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DIE (RECHTLICHEN) AUSWIRKUNGEN DES CORONAVIRUS – EIN ÜBERBLICK

Die Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) stellt unsere Gesellschaft und Wirtschaft vor enorme Herausforderungen und führt unter anderem zu grosser rechtlicher Verunsicherung. Der vorliegende Newsletter soll eine Übersicht zu den Auswirkungen des COVID-19 auf verschiedene Rechtsgebiete verschaffen.

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I. ARBEITSRECHT

Was können und müssen Arbeitgeber konkret tun, um ihre Mitarbeitenden zu schützen?

Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, dass sie die Empfehlungen des Bundes (soziale Distanz und Hygiene) am Arbeitsplatz umsetzen können. Dazu gehören beispielsweise die Zurverfügungstellung von ausreichend Flüssigseife und Einwegtüchern für das Händewaschen und die regelmässige Reinigung von Kontaktoberflächen wie Türgriffen an Aussentüren und bei den sanitären Einrichtungen.

Besonders gefährdeten Personen, das heisst Personen ab 65 Jahren und jene, die eine Vorerkrankung aufweisen, muss der Arbeitgeber ermöglichen und gestatten, ihre Arbeit von zu Hause aus zu erledigen (Homeoffice). Kann die Arbeit nur vor Ort erbracht werden, muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die empfohlenen Hygiene- und Verhaltensmassnahmen (Abstand halten, Hände waschen etc.) eingehalten werden können. Er kann ihnen auch in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlohnung eine gleichwertige Ersatzarbeit zuweisen, sofern die Massnahmen umgesetzt werden können. Ist auch dies nicht möglich, so stellt der Arbeitgeber besonders gefährdete Personen unter Lohnfortzahlung frei (Art. 10c Abs. 7 COVID-19-Verordnung 2).

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Darf der Arbeitgeber kurzfristig Zwangsferien oder die Kompensation von Überstunden anordnen?

Der Arbeitgeber darf grundsätzlich den Zeitpunkt der Ferien bestimmen, wenn vertraglich nichts anderes vereinbart wurde. Er hat dabei auf die Wünsche und Bedürfnisse des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Damit der Arbeitnehmer seine Ferien organisieren kann, muss der Arbeitgeber die Zwangsferien mindestens drei Monate im Voraus ankündigen. Es ist davon auszugehen, dass auch in der aktuellen Zeit diese Frist von drei Monaten gilt.

Wenn der Arbeitsanfall aufgrund der aktuellen Situation derart stark zurückgeht, dass nicht mehr alle Mitarbeitenden voll beschäftigt werden können, darf der Arbeitgeber Zwangsferien anordnen, die vom Ferienguthaben abgezogen werden können. Vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass in diesem Fall eine kürzere Ankündigungsfrist zulässig ist. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, da diese Frage noch von keinem Gericht beantwortet worden ist. Angesichts der aktuellen Lage wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegenseitiges Entgegenkommen erforderlich sein, um die Situation gemeinsam und pragmatisch zu meistern sowie auch um Entlassungen vermeiden zu können. Dem Arbeitgeber wird empfohlen, mit den Mitarbeitenden das Gespräch zu suchen. Diese sind allenfalls zu kurzfristigem Ferienbezug bereit.

Der Bezug von Überstunden darf auch kurzfristig angeordnet werden, sofern der Arbeitnehmer dem zustimmt. Oft ist diese Zustimmung im Arbeitsvertrag schon enthalten.

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Haben Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und ihre Arbeit deswegen unterbrechen müssen, Anspruch auf Lohnfortzahlung und/oder eine Erwerbsersatzentschädigung?

Aufgrund der Schliessung der Schulen und Kindergärten sind viele Kinder zu Hause und werden von den Eltern persönlich betreut. Wenn die Eltern ihre Arbeit im Homeoffice erledigen können, muss der Arbeitgeber den Lohn weiterhin bezahlen. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsleistung mit den Kindern zu Hause etwas eingeschränkt sein sollte.

