Blog

VERWEIGERUNG DER BLUT- UND URINPROBE

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt, und Matthias Meier, MLaw 

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Es gehört zum Standardprozedere einer Verkehrskontrolle: Wenn die Polizei beim Fahrzeugführer Anzeichen von Drogenkonsum feststellt, wird ein sogenannter Drogen-Vortest durchgeführt. Ist das Resultat positiv, drängt sich zur Überprüfung des Tests eine Blut- und Urinuntersuchung im Spital auf. Weigert sich der Fahrzeuglenker, eine solche durchführen zu lassen, kann er sich der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit strafbar machen (Art. 91a SVG). Das Aargauer Obergericht hat sich in einem neuen Entscheid mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Polizei eine solche Blut- und Urinuntersuchung anordnen darf oder ob es einer Anordnung durch die Staatsanwaltschaft bedarf.

I. DER ENTSCHEID DES AARGAUER OBERGERICHTS

Dem bisher unveröffentlichten, aber rechtskräftigen Urteil des Aargauer Obergerichts vom 20. Oktober 2015 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Anlässlich einer Verkehrskontrolle wurde bei einem Autofahrer aufgrund äusserer Anzeichen von Drogenkonsum ein Vortest durchgeführt, der positiv auf Cannabis verlief. Die Polizei wies den Fahrer darauf hin, dass sich eine Blut- und Urinuntersuchung aufdränge und machte ihn darauf aufmerksam, dass eine Verweigerung der Blut- und Urinprobe strafrechtliche und administrative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Trotzdem verweigerte der Autofahrer die Blut- und Urinprobe. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Pikett-Staatsanwalt wurde schliesslich keine zwangsweise Blutentnahme angeordnet.

Das Aargauer Obergericht musste unter anderem beurteilen, ob sich der Autofahrer durch sein Verhalten nach Art. 91a des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) strafbar gemacht hat. Dieser lautet wie folgt:

Art. 91a SVG (Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit) 

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchungwidersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt hat.

Hat der Täter ein motorloses Fahrzeug geführt oder war er als Strassenbenützer an einem Unfall beteiligt, so ist die Strafe Busse.

Durch diese Gesetzesbestimmung soll verhindert werden, dass sich der korrekt einer solchen Massnahme unterziehende Führer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt (Urteil des Bundesgerichts vom 5.11.2012, 6B_229/2012, E. 2 m.H.). Art. 91a SVG setzt voraus, dass der Täter verpflichtet war, sich einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zu unterziehen bzw. bei der Durchführung einer solchen Massnahme mitzuwirken. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nur, wenn die Massnahme gültig angeordnet wurde oder der Täter mit einer Massnahme rechnen musste.

Die Anordnung der Blut- und Urinuntersuchung war vorliegend die Folge eines Anfangsverdachts (äussere Anzeichen von Drogenkonsum sowie positiver Drogenschnelltest). Es handelt sich bei der Anordnung nicht um eine polizeiliche, sondern um eine strafprozessuale Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 251 der Strafprozessordnung (StPO). Zuständig für den Erlass ist die Staatsanwaltschaft (Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO). Das Aargauer Obergericht urteilte aufgrund dieser Normen im geschilderten Fall, dass die Polizei für die Anordnung einer Blut und Urinuntersuchung nicht zuständig gewesen sei. Es hätte einer Anordnung durch die Staatsanwaltschaft selbst bedurft. Die Ansicht des Bezirksgerichts Baden bzw. der Staatsanwaltschaft Baden, wonach eine Weisung der Oberstaatsanwaltschaft ausreiche, aufgrund welcher die Untersuchung von Urin- und Blutproben in Routinefällen in genereller Weise als durch die Staatsanwaltschaft angeordnet gelte und somit durch die Polizei vorgenommen werden könne, teilte das Obergericht nicht. Ein solches Vorgehen sei auch bei anderen Zwangsmassnahmen (z.B. Untersuchungshaft) nicht gestattet. Das Obergericht verwies bei seinem Urteil auch auf einen neuen Entscheid des Bundesgerichts (BGE 141 IV 87), in welchem dieses ausführlich zur Erstellung eines DNAProfils Stellung nahm und dabei zum Schluss kam, dass jeweils die Staatsanwaltschaft die Prüfung der Einzelfälle vornehmen müsse und die Anordnungskompetenz nicht in genereller Weise an die Polizei delegiert werden dürfe. Aufgrund dieser Erwägungen sprach das Obergericht den Autofahrer vom Vorwurf der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit nach Art. 91a Abs. 1 SVG frei.

