Blog

PERSÖNLICHE UNTERHALTSANSPRÜCHE EINES EHEGATTEN IN DER SCHEIDUNG (SCHEIDUNGSRENTE)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Unter bestimmten Voraussetzungen haben Ehegatten untereinander nicht nur während der Trennung, sondern auch nach einer Scheidung Anspruch auf laufende Zahlungen zur Deckung des Unterhalts. Die gesetzliche Grundlage für diese Scheidungsrente findet sich in Art. 125 ZGB. Zur Auslegung dieser Gesetzesbestimmung und zur Anwendung im Einzelfall gibt es nachgerade unzählige Entscheide des Bundesgerichts, welche allerdings kaum Rechtsicherheit schaffen: Letztendlich handelt es sich immer um Entscheidungen im Einzelfall (materiell und/oder aufgrund der prozessualen Ausgangslage), was die präjudizierliche Wirkung solcher Entscheidungen erheblich einschränkt. Welche Kriterien gilt es grundsätzlich bzw. bei der Bemessung zu berücksichtigen?

I. GRUNDSÄTZE

Im Gegensatz zur ehelichen Unterhaltsverpflichtung, die auf der Beistandspflicht der Ehegatten bis zur Scheidung, d.h. auch während einer Trennung, beruht, haben nacheheliche Unterhaltsansprüche ihre Grundlage in der nachehelichen Solidarität. Vergessen geht sehr oft, dass der Rentenanspruch nach einer Scheidung die Ausnahme ist. Grundsätzlich gilt nämlich nach einer Scheidung die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten, d.h. es ist ihnen zuzumuten, selber für den eigenen Bedarf aufzukommen.

Dass dennoch in Scheidungsvereinbarungen oder -urteilen eine Rentenverpflichtung eher die Regel als die Ausnahme ist, hängt damit zusammen, dass aufgrund der Rollenteilung während der gelebten Ehe oder aus anderen Gründen wie Alter, Krankheit, Aussichtslosigkeit eigener Erwerbsbemühungen, etc. die Eigenversorgung – vorübergehend oder dauernd – eingeschränkt ist. In solchen Fällen besteht eine auf dem Vertrauensschutz basierende Anspruchsgrundlage für denjenigen Ehegatten, der aus den genannten Gründen benachteiligt, d.h. nicht in der Lage ist, den gebührenden Unterhalt zu decken.

II. VORAUSSETZUNGEN

Ein Rentenanspruch setzt grundsätzlich eine lebensprägende Ehe bzw. – genauer – eine ausreichende Zeit ab Heirat bis zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes voraus. Hat eine Ehe mehr als 10 Jahre gedauert und hat einer der Ehegatten in dieser Zeit die Eigenversorgung reduziert oder gar nicht aufgenommen, so hat er deswegen (allenfalls) nacheheliche Nachteile, die es über einen Rentenanspruch auszugleichen gilt. Im Regelfall sind solche Nachteile bei einer nur kurzen Ehe bzw. gemeinsamen Haushaltszeit (nach der Rechtsprechung weniger als 5 Jahre) demgegenüber auszuschliessen.

Lebensprägend kann eine auch kurze Ehe dann sein, wenn die Ehegatten gemeinsam Kinder gezeugt haben und deren weiterdauernde Betreuung/Mitbetreuung durch den einen Elternteil dessen Eigenversorgungskapazität beschränkt. Nachdem im Grundsatze verbindlichen Schulstufenmodell des Bundesgerichts steht allerdings diese Kinderbetreuungsaufgabe der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nur vorübergehend im Weg: Ab Eintritt des jüngsten Kindes in den obligatorischen Kindergarten oder in die Schule ist in aller Regel die Wiederaufnahme eines Arbeitspensum von 50%, ab Übertritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe eine solche von 80% und ab dem 16. Geburtstag des jüngsten Kindes wieder ein volles Arbeitspensum möglich und zumutbar.