Für den Fall, dass die Eltern aufgrund der Betreuung (ihrer Kinder unter 12 Jahren) die Arbeit unterbrechen müssen und keine Fremdbetreuung sichergestellt werden kann, sieht die COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall einen Anspruch auf Entschädigung vor. Die Eltern müssen dafür zum Zeitpunkt des Erwerbsunterbruchs obligatorisch bei der AHV versichert sein und einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen (Art. 2 Abs. 1bis COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall). Der Bedarf an persönlicher Kinderbetreuung muss zudem im Zusammenhang mit einer Massnahme zur Bekämpfung des Coronavirus stehen. Dies ist dann der Fall, wenn die Kinder aufgrund der Schulschliessung zu Hause sind oder die übliche Betreuung einer durch das Virus besonders gefährdeten Person (z.B. Grosseltern) derzeit nicht in Frage kommt.

Die Entschädigung kann ab dem 4. Tag, an dem die obigen Voraussetzungen erfüllt sind, verlangt werden und endet, sobald eine Betreuungslösung gefunden wurde oder die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus aufgehoben werden (Art. 3 Abs. 1 und 3 COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall). Für Selbständigerwerbende endet der Anspruch nach Ausrichtung von 30 Taggeldern (Art. 3 Abs. 4 COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall). Kein Anspruch auf Entschädigung besteht während den gesetzlichen Schulferien.

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Was genau ist Kurzarbeit und wann besteht Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung?

Als Kurzarbeit wird die vorübergehende Reduzierung (mind. 10%) oder die vollständige Einstellung der Arbeit in einem Betrieb bezeichnet. Um den damit verbundenen Lohnausfall abzufedern und Kündigungen zu vermeiden, können Arbeitgeber für ihre Mitarbeitenden eine Kurzarbeitsentschädigung geltend machen. Das Unternehmen kann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, die Kurzarbeit beim zuständigen Amt (z.B. in den Kantonen Aargau und Zürich: Amt für Wirtschaft und Arbeit) anmelden. Vorausgesetzt wird unter anderem, dass der Mitarbeitende in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis ist und mit der Kurzarbeit einverstanden ist. Neu kann die Kurzarbeitsentschädigung auch für Angestellte in befristeten Arbeitsverhältnissen und für Personen im Dienste einer Organisation für Temporärarbeit ausgerichtet werden.

Für das Pensum, das der Arbeitnehmer noch leistet, erhält er wie gewohnt den Lohn vom Arbeitgeber. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, bezahlt die Arbeitslosenkasse 80% des Verdienstausfalls. Diese 80% muss zunächst der Arbeitgeber bezahlen; der Betrag kann der Arbeitgeber ab dem 1. Tag des Folgemonats bei der Arbeitslosenkasse zurückfordern. Achtung: Die Sozialversicherungsbeträge müssen ungekürzt weiterbezahlt werden.

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Welche Ansprüche haben Selbständigerwerbende?

Eine selbständigerwerbende Person hat keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Falls sie allerdings aufgrund einer bundesrechtlich angeordneten Betriebsschliessung oder des Veranstaltungsverbots einen Erwerbsausfall erleidet, besteht ab dem Tag, an dem alle Voraussetzungen erfüllt sind, ein Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung (Art. 2 Abs. 3 COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall). Die Entschädigung muss bei der Ausgleichskasse, bei der der Selbständigerwerbende seine Sozialversicherungsbeiträge leistet, beantragt werden. Der Anspruch endet, sobald der Bund die Massnahmen (Betriebsschliessung/Veranstaltungsverbot) aufgehoben hat.

Die Entschädigung beträgt 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs auf Entschädigung erzielt wurde, höchstens aber CHF 196.00 pro Tag (Art. 5 COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall).

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II. MIETRECHT UND STOCKWERKEIGENTUM

Dürfen Mieter von Geschäftsräumen eine Reduktion des Mietzinses beantragen? Dürfen sie ausserordentlich kündigen? Darf ein Mieter dem Vermieter das Zutrittsrecht zur Wohnung verweigern? Welche Schutzmassnahmen sind im Zusammenhang mit der Benutzung von gemeinsamen Räumen zu treffen? Die Antworten auf Ihre Fragen finden Sie in unserem separaten Newsletter zum Mietrecht vom 20. März 2020.

Was passiert mit den Stockwerkeigentumsversammlungen während der Coronakrise? Informationen dazu finden Sie in unserem zweiten separaten Newsletter vom 20. März 2020 zum Thema Stockwerkeigentum.

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III. ALLGEMEINES VERTRAGSRECHT

Generell gilt, dass Verträge trotz der aktuellen Situation bestehen bleiben, d.h. die vertraglichen Pflichten zu erfüllen sind. Aufgrund der behördlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus ist es jedoch in vielen Branchen schwierig oder gar unmöglich, den Vertrag (rechtzeitig) zu erfüllen. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wer die Folgen von verspäteten oder gar nicht erbrachten Leistungen (sog. Leistungsstörungen) zu tragen hat.

