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LEX KOLLER: WEM GEHÖREN DIE GRÖSSTEN SCHWEIZER UNTERNEHMEN?

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf juristische Personen, deren Anteile an einer Schweizer Börse kotiert sind. Und im Speziellen geht es nur um die Gesellschaften und Aktientitel, die im Swiss Leader Index (SLI) enthalten sind, welcher die 30 liquidesten und grössten Schweizer Aktientitel enthält. Der Grund für die Konzentration auf diese Unternehmen liegt darin, dass in der NZZ am Sonntag vom 19.04.2020 unter dem Titel «Ausländische Aktionäre dominieren Schweizer Konzerne» ein Artikel erschien, der sich insbesondere auf eine Studie von Ernst & Young Schweiz unter dem Titel «Wem gehört der SLI?» abstützte und diese Studie auch zitierte. Die folgenden Ausführungen basieren ebenfalls auf dieser Studie von Ernst & Young; dabei steht die Frage im Zentrum, inwiefern Unternehmen des SLI unter die Lex Koller fallen könnten.

I. RECHTLICHE AUSGANGSLAGE GEMÄSS LEX KOLLER

Der Erwerb von Anteilen an juristischen Personen, die an einer Börse in der Schweiz kotiert sind, ist auch für Ausländer bewilligungsfrei möglich. Mit anderen Worten ist der Erwerb entsprechender Anteile auch an den Unternehmen des SLI für jeden Ausländer bewilligungsfrei möglich. Insofern stellen sich vorderhand keine Probleme. Dies kann zur Folge haben, dass Ausländer sehr grosse Anteile an solchen Gesellschaften erwerben können, was dazu führen kann, dass die entsprechende Gesellschaft gemäss Lex Koller als ausländisch beherrscht gilt.

Ein Unternehmen, welches als ausländisch beherrscht gilt, unterliegt für eigene spätere Grundstückerwerbsgeschäfte in der Schweiz möglicherweise der Bewilligungspflicht. Der Erwerb von Betriebsstättengrundstücken ist unproblematisch, weil der Erwerb von Betriebsstätten in der Schweiz nicht unter die Bewilligungspflicht gemäss Lex Koller fällt. Etwas anderes gilt für den Erwerb von Bauland bzw. für Wohngrundstücke. Falls nämlich diese juristische Person (sprechen wir in der Folge von Gesellschaften) als ausländisch beherrscht gilt, dann unterliegt sie für den Erwerb von Bauland bzw. von Wohngrundstücken in der Schweiz der Bewilligungspflicht (Art. 5 Abs. 1 lit. c BewG), wobei gleich beizufügen ist, dass die in diesem Fall zur Verfügung stehenden Bewilligungsgründe (die also den Erwerb gemäss Lex Koller dann trotzdem erlauben würden) äusserst dürftig sind und nur in speziellen Fällen angerufen werden können (vgl. Art. 8 BewG). Eine ausländische beherrschende Stellung dieser Gesellschaft liegt gemäss Lex Koller vor, wenn eine Person im Ausland entweder allein oder gemeinsam mit anderen Personen im Ausland die Verwaltung oder Geschäftsführung entscheidend beeinflussen kann (Art. 6 Abs. 1 BewG). Zudem wird eine solche beherrschende Stellung durch Personen im Ausland gesetzlich vermutet, wenn Ausländer mehr als einen Drittel am Aktien-, Stamm- oder Genossenschaftskapital besitzen oder über mehr als einen Drittel der Stimmen in der General- oder Gesellschafterversammlung verfügen (Art. 6 Abs. 2 lit. a und b BewG). Bei dieser gesetzlichen Vermutung handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung – wenn also die Vermutung der ausländischen Beherrschung gesetzlich vorliegt, kann die betroffene Gesellschaft den Beweis des Gegenteils führen, indem sie beweist, dass trotz erheblichem ausländischem Aktien- oder Stimmenbesitz die Gesellschaft als nicht ausländisch beherrscht gilt und sie deswegen für entsprechende Grundstückserwerbsgeschäfte (insbesondere von Bauland und von Wohngrundstücken) nicht der Bewilligungspflicht unterliegt. So viel zur gesetzlichen Ausgangslage und zu den damit verbundenen Mechanismen.

