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DIE ALTERNIERENDE OBHUT BEI TRENNUNG UND SCHEIDUNG – MEHR RECHTE FÜR DEN BISLANG NICHT IN DER HAUPTSACHE ERZIEHENDEN ELTERNTEIL

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Immer mehr beantragen Parteien in einem Trennungs- oder Scheidungsprozesse die Zuteilung der Kinder an beide Elternteile nach einem alternierenden Betreuungskonzept (alternierende Obhut). Bis vor kurzem wurde diese Form der Betreuungsregelung jedoch durch Gerichte vornehmlich nur dann zur Anwendung gebracht, wenn beide Parteien dahingehend gleiche Vorstellungen und Anträge vorbrachten. Sobald sich ein Elternteil gegen die Installation einer alternierenden Obhut wehrte, wurde diese in aller Regel durch die Gerichte ebenfalls abgelehnt.

Das Bundesgericht geht nun neue Wege, was eine Chance für bislang nicht zur Hauptsache erziehenden Elternteile, vornehmlich Väter, bedeutet.

I. ALTERNIERENDE OBHUT

Alternierende Obhut bedeutet, dass beide Elternteilen zu gewissen Teilen die Betreuung der Kinder übernehmen. Die alternierende Obhut steht der einem Elternteil allein zugesprochenen Obhut mit Ausgestaltung eines Besuchsrechts für den jeweils anderen Elternteil gegenüber. Letzteres ist bislang das verbreitetere Modell, welches jedoch durch die Gesetzesrevision im Familienrecht und die sich langsam anpassende Rechtsprechung vor dem Hintergrund einer anderen Lebensrealität langsam angepasst wird. Die alternierende Obhut muss nicht bedeuten, dass jeder Elternteil die Betreuung der Kinder zu genau 50% übernimmt. Es sind verschiedenste Modelle denkbar, welche sich jedoch alle am Kindeswohl zu orientieren haben.

II. VORAUSSETZUNGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

Bei gegebenen Voraussetzungen kann die alternierende Obhut auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Voraussetzung ist jedoch immer, dass beide Eltern erziehungsfähig sind. Weiter erforderlich sind organisatorische Massnahmen, welche die Eltern ergreifen können müssen sowie der Austausch von Informationen unter den Parteien über die Kinderbelange. Auch die geographische Situation muss derart sein, dass eine alternierende Obhut dem Kindeswohl gerecht werden kann. So müssen die Kinder insbesondere von beiden

Wohnorten aus in der Lage sein, ohne grössere Aufwendungen und Hindernisse die Schule, Ausbildung oder aber den Kindergarten besuchen zu können.

Kriterien wie Stabilität der Betreuung sowie die Möglichkeit der persönlichen Betreuung sind zwar ebenfalls wichtig, sind jedoch den einzelnen Umständen und Altersstufen der Kinder anzupassen. Bei Jugendlichen kommt der Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld (Schule, Freunde, Vereine) eine grosse Bedeutung zu. Die vorhandene Kooperationsfähigkeit der Eltern wiederum ist bei schulpflichtigen Kindern oder gar noch jüngeren Kindern ein wichtiges und unerlässliches Element.

III. BETREUUNG DURCH DRITTPERSONEN

Weiter setzt die alternierende Obhut selbstredend auf beiden Seiten der Eltern eine gewisse Verfügbarkeit voraus. Immerhin soll es darum gehen, dass die Eltern, und nicht andere, die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernehmen sollen und wollen. Nicht geschützt wird ein entsprechender Antrag eines Elternteils, die Betreuung zu einem gewissen Teil übernehmen zu wollen, obwohl diese in der Hauptsache auf Drittpersonen übertragen werden sollen. Eine solche Lösung wäre mit dem Kindeswohl in aller Regel nicht vereinbar. Auf der anderen Seite hat das Bundesgericht aber entschieden, dass ein Elternteil während der Zeit, in welcher er die Kinder zu be- treuen hat, durchaus berechtigt ist, einen Teil dieser Betreuung beispielsweise durch seine Eltern, mithin die Grosseltern der Kinder, sicherzustellen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Grosseltern bereits zuvor gewisse Betreuungsaufgaben übernommen hatten und die Betreuung im Idealfall am Wohnort einer der beiden Elternteile übernehmen können.

IV. WEIGERUNG EINES ELTERNTEILS

Für die Installation einer alternierenden Betreuungsregelung müssen die Eltern fähig und bereit sein, in den Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass dies beide Eltern auch wollen bzw. dass sich die Eltern bezüglich der Betreuungsregelung in der alternierenden Form einig sind. Allein aus dem Umstand, dass ein Elternteil sich vor Gericht der alternierenden Obhut widersetzt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine alternierende Obhut nicht möglich ist. Sind alle Voraussetzungen der alternierenden Obhut gegeben, so kann ein Richter diese auch gegen den expliziten Willen eines Elternteils anordnen, denn bei gegebenen Voraussetzungen haben beide Eltern gleichermassen Anspruch darauf, sich an der Betreuung des Kindes zu beteiligen. Dies liegt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Interesse des Kindes, welches eine Beziehung zu beiden Elternteilen leben und pflegen dürfen will. Dies gilt so- gar dann, wenn ein Elternteil, in der Regel der Vater, in der Vergangenheit zu 100% erwerbstätig war und sich kaum der Erziehung des Nachwuchses gewidmet hatte. Entscheidend ist, ob dieser Elternteil sich in Zukunft durch Reduktion seines Arbeitspensums an der Betreuung des Kindes ernsthaft beteiligen möchte und die entsprechenden Voraussetzungen dafür mitbringt. Ein solcher Elternteil tut also gut daran, dem Gericht aufzuzeigen, wie er dieser Betreuungsaufgabe, insbesondere zeitlich und organisatorisch, in Zukunft nachkommen will und kann. Idealerweise verfügt eine Partei mit einem solchen Ansinnen über eine Bestätigung des Arbeitgebers, wo- nach eine Reduktion des Arbeitspensums möglich sei.

V. FOLGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

In der Regel führt die alternierende Obhut dazu, dass beide Elternteile verfügbare Zeit haben, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Dies kann bedeuten, dass der Elternteil, welcher bislang zu 100% die Kindererziehung übernommen hat, inskünftig gehalten ist, teilzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat logischerweise Folgen auf die Unterhaltsregelungen, was nicht selten ein Grund für ein Festhalten am klassischen Modell sein dürfte.

VI. FAZIT

Mit der zuvor ausgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts wird insbesondere – auch unter dem bisherigen Modell der klassischen Rollenverteilung – die Position der sich in Trennung oder Scheidung befindenden Väter gestärkt, in dem vom gerichtsüblichen Besuchsrecht, d.h. alle 2 Wochen übers Wochenende, Abkehr genommen wird und der heute bereits ausgeprägten Realität, gemäss welcher in der Regel beide Elternteile zumindest teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Rechnung getragen wird. Insbesondere werden auch die Rollen der Elternteile egalisiert und vom bislang leider zu häufig vertretenen Modell «die Mutter erzieht, der Vater zahlt» Abstand genommen. Dies zu Recht.

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21. Juni 2018 / lic. iur. Stephan Hinz

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