Massgebend ist in erster Linie der individuell abgeschlossene Vertrag, wobei zu prüfen ist, ob dieser eine Regelung bezüglich Leistungsstörungen bei unvorhergesehenen und ungewöhnlichen Ereignissen, worunter der Coronavirus fallen dürfte, enthält. Ist dies nicht der Fall, gelten die gesetzlichen Vorschriften (Obligationenrecht). Nach diesen gilt Folgendes:

a) Bei einer nach Vertragsschluss entstandenen Leistungsunmöglichkeit wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit, sofern ihn für die Leistungsunmöglichkeit kein Verschulden trifft (Art. 119 Abs. 1 OR). Ob dieses Erfordernis in der aktuellen COVID-19-Pandemie erfüllt ist, muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden. Ist dem Schuldner kein Verschulden vorzuwerfen, hat er nur die allenfalls bereits erhaltenen Leistungen zurückzuerstatten. Der Gläubiger kann zudem herausverlangen, was der Schuldner als Ersatzleistung von einem Dritten infolge der Unmöglichkeit erhalten hat (z.B. eine Versicherungsleistung).

b) Verändern sich die Verhältnisse oder Umstände nach dem Vertragsabschluss und führen zu einem erheblichen Missverhältnis der vereinbarten Leistungen, kommt eine (richterliche) Vertragsanpassung anhand des im Schweizer Recht geltenden Grundsatzes der clausula rebussic stantibus in Frage. Da die Voraussetzungen einer solchen richterlichen Anpassung hoch angesetzt sind, ist den Vertragsparteien zu empfehlen, eine einvernehmliche, individuelle Lösung zu suchen.

c) Bei Verzögerungen gelten die Bestimmungen nach Art. 102 ff. OR. Danach stehen dem Gläubiger verschiedene Handlungsoptionen sowie unter Umständen Anspruch auf Schadenersatz zu. Ein Schadenersatzanspruch setzt aber voraus, dass den Schuldner an der Verzögerung der Leistungserbringung ein Verschulden trifft. Der Schuldner muss also nachweisen, dass er trotz allen zumutbaren Bemühungen seine Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, damit er nicht schadenersatzpflichtig wird.

Nachfolgend werden die Auswirkungen des Coronavirus auf einige ausgewählte Vertragstypen aufgezeigt.

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A. KAUF- UND LIEFERVERTRAG

Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ein Lieferant aufgrund der jetzigen Situation Ware nicht liefern kann?

Zunächst ist zu prüfen, ob der abgeschlossene Vertrag eine Regelung für die Folgen eines unvorhergesehenen und ungewöhnlichen Ereignisses enthält. Falls dies nicht der Fall ist und der Verkäufer die Ware unverschuldet auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht liefern kann, erlöscht die Forderung auf Lieferung der Ware. Sofern der Käufer den Kaufpreis aber bereits bezahlt hat, kann er diesen vom Lieferanten zurückverlangen.

Kann der Verkäufer die Ware lediglich zum jetzigen Zeitpunkt nicht liefern und ist noch kein bestimmter Liefertermin vereinbart, so hat der Käufer den Verkäufer grundsätzlich zunächst zu mahnen und ihm eine angemessene Nachfrist zur Lieferung der Ware anzusetzen. Liefert der Verkäufer bis zum Ablauf dieser Frist nicht, so kann der Käufer an der Lieferung festhalten oder darauf verzichten. Sofern den Verkäufer am Verzug ein Verschulden trifft, was in der jetzigen Situation jedoch selten der Fall sein dürfte, hat der Käufer zudem Anspruch auf Ersatz des aus dem Verzug entstandenen Schadens. Verzichtet der Käufer auf die nachträgliche Lieferung, kann er den allenfalls bereits bezahlten Kaufpreis zurückverlangen. Im kaufmännischen Verkehr ist zu beachten, dass angenommen wird, der Käufer verzichte auf die nachträgliche Lieferung. Sofern der Käufer im kaufmännischen Verkehr also an der Lieferung festhalten möchte, hat er dies unverzüglich dem Verkäufer mitzuteilen.