II. ZENTRALE AUSSAGEN IN DER STUDIE VON ERNST & YOUNG ÜBER DIE AKTIONÄRSSTRUKTUR DER 30 UNTERNEHMEN DES SWISS LEADER INDEX (SLI)

Untersucht wurde der Zeitraum von 2012-2019. Dabei wurden die Durchschnittszahlen für diese Jahre erhoben; bei den Aktionären wurde unterteilt in Schweizer (bzw. inländische) Aktionäre sowie in Aktionäre aus Europa, Nordamerika und übrige Welt. Dabei konnten nur diejenigen Aktienbesitzer nach diesen Aktionärsgruppen aufgeteilt werden, soweit es sich um sogenannte «zuordenbare» Aktien handelte, also um Aktieneigentum, welches aufgrund von Publizitätsvorschriften offen gelegt werden muss (entsprechend also bei Aktienerwerben von mehr als 3% des Aktienkapitals). Der entsprechend nicht zuordenbare Anteil macht – nicht ganz erstaunlich – den grössten Teil der Aktionärsstruktur aus.

Das Ergebnis ist das folgende: Im Durchschnitt hielten Schweizer Aktionäre an diesen SLI-Gesellschaften rund 27% (2012: 28.2%, 2019: 27.6%). Das europäische Ausland hielt zwischen 14.8% (2012) und 14.4% (2019) der SLI Aktien. Nordamerikanische Aktionäre hielten zwischen 17.8% (2012) und 19.8% (2019); ein kleiner Rest «übrige Welt» hielt 1% (2012) bis 3% (2019). Die nicht zuordenbaren Aktien betrugen zwischen 38.1% (2012) und 35.3% (2019).

III. INTERPRETATION DIESER RESULTATE AUS SICHT DER LEX KOLLER

Grundsätzlich ist das Ergebnis eigentlich eindeutig: 1/3 des Aktienbesitzes entspricht 33.33% – vorliegend würde der ausländische Aktienbesitz im Jahr 2012 33.6% (nämlich 14.8% EU, 17.8% USA; 1.0 % übriges Ausland) und im Jahr 2019 sogar 37.2% (14.4% EU; 19.8% USA; 3.0% übriges Ausland) betragen. Der Grenzwert von einem Drittel ausländischem Aktenbesitz wäre grundsätzlich überschritten, was zur gesetzlichen Vermutung der ausländischen Beherrschung führt.

Nun muss man aber aufpassen: Hier handelt es sich um Durchschnittswerte für die 30 Unternehmen, deren Aktientitel zum SLI gehören, und nicht um Einzelaufnahmen entsprechender Unternehmen. Es ist aber ein klares Indiz, dass sich der ausländische Aktienbesitz bei diesen 30 Unternehmen mindestens teilweise oder eben bei einigen dieser Unternehmen jenseits des Grenzwertes von einem Drittel bewegt, weshalb die entsprechenden Unternehmen als ausländisch beherrscht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. a BewG gelten müssten. Ob auch eine beherrschende Stellung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b BewG (Stimmrechte) vorliegen könnte, müsste noch im Einzelnen abgeklärt werden, kann hier aber offen bleiben.

