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GELTENDMACHUNG VON MÄNGELRECHTEN BEI LIEFERUNG EINES ANDEREN ALS DEM BESTELLTEN, JEDOCH (TECHNISCH) BESSEREN PRODUKTS?

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

In Werkverträgen werden oftmals ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen betreffend Werkseigenschaften geschlossen. Darin halten die Parteien fest, welche Eigenschaften das bestellte Werk aufweisen muss.

Es kann sich dabei um technische Eigenschaften (bspw. die Höhe der Schalldichte einer Tür) oder um bloss optische Eigenschaften (bspw. eine bestimmte Farbe) handeln. Wird nun im Fall einer vereinbarten technischen Eigenschaft ein abweichendes Werk geliefert, welches nicht die vereinbarte, sondern eine andere, jedoch technisch bessere Eigenschaft aufweist, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um einen Werkmangel im Sinne von Art. 368 OR handelt, welcher dem Besteller die gesetzlichen Mängelrechte (Wandelung/Minderung/Nachbesserung) einräumt.

I. MANGELHAFTIGKEIT DES WERKES

Ein Werk gilt dann als mangelhaft im Sinne des Gesetzes, wenn es nach der allgemeinen Verkehrsanschauung fehlerhaft ist oder wenn es nicht diejenige Beschaffenheit aufweist, die nach dem Vertrag geschuldet ist. Im zweitgenannten Fall kann sich die Frage stellen, ob ein Werk, welches in einem Punkt zwar nicht die vereinbarten Eigenschaften aufweist, in ebendiesem Punkt jedoch eine (technisch) bessere Lösung bietet, überhaupt ein Mangel i.S.v. Art. 368 OR darstellt.

1. Vereinbarte Eigenschaften

Als vereinbarte Eigenschaft gelten einerseits die allgemeinen Merkmale eines Werkes, wie bspw. das Material, die Form, die Abmessung eines Werkes oder deren Ausführung, und andererseits aber auch die besonderen Merkmale eines Werkes, wie bspw. die genauere Beschreibung des Werkes, die Undurchlässigkeit eines Daches (BGE 93 II 316), die spezifische Leistungsfähigkeit einer Maschine, ein bestimmter Wärmedurchlasswert von Fenster- und Türrahmen, etc.

Ob und welche Werkeigenschaften durch eine entsprechende Abrede vereinbart worden sind, ist im Einzelfall durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Jede Eigenschaftsvereinbarung setzt eine übereinstimmende Willenserklärung der Parteien voraus (Art. 1 Abs. 1 OR). Bei der Beurteilung der Vertragswidrigkeit und folglich bei der Frage, was konkret Inhalt des Vertrages war, darf man sich allerdings nicht darauf beschränken, einzig und alleine auf den Wortlaut des Vertrages abzustellen, sondern es ist nach den Auslegungsregeln festzustellen, was die Parteien im konkreten Fall effektiv gewollt haben (vgl. BGer 4A_460/2009 vom 04.12.2009).

2. Werkmangel beim Fehlen der vereinbarten Eigenschaft?

Weist das Werk nicht die vereinbarten (vom Unternehmer zugesicherten) Eigenschaften auf, liegt immer ein Werkmangel vor, unabhängig davon, ob das betreffende Werk nach den „anerkannten Regeln der Technik“ oder einem gleichwertigen Standard erstellt worden ist. Das Werk weist somit auch dann einen Mangel auf, wenn es in seinen Eigenschaften wirtschaftlich oder technisch besser, wertvoller oder zum massgeblichen Gebrauch tauglicher ist, als es mit den vereinbarten Eigenschaften gewesen wäre. Fraglich ist freilich, ob dem Besteller in einem solchen Fall dennoch die gesetzlichen Mängelrechte zustehen.

II. GELTENDMACHUNG DER MÄNGELRECHTE

Grundsätzlich hat der Besteller eines Werkes, das vom Unternehmer im Sinne des Gesetzes oder der gegenseitigen Vereinbarung mangelhaft geliefert worden ist, Anspruch auf Wandlung des Vertrages, Minderung des Werklohnes oder Nachbesserung des Werkes.