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Ich kann aufgrund der Coronakrise meine geschäftliche Tätigkeit nicht mehr ausführen. Welche Möglichkeiten habe ich bezüglich bereits bestellter Ware, die aufgrund der Einstellung meiner geschäftlichen Tätigkeit für mich nutzlos ist?

Grundsätzlich gilt der abgeschlossene Liefervertrag bzw. Kaufvertrag weiterhin und ist entsprechend zu erfüllen. In Fällen, in denen die Coronakrise zu einem schweren Missverhältnis führt, ist allerdings eine gerichtliche Anpassung des Liefervertrags denkbar. Ein solches Missverhältnis könnte z.B. durchaus bei Dauerlieferverträgen angenommen werden, bei denen der Besteller aufgrund eines behördlichen Verbots seine geschäftliche Tätigkeit einstellen muss und infolgedessen die zu liefernde Ware für ihn nutzlos wird.

Allgemein gilt aber, dass die Hürden für eine gerichtliche Vertragsanpassung sehr hoch sind. Nicht zuletzt deshalb ist es wenn möglich vorzuziehen, sich mit dem Zulieferer zu einigen und eine Vertragsanpassung ohne Zuzug des Gerichts zu erwirken.

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B. AUFTRAGSRECHT

Ich habe einen grossen Auftrag erhalten und im Hinblick darauf bereits Investitionen getätigt. Nun wurde der Auftrag infolge des Coronavirus zurückgenommen. Wer übernimmt die bei mir bereits angefallenen Kosten?

Ein Auftrag kann grundsätzlich von jeder Partei jederzeit widerrufen oder gekündigt werden (Art. 404 Abs. 1 OR). Wird von diesem Recht Gebrauch gemacht und enthält der abgeschlossene Vertrag keine abweichende Regelung, sind diejenigen Auslagen und Verwendungen zu entschädigen, die bis dahin für die korrekte Ausführung des Auftrages erforderlich waren. Ist eine Vergütung vereinbart worden oder ist eine solche üblich, so ist darüber hinaus die bis zur Vertragsauflösung bereits erbrachte Arbeit des Beauftragten ebenfalls zu bezahlen. Hat der Auftraggeber schon mehr geleistet, als er bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung schuldet, so kann dieser das Zuvielgeleistete herausverlangen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Auftraggeber den Auftrag bspw. wegen eines behördlichen Verbots zurückziehen musste.

Ist die Auflösung des Auftragsverhältnisses zur Unzeit erfolgt, sind zusätzlich daraus entstandene, besondere Nachteile zu ersetzen (Art. 404 Abs. 2 OR; z.B., wenn andere Aufträge nachweisbar abgelehnt worden sind). Eine Auflösung zur Unzeit liegt vor, wenn eine Kündigung ohne wichtigen Grund in einem ungünstigen Moment ausgesprochen wird und der anderen Partei besondere Nachteile verursacht. Ob diese Voraussetzungen in der aktuellen Situation erfüllt sind, muss im Einzelfall geprüft werden.

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C. BAUWERKVERTRAG

Was sind meine Möglichkeiten als Besteller, wenn der Hersteller ein Werk (z.B. ein Bauwerk) aufgrund der Krise nicht rechtzeitig abliefern bzw. übergeben kann?

Befindet sich der Bauunternehmer mit der Fertigstellung eines Werks in Verzug, so hat ihm der Bauherr eine angemessene Nachfrist zur Fertigstellung des Bauwerks anzusetzen. Kann der Bauunternehmer das Werk auch innerhalb der Nachfrist nicht fertigstellen, so kann der Bauherr vom Vertrag zurücktreten und bei Verschulden des Bauunternehmers Ersatz für den daraus entstehenden Schaden verlangen. Den Bauunternehmer dürfte aber insbesondere etwa dann kein Verschulden treffen, wenn sich die Ablieferung des Werks aufgrund behördlicher Massnahmen verzögert (z.B., weil die Baustelle geschlossen werden musste oder nur in sehr reduziertem Umfang gearbeitet werden darf).

Der Bauherr muss im Übrigen nicht zwingend den Abgabetermin verstreichen lassen, um wie oben beschrieben vorzugehen, wenn sich der Verzug bereits vor dem Abgabetermin klar abzeichnet oder wenn der Bauunternehmer mit der Herstellung des Werks nicht rechtzeitig beginnt.

