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KINDERUNTERHALT: ANWENDUNG DER «LEBENSHALTUNGSKOSTEN- METHODE» FÜR DIE BERECHNUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTES VON KINDERN BUNDESGERICHTLICH GEKLÄRT

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 17. Mai 2018 (5A_454/2017) – das Datum der Veröffentlichung des Urteils mit schriftlicher Begründung ist noch nicht bekannt – einen Grundsatzentscheid zur Bemessungsmethode des Betreuungsunterhalts für Kinder erlassen und leistet damit der herrschenden Uneinigkeit in Lehre und Rechtsanwendung Abhilfe. Der Betreuungsunterhalt für Kinder soll gestützt auf den höchstrichterlichen Entscheid nach der sog. «Lebenshaltungskosten-Methode» berechnet werden und umfasst somit grundsätzlich das familienrechtliche Existenzminimum des betreuenden Elternteils, soweit dieser wegen der Kinderbetreuung nicht selber dafür aufkommen kann.

I. AUSGANGSLAGE

Per 1. Januar 2017 wurde die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder neu geregelt. Mit dieser Gesetzesnovelle wurden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt. Erstens soll die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern beseitigt werden. Zweitens soll der Unterhaltsanspruch des Kindes durch verschiedene Massnahmen gestärkt werden, bspw. dadurch, dass der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gestützt auf Art. 276a Abs. 1 ZGB anderen familienrechtlichen Verpflichtungen vorgeht.

Unabhängig vom Zivilstand der Eltern soll der Unterhalt des Kindes sicherstellen, dass es von der bestmöglichen Betreuung profitieren kann, sei es durch die Eltern selbst oder durch Drittpersonen. Während die Fremdbetreuungskosten seit jeher in die Berechnung des Barunterhalts des Kindes einflossen, wurde es erst mit der Gesetzesänderung möglich, die Eigenbetreuung durch einen Elternteil über die Zusprechung eines Betreuungsunterhaltes zu gewährleisten. Der Kindesunterhalt besteht gemäss den Art. 276 und 285 ZGB neu aus dem Barunterhalt, der die direkten Kosten des Kindes abdeckt (bspw. Wohnkosten, Nahrung, Ausbildung, Drittbetreuung), dem Naturalunterhalt (der in Form von alltäglicher Betreuung erbracht wird) sowie dem Betreuungsunterhalt (der der finanziellen Einbusse des betreuenden Elternteils durch die persönliche Betreuung des Kindes bzw. deren Auswirkung auf die Deckung des Lebensunterhalts durch einen entsprechend verminderten Beschäftigungsgrad entspricht). Unverändert gilt jedoch, dass ein Eingriff in das Existenzminimum des Unterhaltsverpflichteten unzulässig ist. Ein allfälliges Manko ist somit nach wie vor vom Unterhaltsberechtigten zu tragen (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540 und S. 589, FN 3).

Das Gesetz legt die Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhaltes nicht fest, was in der Rechtsanwendung zu teilweise grundlegend unterschiedlichen Berechnungen des Betreuungsunterhaltes und damit letztlich zu einer Rechtsunsicherheit führte. Mit Spannung wurde deshalb auf einen ersten höchstrichterlichen Entscheid in dieser Frage gewartet.

