieden werden.

In mietrechtlichen Streitigkeiten gilt das vereinfachte Verfahren unabhängig vom Streitwert bei den besonderen Streitigkeiten gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO und ausserdem bei allen übrigen mietrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30’000.00 (Art. 243 Abs. 1 ZPO). Insbesondere gilt in mietrechtlichen Streitigkeiten gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO und bei Streitwerten bis maximal CHF 30’000.00 die soziale Untersuchungsmaxime (Art. 247 Abs. 2 ZPO). Namentlich bedeutet dies, dass das Gericht nicht an die Beweisanträge der Parteien und deren Tatsachenbehauptungen gebunden ist. Im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren kann das Gericht so auch neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Urteilsberatung berücksichtigen (Art. 229 Abs. 3 ZPO).

Somit muss erkannt werden, dass es bei der Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit der Handelsgerichte und jener der ordentlichen Gerichte (bzw. Mietgerichte) gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht darum geht, dass in die von der Zivilprozessordnung vorgegebenen Verfahrensarten eingegriffen wird. Kantone sind gemäss Art. 6 ZPO zwar legitimiert, Spezialgerichte vorzusehen, jedoch dürfen die Kantone nicht in die von der ZPO und damit vom Bundesrecht vorgeschriebenen Verfahrensarten eingreifen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die prozessuale Regelung der Verfahrensart jener über die sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte vorgeht.

Somit ist bei einer miet- und gleichzeitig handelsrechtlichen Streitigkeit die Frage zu klären, ob es sich um eine Streitigkeit nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO handelt oder nicht. Muss dies verneint werden, sind in den Kantonen, in denen die handelsgerichtliche Zuständigkeit vorgesehen ist, die Handelsgerichte im ordentlichen Verfahren zuständig.

Gestützt auf Art. 189 lit. f ZPO muss die Schlichtungsbehörde nicht angerufen werden. Immerhin wäre im Falle einer unnötigen Anrufung der Schlichtungsbehörde die Rechtshängigkeit gegeben und damit allfällige Verjährungsfristen gewahrt (Art. 63 ZPO; BGE 138 III 471).

VI. SUMMARISCHES VERFAHREN

Geht es in einer handels- und gleichzeitig mietrechtlichen Streitigkeit darum, ein summarisches Verfahren einzuleiten, stellt sich erneut die Frage der sachlichen Zuständigkeit. Fest steht, dass keine Schlichtungsbehörde angerufen werden muss (Art. 198 lit. a ZPO). Interessant ist diese Frage insbesondere bei vorsorglichen Massnahmen (bspw. vorsorgliche Beweisführung gemäss Art. 158 ZPO) oder aber in Mietausweisungsprozessen, welche unter Umständen gemäss den Vorschriften für den Rechtsschutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO) im summarischen Verfahren behandelt werden.

Das Bundesgericht hat in BGE 4A_480/2013 ausgeführt, dass der Bundesgesetzgeber die ihm an sich grundsätzlich zustehende Kompetenz zur Regelung der Zuständigkeiten zwar den Kantonen überlassen hat, dies jedoch nur soweit, soweit es sie nicht selber ausübt. Mit Art. 6 ZPO hat damit ein Kanton, welcher ein Handelsgericht schafft, die sachliche Zuständigkeit für jene Streitsachen, welche die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 lit. a bis c ZPO erfüllen, definitiv geregelt. Der Bund hat von seiner Rechtsetzungskompetenz Gebrauch gemacht und damit ist eine parallele Zuständigkeitsregelung durch einen Kanton ausgeschlossen.

Gestützt auf diese Rechtsprechung ist in den Kantonen, welche eine handelsgerichtliche Zuständigkeit vorsehen,  diese für alle ordentlichen Verfahren, wozu auch das Summarverfahren zu zählen ist, zwingender Natur.

VII. FAZIT

Stellt sich die Frage der «normalen» oder aber der handelsgerichtlichen Zuständigkeit, ist vorab auf die anzuwendende Verfahrensart abzustellen. Sieht das Gesetz die Anwendung des vereinfachten Verfahrens gemäss Art. 243 ff. ZPO voraus, so ist dieses anzuwenden, was zugleich eine handelsgerichtliche Zuständigkeit ausschliesst.

Für alle Anwendungsfälle des ordentlichen Verfahrens inkl. des Summarverfahrens ist, sofern die weiteren handelsgerichtlichen Zuständigkeitsvoraussetzungen gemäss Art. 6 Abs. 1 ZPO erfüllt sind, das Handelsgericht zwingend anzurufen, und zwar direkt, ohne vorgängiges Schlichtungsverfahrens. Es besteht keine Wahlmöglichkeit.

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2. Juni 2014 / lic. iur. Stephan Hinz

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