Haben die Vertragsparteien die SIA-Norm 118 vereinbart, ist ebenfalls ein möglicher Anspruch des Bauunternehmers auf Fristerstreckung zu beachten, sofern die Parteien diesen nicht vertraglich ausgeschlossen haben. Ein allfälliger Anspruch auf Fristerstreckung besteht jedoch nur, wenn sich die Ausführung des Werks ohne Verschulden des Bauunternehmers verzögert, insbesondere etwa wegen behördlicher Massnahmen. Erforderlich ist zudem, dass der Bauunternehmer die Verzögerung und deren Ursache dem Bauherrn unverzüglich schriftlich mitteilt. Hat der Bauunternehmer Anspruch auf Fristerstreckung, ist überdies auch eine allfällig vereinbarte Konventionalstrafe für Fristüberschreitungen nicht geschuldet.

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D. AUSWIRKUNGEN IN BEZUG AUF VERANSTALTUNGEN UND REISEN

Die Veranstaltung, für welche ich ein Ticket bereits gekauft hatte, wurde abgesagt oder mein Flug wurde annulliert – habe ich Anspruch auf Rückerstattung des Ticketpreises?

Mussten Veranstaltungen bzw. Flüge aufgrund behördlicher Anordnung abgesagt werden, so kann der Veranstalter bzw. die Fluggesellschaft ihre vertragliche Leistung nicht mehr erbringen, ohne dass ihn/sie dafür ein Verschulden trifft. Das Gesetz sieht in solchen Fällen vor, dass der Veranstalter bzw. die Fluggesellschaft die bereits empfangene Leistung (vorliegend die Bezahlung des Tickets) zurückzuerstatten hat. Durch vertragliche Vereinbarung können die Parteien von dieser Gesetzesbestimmung jedoch abweichen.

Nach dem Gesagten ist es in erster Linie empfehlenswert, die zum Zeitpunkt des Ticketkaufs akzeptierten allgemeinen Geschäfts- oder Vertragsbedingungen des Veranstalters, der Fluggesellschaft oder allenfalls der benutzten Buchungsplattform durchzulesen und zu prüfen, ob hinsichtlich der Kostentragung bei unvorhergesehenen Ereignissen eine Vereinbarung besteht. Besteht eine solche Vereinbarung und ist vorgesehen, dass der Veranstalter bzw. die Fluggesellschaft den Ticketpreis nicht zurückerstatten muss, ist zu prüfen, ob allenfalls eine Versicherung die Ticketkosten übernimmt. Derartige Versicherungen werden z.B. häufig gleich beim Ticketkauf angeboten.

Bitte beachten Sie aber, dass für den Fall, dass Sie aus Angst vor einer Ansteckung nicht mehr fliegen oder eine stattfindende Veranstaltung nicht mehr besuchen wollen, vom Veranstalter bzw. von der Fluggesellschaft (die ihre Leistungen vertragsgemäss erfüllen) den Kaufpreis nicht zurückfordern können. Dafür tragen Sie als Kunde die Preisgefahr.

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IV. GESELLSCHAFTSRECHT

Wann bzw. wie kann ein Überbrückungskredit für KMU beantragt werden?

Ein vom Coronavirus betroffenes Unternehmen kann seit dem 26. März 2020 einen Überbrückungskredit (am besten bei der eigenen Hausbank) beantragen. Der Kredit beträgt max. 10% des Jahresumsatzes und höchstens CHF 20 Mio. Die Kreditvergabe setzt voraus, dass das Unternehmen vor dem 1. März 2020 gegründet worden ist und sich nicht in einem Konkurs- oder Nachlassverfahren oder in Liquidation befindet. Weiter muss nachgewiesen werden, dass aufgrund der COVID-19-Pandemie erhebliche Umsatzeinbussen erlitten wurden oder solche zu erwarten sind. Schliesslich darf das Unternehmen nicht bereits Unterstützung gestützt auf die notrechtlichen Regelungen in den Bereichen Sport und Kultur erhalten haben (Art. 3 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung).

Kredite bis zu CHF 500’000.00 werden relativ unbürokratisch und innert kurzer Frist zu einem aktuellen Zins-satz von 0% gewährt und sind vom Bund zu 100% abgesichert. Für höhere Kredite gewährt der Bund eine Solidarbürgschaft von 85%, womit die Banken sich zu 15% beteiligen und daher eine umfassende Prüfung der Zahlungsfähigkeit des Gesuchstellers erfolgt.

