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WER ENTSCHEIDET ÜBER (COVID-) IMPFUNGEN BEI MINDERJÄHRIGEN KINDERN BEI GEMEINSAMER ELTERLICHER SORGE?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Aktuell wird kaum eine andere Frage in wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Hinsicht mehr diskutiert, als die Frage um die Notwendigkeit, Gefahr oder Absicherung der Gesundheit durch eine Impfung gegen das Corona-Virus. Insbesondere bei Kindern wird diese Frage sowohl in der Wissenschaft als selbstverständlich auch durch betroffene Eltern rege diskutiert und ist mit entsprechenden Emotionen und Ängsten belastet. Solange nicht der Staat im Sinne einer Impfpflicht die Frage der Impfung einer minderjährigen Person beantwortet, was in der Schweiz aktuell kaum befürchtet werden muss, obliegt dieser Entscheid den Eltern, welche Inhaber der elterlichen Sorge sind. Gerade im Bereich von Trennungsverfahren oder Scheidungsverfahren wird diese Frage aktuell oft und zusätzlich zum Zankapfel.

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I. DIE IMPFUNG, EIN MEDIZINISCHER EINGRIFF

Völlig unabhängig davon, ob wir nun von einer Impfung gegen das Corona-Virus sprechen oder von Impfungen gegen Masern, Hepatitis oder gar Borreliose: Die Impfung stellt immer einen medizinischen Eingriff dar und fällt damit nicht unter eine alltägliche und damit normale Entscheidung, über welche ein Elternteil, ob nun getrennt lebend oder nicht, alleine entscheiden dürfte (Art. 301 Abs. 1bis Ziff. 1 ZGB e contrario). Damit ist grundsätzlich erstellt, dass beide Elternteile, sofern sie gemeinsame elterliche Sorge über das betreffende Kind haben, diesem Entscheid zustimmen müssen. Dies gilt, wenn die Eltern zusammenleben, dies gilt aber auch dann, wenn die Eltern getrennt leben oder gar geschieden sind und gemäss Scheidungsurteil die elterliche Sorge beiden Eltern zugeteilt wurde, was der gesetzliche Normalfall ist (Art. 296 Abs. 2 iVm Art. 298 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB).

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II. WAS, WENN SICH ELTERN NICHT EINIG SIND?

Wie zuvor festgestellt, ist kein Elternteil befugt, sofern eine gemeinsame elterliche Sorge besteht, den Impfentscheid über das gemeinsame minderjährige Kind alleine zu fällen. Es stellt sich somit die Frage, was ein Elternteil tun kann, welcher sich für die Impfung des Kindes einsetzen will, jedoch am Widerstand des anderen Elternteils scheitert?

Art. 307 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass immer dann, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die die gemeinsame elterliche Sorge innehabenden Eltern von sich aus nicht für Abhilfe schaffen, die Kindesschutzbehörde (KESB) geeignete Massnahmen zum Schutz des Kindes ergreifen darf und ergreifen muss. So ist die KESB insbesondere befugt, den Eltern verbindliche Weisungen zu erteilen (Art. 307 Abs. 3 ZGB). Für den Fall, dass solche Kindesschutzmassnahmen erfolglos bleiben, sich also ein Elternteil, oder beide, gegen ergangene Weisungen der Behörde widersetzen würden, kann die Behörde den Eltern die elterliche Sorge entziehen, um so den Entscheid selber fällen zu können.

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III. DARF KESB DIE IMPFUNG DES KINDES VERLANGEN / DURCHSETZEN?

Bei Uneinigkeit unter Eltern in relevanten Erziehungsbelangen, so insbesondere im Bereich der Gesundheit, kann ein behördlicher Entscheid nur infrage kommen, wenn die Weiterführung des bisherigen Zustandes eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die konkrete Situation des Kindes, seines Umfeldes und die allgemeine Gefährdungslage abzustellen. Insbesondere in Bezug auf eine Covid-Impfung wurde diese Frage bislang, zumindest höchstrichterlich, noch nicht entschieden.

In einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem es um eine Masernimpfung ging, entschied das Bundesgericht für die Notwendigkeit der Impfung und ordnete diese an.