Das Resultat dieser Studie und die Interpretation betreffend der Durchschnittswerte muss dazu führen, dass Unternehmen, welche dem SLI angehören (die gleiche Empfehlung dürfte sich für alle Unternehmen aufdrängen, deren Anteile an einer Börse in der Schweiz kotiert sind), nur die eine sein kann: Es darf nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass – da man ja an einer Schweizer Börse kotiert ist –, es sich bei diesen Unternehmen um schweizerische bzw. um nicht ausländisch beherrschte Unternehmen handelt, sondern es muss intern geklärt werden, ob der Grenzwert von einem Drittel überschritten ist oder nicht. Gleiches gilt für die Behörden, und speziell für die Grundbuchämter. Einfach daraus, dass die Anteile eines Unternehmens an einer Schweizer Börse kotiert sind, den Schluss zu ziehen, dass es sich dann auch um ein schweizerisch beherrschtes Unternehmen handelt und um ein Unternehmen, das für gewisse Grundstückserwerbsgeschäfte nicht der Bewilligungspflicht gemäss Lex Koller unterliegt, wäre falsch. Die entsprechenden Behörden dürfen danach fragen und dazu die Beweismittel einverlangen, ob nicht die Vermutung der Auslandsbeherrschung vorliegt. In Zweifelsfällen sind sie sogar dazu verpflichtet. Insbesondere denjenigen Unternehmen, die sich regelmässig oder sogar ständig mit Grundstückerwerbsgeschäften (auch von Bauland und von Wohnliegenschaften) beschäftigen, wie insbesondere den Versicherungsgesellschaften und den Banken, wäre dringend angeraten, dafür besorgt zu sein, dass jederzeit belegt werden kann, dass keine Auslandsbeherrschung bzw. nicht einmal die gesetzliche Vermutung einer Auslandsbeherrschung vorliegt.

IV. PROBLEME DER «NICHT ZUORDENBAREN AKTIEN»

Bei diesen Aktien im Streubesitz kann es sich um solche von Schweizern, aber auch von Ausländern handeln – dies weiss die Studie nicht. Die Unternehmen wissen es zumindest teilweise oder annähernd bzw. haben zumindest zusätzliche Kenntnisse. Ich bin nicht der Meinung, dass generell aus einer solchen Studie abgeleitet werden dürfte, dass der Streubesitz generell entweder dem Bestand der ausländischen Aktien oder demjenigen der Schweizer Aktien zugerechnet werden darf. Genau so unzulässig wäre es, diese Aktien proportional nach den zuordenbaren Aktien auf Ausländer und Schweizer aufzuteilen.

V. RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN BEI EINTRITT DER GESETZLICHEN VERMUTUNG

Es kann für ein Unternehmen nicht Sinn machen, sich um die Frage herumzudrücken, ob man nun der Bewilligungspflicht gemäss Lex Koller unterliegt oder nicht. Der Erwerber hat nämlich die Pflicht, sich um die Frage der Bewilligungspflicht zu kümmern, wenn sich eine solche nicht ohne weiteres ausschliessen lässt (Art. 17 Abs. 1 BewG). Wenn er sich darüber hinweg setzt und ein bewilligungspflichtiges Rechtsgeschäft ohne Bewilligung abschliesst bzw. vollzieht, ist das entsprechende Rechtsgeschäft unwirksam bzw. nichtig – mit sehr unangenehmen Rechtsfolgen betreffend Rückabwicklung etc. Wenn der Grundbuchverwalter die Bewilligungspflicht nicht ohne weiteres ausschliessen kann, so hat er gemäss Art. 18 BewG das Verfahren auszusetzen und dem Erwerber eine Frist anzusetzen, um bei der zuständigen Behörde die Bewilligung oder die Feststellung der Nichtbewilligungspflicht einzuholen. Der Handelsregisterführer verfährt genau gleich. Und ohnehin haben die Behörden sehr umfassende Rechte, nachträglich eine Untersuchung zu eröffnen mit der Möglichkeit, die Bewilligungspflicht (oder die Nichtbewilligungspflicht) nachträglich noch festzustellen. Auch sehr unangenehme strafrechtliche Konsequenzen können eintreten.