Eine Ausnahme von der Regel, wonach nur ehebedingte Nachteile bei der Eigenversorgung einen Vertrauensschutz schaffen und damit einen Rentenanspruch rechtfertigen können, sieht die Rechtsprechung bei Krankheit oder einkommensreduzierender Invalidität eines Ehegatten und längerer Ehe vor: Hier spielt es gemäss konstanter Rechtsprechung keine Rolle, dass diese Krankheit/Invalidität allenfalls schon vorehelich bestanden oder ihre Grundlage in nicht ehelichen Umständen hat. Ob dies richtig ist, d.h. ob dem anderen Ehegatten in solchen Fällen tatsächlich eine möglicherweise sehr lange Unterhaltsverpflichtung zuzumuten ist, darf durchaus in Frage gestellt werden: Auch die nacheheliche Solidarität rechtfertigt meines Erachtens höchstens eine vorübergehende oder eine auf einem reduzierten (existenzsichernden) Lebensstandard der kranken/invaliden Ansprecherin berechneten Aufstockungsunterhalt. Ausgenommen sind sehr lange Ehen oder zusätzliche ehebedingte Nachteile auf Seiten der Berechtigten.

III. BEMESSUNG DER SCHEIDUNGSRENTE

Als Grundsatz gilt nach unbestrittener Rechtsprechung, dass der rentenberechtigte Ehegatte maximal so viel an Scheidungsrente beanspruchen kann, wie er unter Anrechnung seines möglichen und zumutbaren Eigeneinkommens (Lohn und Vermögensertrag) braucht, um den gebührenden Lebensstandard weiterführen zu können. Dieser bemisst sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes zuzüglich trennungs- und/oder scheidungsbedingte Mehrkosten, wozu gegebenenfalls auch ein Zuschlag als Vorsorgeunterhalt (Ausgleich nachehelicher Nachteile in der 1. und 2. Säule) gehört. Nicht relevant sind also ausserordentliche Einkommenssteigerungen auf Seiten des Pflichtigen, die erst nach der Trennung eingetreten sind. Demgegenüber können die Lebensplanung der Ehegatten und ein nachweisbarer gemeinsamer Wille, dereinst den Lebensstandard zu erhöhen, durchaus berücksichtigt werden: Nach langer Ehe tendiert bspw. die Rechtsprechung dahin, den nachgewiesenen Vortrennungslebensstandard um frei werdende Mittel, die bis anhin für die Kinder und deren Ausbildung investiert wurden, zu erhöhen und diese neu freien Mittel angemessen auf die Ehegatten aufzuteilen. Besteht nach den obigen Voraussetzungen ein Rentenanspruch, so gilt dieser jedenfalls nach längerer Ehe grundsätzlich lebenslänglich. Grund für die im Regelfall beschränkte Rentenverpflichtung per Eintritt des Pflichtigen ins Pensionierungsalter ist nicht etwa eine gesetzliche Befristung, sondern der Umstand, dass in diesem Zeitpunkt die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen erheblich abnimmt und sehr oft zeitgleich der Bedarf auf Seiten der Berechtigten durch nunmehr fällige Ansprüche der 1. und 2. Säule oder einem zumutbaren Vermögensverzehr sinkt.

IV. BERECHNUNGSMETHODE

Nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung sind nacheheliche Unterhaltsansprüche grundsätzlich einstufig zu berechnen. Der Ansprecher hat den gebührenden Bedarf möglichst konkret zu behaupten und zu belegen. Die Scheidungsrente entspricht dann demjenigen Bedarf, der durch die eigenen (allenfalls hypothetischen) Einkünfte des Berechtigten nicht gedeckt ist. Vorausgesetzt für entsprechende Rentenleistungen ist selbstverständlich eine  entsprechende Leistungsfähigkeit auf Seiten des Pflichtigen: Ist diese nicht oder nicht ausreichend vorhanden, so ist ein an sich gegebener Rentenanspruch so zu kürzen, dass beide Ehegatten in etwa denselben Lebensstandard weiterführen können.

