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LEISTUNGSPFLICHT DES UNFALLVERSICHERERS NACH EINER MISSGLÜCKTEN OPERATION?

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hat im aktuellen Urteil 8C_858/2014 vom 24. April 2015 seine restriktive Praxis bezüglich Leistungspflicht des Unfallversicherers nach einer missglückten medizinischen Behandlung bestätigt und präzisiert, dass auch die fehlende Einwilligung des Patienten in eine (erweiterte) Operation für sich allein einen Behandlungsfehler nicht zu einem Unfall im Rechtssinne mache.

I. LEISTUNGSPFLICHT DES UNFALLVERSICHERERS IM ALLGEMEINEN

Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Unfallversicherer nur dann leistungspflichtig, wenn der Gesundheitsschaden Folge eines Unfalles ist. Als Unfall gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Ungewöhnlich ist der äussere Faktor nur dann, wenn er nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. Nicht alles, was umgangssprachlich als Unfall bezeichnet wird, erfüllt diesen Unfallbegriff. Auf das subjektive Empfinden des Geschädigten kommt es nicht an.

II. DIE MEDIZINISCHE BEHANDLUNG ALS UNFALL?

Das Bundesgericht bestätigt vorab einmal mehr, dass es mit dem Erfordernis der Aussergewöhnlichkeit streng zu nehmen ist, wenn eine medizinische Massnahme in Frage steht (vgl. auch BGE 121 V 35). Nur ausnahmsweise sei in solchen Fällen der Unfallbegriff, namentlich das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors, erfüllt und eine Leistungspflicht des Unfallversicherers zu bejahen, der im Rahmen der Behandlung einer Krankheit ja grundsätzlich nicht leistungspflichtig sei. Einzig grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten (oder sogar absichtliche Schädigungen), mit denen niemand rechnet oder zu rechnen braucht, erfüllen diesfalls den Unfallbegriff. Selbst das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers, der eine zivilrechtliche Haftung begründet, macht die Fehlbehandlung nicht automatisch zum Unfall.

III. FEHLENDE EINWILLIGUNG DES PATIENTEN

Im konkreten Entscheid hatte der Operateur im Rahmen einer Wirbelsäulenoperation einen Eingriff an einem zusätzlichen Wirbelelement vorgenommen, für welchen weder eine explizite Einwilligung der Patientin vorlag noch diese über das entsprechende Risiko aufgeklärt worden war. Die Patientin berief sich gegenüber dem Unfallversicherer darauf, dass eine solche erweiterte Behandlung per se aussergewöhnlich und mit ihr nicht zu rechnen gewesen sei.

Das Bundesgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat klargestellt, dass selbst das Vorliegen einer in zivilrechtlicher Hinsicht widerrechtlichen Behandlung nicht von der Prüfung entbinde, ob der Eingriff ein ungewöhnlicher äusserer Faktor im Rechtssinne sei.

Im konkreten Fall kam das Bundesgericht wie schon die kantonale Vorinstanz zum Schluss, dass der erweiterte Eingriff im Rahmen der Operation (Stabilisierung eines weiteren Wirbelsäulenelements) die Behandlung als solche nicht zur ungewöhnlichen im Sinne des Unfallbegriffs mache (und auch die nachfolgende Wundinfektion nicht aussergewöhnlich und daher kein Unfall sei). Die intraoperative Ausdehnung des Eingriffs weiche hier aus medizinischer Sicht nicht ganz erheblich vom medizinisch üblichen ab, weil erstens die Versicherte über das Operationsverfahren als solches und die möglichen Risiken grundsätzlich aufgeklärt worden war und zweitens auch im Rahmen der erweiterten Operation weder grobe noch ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder absichtliche Schädigungen erkennbar seien.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Die Rechtssprechung des Bundesgerichts zur Leistungspflicht des UVG-Versicherers nach einer missglückten (krankheitsbedingten) medizinischen Behandlung bleibt restriktiv. In aller Regel erfüllt selbst ein ärztlicher Kunstfehler den Unfallbegriff nicht. Eine fehlende rechtsgenügliche Einwilligung des Patienten in die Behandlung ändert daran nichts.

Auch das „Opfer“ einer fehlgeschlagenen Behandlung, das dieser nicht in rechtsgenüglicher Form zugestimmt hat, muss sich mit den in aller Regel (betraglich und/oder zeitlich) geringfügigeren Ansprüchen gegen Krankenund Krankentaggeldversicherer bzw. mit den aufgrund der höheren Beweislast und der damit verbundenen Prozessrisiken nicht leicht durchzusetzenden zivil- oder öffentlichrechtlichen Haftungsansprüchen gegen Arzt und Spital begnügen.


18. Mai 2015 / lic. iur. Martin Kuhn

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