Im konkreten Fall stellte das Bundesgericht vorab einmal darauf ab, ob das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Impfung gegen Masern empfiehlt, was der Fall war. Das Bundesgericht hatte also zu entscheiden, ob das Wohl der minderjährigen Kinder durch Nichtimpfung gegen das Masernvirus gefährdet sei, falls eine behördliche Entscheidung über die Frage der Masernimpfung unterbleibe und damit der Status quo, die Nichtimpfung, aufrechterhalten würde. Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen im Sinne von Art. 307ff. ZGB setzt die konkrete Gefährdung des Kindeswohls voraus. Nicht erforderlich ist, dass sich die Gefahr bereits verwirklicht hat. Präventivmassnahmen sind also vom Gesetz mitumfasst. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die Eltern etwas falsch gemacht haben oder nicht. Das Bundesgericht führte aus, dass «wer losgelöst von einer besonderen Zwangslage auf den Impfschutz für seine minderjährigen Kinder verzichtet», diese zwar nicht unmittelbar den gesundheitlichen Risiken aussetze, aber die Unwägbarkeiten in Kauf nehme, die eine konkrete Gefahrenlage auch für die allenfalls gesunden Kinder mit sich bringen würde. Dies insbesondere bei hochansteckenden Krankheiten wie Masern. In rund 10% der Fälle würden Masern zu verschiedenen, teils schweren Komplikationen führen, was das Bundesgericht zum Schluss führte, dass angesichts dieser gesundheitlichen Risiken und Gefahren, denen ein Kind ohne Impfschutz gegen Masern ausgesetzt wäre oder ist, die Passivität oder Weigerung der Eltern nicht ertrage, weshalb sich aus dieser besonderen Situation ein Anwendungsfall von Art. 307 Abs. 1 ZGB ergebe, was wiederum bedeute, dass die zuständige Behörde berufen sei, in dieser Frage anstelle der Eltern zu entscheiden. Dabei sollen die Empfehlungen des BAG jeweils als fachkompetente eidgenössische Behörde für deren Entscheid Richtschnur sein. Eine Abweichung davon sei nur dort angebracht, wo sich die (Masern-)impfung aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles nicht mit dem Kindeswohl vertragen würde.

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IV. ANWENDUNG AUF DIE COVID-IMPFUNG

Folgt man den Argumenten des Bundesgerichts zur Masernimpfung, so darf mit gewisser Vorsicht vermutet werden, dass bei einem ähnlich gelagerten Fall, jedoch in Bezug auf die Frage der Covid-Impfung, ähnlich entschieden würde. Nach Ansicht des Schreibenden dürfte lediglich bei der notwendigerweise vorzunehmenden Einstufung der Gefährlichkeit oder des Gefährdungspotenzials einer Erkrankung Unsicherheit herrschen, zumal in der aktuellen Lage das Corona-Virus in regel-mässigen Abständen zu Mutationen neigt, welche wiederum neue und andere Gefährdungen der verschiedenen Bevölkerungsschichten (insbesondere in Bezug auf das Alter) hervorrufen. Diese Frage müsste wohl in der konkreten Situation beantwortet werden, dürfte jedoch nach der hier vertretenen Auffassung vom Resultat her dem zitierten Entscheid des Bundesgerichts in Bezug auf Masern im Wesentlichen gleichgestellt werden.

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V. WAS, WENN BEIDE ELTERNTEILE GEGEN DIE IMPFUNG SIND?

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid diese Frage bewusst offengelassen, da sie nicht zur angefochtenen Fragestellung gehörte. Gestützt auf die vorgemachten Ausführungen dürfte der hier vertretenen Ansicht nach jedoch auch diese Situation gleich entschieden werden müssen, zumal es nicht darum gehen kann, ob nur ein Elternteil dagegen ist oder aber beide. Denn immer dann, wenn die Gefährdung des Kindeswohls bejaht werden muss, muss und darf die Behörde gemäss den gesetzlichen Richtlinien einschreiten, wobei es nicht darauf ankommen kann, ob gegen die Überzeugung eines Elternteils oder aber zweier Elternteile entschieden werden muss.

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7. Dezember 2021 / lic. iur. Stephan Hinz

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