Im Gegensatz zum Obigen steht die Praxis vieler Gerichte, auch den nachehelichen Unterhalt nach der sogenannten 2-stufigen Methode, d.h. auf Basis der Existenzminima beider Ehegatten nach der Scheidung, der Ermittlung der je vorhandenen Überschüsse (Differenz zwischen Einkünften und Existenzminima) und einer hälftigen Aufteilung des (nicht auf allfällige Kinder entfallenden) Totalüberschusses zu berechnen. Diese 2-stufige Berechnungsmethode, die in der Regel für die eheliche Unterhaltsverpflichtung während einer Trennung zur Anwendung gelangt (Ausnahme: sehr hohe Einkommensverhältnisse mit Sparquoten), kann zwar in durchschnittlichen/üblichen Verhältnissen (bis ca. CHF 10’000.00 – 15’000.00 an Einkünften) ähnliche oder richtige Ergebnisse zeitigen, sie ist aber dogmatisch grundsätzlich abzulehnen und bedarf jedenfalls dann der Korrektur, wenn bspw. während der Trennungszeit die massgeblichen Verhältnisse erheblich geändert haben. Eine Vermischung der beiden Berechnungsmethoden ist zudem nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unzulässig.

Problematisch für den Scheidungsanwalt ist der Umstand, dass die Gerichte nicht einmal an von beiden Parteien angerufene unstrittige Berechnungsmethoden gebunden sind, d.h. selbst diesfalls mit einer abweichenden, Nachteile schaffenden, Methodenwahl des Gerichts zu rechnen ist. Mit anderen Worten bleibt dem sorgfältigen Anwalt nichts anderes übrig, als vorsorglich die Rentenberechtigung und die Rentenhöhe auch bei durchschnittlichen Einkommensverhältnissen nach beiden Bemessungsmethoden zu begründen und zu belegen. Nur der entsprechende – gegebenenfalls wesentlich grössere – Aufwand verhindert eine negative Beurteilung wegen ungenügender Substantiierung.

V. ABÄNDERBARKEIT

Die Rentenverpflichtung ist ein Dauerschuldverhältnis, d.h. sie besteht grundsätzlich für so lange, wie sie im Scheidungsurteil festgelegt wurde. In Art. 129 ZGB ist allerdings ein auch einseitig anrufbarer Abänderungsanspruch geregelt. Vorausgesetzt – dies hier nur grundsätzlich – ist eine unfreiwillige, erhebliche und dauernde Veränderung der Verhältnisse, d.h. eine Verschlechterung der Situation beim Rentenpflichtigen und/oder eine Verbesserung der Verhältnisse auf Seiten der Berechtigten. Von Gesetzes wegen entfällt die Rentenverpflichtung vorzeitig bei Wiederverheiratung des Berechtigten und nach der Rechtsprechung dann, wenn dieser ein nachweisbares eheähnliches Konkubinat führt. Die vereinbarliche Abänderung ist an sich formfrei gültig: Aus Beweisgründen ist aber nachdrücklich eine schriftliche, beidseits unterzeichnete Vereinbarung zu empfehlen.

VI. FAZIT

Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist der Rentenanspruch und sind die Bemessung und die Dauer einer Scheidungsrenten-Verpflichtung ausserordentlich komplex und oftmals der Grund, dass einverständliche Regelungen scheitern oder über den Rentenanspruch bis vor Bundesgericht gestritten wird. Die unterschiedliche Gerichtspraxis (teilweise sogar am gleichen Gericht) und die – an sich zu Recht – auch einzelfallbezogenen Beurteilungen des Bundesgerichts vereinfachen die Sache nicht. Auch dem erfahrenen Scheidungsanwalt fallen diesbezügliche Prozessanalysen und -prognosen nicht leicht: Letztendlich wird gemeinsam mit der Klientschaft zu entscheiden sein, ob man denk- und begründbare Maximalpositionen durchfechten und diesfalls auch kostspielige Niederlagen in Kauf nehmen will oder ob nicht Kompromisslösungen mit Zugeständnissen beider Seiten anzustreben sind.


3. Juni 2020 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Sorry, the comment form is closed at this time.