Wenn die gesetzliche Vermutung der Auslandsbeherrschung vorliegt oder bei Verdachtsmomenten von den Behörden die Frage der Auslandsbeherrschung thematisiert wird, ist trotzdem noch nicht alles verloren: Das Unternehmen hat die Möglichkeit und das Recht, den Beweis anzutreten, dass allenfalls trotz gesetzlicher Vermutung oder trotz gewisser Verdachtsmomente gleichwohl keine Auslandsbeherrschung vorliegt, weil zum Beispiel einem ausländischen Streubesitz ein sehr starker konzentrierter schweizerischer Aktienbesitz gegenüber steht, der zudem noch durch Aktionärbindungsverträge gefestigt wird, oder wo trotz relativ bedeutendem ausländischem Aktenbesitz eine schweizerische funktionierende Aktienmehrheit entgegensteht (zum Beispiel eben auch durch Aktionärbindungsvertrag abgesichert). Auch wenn erheblichem ausländischem Aktienbesitz z.B. durch die Schaffung von Stimmrechtsaktien sich ein sehr hoher Stimmenanteil in Schweizer Hand befindet, kann dies dazu führen, dass (allenfalls zusammen mit weiteren Faktoren) nicht von einer Auslandsbeherrschung auszugehen ist. Dann ist es möglich, bzw. wäre es auch angebracht, dass je nach Beweislage die Auslandsbeherrschung verneint und die Nichtbewilligungspflicht festgestellt wird. Das Unternehmen, das von einer Bewilligungsbehörde eine solche Feststellungsverfügung auf Nichtbewilligungspflicht erhält, darf in der Regel darauf vertrauen, dass andere örtlich zuständige Bewilligungsbehörden in der Schweiz sich daran halten und nicht nochmals ein neues Verfahren einleiten. Meines Erachtens müsste dann aber die von der ersten Bewilligungsbehörde ausgestellte Verfügung auf Feststellung der Nichtbewilligungspflicht mit der Auflage verbunden sein, bei wesentlichen Veränderungen im Aktionariat erneut bei der Bewilligungsbehörde ein entsprechendes Gesuch um Erlass einer Nichtunterstellungsverfügung zu stellen.

VI. FAZIT

Die Untersuchung bzw. Studie von Ernst & Young hat ergeben, dass bei diversen Unternehmen, deren Anteile an einer Börse in der Schweiz kotiert sind, und erst recht bei denjenigen, die zu den grössten Unternehmen der Schweiz mit den meist gehandelten Aktien gehören, ein erheblicher Anteil vermutungsweise ausländisch beherrscht sein dürfte. Möglich ist, dass sich einige oder alle diese Unternehmen bereits abgesichert haben und entsprechende Feststellungsverfügungen auf Nichtbewilligungspflicht eingeholt haben – aber sicher ist dies bei weitem nicht. Möglich könnte es auch sein, dass angesichts der Bedeutung dieser Unternehmen, angesichts des Umstandes, dass sie doch zumindest in der Schweiz ihren Sitz haben und in der Schweiz auch wesentlich tätig sind, angesichts der Tatsache, dass vielleicht mindestens einige oder sogar mehrere der bedeutendsten Funktionen im Rahmen dieser Unternehmen von Schweizern ausgeübt werden, manchmal von den Behörden ein Auge zu viel zugedrückt wird. Ob – immer für den Fall, dass dies teilweise zutreffen würde – dies die richtige Strategie wäre, bezweifle ich. Es können sich für diese Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt unangenehme rechtliche Auseinandersetzungen ergeben, die mit ausserordentlich unangenehmen Folgen verbunden wären. Deshalb gibt es meines Erachtens nur einen einzigen Rat: Es muss intern im Unternehmen abgeklärt werden, ob allenfalls die Gefahr einer Auslandsbeherrschung vorliegt. Wenn Unsicherheiten bestehen, müssen diese geklärt werden – zum Beispiel dadurch, dass das zuordenbare Aktionariat in dem Sinn bereinigt wird, dass ganz klar keine Vermutung der Auslandsbeherrschung vorliegt. Auf rechtlicher Ebene ist zu raten, dass Unternehmen im Zweifelsfall eine Bewilligungsbehörde gemäss Lex Koller kontaktieren mit dem Antrag, es sei eine Feststellungsverfügung zu erlassen, dass das Unternehmen nicht ausländisch beherrscht ist.


16. Juni 2020 / Hanspeter Geissmann

Der Autor ist Verfasser bzw. Mitverfasser verschiedener Kommentare zum Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (Lex Friedrich/Lex Koller) sowie diverser Publikationen in Zeitschriften und Zeitungen. Er beschäftigt sich intensiv seit mehr als 30 Jahren mit Fragen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Grundstücken durch Ausländer, und er berät und vertritt Ausländer wie auch Schweizer und daselbst vor allem auch Investoren und institutionelle Anleger.

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