Aufgrund des Zweckes der Solidarbürgschaft sind gewisse Einschränkungen zu beachten. Mit dem Überbrückungskredit dürfen beispielweise keine neuen Investitionen ins Anlagevermögen getätigt werden, die nicht Ersatzinvestitionen sind. Weiter dürfen während der Dauer der Solidarbürgschaft keine Dividenden oder Tanti-emen ausgeschüttet und keine Kapitaleinlagen zurückerstattet werden.

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Können Generalversammlungen (GV) noch wie gewohnt durchgeführt werden?

Gemäss den aktuellen Massnahmen des Bundes sind private und öffentliche Veranstaltungen verboten. Aus diesem Grund kann eine GV derzeit nicht wie gewohnt stattfinden. Der Verwaltungsrat kann die Verschiebung der GV beschliessen und dies den Aktionären mitteilen. Als Notrecht hat der Bundesrat die vorübergehende Möglichkeit eingeführt, dass der Verwaltungsrat ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl der Teilnehmenden und ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen kann, dass die Aktionäre ihre Rechte auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form oder durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter ausüben (Art. 6a COVID-19-Verordnung 2). Damit kann die GV ohne physische Anwesenheit der Aktionäre stattfinden. Weiterhin teilnehmen müssen allerdings ein Vorsitzender, ein Protokollführer, gegebenenfalls der unabhängige Stimmrechtsvertreter, gegebenenfalls ein Revisionsstellenvertreter sowie bei beurkundungspflichtigen Beschlüssen ein Notar. Bei der Durchführung dieser «Restversammlung» sind die Vorschriften des Bundesamtes für Gesundheit betreffend Hygiene und sozialer Distanz einzuhalten.

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Was gilt für die Durchführung der Gesellschafterversammlung einer GmbH, der GV einer Genossenschaft sowie für Vereinsversammlungen?

Die vom Bundesrat befristete Möglichkeit betreffend die Durchführung einer Generalversammlung im Aktienrecht nach Art. 6a COVID-19-Verordnung 2 gilt auch für die Versammlungen einer GmbH, einer Genossenschaft sowie für den Verein. Im Unterschied zur Aktiengesellschaft muss die Versammlung einer GmbH jedoch nicht physisch mit einer sogenannten «Restversammlung» abgehalten werden, da die Beschlüsse auch schriftlich gefasst werden können, sofern nicht ein Gesellschafter die mündliche Beratung verlangt. 

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V. PROZESSRECHT

Ich habe ein dringendes gerichtliches Anliegen. Wie beeinträchtigt die aktuelle Krise die Gerichte?

Aufgrund einer vom Bundesrat erlassenen Verordnung im Zusammenhang mit dem Coronavirus standen vom 21. März 2020 bis am 19. April 2020 viele Verfahren still und es fanden auch nahezu keine Verhandlungen statt. Seit dem 20. April 2020 kann der Gerichtsbetrieb jedoch wieder normal von statten gehen. Viele Kantone haben diesbezüglich jedoch individuelle Regelungen getroffen. So hat etwa der Kanton Aargau sämtliche nicht dringenden Verhandlungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und angekündigt, dass selbst dringende Verhandlungen kurzfristig noch abgesagt werden können. Bei Fragen zu einem laufenden oder dringend einzuleitenden Verfahren empfiehlt es sich daher, vorab das jeweilige Gericht bzw. die jeweilige Schlichtungsbehörde zu kontaktieren.

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Einem Schuldner droht wegen den gegebenen Umständen die Zahlungsunfähigkeit. Wie kann ich sicherstellen, dass ich zu meinem Geld komme?

Bis zum 19. April 2020 war es in der ganzen Schweiz nicht möglich, Betreibungshandlungen vorzunehmen. Es konnten also z.B. keine Zahlungsbefehle oder Konkursandrohungen zugestellt und keine Pfändungen und Verwertungen von Vermögenswerten vollzogen werden. Seit dem 20. April 2020 können jedoch sämtliche Betreibungsverfahren wieder normal fortgesetzt werden.

Bei besonderer Dringlichkeit – etwa, weil die Erfüllung einer Forderung wegen fehlenden Wohnsitzes des Schuldners in der Schweiz in Gefahr ist oder weil der Schuldner versuchen könnte, Vermögenswerte beiseite zu schaffen – kann der Gläubiger beim zuständigen Gericht ein Arrestgesuch eingeben. Bei dessen Gutheissung können in der Schweiz gelegene Vermögenswerte des Schuldners blockiert werden (z.B. ein Bankkonto oder die Lohnforderung des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber). Sofern eine Betreibung bereits in Gange ist, kann der Gläubiger Sicherungsmassnahmen auch direkt beim Beitreibungsamt beantragen.