1. Wandlung des Werkvertrages

Das Wandelungsrecht zielt auf die Aufhebung und Rückabwicklung des Werkvertrages ab. Da dies den Unternehmer schwer treffen kann, kann es nicht in jedem Fall der Mängelhaftung geltend gemacht werden. Als besondere Voraussetzung dafür muss die Annahme des Werkes für den Besteller unzumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit ist eine Ermessensfrage. Entscheidend ist, ob es dem Besteller nach „Recht und Billigkeit“ zugemutet werden kann, das abgelieferte Werk zu behalten. Diese Frage ist freilich einzelfallorientiert zu beantworten. In einem Fall, in welchem die Mangelhaftigkeit des Werkes bloss in der Abweichung einer vertraglich vereinbarten, technischen Eigenschaft liegt, das gelieferte Werk jedoch technisch besser ist, ist diese Frage sicherlich zu verneinen. Handelt es sich bei der Vereinbarung jedoch bspw. um die Farbe des Werkes und wird das Werk in einer anderen Farbe geliefert, kann sich eine Wandlung des Vertrages durchaus rechtfertigen.

2. Minderung des Werkpreises

Das Minderungsrecht setzt voraus, dass das Werk auch effektiv einen Minderwert aufweist. Dies ist nur dann der Fall, wenn zwischen dem abgelieferten – mangelhaften – Werk und dem vereinbarten – mängelfreien – Werk eine effektive Wertdifferenz besteht. Dies ist bei der Lieferung eines Werkes mit – zwar vom Vertrag abweichenden, jedoch besseren – Eigenschaften nicht der Fall. Dem Minderungsrecht des Bestellers wird in einem solchen Fall somit die Grundlage entzogen (Gauch, Der Werkvertrag, N 1638). Der Besteller kann sich folglich in diesem Fall nicht auf das Minderungsrecht gemäss Art. 368 Abs. 2 OR berufen.

3. Nachbesserung

Das Nachbesserungsrecht gibt dem Besteller das Recht, den Unternehmer zur unentgeltlichen Nachbesserung und zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Als besondere Voraussetzungen dafür muss es dem Unternehmer einerseits möglich sein, den Mangel zu beheben und andererseits darf die Nachbesserung nicht übermässige Kosten verursachen. Übermässig sind Kosten dann, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen, den die Mangelbeseitigung für den Besteller hat, stehen. Die Nachbesserung im vorstehend geschilderten Fall wäre daher (unter den erläuterten Voraussetzungen) grundsätzlich möglich. Die „Nachbesserung“ eines Werkes zu einem schlechteren Produkt scheint allerdings wohl in den seltensten Fällen sinnvoll zu sein.

III. FAZIT

Ein Werk, welches nicht die von den Parteien im Vertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist, stellt immer ein mangelhaftes Werk im Sinne des Gesetzes dar. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob es auch nach den „anerkannten Regeln der Technik“ minderwertig ist oder nicht. Der Besteller soll sich darauf verlassen dürfen, dass das von ihm bestellte Werk über jene Eigenschaften verfügt, die ihm vom Unternehmer vertraglich versprochen worden sind. In jenem Fall allerdings, in welchem das vom Vertrag abweichende (und im Sinne des Gesetzes daher mangelhafte) Werk technisch besser ist als das von ihm tatsächlich Bestellte, wird es in den meisten Fällen an den besonderen Voraussetzungen für die Geltendmachung der Mängelrechte durch den Besteller fehlen, so dass dieser zwar ein „mangelhaftes“ Werk im Sinne des Gesetzes hat, aufgrund des nicht vorliegenden Nachteils jedoch keine Mängelrechte geltend machen kann. Im Ergebnis hat er sich daher mit dem besseren, wenn auch im Sinne des Gesetzes mangelhaften, Werk abzufinden.

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11. Oktober 2016 / lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin, und MLaw Nicole Wick

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