II. RECHTSFOLGEN FÜR DIE PRAXIS

Das Urteil des Aargauer Obergerichts könnte für viele Fälle in der Praxis wegweisend sein. Es geht um die Kompetenzfrage, welche Handlungen die Staatsanwaltschaft selbst vorzunehmen hat und welche sie an die Polizei delegieren darf. Art. 198 Abs. 1 lit. c StPO sieht vor, dass die Polizei nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen selbst Zwangsmassnahmen anordnen darf, ohne dass hierfür eine staatsanwaltschaftliche Anordnung vorliegen muss. Das betrifft beispielsweise die Vornahme von Vorladungen (Art. 206 StPO), Vorführungen (Art. 207 ff. StPO), vorläufigen Festnahmen (Art. 217 StPO) und verdeckten Observationen (Art. 282 StPO). Zudem kann die Polizei teilweise auch in dringenden Fällen selbst Verfahrenshandlungen vornehmen (z.B. Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Gegenständen).

Der Entscheid des Aargauer Obergerichts besagt nun, dass immer dann, wenn sich ein Autofahrer trotz Androhung strafrechtlicher und administrativer Konsequenzen weigert, eine Blut- und Urinuntersuchung vorzunehmen, eine staatsanwaltschaftliche Anordnung zu erfolgen hat. Liegt diese nicht vor, kann der Autofahrer nicht nach Art. 91a SVG bestraft werden. Eine andere Frage, welche das Gericht in seinem Entscheid nicht beantwortet hat, ist indes, ob die Polizei einen Fahrzeuglenker dazu auffordern kann, freiwillig eine Blut- und Urinprobe abzugeben und eine individuell-konkrete Anordnung der Staatsanwaltschaft erst für den Fall vorgesehen wird, wenn sich ein Betroffener weigert.

III. AUFHEBUNG DER STRAFBARKEIT IN FRÜHEREN FÄLLEN?

Aufgrund des Urteils des Aargauer Obergerichts könnten sich Personen, gegen welche aufgrund eines ähnlichen Vorfalls ein rechtskräftiges Urteil oder ein (nicht angefochtener) Strafbefehl vorliegt, die Frage stellen, ob ihr Urteil bzw. ihr Strafbefehl nachträglich aufgehoben werden müsste. Ob eine Abänderung oder Aufhebung eines Urteils oder eines Strafbefehls möglich ist, beurteilt sich nach den Bestimmungen über die Revision (Art. 410 ff. StPO). Entscheidend für ein erfolgreiches Revisionsbegehren ist, ob eine neue Rechtsprechung zu einer Abänderung von früheren Urteilen führen kann. Dies ist für die vorliegende Sache zu verneinen. Bei anderen Bewertungen und neuen Rechtsauffassungen handelt es sich nicht um neue Tatsachen oder Beweise. Gestützt auf eine Gesetzesänderung nach Rechtskraft des Urteils kann ebenso wenig eine Revision eingeleitet werden wie mit derBehauptung einer mittlerweile eingetretenen, also neuen oder geänderten Rechtsanschauung oder einer Änderung der Rechtsprechung. Personen, welche rechtskräftig verurteilt sind, können also nicht mit Hinweis auf das Urteil des Aargauer Obergerichts eine Revision ihres eigenen Verfahrens verlangen.

IV. FAZIT

Beim Urteil des Aargauer Obergerichts geht es um die Kompetenzfrage, welche Handlungen die Staatsanwaltschaft selbst vorzunehmen hat und welche sie an die Polizei delegieren darf. Weigert sich ein Autofahrer, eine Blut- und Urinuntersuchung durchführen zu lassen, muss die Staatsanwaltschaft die entsprechende Untersuchung anordnen. Anderenfalls macht sich der Autofahrer nicht strafbar im Sinne von Art. 91a SVG, wenn er die Blutuntersuchung verweigert. Personen, welche in einem früheren Verfahren verurteilt worden sind, können jedoch nicht mit Hinweis auf den Entscheid des Aargauer Obergerichts eine Revision ihres eigenen Urteils verlangen.

Eine geänderte Rechtsanschauung oder eine Änderung der Rechtsprechung reichen hierfür nicht aus.

.

21. Dezember 2015 / lic. iur. Stephan Hinz

Sorry, the comment form is closed at this time.