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VI. STEUERRECHT

Wann muss die Steuererklärung 2019 eingereicht werden?

Die meisten Kantone haben die ordentliche Frist zur Einreichung der Steuererklärung 2019 automatisch um mindestens zwei Monate verschoben. Eine Fristenverlängerung darf ansonsten wie üblich beantragt werden. Im Kanton Aargau gilt insbesondere Folgendes:

  • Unselbständigerwerbende resp. Nichterwerbstätige sowie Rentnerinnen und Rentner dürfen ihre Steuererklärung bis zum 30. Juni 2020 einreichen;
  • Die Einreichungsfrist für selbständig erwerbende Personen, für Landwirte sowie für juristische Personen ist hingegen bis zum 30. September 2020 verlängert worden.

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Welche Zahlungserleichterungen gelten in Bezug auf die direkte Bundessteuer?

Bei verspäteter Zahlung der direkten Bundessteuer, die zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Dezember 2020 fällig wird, ist kein Verzugszins geschuldet. Diese entlastende Massnahme gilt sowohl für natürliche als auch für juristische Personen und ist nicht nur auf die Steuerforderungen der Steuerperiode 2020 begrenzt, sondern bezieht sich auf alle (provisorischen und definitiven) Steuerforderungen, die im genannten Zeitraum fällig werden. Das gleiche gilt in Bezug auf die verspätete Zahlung der Mehrwertsteuer, der besonderen Verbrauchssteuern, Lenkungsabgaben und Zollabgaben für die Zeit vom 20. März 2020 bis zum 31. Dezember 2020. Weiter ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass aufgrund der coronavirusbedingten Notstandssituation ein Gesuch um Erstreckung der Zahlungsfrist oder um Bewilligung einer Ratenzahlung eingereicht werden kann, das kulant behandelt werde (Art. 166 DBG bzw. Art. 90 MWSTG).

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Gilt dies auch in Bezug auf Kantons- und Gemeindesteuern?

Viele Kantone haben sich an die oben erwähnte bundesrechtliche Massnahme angeglichen, jeweils mit kleinen Anpassungen. Im Kanton Aargau ist für Kantons- und Gemeindesteuern (natürlicher und juristischer Personen), die im Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. Dezember 2020 fällig werden und die verspätet bezahlt werden, kein Verzugszins geschuldet. Darüber hinaus werden für fällige Steuerforderungen bis zum 30. Juni 2020 keine Mahnungen zugestellt und keine Betreibungen durchgeführt – faktisch wirkt sich dies wie eine Verlängerung der Zahlungsfristen aus. Weiter können steuerpflichtige natürliche und juristische Personen, die ihre Steuern nicht fristgerecht bezahlen können, ein Gesuch um Stundung oder Teilzahlung einreichen, die aufgrund der ausserordentlichen Situation wohlwollend behandelt werden dürften.

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Die provisorische Steuerrechnung 2020 ist zu hoch – kann ich sie anpassen?

Provisorische Steuerrechnungen basieren auf den im Vorjahr erzielten Einkünften; aktuelle wirtschaftliche Einbussen werden nicht berücksichtigt. Dies kann sich insbesondere für das Jahr 2020 in dem Sinne als problematisch erweisen, als die in Rechnung gestellten Steuerforderungen den Umständen entsprechend zu hoch sind. Für eine Anpassung der provisorischen Steuerrechnung sehen die meisten Kantonen vereinfachte Verfahren vor.

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Dürfen Unternehmen, die durch die bundesweit angeordnete Betriebsschliessung betroffen sind und/oder erhebliche Umsatzeinbussen erlitten haben, ausserordentliche Rückstellungen im Jahr 2019 bilden?

Einige Kantone (unter anderem der Kanton Aargau) haben unter bestimmten Voraussetzungen diese Frage positiv beantwortet. Weitere Informationen über die im Kanton Aargau hierfür geltenden Voraussetzungen finden Sie in der Weisung des kantonalen Steueramtes vom 6. April 2020 «Rückstellung im Jahresabschluss 2019 für Corona-Risiken».


22. April 2020 / Geissmann Rechtsanwälte AG  

unter Mithilfe von MLaw Alessandro Alfano, MLaw Giada Cassis und MLaw Seraina Keller

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