II. BERECHNUNGSMETHODE BETREUUNGSUNTERHALT GEMÄSS BUNDESGERICHT

Gemäss Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 17. Mai 2018 hat das Bundesgericht gleichentags einen Grundsatzentscheid bezüglich der auf die Berechnung des Betreuungsunterhaltes anzuwendenden Methode gefällt. In der öffentlichen Beratung wurde entschieden, dass für die Bemessung des Betreuungsunterhaltes für die gemeinsamen Kinder von verheirateten oder unverheirateten Eltern die «Lebenshaltungskosten-Methode» zur Anwendung kommen solle. Nach dieser Methode wird im Einzelfall der Betrag berechnet, der dem betreuenden Elternteil bedingt durch die persönliche Kinderbetreuung fehlt, um seine eigenen Lebenshaltungskosten zu decken. Das Bundesgericht hält fest, dass diese Methode die zur Bemessung des Betreuungsunterhalts adäquateste Lösung darstelle, am besten den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen entspreche und überdies auch von einem grossen Teil der Lehre befürwortet werde. Das Bundesgericht verweist darauf, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesänderung festgehalten habe, dass im Normalfall die Erwerbsmöglichkeiten des Elternteils eingeschränkt würden, der die Betreuung des Kindes überwiegend übernehme. In der Mehrheit der Fälle führe dies dazu, dass der betreuende Elternteil nicht mehr selber für seinen eigenen Unterhalt aufkommen könne. Dies wiederum bedeute, dass der Betreuungsunterhalt grundsätzlich die konkreten Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils umfassen müsse, soweit er diese wegen der Kinderbetreuung nicht selber bestreiten könne. Die Zahlung sei aber nicht als «Lohn» für den betreuenden Elternteil zu verstehen. Weiter hält das Bundesgericht fest, dass die Betreuung eines Kindes nur für die Zeit, in der der betreuende Elternteil sonst einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, zu einem Anspruch auf Unterhalt nach der «Lebenshaltungskosten-Methode» führe. Damit bleibt die Bereuung eines Kindes am Wochenende oder während sonstiger freier Zeit grundsätzlich unberücksichtigt. Es bestätigt damit den Vorschlag zur Methodenwahl von Prof. Dr. Stephan Hartmann (STEPHAN HARTMANN, Betreuungsunterhalt – Überlegungen zur Methode der Unterhaltsbemessung, in: ZBJV 02/2017 vom 15.2.2017), der auch vom Obergericht des Kantons Aargau zur Anwendung gebracht wird. Damit dürften die übrigen in der Botschaft zur Gesetzesänderung diskutierten und in diversen Kantonen bisher angewandten Berechnungsmethoden des sog. «Opportunitätskostenansatzes», gemäss welchem die Zeit, die der betreuende Elternteil für die Kinderbetreuung aufwendet, als Mindereinkommen zu bewerten ist, oder aber des sog. «Marktkosten- oder Ersatzkostenansatzes», bei welchem auf die Kosten abgestellt wird, welche bei einer Entschädigung des Betreuungsaufwandes zu Marktpreisen anfallen würde (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540), vom Tisch sein.

Das Bundesgericht äussert sich im Rahmen des aktuellen Urteils nicht zur Frage, nach welchen Kriterien darüber zu entscheiden ist, ob anstatt der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil allenfalls eine Drittbetreuung zu ermöglichen oder eine solche gar vorzuziehen sei. Es hält fest, dass es im Rahmen der Festlegung des Betreuungsunterhalts im konkreten Einzelfall dem Richter überlassen sei, über die Form und den Umfang der für das Wohl des Kindes erforderlichen Betreuung zu entscheiden. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Lebenshaltungskosten grundsätzlich nicht über das hinausgingen, was notwendig sei, um es dem betreuenden Elternteil finanziell zu ermöglichen, sich selber um das Kind zu kümmern. Vor diesem Hintergrund bemisst sich der Betreuungsunterhalt denn auch nicht nach dem Einkommen des Unterhaltsverpflichteten oder einem allenfalls hohen bisherigen Lebensstandard des Unterhaltsberechtigten, sondern nach den konkreten Bedürfnissen des das Kind betreuenden Elternteils. Als Grundlage für die Berechnung dieser Bedürfnisse dient das familienrechtliche Existenzminimum.

III. UMFANG UND DAUER DES BETREUUNGSUNTERHALTS

Zur Festlegung des Umfangs und der Dauer des Betreuungsunterhalts hat sich das Bundesgericht im aktuellen Entscheid nicht neu geäussert. Obwohl in der Rechtsanwendung die Tendenz erkennbar ist, die Altersgrenzen der zu betreuenden Kinder bezüglich der Zumutbarkeit einer Ausdehnung der Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Elternteils nach unten zu verschieben, ist bis auf weiteres auch unter dem neuen Recht grundsätzlich von der sog. «10/16-Regel» auszugehen (HANS-MARTIN ALLEMANN, Betreuungsunterhalt – Grundlagen und Bemessung, in: Jusletter vom 11.7.2016, S. 14 und 19). Im Normalfall ist somit grundsätzlich ein Betreuungsunterhalt zu leisten, bis das jüngste Kind das 16. Altersjahr vollendet hat. Die Botschaft zur Gesetzesnovelle hält fest, dass bei der Bemessung die Beteiligung des anderen Elternteils an der Kinderbetreuung nur dann zu berücksichtigen sei, wenn sie über die Ausübung eines gewöhnlichen Besuchsrechts hinausgeht. Wird ein grosszügiges Kontaktrecht vereinbart, findet dieser Umstand aber nicht im Rahmen des Betreuungsunterhalts in die Unterhaltsberechnung Einlass, sondern über eine Aufteilung des Grundbetrages und/oder der variablen direkten Kosten im Rahmen des Barunterhalts, bspw. Nahrung oder Auslagen für Hobby (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 550 ff.).

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23. Mai 2018 / lic. iur. Melanie Schmidt

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